hanns ausgabe #3

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hauptstadt - 16 Kiosk non stop 24 Stunden im Kiosk von Murat

hochschule - 30 Just Do It UngewĂśhnliche Studentenprojekte

Singen Saufen Säbel Studentenverbindungen in Hannover

auftritt - 54 *

neulich - 32 Magister im Bratwurstwenden Der rollende Stammtisch: Die Mitfahrzentrale hanns - junges leben in hannover ausgabe 3 - august 2009 www.derhanns.de kostenlos

cover


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editorial

Gruben schaufeln mit För, CampariPreise erraten mit Cem, auf Blumenwiesen Tee trinken mit Loory, strippen lernen mit Maria. Sommer. Sommer in Hannover. Junge Energie im hanns. Für blanken Protest haben wir uns entschieden, die Philosophie des sinnigen Unsinns hat uns getrieben, Geschichten aus Hannover stehen hier geschrieben. Hier der dritte hanns, mit einem herzlichen Lächeln für all unsere Leser. Enjoy it! cover: sandra wildeboer Burschen und Alte Herren vor der Ankneipe im eigenen Rittersaal.


04 singen saufen säbel studentenverbindungen in hannover

do it 30 just ungewöhnliche

studentenprojekte

16 kiosk non stop 24 stunden im

klischee:

40 polyeder zum frühstück

kiosk von murat

hanns entdeckt:

22 die kaffee fee

HAUPTSTADT HOCHSCHULE

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AUFTRITT

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NEULICH

52 das dampfende schweigen mein erstes mal bei einer

japanischen teezeremonie

einblick:

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erstaunlich:

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in der mensa mit: andy spyra

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zapfsäule:

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Singen Saufen &Säbel Studentenverbindungen in Hannover Ohne jemals einen Verbindungsstudenten kennengelernt zu haben, glauben wir ziemlich viel über ihn zu wissen. Dass er rechts, chauvinistisch, ausländerfeindlich und saufgeil ist. Aber stimmt das eigentlich wirklich? Was verbirgt sich hinter den urigen Holztüren hannoverscher Verbindungshäuser? text: natalie basedow, imke rueben fotos: sandra wildeboer Die mit Sternchen gekennzeichneten Namen sind von der Redaktion geändert

Ein Korporierter des Corps Hannovera während der Paukstunde, dem mehrmals wöchentlich stattfindenden Fechttraining.


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„Aufziehen, kontrollieren und dann schön eng abdrehen!“ Finn und Gorik stehen sich gegenüber, beide haben den rechten Arm schützend über die Stirn gehoben. Sie tragen zentimeterdick gepolsterte Handschuhe, die bis über den Ellenbogen reichen. In der Hand hält jeder einen rostigen Degen, abwechselnd schlagen sie diesen mit einem dumpfen Geräusch auf den Handschuh und auf den Helm des anderen. „Konzentrieren!“, mahnt der Fechtmeister. Dreimal die Woche um 18 Uhr, wenn der normale Student Simpsons guckt, haben die Jungs vom Corps Hannovera Fechttraining im hauseigenen Übungskeller. Hier pauken, also üben sie mit ihren Corpsbrüdern, um sich auf die nächste Mensur, den nächsten Fechtkampf vorzubereiten. Studentisches Fechten hat eine lange Tradition. Da Studenten früher mit den Taschen voller Geld lange Reisen von ihrem Heimatort zu ihrem Studienort zurücklegen mussten und die Straßen unsicher waren, bekamen sie vom Kaiser das Recht verliehen, Waffen zur Selbstverteidigung zu tragen. Um immer im Training zu bleiben, entwickelten die Verbindungsstudenten diese >

Die Bundesbrüder des Wingolfs während der hochoffiziellen Semesterabschlusskneipe.

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Die meisten Verbindungshäuser verfügen über gut ausgestattete Lernräume. Hier zwei Corpsbrüder des Corps Slesvico – Holsatia kurz vor der Semesterantrittskneipe.

besondere Variante des Fechtsports, die über die Jahrhunderte in den Verbindungen weiterlebte. Heutzutage geht es aber nicht mehr um den Selbstschutz: „Die Mensur muss jeder durchstehen. Das ist auch eins der Dinge, die uns Alte Herren mit den Jungen verbindet. Jeder hat da mal gestanden und weiß, wie sich das anfühlt“, erklärt Alter Herr Dr. Schmehmann vom Corps Slesvico-Holsatia. Oder wie Bastian von der Burschenschaft Germania sagt: „Man steht seinen Mann, ganz einfach.“ Er ist Fechtwart und somit verantwortlich dafür, die Mensuren zu or-

ganisieren. „Wir müssen zwei Pflichtmensuren schlagen“, sagt Tolgay vom Corps Hannovera. „Ich hab zweimal mein Ding durchgezogen, aber jetzt bin ich froh, dass ich damit nichts mehr zu tun habe. Für mich ist das eine notwendige Pflicht, die ich in Kauf nehmen muss, weil die Gemeinschaft es verlangt.“ Eine notwendige Pflicht, die durchaus Spuren in Form einer Narbe hinterlassen kann. Einen Schmiss. Was früher als akademisches Erkennungszeichen galt und möglichst auffällig auf der linken Wange platziert sein sollte, ist heute nur noch selten zu

sehen. „Etwas zur Schau zu stellen, was man nicht besonders gut kann, ist meiner Meinung nach nicht gerade erstrebenswert“, sagt Michael von Wölfel, ein jüngerer Alter Herr von Slesvico-Holsatia. Erstrebenswert ist die Narbe nicht, aber tatsächlich haben viele einen Schmiss auf dem Kopf, durch die Haare verdeckt. Die Partien werden heute so gefochten, dass nur der Kopf Trefferfläche ist. In sechs von 26 Verbindungen mit aktiver Traditionspflege muss gefochten werden, um dazu zu gehören. Der bewaffnete Zweikampf ist aber nicht jedermanns


Sache. Auch nicht in Verbindungen. „Ich versuche Neuankömmlingen klar zu machen, dass die Mensur eben nichts mit Ehre und sich beweisen zu tun hat“, so Jan* von der Turnerschaft Armino-Hercynia. „Fechtgeil“ seien oft diejenigen, die sonst keine Anerkennung bekämen. „Hier habe ich zum ersten Mal Spaghetti gekocht“ Auch wenn viele Verbindungsstudenten, so wie Jan, nicht fechten und die Mensur für nicht mehr zeitgemäß halten, eines verbindet sie alle: Eine klar strukturierte Hierarchie. Der frisch Beigetretene wird erst zum so genannten Fux. Nach ein, zwei Semestern steigt er zum Burschen auf. Nach beendetem Studium ist er dann ein Alter Herr. Der Fux hat wenige Pflichten, aber auch kaum Rechte. Zum Beispiel ist er bei Versammlungen nicht abstimmungsberechtigt. Um die Burschen von den Füxen unterscheiden zu können, tragen sie auch andere Bänder. Diese sind für sie nicht einfach irgendein Stück Schnur, sie zeigen, zu welcher Verbindung Finn, Gorik, Jan und Tolgay gehören. „Auf dem Haus tragen wir das

Band eigentlich immer, das stärkt das Gemeinschaftsgefühl“, erklärt Tolgay vom Corps Hannovera. Es kann aber auch aus der Gemeinschaft ausschließen, wenn man es nicht tragen darf. Benimmt ein Mitglied sich richtig daneben, kann die Gemeinschaft beschließen, ihn in den so genannten „Schwarzwald“ zu schicken. Das bedeutet Bandverbot, Alkoholverbot und Pflichtteilnahme an allen Veranstaltungen. Bastian von den Germanen erläutert: „Derjenige soll merken, wie es ist, nicht Teil der Gemeinschaft zu sein.“ Denn die Verbindung als eine Form der studentischen Gemeinschaft bietet für ihre Mitglieder eine Menge Vorteile. Fast jede Verbindung hat eine eigene Putzfrau, die die Gemeinschaftsräume sauber hält, manche haben sogar eine Köchin, die jeden Tag ein umwerfendes Drei-GängeMenü zaubert. Außerdem wird es einem als Korporierter, also als Verbindungsstudent, wohl nie an Parties mangeln. In der hauseigenen Kellerkneipe kann man Bier zum Einkaufspreis genießen, das man dank eines Getränkelieferanten nicht mal selbst in den wohl gekühlten Keller schleppen muss. Wo so viele Männer zusammen wohnen, findet sich auch >

Stiftungsball der Burschenschaft Ghibellinia – Leipzig im hauseigenen Saal.


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immer jemand, der mittrinkt. Zum Glück gibt es auf den meisten Verbindungshäusern den so genannten „Papst“, ein Kotzbecken mit ziemlich großem Abfluss, in den man nach ein paar „Bierjungen“ zu viel, dem Um-Die-Wette-Trinken von Bier, „papsten“ kann. In katholischen Verbindungen, munkelt man, nennen sie es „luthern“. Neben Party und Komfort geht es aber vor allem um Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft auf die man sich verlassen kann und von der man profitiert. Fachfremde Vorträge und Feedback zwischen Jung und Alt stärken den akademischen Austausch. Das Einhalten strikter Regeln sowie das Akzeptieren von Hierarchien und mehrheitlich getroffenen Entscheidungen machen das alltägliche Softskill-Training aus und bereiten auf die Herausforderungen von morgen vor. Verbindungen als Trainingslager, in dem sich kleine, schüchterne Kerle zu selbstbewussten, rhetorisch fitten Führungskräften entwickeln? Für jemanden, der das Studium als freie Selbstfindungs- und Verwirklichungsphase sieht, fernab von elterlicher Kontrolle und Pflichten gegenüber einer Gemeinschaft, ist das schwer nachvollziehbar. Für Korporierte hinge-

gen erscheint das logisch. “Wie warst du denn mit 19, bist du da alleine klar gekommen? Hier hab ich gelernt selbstständig zu werden und hab zum ersten Mal in meinem Leben Spaghetti gekocht“, so Henning von der Burschenschaft AltGermania. Spaghetti kocht Henning mittlerweile in seiner eigenen Wohnung. Er ist Alter Herr, also kein aktives Mitglied mehr und nun berufstätig. „Die Verbindung hält ein Leben lang“ „Lebenslange Treue, das ist es, was Verbindungen ausmacht“, erzählt Alter Herr Schmidt* von den Westgoten*. Er besucht die Aktiven regelmäßig, hat sogar einen eigenen Schlüssel für das Haus. Beim frisch Gezapften erzählt er gerne vom eigenen Studenten- und Berufsleben. Altherren wie Bundesbruder Schmidt geben der Verbindung das zurück, was sie ihnen während ihrer Studienzeit gegeben hat: Gemeinschaft, Austausch und finanzielle Unterstützung. Die Beiträge variieren abhängig von der Verbindung. Meistens liegen sie zwischen 400 und 900 Euro im Jahr. Putzfrauen, Häuser, Rhetorikseminare und Stiftungsfeste werden

dadurch finanziert. Die Alten Herren versorgen den Nachwuchs mit finanziellen Ressourcen und Knowhow. Ein Generationenvertrag sozusagen, institutionalisiert durch das Lebensbundprinzip, symbolisiert durch das Band. Was bei manch einem vielleicht ein ähnliches Gefühl hervorruft wie fremde Fußnägel im eigenen Bett, gibt Bundesbrüdern Sicherheit. Dabei geht es um weit mehr als nur um materielle Vorteile. Freundschaft, eine Basis, die ein Leben lang hält, Gemeinschaft - auch im hohen Alter. Das Ganze wird gesichert durch einen Eid, eine Art Ehrenkodex, jedoch ohne rechtliche Bindung. Wie ein Ehebund mit Ring, aber ohne Unterschrift. Und ähnlich wie in einer Ehe bestehen auch hier manchmal Zweifel. „Man entscheidet sich immer zweimal für die Verbindung, einmal mit der Bandannahme und dann nach der Fuxenzeit. Manchmal hat man einfach keinen Bock mehr und hinterfragt vieles. Letztendlich überwogen für mich jedoch die Vorteile“, erklärt Tolgay. Viele rutschen Anfangs ins Verbindungsleben hinein und entscheiden sich später noch mal bewusst dafür, wenn sie wissen, um was es geht. Und eben dieser Prozess,


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in dem die Verbundenheit zur Gruppe enorm wächst, macht es verdammt schwer, auszusteigen. Nicht die Satzung, sondern das eigene Gewissen ist es, was die Gruppe zusammenhält. Auch die Verantwortlichkeiten und Erwartungen ändern sich im Laufe der Zeit: „Anfangs tobt man sich aus, doch je älter man wird, desto mehr Perspektiven eröffnet der Austausch zwischen den verschiedenen Altersgruppen“, so Lars von Alt-Germania. Moment Mal, von was für einer Art Austausch spricht Lars hier eigentlich? Da stecken doch sicherlich Vitamin-BSpritzen dahinter. Diese Seilschaften! Ja, was denn sonst? „Der Netzwerkgedanke ist doch heutzutage nichts, was sich auf Verbindungen beschränkt. Natürlich profitieren wir davon, Verbindungsmitglied zu sein. Aber das heißt nicht, dass wir sofort nach dem Studium einen ManagerPosten angeboten bekommen“, stellt Germane Bastian klar. Ein Fux und sein Fuxmajor bei der Vorbereitung des Altherrenstammtischs der Burschenschaft Germania.

„Student, männlich, katholisch“ Wer dazu gehören möchte, muss allerdings erstmal reinkommen. Bei den meisten ist es Zufall. So wie bei Lars. Er brauchte in letzter Minute eine Bleibe. >

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Einblick in die wöchentliche Paukstunde.

Dreckig, ungesellig und unzuverlässig, so richtig überzeugten ihn die besichtigten WGs nicht. Lars hat das Verbindungsleben nicht gesucht, aber er ist hineingewachsen: „Warum ich gerade hier gelandet bin? Letztendlich ist das wie bei jeder Gruppe der Nasenfaktor. Wo einem die Nasen gefallen, da bleibt man.“ Anders war es bei Bastian. Lebensbund, Fechten und Zusammenhalt. Ja, das soll es sein. Aus Überzeugung, nicht aus Wohnungsnot. So zielgerichtet wie Bastian entscheiden sich allerdings die Wenigsten. Ein halbes Jahr darf der Interessent auf dem Haus wohnen, nach dieser Probezeit entscheiden dann beide Seiten, ob es passt. Und es passt nicht immer. Denn um diesem erlauchten Kreis beitreten zu dürfen, müssen einige Bedingungen erfüllt sein. „Student, männlich, katholisch“ heißt es zum Beispiel bei der katholischen Verbindung Teuto-Rhenania. Die politische Gesinnung sei ihnen aber völlig egal, sagen sie. Das sieht bei manchen Burschenschaften schon anders aus: „Wir haben als Burschenschaft einen politischen Anspruch, wir wollen, dass unsere Leute politisch interessiert sind“, so Jörg von den Arminen. Und politisch aktiv. Viele

Burschenschaften engagieren sich in der Hochschulpolitik. Das sei aber nicht so einfach. Da sie politisch oft am rechten Rand eingeordnet werden, sei ihre Meinung in studentischen Gremien meist unerwünscht. „Manchmal wird uns das Mitwirken in der Hochschulpolitik schon schwer gemacht. Wenn man zum Beispiel an Infoveranstaltungen teilnehmen will, kommt es vor, dass man direkt gebeten wird, doch bitte den Raum zu verlassen“, erzählt Armine Dominik. Es gibt ihn, den rechtsextremen Verbindungsstudenten. Aber so wie nicht jeder Tätowierte gleich ein Verbrecher ist, ist eben auch nicht jeder Verbindungsstudent gleich ein Neo-Nazi. Die eigentliche Frage ist, ganz ähnlich wie in unserer Gesellschaft, wie Korporierte damit umgehen. Das weit verbreitete Vorurteil, dass Verbindungen keine Studenten ausländischer Herkunft aufnehmen, trifft zumindest nur zum Teil zu. In manchen Verbindungen können Ausländer prinzipiell nicht aktiv werden, man wolle seine Alten Herren ja schließlich später in Reichweite haben. Viele andere wiederum brüsten sich mit ein bis zwei Nicht-Deutschen, die in den letzten 50 Jahren mal Mitglied waren. „Einer


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unserer Alten Herren ist Israeli. Damals, als er beigetreten ist, war nur einer von ca. 120 Corpsbrüdern dagegen. Dieser eine ist dann wegen Intoleranz rausgeschmissen worden“, erzählt man sich heute noch im Corps Slesvico-Holsatia. Manche Verbindungen bestehen sogar zum größten Teil aus jungen Leuten mit Migrationshintergrund. „Ich hab noch nicht mal einen deutschen Pass“, so Avni vom Corps Hannovera. Die Verbindungen der Landeshauptstadt distanzieren sich mehrheitlich von nationalsozialistischem Gedankengut. „In Hannover gibt es schon so ein bis zwei Verbindungen, die rechtsextreme Tendenzen haben. Die begrüßen einen dann schon mal mit »Heil dir«. Die haben bei uns aber Hausverbot, mit so was wollen wir nix zu tun haben.“ Zumindest nach außen hin. Denn dass sich zu diesem Zitat niemand öffentlich bekennen mag, spricht für sich selbst. Rechtsextremismus ist bei vielen Verbindungen kein Verbrechen, sondern eine politische Meinung unter vielen. Solange sich Blondie mit seinem Seitenscheitel in einer verfassungskonformen Partei engagiert, ist er akzeptiert. Das Prinzip der freien Meinungsäußerung eben.

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Blick in den Rittersaal des Corps Slesvico Holsatia.


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ich find’ rituale und zeremonien cool interview: imke rueben fotos: sandra wildeboer

Verbindungen sind Männersache? Denkste. Die ADV Victoria, eine der beiden Damenverbindungen Hannovers, wurde 2006 gegründet. Heute sind sechs Mädels aktiv, die ihre Verbindung selbst gestalten. hanns im Gespräch mit Anna, Bunny, Christina und Doreen. Die ADV Victoria beim gemeinsamen Feiern des Eurovision Song Contests.


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hanns: Warum eigentlich Frauenverbindungen? Christina: Weil natürlich auch Frauen genauso in studentischen Organisationen sein wollen wie Männer. Wobei Frauenverbindungen nicht so traditionell sind wie Männerverbindungen. Natürlich ist es schade, dass wir keine 200jährige Tradition haben, andererseits ist das der große Vorteil von Frauenverbindungen. Bei den Männern ist es einfach Tradition, dass bestimmte Lieder auf bestimmten Veranstaltungen gesungen werden, das können auch mal Lieder sein, die heutzutage einfach ein bisschen fraglich sind. Da denkt keiner drüber nach, weil es halt Tradition ist. Und so was müssen wir nicht übernehmen, weil wir keine Hohen Damen haben, die sagen: „Aber früher haben wir das immer so gemacht, und wir bezahlen das, also macht das bitte weiter so.“ Wir gehen von Null aus und können unsere Verbindung selbst und viel moderner gestalten. Was sind das eigentlich für kleine Schleifchen in den Farben Weiß, Gold, Braun eurer Verbindung? Tragt ihr die statt Band? Christina: Die Schleifen hab ich bei einer anderen Damenverbindung gesehen und hab das dann bei uns vorgeschlagen, einfach um ein bisschen weiblicher und moderner zu sein. Jetzt haben wir beides, Band und Schleife. Ist auch praktischer. Gerade so zu Abendkleidern würde das Band gar nicht gehen. Das müsste festgesteckt werden, mit Nadeln und so was. Anna: Außerdem…es gehört nicht gerade zum guten Ton wenn man sein Band auf nackter Haut trägt. Was sind eure Prinzipien? Christina: „Erkenntnis, Zukunft, Zielstrebigkeit“. Das ist für mich tatsächlich lebbar. Ich muss erkennen was wichtig ist, und dann muss ich es für die Zukunft zielstrebig umsetzen. Das passt auch auf mein Leben. Deshalb ist das einfach die richtige Verbindung für mich. In einer Verbindung, wo ich die Prinzipien nicht leben könnte, würde ich erst gar nicht Mitglied werden. Aber wenn eine Burschenschaft 200 Jahre besteht, dann sind die Prinzipien halt „Ehre, Freiheit, Vaterland“. Auch wenn man aktuell kaum

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noch was tut für „Ehre, Freiheit, Vaterland“. Wir konnten das halt alles selber bestimmen. Das spiegelt jeden von uns wider. Das hört sich so an, als wärt ihr wirklich in dieser Verbindung aktiv, weil es euch um die Sache geht. Aber in der gesamten Verbindungsszene gibt es schon viele Mitläufer, oder? Bunny: Kurz nach der Gründung einer Verbindung ist zu viel Arbeit für jeden dabei. Da läuft keiner mit, jeder muss ran. Verbindungen mit Haus haben es da leichter. Das ist ja unser großes Manko, dass wir einfach kein Haus haben und darüber keine neuen Mitglieder werben können. Über günstige Zimmer kommen die Leute immer in die Verbindung rein. Die Möglichkeit haben wir nicht, deshalb haben wir viel größere Probleme als die Männer. Nachwuchsprobleme. Warum seid ihr dann nicht einfach einer gemischten Verbindung beigetreten? Anna: Die Trennung von Männern und Frauen ist auch nicht das Allerschlechteste. Man ist teilweise doch entspannter. Ich finde, das widerspricht sich nicht, dass man modern denkt und auch denkt, dass Frauen Rechte haben und dass man trotzdem sagt, Männer und Frauen müssen nicht alles zusammen machen. Christina: Ach dieses Kriterium, dass Burschenschaften frauenfeindlich sein sollen, nur weil sie keine Frauen aufnehmen. Ja, dann sind wir männerfeindlich. Was ist denn zum Beispiel mit getrennten Duschräumen in Schwimmbädern? Es gibt doch überall Trennungen zwischen Mann und Frau, es gibt auch Vereine, wo nur Frauen mitmachen dürfen und solche, wo nur Männer mitmachen dürfen. Das ist total an den Haaren herbeigezogen, so ein Totschlagargument, das für alles gilt. Wir wollen ja auch keine Männer haben. >


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Anna: Es ist ja gleiches Recht für alle. Wir wollen uns auch gar nicht so mit den Männern vergleichen. Wir haben überhaupt keine Lust zu sagen „Wir können das besser oder toller oder genauso gut wie ihr“. Wir wollen unser eigenes Ding machen. Bunny: Für mich wäre das nichts. Wenn die gemischte Verbindung z.B. zu einer Kneipe von einer Männerverbindung geht, dann können nur die Männer aus der gemischten Verbindung an dieser Kneipe teilnehmen. Die Frauen nicht. Die Männer gehen natürlich trotzdem. Und das wäre für mich persönlich einfach keine Verbindung, wenn die Hälfte meiner Bundesbrüder ohne mich zu einer Veranstaltung geht, anstatt dass sie die Veranstaltung dann vielleicht boykottieren. Da wäre mir einfach nicht genug Rückhalt da. Für mich persönlich. Ich möchte schon, dass wenn ich irgendwo nicht rein darf, dass dann der Rest auch nicht hingeht. In dem Punkt sind die Frauen in gemischten Verbindungen nicht gleichberechtigt. hanns: Was bedeutet Traditionspflege für euch? Anna: Persönlich finde ich, dass Tradition auch Sicherheit geben kann. Traditionen im Sinne von Ritualen, die sich wiederholen. Christina: Ja, so was find’ ich cool. Ich find’ Rituale und Zeremonien cool. Doreen: Das muss man auch mögen. Sonst sind Verbindungen nicht das Richtige für einen. Christina: Auch wie man als Frau behandelt wird im Verbindungswesen. Wenn man das nicht akzeptieren kann, dann ist das nix für einen. Bunny: Ich kenne auch Frauen, die sich partout keine Tür aufhalten lassen wollen. Da ist man dann einfach falsch in Verbindungen.

Die von der ADV Victoria verteilten Werbe-Tütchen sind praktisch bestückt: Flyer, Bonbons, Kondom und Gleitgel sollen zum Beitritt überzeugen.

Was nervt euch am meisten an Männerverbindungen? Christina: Dass wir nicht alles sehen dürfen. Am Anfang meiner Fuxenzeit hat mich sehr gestört, dass mein Freund, der auch Fux war, Veranstaltungen hatte, an denen ich nicht teilnehmen durfte. Das war wirklich blöd. Ich wollte unbedingt auch alles erleben, was er erlebt hat, aber ich durfte nie mit. Obwohl ich auch Korporierte bin. Ich


finde, ich müsste schon einen anderen Status haben als irgendeine Frau, die aufs Haus kommt. Aber hab ich nicht. Die gehen immer weg und verstecken alles. Zur Kneipe dürfen wir nicht und mitsingen dürfen wir auch nicht. Doreen: Doch! Vor der Tür! (Gelächter) Als ich gestern Abend bei meinem Freund aufs Haus kam, haben die gerade „Die Gedanken sind frei“ gesungen und das war so laut, dass ich einfach mitgesungen hab. Anna: Was mich im Moment massiv nervt ist, dass die Männer sich regelmäßig die Freiheit nehmen uns reinzureden. Bunny: Gott, stell dir mal vor, wir würden das bei denen machen! Anna: Genau das ist der Punkt. Wenn wir auch nur ansatzweise sagen, dies und das ist nicht so gut gelaufen bei euch, dann heißt es gleich, wir mischen uns in deren Bundesangelegenheiten ein und kriegen sofort einen auf den Deckel. Und das find ich unmöglich. Dann sollen sie sich auch bei uns raushalten und gefälligst die Klappe halten. Wie wollt ihr mit nur so wenigen Leuten ein Haus bekommen? Christina: Ein Haus ist natürlich das Ziel, da müssen wir aber sparen. Erstmal müssen wir jetzt ganz viele Leute kriegen und wenn viele aktiv waren, dann haben wir eine „Hohe Damenschaft“. Wenn die zusammenlegt, dann kann sie vielleicht eine Wohnung mieten und die an die Aktiven untervermieten. Oder eine von uns erbt ein altes Haus und vermacht es der Verbindung, so läuft so was. Das ist das Endziel. 50 Jahre muss man dafür schon rechnen. Das ist ja ganz schön langfristig geplant, 50 Jahre. Christina: Na hör mal, das ist ein Lebensbund! Lebenslange Verpflichtung, das gehört dazu. Deshalb sind wir kein Verein, sondern eine Studentenverbindung. Aus Vereinen kannst du einfach so austreten, das ist kein Lebensbund.


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Kioskbesitzer Murat und Neffe Cem im 24-Stunden-Kiosk.


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kiosk non stop / 24 stunden im kiosk von Murat Eben noch schnell Kippen holen? Oder lieber eine bunte Tüte? Hannover ist berühmt für seine einzigartige Kiosklandschaft. Es gibt kaum eine Ecke der Stadt, in der man nicht bequem bis nach Mitternacht die wichtigsten Dinge des Lebens besorgen kann. Ein Kiosk auf der Limmerstraße ist allerdings ein ganz besonderer: Er ist am Wochenende 24 Stunden lang geöffnet. HANNS hat Kioskbesitzer Murat einmal durch die Nacht begleitet. text: franziska riedmiller, laura zacharias fotos: roman pawlowski

Die Kasse klingelt bereits verheißungsvoll, als Murat die Schublade schließt. Gerade hat er einem älteren Herrn eine Zeitung und ein Bier verkauft. Kein Wunder, dass das Geschäft brummt, denn es ist Samstag, 23 Uhr, Partyzeit. Hochkonjunktur auf der Limmerstraße. Wenn man die Straße entlanggehen will, muss man unweigerlich hier vorbei, und nicht selten

lacht da schon das Herz in Vorfreude auf ein kühles Bier. Und daran wird es auch niemals mangeln, denn am Freitag und Samstag hat Murat 24 Stunden durchgehend geöffnet. Murat ist in Ankara geboren und aufgewachsen, lebt jedoch seit 1972 in Deutschland. Seine Frau Gülcin lernte er im Urlaub in der Heimat kennen und nahm sie vor 15 Jahren mit nach Hannover. „Ich hatte vorher einen Kiosk in Stadthagen, aber meine Familie wollte zurück in die Großstadt“, erzählt Murat, während er die Bierflaschen im Kühlschrank zurechtrückt. Heute Abend hilft sein Neffe Cem bei ihm aus. Der 25-Jährige studiert im fünften Semester Jura und verdient sich bei seinem Onkel etwas dazu. Es gibt immer was zu tun am Samstagabend, keine fünf Minuten vergehen ohne Kundschaft. Die Partygänger holen sich Bier zum Vorglühen, während andere ihre Feierabendzigarette genießen. „Am häufigsten gehen

hier Zigaretten über die Theke und natürlich Alkohol“, meint Murat, während er eine Stammkundin bedient. Steffi* hat allerdings keinen Cent mehr in der Tasche. Der Monat neigt sich schließlich dem Ende, aber das ist der Sucht egal. Gegen Vorlage ihres Ausweises kann sie sich die Zigaretten anschreiben lassen. Wie gut, dass es ihn noch gibt, den Stammkiosk. Es geht auf Mitternacht zu, das Bier wird im Akkord über die Theke gereicht. Murat und sein Neffe sind topfit: ihre Schicht geht schließlich noch bis acht Uhr früh. Insgesamt zwölf Stunden steht Murat hinter seiner Theke, doch für ihn ist es mehr als nur ein Job: „Ich liebe das Nachtleben“, erzählt er mit leuchtenden Augen. „Die Leute sind lustig und gut drauf, ich kenne inzwischen fast jeden.“ Doch nach seiner Schicht ist die Arbeit für Murat nicht getan. Dann folgen der Einkauf und die Kalkulation, außerdem warten zu Hause seine Frau und seine drei Töchter im Alter von 8-12 Jahren. >

Die mit Sternchen gekennzeichneten Namen sind von der Redaktion geändert.

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GroĂ&#x;er Ansturm auf der LimmerstraĂ&#x;e.


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Murat wartet auf Kundschaft.


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Grün gekleidete 96-Fans mit bemalten Gesichtern kommen grölend die Straße entlang, bestellen Bier und singen allen im Kiosk ein Liedchen. Murats Neffe Cem ist begeistert: „Es ist einfach eine interkulturelle, liberale Stimmung hier in Linden.“ Max und Jens kommen herein. „Nasılsın“ versuchen sie auf Türkisch zu grüßen, scheitern allerdings an der Aussprache. Ihre Börek bestellen sie dann doch lieber auf Deutsch. Pünktlich um Mitternacht bringt Murats Frau Gülcin Nachschub für den Laden. Ihre drei Töchter sind im Bett, jetzt beginnt eine lange Nacht, in der sie ihren Mann im Laden unterstützt. „Die Leute lieben unser breites Angebot“, erklärt sie. Tatsächlich: ob Milch, Obst, Eier oder Katzenfutter, Murat hat eigentlich fast alles, was Mensch und Tier zum Leben brauchen. Kurze Zeit später tauchen zwei junge Männer auf: „Einmal Campari bitte.“ Obwohl einer von beiden rund 1.90 Meter groß ist, muss eine Bierkiste als Leiter herhalten, denn der Campari steht ganz oben im Regal. Bis unter die Decke ist der Verkaufsraum genutzt. Da kein Preis an der Flasche steht und der Chef gerade

Während der langen Nachtschicht bringt Cem seine Kunden zum Lachen.

zum Abendessen in die Dönerbude nebenan gegangen ist, muss Cem schätzen. Kaum sind die beiden aus dem Kiosk, kommen auch schon die nächsten angetrunkenen Partygänger auf dem Weg von der Faust zur Glocksee vorbei und verlangen eine große Ladung Börek mit Käse und Mett „zur Ausnüchterung“. Die Kunden sind aber nicht immer so nett und

freundlich. „Als Maßnahme gegen Rüpel und Schuldner hilft nur Hausverbot“, so Murats Urteil. Er ist recht wortkarg und trocken, aber stets freundlich zu seinen Kunden. Oft weiß Murat schon von weitem, was gewünscht ist: so wird Stammkunde Hasan mit Handschlag begrüßt und bekommt gleich seine vier „Herry“ in der Tüte serviert.


Die Nr. 1 für unsere Freiheit.

Es ist halb zwei, die Stimmung hat sich gedreht. Die meisten Kunden sind angetrunken oder zumindest müde. Im Gedränge verschüttet jemand Fanta. Murat hingegen bleibt wie immer gelassen und wischt mit mürrischem Blick die Lache auf, während seine Frau schweigend die Kasse übernimmt. Die beiden sind ein eingespieltes Team, sie haben schon viele Nächte so zugebracht, denn sie hatten schließlich bereits zwei andere Kioske. „Ich hole mir hier jeden Morgen mein Bier“, erzählt Stammgast Bernd, ein älterer Herr, während er sein klappriges blaues Fahrrad vor Murats Kiosk parkt. „Als Frührentner hat man viel Zeit, trinken zu gehen, zu feiern.“ In die Glocke geht er gern, aber erst ab vier, wenn freier Eintritt ist. „Hannovers Trinkhallen sind mir heilig“, meint er und ein verschmitztes Lächeln erscheint auf dem ledrig glatten Gesicht. Deswegen, erklärt er weiter, sei er auch gegen lange Öffnungszeiten der Supermärkte, die nähmen dem Kiosk die Kundschaft. „Und das ist schließlich hannoversches Kulturgut.“ Linden wird die größte Kioskdichte Deutschlands nachgesagt. In einer Bude sei Bernd allerdings einmal von einem Kioskbesitzer zusam-

mengeschlagen geworden und musste zwei Wochen im Krankenhaus verbringen. „Oder 2001, da hat der Kioskmann am anderen Ende der Limmerstraße doch glatt behauptet, dass ich mit einem falschen Zehner zahlen wollte.“ Da gehe er jetzt natürlich nicht mehr hin. Um Murats Kiosk scheint ein reges Netzwerk zu herrschen, alle wissen alles, jeder kennt jeden. So weiß Gabi, dass Bernd letzte Woche mit einem geklauten Hänger geprahlt habe. „ Wenn ich erfahre, dass das sein Hänger ist, dann ist es aus mit uns“, meint sie. Ihrem Freund seien nämlich gerade zwei Fahrradanhänger abhanden gekommen. Kurz darauf kommt Stammkunde Uwe angeradelt: „Hey Bernd, geht’s noch in die Trompete?!“ Die Sonne geht bereits auf über der Limmerstraße, als Murat seine Kasse zu zählen beginnt. Er lächelt zufrieden, gleich ist Feierabend, oder eher –morgen. Der Sonntag ist sein einziger freier Tag in der Woche. „Am liebsten grille ich im Park mit meiner Familie, und dann muss ich wieder einkaufen für Montag.“ Nein, ein Leben ohne seinen Kiosk kann sich Murat eben nicht vorstellen.

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text: för künkel und franziska riedmiller fotos: hannah lenz illustration: sascha bente

Studieren macht müde, durstig und hungrig. Gegen Müdigkeit hilft nur Schlaf, gegen den Rest Mutter Karin. An der Fachhochschule für Design und Medien auf der Expo-Plaza versorgt sie ihre Studenten mit frisch gebrühtem Kaffee und leckeren Spezialbrötchen. Ihre Ratschläge und Geschichten stehen in der Gerüchteküche der FH hoch im Kurs. Karin Gundlach.

Vor zwei Jahren gab es für die Studenten nichts als Automatenplörre. Die in Lauenburg an der Elbe geborene Karin Gundlach lebte noch in Celle, als sie sich von ihrer heiß geliebten Club-Gaststätte im Vereinsheim SV Eintracht Celle trennte, die nach 50 Jahren in Familienhand einem modernen Zentrum des expandierenden Vereins weichen musste.

Doch für das Zuhause hocken ist Karin nicht geschaffen. Auch ihr Mann wusste das: „Geh bloß bald arbeiten, sonst werd ich immer dicker, wenn du mich so gut bekochst.“ Karin Gundlach gibt schmunzelnd zu: „Ich kann meine Hände nicht ruhig halten und den Mund auch nicht!“ Und so kam ihr die Anfrage über eine Freundin gerade recht, im Foyer der FH eine Cafeteria zu eröffnen. Im Januar 2008 baute sie unter schwierigen Bedingungen mit Werkstattleiter Robin und Innenarchitekturprofessorin Anke Bertrams Hilfe aus dem Nichts einen Verkaufsstand auf. Ihr Improvisationstalent war gefragt und davon hat sie reichlich. Lebten sie und ihr Mann 27 Jahre lang im Vereinsheim ohne Dusche und eigenes Bad, so gab es im Foyer der Hochschule anfangs weder Wasseranschluss noch Herd, von Spüle und Arbeitsflächen ganz zu Schweigen. Aber Karin meisterte das Chaos mit Bravour, sie schickte ihre Studenten zum Wasser holen auf die Toilette und bereitete möglichst zu Hause schon alles vor. 200 Stunden hat Karin im Januar letzten Jahres geschuftet. „Ich war platt mit drei T.“ >


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Kennst du auch jemanden, der das Leben in Hannover schöner macht? Dann schreib an: redaktion@derhanns.de

Mittlerweile ist sie aus dem Designcenter nicht mehr wegzudenken, hat sogar zwei Mitarbeiterinnen und eine Auszubildende bekommen. Ihre TomateMozzarella-Brötchen mit selbstgemachtem Spezialdressing sind legendär. Vieles kauft Karin schon bei sich in Celle frisch ein, wie zum Beispiel die Salate und die Zutaten für die Quarkspeise. Sonntags kann sie es kaum mehr erwarten und schnippelt schon die Paprika auf der Terrasse. Doch nicht nur sie treibt es in die Fachhochschule: „Montagmorgen, wenn ich zur Arbeit fahren will, freut sich das Auto schon so, dass es vor Freude gegen die Garagentür rummst“, lacht Karin. Eigentlich hat Karin eine Ausbildung zur Schneiderin gemacht, das Nähen hat sie dann ihrem Mann zuliebe aufgegeben, um mit ihm gemeinsam die Gaststätte seiner Eltern weiterzuführen. Seitdem ist sie leidenschaftliche Gastronomin: „Da wo die Wirtsleute gut beieinander sind, da fühlt man sich wohl“, sagt die „Kaltmamsell“, wie sie auch salopp genannt wird, über ihre Leidenschaft, anderen Gutes zu tun. Karins scharfem Auge entgeht nichts, sie hat immer einen guten Rat, tröstende oder aufmunternde Worte für

ihre neuen Schützlinge, die Studenten. Mit ihrer Menschenkenntnis und Lebenserfahrung kann sie Andere bestens einschätzen und selbst am Zusammenfalten der Milchtüte deren Charakter erkennen. Dafür haben sie die Studenten ins Herz geschlossen, sie bekommt Mitbringsel aus aller Welt. Auch wenn ihr Chef schimpft, sie hätte aus der Cafeteria ein „Café Wünschdirwas“ gemacht, kann er der „Küchenqueen“ doch nichts abschlagen, wenn sie mit einer Erdbeertorte und neuen Vorschlägen kommt. Denn Karin liest ihrer jungen Kundschaft die Wünsche förmlich von den Lippen ab. Aus „Karin, ich möchte Eis!“ wird eine riesengroße Eistruhe. Als nächstes steht ein großes monatliches Frühstücksbüfett auf dem Plan. „Mädchen zahlen 4.44 Euro, Jungs 6,66 Euro, denn die vertragen ja ein bisschen mehr.“ Davon erhofft sich Karin einen „Marktplatz der Kommunikation“ zu schaffen, auf dem sich Studenten, Professoren und Mitarbeiter treffen können. Auch ein Gästebuch möchte sie demnächst einführen, in dem jeder seine Wünsche, Vorschläge und natürlich sein Lob aussprechen kann.

Durch den Job an der FH hat sich ihr Bild über Studenten stark gewandelt. Sah sie Studenten früher als faule Sprösslinge reicher Eltern, so weiß sie heute, dass sie oft hohen Anforderungen genügen müssen und sich mit wenig Geld durchs Leben schlagen. Besonders gefällt ihr das gemischte Publikum an der FH, „die Modemädels in ihren flippigen Kleidern im Gegensatz zu den konservativeren Produktdesignern, die alternativ angehauchten Fotografen und die bunten Kostümvögel“ sind ihr alle ans Herz gewachsen. Auf ihrer Schürze kann man lesen: „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird“. Ein Motto, das sie an ihre Schützlinge weitergeben will, als ruhender Pol in stürmisch-stressigen Studienzeiten. „Trink erst mal nen Kaffee, dann sieht die Welt schon ganz anders aus“. Doch der schönste Moment ist für Karin der, wenn alle Brötchen schön geschmiert in der Vitrine liegen, und der Kühlschrank bis oben hin gefüllt ist. Dann ist sie bereit für die hungrigen Studenten, ihr Kaffeeduft zieht durchs Haus und ruft ihre Schützlinge zur heimlichen Mama der FH.


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...someone still loves you Text und Dank: Carolin Schrötter

Sven Waschk und Jan-Hendrik Werner alias Team dauerfeuer nutzen T-Shirts als grafische Plattform. Und das seit fast zwei Jahren. Kennen- und schätzen gelernt haben sich die beiden bei ihrem Job als Grafikdesigner in der hannoverschen Werbeagentur Projekt Kochstrasse, inzwischen verbindet sie aber längst mehr als ihr unternehmerisches Tun: Freundschaft. In der Agentur stellen sie für Kunden wie Burton, Vans oder Sennheiser täglich ihre Fähigkeiten unter Beweis. Gelernt ist eben gelernt. Bei dieser Arbeit wird schnell klar, dass beide sehr ähnliche Ideen und analoge Vorstellungen haben. Und schon ist es geboren – das Vorhaben, auch privat mal zu gucken, was geht. Als Team dauerfeuer, das die Herzhand zu ihrem charmanten Logo gemacht hat. dauerfeuer, das klingt interessant. Aber in diesem Namen klingt auch mit, dass ständig etwas passiert. „Es ist der Drang Output zu generieren und nach Feierabend zu brennen“, wie Werner sagt.

Was als kleines Projekt beginnt, ist heute zu einem authentischen Brand gereift, der es sich auch leistet, eine eigene Artist Line zu führen. Chrissi Jülich von NABF machte den Anfang, gefolgt vom ebenfalls aus Hannover stammenden Philipp Zurmöhle aka Phillennium. Alle Produkte sind limitiert und daher auch schneller weg als einem lieb ist. Denn hier stimmt nicht nur das Design, sondern auch die Qualität: Für die Produktion werden vornehmlich American Apparel Textilien benutzt, der Siebdruck ist unverwüstlich. Nachdem die erste Kollektion im letzten Jahr sofort ihre Abnehmer fand, ist momentan die zweite Serie erhältlich, die dritte bereits in der Mache. Der Hang zu possierlichen Tierchen fällt bei den Motiven ebenso auf wie die skurrile Mischung verschiedenster Alltagsutensilien wie grelle Pillen oder Milchtüten. Amüsante Namen haben die Kreationen außerdem: Hier wird der Toast zum Handwich und die Mieze zur Battlecat - „ein Shirt, das sich übrigens zum viel gefragten Bestseller gemausert hat“, wie Sven mit einem zufriedenen Schmunzeln berichten kann.

Längst gibt es aber nicht mehr nur Shirts, sondern auch unique Accessoires wie gravierte Flachmänner, Ohrringe und bald auch Caps zu kaufen. Und das nicht nur im Onlineshop, sondern auch exklusiv bei Nice/Nice in der Deisterstraße, einer Galerie, die Werke internationaler Künstler zeigt. Ach ja, dauerfeuer gibt es auch to go: an der mobilen Verkaufseinheit, zuletzt gesehen bei der Fête de la musique und im Limmer Volksbad. Und demnächst auch auf dem Fährmannsfest. Aber was ist nun der rote Faden, der sich durch das vielseitige Schaffen dauerfeuers zieht? Ein Fazit, bitte. „Na ja“, sagt Werner, „wir zeigen eben, dass Clothing Design an der Leine nicht von der Stange kommt“.

www.dauerfeuer.net www.myspace.com/dauerfeuer www.ilovenicenice.com

Gewinnt 3 der brandneuen Phillennium Shirts! First come, first serve. Einfach Größe angeben und E-Mail an : info@dauerfeuer.net.

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hauptstadt - erstaunlich

Es ist einfancnohversdLaaternen

a Das Auge an H

man es f, aber sobald llt es kaum au ater nen, nl ße ra St Eigentlich fä an t es über all: eb kl t, imer n, le ha ül kt M entdec nzellen, rinnen, Telefo hwar zsc s da : Ampeln, Dach da h n. Es is t einf ac unter Br ücke -Auge. Aber ge, das Ar rrgh Au ße wei nt eige lich? was soll das

„Das Auge ist Greenpeace und will uns sagen, dass wir beobachtet werden, wenn wir den Müll auf die Straße werfen. ‘Greenpeace is watching you’ sozusagen. Frage ist allerdings: Warum ist es nicht grün?“ Birte, Logopädin

interview: natalie basedow fotos: natalie basedow

„Das Auge ist ein Pacman Smiley, ich denke die waren irgendwann mal in der Bravo. Das ist so ein dummer Kinderstreich.“ Gordon, Azubi

„Big Arrrgh is watching you. Das Auge klebt einfach überall, selbst wenn man aus Hannover flüchtet. Neulich stand ich verpennt am Straßenrand in Berlin, da klebte auch eins an der Laterne.“ Simon, Plattenwender

Sinnlose Kinderstreiche, so ein Kunstding oder doch Jesus? Mehr zum Arrrgh – Auge auf: www.derhanns.de


„Das Auge beobachtet die Stadt. Aber manchmal stresst es auch, weil es einfach Ăźberall klebt, auch an unserem Haus. Und durch den Regen klebt jetzt die Farbe Ăźberall. Aber macht auch nichts, ist sowieso alles vollgesprayed.“ Noy, SchĂźler

„Anfangs dachte ich, es wäre das Logo einer Band. Dann bin ich nach Linden gezogen und habe ein bisschen geforscht und herausgefunden, dass es son Kunst Ding ist. Jeder soll das verstehen, was er verstehen mĂśchte. Ich glaube, dass das Auge auf politische Missstände aufmerksam machen soll, auf Schäubles Ăœberwachungsstaat! Es ist das allsehende Auge und ein Ausdruck fĂźr Ă„rger, deswegen auch ‘Arrrgh’.“ Gunnar, Student

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hauptstadt - zapfsäule

das spiegel: Ehrlich wAEhrt am lAEngsten

Studentische Szenepinten, orientalische Shisha-Bars, Outdoor-Sandstrandschmandläden – viele Kleingastronomien probieren sich in Nischen zu etablieren. Eine Überlebensstrategie, die oft nicht von Erfolg gekrönt ist. Ob das „Spiegel“ ein Konzept verfolgt oder eine Nische besetzt, lässt sich schwer sagen. Vielleicht ist es deswegen schon 40 Jahre alt. text: helmut eickhoff fotos: sandra wildeboer

Man hört den Namen einer Kneipe und versucht darüber zu ergründen, was das für eine Kneipe sein könnte. Wenn man den Namen „Spiegel“ hört, denken die meisten sicherlich entweder an das Nachrichtenmagazin oder eben an einen Spiegel. Wie könnte also eine Kneipe mit einem solchen Namen aussehen. Ein dämmeriges Licht. Jazz im Hintergrund. An kleinen geflochtenen Bistrotischen sitzen Lehrer, aktiv und passiv Studierende. Etwas Intellektuelles mit kosmopolitischem Anstrich. Oder ein kleines FetischCafé, in dem Voyeure und Exhibitionisten sich angeregt unterhalten – ein bisschen gepusht durch diverse Reflektionen. Aber nichts von all dem erwartet den Besucher, wenn er das „Spiegel“ besucht. Einzig eine draußen angebrachte Leuchtreklame in der Schrift des Titels und innen an den Wänden hängende Cover des Blattes erinnern an den Spiegel. Ansonsten mutet das „Spiegel“ eher wie eine typische Stadtkneipe an, die mehr durch Konstanz denn durch Modernität überzeugen möchte. Die eingerahmten Titelseiten der namensverwandten Zeitschrift sind bis zu 40 Jahre alt, ebenso wie die Kneipe und die schnauzbärtige Aushilfe

mit verrauchter Stimme. Klar, dass hier auch gequalmt werden darf. Alte Lampen und Tische zieren den Gastraum und die Spezi wird im abgegriffenen Bierkrug eines lokalen Unternehmens serviert, dass ganz in der Nähe residiert. Das „Spiegel“ liegt am Altenbekener Damm. In Rufweite liegen die alten UniGebäude der Erziehungswissenschaftler. Studenten sind hier aber selten gesehen worden. Es ist eine Kneipe alteingesessener Südstädter, die sich ganz auf die Bedürfnisse ihrer Stammkundschaft konzentriert. Ein Trikot der Hannover Indians, der zweitstärksten Eishockeymannschaft der Stadt, hängt an der Wand. Direkt daneben eines von Hannover 96. Alle Spiele der „Roten“ werden hier übertragen und die Öffnungszeiten sind darauf abgestimmt. Spielt 96 am Samstag, öffnen sich die Pforten um 14 Uhr, beim Sonntagsspiel um 16 Uhr. An fußballfreien Wochenenden geht es von 17 bis 1 Uhr. Oder auch mal länger, wenn Gast und Wirt danach ist. Eines soll nicht unerwähnt bleiben: die Erbsensuppe. Wenn man vom „Spiegel“ in der Südstadt hört, dann auch meist von dem sauguten Eintopf, den es dort geben soll. Und tat-


sächlich! Auf dem Tresen sieht man einen Suppentopf. Auf Nachfrage erhält man aber die Antwort, dass es erst wieder im Herbst Erbsensuppe gebe, wenn es kälter sei. Ungefragt erklärt die Aushilfe mit breithannöverschen Dialekt: „Im Sommer muss ich den Pott immer umdrehen, damit nich zu viele nachfragen. Da vorne is ja ’n Schild drauf und wenn dat die Leute sehn, sind se enttäuscht, weil se sich doch auf die Suppe gefreut ham.“ Fazit: Das „Spiegel“ ist eine typische Eckkneipe. Das Stammpublikum kommt aus der Südstadt und den angrenzenden Stadtteilen. Szenige Kundschaft aus der Nordstadt oder aus Linden trifft man hier nicht. Und darauf ist das „Spiegel“ auch nicht aus. Was nicht bedeutet, dass neue Gesichter nicht herzlich begrüßt werden, aber man ist zufrieden mit dem, was man hat. Genau diese ehrliche und beständige Ausstrahlung macht das „Spiegel“ so unglaublich sympathisch. Keine Bar für einen außergewöhnlichen Abend, sondern eine Kneipe für viele nette Abende. Toilettencheck: Sauber. Im Sommer frisch renoviert. Klosteingeruch erinnert ein bisschen an Opas und Omas Goldene Hochzeit in der Heide.

GUEnstigste Mahlzeit mit Bier:ErbseNsuppe mit WUErstchen 1.50/ Gilde 0.25l 1.90/ 0.4L 2.90/Becks 0.33l 2.50

hauptstadt

Spiegel Altenbekener Damm 17 30173 Hannover 0511 888693

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hochschule - titelstory

text: julia karrasch, franziska riedmiller fotos: hannah lenz, thorben sembritzki

Ungewöhnliche Studentenprojekte

Von der Theorie in die Praxis, endlich etwas realisieren, nützlich sein und andere damit glücklich machen. Dieser Wunsch entsteht bei vielen Studierenden während der theoriereichen Zeit an der Uni. Hier werden ungewöhnliche Projekte vorgestellt, bei denen Studenten eigenverantwortlich Ideen umsetzen und Gutes tun - außerhalb von Hochschulgrenzen.

Während För die 70 cm tiefe Grube aushebt, zeigt Mona den Bohnen, wie sie zu ranken haben.

Barock im Schrebergarten In dem Studiengang Szenografie wird nach neuen Räumen gesucht, es geht um das Umsetzen von einer literarischen Aussage in den Raum. Normalerweise brüten Szenografen in abgedunkelten Räumen über Bühnenmodellen oder verwirklichen diese fern vom Tageslicht auf der Studiobühne. Doch Räume erschaffen kann man auch draußen, und so geht’s diesmal ab an die Sonne. Die Idee entsteht im letz-


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ten Sommer. Es ist heiß, die Szenografiestudenten För, Simon, Mona, Franzi und Maggi sitzen in der stickigen FH und träumen von frischer Luft und Sonne. „Wie wäre es, wenn wir uns als nächstes Sommerprojekt einfach einen Schrebergarten mieten, in dem man auf der Wiese liegen, grillen, in der Erde graben oder einfach kreativ sein kann?!“ Förs Vorschlag stößt auf große Zustimmung, und so beginnt ein langer Weg durch die Bürokratie, bei dem sich Professor Colin Walker für seine Studenten stark macht. Als sie dann endlich ein geeignetes Objekt finden, liegt vor den Studenten ein 700 m großes Grundstück, das es zu bearbeiten gilt. Die Aufgabe: Installationen und Szenen zur großen Barockepoche umzusetzen. „Es geht nicht darum, aus dem Areal einen Barockgarten zu machen, sondern darum, die Rätselhaftigkeit jener Zeit zu zeigen und sich mit dem Damals gegenüber dem Heute installativ auseinander zu setzen“, erklärt Maggi. Gemeinsam erstellen sie ein Gartenkonzept. Die Symmetrie spielt im Barock eine wichtige Rolle, doch wie lässt sich das umsetzen ohne platt und langweilig zu erscheinen? Es wird mit den vorhan-

denen Motiven gearbeitet, gespiegelt und gegenüber gesetzt. Jeder geht ganz anders an das Thema ran. Der eine liest sich die Epoche an, andere arbeiten mit Bildmaterial aus der damaligen Zeit oder setzen sich mit zeitgenössischen Künstlern auseinander, die sich wiederum in irgendeiner anderen Form mit dem Thema beschäftigt haben. Alles in allem sind sie der Rätselhaftigkeit des Barock auf der Spur und entdecken sie vielleicht im Vergolden des Pissoirs, in geheimen Symbolen, im Höllensturz unter die Erde, oder im Heckenfernseher. Die intensive Zusammenarbeit bringt sie auf ganz neue Ideen. „Wir merken, dass sich dieses Projekt nicht in feste Zeiten pressen lässt, sondern einfach wetterabhängig ist“, stellt Simon fest. Das Projekt ist komplexer als anfangs angenommen. Es muss gepflanzt werden, gegossen, wenn es heiß ist, künstlerisch weitergedacht werden, technisch umgesetzt, organisiert und der Rasen muss laut Kleingartenvereinsordnung auch mal gemäht werden. Als krönender Abschluss wird der Garten zum barocken Festgelage, bei dem ein neuer Blick auf das Zeitalter des Barock geschaffen wird.

Das Projekt „Barock im Schrebergarten“ ist ein einmaliges Sommerprojekt des vierten Semesters Szenografie. Gefördert durch die Fakultät für Design und Medien der FH Hannover gestalteten die Studenten den zur Verfügung stehenden Garten. Ziel ist es, eine Abschlussperformance am siebten Juli diesen Jahres zu initiieren bei der Installationen und einzelne Szenen beschaut werden können. Das Projekt ist eine Kooperation mit der Abteilung Kostüm und Schauspiel. www.fh-hannover.de

Aus dem güldenen Pissoir sollen bei der Performance leise Johann Sebastian Bachs Cellosuiten erklingen.


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„Schenken Sie mir doch einfach eine Kaffeemaschine!“ Mein aktueller Mitfahrer Andi – viel rumgekommen und nicht auf den Mund gefallen, erzählt mir gerade die Geschichte, wie er den armen Kundenberater einer bekannten hannoverschen Firma in den Wahnsinn trieb. Der überfreundliche Kundenberater hatte mit dieser Antwort auf seine Frage, was er denn tun könne, damit Andi weiterhin zufriedener Kunde bleibe, sicher nicht gerechnet. Verzweifelt sucht er in seiner Gesprächsfaden-Matrix „Vertragsverlängerung/Kundenprämie“ das Wort Kaffeemaschine, kann aber nichts Vergleichbares finden. „So musst du es einfach heutzutage machen: Die verarschen uns – also vice versa“, grinst Andi und lehnt sich selbstgefällig in den Beifahrersitz. So oder so ähnlich geht es meistens in meinem Auto zu. Willkommen in der Mitfahrzentrale. Dem mobilsten aller mobilen Mobilitätskonzepte der reiselustigen „Fahr-mal-ebenkurz-rüber-nach-Meppen“- Generation 2 Punkt 0. Es sind Momente wie diese, die das Phänomen Mitfahrgelegenheit auszeichnen. Im Prinzip ist man sich vollkommen unbekannt. Dennoch ist es häufig zu spüren, dieses unerklärliche Gefühl: „Ich weiß zwar nicht, wer du bist, aber irgendwie vertraue ich dir, dass du mich von A nach B bringst“ Woher zur Hölle kommt dieses Vertrauen gegenüber einer fremden Person? Hat uns Muttern früher nicht allzu oft eindringlich davor gewarnt, nicht in Autos fremder Leute zu steigen? Wer weiß, wo der dich noch hinbringt. Die Weggefährten, Bahnverweigerer oder einfach nur Geldsparer, eint dasselbe Wesen: jung und unerschrocken, bereit für Abenteuer, die einen zwischen Minden und Kirchheimer Dreieck erwarten. Früher noch anfänglich im Studentenkreisen beliebt, zieht es inzwischen auch andere Randgruppen in den Kreis der „carsharer“. Warum auch nicht? Die Strecke wird sowieso gefahren. Ökonomisch und ökologisch wird gedacht. Wenn Muttern wüßte, was heute für Gestalten in Deutschland unterwegs sind. Freiwillig würde sie dem Nachwuchs eine Bahncard 100 schenken, ganz sicher. Umso erstaunlicher ist es, dass sich in so kurzer Zeit auf engstem Raum sowohl intensive als auch interessante Gesprächsthemen ergeben können. Versteht man nicht. Versteht kein Mensch. Es sei denn man hat den Schnarcher an Board. Mit dem beredet man höchstens den Zeitpunkt des Aufweckens. „Hinter Friedland kannst du mir Bescheid sagen, *ratzepüüüh*.“ Wann aber hat man sonst schon die Möglichkeit, sich mit Geburtenhelfern über gleichgeschlechtlichen Sex oder mit Biotechnologen über die Sinnhaftigkeit von Billigflügen zu unterhalten? In einer unbedeutenden Stadt mit G steigt Christian zu. Christian ist 23 und versucht sich im 4. Semester mit Elektrotechnik. „Manowar“ und gesunde Discobräune zieren seinen Torso. Er spricht wie Rüdiger Hoffmann. Christian merkt schnell, dass man bei Tempo 180 auf der Bahn (rechter Fuß Richtung Süden) nicht gescheit Theorien über elektrische Schaltungen und Richtstromschwankungen studieren kann. Nach wenigen Minuten verschwindet das Skript in der Tasche. Die weibliche Gesprächsthematik als auch die Phonetik sind einfach zu dominant, als das man sich ihrer entziehen könnte. So wird eine heitere Diskussionsrunde eröffnet, die mit Klischees und Vorurteilen. Weltwirtschaftskrise, Ost-West-Konflikt, der nahe Osten und der weltweite Frieden. Genmanipulierter Mais auf Guantanamo und am Ende auch immer ein bisschen Barack

neulich, aus dem leben eines hanns: magister im bratwurstwenden /der rollende stammtisch: die mitfahrerzentrale/ text: sven soederberg/illustration: caspar david engstfeld

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Hussein Obama, einfach omnipräsent dieser Kerl. Erstaunlich, wieviel jeder Einzelne von dieser Figur und seiner Politik erwartet. Kann er nicht auch Robert Enke per Dekret zur Nummer 1 im DFB Team erheben? Schließlich könnte dieser etwas Lobbyarbeit gut gebrauchen. Man kann nicht sagen, dass politisches Desinteresse im „Talk mit dir auf der A4“ herrscht. Irgendwie hat jeder etwas zu sagen und so trägt die illustere Runde dazu bei, kontroverse Meinungen auszutauschen. Mal über mehr, mal über weniger tiefgreifende Themen. Sozusagen ein rollender Stammtisch, nur ohne Herrengedeck und Doppelkorn (zumindest für den Fahrer). Phänomen mfg.de. Jeder bringt eine Geschichte in den Fahrgastraum ein, und schon vergehen die Stunden und Kilometer in äußerster Kurzweile. Wochenendrückfahrten sind hierfür prädestiniert. Wieder viel passiert zwischen Beginn und Ende der „Vodafone Weekend Flat“? Ja durchaus, sagt Florian, Anfang 20, im Nebenjob Politikstudent. Süddeutsche im Jahresabo, aber frag ihn bitte nicht nach dem Erfolgsrezept des Hoffenheimer Höhenfluges. Es sind schon Leute an unbeleuchteten Raststätten abgesetzt worden – nachts – und die Prepaid-Karte hatte kein Guthaben mehr. „War auf der Silberhochzeit meiner Tante, voll abgefahren die Leute auf dem Land. Was die für Ansichten haben.“ Das sind die Signalwörter, bei denen man am besten einfach nur noch rhythmisch nickt und „Ah-mhm“ vor sich hin brummelt. Zuhören können und wollen, nie lässt sich diese Eigenschaft besser trainieren als in diesem Moment. Es geht also um Streitgespräche zwischen jung und alt, Stadt und Land, Akademiker und Arbeiter. Kennt man zu Genüge, alles schon mal da gewesen. Und das Schöne ist, anderen geht es haargenau so. Manchmal scheint es doch, als gäbe man durch die Bekanntgabe des Studienfachs seinem Gegenüber oftmals ein Ventil zum Abreagieren. Florians Schwipp-Schwager Klaus-Dieter als Gesprächspartner zur späten Stunde sei kein leichtes Kaliber, erzählt er. 30 Jahre geballte Berufserfahrung gegen unverbrauchten, jugendlichen Idealismus. Persönlichkeitsbildung an der Front. Harte Schule. Wirtschaftskrise, korrupte Politiker, Stellenabbau bei Opel, Machtgier und unfähige Entscheider, Staatsversagen. Voilà, der gesamte Bauladen lustiger Stammtischparolen, ganz großes Tennis. Sollte man sich nicht in solchen Situationen eine zweite Identität zulegen? Ein Alter Ego für aussichtslose Diskussionen, die man weder mit guten Worten noch mit übermäßigem Bierkonsum zu seinen Gunsten entscheiden kann. „Bring das Killerargument“, winselt die Stimme im Innenohr, bring es, bring es. „Mit Physik kann man in Deutschland immerhin auch Bundeskanzlerin werden.“ Oder Magister im Bratwurstwenden. Klingt doch auch nicht schlecht.

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hochschule - titelstory

Die berühmte Brücke „Starimost“ vereint die Altstadt Mostars und ist heute besonders bekannt für das jährlich stattfindende Brückenspringen aus 27 Metern Höhe.

„Eine Brücke schlagen“ Der Krieg dauerte bis 1995. Als er vorbei war, fuhr Micha Philippi von Hannover nach Mostar in Bosnien und arbeitete in einem Musikprojekt für traumatisierte Kinder mit. Die geteilte Stadt, in der Bosniaken im einen und Kroaten im anderen Stadtteil lebten, ließ ihn nicht mehr los. 2004 kam ihm die Idee, in Mostar einen Workshop zu veranstalten, um eine Annäherung der beiden Bevölkerungsgruppen zu versuchen. Micha Philippi suchte nach Unterstützung und fand diese bei Alim Baluch. Zusammen stellten sie ein Planspiel zum Thema EU-Erweiterung auf die Beine. “Die Teilung dieser kleinen Stadt ist vollkommen absurd”, meint Baluch. “Es gibt alles in doppelter Ausführung: zwei Bürgermeister, zwei Müllabfuhren, zwei Unis. Durch die getrennten sozialen Netzwerke gibt es kaum Möglichkeiten, Menschen aus dem jeweils anderen Stadtteil kennenzulernen. Das wollten wir ändern.” Mit Studenten beider Unis, aus beiden Teilen der Stadt, wollten die


hochschule

Hannoveraner nun ihr Projekt durchführen. 2005 fand der Workshop statt - aber mit eher enttäuschendem Ergebnis: “Viele Teilnehmer kamen am zweiten Tag gar nicht mehr wieder. Wir hatten falsche Vorstellungen davon, wie dort alles abläuft und mussten noch eine Menge lernen”, erklärt Baluch. In den folgenden Jahren wurde das Projekt aber immer erfolgreicher. Es gab weitere Workshops zu Themen wie ‚studentische Lebenswelten‘ und ‚Vorurteile‘, und die Teilnehmerzahlen wuchsen. Heute fahren bis zu 15 Hannoveraner zu den Workshops nach Mostar, die Zahl der Mostarer Teilnehmer liegt bei 20 bis 50.“ Mittlerweile kennen wir einige Teilnehmer schon aus den letzen Jahren und es sind Freundschaften entstanden”, so Alim Baluch. Sogar für den Marion Dönhoff Preis der Zeit wurde das Projekt vorgeschlagen. Eine schöne Anerkennung für die Bemühungen, eine Brücke zu schlagen.

Das Projekt von Studierenden aus Mostar und Hannover findet jedes Jahr im Herbst in Mostar statt. Finanziert wird es über Fundraising. Die Studierenden sollen sich mit dem Phänomen einer „divided society“ auseinandersetzen und es sollen Anknüpfungspunkte zwischen den zwei getrennten sozialen Netzwerken gefunden werden. Alim Baluch Leibniz Universität Hannover a.baluch@ipw.uni-hannover.de

Gefüllte Paprika und Börek: die beste Begrüßung nach 24 Stunden Busfahrt.

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KETTCAR TOCOTRONIC FEHLFARBEN FOTOS

TELE SCHWEFELGELB THE ROBOCOP KRAUS BONAPARTE FAUST DIRK DARMSTAEDTER VETO MEDIENGRUPPE TELEKOMMANDER DIAL M FOR MURDER JACK BEAUREGARD KOLKHORST KNUT UND DIE HERBE FRAU MONTAG THE LATE CALL THE SEA NORMA HERPES TAXGAS THE HIGH QUEENS HGICH.T LIKE A STUNTMAN UNI BIG BAND HANNOVER PLEMO & RAMPUE PIXIE CARNATION THE BLUE SINNERS SITUATION LECLERQ + diverse DJ Teams

30 Bands auf 3 Bühnen! Tickets an allen bekannten Vorverkaufsstellen! Festivalticket AK 29,- € / VVK 24,- €, Tagesticket AK 22,- € / VVK 18,- € Weitere Infos unter www.bootboohook.com

Der Krieg hat Narben hinterlassen. Zerschossene, zerfallene Gebäude sind keine Seltenheit in Mostar. Manche sollen als Mahnung im Alltag dienen, weitaus häufiger scheitern Renovierungsarbeiten aber an der Finanzierung.



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hochschule - titelstory

Botschafter des L채chelns - Nikolai Reichelt und Fabian Neidhardt


hochschule

spread the smile Die Welt schöner machen - nicht gerade eine leichte Aufgabe, die sich Nikolai und Faby von „Messenjah“ da ausgesucht haben. Doch ihr Projekt ist ein guter Anfang. „Es hat alles angefangen mit dem Wunsch nach Visitenkarten. Wir wollten kreative Kärtchen, die wir Leuten geben konnten, damit sie unser Projekt „Messenjah“ im Netz finden. Und dann sind wir irgendwann auf die Idee mit den Gutscheinen für 1 x Lächeln gekommen“, erzählt Faby. Also verteilten sie Karten mit einem Mondgesicht und einem Gutschein für ein Lächeln - wiederverwendbar. Die Reaktionen waren durchweg positiv und die Karten schon bald vergriffen. So entstand das Projekt „Schöne Welt“. Nikolai erklärt die Idee folgendermaßen: „Wir wollen durch kleine Sachen einen Moment im Leben eines Menschen schöner machen und damit sein Leben verändern.“ Angefangen hat das Ganze schon 2002, und wenn es nach Nikolai und Faby ginge, könnte es noch ewig so weitergehen. Besonders toll ist für die beiden die Resonanz, die sie von anderen bekommen. „Meist kommt das Feedback, wenn man es am wenigsten erwar-

tet. Eine Mail von einem Unbekannten, der einen Gutschein bekommen hat, eine SMS von einem Freund, der begeistert erzählt, dass eine Karte im Bad hängt und ihn immer zum Lächeln bringt.“ Die beiden haben mit ihrer Idee schon oft gute Stimmung erzeugt und viel Lächeln geerntet. Mit einem Zwinkern gesteht Nikolai: „Wenn wir andere glücklich machen können, ist das auf eine gewisse Weise sogar egoistisch, weil wir selbst dadurch auch glücklicher werden.“ Eigentlich haben die beiden noch viel mit ihrem Projekt vor. Zurzeit machen sie nur Andeutungen: „Schöne Welt“ auf T-Shirts und Plakaten, U-Bahn-Seminare... Nur das Finanzielle bereitet ihnen Probleme. Bisher zahlen sie alles aus eigener Tasche, „und da lassen sich natürlich nicht alle Pläne realisieren.“ Aber die Begeisterung hält an. „Das Schönste wäre, wenn man irgendwann irgendwo auf der Welt eine total zerknitterte Karte zurückbekommen würde, ganz unverhofft“, verrät Faby.

>> Schick die Karte um die Welt und bring deine Freunde zum lächeln.

Das Projekt: „Messenjah“ ist ein Wortspiel aus Messenger und Jahwe, und bedeutet soviel wie Botschafter Gottes oder Botschafter des Lächelns. Das „Messenjah“Projekt „Schöne Welt“ wird betrieben und finanziert von dem Studenten Nikolai Reichelt und dem Jungautoren Fabian Neidhardt. Es existiert seit 2002. www.messenjah.de

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hochschule - klischee

Polyeder zum Frühstück / text: philipp blanke illustration: anna zejmo

Philipp ist 32 Jahre alt und hat an der Leibniz Universität sein Diplom in Mathematik gemacht. Trotzdem hat er heute eine Frau und zwei Kinder, obwohl er weiterhin am Institut für „Mensch-Maschine-Kommunikation“ arbeitet. Außerdem sitzt er grad an seiner Doktorarbeit zum Thema „Inverse Materialflusssimulation“. Voilà: das Wundertier Mathematikstudent.

für dich / für mehr lächeln. hanns. junges leben in hannover

Studenten über Studentenklischees

„Woran erkennt man einen extrovertierten Mathematiker?“ - „Wenn Du mit ihm sprichst schaut er auf DEINE Schuhspitzen.“ Im Verlauf meines Studiums habe ich viele Kalauer dieser Art getroffen. Der Mathematiker gilt als eigenbrötlerischer, verschrobener Theoretiker par excellance. Dieser Typ, der immer noch so angezogen ist, als hätte ihm Mutti höchstpersönlich die Hose zugeknöpft. Der Fila-Pullover aus der siebten Klasse passt noch und der 4U-Rucksack ist ganz hoch geschnallt, das ist besser für den Rücken. Während des Studiums sind mir solche Leute tatsächlich begegnet. Der wissenschaftliche Mitarbeiter, dessen Blick im Gespräch immer zwei Zentimeter über meinem rechten Ohr klebt, oder der Student, der mit gesenktem Kopf so leise nuschelt, dass man sich ein Richtmikrofon wünscht. Das ist aber eher die Ausnahme. Mathematikstudenten sind so unterschiedlich wie Gummibärchen. Zwei Aspekte sind allerdings sehr typisch für Mathematiker. Erstens: Sie sind meist männlichen Geschlechts. MathematikerIN ist ein Wort, das mir bisher noch nicht oft begegnet ist. Die Anwesenheit von Frauen in den Vorlesungen ist meist

darauf zurückzuführen, dass auch Lehramtstudentinnen da sind. Dass Mathematiker deshalb Probleme haben, Frauen kennen zu lernen, kann ich allerdings nicht bestätigen. Der Mangel an weiblichen Kommilitonen im Studium hat uns viel mehr dazu getrieben, uns außerkurrikular zu engagieren. Sport treiben, in Kneipen rumhängen, auf Festivals und Konzerten abrocken. Was Studenten halt so machen.Die zweite Sache, in der Mathestudenten ziemlich uniform sind, ist ihre Schullaufbahn, meistens wählten sie die wenig nachgefragte Leistungskurskombination Mathe/Physik. Für das Studium muss man sich schon begeistern. Mathe studiert man nicht, weil man nicht so recht weiß, was man machen soll. Gut, es gab die Leute, die sich in Mathe eingeschrieben haben, weil das Fach weder einen NC noch Aufnahmeprüfungen hatte und sie dringend das Semesterticket brauchten. Seit der Einführung der Studiengebühren gehört das aber der Vergangenheit an. Das Studium ist schwer und besonders in den ersten Semestern wird „gesiebt“ mit zuviel Stoff und harten Klausuren. Was einem am Anfang nicht klar ist, sich aber im Verlauf des Studiums


hochschule

als wirklich toll herausstellt ist, dass es grundsätzliche Ähnlichkeiten zwischen Graphentheorie, Analysis und Stochastik gibt. Verständlich, wenn ihr jetzt meine Beigeisterung diesbezüglich nicht teilen könnt. Im Hauptstudium ergibt dann aber vieles einen Sinn, wo vorher nur komische seltsame, undefiniebare, merkwürdige Zeichen standen. Das Studium wird viel angenehmer, zumindest im Diplomstudiengang. Man schreibt weniger Klausuren und kann die Kneipen und Clubs Hannovers ausgiebig erkunden. Als Mathematikstudent wird man oft bestaunt wie ein Wundertier. Das beobachte ich auch bei vielen Akademikern anderer Fachrichtungen, die nur in den Grundvorlesungen mit den hohen Durchfallquoten mit Mathe in Berührung kommen. Die vorherrschende Meinung ist da meist „Schön, wenn es vorbei ist!“, und das Verständnis für die Leute, die das freiwillig noch länger machen, ist gleich Null. Auf der anderen Seite sind wir aber gern gesehene Nachhilfegeber. Überhaupt ist Nachhilfe Einnahmequelle Nummer eins während des Studiums, gefolgt von Programmieren - Mathematiker sind fast immer auch Computer - affin - und haben HiWi - Jobs

an der Uni. Wir können so gut Nachhilfe geben, weil wir eigentlich recht kommunikativ sind. Es ist schwer, Fachfremden zu erklären, was man macht. Die topologischen Eigenschaften der medialen Achse von Polyedern erläutert man nicht mal ebenso beim Frühstück. Praktische Bedeutung haben die ganzen abstrakten Sachen aus der Mathematik ja nicht und deshalb gilt der Mathematiker als Theoretiker, der sich den Nagel erstmal eine Stunde an den richtigen Ort in der Wand denkt, bevor er ihn mit dem Hammer

reinschlägt. Präzision und langes Nachdenken vor Entscheidungen sind immer wiederkehrende Charakterzüge von Mathematikern. Er stürzt sich nicht sofort in eine Sache, sondern wägt erstmal ab, informiert sich und diskutiert Vor- und Nachteile. Das führt durchaus auch zu nicht enden wollenden Diskussionen, in welcher Kneipe man sich abends trifft. Ach, und eine Sache liegt mir noch am Herzen: Mathematiker können gut rechnen? Nein. Aber wir wissen immer, wo unser Taschenrechner liegt.

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hochschule - einblick

„zuR not werde ich strip perin“

980 Bewerber, 10 Plätze, ein Urteil nach 20 Sekunden. Seeräuberin Jenny, also Maria ist heute Nummer zehn. Ihr Herz rast und scheiße ist sie nervös. Gleich ist sie an der Reihe, Maria muss Vorsprechen...

Das Vorsprechen

text: maria eggers fotos: sandra wildeboer

Redakteurin Maria erzählt von ihren Erfahrungen beim Vorsprechen.

Heute ist es nun soweit. Tag X. Geschlafen habe ich kaum. Nervös kontrolliere ich, ob ich alle Requisiten dabei habe. Soll ich diesmal lieber Bihler statt Frau Wrage vorspielen? Hab ich die zweite Strophe der Seeräuberin Jenny wirklich drauf? Und werde ich heute meinem Traum ein Stück näher kommen? Gleich, wenn ich an der Hochschule für Musik und Theater (HMT) vorspreche, werde ich es erfahren. Hunderte Schauspielanwärter erwarten mich dort. Alle mit dem gleichen Ziel, dem gleichen Traum. Doch nur zehn von uns werden später zum staatlich anerkannten Schauspieler ausgebildet. Werde ich eine der Glücklichen sein? Obwohl alle Konkurrenten sind, gönne ich es trotzdem jedem meiner Mitstreiter weiter zu kommen. Manche bewerben sich bereits das zwanzigste Mal. Sie kommen nicht nur aus allen Teilen Deutschlands, sondern auch aus der Schweiz >


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Schauspielstudentin Magdalena beim improvisieren.

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hochschule - einblick

und Österreich und haben weder Kosten noch Mühen gescheut. Vor soviel Beharrlichkeit muss ich einfach meinen Hut ziehen. Ich dagegen habe mir „nur“ vier Universitäten ausgesucht, an denen ich mein Glück versuche. Schließlich bin ich mit meinen 24 Jahren nicht mehr die Jüngste im Vergleich zu meinen Konkurrenten. Außerdem studiere ich aktiv Sozialwissenschaften. Trotzdem probiere ich meinen Traum zu verwirklichen. Theater spiele ich seit ich denken kann, und es hat mir immer riesigen Spaß bereitet. Wenn nur dieses Vorsprechen nicht wäre. Ich bin eher schüchtern und hätte mich als frische Abiturientin nie im Leben getraut vor Schauspieldozenten vorzusprechen. Mein Herz klopft wie verrückt. Warum ich mir das trotzdem antue? Weil die Bühne ganz einfach ein magischer Ort ist. Sobald ich spiele, lasse ich mein schüchternes Wesen links liegen und werde zur Rampensau. Für eine meiner Rollen habe ich sogar strippen gelernt und ich hätte nicht gedacht, wieviel Spaß das macht. Begrüßt werden wir von Schauspielstudenten aus den höheren Semestern. Sie haben uns Brötchen

geschmiert und Kaffee gekocht, doch an diesem Morgen scheint niemand von uns so richtig Hunger zu haben. Magdalena ist 23 und schon seit drei Jahren an der Hochschule. „Damals war ich genauso nervös wie ihr.“ Wir kommen ins Plaudern. Sie erzählt ein bisschen aus ihrem Studienalltag, was meine Anspannung merklich auflockert. Sie sagt, dass ihr ihre Klasse, die aus zehn Schülern besteht, nach all der Zeit richtig ans Herz gewachsen ist. „Wenn zehn Schauspielschüler die ganze Zeit aufeinander hängen kann es auch mal so richtig knallen. Das schweißt zusammen!“ Heute bin ich Nummer zehn in meiner Gruppe. Ich warte draußen bis ich an der Reihe bin. Den anderen bei der Prüfung zuzusehen lenkt nur ab. Wie auch bei den anderen Vorsprechen sind auch diesmal fast alle in der Gruppe Frauen. Heute wäre ich gerne ein Mann. Denn es gibt in klassischen Theaterstücken weit mehr männliche Rollen als weibliche. Jetzt bin ich dran. Ich werde rein gerufen. In der ersten Runde muss ich eine Rolle vorstellen. Ich hoffe, dass die Prüfer mich durchspielen lassen. Oft genug fällen Dozenten bereits nach 20 Sekunden ein Urteil und rufen

dem Prüfling ein bestimmendes „Danke!“ entgegen. Die Dozenten lassen mich durchspielen. Es scheint ihnen gefallen zu haben. Draußen warte ich mit den 14 anderen Schauspielanwärtern meiner Gruppe. Drei von ihnen kommen heute in die zweite Runde. Ich bin leider nicht dabei. Nein, hier ist der Weg leider zu Ende. Ich fahre nach Hause, genauso wie die anderen insgesamt knapp 980 Mitbewerber. Woran hat es gelegen? Ich spreche noch mal mit Magdalena. Sie erklärt mir, dass unter anderem mein Alter eine Barriere ist. „Mit 24 Jahren ist der Charakter meist schon so ausgereift, dass die Dozenten einen nicht mehr formen können.“ Oder ob es vielleicht auch an meinem mangelnden Talent liegt? Wer vermag das schon zu sagen. Ich werde auf jeden Fall weitermachen, denn es gibt für mich nichts Schöneres, als auf einer Theaterbühne zu stehen. Und solange dies so bleibt werde ich weiterhin spielen. In meiner Freizeit. Egal was irgendwelche Dozenten sagen. Zur Not kann ich ja immer noch Stripperin werden.


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hochschule - in der mensa mit

„Der Fokus liegt immer auf den Menschen“ „Im ersten Moment war ich total perplex und wusste gar nicht, wovon die Dame spricht.“ Andy Spyra meint den Augenblick, in dem er erfahren hat, dass er die „Getty Images Grants for Editorial Photography“ erhalten hat. Als erster Student hat er das mit 5 000 US-Dollar dotierte Stipendium der amerikanischen Bildagentur Getty Images gewonnen. Ausgezeichnet wurde er für ein Fotoprojekt, in dem es um den Konflikt zwischen der indischen Bevölkerung und dem indischen Staat in der Region Kaschmir geht. In der Mensa spricht der 25-jährige Fotografie-Student Andy Spyra mit hanns über Kaschmir, seinen Weg zur Fotografie und über die Auswirkungen des Preises auf seine Arbeit.

interview: ulrike hönemann foto: alexa brase

Andy, wann warst du das letzte Mal in der Mensa? Was ist dein Lieblingsessen? Das letzte Mal in der Mensa war ich ungefähr vor einem halben Jahr. Mein Lieblingsessen ist selbstgemachtes Müsli mit Äpfeln, Nüssen, Mandeln und Kokos, das bekommt man eher nicht in der Mensa. Wie bist du auf Kaschmir und zu diesem Projekt gekommen? Eigentlich war es Zufall. Vor zwei Jahren war ich mit dem Motorrad in Indien unterwegs und wollte dann nach Nepal. Aber ich hatte nur noch zwei Wochen Zeit, das war zu knapp um sich ein Visum zu besorgen. Dann bin ich stattdessen nach Kaschmir gereist. Ich war dann zwei Wochen da und hatte meine erste Begegnung mit dem Kaschmir-Konflikt. Das Thema hat mich interessiert und es hat mich so fasziniert, dass ich weiter daran arbeiten wollte. Am Donnerstag fliegst du wieder nach Kaschmir. Wirst du eine Fortsetzung von deinem letzten Projekt machen? Vielleicht eher eine Erweiterung. Ich habe beim letzten Mal einige Themen angekratzt beziehungsweise angefangen sie zu recherchieren, bin aber leider nicht dazu gekommen, sie zu fotografieren. Was ich mir vorgenommen habe ist, etwas über die Drogenproblematik zu machen. Durch die Nähe zu Afghanistan und Pakistan gibt es dort sehr viele Drogen. Des Weiteren würde ich gerne etwas über Kriegswaisen und Kriegswitwen machen und den zivilen Widerstand und die Proteste fotografieren. Wobei ziviler Widerstand in Kaschmir Steine schmeißen heißt. Ich möchte aber auch den bewaffneten Widerstand, also die Guerillabewegung fotografieren.


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In der Mensa mit Andy Spyra

Wenn man sich deine Fotos anguckt, fällt auf, dass du sehr dicht an den Menschen dran bist. Wie machst du das? Wie knüpfst du die Kontakte? So (zeigt erst auf seine, dann auf meine Augen). Meistens läuft es nur über Augenkontakt, da ich ja auch kein Kashmiri spreche. Ich würde sagen 90% der Kommunikation findet nur über Gestik und Mimik und vor allem über Blickkontakt statt. Es fällt mir auch leichter in Gebieten zu arbeiten, wo ich nicht die ganze Zeit reden muss. Und die Menschen lassen dich dann einfach fotografieren? Es kommt auf die Situation an. Auf Demonstrationen habe ich auch schon mal welche aufs Maul bekommen, weil ich nicht fotografieren sollte und es in dem Moment aber nicht gecheckt habe. Und dann ist so eine Situation ganz schnell mal aufgeheizt. Also begibst du dich auch in gefährliche Situationen, wenn du in Kaschmir fotografierst? Demonstrationen in Kaschmir sind anders als hier in Deutschland. Es ist alles etwas krasser. Aber inzwischen geht es, meistens werde ich akzeptiert. Am Anfang war das schwierig, da es viele unschöne Situationen mit der indischen Presse gegeben hat. Die haben Fotos von Demonstranten an die Polizei raus gegeben. Es gab Razzien und Entführungen und Leute sind verschwunden. Und da Kaschmir kein heißer Konflikt ist, so wie Gaza, wo die Leute wissen, wie sie die Presse nutzen können, sind die Menschen in Kaschmir sehr empfindlich, was Presse angeht. Nachdem ich aber einige Male erklärt habe, was ich mache, dass ich aufklären will und sie nicht bei der Polizei verpfeife, war es okay. >

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Was reizt dich an Kaschmir? Ist es der Konflikt oder doch eher die Menschen? Ganz klar die Menschen. Mein Fokus liegt immer auf den Menschen, egal bei welchem Projekt. Natürlich ist es mir auch wichtig zu zeigen, was dort passiert. Aber ich glaube, dafür sind Texte besser geeignet als Bilder. Also um die Hintergründe zu erklären. Ich kann zeigen, wie sich so ein Konflikt für Menschen anfühlt und das ist meine Intention. Du hast erst nach dem Ende deiner Schulzeit mit dem Fotografieren angefangen. Wann wurde dir bewusst, dass das Fotografieren mehr als ein Hobby für dich ist? Es gab kein konkretes Ereignis. Es war eher ein Prozess, der sich über ein halbes Jahr lang hingezogen hat. Auf meiner ersten Asien-Reise bin ich mit Fotografie in Kontakt gekommen. Da sind keine großartigen Bilder entstanden, aber ich habe festgestellt, dass es mir Spaß macht. Als ich wieder in Deutschland war, habe ich ein Praktikum bei einer Lokalzeitung in Hagen gemacht. Und aus den drei Wochen ist dann ein halbes Jahr geworden, in dem ich jeden Tag fotografiert habe. Da habe ich mit der Zeit gemerkt, dass es mehr für mich ist als nur ein Praktikum. Wie bist du dann auf die FH in Hannover gekommen? Wenn man Fotojournalismus machen will, gibt es keine Alternative zu Hannover. Ich habe mich einfach beworben und wurde auch gleich in der ersten Bewerbungsrunde genommen - damit hatte ich gar nicht gerechnet. Du bist für viele Foto-Preise nominiert worden und hast auch einige gewonnen. Suchst du dir die Wettbewerbsausschreibungen selbst oder läuft das über die FH? Die suche ich mir selbst. Aber das erwarte ich auch nicht von der FH. Die Fachhochschule ist dafür da, mir das Fotografieren beizubringen und nicht, um mich bei >


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Einfach Wettbewerben einzuschreiben. Das ist meine Aufgabe. Natürlich wird man hin und wieder auf etwas hingewiesen, vor allem unter Studenten weist man sich gerne auf die Wettbewerbe hin.

gutes Brot.

Es war sicherlich ein großartiges Gefühl die „Getty Images Grants“ zu gewinnen. Was für Auswirkungen hat dieser Preis für dich und auf deine Arbeit? Es gibt jetzt mehr Interessenten an meiner Arbeit. Mein Name wird publiziert und kommuniziert und meine Arbeit wird gepushed. Neulich hat mich zum Beispiel ein Magazin aus den USA angeschrieben, das Bilder aus Kaschmir haben wollte. Die wurden von einem anderen Fotografen, den ich nicht kenne, auf mich hingewiesen. Du fotografierst erst seit 2 ½ Jahren. Dafür hast du schon eine ziemliche Karriere gemacht. Die Zeit spielt keine Rolle. Ich glaube, die reine Fotografie, dieses Verständnis von Licht und Komposition ist ganz schwer zu lernen. Da muss man viel Talent und ein gewisses Grundverständnis mitbringen. Dieses Grundgefühl kannst du immer weiter verfeinern, aber es muss schon vorher da sein. Was man lernen kann und was auch ich noch lernen muss, ist dieses ganze Drumherum. Gute Fotos machen können viele Menschen, aber sie auch gut zu vermarkten können ist fast noch wichtiger. 2 ½ Jahre sind kein Kriterium für Erfolg oder Nichterfolg. Hast du schon Vorstellungen von deiner Zukunft? Ich kann mir sehr gut ein Leben zwischen Berlin und Bangkok vorstellen. Das sind zwei Orte, an denen ich mich wohl fühle und an denen ich gut arbeiten kann. Ich finde sowohl Berlin als auch Bangkok bieten mir genug Abwechslung und sind sehr spannend. Asien ist eine gute Basis für Geschichten und ich möchte in der Region auch gerne weiter arbeiten. << Zwei der Fotos, die Andy das Stipendium einbrachten.

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auftritt - mein erstes mal

das dampfende schweigen Zugegeben, mein Kontakt mit japanischer Kultur lässt sich an einer Hand abzählen. Mehr als gelegentlicher Sushi-Konsum und meine Begeisterung für Sailor-Moon im Alter von acht Jahren wären da nicht. Doch wer nicht Weltgewandtheit beweist, ist nun mal verloren in unserer „Generation Rollkoffer“. Also auf zur japanischen Teezeremonie.

text: laura zacharias illustration: dominic nagel

Mein Erstes Mal bei einer japanischen Teezeremonie Geduld war noch nie meine Stärke. Egal, ob es darum geht, eine Minute auf die Mikrowelle zu warten oder vor der Disco Schlange zu stehen. Es gibt wirklich nur wenige Dinge, die mich mehr quälen als Zeit, die einfach nicht vergehen will. Und so kommt es auch, dass ich mit den letzten fünf Minuten vor der Teezeremonie, die im Stadtpark hinter dem Kuppelsaal stattfinden soll, natürlich mehr anzufangen weiß, als blöd wartend rumzusitzen. Noch schnell ein Telefonat erledigen und den „Coffee to go“ leeren. Wer weiß, ob der Tee überhaupt schmeckt. Prompt komme ich natürlich als Letzte in das kleine Teehäuschen „Senshin-tei“ (Klause der Reinigung des Geistes), das übrigens die hannoversche Partnerstadt Hiroshima gestiftet hat. Die bereits wartenden Damen, alle mindestens Mitte vierzig, schauen mich leicht gereizt an. Aber was soll‘s, ich werde ja nun genug Zeit haben mich zu entspannen, denke ich mir im Stillen. „Bei einer Tee-Zusammenkunft können wir alle Alltagsgedanken ablegen und uns ganz dem gegenwärtigen Augen-

blick hingeben“, erklärt eine freundliche, aber bis auf ihren hellblauen Kimono absolut unjapanisch aussehende Dame. Trippelnden Schrittes trägt sie ein Tablett herum, auf dem kleine gerollte Pfannkuchen liegen. „Das sind okashi, kleine Süßigkeiten mit einer Füllung aus weißen Bohnen“, erklärt die junge Frau. Mir stößt leicht sauer auf, während sie weiter erläutert: „Das isst man schon vor dem Tee, um dessen herbes Aroma auszugleichen.“ Als alle beginnen, vorsichtig den undefinierbaren Pfannkuchen mit kleinen Bissen zu essen, pocht mir der Bohnengedanke bereits so wild im Kopf herum, dass sich meine Geschmacksnerven automatisch ausschalten. Ist vielleicht auch besser so, denke ich mit Blick auf eine ältere Dame mir gegenüber, die erfolgreich versucht, ihren Würgreiz zu unterdrücken. Erst jetzt fällt mir in der Ecke des Teehäuschens ein blonder Mann auf. Ziemlich konzentriert gießt er mit einer Holzkelle Wasser von einem Tontopf in einen Feuerkessel und wieder zurück. Vor ihm sind in perfekter Ordnung lauter Schälchen, Töpfchen und Stäbchen aufgebaut,


die mir nichts sagen. Alle schweigen, sitzen sehr aufrecht und schauen konzentriert in die Gegend. Der Versuch zu entspannen scheint sie sehr anzustrengen. Also nichts mit Kaffeekränzchen, denke ich mir. Mehr Zeremonie als Tee. Der Mann in der Ecke fängt an, mit einem Stäbchen ein grünes Pulver in eine Tonschale zu löffeln. Dabei macht er ständig irgendwelche Stopps und Bewegungen, die mir völlig überflüssig erscheinen. Dann beginnt er mit der Holzkelle, heißes Wasser dazuzugießen und verrührt das Ganze sehr langsam mit einer Art Rasierpinsel. Die erste Schale Tee ist fertig. Auf Knien kommt die Kimonofrau angerutscht und übergibt die Schale an eine der Teilnehmerinnen. Die grüne, undurchsichtige, glibberige Flüssigkeit sieht eher nach Zuchhinicremesuppe aus, als nach Tee. Erst als die Frau ausgetrunken hat, fängt der Teemeister in der Ecke an, den nächsten Tee zuzubereiten. Die Frau im Kimono serviert stets mit großer Ehrfurcht und nach ungefähr einer Stunde bekomme ich dann auch endlich meine Schale Tee. Er ist so stark, dass ich mir den Kaffee hätte sparen können, außerdem extrem bitter. „Man schlürft üb-

rigens den Tee, damit der Schaum nicht in der Schale bleibt“, erklärt die KimonoKellnerin lächelnd. „Man will den Gastgebern die Schale sauber zurückgeben.“ Aha. Ich könnte auch abwaschen, denke ich, aber da beginnt der Meister schon mit umständlichen Bewegungen, meine Schale mit dem Rasierpinsel zu säubern. Als alles aufgeräumt ist fragt er nur kurz, ob der Tee geschmeckt hat und zieht dann eine Schiebetür zum Nebenzimmer hinter sich zu. Irre gastfreundlich. Erst einladen, dann anschweigen und zum Schluss auch noch verschwinden. „Cha zen ichimi“, sagt die Frau, „das bedeutet, Tee und Zen haben den gleichen Geschmack.“ Die Mittvierziger-Damen nicken alle und legen einen Blick auf, der suggeriert, sie wären von der Zeremonie noch voll und ganz erfüllt. Ich hingegen bin eher irritiert und ratlos, als ich das Teehäuschen verlasse. Kurz darauf erblicke ich fünf neue Mailbox-Nachrichten auf meinem Handy und wünsche mir fast, das Ganze Zeremoniell hätte doch noch ein wenig länger gedauert.

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auftritt - ausgeh‘n

ausgeh‘n: ausgewählte veranstaltungen aus kunst, theater, lesung und musik.

kunst 29. August - 8. November 2009 Dienstags bis Freitags 12-19 Uhr, Samstags und Sonntags 11-19 Uhr Eintritt 5 Euro, ermäßigt 3 Euro Sonntags freier Eintritt. Kunstverein Hannover, Sophienstr. 2 www.kunstverein-hannover.de, Tel: 325494

David Thorpe – Veils and Shelters / David Thorpe (*1972) entwickelt seit Ende der 1990er Jahre Collagen, Skulpturen und raumfüllende Installationen, die sich durch die akribische Anwendung kunsthandwerklicher Techniken und ausgefallener Materialkombinationen auszeichnen. Dabei bezieht sich Thorpe auf die Kunst des 19. Jahrhunderts, die Landschaften eines Caspar David Friedrichs oder die amerikanische Pioniermalerei der Hudson River School, die die Darstellung von Landschaft als Ereignis thematisiert und die Naturwunder der Neuen Welt feiert. Sonderbare Skulpturobjekte


auftritt

ragen aus schlichten Holzsockeln, fragile Konstruktionen aus Holz und Glas wirken wie Nachbilder seiner architektonischen Schöpfungen, Wandschirme zerteilen die Räume in einzelne Kompartimente – in ein Labyrinth aus Bezügen und Ebenen – und werden mit minutiös gemalten Aquarellen phantastischer Pflanzen bestückt. „Für mich ging es beim Erschaffen von Kunst immer darum, eine Schutzzone herzustellen, ein bewohnbares Universum“, so David Thorpe. Für die Ausstellung im Kunstverein Hannover entwickelt er eine neue ortsspezifische Installation. 05. - 06. September 2009 Samstags 12 - 19 Uhr, Sonntags 11 - 19 Uhr Eintritt frei 39 verschiedene Orte in Hannover www.zinnober-hannover.de

12. Zinnober Kunstvolkslauf / 13.500 Besuche zählt der Zinnober - Kunstvolkslauf Hannover jedes Jahr. Seine Gäste kommen aus der ganzen Bundesrepublik. Dabei steht das Schauen ebenso im Mittelpunkt wie der Austausch mit den Künstlerinnen und Künstlern. Und das alles bei freiem Eintritt und ohne Voranmeldung. Um in den zwei Zinnober-Tagen möglichst viele Kunstorte zu sehen und Zeit zum Verweilen zu haben, werden im Programm pro Tag jeweils zwei Rundlaufrouten durch neun bis zehn Galerien und Ateliers vorgeschlagen. Die Eröffnung des 12. Kunstvolkslaufs ist am Samstag um 11 Uhr in der Galerie Kubus mit der Ausstellung „Boondocks control“, einem internationalen Kunstprojekt im Rahmen der Gartenregion Hannover. Die Abschlussfeier beginnt am Sonntagabend um 20 Uhr im Künstlerhaus.

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auftritt - ausgeh‘n

musik 24. August 2009 21:00 Uhr Eintritt 8 Euro Bei Chez Heinz, Liepmannstr. 7b www.myspace.com/larocolita, Tel: 1614712

10.September 2009 21:00 Uhr Feinkost Lampe, Eleonorenstr. 18 www.myspace.com/gutspieearshot

Rocola Bacalao / Zwölf Leute auf einer Bühne!! Und dann noch auf der Chez Heinz Bühne. Das verspricht gemütlich zu werden. Aber ganz sicher nicht träge. Der lebensfrohe Ska, untermischt mit Rock, Rock´n Roll, Swing, Reggae, Polka und noch ein paar lateinamerikanischen Noten wie Merengue und Calypso, lassen Alltagssorgen schnell vergessen. Auch wenn sie eher Existentialistisches besingen: es bleibt leicht, es bleibt Spanisch. Rocola Bacalao klingen fröhlich, und treffen in ihrer gut definierten Vielseitigkeit, jedes Mal den Rhythmus der das Publikum zum wippen, zappeln und schütteln bringt. Ein Tanzgarant! Guts Pie Earshot / 1997 bekam ich von einem Schulkumpel eine Kassette geschenkt (ja eine Kassette!). Verwundert spielte ich diese, mir absolut unbekannte Band in meinem Walkman ab. Unglaublich! Damals kam es vor wie eine der verrücktesten musikalischen Lautkombinationen, die je in meine Ohren geflogen waren. Irgendwie wild und harmonisch, irgendwie war es Punk und irgendwie war da dieses tolle präsente Cello. Auch


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heute noch steht der Song „Sonic You“ auf meiner Topsongliste. Vor ein paar Jahren ergab sich die Gelegenheit, sie endlich einmal live spielen zu sehen, damals im Chez Heinz. Mittlerweile hatte sich die fünfköpfige Band auf zwei Bandmitgleider reduziert. Ziemlich waghalsige Unternehmung einen Raum, ein Publikum nur mit Cello und Schlagzeug zu begeistern, ja sogar zum tanzen zu bringen. Es funktionierte! Und wie! Das Heinz war ein Klangraum! Komplett gefüllt. Und nach dem tanzenden Publikum von damals zu urteilen hat die Musik nicht nur mich begeistert. Hingehen!! 21. /22. August 2009 Freitag ab 16 Uhr, Samstag ab 14 Uhr Tickets im VVK 24€ , Abendkasse 29€, Tageskarten 18€ / 20€ Faustgelände, zur Bettfedernfabrik 3 www.bootbohook.de, Tel: 040 / 881 666 70

BootBooHook Festival / Nach dem großen Erfolg des Festivaldebuts im letzten Jahr, startet das BootBooHook im August in die 2. Runde. Wieder haben sich die Veranstalter, eine Kooperation zwischen dem Kulturzentrum Faust, dem Spandauprojekt und Tapete Records aus Hamburg, ehrenwerte Ziele gesetzt. Durch eine gute Mischung verschiedener Musiker will das Festival einen Querschnitt der momentanen Entwicklung in der Popkultur aufzeigen. Ein gutes und hohes Ziel! Und vor allem soll es Spaß machen. Diesem Vorhaben kommt das Lineup sehr entgegen. Neben den Headlinern Kettcar und Tocotronic finden sich in diesem Potpourri der Köstlichkeiten auch Szeneklassiker wie Fehlfarben. Besondere Hege gilt der jungen Szene, ebenso wie Lokalpflege. Genannt seien hier großartige Bands wie Bonaparte, Dial M For Murder, sowie >

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auftritt - ausgeh‘n

Sitaution Leclerq, The High Queens, und The Blue Sinners als Vertreter der Region. Zu sehen gibt’s insgesamt über 30 Bands mit einer Spannweite von Indiepop über Songwriter bis zu den lauten Gitarren, einer zusätzlichen Bühne auf der Faustwiese, Campingmöglichkeiten und Tanz bis tief in die Nacht. Bandlinks:


auftritt

theater 7.-9. und 11.-15. August 2009 Jeweils 20 Uhr Eintritt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro Innenhof des neuen Rathauses, Trammplatz 2 www.moatheater.de

Tocotronic Kettcar Bonaparte Mediengruppe Telekommander The High Queens Dial M for Murder

www.myspace.com/tocotronic www.myspace.com/kettcar www.myspace.com/findingbonaparte www.myspace.com/mediengruppetelekommander www.myspace.com/thehighqueens www.myspace.com/mformurderband

Heinrich V. von William Shakespeare / Heinrich V. führt Krieg gegen Frankreich. In der Schlacht bei Arzincourt besiegt er die Franzosen und heiratet die Tochter des französischen Königs. Während der episodenhaften Handlung wird Heinrich V. in seinen unterschiedlichen Funktionen als Staatsmann und Kriegsherr gezeigt und stellt seine verschiedenen Qualitäten unter Beweis: Sinn für Gerechtigkeit, aber auch notwendige Härte, politisches Verantwortungsbewusstsein und Fürsorgepflicht, staatsmännisches Augenmaß und Bewährung in kriegerischen Auseinandersetzungen. Das Moa Theater („mobiles open-air-theater“) bietet seit 2001 eine unkonventionelle Alternative zu anderen Veranstaltungen unter freiem Himmel: Alle Beteiligten bringen unterschiedliche Vorkenntnisse und Ideen in die Arbeit vor und hinter den Kulissen ein. So können Laien, SemiProfessionelle und Vollprofis voneinander profitieren. Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich und weitgehend eigenverantwortlich.

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impressum

Gründer Anke Brandt, Helmut Eickhoff, Natalie Basedow

Layout, Satz, Gestaltung Nikolai Reichelt, Hardy Seiler

Herausgeber Natalie Basedow, Helmut Eickhoff hanns GbR Deisterstraße 17 30449 Hannover

Illustration Caspar David Engstfeld, Sascha Bente, Anna Zejmo, Dominic Nagel

Redaktionsleitung Natalie Basedow, Helmut Eickhoff Redaktion Imke Rueben, Natalie Basedow, För Künkel, Franziska Riedmiller, Helmut Eickhoff, Sven Soederberg, Laura Zacharias, Philipp Blanke, Maria Eggers, Ulrike Hönemann, Julia Karrasch, Tanja Busse, Alexa Brase, Sandra Wildeboer Lektorat Alexa Brase, Tanja Busse, Janneke Bode, Imke Rueben

Grafik Hardy Seiler, Nikolai Reichelt

Druck Benatzky Druck und Medien GmbH Karl-Heinz-Benatzky (Geschäftsführer) Büttnerstraße 15 30165 Hannover Auflage 1.500

Titelfoto Sandra Wildeboer

Vertrieb Ulrike Hönemann, Imke Rueben, Natalie Basedow

Fotoleitung Sandra Wildeboer

Veranstaltung Laura Zacharias, Franziska Riedmiller, Sandra Wildeboer

Foto Sandra Wildeboer, Hannah Lenz, Roman Pawlowski, Alexa Brase, Thorben Sembritzki Web Nikolai Reichelt Anzeigen Natalie Basedow, Imke Rueben, Ulrike Hönemann, Nikolai Reichelt

Kontakt www.derhanns.de Redaktion - redaktion@derhanns.de Grafik - grafik@derhanns.de Anzeigen - anzeigen@derhanns.de Kultur/Veranstaltungen - kultur@derhanns.de Ideen, Fragen und Kritik gerne an: redaktion@derhanns.de


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DEINE Ideen verändern

Die IdeenExpo präsentiert Naturwissenschaften und Technik zum Anfassen. Auf über 60.000 m2 gibt es interaktive Exponate, Experimentalshows, spannende Workshops und ein Abendprogramm mit bekannten Bands.

Am 9. September 2009 ist Studententag auf der IdeenExpo! Ein Angebot, das sich speziell an Studierende richtet. Neben exklusiven Firmenkontakten, interessanten Vorträgen und Diskussionsrunden haben alle anwesenden Studierenden die Chance, ein Stipendium zu gewinnen.

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Willst du mehr wissen? Willst du dich für den Studententag anmelden? Dann informiere dich unter

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