Höneisen et al., Der Braunbär

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Maya Höneisen

Der Braunbär

Joanna Schoenenberger Yannick Andrea

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Maya Höneisen Joanna Schoenenberger Yannick Andrea

Der Braunbär Die Rückkehr eines Großraubtiers

Haupt Verlag Bern • Stuttgart • Wien

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Von links nach rechts : Maya, Joanna, Yannick

Zu Autorinnen und Autor : Maya Höneisen lebt und arbeitet als freie Journalistin im Kanton Graubünden. Joanna Schoenenberger, Forstingenieurin, hat in Alaska als Rangerin und in Virginia in einem Forschungsprojekt der Virginia Tech mit Bären gearbeitet. Heute leitet sie als Bärenbeauftragte beim WWF Schweiz das Projekt Ursina im Rhätischen Dreieck, bisher das einzige in den Alpen, in dem praktische Lösungen des Zusammenlebens mit Bären getestet werden. Yannick Andrea, Fotograf, SBf, lebt mitten im Bärengebiet im Kanton Graubünden. Als freischaffender Fotograf arbeitet er für verschiedene schweizerische Organisationen und Printmedien Die Herausgabe dieses Buches wurde durch Beiträge folgender Institutionen unterstützt : Zürcher Tierschutz Willi Muntwyler-Stiftung WWF Schweiz, Deutschland, Österreich Temperatio Stiftung Gestaltung und Satz : pooldesign.ch Lektorat : Regine Balmer 1. Auflage : 2009 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-258-07463-4 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2009 by Haupt Berne Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Printed in Germany auf FSC-zertifiziertem Papier www.haupt.ch Umschlag vorne : Umschlag hinten :

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Drei Bärenbilder : Klaus Pommerenke, Habitat Graubünden : Yannick Andrea Braunbär : Yannick Andrea

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Inhalt Vorwort Einleitung

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3 Die Mythen

1 Der Braunbär – ein Porträt

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Braunbären und Verwandte

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Der Bär als Mythos

62

Der Steckbrief des europäischen Braunbären

22

Brauchtum, Fabeln und Märchen

67

Bärenpopulationen weltweit

26

Der Bär in der Heraldik und in Orts- und Flurnamen

69

Bärenpopulationen in Europa

27

Bären im Alltag

73

37

Bruno und Lumpaz

76

Jurka und Joze Begegnung

40

42

Claudio Groff, Bärenmanagement Trento

Begegnung

45

Der Höhlenbär – ein ausgestorbener Verwandter

46

Die Ausrottung des Braunbären in Europa

48

Die Daniza-Familie

55

Begegnung

57

Renata Bott, Imkerin, Tschierv Kommentar

81

Jörn Ehlers, Medienbeauftragter WWF Deutschland Kommentar

2 Die Geschichte von Bären und Menschen

79

Guolf Denoth, Wildhüter, Zernez

Carlo Frapporti, Bärenmanagement Trento Kommentar

Begegnung

61

59

86

Andreas Zedrosser, Skandinavisches Braunbärenprojekt, Norwegen

4 Der Bär und seine Bedürfnisse

89

Habitate

90

Der Menüplan des Bären

99

Fütterung durch Menschen

104

Das Verhalten im Jahresverlauf

109

Anita Mazzetta, Geschäftsleiterin WWF Graubünden

MJ4 und Vida

111

Begegnung

114

Walter Hildbrand, Leiter Herdenschutzzentrum Jeizinen/VS Begegnung

115

Riccarda Lüthi, mobile Einsatztruppe des Herdenschutzzentrums Kommentar

116

Reinhard Schnidrig, Leiter Sektion Jagd, Wildtiere und Waldbiodiversität, Schweizerisches Bundesamt für Umwelt BAFU

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Der Braunbär

5 Der junge Bär – Kinderstube und Jungbären

119

7 Die Rückkehr des Bären in die europäische Kulturlandschaft

In der Bärenhöhle

120

Bärenkinder

123

Wieder Bären in den Alpen

166

Eine neue Welt zu entdecken

127

Jäger und Bären

177

Bärenjugend

131

Bärenkonzepte in Europa

180

Lehr- und Wanderjahre

134

Verhaltenstipps – Ratschläge für Wandernde, Landwirte,

188

Bärenhochzeit

135

Zurück ins Kinderzimmer

137

JJ3

138 Begegnung

140

Reto Cavelti, Savognin Kommentar

142

Reinhard Schnidrig, Leiter Sektion Jagd, Wildtiere und Waldbiodiversität, Schweizerisches Bundesamt

Imker, Jäger und Förster

JJ4 und JJ5 Begegnung

193

der Autonomen Provinz Trento Kommentar

194

Franco Mari, Wildbiologe

Bärenhaltung einst und heute

6 Bären unter sich

191

Luciano Anesin, Forstbeamter beim Wildtierbüro

8 Bären in menschlicher Obhut

für Umwelt BAFU

197 198

145

Menschen in Bärengebieten

209

Der Bär als Einzelgänger

146

Bärenkämpfe und Rangordnung

149

Reno Sommerhalder, Kanada

209

Bären und ihr Territorium

150

Peter Dettling, Kanada

213

Des Bären Sinne

152

Das Ursina-Projekt des WWF

222

Bärchens größter Feind

155

Anhang

227

Die Ötscher-Bären

159

Informationen im Internet

228

Begegnung

162

Nützliche Adressen

228

Weiterführende Literatur

229

Bildnachweis

231

Dank

232

Georg Rauer, Wildbiologe und Bärenanwalt, Österreich Kommentar Christoph Walder, Projektleiter Braunbär, WWF Österreich

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Vorwort | Einleitung

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Vorwort Die Rückkehr des Bären in die Alpen ist vor allem eine Rückkehr in unsere Köpfe, aus denen dieses Großraubtier verdrängt wurde. Groß und Raub – schon allein diese Furcht einflößenden Bezeichnungen machten aus dem Wildtier die unbeliebte Bestie, die ausgerottet werden musste. Übrig blieb – nachdem die Ausrottung auch praktisch gelang – dann der Teddybär. Der Braunbär ist zwar namentlich allen bekannt, doch für viele ein unbekanntes Tier. Die Kinder bekommen ihn schon in die Wiege gelegt, alle sind an seiner Lebensweise interessiert und haben über ihn eine Grundvorstellung. Und fast jeder, der irgendwie in den Alpen mit einem Bären in Berührung kam, hat zu ihm ein besonderes emotionales Verhältnis entwickelt. Allgemeine Meinungen und persönliche Empfindungen entsprechen aber häufig nicht der Realität. In den meisten Fällen bemerkt man Bären in unserem Lebensraum sowieso kaum ; lediglich Spuren, die sie hinterlassen, zeugen von ihrem Dasein. Die Faszination, das Wildtier unter uns zu wissen, ist groß. Spuren von Bären sind Zeichen, die Aufmerksamkeit erwecken. Neben einer frischen Bärentatze zu stehen bedeutet immer, große Ehrfurcht zu empfinden. Für viele bedeutet es aber auch Angst, welche in der geringen Kenntnis über das Tier verankert liegt.

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Der Braunbär

Dieses Buch hat auch das Ziel, diese unberechtigte Angst zu nehmen. Bleiben soll der Respekt für ein wildes Tier, das hier der Leserschaft mit einem aktuellen und durchaus auch kritischen Überblick auf das heutige Wissen und die Erfahrungen rund um den Braunbären in den Alpen nahegebracht wird. Ein spezieller Blick wird auf die auffälligen, berühmt gewordenen Problembären geworfen. Ein Fenster auf die gesamte JJ-Dynastie, also alle Nachkommen von Jurka und Joze. Aber auch andere Tiere werden vorgestellt – zusammen erlauben sie einen Blick hinter die Kulissen des Bären­manage­ments. Und zeigen, wie oft ihre Vorgehensweisen als Problemtiere unser Versagen im Umgang mit ihnen bedeuten. Das Zusammenleben Mensch-Bär muss von beiden Seiten wieder erlernt werden, ein Prozess, der seine Zeit braucht. Der Inhalt dieses Werkes ist ein guter Beitrag, diesen Lernprozess auf Menschenseite zu fördern. Durch den gelungenen Bericht über das Comeback der Braunbären in die Alpen soll der Bär zurück in unsere Köpfe, in unser Denken gebracht werden und dadurch einen Beitrag zur Erhaltung dieses faszinierenden Tieres leisten. Dieses Buch ist für Naturfreunde, Wanderer und Biologen gleichermaßen wie für Waldarbeiter, Bauern und Jäger geschrieben. Viel Spaß beim Lesen. Juli, 2009 Paolo Molinari Wildforscher und ­Wildbiologe der ­Universität Padua, Bärenexperte und Leiter des Bärenprojektes Schweiz bei der KORA

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Vorwort | Einleitung

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Der Braunb채r

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Vorwort | Einleitung

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Einleitung Dieses Buch handelt nicht nur von Bären, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch von Menschen. Das hat seinen Grund. Die Forschung weiß heute, dass das Verhalten des Bären oft das spiegelt, was er durch uns erlebt und gelernt hat. Gleichzeitig ist er auch Projektionsfläche für ganz viele menschliche Eigenschaften: Kraft, Stärke, Wollust, Gefährlichkeit, Tollpatschigkeit, das Böse. Unser Bild vom Bären schwankt zwischen dem rührenden Blick des Bärenkindes, das wir in unseren Teddybären wiederfinden, und dem gefährlichen, Furcht einflößenden und mächtigen Raubtier, das sich in Filmen gar drohend auf zwei Beine erheben kann. Kein Wunder, werden in den Medien oft ganz unterschiedliche Urteile gefällt. Als Beispiele sprechen folgende Zitate für sich: «Lumpaz, der Lausbub!» – «Die Schafe werden massakriert, Blutbäder werden gnadenlos angerichtet». Das zeigt deutlich unsere Unsicherheit gegenüber dem Großraubtier Bär und lässt ihn ganz nebenbei schnell zum Politikum werden. Die Medien tragen bei einem symbolisch so stark besetzten – oder anders – belasteten Tier zur Meinungsbildung bei und haben eine große Verantwortung. Sie helfen mit, ein Tier als böse und gefährlich, oder auch als niedlich und harmlos zu definieren. Sie können aber auch zu einer konstruktiven Diskussion beitragen. Nur selten wird ein Großraubtier jedoch sachlich als ein normales Wildtier beschrieben. Die Emotionen gehen hoch, bei Medien und bei Lesern. Und die Politik reagiert schlussendlich auf Druck der Öffentlichkeit. Ein Abschussentscheid drängt sich plötzlich nicht nur aus sachlichen Gründen auf, sondern auch durch den Druck von Politik und Medien, also die öffentliche Wahrnehmung. Das Buch will in diesem Sinne zu einer sachlichen Diskussion beitragen, ohne dabei vergessen zu wollen, was für einen mächtigen, mythischen Eindruck der Bär auf uns Menschen ausübt – und zwar seit vielen Jahrtausenden. Wie verlief das Zusammenleben von Bären und Menschen früher? Wie viele Probleme hat ein «Problembär» heute, und welche Probleme haben die Menschen mit ihm? Was kann gute Information aller Beteiligten bewirken? Wie können Schutzmaßnahmen die auftauchenden Probleme auffangen? Das Buch möchte den Bären und seine Rückkehr in die Alpen betrachten, und zwar gemeinsam mit internationalen Experten und den Menschen, die diese Rückkehr vor Ort und im Alltag miterleben.

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Der Braunbär

Die Wiedereinwanderung des Bären zeigt, dass unser Lebensraum reichhaltig und lebenswert ist. Es gibt Platz für Bären in den Alpen. Bären sind seit jeher aber von Menschen auch gefangen und domestiziert worden. Inzwischen werden Bärengehege verhaltensgerechter gestaltet und Menschen interessieren sich für Wildtiere in ihrem Lebensraum. Ist das ein Indiz dafür, dass wir dem Bären auch im Kopf mehr Raum gewähren? Wir hoffen, dass dieses Buch die Basis für einen gelassenen Umgang mit Bären legt. Wir wünschen uns, dass es einerseits Ängste nimmt und andererseits Fragen aufwirft zu unserer Geschichte und unserem Umgang mit der Natur, in welcher wir heute leben. Irgendwann werden wir genug über den Bären wissen und miterlebt haben, dass Angstmacherei kein guter Weg ist. Und vielleicht können wir dann der wilden Seite der Natur, auch unserer eigenen, vertrauensvoll und respektvoll ihren Platz zugestehen. Bei der Arbeit an diesem Buch durften wir viel Schönes erleben. Viele Leute, von Bärenexperten und Fotografen bis zu Jägern und Menschen in Alpen- oder anderen Bärengebieten, waren sofort bereit, uns zu unterstützen. Ihnen gehört unser Dank. Wir hoffen, unser Einsatz mache ihrem Einsatz Ehre. Die verschiedenen Begegnungen haben uns beeindruckt. Die Begegnung mit einem Slowenen, der bis vor einem halben Jahr nicht wusste, dass es in Slowenien Bären gibt, und so das Aufheben, das wir um Bären machen, gleich infrage stellte. Oder die sofortige Einsicht, nachdem ein Bär einen Bienenstand ausgeräumt hatte: «Wir müssen etwas machen, nicht der Bär.» Und im selben Fall der Humor, weil der Bär sämtliche ausgeräumten Bienenkästen so sauber geschleckt hatte, dass nichts mehr geputzt werden musste. Wir danken auch unseren Familien und Freunden, die mit großen und kleinen Gesten an unserer Seite waren und uns mit viel Empathie unterstützt haben. Und nicht zuletzt gilt natürlich unser Dank den Bären selber, denen wir die eindrücklichsten Erlebnisse verdanken: Wir durften sehen, wie eine 26-jährige Gehegebärin erstmals ein Kalb vorgesetzt bekam und es instinktiv an der «richtigen» Stelle aufriss und dann mit Erde zudeckte, ohne dieses Verhalten je gelernt zu haben. Wir beobachteten, wie Bären Himbeeren so geschickt ernteten, dass der Putzen hängen blieb, oder wie ein Jungtier nach dem kurzen Warngebell der Mutter so schnell auf dem Baum verschwand, dass wir nur einen dunklen Blitz bemerkten – all dies hat uns inspiriert und bescheiden gemacht.

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Vorwort | Einleitung

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Vor diesen Tieren, die in ihrer perfekten Abstimmung mit der Natur seit jeher die Geschichte der Menschen begleiteten, haben wir eine hohe Achtung: Es ist schön, sich in der Natur klein zu fühlen und einfach als Teil davon zu funktionieren. Maya Höneisen Co-Autorin Joanna Schoenenberger Co-Autorin Yannick Andrea Fotograf

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Der Braunbär ist stark, anpassungsfähig und lernfähig. Diese Eigenschaften haben dazu geführt, dass er unter den Großraubtieren die weltweit größte natürliche Verbreitung hat.

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Der Braunbär – ein Porträt

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Der Amerikanische Schwarzbär ist ein geschickter Kletterer. Der Asiatische Schwarzbär ist in Nordindien, China und Japan heimisch.

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Braunbären und Verwandte Der Braunbär gehört zu den Großraubtieren ( Ordnung der Raubtiere Carnivora ) mit der weltweit größten natürlichen Verbreitung und zur Familie der Großbären ( Ursidea ), deren Urformen als Nachfahren kleiner, kletternder Raubsäuger vor ungefähr 25 Millionen Jahren auftauchten. Alle Arten gleichen sich in ihrem Körperbau. Sie sind stämmig, der Kopf ist groß und die Gliedmaßen eher kurz, dafür aber sehr kräftig. Die Augen sind nach vorne gerichtet und klein, die Ohren aufgerichtet und rund. Die Füße haben je fünf Zehen, die mit nicht einziehbaren Krallen versehen sind. Die Bären sind – wie der Mensch – sogenannte Sohlengänger. Die Fußsohlen der Bären sind meist unbehaart, außer bei Arten, die oft auf Bäume klettern wie zum Beispiel dem Malaienbär. Das Fell ist eher lang und bei den meisten Arten einfarbig, braun oder schwarz. Die Ausnahmen sind der Große Panda mit seiner schwarz-weißen Fellzeichnung und der weiße Eisbär. Neben der Familie der Großbären gibt es drei weitere Bärenfamilien : die Kleinbären, zu welchen auch der Waschbär gehört, die Katzenbären, welchen der Kleine Panda zuzuordnen ist, und die Bambusbären.

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Der Amerikanische Schwarzbär oder Baribal ( Ursus americanus )

Der Schwarzbär ist in weiten Teilen Nordamerikas beheimatet und der häufigste Bär Amerikas ( häufiger als der Grizzlybär, wie der Braunbär in Nordamerika auch genannt wird ). Er lebt vorwiegend in den ausgedehnten dichten bis offenen Wäldern sowie im Grasland in den USA, im Norden von Mexiko, in Kanada und Alaska. Der Amerikanische Schwarzbär ernährt sich hauptsächlich vegetarisch. Einmal im Jahr stellt ihnen die Natur einen besonderen Leckerbissen zur Verfügung : die flussaufwärts ziehenden Lachse, die auf dem Weg zu ihren Laichplätzen sind. Das Fell des Schwarzbären ist kürzer als das der Braunbären, die Fellfarbe reicht von tiefschwarz bis zimtbraun. Die Bestände des Amerikanischen Schwarzbären sind weitgehend stabil bis anwachsend und er ist jagdbar. In British Columbia existiert eine weiße Unterart des Schwarzen Braunbären, der Kermode-Bär, entstehend durch zwei rezessive Gene, die aufeinander treffen müssen. Diese Art, wohl neben dem Großen Panda die seltenste Bärenart – es gibt noch rund tausend Tiere – ist durch die immense Abholzung in Kanada und durch die Jagd auf die Schwarzbären, die die für den Erhalt nötigen Gene tragen, stark gefährdet. Der Asiatische Schwarzbär oder Kragenbär ( Ursus thibetanus )

Der Asiatische Schwarzbär ist in den dicht bewachsenen Bergen am Fuße des Himalajas, in Nordindien, China und Japan zu Hause. Wie der Amerikanische Schwarzbär ernährt sich auch der Asiatische Schwarzbär hauptsächlich pflanzlich. Seinen Namen hat er von den besonders langen Haaren im Nacken- und Schulterbereich, die wie ein Kragen wirken. Sein Fell ist sehr dicht und schützt

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Der Brillenbär ist die einzige Bärenart Südamerikas. Der Malaienbär ist der kleinste in der Familie der Großbären. Er lebt in Südostasien. Lippenbären sind auf dem indischen Subkontinent heimisch. Der Eisbär ist als einziger Großbär ein fast reiner Fleischfresser.

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gut vor Kälte, da er oft auch in Höhenlagen von 4000 Meter über Meer unterwegs ist. Die Hauptbedrohung des Kragenbären sind der Lebensraumverlust und die Jagd. Besonders begehrt ist der Kragenbär bei Wilderern wegen seiner Gallenblase. Sie wird auf dem Schwarzmarkt zu hohen Preisen verkauft und findet vor allem Verwendung in der Traditionellen Chinesischen Medizin ( TMC ). Der Brillenbär ( Tremarctos ornatus )

Der Brillenbär ist von allen Großbären am weitesten südwärts gewandert. Er ist in den tropischen Anden beheimatet und damit die einzige einheimische Bärenart Südamerikas. Der Brillenbär hat ein dichtes und überwiegend schwarzes Fell und eine gelbliche Zeichnung an der Schnauze, der Brust und oft auch um die Augen. Diese Zeichnung gibt ihm den Namen Brillenbär. Er ernährt sich größtenteils pflanzlich und kann mit seinen starken Backenzähnen selbst zähe und grobfaserige Pflanzen zerkleinern. Der Brillenbär wird als gefährdet eingestuft. Bedrohungsfaktoren sind der Verlust des Lebensraumes durch großflächige Kahlschläge der Regenwälder, um Weideflächen für Rinderherden zu gewinnen und das Anlegen von Sojaplantagen und Maisfeldern zu ermöglichen, und die Wilderei. Der Malaienbär ( Helarctos malayanus )

Der Malaienbär ist mit seinen ungefähr fünfzig Kilogramm der Winzling in der Großbärenfamilie. Er ist in den Monsun- und Tieflandregenwäldern Südostasiens zu Hause. Sein unverkennbares Zeichen ist ein weißer bis rötlicher Brustfleck. Malaienbären haben lange starke Krallen, dank deren es ihnen

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leicht fällt, auf Bäume zu klettern, wo sie ihre Nahrung finden. Der Lebensraum des Malaienbären ist durch die massive Regenwaldzerstörung bedroht. Auch die illegale Jagd dezimiert die Bestände. Wie auch beim Asiatischen Schwarzbären geht es den Wilderern um die begehrte Gallenblase des Bären, welche in der Traditionellen Chinesischen Medizin Anwendung findet. Der Lippenbär ( Melursus ursinus )

Lippenbären leben in Indien, Sri Lanka, Nepal, Bhutan und Bangladesch. Der Lippenbär hat seinen Namen seinen langen und beweglichen Lippen zu verdanken. Mit dieser rüsselartigen Schnauze saugt er Termiten, Ameisen und Larven aus Baumstämmen und -stümpfen. Der Lippenbär hat ein schwarzes, zottiges Fell, welches ihm als Isolation gegen die tropische Hitze dient. Wie andere Bärenarten gehört auch der Lippenbär zu den gefährdeten Tierarten. Der Grund für den rapide sinkenden Bestand ist die Lebensraumzerstörung, die zunehmende Besiedelung des Landes durch den Menschen und die Jagd. Der Eisbär ( Ursus maritimus )

Beheimatet ist der Eisbär vorwiegend an den wandernden Packeisgrenzen der Arktis, in Nordkanada, auf Spitzbergen und in Grönland. Das Fell der Eisbären erscheint durch die Reflexion des Sonnenlichtes weiß, besitzt aber keine Farbpigmente. Seine hohlen Haare sollen die Sonnenwärme direkt auf die darunterliegende schwarze Haut leiten. Es gibt diesbezüglich unter Wissenschaftlern aber keinen Konsens. Mit einer bis zu zehn Zentimeter dicken Speckschicht ist der Eisbär gegen die arktische Kälte gut gewappnet.

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Der Große Panda ernährt sich ausschließlich von Bambus. Der Braunbär ist die am meisten verbreitete Bärenart.

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Eisbären sind fast reine Fleischfresser und ernähren sich von Robben, Fischen und gelegentlich auch von Walrossen und Seevögeln. Durch die globale Erderwärmung und die daraus resultierende Packeisschmelze, die Meeresverschmutzung sowie die Förderung von Öl- und Gasvorkommen in der Arktis sind die Eisbärenbestände stark gefährdet. Der Große Panda ( Ailuropoda melanoleuca )

Der Große Panda ist ein Außenseiter in der Bärenfamilie, steht aber keiner Artengruppe so nahe wie den Großbären. Er bewohnt entlegene Gebiete in den Bambuswäldern im Inneren Chinas. Trotz geradezu rigorosem Schutz ist die Art hauptsächlich durch den Schwund geeigneter Lebensräume und der Nahrungsgrundlage, dem Bambus, stark bedroht. Man nimmt an, dass höchstens noch 850 bis 1100 Große Pandabären in Freiheit leben. Der Braunbär ( Ursus arctos )

Von den acht Bärenarten sind die Braunbären am weitesten verbreitet. Die Verbreitung umfasst große Teile des Nordwestens von Nordamerika, Russland, Japan, den Nahen Osten, China und die Mongolei und das europäische Festland. Unter den Braunbärenpopulationen der Welt gibt es teilweise beträchtliche Unterschiede, vor allem in Bezug auf die Größe. Daher wurden mehrere Unterarten beschrieben, so beispielsweise der Grizzlybär Nordamerikas ( Ursus

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arctos horribilis ) oder der Kodiakbär ( Ursus arctos middendorffii ), der größte der Braunbären, der auf der Kodiakinsel und den benachbarten Inseln vor Alaska und an der Südküste Alaskas beheimatet ist. Allerdings sind sich die Forscher über Anzahl und Einteilung der Unterarten nicht einig. Die hohe Anpassungsfähigkeit des Braunbären erlaubt es ihm, ganz verschiedene Lebensräume zu nutzen : Wälder, Steppen, Gebirgslandschaften und auch die arktische Tundra. Der Braunbär mit seinem braunen bis schwarzen Fell ist vor allem ein Pflanzenfresser, verschmäht aber auch Larven, Insekten und Würmer nicht. Auch Fische gehören, als besonderer Leckerbissen, auf seinen Menüplan. Gerade die besonders großen unter den Braunbären, die Grizzly- und die Kodiakbären, verdanken ihre Größe wahrscheinlich hauptsächlich der proteinhaltigen Ernährung durch Lachse. Die direkte Verfolgung des Braunbären, die Zunahme der menschlichen Bevölkerung und die großräumige Entwaldung als Folge der Landwirtschaft und Industrialisierung, damit einhergehend der Verlust von Beutetieren, haben den Braunbären in den größten Teilen seines einstigen Verbreitungsgebietes verschwinden lassen. Dank wirksamer Schutzbestimmungen wachsen einige Bärenpopulationen wieder an. Innerhalb zweier Bären­projekte wurde er auch in den Alpen wieder angesiedelt. Die Rückkehr klappt aber nur dort, wo er neben ausreichender Nahrung und ungestörten Gebieten eine genügende Akzeptanz bei der Bevölkerung findet.

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Die Bärennase hat rund hundertmal mehr Riechfläche als die Menschennase. Der Geruchssinn ist des Bären feinster Sinn, gefolgt vom Gehör. Die langen Krallen machen die Vorder­ tatzen zu guten Werkzeugen fürs Graben und Klettern. Ein typisches Alles­ fressergebiss: Eckzähne, Backenzähne, Schneidezähne. Auch die Hintertatze ist mit langen Krallen ausgestattet, die der Bär, ein Sohlengänger wie auch wir und der Dachs, nicht einziehen kann.

Wie ein Bär aussieht, weiß jedes Kind. Es gibt aber doch ein paar Eigenheiten, die den Bären erst zu einem richtigen Bären machen. Bären haben einen stämmigen Körper mit einem kräftig gebauten Skelett. Ein spezifisches Merkmal des Bären ist der muskulöse Buckel auf den Schultern, der den Vorderbeinen zusätzliche Kraft verleiht. Der Kopf ist massiv, die rundlichen Ohren stehen seitlich vom Kopf ab und die Augen sind eher klein ( vgl. auch Kapitel «Des Bären Sinne» auf Seite 152 ). Die längliche Schnauze ist mit beweglichen Lippen ausgestattet. Ein Bär ist vom Kopf bis zum kurzen stummel­artigen, nur 6 bis 21 Zentimeter langen Schwanz, etwa 100 bis 280 Zentimeter lang, die Schulterhöhe beträgt 90 bis 150 Zentimeter, je nachdem ob an einem Weibchen oder an einem Männchen Maß genommen wird. Das Gewicht eines Bären variiert je nach Jahreszeit. Im Herbst, wenn er sich das Winterfett bereits zugelegt hat, ist er doch bedeutend schwerer als im Frühling nach der Winterruhe. Männliche Braunbären wiegen zwischen 140 und 550 Kilogramm und sind größer und schwerer als gleichaltrige Weibchen, die zwischen 80 und 250 Kilogramm auf die Waage bringen. Nachdem der Jungbär mit ungefähr sechs Monaten seine Milchzähne verloren hat, erhält er sein bleibendes Gebiss : 42 Zähne mit der Zahnformel : 3/3-1/1-4/4-2/3 ; pro Kieferhälfte also drei Schneide-, einen Eck-, vier Vorbacken- und zwei Oberkiefer-, respektive drei Unterkiefer-Backenzähne. Die Eckzähne sind vergrößert, wie bei vielen Raubtieren. Die Beine des Bären sind lang und kräftig. Dass jeweils die beiden Knochen der Unterschenkel respektive des Unterarms voneinander getrennt sind, ermöglicht eine große Drehbarkeit. Bärentatzen weisen eine Länge von ungefähr 16 Zentimeter ( die Vordertatzen ) und 26 Zentimeter ( die Hintertatzen ) auf. Je fünf etwa acht Zentimeter lange Krallen, die der Bär nicht einziehen kann, ermöglichen es ihm, auf Bäume zu klettern, nach Nahrung zu graben und verrottete Baumstämme auszuhöhlen. Der Bär ist wie der Mensch ein Sohlengänger, das heißt, er setzt den Fuß mit der ganzen Sohle auf. Bewegt der Bär sich vorwärts, so tut er dies im Passgang. Und dies kann er mit bis zu fünfzig Kilometern pro Stunde, wenn er es denn eilig hat. Sein Fell ist üblicherweise braun, kann aber Schattierungen von gelb- bis graubraun und beinahe schwarz annehmen. Für den kalten Winter legt sich der Bär ein wärmendes Winterfell zu. Es ist dick und rau und er sieht damit etwas zottelig aus.

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Das Fell des Braun­ bären ist meist braun, kann aber Schattie­ rungen von gelb- bis graubraun annehmen. ­Dieser Kodiakbär ist fast blond. Junge Braunbären lernen früh klettern – bei jeder Gefahr ­werden die Jungen von der Mutter in die Bäume hinaufgeschickt.

Eine Bärin ist zwischen dem dritten und dem fünften Lebensjahr geschlechtsreif, der männliche Bär etwa mit fünf Jahren. Speziell beim Bärenmännchen ist sein im Vergleich zu seinem Körperbau kleiner Penisknochen, ein länglicher, leicht gebogener Skelettknochen, der zur Stützung des Organs bei der Kopulation dient. Er verknöchert beim jungen Bären und wird bis zur Geschlechtsreife ungefähr 15 bis 20 Zentimeter lang. In freier Natur wird ein Bär 20 bis 25 Jahre alt. In Gefangenschaft kann er deutlich älter werden. Der bisher älteste bekannte Bär soll 47 Jahre alt geworden sein.

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Der Braunbär ist noch heute der Bär mit der größten weltweiten Verbreitung Während im Mittelalter die Braunbären ganz Europa und Nordafrika bewohnten, leben die meisten europäischen Braunbären heute in Nordosteuropa. 15

Bärenpopulationen weltweit Da die Bären Generalisten sind und eine Vielzahl von Lebensräumen bewohnen können, findet man sie von Polarregionen ( Eisbären ) über Grasländer bis zu tropischen Regenwäldern ( Großer Panda und Brillenbär ). Aus allzu trockenen Regionen halten sie sich jedoch in der Regel fern. Der Braunbär, dessen Population weltweit auf ungefähr 200 000 Tiere geschätzt wird, kommt vor allem in Asien, Europa und Nordamerika vor. Etwa die Hälfte davon ist in Russland heimisch. Durch illegale Bejagung und die Suche nach Bodenschätzen hat er vermutlich abgenommen. Bestände gibt es auch in Alaska und im Westen Kanadas, hauptsächlich im Yukon Territory und in British Columbia. Einst dürfte die Population auf diesem Kontinent etwa 100 000 Grizzlybären umfasst haben. Seit der Ankunft der Europäer in Amerika ging die Anzahl stark zurück. Die Verfolgung durch Jagd, der Holzschlag und die Zerteilung der Habitate haben die Bären in 99 Prozent ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes in Nordamerika und 24 Prozent in Kanada ausgerottet. In China leben geschätzte 4000 bis 8000 Tiere. Kleine Populationen existieren auch in der Mongolei und auf der japanischen Insel Hokkaido. In südwestasiatischen Ländern ( Türkei und Iran ) sind die Populationsgrößen nicht bekannt. Vermutlich sind sie aber auch da im Rückgang begriffen. Im Mittelalter gab es noch Braunbärenvorkommen auf dem gesamten europäischen Festland einschließlich des Mittelmeerraumes sowie den ­Britischen Inseln. In Nordafrika lebten Braunbären bis Mitte des 19. Jahrhunderts und in Mexiko bis in die 1960er-Jahre.

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Verbreitung Braunbär Europa

permanent besetzte Gebiete

gelegentliche Präsenz, bestätigt

Einzelbeobachtungen, nicht bestätigt

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Bärenpopulationen in Europa Heute leben in ganz Europa etwa 50 000 Bären, davon aber nur 13 000 außerhalb Russlands. Davon sind ungefähr zwei bis drei in den nördlichen Kalkalpen beheimatet und etwa 15 Männchen wandern zwischen den Slowenischen Alpen, dem Friaul bis nach Cortina d’Ampezzo und Kärnten hin und her. Sie stammen alle aus Slowenien und gehören zu der 2800 starken Population des Dinarischen Gebirges und der Balkanhalbinsel. 25 bis 30 Bären vermehren sich stetig im Trentino und ungefähr achtzig Bären, in fünf getrennten Kernen, leben in den Pyrenäen und im Kantabrischen Gebirge in Frankreich und Spanien. Die größte zusammenhängende Bärenpopulation erstreckt sich über Nordosteuropa von Finnland bis zum Ural ( 37 500 Tiere ). Die zweitgrößte, etwa 6600 Tiere, in den vier Karpatenländern Slowakei, Polen, Rumänien und Ukraine. Die in Schweden und Norwegen lebende Population ( 1000 Tiere ) ist die weltweit am stärksten wachsende. Sie nimmt jährlich um etwa 7 bis 14 Prozent zu. In den Abruzzen leben noch 30 bis 40 Braunbären. Auch hier verschwinden viele ungeklärt, oft vergiftet oder von Autos angefahren und tödlich verletzt.

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Ein Bärenland: nörd­ liches Griechenland. Eines der größten Landraubtiere der Erde verbringt viel Zeit damit, Gräser und Früchte zu fressen. (Bärin mit Jungen in Slowenien)

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Dinarisches Gebirge und Balkanhalbinsel

Es gibt im Alpenraum und Umgebung heute noch zwei Kernpopulationen mit insgesamt 600 bis 650 Braunbären, eine im Trentino und die andere in den Dinarischen Alpen, sowie einen «Restbestand» von zwei Bären in den österreichischen Kalkalpen. Im Trentino werden an die 30 Bären gezählt und in den Slowenischen Alpen 30 bis 40, die mit den 550 bis 600 Tieren des Dinarischen Gebirges verbunden sind. Gegenwärtig ist nur diese Population von sich aus längerfristig, das heißt über fünfzig Jahre, überlebensfähig. Sie steht in enger Verbindung mit der Population der Balkanhalbinsel, die sich bis nach Griechenland erstreckt. Während des Ersten Weltkrieges erfuhr die Bärenpopulation in Slowenien ihren Tiefpunkt. Der damalige Bestand erreichte nur rund 30 bis 40 Bären. Mit dem Erlass von Bestimmungen, geregelten Jagd- und Schonzeiten, dem Verbot von Giftködern und damit, dass der Bär 1935 unter Schutz gestellt wurde, wuchs der Bestand langsam wieder auf etwa 300 Tiere an. In anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawien war die Situation ähnlich. Die gesamte Population des Balkans wuchs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stetig an und zählt inzwischen um die 2800 Bären. Da Slowenien zu 54 Prozent mit Wald bedeckt ist, bietet dieses Land einen idealen Lebensraum für Bären. Sloweniens Bären sind denn auch die Hoffnungsträger für eine alpine Population. Das größte Hindernis für die Rückkehr der slowenischen Bären in den Alpenraum bleibt aber das dortige Bärenmanagement. Dadurch, dass der Bär bis heute eine jagdbare Ressource ist und auch dementsprechend gemanagt wird, hat er im Balkan wahrscheinlich überhaupt überlebt. Jedoch sind die Abschüsse sehr hoch und zudem im Zentrum der slowenischen alpinen Schafhaltung, genau in der Grenzregion zu Italien. Dies ist besonders schädlich, da dort der günstigste Wanderkorridor in den Rest der

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Alpen liegt. Jährlich werden Abschusszahlen von 100 bis 120 Bären festgelegt. Für einen legalen Abschuss bezahlt ein – oft westeuropäischer – Großwildjäger 12 000 bis 20 000 Euro. So wird der dortige Bestand in einem Rahmen gehalten, der es für den Bären unnötig macht, abzuwandern. Dies spiegelt sich vor allem im Verhalten der Weibchen wider, die sich keine neuen Reviere suchen. Oft kehren auch wandernde Männchen wieder nach Slowenien an die Luderplätze zurück ( siehe Themenkasten Seite 30 ). Damit sie lange Reisen unbeschadet überstehen können, wäre es wichtig, ihnen die nötigen Korridore zu schaffen. Es sterben jährlich junge Bären, weil sie versuchen, heil auf die nördliche Seite der Autobahn zwischen Ljubljana und Triest zu kommen. Der Ausblick für eine Wiederbesiedelung der Alpen ist also insofern pessimistisch, als es noch keine Weibchen über diese Grenze hinweg geschafft haben, und gleichzeitig optimistisch, wenn man die Leistung einzelner Bären betrachtet. Der Bär Dino kam im April 2009 in die Region des Parco Dolomiti Bellunesi von Slowenien über das Friaul her. Er hat Distanzen von vierzig Kilometer pro Tag zurückgelegt und sich auch im Trentino bewegt. Von der Bevölkerung in der Provinz Belluno wurde er freundlich aufgenommen. 18

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Luderpl채tze und Futterstellen

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Futterstellen in Slowenien werden die Bären mit Kürbissen und Mais angelockt. Im Hintergrund der Ansitz und Beobachtungsposten.

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Eine spezielle Position nimmt Slowenien heute noch mit Futterstellen oder früher sogenannten Luderplätzen ein. Diese haben zweierlei Aufgaben. Zum einen sollen sie Bären von Herden, Bienenstöcken und Früchten ablenken und zum anderen sind sie ein Mittel, um Bären sozusagen auf Bestellung für die Jäger bereitzuhalten. Daneben richtetete sich manch ein Hotelier im Sinne eines Devisenbringers früher einen Luderplatz hinter seinem Hotel ein und freute sich, wenn Bären als Touristenattraktion seine Kassen klingeln ließen. Luderplätze sind gewissermaßen die Snackbars für Bären. An festgelegten Orten wird ihnen Futter bereitgehalten, um sie anzulocken. Dass die intelligentenTiere sehr schnell lernen, wo ihr Menü bereitsteht und ihre natürliche Scheu verlieren, ist bekannt. Leider suchen sie so immer häufiger die Nähe zu Dörfern und Siedlungen, leeren Abfallcontainer oder fressen aus Komposthaufen. Bärenmütter geben diese von Menschen geprägten Verhaltensweisen ihren Jungen weiter, welche dann zu sogenannten Schadbären werden und mit größerer Wahrscheinlichkeit abgeschossen werden als scheue Bären. So geschehen bei JJ3, dem Sohn der slowenischen und im Trentino ausgesetzten Bärin Jurka. Nachdem er und vorher seine Mutter gefüttert wurden, wurde JJ3 von den Behörden als Risikobär eingestuft und im April 2008 abgeschossen.

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Rumänien

Ein trauriges Bärenkapitel schrieb in Rumänien der Diktator Nicolae Ceau­ sescu. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten knapp 900 Bären in Rumänien. Doch dann entdeckte der Diktator seine Vorliebe für Meister Petz und machte sich zum einzigen Rumänen mit Lizenz zum Bärentöten. Er ließ junge Bären in Gefangenschaft aufwachsen und setzte sie dann, an den Menschen gewöhnt, aus. Die Bären, die ihm dann von Wildhütern zugetrieben wurden, oftmals angelockt durch mit Betäubungsmitteln versetzten Honig, schoss er bequem von einer Blockhütte her ab. Gegen harte Währung verscherbelte er in den 1970er-Jahren auch gerne Abschusslizenzen in den Westen oder lud ausländische Staatsgäste zur Bärenjagd ein. Man sagt, etwa 4000 Bärenabschüsse gingen auf sein Konto. Da durch diese Eigenmächtigkeit keine Kontrolle über die Fortpflanzung der Bären möglich war, wuchs die Population auf gegen 8000 Tiere Ende der 1980er-Jahre an. Durch die Tatsache, dass die Bären wenig menschenscheu waren, wuchsen auch die Probleme. Die Bären tauchten bis in Vororte der Städte Brasov oder Sibiu auf, um in Mülltonnen nach Futter zu suchen. Neben entsprechenden problematischen Begegnungen entwickelte sich auch ein regelrechtes Zusammenleben : Ein Teil der Bevölkerung fütterte die Bären sogar, in Sorge um deren leibliches Wohl. Nach dem Ende des Jagdmonopols des Diktators Ceausescus wurde der Bär intensiver bejagt. Heute sollen noch ungefähr 5000 Tiere in Rumänien beheimatet sein. Doch nach wie vor fehlt einem Teil von ihnen die natürliche Scheu vor dem Menschen und es kommt immer noch zu unerfreulichen Begegnungen zwischen Bär und Mensch. So erhielt im August 2008 ein deutscher Tourist in den rumänischen Südkarpaten Bärenbesuch im Zelt und wurde vom Tier erheblich verletzt. Dass der 26-Jährige offizielle Warnschilder nicht beachtet hatte und mitten in einem Bärengebiet zeltete, interessierte wohl am wenigsten den Bären. Österreich

Aus dem Dinarischen Gebirge, vor allem aus Slowenien, wanderten junge, männliche Bären auf der Suche nach eigenen Habitaten in die österreichischen Alpen ein. Schon fast legendär ist der Ötscher Bär, der sich 1972 in den niederösterreichischen Alpen niederließ, dies 250 Kilometer von seinem Geburtsort entfernt. Er wurde zum Vater der Ötscher-Familie, nachdem innerhalb eines Wiederansiedlungsprojektes zwei Bärinnen und ein männlicher Bär in den Jahren 1989 bis 1993 ausgesetzt wurden. Bereits 1991 wurde ein Bärenjunges geboren, bis 2007 gab es einen Nachwuchs von insgesamt 31 kleinen Bären. Seither ist der Bestand allerdings drastisch auf zwei bis drei Bären gesunken. Welche Ursache für diesen Rückgang verantwortlich ist, kann nicht

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Ein Lebensraum für Bären im Dürrensteinmassiv in Niederöster­ reich.

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mit Sicherheit gesagt werden. Möglich sind ein wenig geeigneter Lebensraum oder Abwanderung. Wahrscheinlicher sind illegale Abschüsse. Sicher ist, dass ein Großteil der Bären schon im Alter von ein bis zwei Jahren verloren ging. Der Bericht «Dokumentation Bär» der KORA ( Koordinierte Forschungsprojekte zur Erhaltung und zum Management der Raubtiere in der Schweiz ) schreibt 1999 : «Entscheidend für die Expansion der slowenischen Bärenpopulation nordwärts war 1991 die Bestimmung, wonach Tiere, die sich Richtung Alpen bewegen, ganzjährig geschont sind. Inzwischen hat sich in Österreich ein Bestand von 23 bis 28 Tieren etabliert, verteilt auf je ein Vorkommen in Niederösterreich/Steiermark mit 13 bis 16 Individuen und in Kärnten, wo der Bestand etwas niedriger ist. Auch im Raum Tarvisio im Dreiländereck Sloweniens, Italiens und Österreichs hat die Art schon Fuß gefasst. Im Raum Belluno in den Dolomiten hat 1998/99 nachweislich ein Bär überwintert.» Welcher Zukunft die Bären in Österreich entgegensehen, ist ungewiss und hängt stark von der Akzeptanz der Bevölkerung und der Bestandsunterstützung ab. Lösungen für ein Überleben der österreichischen Population sind vorerst Zuwanderungen aus dem Dinarischen Gebirge und Slowenien. Ohne diese Zuwanderung und gezielte Maßnahmen hat der österreichische Bär wohl schlechte Aussichten für ein langfristiges Überleben. Italien

Wie im übrigen Europa wurde der Bär auch in Italien im 18. Jahrhundert durch intensive Abholzung und wachsende Besiedlung aus seinen ursprünglichen Lebensräumen verdrängt. Die Verfolgung durch den Menschen tat das Ihrige und führte zur weitgehenden Ausrottung des Bären. Zurück blieben zwei kleine Teilpopulationen in den Abruzzen und im Adamello-Brenta-­ Massiv im Trentino.

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176 Jahre blieb Bayern ohne Bären. Heute hängt seine Rückkehr weniger von der ­Eignung des Lebensraumes als von der Akzeptanz der Menschen ab.

Noch 1998 schätzten Wissenschaftler, dass höchstens noch zwei bis drei Tiere ihren Lebensraum im Trentino hatten. Diese Tiere waren zumeist alt und schon seit Generationen genetisch isoliert. Ein Überleben der Population war chancenlos. Möglich war eine Rettung nur durch Auswilderung von Bären aus einem anderen Habitat. So setzten innerhalb des Projektes «Life Ursus» bereits im Frühling 1999 die ersten zwei slowenischen Bären Masun und Kirka ihre Tatzen auf italienischen Boden. Weitere drei Bären folgten im Jahr darauf : Joze, Daniza und Irma. Noch ein Jahr später, 2001, wurden Jurka und Vida von den Italienern eingebürgert. Insgesamt wurden innerhalb von drei Jahren zehn Wildfänge von Slowenien nach Italien umgesiedelt. Die Verantwortlichen des Naturparks Adamello Brenta sowie des Servizio Foreste e Fauna der Autonomen Provinz Trento begleiteten das Projekt mit einer umfassenden Öffentlichkeitsarbeit, um ihm den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung zu verschaffen und den Menschen wieder mit dem Bären vertraut zu machen. Das Projekt sah vor, die nötigen Schutzmaßnahmen zu unterstützen und Schäden zu ersetzen. Kritik zur Aussetzung von zehn Bären innert dieser kurzen Zeit wurde laut von Heini Hofmann, früherem Tierarzt des Zoologischen Gartens Basel, welcher sich auf die Forschungsarbeit des erfahrenen St. Galler Bärenexperten Hans U. Roth berief. Hans U. Roth riet zu einer langsamen, punktuellen und zeitlich gestaffelten Wiederansiedlung mit absolut menschenscheuen Bären, um keine Unruhe in die Population zu bringen und den ausgewilderten Bären die nötige Ruhe zur Erkundung ihres neuen Lebensraumes zu geben. Allerdings wurde nur ein geringer Prozentsatz effektiv zu Schadbären, und das Projekt erwies sich insofern erfolgreich, als die Bärenpopulation zehn Jahre nach der ersten Aussetzung auf 30 Individuen angewachsen war und in der Bevölkerung große Akzeptanz fand. Pyrenäen

In Spanien, in den Pyrenäen und im Kantabrischen Gebirge leben geschätzte achtzig Bären in einem unzugänglichen Bergland. Um einige weniger waren es im französisch-spanischen Grenzland, nämlich nur noch 15 bis 18 Bären. Im Jahre 2004 wurde in den französischen Pyrenäen die letzte rein pyrenäenstämmige Bärin, Cannelle, von einem Jäger illegal, angeblich aus Notwehr, abgeschossen. Die Bärin war begleitet von einem Jungtier. Ob dieses überlebte, war nicht zu eruieren. Damit war die Ausrottung in diesem Habitat besiegelt. Zwei Jahre später, im April 2006, wurde gegen den erbitterten Wider­stand der ansässigen Schäfer und Bauern, die slowenische Bärin Palouma ausgesetzt. Vier weitere Bären, ein Männchen und drei Weibchen,

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ebenfalls aus Slowenien, sollten im gleichen Jahr folgen, um den bedrohten Bestand in Südwesteuropa zu retten. Unterdessen gibt es Nachwuchs und vielleicht Hoffnung. Deutschland

Das Gebiet an der Grenze zwischen Tirol und Bayern bietet einen nahezu idealen Lebensraum für Bären. Die ausgedehnten Waldgebiete zogen auch JJ1, besser bekannt unter dem Namen Bruno, an, der in die Schlagzeilen geriet, ein ganzes Volk polarisierte und tragische Berühmtheit erreichte. Bruno, der Sohn des im Trentino ausgesetzten slowenischen Bärenpaars Jurka und Joze, wanderte Mitte Mai 2006 auf der Suche nach einem eigenen Lebensraum aus dem Adamello-Brento-Naturpark über Österreich und den Vorarlberg nach Bayern ein. Sein Überleben in Deutschland dauerte keine zwei Monate. Am 26. Juni wurde er, von den Behörden als – gemäß bayerischem Managementplan – «sehr gefährlich» eingestuft und abgeschossen. Wahrscheinlich ist, dass Bruno wohl der erste Bär seit dem letzten Abschuss im Jahre 1835, aber für die Zukunft wohl kaum der letzte einwandernde Bär war. 22

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Eine beliebte und ­wichtige Proteinquelle sind Larven, die in faulendem Holz leicht zu finden sind.

Schweiz

Ein Jahr vor Deutschland übertrat ein wanderlustiger Bär die Grenze zur Schweiz. Am 25. Juli 2005 konnte ein Braunbär im Münstertal beobachtet werden. Er bewegte sich den Sommer über im Dreiländereck, dem Grenzgebiet Italien – Österreich – Schweiz, und legte in kurzer Zeit beträchtliche Distanzen zurück. Es handelte sich um JJ2, den Sohn von Jurka und Joze und Bruder von Bruno. Sein englischer Name fand im romanischen Sprachraum keinen großen Anklang, weshalb er von der Bevölkerung kurzerhand und auf Initiative einer großen Schweizer Tageszeitung auf «Lumpaz» umgetauft wurde. Im Sommer 2007 konnte im Kanton Graubünden in der Schweiz die Anwesenheit von zwei Tieren aus der Trentiner Population nachgewiesen werden : JJ3 ( Sohn von Jurka und Joze ) und MJ4 ( Sohn von Maja und Joze ). Während JJ3 mit seiner Vorliebe für Fastfood aus Abfallcontainern bekannt und im Frühling 2008 aufgrund seines unangepassten Verhaltens abgeschossen wurde, verhielt sich MJ4 ruhig und unauffällig. Ob nebst diesen beiden ein dritter Bär durch den schweizerischen Teil des Dreiländerecks streifte, konnte nicht restlos geklärt werden.

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Jurka und Joze Jurka Die letzten ursprünglichen Bären im Alpenraum hatten im Brenta-Massiv im Trentino trotz der erbarmungslosen Jagd überlebt. Das zeigt, dass ihre Vorfahren zum einen möglicherweise einfach Glück hatten oder dass diese Wälder genügend geschützte Rückzugsmöglichkeiten und ausreichend Nahrung boten, sodass sich Bären heimisch fühlten und Überlebenschancen hatten. Seit 1977 zählt die Provinz Trentino den Bären zu den besonders geschützten Arten. Trotzdem blieb seit 1989 der Nachwuchs aus und es wurden 1998 nur noch drei bis vier Braunbären gezählt. Die Trentiner Bären waren alt und nicht mehr vermehrungsfähig. Dies veranlasste den Naturpark Adamello Brenta und die Provinz Trentino zusammen mit dem Italienischen Institut für Wildforschung das Wiederansiedlungsprojekt «Life Ursus» ins Leben zu rufen. Im Mai 1999 wurden innerhalb dieses Projektes der erste Bär ( Masun ) und die erste Bärin ( Kirka ), beide in Slowenien gefangen, ausgewildert. Ein Jahr später folgten Joze, Daniza und Irma, im Mai 2001 Jurka und Vida und im Mai 2002 der Bär Gasper und die beiden Bärinnen Brenta und Maja. Irmas Leben in Italien war von kurzer Dauer. Sie kam im Frühling 2001 in einer Lawine ums Leben. Dafür kam im Februar 2004 die freudige Überraschung : Die 1994 in Slowenien geborene Jurka tauchte mit dem ersten Nachwuchs auf : JJ1, später Bruno genannt, und JJ2 alias Lumpaz. Die Vaterschaft wurde Joze zugeschrieben. – daher die offizielle Namensgebung für die Jungtiere : JurkaJoze. JJ1 wurde später in Bayern abgeschossen, JJ2 verschwand spurlos. Jurka, die auch im Trentino angeludert, das heißt von Menschen gefüttert worden war ( siehe Themenkasten Seite 30 ), hielt sich nur ungern an die im Exil geltenden Regeln. Das durch die Fütterung in Slowenien angelernte Fehlverhalten brachte sie möglicherweise auch ihren Sprösslingen bei, die später dann ebenfalls wenig Scheu vor Menschen zeigten und in Dörfern und Siedlungen auftauchten. So lehrte Jurka ihre Sprösslinge in Hühnerställe einzudringen. Aber auch mit Schafen, Kaninchen und Bienenstöcken deckte sie für sich und ihre Jungen den Tisch. So war sie durchaus intelligent genug, ihre Jungen unter dem Elektrozaun eines Bienenhäuschens durchzuschicken. Ob allerdings diese Strategie ihr selbst einen kulinarischen Vorteil brachte, ist zweifelhaft.

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Jurka im Jahr 2006. Sie wurde mit einem Radiohalsband ausgerüstet, damit man sie gezielter vergrämen konnte. Jurka im Gehege (2008), nachdem sie den BärensicherheitsTest eines Abfallkübels zum Scheitern gebracht hat. Joze torkelt bei seiner Freilassung im Naturpark Adamello Brenta, Trento, noch halb betäubt aus seiner Falle. Das einzige Foto von Joze nach der Freilassung, als er in das Gehege von Spormaggiore, Trento, eindrang.

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2006 brachte Jurka drei weitere Bärenjungen zur Welt : JJ3, JJ4 und JJ5, ebenfalls vom Bärenmännchen Joze. Ihr gewohntes Verhalten behielt Jurka bei. Im August 2006 wurde sie deshalb gefangen und mit einem GPS-Sender ausgerüstet, um sie überwachen und nötigenfalls vergrämen zu können ( siehe Themenkasten «Vergrämung» Seite 133 ). Menschen gegenüber trat sie nie aggressiv auf, jedoch spazierte sie samt Nachwuchs gelegentlich auch auf Waldwegen oder über Skipisten. Sie legte mit ihren noch nicht einjährigen Jungen unglaubliche Distanzen über große Hindernisse zurück. In 48 Stunden lief sie um die fünfzig Kilometer weit über den 3300 Meter hohen Corno-Gletscher. Alle Vergrämungsaktionen Jurka gegenüber fruchteten nichts. Sie bewirkten bloß, dass sie lernte, bei der Nutzung der Nahrungsquellen etwas klüger vorzugehen – beispielsweise beim Lärm der Fiat Pandas der Wildhüter Reißaus zu nehmen. Am 28. Juni 2007 wurde sie daher erneut eingefangen und schließlich ins 8000 Quadratmeter große Gehege von Casteller, im Zentrum des Forstdienstes der Autonomen Provinz Trento überführt. Das Gehege ist acht Hektare groß und der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Der Bärenexperte Carlo Frapporti füttert sie an Feiertagen väterlich mit Marmeladebrot. Überraschenderweise zeigt ihr Verhalten nichts Auffälliges und ihr Aussehen ist sehr gesund. Das Gehege und auch die Rolle als Ziehmutter, die Jurka übertragen wird, sollen der Rehabilitierung der Jungen dienen.

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Joze Joze wurde zusammen mit Daniza und Irma im Jahr 2000 von Slowenien ins Trentino gebracht. Wie alle anderen im Trentino ausgewilderten Bären wurde auch er an einem Luderplatz eingefangen. Im Gegensatz zu Jurka verhielt sich Joze aber stets unauffällig und ist unauffindbar, sodass er sogar als Phantombär bezeichnet wird. Zweimal zwischen dem 16. und dem 19. Mai 2006 kletterte Joze über den überhängenden Zaun ins Weibchengehege von Spormaggiore, um die drei dort lebenden Weibchen zu begatten. Dazu hangelte er sich mit seinem Maul die vertikalen Eisenstäbe hinauf. Eine absolut sportliche Hochleistung. Leider war ihm entgangen, dass die drei Damen sterilisiert waren. Er zeugte dann mit der damals noch frei lebenden Jurka die JJ-Bären 3 bis 5. Seitdem ( 2006 ) scheint er vom damals neunjährigen Gasper als Vater aller Jungbären abgelöst worden zu sein.

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Begegnung Carlo Frapporti, Bärenmanager, Wildtierbüro der Autonomen Provinz Trento

Joze ist ein Phantom, ich kenne ihn kaum, und das Wenige, das wir wissen, verdanken wir den genetischen Daten, welche er dank Haaren und Kot hinterlässt. Er ist ein sehr scheuer Bär. Jurka habe ich intensiver miterlebt, auch dank Erzählungen von anderen. Ein paar Mal habe ich sie gesehen, als sie noch frei lebte. Schon von Anfang an, als sie bei ihrer Befreiung im Naturpark Adamello Brenta aus ihrer Falle kam, war klar, dass sie anders war als alle anderen. Als dieTüre geöffnet wurde, suchte sie nicht sofort das Weite. Sie tat so, als wäre es ihr egal, ja sogar, als wäre sie eher verärgert über die ganzen Umtriebe. Langsam ging sie die Rampe hinunter, warf nach einigen Schritten uns Menschen noch einen vorwurfsvollen Blick zu und verschwand erst dann im Wald. Auch später, als sie nahe den Siedlungen nach Nahrung suchte und die Forstbeamten sie mit Gummischrot zu vergrämen versuchten, reagierte sie immer eher belästigt und gleichgültig als verängstigt. Sie entfernte sich zwar, behielt aber die ihr unangenehmen Menschen stets im Auge. Am Beispiel von Jurka sieht man, wie individuell Bären sind. Jurka ist wahrscheinlich neugieriger als andere Bären, gleichzeitig aber vorsichtig, manchmal sogar ein bisschen frech gegenüber den Menschen. Einen Teil ihres Verhaltens hat sie von den Menschen gelernt. Es war klar, dass sie schon vor ihren Eskapaden in die Dörfer, wo sie auf Hühner- und Kaninchenjagd ging, gefüttert wurde. Sie verband den Geruch von Menschen mit dem Versprechen auf Essen. Möglicherweise war sie einfach eine exzellente Opportunistin. Sie vergeudete in Bezug auf uns Menschen keine unnötigen Energien. Im Gehege des Forstdienstes, wo sie heute lebt, faucht sie bei fremden Besuchern. Nicht bei mir, sie wartet jeweils auf mich, da sie mich ja als ihren «Brötchenbringer» kennt. (Auf dem Foto streiche ich gerade ein Marmeladebrötchen. ) Gelegentlich führt sie mich gerne an der Nase herum. Wenn ich ihr das Futter zuwerfen will,

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verschwindet sie. Ich folge ihr außerhalb des Geheges, um zu sehen, wohin sie geht, finde sie nicht und gehe weiter um das ganze Gehege herum, nur um sie dann am Ausgangspunkt wiederzufinden. Jurka traf mit ihren Jungen verschiedentlich auf Menschen. Trotzdem reagierte sie weder aggressiv noch drohend. Auch um ihre Jungen zu verteidigen, hat sie nie scheinattackiert. Dies beweist beispielsweise ein Treffen im Val di Sole. Sie wurde von einem Forstbeamten, der ihr folgte, mit ihren drei Jungen JJ3, JJ4 und JJ5 unter einem Nussbaum gefilmt. Sie hob plötzlich den Kopf und floh dann mit ihren Jungen in den Wald. Kurz darauf erschienen zwei Wanderer auf dem Fahrradweg. Ein anderes Mal wartete ich am Tonalepass mit dem Filmer und Biologen Andreas Moser auf Jurka. Sie kam am vorgesehenen Ort vorbei, bemerkte uns und ging weiter, ihre Jungen diesmal vorausschickend, um sich zwischen sie und uns zu stellen. Sie drehte sich oft zurück, um uns im Auge zu behalten. Im jetzigen 8000 Quadratmeter großen Gehege scheint es ihr gut zu gehen. Um ihr die Langeweile zu vertreiben, habe ich ihr ein paar Baumstämme gebracht. Aber sie gräbt lieber Löcher in die Erde. Ich legte ihr auch tote Fische in den Teich. Sie fischte sie heraus, war aber eher erschrocken über die glitschigen Tiere. Lebendige Fische fand sie interessanter. Sie nahm sie mit ihrer Schnauze beim Schwanz, warf sie in die Luft und fing sie am Schwanz wieder auf. Im Sommer mache ich ihr Eis. Ich fülle dazu einen Kübel mit Wasser, Aprikosen- und Apfelstücken und gefriere ihn in der Tiefkühltruhe. Sie knabbert gerne daran, vor allem, wenn es heiß ist. Mit ihrem glänzenden Fell und den wachen Augen macht Jurka trotz dem Leben im Gehege einen guten Eindruck. Dies bestätigten auch Experten von VIER PFOTEN und dem Bärenpark Worbis in Thüringen. Letzterer baut im Schwarzwald im Moment ein 10 Hektar großes Gehege für Bären und Wölfe. Im Jahr 2010 soll es fertiggestellt werden. Bereits habe ich die Verantwortlichen angefragt, ob sie Jurka übernehmen würden. In einem größeren Gehege mit mehr Abwechslung würde es ihr sicher gefallen. Ich bin zuversichtlich, dass der Wechsel zustande kommt. Ich werde Jurka vermissen und sie dann im Schwarzwald besuchen.

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Kommentar Claudio Groff, Sprecher Bärenmanagement der Autonomen Provinz Trento

Das Wiederaufstockungsprojekt von Bären im Trentino hat eine sehr positive Entwicklung erlebt. Allerdings ist der bisherige Erfolg für die Zukunft nicht gesichert. Wir werden von Erfolg reden können, wenn sich die Mindestgröße einer lebensfähigen Population (Minimum Viable Population) angesiedelt hat, und um zu sehen, ob wir dies erreichen, brauchen wir 18 bis 40 Jahre. Wir sind jedoch erst im siebten Jahr nach der letzten Befreiung im 2002. Die Gründe diesesTeilerfolges sind verschieden. Die Qualität des Lebensraumes ist gut. Es gibt hier weniger Schafhaltung als in den Pyrenäen, im Südtirol oder in Österreich, und die Schafhalter üben auch weniger politischen Druck aus als in diesen anderen Regionen. Zudem sind die Trentiner – wie auch der Rest der Bevölkerung südlich der Alpen – ziemlich tolerant und vielleicht auch weniger entschieden und präzise in der Ausrottung der Bären. Und schließlich hat auch die Öffentlichkeitsarbeit vor und während der Wiederaufstockung im Trentino Früchte getragen. Wie mir meine Kollegen in den Pyrenäen berichten, wurde dort weniger informiert und heute haben sie größere Schwierigkeiten. Jurka und Joze repräsentieren hier die Extreme bei den Bären. Jurka als die Frechste und Joze als der Vorsichtigste, sodass er nicht einmal in die Haarfallen tappt! Auf jeden Fall interessieren uns die individuellen Bären viel weniger als die Population als Ganzes. Darum haben wir auch Jurka entfernt, nachdem sie so viel Schaden verursacht und die Bevölkerung frustriert hatte und potenziell gefährlich wurde, um eine höhere Akzeptanz und damit bessere Chancen für das Überleben der anderen Bären zu schaffen. Was wir den Leuten klarmachen: Bären zu haben, heißt auch, Schäden zu haben. Wir müssen uns darum bewusst werden, ob wir bereit sind, dieses Opfer zu bringen oder nicht, also ob wir bereit sind, ein bisschen Geld auszugeben und uns manchmal ein bisschen zu fürchten. Der Bär ist sehr wichtig für das alpine Ökosystem, aber nicht unerlässlich. Wichtiger ist der kulturelle Aspekt: er leistet

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nicht nur einen wichtigen Beitrag für die Artenvielfalt, sondern er erlaubt uns

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etwas ganz Wichtiges: mit einer Präsenz zu leben, die stärker ist als wir. Der Bär ist also ein Test für unsere Fähigkeit, Teil des alpinen Ökosystems zu sein. Es gibt nichts Alpineres als den Bären, so wie das Edelweiß, die Gämse und der Adler. Wir können und müssen stolz auf ihn sein. Der Bär stellte sich auch als wichtiges Instrument heraus, um das Wildtiermanagement zu modernisieren. Dieses war in vielen Regionen auf die jagdbaren Tiere beschränkt. Die Ämter mussten also wegen des Bären auch anfangen, sich um den Rest der Fauna zu kümmern. Was den Norden der Alpen betrifft, fürchte ich, dass es dort zu schwierig sein

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Jurka brachte ihren Jungen das Honigschlecken bei. Hier ein von JJ3 beschädigtes Bienenhaus aus dem Val Müstair Unter Schnee und Lawinen verendete Gämsen, Hirsche und Rehe werden bei der Schneeschmelze zur wichtigen Proteinquelle für Bären.

könnte, den Bären zu tolerieren, und dass die Leute nicht bereit sind, den Aufwand für die Bären auf sich zu nehmen. Wenn ich die Politik zu den Wölfen sehe, frage ich mich mehr und mehr, ob der Bär eine Chance haben wird.

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