Brunsting, Lernschwierigkeiten - Wie exekutive Funktionen helfen können, 2.A.

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Monika Brunsting

Lernschwierigkeiten – Wie exekutive Funktionen helfen können Grundlagen und Praxis für Pädagogik und Heilpädagogik

2., aktualisierte Auflage

Haupt Verlag


Zur Autorin: Monika Brunsting, Dr., hat nach mehrjähriger Lehrtätigkeit Heilpädagogik (in Basel) und Psychologie (in Zürich) studiert. Nach Abschluss ihrer Dissertation absolvierte sie eine Psychotherapieausbildung. Sie arbeitete während vieler Jahre als Schulpsychologin, Sonderpädagogin und Psychotherapeutin und führt seit 1997 das Nordschweizer Institut für Lernfragen (NIL) in Oberuzwil und Zürich. Sie ist Autorin verschiedener Bücher und Artikel und Dozentin an verschiedenen Institutionen (z.B. HfH, fhnw Basel) und in der Lehrerweiterbildung.

Experimente und Übungen können als PDF-Datei heruntergeladen werden: www.haupt.ch/ef

2. Auflage: 2011 1. Auflage: 2009 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-258-07716-1 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2009 by Haupt Berne Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Umschlaggestaltung: René Tschirren Lektorat: Daniela Öttl, D-Mammendorf Satz: Die Werkstatt, Göttingen Umschlagsfoto: © f1 online / Antony Craddock / AEG Printed in Germany www.haupt.ch


Inhaltsübersicht Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort Prof. Dr. J. Steppacher HfH Zürich zur 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Teil 1: Theoretische Grundlagen 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Kognitive Psychologie, Denken und Lernen: Die Sichtweise der kognitiven Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Neurowissenschaften, Denken und Lernen: Die Sichtweise der Neurowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4. Schwierigkeiten mit exekutiven Funktionen: Wann sind metakognitive Interventionen sinnvoll? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Teil 2: Praktische Arbeit 5. Exekutive Funktionen (EF) aufbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 6. Handlungsplanung: Ziele und Prioritäten setzen, Wege finden . . . . . . . . . . . . 41 7. Organisation des Verhaltens (innere und äußere) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 8. Zeitgefühl und Zeitmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 9. Flexibilität des Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 10. Arbeitsspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 11. Selbststeuerung, Selbstregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 11.1 Erste Überlegungen zur Selbststeuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 11.2 Selbstregulation der Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 11.3 Selbstregulation des Affekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 11.4 Impulskontrolle: Erst denken, dann handeln! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 11.5 Aufgaben anpacken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 11.6 Aufgaben gut zu Ende führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 12. Handlungskontrolle, Handlungsreflexion, Handlungskorrektur . . . . . . . . . 165 13. Metakognitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 14. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 15. Literatur und Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212



Vorwort zur 2. Auflage Dass die 1. Auflage des Buches so schnell zu seinen Lesern gefunden hat, zeigt, dass sich mutige Lesende nicht von komplizierten Namen abschrecken lassen. Leider gibt es nach wie vor keinen anderen Begriff als „exekutive Funktionen“ für das, worum es hier geht. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit ihm anzufreunden, wenn wir dieses Konzept nutzen wollen. Meine zwischenzeitlichen Erfahrungen als schulische Heilpädagogin in einer öffentlichen Schule machten deutlich, dass es eine weit grössere Gruppe von Lernenden gibt, die von besseren exekutiven Funktionen profitieren könnten, als ich damals dachte. Der Erziehungswissenschaftler, Prof. Oelkers von der Universität Zürich bestätigt, was ich als Psychologin und schulische Heilpädagogin schon seit längerem mit Sorge beobachtete, dass nämlich „die Leistungsanforderungen auch durch die hohe Bewertung der Kompetenz zum selbständigen Lernen tatsächlich sehr gestiegen“ sind (NZZ, 26.7.2011). Die moderne integrative Schule mit ihren individuellen Lernaktivitäten, die in aller Regel viel Selbststeuerung verlangen (offene Fragestellungen, Gruppenunterricht, Projektunterricht, Wochenplan, entdeckendes Lernen, usw.) setzt sehr gute Lernvoraussetzungen voraus. Der Frontalunterricht mit seinem „Nehmt das Buch und rechnet S. 24 von Aufgaben 2-8“ hat Aufgabenstellungen wie „Arbeit am Wochenplan“ Platz gemacht und macht gut organisierten, selbstgesteuerten, intelligenten und motivierten Lernenden viel Freude. Für Lernende, die eine oder gar mehrere Bedingungen nicht erfüllen, ist es schwierig geworden (Klauer, & Leutner, 2007). Da wir an einer „Schule für Alle“ arbeiten, gilt es, die fehlenden Lernvoraussetzungen aufzubauen. Für Seligman (2011), die heute wohl wichtigste Figur in der Positiven Psychologie, spielen exekutive Funktionen eine grosse Rolle, weil sie erlauben, Prozesse zu verlangsamen und damit dem Bewusstsein zugänglich zu machen. Das Training exekutiver Funktionen wird also wichtiger denn je. Selbststeuerung ist eine der ganz wichtigen exekutiven Funktionen (Roth, 2011, Spitzer, 2010). Duckworth & Seligman zeigten (2006), dass diese 75% des Schulerfolgs erklärt, die Intelligenz nur 25%. Mischel und Mitarbeitern (Eigsti, Zayas, Mischel et al., 2006), gelang es zu dokumentieren, was eine gute Selbststeuerung langfristig bewirkt: Kinder, die im Alter von 4 Jahren über wenig Impulskontrolle verfügten, hatten im jungen Erwachsenenalter eine schlechtere Schullaufbahn, schlechtere berufliche Qualifikationen, mehr Arbeitslosigkeit und schlechtere soziale Beziehungen vorzuweisen. Moffitt et al. (2011) berichten von ihrer Langzeitstudie, in der 1000 Kinder von der Geburt bis zum Alter von 32 Jahren untersucht worden waren: Kinder mit besserer Selbstkontrolle waren gesünder, weniger drogenabhängig, hatten ihre Finanzen besser unter Kontrolle und weniger mit dem Gesetz zu tun. In


einer andern Kohorte mit 500 Zwillingspaaren zeigte der Zwilling mit der höheren Selbstkontrolle mehr Erfolge in diesen Gebieten, trotz des gleichen Familienhintergrunds. Forschungsbefunde wie diese ermuntern sehr, sich auch um die Entwicklung der Selbststeuerung zu kümmern. Der Arbeitsspeicher hat in der Zwischenzeit weiter Terrain gewonnen: Forscher wie Klingberg und Perrig sind weiterhin dabei. Hier zeigt sich interessanterweise, dass es mit Arbeitsspeichertrainings Verbesserungen in weiteren Lebensbereichen gibt: ADHS- Kinder zeigten eine weniger ausgeprägte ADHS-Symptomatik (Klingberg et al., 2005). Im kognitiven Bereich lassen sich Trainings- und Transfereffekte nachweisen (Thorell et al. 2008). Exekutive Funktionen können bereits im Vorschulalter trainiert werden (Thorell et al.). Interventionen in Schulen verlaufen vielversprechend und sind einfach realisierbar (Mezzacappa & Buckner, 2010). Zur Erfassung exekutiver Funktionen gibt es bis heute kein sinnvolles Instrument (Barkley, 2011). Die neuropsychologischen Verfahren sind meist zu grob und erfassen subtile Schwierigkeiten nicht. Deshalb sind wir vorläufig noch darauf angewiesen, mit unseren eigenen Beobachtungen Informationen zu erhalten. McCloskey et al. (2009) beschreiben Assessment und Intervention an sechs Kindern theoretisch wie praktisch sehr differenziert. Peg Dawson & Richard Guare (2004) zeigen Wege zur Erfassung exekutiver Funktionen und zur Intervention bei Kindern und Jugendlichen. Trainingsmaterial für exekutive Funktionen gibt es in der Zwischenzeit von einer Gruppe um Spitzer („Achtung!Fertig!Fex!“ und „4xFex“) Vieles ist im Fluss: Nach wie vor braucht es im deutschen Sprachraum ein Buch wie das vorliegende, das aufzeigt, wie man an exekutiven Funktionen in Schule und Therapie arbeiten kann. So wünsche ich denn auch der zweiten Auflage viel Glück auf der Suche nach den Lesenden und den Lesenden viel Erfolg und Freude bei der Arbeit mit Experimenten aus diesem Buch. Zumikon, Juli 2011 Monika Brunsting


Vorwort zur 1. Auflage Viele Menschen leiden unter Lernschwierigkeiten. Davon betroffen sind keineswegs ausschließlich lernbehinderte oder lerngestörte Lernende; auch nicht nur ADSBetroffene, Lernende mit LRS oder Dyskalkulie. Mit Lernschwierigkeiten haben Personen aller Altersstufen zu kämpfen. Fast könnte man denken, das Lernen sei in den letzten Jahren generell schwieriger geworden. Verschiedene Gründe werden dafür verantwortlich gemacht und dementsprechend verschiedene Ansätze zu ihrer Bewältigung verfolgt. Gesellschaftliche Gründe spielen bei Lernschwierigkeiten sicherlich eine große Rolle: Einerseits ist unsere westliche Welt so organisiert, dass wir ohne lebenslanges Lernen heute nicht mehr weit kommen. Auf der anderen Seite bestehen unzählige Lernhindernisse, die überwunden werden müssen, damit gelernt werden kann. So stellt beispielsweise die Vielfalt von Freizeitbeschäftigungen für alle Lernenden eine große Herausforderung dar: Praktisch immer besteht die Möglichkeit, sich mit interessanten Dingen abzulenken, anstatt sich mit etwas Unbekanntem und Herausforderndem auseinanderzusetzen. Versucht man beispielsweise für die Schule zu lernen, so kostet dies meist einige Anstrengung: Weshalb aber soll man sich anstrengen, wenn man auch ohne Anstrengung zum Ziel (wenn auch zu einem anderem) kommt? Auf der anderen Seite berichten Eltern auch immer wieder, dass sich ihre Kinder dem Lernen widmen, wenn die Anzahl Ablenkungsmöglichkeiten (z.B. Fernsehkonsum oder Computerspiele) reduziert wird. Was kann man tun, damit solche Effekte auch in der Schule geschehen können? Die Medien suggerieren uns gerne, dass alles cool ist und ohne Anstrengung geht, und wirken mit dieser Botschaft direkt auf die Erziehung der Kinder ein. Zudem hat uns die Psychologie gelehrt, dass alle Dinge, die man gerne tut, leicht vonstatten gehen. Wie man es anstellt, das zu tun, was einem schwerfällt, ist hingegen erst in jüngster Zeit in das Blickfeld der Forschung geraten. Entsprechend ist für viele Eltern und Lehrpersonen die Vorstellung kaum erträglich, dass Lernende sich anstrengen müssten, um ein Ziel zu erreichen: Die Anstrengung ist in Verruf geraten. Neuere Forschungsergebnisse von Carol Dweck, Professorin an der Columbia University in New York, machen jedoch deutlich, dass die Bereitschaft, sich anzustrengen und auf eine unmittelbare Belohnung zu verzichten, für die Schulkarriere entscheidend ist, und dass sowohl die Anstrengungsbereitschaft als auch die Fähigkeit, den Belohnungsaufschub auszuhalten, trainiert werden können. Wie Walter Mischel an der Stanford University 1968 mit seinem berühmten Marshmallow-Experiment zeigen konnte, ist die Bereitschaft zu Belohnungsaufschub schon in der frühen Kindheit nachweisbar. Seine Langzeitstudien ergaben, dass diese Bereitschaft entscheidend


für den Schulerfolg, den Erfolg im Leben und in Beziehungen ist. Somit ist es für Lernende entscheidend zu lernen, dass es sich lohnt, sich anzustrengen und auf Belohnungen zu warten. Lernen impliziert eben auch Anstrengung und das Warten auf Belohnungen. Wie kommen solche (Lern-)Handlungen zustande? Der Impuls „Ich möchte jetzt fernsehen!“ muss von einer höheren Instanz kontrolliert werden, wenn es denn zur Anstrengung und zu Belohnungsaufschub kommen soll. Diese Kontrollfunktionen werden in der Fachwelt „Exekutive Funktionen“ (EF) genannt und bestehen aus Handlungsplanung, Organisation des Verhaltens, Zeitmanagement, Flexibilität des Verhaltens, Arbeitsspeicher, Selbststeuerung, Handlungskontrolle und Metakognitionen. Man geht heute davon aus, dass hinter vielen Lernproblemen Schwierigkeiten mit den exekutiven Funktionen stehen. Mit diesen setzt sich die Autorin hier auseinander. Sie knüpft dabei an ihre Arbeiten zu Metakognitionen (Brunsting, 1997) an und stellt diese in den großen Rahmen der exekutiven Funktionen, wie er heute von den Neurowissenschaften und der Kognitiven Psychologie vorgestellt wird. Dabei lässt sie sich von Howard Gardner, einem der führenden pädagogischen und psychologischen Forscher inspirieren, der mit seinem Slogan „hill, will and skill“ (Hürde, Wille, Fertigkeit) die exekutiven Funktionen auf den Punkt brachte: Es wird nicht ohne Anstrengung gehen (hill), aber diese helfen, den Willen zu entwickeln (will), und bringen neue Fertigkeiten (skills). Die Autorin zeigt praxisorientiert, wie man im Alltag von Schule und Familie exekutive Funktionen trainieren kann, und füllt damit eine im deutschsprachigen Raum bestehende Lücke in der Literatur. Sie stellt den aktuellen Stand der neurowissenschaftlichen und der kognitiv psychologischen Forschung zum Thema knapp und übersichtlich dar, nicht ohne den Leser über ausführliche Literaturangaben mit weiterer Lektüre bekannt zu machen. Sie erläutert Spiele und Experimente und regt an, mit offenen Augen durch den Alltag zu gehen und Gelegenheiten wahrzunehmen, um exekutive Funktionen entwickeln zu helfen. Ich wünsche diesem Buch viele interessierte, experimentierfreudige und spielerische Leserinnen und Leser. Prof. Dr. Joseph Steppacher

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Teil 1: Theoretische Grundlagen 1. Einführung

Was sind exekutive Funktionen? Wozu sind sie gut? Überblick über die Entwicklung des Konzepts in Pädagogik und Psychologie

Einleitende Überlegungen Sven, acht Jahre, ist ein eher schwacher Schüler. Er hat zwar eine ausgezeichnete Intelligenz, er kann diese aber nicht umsetzen. Die Fachleute nennen ihn einen Minderleister. Was ist los mit ihm? Sven hat wenig Lust, sich anzustrengen. Er will alles Gute schnell haben und Ungeliebtes vor allem schnell hinter sich haben. Anna, 14 Jahre, ist manchmal ganz gut in der Schule. Dann wieder verhaut sie eine Prüfung, obwohl sie gelernt hat. Fragt man sie nach den Einzelheiten ihres Lernens, stellt man fest, dass sie im letzten Moment oder noch später zu lernen angefangen hat. Manchmal gerät sie dabei natürlich in Stress, weil sie merkt, dass sie es in so kurzer Zeit nicht schaffen wird. Sie entwickelt eine Prüfungsangst, die nicht sein müsste, wenn sie rechtzeitig lernen würde.

Viele Menschen haben bald mehr, bald weniger Lernschwierigkeiten. Viele Fachleute (Pädagogen, Psychologen) und Eltern sind immer wieder auf der Suche nach Interventionsansätzen, die Abhilfe schaffen könnten. Wir möchten mit diesem Buch Möglichkeiten aufzeigen, wie man solche Lernschwierigkeiten erfassen und überwinden kann.

Was sind exekutive Funktionen? Anna hat in letzter Zeit immer mehr Mühe, ihr Lernen und Arbeiten zu steuern. Sie plant ihr Lernen nicht und kontrolliert ihr Handeln kaum. Sie blickt nicht zurück, um herauszufinden, was sie gut gemacht hat, und zu überlegen, was sie besser machen könnte. Sie kann sich nicht aufraffen, rechtzeitig zu lernen anzufangen.

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Sven lernt aus eigener Kraft praktisch gar nicht. Er geht „spontan“ vor; hat er keine Lust, dann macht er auch nichts. Er plant und überwacht sein Tun nicht. Auch er blickt nicht zurück und kann so aus seinen Handlungen nicht lernen. Solange die Eltern oder die Lehrperson Sven im Auge haben und lenken, funktioniert es ganz gut. Sobald er aber selbstständig arbeiten soll, lässt er sich von inneren und äußeren Reizen ablenken und kommt nicht voran.

Diese und viele andere Schwierigkeiten beim Lernen, Problemlösen oder bei der Lebensbewältigung sind auf ungenügend entwickelte exekutive Funktionen (EF) zurückzuführen. Davon gehen heute viele Wissenschaftler aus (Barkley 2007, Denckla 2007). Exekutive Funktionen sind höhere geistige Tätigkeiten, die der Handlungsplanung, Handlungsüberwachung und Handlungskontrolle dienen. Sie werden häufig mit der Arbeit des Dirigenten in einem Orchester verglichen: Dieser koordiniert und überwacht das Orchester. Er bringt die Musiker dazu, aus einzelnen Stimmen und Instrumenten ein Ganzes zu machen. Er sorgt dafür, dass alle Musiker gut spielen und gut zusammenspielen. Typische exekutive Funktionen sind: • das Organisieren, • das Planen, • das Sich-selbst-Überwachen, • das Kontrollieren von Impulsen, • das Analysieren und • das Vergleichen von vergangenen und laufenden Handlungen. Auch das Arbeitsgedächtnis (ein sehr kurzfristiger Speicher, der Informationen so bereithält, dass man mit ihnen weiterarbeiten kann) ist eine wichtige exekutive Funktion. In den letzten Jahren ist es ins Zentrum der Arbeit vieler Forscher gerückt. Und in neuester Zeit zeigten Forschungsarbeiten einer Gruppe um W. Perrig an der Universität Bern, dass das Arbeitsgedächtnis eine außerordentlich große Rolle spielt und ein Training in diesem Bereich sich auf weite Felder von Lernen und Leben auswirken kann (Jaeggi, Buschkuehl, Jonides & Perrig, 2008). Es scheint ein vielversprechender Ansatz zu sein, in diesem Bereich ganz gezielt zu arbeiten. An der Universität Bern ist ein PC-Programm mit solchen Aufgaben erhältlich. Konkrete Trainingsmöglichkeiten mit Hirn, Papier und Bleistift habe ich vor Kurzem zusammengestellt (Brunsting, 2006).

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Auch Emotionen können bei den exekutiven Funktionen eine große Rolle spielen. So kann der Widerwille gegen eine bestimmte Tätigkeit dazu führen, dass wir sie nicht sorgfältig ausführen, während wir bei Tätigkeiten, die wir lieben, zu ungeahnten Höhenflügen aufsteigen können. Emotionen können die exekutiven Funktionen aus dem „Untergrund“, dem Unbewussten, mitsteuern (Bottom-up-Steuerung). Manche Experten sprechen von einer Steuerung über die untere Straße („low road“, Goleman, 2007, oder von „hot executive functions“, Castellanos, 2007). Im Gegensatz dazu steht die „Top-down-Steuerung“, die „high road“ (Goleman) oder die „cold executive functions“ (Castellanos): Dies sind einfache Steuerungs- und Überwachungsprozesse, bei denen die Emotionen eine geringe Rolle spielen. Der Begriff „metakognitiv“ wird häufig synonym zu den exekutiven Funktionen verwendet. „Metakognitiv“ bedeutet, beim Denken, Lernen oder Arbeiten eine höhere Ebene (Metaebene) einzunehmen und quasi „dem Gehirn beim Arbeiten zuzuschauen“. Die Idee, sich auf diese Weise mit dem Denken auseinanderzusetzen, um Lernschwierigkeiten zu überwinden, ist nicht neu. In unzähligen Forschungsarbeiten wurden Lern- und Problemlösestrategien entwickelt, implementiert und evaluiert. Man ging im Grunde genommen davon aus, dass schlecht Lernende über schlechte Lernstrategien verfügen, und nahm an, dass sich ihre Schwierigkeiten vermindern würden, wenn sie die passenden Lernstrategien erworben hätten: Das war ein kognitiver Interventionsansatz, der in vielen Fällen schöne Fortschritte ermöglichte. Nicht selten eigneten sich die Lernenden zwar die Strategie an, sie setzten diese dann jedoch nicht ein. Flavell spricht von „children failing to solve problems for which they possess the necessary solution procedures. They ought to solve these problems, we think, and yet they do not. Why not?“ (1976, 232). Aus dieser Frage entwickelte er das Konzept der Metakognition, das von der Forschergemeinde übernommen wurde. Wichtige Autoren aus den Anfangszeiten sind Brown (1984), Brown und Deloache (1978), Borkowski, Johnston und Reid (1987) sowie Schneider (1989). Die exekutiven Funktionen stellen zwar ein unscharfes Konzept dar, sie haben sich in der Praxis jedoch als sehr nützlich erwiesen. Es geht dabei um das Wissen der Lernenden über das eigene Denken und Lernen, also um das metakognitive Bewusstsein und um exekutive Funktionen. Das metakognitive Bewusstsein umfasst Folgendes: • Wissen über sich als Lernende (ich kann gut …); • Wissen über die Lernaufgabe (Vokabeln kann man so lernen); • Kennen von Strategien (um Aufgaben richtig zu lösen, muss man die Anleitung lesen oder hören).

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Exekutive Funktionen im engeren Sinne beinhalten • Überwachung, • Steuerung und • Kontrolle des kognitiven Verhaltens.

Wozu sind Trainings der exekutiven Funktionen (EF-Trainings) gut? Trainings der exekutiven Funktionen dienen dazu, die Lern- oder Problemlösefähigkeit zu verbessern. Schon vor vielen Jahren wurde in Untersuchungen festgestellt, dass der Aufbau der exekutiven Funktionen die Leistungen in Intelligenztests ansteigen lässt (Brunsting, 1989). Und Trainingsstudien zeigen, dass sich die Lern- und die Problemlösefähigkeit durch solche Interventionen entscheidend verbessern lassen (Brown, Campione & Day, 1981, Brunsting, 1989, Okagaki & Sternberg, 1990, Paris & Oka, 1986, Palincsar & Brown, 1984, Palincsar, 1986). Die Trainingseffekte waren in der Regel überzeugend, denn die Personen verbesserten sich in den entsprechenden Bereichen tatsächlich. Die Transfereffekte dagegen ließen manchmal zu wünschen übrig: Die Lernenden wandten nach einem Training ihr Wissen in den entsprechenden Situationen an, übertrugen es aber nicht auf neue Situationen. Deshalb steht man isolierten Trainings heute eher kritisch gegenüber und favorisiert Trainings im realen Lernalltag. Krechevsky und Gardner (1990) entwickelten einen Ansatz, den sie „Infusionsansatz“ nannten. Dieser besteht in einer Art Meta-Curriculum, das allgemeine Denkfertigkeiten mit den schulischen Curricula verbindet. Es ist der Ansatz, der uns auch hier leiten wird. In den letzten Jahren haben metakognitive Ansätze (EF-Trainings) den Weg in breite Anwendungsfelder gefunden. Sie kommen in vielen pädagogischen und heilpädagogischen Interventionen zum Einsatz, neuerdings auch in Psychotherapien. Das vorliegende Buch zeigt Möglichkeiten auf, wie man in Pädagogik, Heilpädagogik und Lerntherapie an exekutiven Funktionen arbeiten kann.

Überblick über die Entwicklung des Konzepts Pädagogik und Psychologie Bereits seit den 1970er-Jahren sind viele Forscher daran, exekutive Funktionen zu erforschen und Interventionsansätze zu entwickeln. Ursprünglich waren solche Arbeiten in der Lernbehindertenpädagogik anzutreffen (Brown & Deloache, 1978) und dort auch recht erfolgreich. Sie wurden bei Lehrlingen mit Lernproblemen angewandt (Büchel, 1997), und in den letzten Jahren fanden sie auch Eingang in Psychologie und Psychotherapie (kognitive Therapien). So wird heute empfohlen, bei Lernenden mit ADS metakognitive Trainingskomponenten zu 14


berücksichtigen, weil diese recht gut geeignet sind, ADS-spezifische Probleme anzugehen. Sven und Anna, die zu Beginn dieses Kapitels vorgestellt wurden, können lernen, ihre exekutiven Funktionen zu verbessern. Sie können lernen, zu planen, sich zu überwachen und zu reflektieren. Wie dies konkret aussehen könnte, werden Sie auf den folgenden Seiten sehen.

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2. Kognitive Psychologie, Denken und Lernen: Die Sichtweise der kognitiven Psychologie Lernende als Konstrukteure ihres Lernens. Bindung. Emotionen. Motivation. Lernen und Gedächtnis. Entwicklungspsychologische Perspektive. Exekutive Funktionen. „Hill, will, and skill“ (Gardner, 2007) Nun sollen die Sichtweise der kognitiven Psychologie aufgezeigt und der Begriff exekutive Funktionen genauer beleuchtet werden. Aber auch andere wichtige Faktoren des Lernens werden betrachtet.

Lernende als Konstrukteure ihres Lernens Anna interessiert sich für Sprachen, vor allem für Englisch. Mathematik hingegen liegt ihr weniger. Sie lernt viel und gut Englisch, und je mehr sie lernt, desto leichter fällt es ihr. Sie hat ihre Freude an Sprachen von ihrer Familie mit auf den Weg bekommen. Ihre Motivation ist nahezu unerschütterlich. Seit ein paar Monaten hat sie zwei englischsprachige Brieffreundinnen, und seitdem kommt sie noch leichter voran. Was immer sie lernt, es bleibt ihr gut im Gedächtnis haften. Sie hat schon längst gelernt, wie sie Sprachen lernen kann. Sven mag Sprache nicht so sehr. Er lernt so wenig als möglich Lesen und tut dies frühestens im letzten Moment. In seiner Familie zählen Sprachen wenig. Dafür haben Naturwissenschaften eine große Bedeutung. Sein Vater arbeitet als Computerspezialist. Sven hat keine Vorstellung, wie er besser schreiben oder lesen lernen könnte. Dafür hat er immer viele Ideen, wie er technische Probleme lösen kann. Er experimentiert und konstruiert mit allem, was ihm im Alltag begegnet, und findet immer wieder auch ganz erstaunliche Lösungen, die zeigen, dass er ein lernfähiger und intelligenter Junge ist – auch wenn es mit dem Lesen und Rechtschreiben nicht so recht klappen will.

Lernende werden heute als aktive Konstrukteure ihrer Lernprozesse verstanden. Sie nehmen nicht nur auf, was man ihnen anbietet, sondern bauen daraus ihr Wissen und Können selbst auf. Dieses Modell wird Konstruktivismus genannt und bedeutet, dass jeder Lernende sein Lernen selbst konstruiert. Dabei ist er natürlich stark abhängig von den Impulsen, die ihm seine Umwelt bietet. Ein Referat, eine Geschichte oder eine Rechenaufgabe sind Impulse, die Lernende brauchen können. Aber auch Tätigkeiten wie Radfahren, Tischdecken oder Baumhausbauen sind wichtige Lernimpulse. Anna und Sven haben unterschiedliche Impulse aus ihrer Umwelt 16


erhalten, und sie nutzen diese auch auf ihre Weise. Sonst hätten Annas Bruder oder Svens Schwester ja dieselben Schwierigkeiten, und das haben sie definitiv nicht.

Bindung Anna und Sven haben dank der Impulse durch ihre Umwelt eigene Interessen aufgebaut. In anderen Familien wären es vermutlich andere Interessen geworden. Mit anderen Anlagen hätten sie auf die Impulse ihrer Mitwelt auch anders reagiert. Die wichtigsten Impulse erhalten Sven und Anna von ihren Eltern und anderen wichtigen Personen in der Familie, später auch von Menschen in ihrer weiteren Umwelt.

Lernende sind auf Menschen angewiesen, die ihnen Lernimpulse geben. Das sind normalerweise im Leben zuerst einmal die Eltern oder deren Stellvertreter, aber auch andere Bezugspersonen, wie Altersgenossen. Später kommen Lehrpersonen hinzu. Aber auch Sporttrainer, Musiklehrer oder andere Coaches können wichtige Impulse geben, indem sie zur Bewältigung von Problemen in mehr oder weniger systematischer Weise anleiten. Beziehung und Bindung sind für Joachim Bauer (einen renommierten Neurowissenschaftler, Psychiater und Psychotherapeuten) ganz wichtige Punkte beim Lernen (siehe Kapitel 3, „Neurowissenschaften, Denken und Lernen“). Diese Bindungen können eng sein (wie zwischen Kind und Eltern) oder locker (Lernende und Kollegen). Entscheidend ist, dass die Impulse beim Lernenden etwas auslösen und in Schwingung bringen. In der Regel eignen sich Lernende das an, was ihnen wichtig erscheint und was für sie von Bedeutung ist. Das können auch skurrile Inhalte sein, und das Einmaleins gehört nicht immer dazu. Hauptsache, Lernende interessieren sich für etwas. Diese Interessen können ausgezeichnete Navigationssysteme sein: Unter deren Lenkung und Leitung kann viel Lernen und viel Hirnentwicklung stattfinden. Es lohnt sich, immer wieder zu eruieren, wo die Interessen der Lernenden liegen, und sich bei der Gestaltung von Lernsituationen durch diese leiten zu lassen.

Emotionen Anna und Sven haben sich emotional für ihre Interessen entschieden. Viele emotional wichtige und gute Stunden lang haben sie mit jemandem in der Familie zusammen „Welten“ erkundet: Anna hat dies gerne über Bilderbücher getan, Sven über Spielsachen und Alltagsgegenstände. Gleichzeitig und unbewusst haben sie sich mit ihren Entscheidungen für etwas, allerdings auch gegen etwas anderes entschieden, und so üben technische Dinge auf Sven eine Faszination aus, auf Anna aber überhaupt nicht. Anna hat sich „gegen Technisches“ entschieden, als sie sich für Bücher entschied, und Sven gerade umgekehrt.

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Emotionen sind entscheidend für das Lernen. Jede Entscheidung, etwas zu lernen, wird aufgrund von Emotionen gefällt. Das zeigt die moderne Gehirnforschung (siehe Kapitel 3, „Neurowissenschaften, Denken und Lernen“). Man nimmt etwas wahr, möchte es kennenlernen (interessantes Thema) oder können (Radfahren) und entscheidet sich innerhalb Bruchteilen von Sekunden, das lernen zu wollen. Die Motivation ist da, und die Anstrengungsbereitschaft ist groß, wenn einen eine Sache interessiert. Das Gegenteil ist der Fall, wenn man zum Schluss kommt, etwas nicht lernen zu wollen: von Motivation und Anstrengungsbereitschaft keine Spur. Darum ist es sehr wichtig zu versuchen, Lernende für das zu interessieren, was für ihre Lebensbewältigung wichtig ist, auch wenn es sie vielleicht (noch) nicht interessiert. Das können Unterrichtsinhalte, Strategien zur Lebensbewältigung oder exekutive Funktionen sein.

Motivation Anna ist sehr motiviert, Englisch zu lernen, hat aber weniger Motivation für naturwissenschaftliche Fächer. Sie lässt sich Technik gefallen, wenn sie für etwas wichtig ist: Sie schreibt SMS, benutzt ihren iPod und kommt mit der Küchenmaschine klar, wenn sie einen Kuchen backen will. Sven hingegen ist interessiert an technischen und naturwissenschaftlichen Dingen, aber wenig an Lesen und Schreiben. Manchmal sieht man ihn in ein Sachbuch vertieft, mit dem er etwas Neues lernen will. So haben beide ihre Motivation aufgebaut, Dinge zu tun, die sie interessieren.

Die Motivation ist von ganz spezieller Bedeutung für das Lernen und die Entwicklung. Was Menschen interessiert und motiviert, machen sie gut. Was sie nicht interessiert, das gelingt ihnen nur selten gut. Viele Lernende mit Schulschwierigkeiten haben heute enorme Motivationsprobleme, die es ihnen unmöglich machen, sich für Aufgaben zu engagieren, die ihnen aufgetragen wurden und die sie nicht interessieren. Carol Dweck (2007) und ihre Forschergruppe haben über Jahre hinweg die Zusammenhänge von Motivation und Leistung erkundet und interessante Konzepte entwickelt, um mit diesen Problemen fertig zu werden.

Lernen und Gedächtnis Lernen bedeutet aus der Sicht der kognitiven Psychologie, sich neues Wissen oder neue Prozeduren anzueignen. Man lernt, wann die Französische Revolution stattfand oder wie viel dreimal acht ist (Faktenwissen). Man lernt aber auch andere Dinge, wie Radfahren, Tanzen oder Schwimmen (prozedurales Wissen). Man lernt etwas Neues kennen, oder man übt etwas Bekanntes. Je nachdem, was man lernt, laufen andere 18


kognitive Prozesse ab, und andere Gehirnregionen sind aktiv (siehe Kapitel 3, „Neurowissenschaften, Denken und Lernen“). Lernen ist nach Stebler, Reusser und Pauli … ein aktiver, konstruktiver, kumulativer und zielorientierter Prozess, der in Lerngemeinschaften und in bestimmten Kontexten abläuft und metakognitiv gesteuert wird“ (1994, 232). Die Speicherung des Gelernten ist aus kognitionspsychologischer Sicht ein entscheidender Teil des Lernprozesses. Dinge, die man gleich wieder vergisst, betrachtet man als nicht gelernt. Die Neurowissenschaften zeigen genauer auf, wie Lernen und Speichern vor sich geht (siehe Kapitel 3, „Neurowissenschaften, Denken und Lernen“).

Entwicklungspsychologische Perspektive Sven baute, als er etwa fünf Jahre alt war, aus Klötzen gerne hohe Türme, die jedoch manchmal zusammenstürzten. Eines Tages berichtete er: „Also, wenn ich alle Klötze schön aufeinanderstelle, dann fällt der Turm nicht so leicht um.“ Anna spielte mit fünf Jahren gerne mit Puppen. „Es ist Sonntag. Wir gehen in den Zoo.“ Das war eine favorisierte Situation. Zusammen mit ihren Freundinnen plante sie das Ereignis ganz genau: „Also, erst müssen sie sich anziehen, dann etwas Gutes essen. Dann erst können sie gehen. Sind alle richtig angezogen? Oh, da fehlen die Schuhe: Zieh die Schuhe an, mein Kind!“ Sven zieht aus seinen Handlungen Schlussfolgerungen. Anna übt die Handlungsplanung, -überwachung und -kontrolle. Diese hilft ihnen beiden, ihre exekutiven Funktionen zu verbessern. Sie haben viel gelernt. Heute lernen und üben sie mit anderen (altersentsprechenden) Handlungen dasselbe.

Im Verlauf der Entwicklung werden exekutive Funktionen Schritt für Schritt aufgebaut. Im Idealfall bietet das Leben genügend passende Herausforderungen, damit sich diese entwickeln können. Während man früher davon ausging, dass solche Fähigkeiten erst mit zwölf bis 13 Jahren vorhanden seien und vorher nicht im Bereich des Möglichen, weiß man heute, dass diese sich bereits im Alter von wenigen Monaten zu entwickeln beginnen (Moran & Gardner, 2007). Sven und Anna haben gezeigt, wie das im Alter von fünf Jahren aussehen kann. Es gibt natürlich viele Menschen (Kinder, Jugendliche und Erwachsene), die Dinge tun, ohne vorher zu überlegen und ohne aus ihren Handlungen zu lernen. Diese brauchen Unterstützung, um ihre exekutiven Funktionen aufzubauen.

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Exekutive Funktionen Exekutive Funktionen bedeuten die komplexen kognitiven Prozesse, die zielgerichtetes Verhalten ermöglichen (Denckla, 2007). Sie sind Prozessvariablen und umfassen Planungs-, Überwachungs- und Kontrollaktivitäten. Wie man exekutive Funktionen entwickeln kann, fassen Moran und Gardner in den drei Wörtern „Hill, skill, and will“ zusammen (Moran & Gardner, 2007, 19). „Hill“ meint das Ziel, „skill“ die Fertigkeit, es anzupacken, und „will“ den Willen, das zu tun. Diese prägnante Abkürzung drückt auf einfache Weise aus, was wichtig ist für das Lernen und die Entwicklung exekutiver Funktionen, nämlich: • das Ziel klar vor sich zu sehen und es anzupeilen („hill“), • über die nötigen Fertigkeiten zu verfügen oder sie zu entwickeln, um den Weg zu gehen („skill“), • den Willen aufzubauen und zu erhalten, um dem Ziel näherzukommen („will“). Svens „hill, skill, and will“ ist sein Wunsch, eine so interessante berufliche Tätigkeit wie sein Vater auszuüben („hill“), seine Fähigkeit und Fertigkeit, logische Sachverhalte zu verstehen, und seine Fertigkeit, solche Informationen zu verarbeiten („skill“), und schließlich sein Wille, dieses Ziel zu erreichen und es bei Rückschlägen nicht aus den Augen zu verlieren („will“). Annas „hill, skill, and will“ ist ihr Ziel, mit Sprachen die Welt zu erfahren und zu verstehen („hill“), ihre guten Lernfertigkeiten („skills“) und ihr unerschütterlicher Wille, auf ihr Ziel hinzuarbeiten („will“).

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3. Neurowissenschaften, Denken und Lernen: Die Sichtweise der Neurowissenschaften Lernende als Architekten ihres Gehirns. Neurowissenschaftliche Grundlagen des Lernens. Entwicklungspsychologische Perspektive. Exekutive Funktionen. Pädagogische Konsequenzen Was die Neurowissenschaften zum Thema exekutive Funktionen heute denken und meinen, wird im Folgenden dargestellt.

Lernende als Architekten ihres Gehirns Die modernen Neurowissenschaften zeigen, dass das Gehirn wohl das lernfähigste Organ des Menschen ist. Zwar kommt man mit einer gewissen Ausstattung zur Welt (Anlagen, Gene), aber ohne Umwelt läuft wenig. Nicht einmal alle Gene können sich ohne die entsprechenden Umweltbedingungen ausdrücken (exprimieren). Wäre Anna in Svens Familie geboren worden, würde sie sich wahrscheinlich mehr für Naturwissenschaften interessieren. Sven seinerseits würde sich mehr für Sprachen interessieren, wenn in seiner Familie Sprachen eine größere Rolle spielen würden.

Wir können lernen, solange wir leben, zwar nicht immer gleich leicht und nicht immer gleich viel, aber prinzipiell immer. Es gibt „Zeitfenster“, in denen spezifische Entwicklungsbereiche besonders leicht Fortschritte machen, so zum Beispiel die für die sprachliche und die motorische Entwicklung: Zeiten, in denen die Entwicklung in diesen Bereichen sehr leicht und gut vonstatten geht.

Neurowissenschaftliche Grundlagen des Lernens • Synapsen (Verbindungen zwischen Nervenzellen) Synapsen werden zeitlebens gebildet, in gewissen Altersphasen allerdings vermehrt (Kindheit, Jugend). Diese erlauben neue Verbindungen, die neue Denkwege ermöglichen, allerdings nur, wenn sie ständig gebraucht werden. Nicht gebrauchte Synapsen werden wieder gelöscht („pruning“).

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Anna hat unzählige Stunden mit Mutter, Vater und Geschwistern Bilderbücher angeschaut sowie Dinge und Situationen benannt. Viele Synapsen wurden gebildet und nicht gelöscht, weil sie ständig gebraucht wurden.

• Gute Synapsenfunktion Synapsen sind nur nützlich, wenn sie gut funktionieren. In heilpädagogischen Arbeitsfeldern ist häufig von nicht optimal funktionierenden Synapsen auszugehen (zum Beispiel ADS, Lernstörungen, Lernbehinderungen). Die Funktion der Synapsen beruht auf komplexen und störungsanfälligen chemischen und elektrophysiologischen Prozessen, die durch wiederholte Durchgänge gefestigt werden können. Sven hat als Baby zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern mit Klötzen und Autos hantiert, und er hat physikalische Gesetze ausprobiert (Klotz loslassen – Klotz fällt herunter). Er hat in anderen Teilen seines Gehirns Synapsen aufgebaut und diese wieder und wieder gebraucht. So funktionieren diese bis heute gut. Würde er das Interesse an solchen Fragen verlieren, würden diese wieder verloren gehen.

• Plastizität Das Gehirn kann sich ständig entwickeln (sich an neue Gegebenheiten anpassen). Allerdings tut es dies nur, wenn es angemessen gebraucht wird. „Gehirnfreie Zeiten“ sind nicht entwicklungsfördernd. Wissenschaftliche Versuche haben gezeigt, dass sogar Ferien ausreichen, um die Hirnleistungen zu reduzieren (Lehrl, 2002). Anna und Sven haben unterschiedliche Gehirnstrukturen besonders gut entwickelt. Andere hätten an ihre Stelle treten können. Und andere können auch immer noch an deren Stelle treten und zu wichtigen Strukturen sich entwickeln. Hätten sie ihr Gehirn nicht so sehr gebraucht und viele „gehirnfreie Zeiten“ gehabt, hätten sich ihre Fähigkeiten und ihre exekutiven Funktionen nicht so gut entwickelt.

• Reifung und aktive Entwicklung Beides gehört gleichermaßen zum Lernen. Manche Prozesse beruhen mehr auf der Reifung (zum Beispiel bedarf es zur Ausbildung der Kontrolle der Blasen- und Darmfunktion einer Entwicklung in gewissen neuronalen Netzwerken, der sogenannten Myelinisierung), andere mehr auf Impulsen von außen (zum Beispiel soziales Lernen). Anna und Sven haben aus ihrer Umwelt viele Impulse bekommen und mit diesen ihre Fähigkeiten entwickelt.

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• Gene und Umwelt Die früher hitzig geführte Debatte, ob Gene oder die Umwelt für die Entwicklung verantwortlich seien, hat sich in den letzten Jahren etwas abgekühlt. Viele Arbeiten haben klargemacht, dass im Bereich von kognitiver, emotionaler und sozialer Entwicklung Gene ohne die entsprechende Umwelt wenig ausrichten können. Gene sind auf die richtigen Impulse aus der Umwelt angewiesen, um sich auswirken zu können. Anna hätte sich genauso gut in Richtung Naturwissenschaften entwickeln können wie Sven in Richtung Sprachen. Dass sie es auf ihre Weise und nicht anders getan haben, hat mit den Impulsen aus ihrer Umwelt und mit ihren Begabungen zu tun.

• Verschiedene neuronale Netzwerke sind am Lernen beteiligt Je nach Entwicklungsbereich (zum Beispiel motorische oder sprachliche Entwicklung) oder Lernthema (Mathematik, Werken) sind auch andere Hirnareale involviert. Es gibt ganz unterschiedliche Spezialisierungsgrade, angefangen mit kleineren Netzwerken, die beispielsweise das Krümmen des linken Zeigefingers steuern (motorischer Cortex), bis hin zu sehr großen Netzwerken (zum Beispiel Frontallappen), die für die Handlungsplanung zuständig sind. Für heilpädagogische Arbeitsfelder von besonderer Bedeutung sind Netzwerke, die für die Sprachentwicklung, die Entwicklung mathematischer Fähigkeiten, die sozial-emotionale Entwicklung oder die Handlungsplanung und Handlungssteuerung zuständig sind. Sven und Anna brauchen kleinere und größere Netzwerke, um gut lernen zu können.

• Bindung Ein Gehirn kann sich nur gesund entwickeln, wenn der Mensch Personen hat, an die er sich binden kann. Joachim Bauer hat in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit“ (2006) ganz eindrücklich aufgezeigt, wie wichtig dies ist. Vernachlässigte Kinder in früheren und heutigen Tagen demonstrieren, was geschieht, wenn diese wichtigen Beziehungen fehlen (Kaspar Hauser, Wolfskinder oder Waisenkinder in Rumänien). Dieselbe Geschichte, von einer Bildschirmfigur erzählt, kann nicht dieselben Auswirkungen haben, wie wenn sie von der Mutter oder vom Vater erzählt wird. Es gibt kein Motivationsprogramm im Fernseher oder am Computer, das so wirkungsvoll wäre wie die Motivation durch Eltern oder Lehrpersonen. Anna und Sven haben Glück: Sie haben Eltern, die Bindung (und damit auch Lernen) ermöglichen. Auch haben sie Lehrpersonen und Freunde, die sie unterstützen.

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• Emotion und Kognition Ohne Emotion ist keine Kognition möglich. Jeder (auch unbewusste) Entschluss zu lernen wird auf einer emotionalen Basis vollzogen: Treffen Lernimpulse auf das Gehirn (zum Beispiel Wahrnehmungen über das Auge oder das Ohr), wird in einer Region, die Gefühle und Lernen verarbeitet (limbisches System, vor allem Amygdala und Hippocampus), innerhalb kürzester Zeit (und ausschließlich emotional!) entschieden: „Gut! Das will ich lernen!“ Je nachdem, wie diese Entscheidung ausfällt, fällt das Lernen leicht, oder es kann zu Lernproblemen kommen. Annas bunte Bilderbücher sowie Svens spannende Autos und Bauklötze passierten diese entscheidende Struktur mit dem Resultat, dass beide Kinder hier ihr Interesse entwickelten.

Das körpereigene Belohnungssystem (Dopaminsystem) ist für das Lernen und die Entwicklung sehr wichtig. Ist es aktiviert, haben die meisten Menschen „Lust zu lernen“, weil es ja eine Belohnung gibt. Wie man heute weiß, reicht bereits die Aussicht auf eine Belohnung, um das Dopaminsystem (Belohnungssystem) zu aktivieren (Bauer, 2007). Die Entwicklung von funktionierenden Belohnungsanreizen muss hochgradig individuell erfolgen, denn was für die eine Person eine Belohnung darstellt, ist für die andere wirkungslos oder sogar abschreckend. Für Anna und Sven war das Interesse ihrer Umwelt an gemeinsamem Schauen oder Tüfteln motivierend. Sie vertieften sich in diese Felder und wurden immer wieder von außen (Familie) und innen (Fortschritte, Entdeckungen) belohnt.

• „Gute Emotionen“ Diese unterstützen das Lernen. Emotionen verarbeitende Systeme schließen sich zusammen und bilden ein positives und ein negatives Netzwerk. Ist das positive aktiviert, fühlt man sich gut (Bauer, 2002), und das Lernen läuft prächtig. Bei Aktivierung des negativen Netzwerks ist dagegen alles schwierig. Man kann das Netzwerk zwar wechseln, muss dazu aber aktiv werden und etwas dafür tun. Überlegungen wie oben zum Belohnungssystem können auch hier hilfreich sein. Sven und Anna haben ihre Bereiche, in denen sie diese positiven Emotionen spüren. Sie haben aber auch andere, in denen es ihnen ziemlich schwerfällt, weil die positiven Emotionen fehlen oder weil gar negative im Vordergrund stehen. Diese Hindernisse können sie aktiv überwinden: Sie können versuchen, sich umzustimmen.

• Motivation Auch aus neurowissenschaftlicher Sicht spielt beim Lernen die Motivation eine herausragende Rolle. Motivation entsteht in den Belohnungssystemen im Gehirn 24


und wird durch den Botenstoff Dopamin gesteuert. Wer sich für nichts motivieren kann, hat meist einen Dopaminmangel. Wenn mehr Dopamin zur Verfügung steht, kann Motivation leichter aufgebaut werden. Durch Medikamente kann dies beeinflusst werden. Aber auch pädagogische Maßnahmen können sehr wirksam sein. Annas Dopaminstoffwechsel scheint bei Tätigkeiten, die mit Sprachen zu tun haben, gut aktiviert zu sein. Dagegen kommt sie bei naturwissenschaftlichen Themen ziemlich wenig motiviert und nur schleppend voran. Bei Sven verhält es sich umgekehrt.

Lernen und Gedächtnis • Bewusstes und unbewusstes Lernen Höhere kognitive Tätigkeiten und die Erarbeitung von Neuem (zum Beispiel Vokabelnlernen, Problemlösen) erfordern viel bewusstes Lernen. Je besser man etwas beherrscht, desto mehr wird es automatisiert, und es läuft nicht mehr so bewusst ab. Die neurowissenschaftliche Forschung bestätigt Freuds Annahme, dass es viel unbewusstes (implizites) Lernen gibt. Wir lernen viel mehr, als wir wissen oder ahnen. Das implizite Lernen kann sich im Guten und im Schlechten als überaus hartnäckig erweisen. Sven und Anna haben ihre Zuneigungen und Abneigungen teilweise bewusst, teilweise unbewusst gelernt.

• Arbeitsgedächtnis Das Arbeitsgedächtnis hält verschiedene Informationen präsent, mit denen wir weiterarbeiten können. Es kann Informationen nur für kurze Zeit festhalten und bildet eine wesentliche Voraussetzung für das Langzeitgedächtnis. Man sieht das Arbeitsgedächtnis heute als System, das aus einer phonologischen Schlaufe und aus einem visuellen Speicher besteht. Es hat die Funktion eines Notizblocks, mit dem man sich wenige Informationen für kurze Zeit merken kann. Idealerweise benutzt man beide Systeme, bei vielen Menschen mit Lernschwierigkeiten ist jedoch der eine oder andere Teil beeinträchtigt. Anna kann sich leicht ein paar englische Wörter merken, egal, ob sie sie gehört oder gesehen hat. Sven kann sich verschiedene Zwischenresultate beim Rechnen oder beim Konstruieren merken und mit ihnen weiterarbeiten. Der Zehnerübergang, für viele ein Problem, hat ihm noch nie Mühe bereitet.

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• Gedächtnissysteme Auch beim Gedächtnis sind die Emotionen sehr wichtig, denn sie werden in eng miteinander verbundenen Hirnarealen (Hippocampus, Amygdala) verarbeitet. Man unterscheidet heute vier bis fünf hierarchisch organisierte Gedächtnissysteme (Brand & Markowitsch, 2006, 62). • Episodisches Gedächtnis Dieses speichert die Lebens- und Lerngeschichte. Es ist eng gekoppelt mit Regionen, die Emotionen verarbeiten, und es speichert recht robust. Es ist ein bewusstes Gedächtnissystem. Sven erinnert sich an viele Spiele und Experimente mit Klötzen und Autos, die er mit seinem Vater durchgeführt hat. Anna erinnert sich an unzählige Stunden auf dem Sofa, in denen man ihr ihr Lieblingsbuch vorgelesen hat.

• Semantisches Gedächtnis Das semantische Gedächtnis speichert Faktenwissen (das Einmaleins oder wie Hund auf Englisch heißt) und ist ebenfalls bewusst. • Perzeptuelles Gedächtnis (Tulving & Markowitsch, nach: Brand & Markowitsch, 2006) Dieses ermöglicht das Erkennen von verschiedenen Reizen aufgrund eines Vertrautheitsgefühls. Es gilt als präsemantisch, das heißt, es kommt einem zwar etwas bekannt vor, es ist einem jedoch nicht bewusst, woher man den Reiz kennt. Ein naturwissenschaftliches Problem löst bei Sven dieses Vertrautheitsgefühl aus, ein englischer Text tut dasselbe bei Anna.

• „Priming“ „Priming“ hilft, unbewusst Wahrgenommenes sehr schnell zu erkennen: Ein Auslöser reicht, um sich an die Ferien zu erinnern. Man kann einen Song anhand weniger Töne erkennen oder in die Erinnerungsschlaufe „Schulerfahrungen“ kommen, wenn man ein Schulhaus betritt und dessen Geruch wahrnimmt. Das „Priming-System“ ist unbewusst. Viele traumatische Erlebnisse sind in diesem Gedächtnissystem gespeichert. Vielleicht werden traumatische Erlebnisse (zum Beispiel Misserfolge) rund um Sprache bei Sven Spuren im „Priming-System“ hinterlassen. Bei Anna könnte das Gleiche mit naturwissenschaftlichen Inhalten geschehen sein.

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• Prozedurales Gedächtnis Dieses Gedächtnissystem speichert Bewegungsmuster und andere automatisierte Inhalte. Es speichert Routinehandlungen, wie motorische Fähigkeiten (zum Beispiel Radfahren), und ist gänzlich unbewusst.

Entwicklungspsychologische Perspektive Exekutive Funktionen sind auf einen funktionsfähigen und gut entwickelten Frontallappen angewiesen. Dieser entwickelt sich im Leben eines Menschen als Letztes. Man geht heute davon aus, dass die Entwicklung bis zum Alter von 25 oder 30 Jahren stark vonstatten geht, danach im Wesentlichen abgeschlossen ist und dann nur noch wenig Spektakuläres möglich ist. Die exekutiven Funktionen bei jüngeren Kindern sind also normalerweise noch nicht so gut entwickelt. Das heißt allerdings nicht, dass sie bei diesen nicht auch in Ansätzen vorhanden sind. Nein, sie können auch in jüngerem Alter gefördert werden. Und auch beim Älterwerden ist der Frontallappen sehr wichtig: Er baut sich relativ spät auf und im Alter relativ früh ab, wenn man ihn nicht genügend braucht. Der Satz „Use it or loose it!“ gilt für den Frontallappen und die exekutiven Funktionen in ganz besonderem Maße. Jeder Impuls zur Entwicklung exekutiver Funktionen ist ein Entwicklungsimpuls für den Frontallappen. Je mehr Impulse er erhält, desto besser wird er sich ausbilden können. Sven und Anna sind beide in einem Alter, in dem die Entwicklung ihrer exekutiven Funktionen sehr gut möglich und sehr nötig ist. Impulse, die sie erhalten, entfalten eine große Wirkung.

Pädagogische Konsequenzen Für die pädagogische Arbeit bedeutet dies: • „Üben macht den Meister!“ Was man können will, muss man oft tun. • Ein gutes emotionales Lernklima erleichtert das Lernen. • Emotionen ermöglichen und unterstützen das Lernen (Themenwahl und kleine Erfolge motivieren). • Vorsicht vor unbewusstem Lernen! (Wenn vergessene Hausaufgaben keine Konsequenzen haben, lernen Schüler, dass diese nicht wichtig sind.) • Es ist wichtig, sich anstrengen zu lernen und bewältigte Anstrengungen positiv zu bewerten. • Das semantische Gedächtnis mit dem episodischen zu verknüpfen, erleichtert das Behalten (Faktenwissen mit eigenem Erleben verbinden, „das Einmaleins erlebbar machen“). 27



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