Meier, Handbuch Zoo

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Jürg Meier  Handbuch Zoo

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J眉rg Meier

Handbuch

Zoo

Moderne Tiergartenbiologie

Haupt Verlag Bern 路 Stuttgart 路 Wien

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Zum Autor: Prof. Dr. Jürg Meier ist Biologe und Titularprofessor für Zoologie an der Universität Basel. Seit einigen Jahren bietet er Studierenden der Biologie tiergartenbiologische Exkursionen an. Als Präsident der Gemeinsamen Tierversuchskommission der Kantone Baselstadt, Baselland und Aargau und als Experte beim Kompetenzzentrum Wildtierhaltung setzt er sich seit langem mit den Fragen rund um die artgerechte Haltung von Tieren auseinander.

Die Herausgabe dieser Publikation wurde unterstützt durch: Lotteriefonds Basel-Landschaft Lotteriefonds Basel-Stadt WAZA – World Association of Zoos and Aquariums

Gestaltung und Satz: Atelier Mühlberg, CH-Basel Lektorat: Claudia Huber 1. Auflage: 2009 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-258-07448-1 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2009 by Haupt Berne Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Printed in Germany www.haupt.ch

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Inhalt

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Zum Geleit

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1

Tiergärten und ihre Bedeutung 1.1 Warum gehen Menschen in den Zoo? 1.2 Zoos und die Würde der Tiere 1.3 Eine kurze Geschichte der Wildtierhaltung 1.4 Ziele und Strategien moderner Zoos

8 10 12 15 30

2

Tiergartenbiologie – Begriffe und Definitionen 2.1 Tiergartenbiologie – eine interdisziplinäre Wissenschaft 2.2 Was ist ein Zoo? 2.3 Kurze Geschichte der Tiergartenbiologie 2.4 Fünf Kriterien guter Zootierhaltung

36 38 40 42 48

3

Die Bühne 3.1 Zootypen 3.2 Zooentwicklung und Masterpläne 3.3 Die Parkanlage 3.4 Informationssystem 3.5 Außenanlagen und Gehege 3.6 Tierhäuser

52 54 57 59 61 72 90

4

Die Darsteller 4.1 Die Wahl der Darsteller – ein selektiver Ausschnitt aus der Natur 4.2 Schauwerttiere 4.3 Flaggschiffarten 4.4 Planung des Tierbestands 4.5 «Ungeeignete» Tiere im Zoo? 4.6 Der Tieralltag im Zoo 4.7 Gemeinschaftshaltung 4.8 Tiere zwischen den Gehegen

106 108 115 121 122 122 128 142 148

5

Das Publikum 5.1 Die Bedürfnisse der Zoobesucher 5.2 Möglichkeiten des Lernens im Zoo – Zoopädagogik 5.3 Erlebnisort Kinderzoo 5.4 Freundevereine und Zooförderer 5.5 Tierpatenschaften 5.6 Besucherprobleme – Problembesucher

150 152 157 178 180 181 182

6 Hinter den Kulissen 6.1 Zooberufe 6.2 Erhaltungszuchtprogramme

190 192 202

7 Zukunft Zoo

212

Anhang Zoo-Zeitschriften Zoo-Organisationen Dank Literatur Bildnachweis Register

220 222 222 223 224 228 229

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«Tierliebe bedeutet, Eigenarten und Bedürfnisse der Tiere kennenzulernen und den Verzicht auf Befriedigung unserer eigenen Wünsche, die meist auf viel körperliche Berührung abzielen. Unter echter Tierliebe verstehen wir Freude am Tier unter größtmöglicher Rücksichtnahme auf seine biologischen Erfordernisse.»

(Heini Hediger) «Letztlich werden wir nur erhalten, was wir lieben. Wir werden nur lieben, was wir kennen. Wir kennen aber nur, was wir selber gesehen und erlebt haben.»

(Baba Dioum)

Zum Geleit Jürg Meier hat sich keine leichte Aufgabe gestellt: ein Handbuch über Zoos zu schreiben. Handbücher haben einen umfassenden Anspruch an das Thema, dieses soll erschöpfend und fachlich fundiert dargestellt werden. Zugleich, da an ein breites Publikum gerichtet, muss der Inhalt aber auch verständlich und gut lesbar sein. All dies ist dem Autor vorbildlich gelungen und auch wenn die meisten Zoo-Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum stammen, so sind Grundsatzfragen von allgemeiner Relevanz und daher für Zoos insgesamt von Bedeutung.

Die Erkenntnisse des Schweizer Biologen Heini Hediger sind für die

gesamte Zoowelt bahnbrechend, hat er doch die vergleichende Verhaltensforschung mit der von ihm gegründeten Tiergartenbiologie verbunden und Maßstäbe für moderne Zoos geschaffen. Die wissenschaftliche Basis ist auch für den Weltverband der Zoos und Aquarien (WAZA) und für die sich wandelnden Aufgaben der Zoos wichtig. Die reine Zurschaustellung im Sinne der Menagerien des 19.Jahrhunderts ist längst überwunden und hat fachlich fundierten und den Ansprüchen der Tiere Genüge tuenden Haltungsbedingungen Platz gemacht. Es ist auch nicht die Menge an unterschiedlichen Arten im Zoo, die entscheidend ist, sondern die Rolle als Rückzugs- und Überbrückungsraum im Rahmen von international koordinierten Zuchtprogrammen für gefährdete Arten. Diese Programme gehören mit der Arterhaltung im Naturschutz und der 6

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Zum Geleit

Wissensvermittlung und Sensibilisierung durch Zoopädagogik zu den wichtigsten Aufgaben der Zoos weltweit. Die internationale Zoogemeinschaft spielt eine große Rolle in den Bemühungen, die Biodiversität unserer Erde zu erhalten. Davon zeugen zahlreiche von Zoos unterstützte Schutzprojekte und hohe finanzielle Aufwendungen. Prominente Beispiele hierfür sind Erfolgsgeschichten wie diejenige des Bartgeiers in den Alpen oder des Löwenkopfäffchens in Brasilien.

Zu all diesen Themenbereichen liefert das Handbuch Beispiele und

durchwegs auch kritische Erläuterungen und schließt mit einem flammenden Plädoyer für die Zoos. Die Zoos sind jedenfalls ein wichtiger Bestandteil in den weltweiten Schutzbemühungen und bieten die einzigartige Möglichkeit, Tierarten in ihrer Vielfalt durch das Original leicht an den Besucher heranzubringen. Damit wird vor allem die zunehmend der Natur entfremdete städtische Bevölkerung wieder auf eine sehr klimaschonende Weise an die Exotik und wundersame, vielfältige Welt der Tiere herangeführt. Möge auch dieses Buch hierzu einen Beitrag leisten und dadurch auch zur Erhaltung unserer tierischen Mitwelt. Ich wünsche den Leserinnen und Lesern viel Vergnügen, das sie auch beim nächsten Zoobesuch noch vertiefen mögen! Dr. Gerald Dick World Association of Zoos and Aquariums (WAZA) Weltverband der Zoos & Aquarien Geschäftsführer

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Tierg채rten und ihre Bedeutung

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

1.1  Warum gehen Menschen in den Zoo? Mehr als 600 Millionen Menschen besuchen weltweit jedes Jahr einen zoologischen Garten. Damit befriedigen diese Anlagen das Bedürfnis vieler Menschen nach Nähe zu Tieren und der Auseinandersetzung mit der belebten Natur. Dementsprechend hoch ist das Angebot – die weltweite Zahl wissenschaftlich geführter zoologischer Gärten, die ein ­organisiertes Zoo-Netzwerk bilden, ist beeindruckend. Das globale Zoo-Netzwerk Region

Anzahl Zoos

Anzahl Besucher pro Jahr

Afrika

35

15

Millionen

Asien

500

308

Millionen

90

6

Millionen

Europa

260

125

Millionen

Nordamerika

175

106

Millionen

Zentral- und Südamerika

165

61

Millionen

1’700

621

Millionen

Australien und Ozeanien

Total

Eine unlängst im Zoo Basel durchgeführte Besucherumfrage hat gezeigt, dass heute die Meinung herrscht, der Zoo müsse ein Naturschutzzentrum sein. Daneben wollen dieselben Menschen aber vor allem eines: Tiere sehen und allenfalls noch ein bisschen etwas über Tiere lernen. Ebenfalls gefragt wurden die Zoobesucher nach Tieren, die sie unbedingt sehen möchten. Je öfter eine Tierart genannt wird, desto höher ist ihr sogenannter Schauwert. Die Hitparade der beliebtesten Tierarten ist seit vielen Jahren und unabhängig vom Ort der Umfragen relativ kon­stant.

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Warum gehen Menschen in den Zoo?

Tiere von höchstem Schauwert (Bickert & Meier, 2005) Rang

Tierart /-gruppe

Zahl Nennungen

1

Affen

216

2

Elefanten

160

3

Löwen

116

4

Raubtiere

96

5

Giraffen

91

6

Vivarium *)

71

7

Fische

64

8

Pinguine

63

9

Bären

56

10

Seelöwen

53

11

Flusspferde

35

12

Krokodile

30

13

Reptilien

29

14

Vögel

28

15

Schlangen

26

*)

Im Vivarium des Basler Zoos werden Fische, Amphibien, Reptilien und Pinguine gehalten

In früheren Zeiten wurden die Tiere bewundert, weil sie «exotisch» und unbekannt waren. In kleinen Käfigen wurden auf engem Raum ­möglichst viele Tiere präsentiert. In heutiger Zeit hingegen wollen die Menschen die Tiere in einem passenden Lebensraum sehen und ein möglichst authen­tisches Verhalten beobachten. Das Wohlergehen der Tiere und artgerechte Haltung sind wichtige Kriterien für die Attraktivität eines Zoos geworden. Damit hat sich die Rolle der Zoos grundlegend ­verändert. Sie sehen sich nun als Zentren für Tier-, Arten- und Naturschutz.

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

Die zoologischen Gärten zeigen uns Tiere eingebettet in eine Umgebung, die dem natürlichen Lebensraum möglichst genau nachempfunden ist, und werden damit zu Botschaftern für den Tier-, Arten- und Naturschutz.

Will der Zoo sein Hauptanliegen als Tier-, Arten- und Naturschutzzentrum wahrnehmen, muss er die Besucher für die Zusammenhänge im Naturganzen begeistern. «Erlernen durch Erleben» muss die Devise sein. Es steht außer Zweifel, dass die meisten Besucher dabei unterstützt werden müssen.

Auch für die Ausbildung angehender Biologen kommt den zoologi-

schen Gärten eine zunehmend wichtigere Rolle zu. Je stärker wir im Rahmen des Biologiestudiums in die faszinierende Welt der Molekularbiologie eintauchen, desto weniger Zeit haben wir dafür, Artenkenntnis und ­Wissen über taxonomische Zusammenhänge zu erwerben. Dies führt zu einer Verarmung der naturwissenschaftlichen Gesamtschau, der entgegenzutreten ist.

1.2  Zoos und die Würde der Tiere Auch wenn sich die Zoos als Zentren für Tier-, Arten- und Naturschutz sehen und artgerechte Haltung der Tiere heute einen sehr hohen Stellen­ wert hat, verstummt doch die Kritik an der Haltung von Tieren in Zoos nicht. Wenn man die Gründe für Kritik an der Institution «Zoo» genauer betrachtet, so sind unterschiedliche Sichtweisen festzustellen.

Die Tierrechtsbewegung billigt Tieren fundamentale, abstrakte Rechte

zu. Tierrechtler finden, dass Tiere im Zoo nicht ein Stück bewahrter ­Natur, sondern nur Opfer menschlicher Überheblichkeit und traurige Karikaturen ihrer frei lebenden Artgenossen seien. Manche sprechen sogar von einer «Isolationsfolter» durch die Gefangenschaft im Zoo. Die Tiere werden ihrer Meinung nach depressiv, wahnsinnig, zu seelischen und körperlichen Wracks. Diese Art von Zookritik berücksichtigt die ­Erkenntnisse der modernen Verhaltensforschung kaum. Sie ist insofern mit Toleranz zu akzeptieren, als es ein Menschenrecht ist, eine andere Meinung zu haben.

Die Tierschutzbewegung stellt das Wohlergehen des einzelnen Tiers

ins Zentrum ihrer Bemühungen. Dem einzelnen Tier sollen keine Leiden zugemutet werden, es soll in einer Umwelt leben können, die seiner Art 12

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Zoos und die Würde der Tiere

entspricht. Zookritik von Tierschützern ist dann berechtigt, wenn sie eine dem einzelnen Tier angemessene Haltung verlangt. Sie richtet sich in der Regel also nicht generell gegen Tierhaltung im Zoo, sondern ­gegen schlechte, den Bedürfnissen der Tiere nicht entsprechende Haltung. Solche Zookritik aus den Reihen der Tierschutzbewegung stellt einen durchaus erwünschten, sanften äußeren Druck dar, der zur kontinuierlichen Verbesserung der Zootierhaltung beiträgt. Hier noch ein Wort zum – in jüngerer Zeit etwas umstritten gewordenen – Begriff «artgerecht». Für mich bedeutet «artgerechte Tierhaltung» das, was im Schweizer Tierschutzgesetz wie folgt umschrieben ist: «Tiere sind so zu behandeln, dass ihren Bedürfnissen in bestmöglicher Weise Rechnung getragen wird» (TSchG, Art 2, Abs. 1). In Kapitel 2.4 wird ausführlicher auf die artgerechte Haltung und die grundlegenden Kriterien für eine Tierhaltung in Zoos eingegangen.

Die Artenschutzbewegung betrachtet das Überleben der Art als vor-

rangig. Artenschutz darf deshalb im Einzelfall durchaus auch zulasten des Einzeltiers gehen. Wer sich vor Augen führt, dass die Artenviel­falt weltweit in hohem Tempo abnimmt und eine zu starke Verarmung der Vielfalt bedrohliche Ausmaße annehmen könnte, erkennt rasch, dass jede einzelne Art, die erhalten werden kann, für die Biodiversität wichtig ist.

Wer es mit dem Artenschutz ernst meint, kann auf zoologische Gär-

ten nicht verzichten. Im Gegenteil: Gäbe es heute keine Zoos, müssten sie im Zusammenhang mit Artenschutzbemühungen nachgerade erfunden werden. Wir werden sehen (Kapitel 6.2), dass zoologische Gärten im Artenschutz eine zunehmend wichtigere Rolle spielen.

Die Umweltschutzbewegung bemüht sich, die menschlichen Lebens-

grundlagen bzw. die Ansprüche der Menschen möglichst im Einklang mit der Umwelt zu sichern. Radikale Umweltschützer sind der Meinung, dass es besser sei, eine Tierart «in Würde» aussterben zu lassen, als auf mehr oder weniger künstlichem Wege zu versuchen, eine heile Welt zu suggerieren, die es so nicht (mehr) gibt. Ihr Ansatz, wonach Tierarten von selbst überleben, wenn man nur ihre Lebensräume schützt, ist zwar richtig. Betrachten wir das gegenwärtige Verhalten einer zahlenmäßig nachgerade «explodierenden» Menschheit und ihren Raubbau an der Natur, stellen wir allerdings fest, dass die Zerstörung der Lebensräume unablässig fortschreitet. Unser Versuch, die Artenvielfalt – die Biodiversität also – zu bewahren, kann deshalb bis auf Weiteres nicht darauf beschränkt ­bleiben, den Mahnfinger zu heben. Erhaltungszuchtprogramme und Wiederansiedlungen helfen mit, Tierarten vor dem Aussterben zu bewahren. 13

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

Wer Kritik anbringt, ist immer überzeugt, dass seine Kritik berechtigt sei. In diesem Sinn tun Tiergärtner wie Zoofreunde gut daran, jede Art von Kritik zur Kenntnis zu nehmen und sich damit auseinanderzusetzen.

Es ist das Ziel dieses Buchs, Begeisterung für den zoologischen

Garten zu wecken. Daneben soll es auch eine Grundlage dafür bieten, zoologische Gärten wohlwollend kritisch zu betrachten. Zweifellos findet man in jedem – auch dem besten – Zoo Bereiche, die den sich wandelnden, jeweils neuesten Vorstellungen von guter Tierhaltung nicht vollumfänglich genügen. Dies wahrnehmen und beurteilen zu können, hilft auch dem Zoo. Dabei gilt es eines zu bedenken: Alle Zoos – und seien sie noch so wohlhabend – haben mehr Aufgaben zu bewältigen, als Geld zur Verfügung steht. Dennoch darf man als Tierfreund verlangen, dass Zooverantwortliche die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel weise, das heißt im Interesse des Wohlbefindens der Tiere einsetzen.

Tiere sollen im Zoo würdig untergebracht sein und sich – ihren Bedürfnissen entsprechend versorgt – wohlfühlen können.

Wenn Tiere im Zoo bei den Besuchern Mitleid erregen, wird der Zoo ­seiner Aufgabe nicht gerecht. Manchmal geht es nur darum, dem Besucher durch Information klarzumachen, dass sich das Tier nicht in ­einer mitleiderregenden Situation befindet. Viele Zoos haben heute beispielsweise hervorragend gestaltete Gehegeschilder. Kaum je erfährt der ­Besucher jedoch, was er vielleicht nicht von sich aus wissen will, aber wissen sollte: Warum lebt die betreffende Tierart gerade in diesem ­Gehege? Warum ist das Gehege so ausgestaltet, wie es ist? Wie werden die Tiere gehalten (Tagesablauf )? Welche Individuen dominieren über den Rest der Gruppe? Welchen Status hat die Tierart in der Natur? Sind die Tiere Teil eines Erhaltungszuchtprogramms?

Zooleute, welche die Meinung vertreten, die Tiere «sprächen für sich

selbst» und der Zoobesucher lese sowieso nicht, was man ihm anbiete, nehmen ihre Kundschaft nicht ernst. Zumindest eine beträchtliche Minderheit ist gerne bereit, sich zum Tierkenner zu entwickeln, wenn man sie unterstützt.

Es gab und gibt zweifellos schlechte Zoos. Einige Abbildungen in

diesem Buch zeugen davon (Bild 1.1). Der indische Denker Mahatma ­Gandhi sagte einmal: «Die Größe und den moralischen Fortschritt ­einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt». Die 14

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Geschichte der Wildtierhaltung

Richtigkeit dieser Aussage kann jeder bestätigen, der zoologische Gärten in aller Welt besucht. Er wird sich innerhalb von zwei Stunden ein Bild machen können, das selten trügt.

Bild 1.1

Zoo Fuengriola (Spanien, 1995), Elefanten­haus. Man beachte das vom Elefanten in das Elefantenhaus geschlagene Loch (links neben dem Rüssel). Mittler­weile hat Fuengirola einen völlig neuen, nach modernsten Erkennt­nissen eingerichteten Zoo erhalten.

1.3  Eine kurze Geschichte der Wildtierhaltung Das Tier als Nahrungsmittel

Bereits der vorgeschichtliche Mensch scheint es verstanden zu haben, Wildtiere als «Fleischreserve» zu halten. Der Höhlenbär etwa hielt als Pflanzenfresser einen ausgedehnten Winterschlaf und konnte deshalb trotz seiner Wehrhaftigkeit und Größe von Frühzeitmenschen überwältigt werden. Einige Fundstätten deuten darauf hin, dass Höhlenbären in Bärengruben besonders tiefer Höhlen als «Lebendvorrat» gehalten wurden. Dies dürfte die ursprünglichste Art der Wildtierhaltung ­gewesen sein. Das Tier als Subjekt religiöser Verehrung

Die Haltung von Wildtieren in frühen Hochkulturen entspringt ­religiösen Motiven. Im Ägypten des 3.und 2.Jahrtausends vor Christi Geburt ­wurden neben dem Stier und der Schlange als Sinnbild für Sonne und Urkraft auch Flusspferde, Eulen, Krokodile und Pillendreher als heilige Tiere verehrt. Sie wurden in Tempeln oder deren Nähe gehalten und erhielten 15

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

Bild 1.2

Tiger – hier ein fressender Amurtiger (Panthera tigris altaica) im Zoo Zürich – werden schon seit Jahrtausenden gehalten.

als Repräsentanten der Götter nur beste Nahrung. In Sumer und in ­Indien wurden zur selben Zeit bereits Elefanten, Tiger (Bild 1.2), Antilopen, Gazellen, Gaviale und Nashörner gehalten.

Auch im alten Griechenland gab es Tierhaltung – vor allem ­Singvögel

waren beliebt. Auch Leoparden, Löwen, Adler und Schlangen wurden im und um den Tempel gehalten. Bis in unsere Tage wird die Schlange als Sinnbild der Heilkunst verwendet (Bild 1.3).

Bild 1.3

Auch wenn es im Detail sehr kompliziert zugegangen sein mag: Logo der WeltgesundheitsDen entsprechenden Tieren wurden sinnbildhaft bestimmte göttliche organisation mit Kräfte zugeordnet. Sie wurden verehrt, weil man sie als dem Menschen Äskulapnatter im Zentrum. in j­eder Hinsicht überlegen empfand. Das Tier als Objekt weltlicher Macht

Ebenfalls früh in der Menschheitsgeschichte wurde den Herrschern mit Wildtier-Geschenken gehuldigt. Auch Tierfangexpeditionen wurden durchgeführt, um in Tiergärten ein sichtbares Zeichen der Macht der Herrschenden zu setzen. Löwen, Leoparden und Geparden wurden zur Jagd abgerichtet, gezähmte Löwen am Hof der Pharaonen gehalten.

Im «Garten des Ammon» in Theben ließ die Pharaonin Hatschepust

um 1500 v. Chr. einen großen Tiergarten errichten, in dem neben Tieren 16

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Geschichte der Wildtierhaltung

der einheimischen Fauna auch solche aus dem oberen Niltal und Nordostafrika gehalten wurden.

In Assyrien wurden um 1100 v. Chr. ebenfalls große Tiergärten an­

gelegt. Die Tiere lebten in großzügigen Gehegen, die ihren natürlichen ­Lebensräumen nachempfunden worden waren.

Wen-Wang, Ahnherr der chinesischen Tscheu-Dynastie, gründete

um 1150 v. Chr. den «Garten der Intelligenz». Dieser Tierpark hat bis zum Sturz der Tjing-Dynastie zu Beginn des 20.Jahrhunderts ­bestanden. Damals wurden die Tiere sehr großzügig gehalten. Macht stets auch mit Pracht zu vermischen, liegt ja in der menschlichen Natur. Neben den 400 Hektar, die etwa der «Garten der Intelligenz» in China umfasste, nehmen sich der Tierpark Berlin-Friedrichsfelde mit 165 Hektar Fläche und selbst der Zoo von Whipsnade in England mit 230 Hektar nach­ gerade bescheiden aus.

Vor dem Hintergrund des urtümlichen Kräftemessens zwischen

dem frühzeitlichen Jäger und dem Wildtier als seiner Beute wurden auch blutige Wettkämpfe mit Tieren veranstaltet. Im alten Griechenland und – besonders brutal – im alten Rom waren solche ­Darbietungen fester Bestandteil großer Volksfeste. Zur Zeit der ­Christenverfolgungen wurden zudem Tausende von Menschen unbewaffnet und mit geringsten Verteidigungschancen zur Freude der Zuschauer von Tieren zer­ fleischt. Das Raubtier wurde damit zur «Bestie» abgewertet und ist bis auf den heutigen Tag für viele Menschen eine solche geblieben. Es ist verständlich, dass wir im Rückblick dieser von den Römern gepflegten «Kultur» mehrheitlich mit Abscheu begegnen. Allerdings müsste uns die Tatsache, dass in ein kleines Land wie die Schweiz in einem Zeitraum von fünf Jahren 383’882 Kilogramm lebende Frösche und 690’755 Kilogramm Froschschenkel importiert wurden (Quelle: Bundesamt für Veterinärwesen; Annual Reports CITES [Convention on International Trade of Endangered Species of Wild Fauna and Flora; «Washingtoner Artenschutzabkommen»] 1996 –2000), auch zu denken geben.

Hernando Cortés (1485 –1547), der für die Spanier Mexiko eroberte,

beschrieb den bedeutsamsten Tiergarten der Neuen Welt in jener Zeit. In Tenochtitlan, der Residenz Montezumas, betreuten allein 300 Tier­ pfleger die Wasservögel. Ebenso viele Mitarbeiter pflegten die Raub­ tiere, und für die Fütterung der Greifvögel sollen täglich 500 Truthähne benötigt worden sein.

Im Mittelalter beschränkte sich die Wildtierhaltung in der Regel

auf heimische Tiere, besonders Hirsche und Bären, die in den Gräben von Burgen und Stadtbefestigungen zum Teil recht großzügige Platzver17

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

Bild 1.4

In Anlehnung an mittel­ alterliche Gebräuche leben seit 1905 einige Damhirsche im etwa 4000 m² großen Burg­ graben des Munot, Wahrzeichen der Stadt Schaffhausen.

Bild 1.5

Bis 1995 wurden die Berner Braunbären in diesem sehr reizarm ausgestalteten Bären­ graben gehalten. Bild 1.6 zeigt die danach vorgenomme­nen Veränderungen.

hältnisse vorfanden. So beherbergte um das Jahr 1000 n. Chr. das ­Kloster St. Gallen Reiher, Murmeltiere, Steinböcke, Dachse und Bären. Der zwischen der inneren und äußeren Ringmauer einer mittelalterlichen Stadtbefestigung oder Burg liegende Umgang wurde übrigens ­«Zwinger» ­genannt.

Ist eine derartige «Zwingerhaltung» auch aus heutiger Sicht durch-

aus noch akzeptabel (Bild 1.4), so hat es der sogenannte Bärengraben in unseren Breitengraden zunehmend schwerer, als Haltungsform für ­Bären noch akzeptiert zu werden. Im Berner Bärengraben, in dem sich die Bärenhaltung bis 1549 lückenlos zurückverfolgen lässt, wurden die Bären bis 1995 noch nach althergebrachter Art in einer reizarmen Umgebung gehalten (Bild 1.5).

Inzwischen wurde der Bärengraben für mehr als zwei Millionen

Schweizer Franken umgebaut, um den Tieren bessere ­Lebensbedingungen in einer an Reizen reicheren Umgebung zu verschaffen (Bild 1.6). Nun kann man sich durchaus auf den Standpunkt stellen, dass der Bärengraben nicht nur ein Wahrzeichen der Stadt Bern, sondern auch ein erhaltenswertes zoohistorisches Monument darstellt. Dennoch ist auch die verbesserte Art der Bärenhaltung hier nicht mehr als zeitgemäß und artgerecht zu bezeichnen. Was also tun? 18

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Geschichte der Wildtierhaltung

Bild 1.6

Der Berner Bärengraben seit 1996. Besser, aber noch nicht gut genug. Bild 1.7

Das Projekt Berner Bärenpark.

Geplant ist eine radikale Veränderung, die den Bernern das Wahrzeichen, dem zoohistorisch Interessierten den Bärengraben und dem Tierfreund die Bären erhalten könnte. Im direkt gegenüber dem heutigen Bärengraben gelegenen Aarewald entsteht eine großzügige Freianlage unter umgekehrten Vorzeichen: Die Bären sind dann «draußen» und die Besucher kommen «in den Graben». Die Anlage gibt den Bären die Möglichkeit zu graben, zu klettern, zu spielen, in der Aare zu fischen und Winterschlaf zu halten (Bild 1.7). Zurzeit wird dieses visionäre Projekt umgesetzt, die Eröffnung ist für den Herbst 2009 vorgesehen.

Sammel- und Jagdleidenschaft der Renaissancefürsten sowie deren

enzyklopädischer Wissensdrang führten zur Bildung von «Menagerien» (franz.: Tierschau, Tierpark; der Begriff wurde erstmals 1552 für die österreichisch-kaiserliche Menagerie zu Ebersdorf bei Wien verwendet). Die Gehege waren auch hier zunächst vergleichsweise weiträumig und dienten dazu, Ruhm und Ansehen des Besitzers zu mehren. Meist waren 19

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

solche Menagerien dem Adel vorbehalten, wo sie öffentlich zugänglich waren, hatte das gemeine Volk zu zahlen.

Sehr oft waren diese Menagerien im Stil barocker Gartenanlagen

ausgebildet. Als Orientierungsschema diente der nach einem radikalkonzentrischen Muster ausgestaltete «Jagdstern», in dessen Zentrum sich oft auch noch ein Pavillon oder «Jagdschlösschen» befand (Bild 1.8). Wildtierhaltung zu dieser Zeit war also, abgesehen von einer Demonstration fürstlicher Macht, ein Mittel zur Belustigung und Unterhaltung Bild 1.8 der Herrscher und ihrer Höfe. Nur gelegentlich hatten ­Normalsterbliche Menagerie in Versailles Zugang zu diesen Anlagen.

zur Zeit von Louis XIV.

Das änderte sich mit der Französische Revolution. Dem Ansatz

­Liberté, Egalité, Fraternité folgend, wurden die Tiere der Menagerie in Versailles teils freigelassen, teils in die Stadt in den Jardin des Plantes überführt. Dort entstand 1793 auf einer Fläche von sechs Hektar der erste zoologische Garten in Paris, dessen «Ménagerie» auch heute noch Tiere beherbergt. Erstmals wurde damit ein Tiergarten breiten Bevölkerungskreisen zugänglich und – dank dem Musée d’Histoire Naturelle, das sich am selben Ort befindet – auch für wissenschaftliche Zwecke nutzbar. Noch heute bilden der Jardin des Plantes und der 1932 eröffnete Parc Zoologique du Bois de Vincennes die «Collections vivantes du ­Musée d’Histoire Naturelle de Paris». Gesellschaften und Vereine, die sich für die Gründung und Finanzierung von zoologischen Gärten einsetzten, schossen überall aus dem Boden. Als Beispiel hierfür mag die «Zoological Society» gelten, die 1828 im Regent’s Park in London den «Zoological Garden» gründete. Seit jener Zeit ist auch der Begriff «Zoologischer Garten» – kurz: ZOO – gebräuchlich. Bild 1.9

In diesem kleinen rostigen Drahtverhau «lebt» ein Nasenbär ( Zoo Chongqing, China, 1997).

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Geschichte der Wildtierhaltung

Das Tier als Kuriosität

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ging es in Zoos vor allem um eine Zurschaustellung exotischer Tiere aus fernen Ländern. Schau- und Sensationslust sollten befriedigt werden. Daneben wollte man möglichst viele Tierarten halten. Viele Tiere auf engem Raum hieß die Devise. Ähnlich wie im Naturhistorischen Museum wurden systematische Sammlungen angelegt, mit dem einen Unterschied, dass im Zoo die Tiere eben lebendig waren. Da das Raumangebot beschränkt war, hielt man die Tiere im Käfig. Der «Zwinger» machte einen Bedeutungswandel durch und wurde zum Inbegriff für einen engen Gitterverschlag, wie man ihn – leider – selbst in unserer Zeit noch antreffen kann (Bild 1.9).

Aus heutiger Sicht ist kaum mehr zu verstehen, dass man in zoolo-

gischen Gärten sogar «Völkerschauen» organisierte (Bild 1.10). So konnte man am 26. April 1932 in der damaligen Basler «National-Zeitung» folgende Mitteilung der Zoo-Direktion lesen: Völkerschau im Zoologischen Garten! – «Lippennegerinnen» aus Zentralafrika. Nach mehrjährigem Unterbruch wird in den nächsten Tagen wiederum eine Völker­ schautruppe im Zoologischen Garten einziehen: Die aussterbenden «Lippenneger­ innen» aus Zentralafrika. Bild 1.10

Eine «aussterbende Lippennegerin» aus der Völkerschau 1932 im Zoo Basel.

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

Solche Völkerschauen waren bis in die 1930 er-Jahre hinein in ­Europa ein unerlässliches Zugpferd, ohne das die krisengeschüttelten zoologischen Gärten kaum überlebt hätten. Trotz recht kurzer Dauer der einzelnen Völkerschauen vermochten diese zum Beispiel im Zoo Basel 20 bis 25 Prozent aller Jahresbesucher anzuziehen. Dieser deutliche Mehrbesuch bei verdoppelten Eintrittspreisen stellte für den Zoo ein sehr gutes Geschäft dar. Neben dem Element der sexuellen Anziehung – die «Naturmenschen» waren in der Regel nur leicht bekleidet – reizten die Naturnähe, die Einfachheit und die Freiheit der gezeigten «primitiven» Kulturen die Sehnsüchte der Zuschauer. Zusätzlich mag auch Angst vor den «unheimlichen Gästen» mitgespielt haben, die man aus sicherer ­Distanz über den Zaun hinweg betrachtete. Gedanken darüber, ob ­solche Völkerschauen ethisch vertretbar seien, machte man sich zu jener Zeit offenbar nicht. Der Untergang anderer Kulturen wurde als Zeichen der Bild 1.11 Das 1914 im byzantinischen Stil erbaute Wahrhaftig – in dieser Zeit war der Zoo ein Kuriositätenkabinett! Elefantenhaus im Neben den zwingerhaften Gitterbauten wurden zunehmend kulissen­ Tierpark Hellabrunn, artige Gebäude erstellt. Büffel- und Hirschgehege erhielten Ställe im München, in dem auch Giraffen wohnen. Blockhütten­stil, Elefanten wurden in «Palästen» gehalten (Bild 1.11).

eigenen Überlegenheit gefeiert.

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Geschichte der Wildtierhaltung

Die Mensch-Tier-Beziehung war geprägt von einer anthropozentrischen Sicht. Dies zeigte sich auch darin, dass Tiere vermenschlichend dargestellt wurden. Zur täglichen Menschenaffenfütterung etwa setzte man Menschenaffen an ein Kindertischchen, um sie mit Teller und ­Löffel ­essen zu lassen, oder ließ sie Fahrrad fahren (Bild 1.12).

Die «Gründerjahre» der modernen «Volks-Zoos» waren auch geprägt

vom Kampf gegen eine hohe Tiersterblichkeit. Der Nachschub wurde gewährleistet durch Tierfänger und Tierhändler, deren abenteuerliches Leben auf den «zivilisierten» Mitteleuropäer oft eine große Faszination ausübte. Die Tiere hatten keine Rückzugsmöglichkeit, der Besucher Bild 1.12

«Vermenschlichte» Menschenaffen im Zoo Basel, 1961.

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

Bild 1.13

«Kachelzoo» (Mandrillanlage im Tierpark Hellabrunn, München).

unter­schritt die Fluchtdistanz bei Weitem. Stress war die unausweichliche Folge. Daneben sorgten mangelnde Hygienemaßnahmen und ­insbesondere Wurmerkrankungen für eine hohe Tiersterblichkeit. Die geringe therapeutische Breite damaliger Arzneimittel gegen Wurmerkrankungen führte dazu, dass oft nicht nur die Würmer getötet ­wurden, sondern auch das Wirtstier starb. Mit dem Bau neuer Gehege und Tierhäuser nach dem Prinzip «Kachelzoo» («Vet-functionalistic ­Enclosure»; Bild 1.13 ) wurden rigorose Hygienemaßnahmen eingeführt. Dadurch ging

die Sterb­lichkeit zurück, und die Lebenserwartung stieg an. Das rein körperliche Wohlbefinden war nun garantiert. Vom Zuchthaus zum «Zucht-Haus», vom Schrebergarten zum Park

Am 7. Mai 1907 eröffnete der Hamburger Tierhändler und ­Zirkusdirektor Carl Hagenbeck in Hamburg-Stellingen ein neues «Tierparadies». Seiner Vision zufolge sollte der Betrachter «Tiere aller Zonen und jeder Art in einer ihrer Heimat angemessenen Umgebung, gleichsam frei sich bewe­ gen sehen». Ungehindert durch Gitter und Zäune hatte der Besucher von Hagenbecks Zoo nunmehr die Möglichkeit, seinen Blick frei über großzügige Anlagen schweifen zu lassen. Tiere konnten jetzt auch im Zoo ohne störende Hindernisse fotografiert werden. In der Folge wurde das 24

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Geschichte der Wildtierhaltung

Bild 1.14

Die Seelöwenanlage im Zoo Basel: Der künstliche Felsen wurde 1921 von Emil Eggenschwyler, einem Pionier auf dem Gebiet des «Diorama-Naturalismus», gestaltet.

«Freisichtgehege» Ziel tiergärtnerischen Einsatzes. Der Zoo wird im ­Idealfall zum wahrhaftigen Tier-Park bis hin zur Gestaltung des Wegs. Die Gehege werden zur Bühne, auf welcher die Tiere dem Betrachter die Illusion einer heilen Welt vermitteln («Diorama-Naturalismus»; Bild 1.14). Der Zoobesuch wird zum ästhetischen Erlebnis, das Tier ist eingebettet in ein Stück wahrer Natur. So hat es Rudolf Geigy, langjähriger Verwaltungsratspräsident des «Basler Zolli», treffend charakterisiert (1974):

«Man erkennt, um es kurz zu sagen, ein allmähliches Zurücktreten

des menschlichen Primats, das heißt der egozentrischen Einstellung des Tierhalters hinter die Ansprüche des Tieres selbst, ein immer stär­ keres Besorgtsein um die Bedürfnisse der uns anvertrauten höheren und niederen Lebewesen. Man will, dass es den Tieren in ihrer Gefan­ genschaft – die ja an sich schon Opfer und Kompromiss bedeutet – möglichst wohl sei.» 25

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

Bild 1.15

Der Zaun der Tigeranlage im Zoo Zürich, perfekt getarnt.

Der (zu) kleine Käfig weicht der geräumigen Freianlage, statt Einzelhaltung versucht man, Paare oder ganze Gruppen zu halten im Wissen, dass das Bild der bewegten Tiergruppe und der wohl gedeihenden Tierfamilie das Interesse und die Schaulust des Publikums weit besser zu befriedigen vermag.

Die Abwendung vom Gitter hin zur Begrenzung durch Gräben macht

die Gehege für den Betrachter zweifellos wesentlich ästhetischer. Für die Tiere stellt sich diese Entwicklung nicht uneingeschränkt positiv dar. Gitter werden nämlich als Hindernis wahrgenommen, während ­viele Tierarten den Umgang mit einem tiefen Graben als Begrenzung des Lebensraums «erlernen» müssen. Für Neuankömmlinge und ­Jungtiere muss während geraumer Zeit durch sichtbare Abgrenzungsmaßnahmen auf die Gräben aufmerksam gemacht werden. Auch alteingesessenen ­Tieren kann es in der Hitze sozialer Verhaltensweisen geschehen, dass sie sich unvermittelt im Graben wiederfinden.

Außerdem sei nicht vergessen, dass Gräben als Gehegebegrenzung

enorm viel Platz benötigen. Um ein Freisichtgehege für Löwen sicher zu machen, muss es von einem mit Wasser gefüllten Graben von acht ­Metern Breite umgeben sein. Ohne Wasser ist eine Grabentiefe von vier Metern angezeigt. Da die Mehrheit der zoologischen Gärten Gesamt­ flächen von weniger als 20 Hektar aufweist, sind den Freisichtanlagen schon aus diesem Grund Grenzen gesetzt. Darüber hinaus lassen sich 26

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Geschichte der Wildtierhaltung

Bild 1.16

Diese Art von Mehrfachvergitterung, die uns den Orang-Utan nur schemenhaft erahnen lässt, möchten wir heute nirgends mehr sehen (Zoo Chengdu, VR China, 1997).

Gitterzäune heute im wahrsten Sinne des Wortes unsichtbar machen (Bild 1.15). Außerdem können Tiere Zäune als Hindernisse, die man sehen,

beriechen und berühren kann, an denen man vielleicht sogar einmal seine Kräfte erproben und an denen man sich bei Bedarf scheuern kann, in ihr Verhalten einbeziehen.

Tierhaltung mit Mehrfachgittern nach dem Zwingerprinzip sollte

allerdings der Vergangenheit angehören. Es gibt bedauerlicherweise immer noch Zoos, die auf diesem Gebiet extremen Nachholbedarf haben (Bild 1.16).

Das Tier als Botschafter für die Erhaltung von Natur und Umwelt

Der neueste Trend geht hin zur Darstellung von Ökosystemen und ­Zusammenhängen im Naturganzen. In diesem Sinn wird das Tier zum Botschafter für die Erhaltung von Natur und Umwelt. Große Gehege mit wenigen Tieren, oft in Gemeinschaftshaltung, stellen neue Anforderungen an den Besucher, dauert es doch oftmals länger, bis er überhaupt ein Tier zu sehen bekommt. Daneben werden die Grenzen zwischen Tiergehegen und Besucherbereich zunehmend «fließend». In der «Frei­ flughalle» befindet man sich inmitten der Vögel (Bild 1.17). Beim Konzept 27

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

der «Habitat Immersion» taucht der Besucher ganz in die Welt des Tiers ein, er hält sich im Gehege auf, schwitzt beispielsweise in der Feuchtigkeit einer Tropenhalle und steht auf demselben Untergrund, auf dem sich auch die Tiere bewegen (Bild 1.18). Der Spielplatz gegenüber der Geparden-Anlage erlaubt den Kindern, es den Geparden nachzumachen

Bild 1.17

Im SELWO Adventure Park, Estepona, Spanien dient ein ganzes, mit einem Netz überdachtes Tal als Freifluganlage.

Bild 1.18

«Habitat Immersion» – Der Besucher befindet sich auf dem gleichen Untergrund wie die Tiere (Zoo Zürich, Nebelwald­analage). 28

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Geschichte der Wildtierhaltung

(Bild 1.19). Die Grenzen verwischen zusehends, der Zoobesucher wird

zum «Mitgeschöpf» (Bild 1.20). Man sieht die Tiere einmal nur aus Distanz, einmal hingegen ganz nah, aber umso mehr riecht und hört man sie. Kurz: Der Zoo wird zum ganzheitlichen Naturerlebnis. Und das ist gut so.

Bild 1.19

Der Geparden-Kinderspielplatz im Zoo Basel (links) und die Geparden­anlage (rechts).

Bild 1.20

Besucher im Urwaldhaus, Tierpark Hellabrunn, München. 29

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

1.4  Ziele und Strategien moderner Zoos Die vier Hauptaufgaben der zoologischen Gärten

Heini Hediger, der Begründer der modernen Tiergartenbiologie, schreibt in seinen Memoiren («Ein Leben mit Tieren», 1990) zur Gründung des Internationalen Verbandes von Zoodirektoren (IUDZG) im Jahre 1946: «Der wichtigste Beschluss, der damals gefasst wurde, scheint mir Arti­ kel 2 der immer noch geltenden, im September 1949 in Kopenhagen ­ratifizierten Statuten. Er lautet: ‹Ziel des Verbandes ist die internatio­ nale Förderung der Zusammenarbeit zwischen Direktoren von wissen­ schaftlich geführten zoologischen Gärten oder Parks, welche als kultu­ relle und erzieherische Institutionen in gemeinnütziger Weise dazu dienen, lebende Exemplare verschiedenster Tierarten zu beobachten und zu studieren, die zoologischen Studien und Forschungen zu ­fördern und den Schutz wilder Tiere auf der ganzen Welt zu unter­ stützen.›»

Der zitierte Artikel benennt bereits die vier Ziele bzw. Hauptaufga-

ben, denen sich zoologische Gärten auch heute noch verpflichtet fühlen: Zoos wollen (1) eine Stätte der Erholung für Menschen, (2) eine Stätte

Bild 1.21

Plakatreihe am Haupt­

des Erlernens durch Erleben der Tiere in naturnaher Umgebung, (3) eine eingang des Zoo Stätte der Erforschung des Tierlebens und (4) eine Stätte der Erhaltung Basel: Die vier Ziele bedrohter Tierarten (Bild 1.21) sein.

Zoologischer Gärten.

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Ziele und Strategien moderner Zoos

Erholung  Der Zoo bietet einen willkommenen Kontrast zur zunehmen-

den Verstädterung und Naturentfernung der Menschen (Bild 1.22). Er will dem erlebnishungrigen Menschen ein ganzheitliches Angebot an – allerdings dosierten – Reizen vermitteln. Es ist ein Unterschied, ob ich mir einen perfekten Tierfilm über Panzernashörner ansehe oder am Nashorngehege das Tier in einem Ausschnitt seiner Umwelt nicht nur sehe, sondern auch rieche und höre. Etwas vereinfacht dargestellt, ­bietet uns der Zoo folgende Reizkontraste zu unserer «normalen», ­täglichen Bild 1.22

Die sogenannten Stadtzoos bilden grüne Oasen von unschätz­barem Wert (Zoo Basel).

Umgebung: «Reiz-Vergleich» Reiz

Alltägliche Reize

Zoo-Reize

Gehörsinn

technischer Lärm

Tierlaute

Geruchssinn

Zivilisationsgerüche

Tiergerüche

Lichtsinn

grau

grün

Tastsinn

tote Gegenstände

Tiere be-greifen (Streichelzoo)

Reizmenge

Überangebot

wohldosiert

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

Erlernen  Für viele Menschen ist der Zoo der einzige Ort, wo sie lebenden

Tieren persönlich begegnen können. Als Bildungseinrichtung will der Zoo Einsichten in biologische und ökologische Zusammenhänge vermitteln. Dies geschieht heute nicht mehr nur durch vordergründige, sinnliche Wahrnehmung der Tiere in Naturausschnitten, sondern auch durch aktive Vermittlung von Zusammenhängen mithilfe zoopädagogischer Maßnahmen (Bild 1.23). Der Zoo sieht sich vermehrt als Naturschutzzentrum. Er macht Werbung für das Tier und für seinen Lebensraum. Im «Erlebnisraum Zoo» entstehen emotionale Brücken zwischen Mensch und Tier. Damit wird das Verantwortungsgefühl der Menschen für die

Bild 1.23

Der Zoo als Ort des Erlernens von ökologischen Zusammenhängen Erforschung  Der Zoo bietet ein nahezu unerschöpfliches Feld an For(Zoo Basel).

Natur gefördert.

schungsmöglichkeiten. Den Großteil unseres Wissens über exotische

Säugetiere und Vögel verdanken wir Beobachtungen im Zoo. Neben biologischen und veterinärmedizinischen Themen eröffnet auch die Begegnung zwischen Mensch und Tier interessante Fragestellungen.

Als Zoobesucher merkt man von den Forschungsaktivitäten im Zoo

wenig. Vielleicht sieht man da und dort einmal einen mit Fotoapparat, Videokamera, Notizblatt und/oder Diktiergerät ausgestatteten Menschen vor einem Tiergehege, der sich den ganzen Tag über dort aufhält. Dennoch leistet die Forschung im Zoo einen wichtigen Beitrag für die Wissenschaft. Erhaltung  Forschung im Zoo darf nur als Grundlagendisziplin gesehen

werden. Von besonderem Interesse sind tiergartenbiologische Projekte, die dazu dienen, die Haltung von Zootieren zu optimieren. Tiermedizinische Erkenntnisse fallen bei der täglichen Arbeit der Zootierärzte praktisch «von alleine» an. Selbstverständlich sind Daten, die an Zootieren erhoben werden, auch für die Erforschung und die Kenntnis der Tierwelt in freier Wildbahn von Bedeutung.

Biologische Vielfalt lässt sich langfristig am besten durch die Be-

wahrung der natürlichen Lebensgemeinschaften und Populationen ­erhalten. Nur in den natürlichen Lebensgemeinschaften sind die Populationen wirklich groß genug, um eine Verarmung der genetischen Vielfalt zu verhindern. Erhaltungsstrategien im natürlichen Lebensraum nennen wir «in situ» – oder «Vor-Ort-Erhaltung».

Leider nehmen die Fälle zu, wo Restpopulationen von Lebewesen

im natürlichen Lebensraum zu klein sind, um auf Dauer überleben zu können. Unter solchen Umständen lässt sich das Aussterben einer Tier32

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Ziele und Strategien moderner Zoos

art wahrscheinlich nur dadurch verhindern, dass man die Individuen unter künstlichen Bedingungen und unter menschlicher Aufsicht erhält. Diese Strategie nennen wir «Erhaltung ex situ» oder «Erhaltung in Menschenobhut».

Zoos schaffen Refugien für Tierarten mit dem Ziel, Wiederansied-

lungsprojekte zu ermöglichen. Außerdem unterstützen heute viele zoologische Gärten Projekte im Freiland und tragen somit unmittelbar und mittelbar zum Naturschutz bei. Die Welt-Zoo-Naturschutzstrategie (WZNS, 1993) und die Welt-Zoo- ­ und Aquarium-Naturschutzstrategie (WZANS, 2005)

Im Jahr 1992 fand in Rio de Janeiro, Brasilien, der UN-Umweltgipfel statt. Die dortige Aufbruchstimmung führte in der Folge zur Verabschiedung der Welt-Zoo-Naturschutzstrategie. Vertreter des Weltverbands der Zoos und Aquarien (WAZA) und der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) kamen überein, dass zoologische Gärten eine hervorragende Vermittlerrolle im Zusammenhang mit dem Naturschutz spielen können, und veröffentlichten 1993 die Welt-Zoo-Naturschutzstrategie (WZNS, 1993).

«Zweck der Welt-Zoo-Naturschutzstrategie ist es, zur Erhaltung der

so rasch dahinschwindenden Tierwelt und der natürlichen Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten auf der Erde beizutragen. Ihre Hauptziele sind: 1.

aufzuzeigen, an welchen Naturschutzaktivitäten sich Zoos und Aquarien beteiligen und wie sie die Maßnahmen zur Naturerhaltung und zur verträglichen Nutzung natürlicher Ressourcen unterstützen können,

2. Verständnis und Unterstützung für das Naturschutzpotenzial von

Zoos und Aquarien bei nationalen und internationalen Organisationen des Naturschutzes und bei anderen gesellschaftlichen und ­politischen Organisationen zu gewinnen, 3. lokale, für Zoos und Aquarien zuständige Gremien und Naturschutz-

behörden davon zu überzeugen, dass die Hauptaufgabe dieser Einrichtungen heute darin besteht, dem Naturschutz sowohl direkt als auch indirekt zu dienen, 4. Zoos und Aquarien bei der Formulierung ihrer Naturschutzziele

und -prioritäten zu helfen, 5. dem einzelnen Zoo und Aquarium aufzuzeigen, wie seine Natur-

schutzarbeit durch Zusammenarbeit im weltweiten Netz Zoologischer Gärten und mit anderen Naturzschutzorganisationen intensiviert werden kann.

(…) 33

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1  Tiergärten und ihre Bedeutung

Die Welt-Naturschutzstrategie sieht drei Initiativen, mit deren Hilfe die Zoos die Erreichung dieser Ziele unterstützen können: 1. Aktive Unterstützung der Erhaltung von Populationen bedrohter

Arten und ihrer natürlichen Lebensräume, 2. Mehrung der wissenschaftlichen Kenntnisse zum Nutzen des Natur­

schutzes, 3. Förderung des öffentlichen und politischen Bewusstseins für die

Notwendigkeit von Naturschutz, der verträglichen Nutzung natürlicher Ressourcen und der Schaffung eines neuen Gleichgewichtes zwischen Mensch und Natur. Viele Zoologische Gärten leisten heute einen aktiven Beitrag zur WeltZoo-Naturschutzstrategie. Der Zoo Zürich sei hier als gutes Beispiel ­genannt. Naturschutzbemühungen am Beispiel des Zoos Zürich Anlage im Zoo

Externe Unterstützung

Masoala-Regenwaldhalle

Masoala-Nationalpark, Madagaskar (mindestens 100’000,00 US-Dollar pro Jahr)

Amurtiger-Anlage

Bestandssicherung des Amurtigers in Russland in Zusammenarbeit mit der Tigris Foundation

Schneeleoparden-Anlage

Bekämpfung des illegalen Knochen- und Fellhandels, zusammen mit dem International Snowleopard Trust

Galapagos-Riesenschildkröten

Aufzuchtforschung, zusammen mit dem Verein «Freunde der Galapagos-Inseln»

Mitte 2005 verabschiedete der Weltverband der Zoos und Aquarien (WAZA) ein neues Strategiepapier, die Welt-Zoo- und Aquarium-Naturschutzstrategie (WZANS). Diese neue Strategie erstaunt den außenstehenden Beobachter in mancherlei Hinsicht, und eine kritische Würdigung scheint hier am Platz.

Begründet wird das Bedürfnis für diese neue Strategie wie folgt

(WAZA, 2005): «Da sich auch die Schwerpunkte der Naturschutztätigkeit der Zoos und Aquarien verschoben haben – neben der Zucht bedrohter Arten in Menschenhand gibt es ein immer stärker werdendes Engagement zum Schutz frei lebender Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum – drängte es sich auf, eine neue Strategie zu erarbeiten, die der heutigen Situation Rechnung trägt.» 34

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Ziele und Strategien moderner Zoos

Neben sehr selbstbewussten Feststellungen («Nur Zoos, Aquarien und ­botanische Gärten können das ganze Spektrum der ­Naturschutzaktivitäten abdecken») werden auch Ängste formuliert («[Zoos und Aquarien]… ­haben daher die Wahl, eine neue Identität anzunehmen und neue Ziele zu setzen oder von der Naturschutz-Bewegung zurückgelassen zu werden»). Dazu kommen auch kämpferische Töne, die etwas seltsam anmuten: «Am wichtigsten ist vielleicht, dass Zoos und Aquarien nicht nur die Gelegenheit bekommen, Vorbild im gemeinschaftlichen Naturschutz zu werden, sondern das auch werden wollen. Sie müssen sich verändern, um nützlich, initiativ und radikal in ihrer Vorgehensweise zu sein. Die Welt um uns herum hat sich in den letzten zehn Jahren dramatisch verändert, und das wird jetzt auch von den Zoos und Aquarien erwartet… Die WZANS ist für die Zoos und Aquarien die Landkarte, mit der sie ihre Reise beginnen, und obgleich einige vielleicht schon etwas weiter gekommen sind als andere, gilt für alle, dass es Zeit ist, nicht mehr länger nur langsam zu gehen, sondern zu rennen» (WZANS). Ob der durchschnittlichen Zoobesucher – der ja dem Zoo bis heute noch immer die primäre Daseinsberechtigung verschafft – bereit ist, «mitzurennen» und eine «radikale Änderung in der Vorgehensweise» mitzutragen, wird die Zukunft zeigen müssen. Die nach zwölfjähriger Existenz abgelöste Welt-Zoo-Naturschutzstrategie hat es jedenfalls nicht geschafft, von einem breiten Zielpublikum wahrgenommen zu ­werden. Auch ihre Umsetzung in den verschiedenen Zoos dürfte, insgesamt betrachtet, eher schwach ausgefallen sein. Die Verstädterung nimmt weltweit zu, die Menschheit explodiert zahlen­ mäßig, und wir entfernen uns zunehmend von der Natur. Pflanzen und – noch mehr – Tiere müssen deshalb eine Botschafterrolle als Bindeglieder zwischen Mensch und Natur einnehmen.

Die Haltung von Wildtieren in menschlicher Obhut ermöglicht eine direkte – ganzheitliche! – Begegnung mit dem Tier.

Diese aber bildet die Voraussetzung dafür, dass wir Tiere überhaupt kennenlernen und uns für sie begeistern können.

Deshalb gilt:

Wir brauchen den Zoo – heute mehr denn je!

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Register

Register

Affen 23, 27, 100 f, 115 f, 131f, 143 ff.

Flaggschiffarten 121, 126, 204

Afrikahaus Zürich 90, 91, 93, 104

Fluchtdistanz 24, 43, 76, 129, 140

Alpenzoo Innsbruck 57

Flusspferde 44, 69, 92, 93, 96 f, 142, 143

Ameisenbär 132

Flusspferdhaus Berlin 96

Antilopen 16, 43, 44, 132, 138, 143, 144, 146, 171, 209

Forschung im Zoo 32, 100

Antonius Otto 47 Artenschutz 13, 41, 157, 199

Fortpflanzung 50, 76, 122, 206 Futtermengen 198

Artenvielfalt (Biodiversität) 13, 32, 40, 157, 204

Gehegebegrenzung 26, 81 ff.

artgerechte Haltung 11, 12, 13, 48 – 51

Gehegegestaltung 78, 80 – 88

Außenanlagen 72 ff.

Gehegegrößen 76 f

Auswilderung 115, 141, 209 –211

Geigy Rudolf 25

Bären 15, 18, 46, 119, 131ff. Bärengraben Bern 18 –19 Behavioural Enrichment (Verhaltensbereicherung) 48, 128 –141

Gemeinschaftshaltung 142 –147 Geparden 138 Giraffen 22, 88, 76, 117, 143, 144, 201 Grzimek Bernhard 48

Bewegungsstereotypie 51

Habitat Immersion 28, 154

Biodiversität (Artenvielfalt) 13, 32, 157

Hagenbeck Carl 24, 42

Blaskiewitz Bernhard 216

Hediger Heini 6, 30, 38, 42 ff., 91, 104, 120, 130,

Brägger Kurt 59 Crandall Lee 47 Dathe Heinrich 48 Delfine 124 –127 Diorama-Naturalismus 25 Distanztiere 43 EAZA (Europäischer Zoo- und Aquarienverband) 171, 206

186, 202, 218 Hirsche 18, 143 Hochwasser (schutz) 174 –176 Hygiene 24, 168 IUCN (Weltnaturschutzorganisation) 33 Jardin des Plantes, Paris 20 Jones G. R. 75 Kachelzoo (Vet-functionalistic Enclosure) 24

EEP (Europäisches Erhaltungszuchtprogramm) 206

Kinderzoo 178 –179

Eggenschwyler Emil 25

Kontakttiere 43

Eisbären 51, 104, 122 –124, 137, 189, 215

Kritische Distanz 43

Eisenberg John F. 112

Krokodile 95

Elefanten 15, 16, 22, 47, 50, 74, 86, 117, 134, 141, 164, 183, 184, 195 Environmental Enrichment (Lebensraumbe­ reicherung) 129 ff. Erdmännchen 77, 119 Erhaltungszuchtprogramme 122, 199, 202–211, 219

Landschaftszoo 54 f Lebensraum- und Verhaltensbereicherung (Behavioural Enrichment) 48, 129 –141 Lorenz Konrad 117 Löwen 16, 48, 70 f, 82, 90, 105, 117

Ernährung 46, 113, 197 f

Makronischen 112, 113

Etoschahaus 98/99

Markowitz Hal 48

Europäischer Zooverband (EAZA) 171, 206

Masoalahalle Zürich 55, 60, 102 f 229

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Anhang

Megavertebraten (Schauwerttiere) 11, 90, 115 –120

Wale 120, 124 –127

Menagerie 19 f

WAZA (Weltverband der Zoos und Aquarien)

Menschenaffen 23, 27, 100, 101, 131, 132, 144 Nashörner 16, 93, 143 Naturschutz 32 ff., 41, 80, 206 Neurose 51 Orang-Utan 27, 100, 101, 116, 142, 145, 147, 168 Parc zoologique du Bois de Vincennes 20 Parc zoologique et botanique, Mulhouse 60, 122 Parsons Christopher 214 Pinguine 94, 119, 141, 163, 164, 165 Pongoland Leipzig 100, 101 Ratcliffe Herbert L. 48 Risiken (Unfälle) 183 –189 Safaripark 55 f

33 ff., 222 Weltnaturschutzorganisation (IUCN) 33 Weltverband der Zoos und Aquarien 33 ff. Welt-Zoo- und Aquarium-Naturschutzstrategie (WZANS) 33 – 35, 41, 157, 174, 206 Welt-Zoo-Naturschutzstrategie (WZNS) 33 ff., 41, 112, 157, 206 Wiederansiedlung 13, 205, 206, 210, 211 Wilson E. O. 204 Wolfang-Köhler-Zentrum für Primatenforschung 100 WZANS (Welt-Zoo- und Aquarium-Naturschutz­ strategie) 33 – 35, 41, 157, 174, 206 WZNS (Welt-Zoo-Naturschutzstrategie) 33 ff., 41, 112, 157, 206

San Diego Wild Animal Park 55 f

Zebras 49, 142, 143, 144

Salzert Wolfgang 80

Zoo Atlanta 146

SCAN-Kriterien 140

Zoo Basel 10, 22, 40, 90, 93, 95, 99 f, 148, 152, 189

Schauwerttiere (Megavertebraten) 11, 90, 108,

Zoo Berlin 96 – 98, 216

115 –120

Zoo Cincinnati 141

Schimpansen 100, 101, 118, 131, 135, 167

Zoo Dresden 138

Schlangen 15, 16, 163, 165

Zoo Dortmund 138, 142

Schneider Karl Max 47

Zoo Fuengirola, Spanien 147

Stadtzoo 31, 54 f

Zoo Frankfurt 48,

Streichelzoo 31, 156, 178

Zoo Hamburg 24, 42, 148, 214

Tapire 120, 121, 142 Territorium 44– 46, 90 Themenzoo 56 f, 216 Tierbestand 77, 78, 108 –115, 122, 148, 193, 204, 214 Tierarten 108 –115 Tiergarten Schönbrunn, Wien 47, 104 Tierhäuser 90 –105 Tierpark Berlin-Friedrichsfelde 17, 90, 96, 187, 198, 216 Tierschutz(gesetz) 12 f, 48, 78, 122, 138, 202 Tiger 16, 26, 69, 73, 138, 147

Zoo Honolulu 131, 138 Zoo Köln 64, 174, 189 Zoo Leipzig 47, 100 f Zoo London 20, 157 Zoo Louisville, Kentucky 147 Zoo München 138 Zoo New York 47, 157 Zoo Nürnberg 138, 189 Zoo San Francisco 81 Zoo Zürich 34, 57 f, 90 f, 102 ff., 112, 147, 160, 162, 173, 181

Umweltschutz 13, 41, 103, 170

Zoogestaltung 57– 58

Unfälle (Risiken) 183 –189

Zoologisch-botanischer Garten Wilhelma,

Universalzoo 56 f Vivarium 93 ff. «Völkerschau» 21f

Stuttgart 60, 138 Zoopädagogik 61, 157–177, 185, 199 Zwinger 18, 21, 27

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