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Rolf Dubs

Normatives Management Ein Beitrag zur einer nachhaltigen Unternehmensf端hrung und -aufsicht

3., umfassend 端berarbeitete Auflage

HAUPT VERLAG

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3. Auflage: 2015 2. Auflage: 2012 1. Auflage: 2010 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-258-07927-1 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2010 by Haupt Berne Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Gestaltung und Satz: Daniela Vacas Printed in Germany www.haupt.ch

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Geleitwort

Mit der Schriftenreihe «VR- und GL-Praxis» wollen wir die wichtigsten Untersuchungsergebnisse unseres International Center for Corporate Governance (www.icfcg.org) einem Fachpublikum vorstellen. Unser «New Corporate Governance»-Ansatz beinhaltet folgende Empfehlungen: –  Keep it situational –  Keep it strategic –  Keep it integrated –  Keep it controlled Die hier vorliegende Schrift ist dem zweiten Grundsatz «Keep it strategic» zuzuordnen. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat eines aufgezeigt: Die quartals­ orientierte Shareholder-Maximierung und Wirtschaftsethik sind unvereinbar. Zu den erfolgreichsten Unternehmen gehören in den meisten Ländern Familiengesellschaften, bei denen Familyness einen Wettbewerbsvorteil ­ ­darstellt, sowie vereinzelt transnationale Unternehmen (wie z.B. Nestlé oder Johnson & Johnson). Was ist diesen gemeinsam? Sie vertreten alle einen nachhaltigen «Shared Value-Ansatz». Dabei werden gemäss der nachfolgenden Abbildung bei allen wichtigen Unternehmensentscheiden immer gleichzeitig die Ansprüche der Kunden, Eigentümer, Mit­ arbeitenden und der Mitwelt berücksichtigt.

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Shareholder-Orientierung

Globaler Shareholder Value-Ansatz Top Executives

«Glokaler» Shared Value-Ansatz Aktionäre Kunden Personal Mitwelt

Aktionäre Kunden Kreditoren

Lokaler Stakeholder Value-Ansatz

Personal

Kreditoren Personal (inkl. Top Executives) Kunden Gesellschaft Aktionäre

Corporate Governance-Ansätze Stakeholder-Orientierung

Die meisten Corporate Governance-Richtlinien für börsenkotierte Unternehmen basieren auf dem Shareholdermaximierungsansatz, der wirtschafts­ ethisches Verhalten vernachlässigt. Es verwundert deshalb nicht, dass der Südafrikanische King III Report weltweit zu den wenigen Ausnahmen gehört, der sowohl den Shared ValueAnsatz als auch wirtschaftsethisches Verhalten postuliert (vgl. 2.2.3.3). In dieser neuen Ausgabe unserer Schriftenreihe stellt Rolf Dubs, der über langjährige Erfahrung mit Erfolgsausweis als Präsident und Mitglied des Verwaltungsrats zahlreicher namenhafter Unternehmen im In- und Ausland verfügt, einen Beitrag zu einer nachhaltigen Führung und Aufsicht von Unternehmen vor.

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Ob Unternehmen in Zukunft zu den Gewinnern oder Verlierern im Zuge des weltweiten Wandels gehören, hängt vor allem von der Wahl des Werteansatzes ab. St. Gallen, Juni 2015 Martin Hilb Herausgeber der Schriftenreihe «VR- und GL-Praxis»

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Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

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Vorwort zur dritten Auflage 1 1 Denkmodelle der Unternehmensführung 5

1.1 Problemlage 5 1.2 Das traditionelle, eindimensionale Verständnis der Unternehmung 6 1.3 Ein neues integratives Unternehmensmodell 9 1.4 Zielkonflikte als Merkmal ganzheitlich vernetzter Unternehmensführung 10 1.5 Strategisches und normatives Denken 12 1.6 Der Weg zu nachhaltigen Unternehmensstrategien 13 1.7 Definition der Nachhaltigkeit 14 1.8 Standpunkte zum normativen Management und Erkenntnisse aus juristischer Sicht und empirischen 16 Studien 1.8.1 Juristische Einwände gegen das normative Management aus der Sicht der Principal-Agent-Theorie 16 1.8.1.1 Die Principal-Agent-Theorie 16 1.8.1.2 Die Argumentation der Vertretenden der Principal-Agent-Theorie 17 1.8.2 Erkenntnisse aus empirischen Arbeiten 23 1.9 Folgerungen für Führungskräfte 25 1.10 Die entscheidende Fragestellung 28

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2 Orientierungshilfen für das normative Management 29

2.1 Die Wirtschaftsethik 29 2.1.1 Ansatz 29 2.1.2 Die drei Ansätze der Wirtschaftsethik 30 2.1.2.1 Übersicht 30 2.1.2.2 Korrektive Wirtschaftsethik 30 2.1.2.3 Funktionalistische Wirtschaftsethik 31 2.1.2.4 Integrative Wirtschaftsethik 32 2.1.3 Folgerungen für Führungskräfte 36 2.2 Bisherige Aktivitäten bezüglich des normativen Managements von Unterneh­mungen 37 2.2.1 Übersicht 37 2.2.2 Code of Conduct (Code of Ethics) 38 2.2.3 Code of Corporate Governance 40 2.2.3.1 Grundlagen 40 2.2.3.2 Der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance 42 2.2.3.3 Der «King Code of Governance for South Africa 2009» 44 2.2.4 Initiativen zur Umschreibung der Corporate Social Responsibility 48 2.2.4.1 Grundlagen 48 2.2.4.2 Ziele der UNO für eine nachhaltige Entwicklung 49 2.2.4.3 World Ethos Declaration 52 2.2.4.4 Principles for Responsible Investment (PRI) 54 2.2.4.5 Aktionsplan zur gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen des schwei­zerischen Bundesrates 55

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3 Das Problem der Definition der Nachhaltigkeit 57

3.1 Gegebenheiten 57 3.2 Die Operationalisierung der Nachhaltigkeit 57 4 Normatives Management in der Unternehmenspraxis: Strategische Planung und alltägliche operative Führung 61

4.1 Vorbemerkung 61 4.2 Zusätzliche Anforderungen an Verwaltungsräte im Hinblick auf das normative Management 61 4.3 Die Wertfragen im normativen Management 63 4.4 Anregungen für die Praxis des normativen Managements 64 4.4.1 Gesamtverantwortung einer Unternehmung 64 4.4.2 Überlegungen zur Strategie-Entwicklung 65 4.4.3 Ein Modell zur Reflexion normativer Fragen 74 4.5 Abschliessende Bemerkungen zur Praxis 75

5 Die Bewertung der Bemühungen um das normative Management 77

5.1 5.2 5.3 5.4

Ziel der Bewertung des ESG und deren Gestaltung 77 Ansätze zum ESG-Rating 78 Quantitatives ESG-Rating 79 Qualitatives ESG-Rating 84

6 Nachwort

87

6.1 Grundsätzliches 87 6.2 Die Fähigkeit zur Reflexion 90 6.3 Notwendigkeit des ganzheitlichen Denkens in der gesamten Wirtschaft 93 6.4 Gedankenanstösse für Leitungsorgane von Unternehmungen 95 Literaturverzeichnis

97 Inhaltsverzeichnis XI

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Vorwort zur dritten Auflage

Die Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die zunehmenden Verunsicherungen in der Weltwirtschaft haben wachgerüttelt, und die Idee einer allseitig ausgleichenden sozialen Marktwirtschaft ist ins Wanken gekommen. Dass Leitungsorgane und Führungskräfte von Unternehmungen dafür mitverantwortlich sind, ist wohl unbestritten. Zu linear und zu unbedacht wachstumsorientiert war vielerorts das strategische Denken und Planen. Verstärkend wirkten zweifellos auch die Rücksichtslosigkeit und die Gier von vielen aber bei weitem nicht allen Managern. Der Ärger breiter Bevölkerungskreise über den Glauben an die Wirksamkeit der Selbstregulierung der Marktwirtschaft vieler Wirtschaftsleute, über das unbedachte, an kurzfristigen Zielen orientierte Handeln vieler Führungskräfte sowie über bereits wieder sichtbare fragwürdige Grundhaltungen von Managern (man denke an die kleine Zahl von Bankern, welche bereits wieder masslose Boni fordern oder an Unternehmungen, in denen die Gehälter der oberen Führungskräfte trotz unbestimmten konjunkturellen Aussichten stärker steigen als die Löhne der übrigen Mitarbeitenden), ist verständlich. Ebenso ärgerlich sind aber die vielen Reaktionen der breiten Bevölkerung und der Politik, welche oft vorurteilsgeladen, unbedacht, undifferenziert und sinnlos polarisierend und zu einem Aktionismus führen, der mehr schadet als nützt. Zu denken ist dabei an die folgenden Erscheinungen: –  Die sich häufenden Forderungen nach vielen kleinlichen Regulierungen durch den Staat: Vieles wäre nicht nötig, wenn es der Politik gelänge, gute Rahmenbedingungen für die Entwicklungsmöglichkeiten der Unternehmungen und eine faire Behandlung aller Menschen zu schaffen. Stattdessen wird punktuell und kleinlich reglementiert, obschon bekannt ist, dass

Vorwort 1

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jede Regulierung nach weiteren Vorschriften ruft und damit die dringend nötige Flexibilität für die Wirtschaft verloren geht. –  Der Ruf nach Einbezug der Wirtschaftsethik in alle wirtschaftlichen Entscheidungen verbreitet sich immer mehr. Er ist auch berechtigt. Nur überlegen viele Leute nicht, was die Wirtschaftsethik zur Klärung und Lösung der gegenwärtigen Probleme beitragen kann, und wo auch sie Begrenzungen unterliegt oder an Grenzen stösst. Wie häufig werden unter Bezug auf die Wirtschaftsethik Vorschläge unterbreitet, welche wohl idealistisch aber in keiner Weise reflektiert und ganzheitlich begründet sind sowie nachweisbaren ökonomischen Sachzwängen keine Rechnung tragen. Ganz abgesehen davon, dass viele Vertreter die Wirtschaftsethik mit ihren Möglichkeiten und Grenzen gar nicht richtig in das Gesamtsystem der Wirtschaft einzubauen in der Lage sind. –  Viele Unternehmungen verfallen einem Aktionismus. Ein typisches Beispiel dafür sind die Codes of Conduct (Codes of Ethics). Für viele Leitungsorgane sind sie zu einer Pflichtübung verkommen, beschreiben für charakterfeste Führungskräfte Selbstverständlichkeiten oder sind sogar nur Abschriften oder Zusammenfassungen von Codes anderer Unternehmungen. Dass sie erst sinnvoll werden, wenn sie in ein ganzheitliches normatives Gesamtkonzept der eigenen Unternehmung (definierte Wertvorstellungen für alle Bereiche) eingebaut sind, wird häufig übersehen. Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility sind zu einem –  beliebten aber wenig klar definierten Schlagwort geworden. Ausgenommen davon sind die vielen Bemühungen von Unternehmungen im Interesse der ökologischen Umwelt. Häufig glauben Leitungsorgane auch, sie hätten den Forderungen Genüge geleistet, wenn sie öffentliche Institutionen unterstützen oder Sponsoring betreiben. Dies ist eine verkürzte Betrachtung. Entscheidend ist eine ganzheitliche Unternehmensführung, bei welcher das Gesamtverhalten der Unternehmung gegenüber allen Stakeholdern in einem vernünftigen Ausmass im Mittelpunkt steht. –  Und schliesslich eine Erscheinung, die in unserer Zeit immer typischer wird. Beratungsgesellschaften und Organisationen entdecken die Verdienstquellen «Evaluation» und «Zertifizierung». Und Börsenorgane unterstützen diese Entwicklung, indem das Verhalten bezüglich Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility einer jeden Unternehmung zu begutachten

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und/oder zu bestätigen ist. Dazu werden neuerdings Beurteilungsschemata entworfen. Dies ist an sich nicht verwerflich. Aber es besteht die grosse Gefahr, dass dadurch ein Scheinaktionismus entsteht, der letztlich wenig aussagekräftig ist, nicht zuletzt deshalb, weil alle Beurteilungsschemata eine Tendenz zum Erfassen von punktuellen Äusserlichkeiten haben, mit welchen der Blick für eine ganzheitliche Unternehmensführung, welche für die normative Seite der Gestaltung und Führung von entscheidender Bedeutung ist, verloren geht. Diese kleine Schrift beansprucht keine wissenschaftliche Originalität. Sie möchte nur zeigen, dass sich für die Unternehmensführung ein neues Management-Modell aufdrängt, das nicht mehr vom Prinzip der Gewinnmaximierung, sondern von einem «Gewinn unter Nebenbedingungen», d.h. unter der Annahme einer realistischen Berücksichtigung von Anliegen und Interessen aller Anspruchsgruppen, ausgeht. Diese Nebenbedingungen umfassen alle jene Kriterien, die über die rein ökonomische Maximierung hinausgehen und die Nachhaltigkeit sowie die Corporate Social Responsibility definieren und sicherstellen wollen. Sie bilden die Grundlage für das normative Management, das bewusst in die strategische Planung in einer Unternehmung einzubeziehen ist. Angeregt werden soll zum Nachdenken über den Einbezug normativer Aspekte bei der strategischen Gestaltung und Führung einer Unternehmung. Vorgelegt werden und können keine fertigen Lösungen. Jede Unternehmung muss ihr eigenes Verständnis des normativen Managements entwickeln. Und dazu bedarf es nebst einem ökonomischen Grundwissen Führungskräfte die ganzheitlich denken und charakterfest sind. St. Gallen, Juni 2015

Rolf Dubs em. Professor für Wirtschaftspädagogik Universität St. Gallen

Vorwort 3

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Denkmodelle der Unternehmensführung

1.1 Problemlage Es sind nicht nur die Manager, welche mit ihren Unternehmungen ein stetes Wachstum und steigende Gewinne anstreben, die ihnen Anerkennung, Ehre oder Macht und allenfalls hohe Boni bringen. Es sind vielmehr breite Kreise unserer Gesellschaft, die immer mehr wollen: Mitarbeitende beim Staat und in der Privatwirtschaft stets höhere Löhne, gesellschaftlich Be­nachteiligte bessere Sozialleistungen, Rentnerinnen und Rentner gesicherte Renten, welche weitgehend über Börsengewinne gesichert werden, Aktionäre höhere Dividenden und der Staat mehr Steuereinnahmen. Dadurch sind viele Unternehmen einem grossen Gewinndruck ausgesetzt, welcher durch Erscheinungen der modernen Zeit noch verschärft wird. Viele Kapi­talgeber erwarten vierteljährliche Geschäftsberichte, in den Vereinigten Staaten werden viele Dividenden immer noch vierteljährlich ausbezahlt, Analysten erhöhen den Druck mit Erwartungsaussagen, welche zwar sehr häufig unzuverlässig sind, aber doch grossen Einfluss auf das Gewinndenken haben, und die Wirtschaftspresse, welche gewinnstarke Unternehmun­gen besonders hervorhebt. Als Folge davon werden die Kursschwankungen an der Börse grösser, was neben Verlusten vor allem bei einseitig orientierten, ausschliesslich auf kurz­fristige Gewinne ausgerichteten Institutionen mit neuen Finanzinstrumenten Möglichkeiten zur rücksichtslosen Gewinnmaximierung bringt, ohne dass ein wesent­licher Beitrag zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung geleistet würde. Als Folge davon wird die Tätigkeit der Börsen immer häufiger kritisiert, übersehen wird aber gerne, dass Vieles von den Gewinnen der Unternehmungen und den darauf beruhenden Börsenkursen abhängt: Die Investitions­freu­de der Sparer, die Sicherheit der Renten und Pensionen oder ganz allgemein die Stimmung in der Wirtschaft.

Kapitel 1: Denkmodelle der Unternehmensführung 5

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Damit sollte deutlich geworden sein, dass Pauschalverurteilungen von Unternehmen und Managern zu kurz greifen, ganz abgesehen davon, dass viele Führungskräfte versuchen aus dem Teu­felskreis von rücksichtslosem Wachstum und vom kurzfristigen Gewinnmaximie­ rungs­ denken wegzukommen. Trotzdem sind angesichts der vielen Ansprüche aller Stake­hol­der im­mer noch viele Manager dem kurzfristigen Denken auf­grund des einzigen Kriteriums der Gewinnmaximierung auf kurze Frist verhaftet, und sogar Wissenschaftler entwickeln wei­ter­hin Modelle der Unternehmensführung mit diesem Denken. Dies neuerdings häu­figer unter Beachtung wirtschaftsethischer Überlegungen, welche jedoch nicht selten be­zwecken, das Ge­winnmaximierungsprinzip salonfähiger zu machen, ohne dass es aber zu ei­ner ver­tief­ten Auseinandersetzung über die Unzulänglichkeiten und die Fehlent­wicklungen der modernen Wirtschaft und Unternehmensführung käme. Notwendig sind nicht Rechtferti­gun­gen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklung, son­dern zu fordern ist ein neues Denken in der Unternehmensführung, das jedoch nicht zu sozialromantischen Schwärmereien ver­kom­men darf, sondern das geeignet ist, Fehlentwicklungen zu korrigieren, den vielen Wider­sprüchen im fordernden Verhalten aller Menschen gerecht zu werden, ohne die öko­no­mische Ratio­nalität ausser Acht zu lassen. Dazu ist vom traditionellen, eindimensionalen und linearen Denken zu einem ganzheitlichen Modell der Unternehmensführung überzu­gehen.

1.2 Das traditionelle, eindimensionale Verständnis der Unternehmung Das traditionelle, eindimensionale Verständnis der Unternehmung (siehe Abbildung 1) geht davon aus, dass sich die Unternehmungen einzig und allein an den Vorgängen in der öko­no­mischen Umwelt (an den Güter- und Dienstleistungsmärkten sowie den Arbeits- und Kapital­märkten) sowie in der technologischen Umwelt (Forschung und Produktentwicklung) orien­tieren und ihre Trends erfassen, um aufgrund einer solchen Analyse alle strategischen (langfristig prägenden) unternehmerischen Entscheide allein anhand des Kriteriums der Ge­winnmaximierung sowie der dauernden Erhaltung der Unternehmung zu treffen. Diese Vor­stellung beruht auf der allgemeinen Gleichge-

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Ziele

– Gewinnmaximierung –  dauernde Erhaltung

Denkweise – disziplinär – linear – rational-ökonomisch Probleme – Umwelt –  gesättigte Märkte –  veränderte Einstellung der Menschen Abbildung 1: Das herkömmliche Unternehmensmodell

wichtstheorie, welche besagt, dass auf per­fekten Märkten immer eine Tendenz zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage entsteht, wenn jede Gruppierung regelmässig nach einer Nutzenmaximierung, die Unternehmungen also nach ei­ner Gewinnmaximierung streben. Der Zwang zur Nutzen- und Gewinn­ maximie­rung ist nicht nur die Triebkraft für das unternehmerische Bemühen um eine maximale Pro­duktion mit fortwährenden Innovationen zu minimalen Kosten, sondern er will längerfristig auch sicher­stellen, dass alle Menschen die besten Chancen für ihren persönlichen Wohlstandsge­winn ha­ben. Sicher hat diese Denkweise den wirtschaftlichen Fortschritt der letzten hundert Jahre und damit den Wohlstand (die steigende Menge von verfügbaren Gütern und Dienstleistungen) gefördert. Inzwischen ist sie aber bei vielen Leuten zu einem Dogma geworden, das eine konfliktfreie Weiterentwicklung unserer Gesellschaft und Wirtschaft nicht mehr garantiert. Dies deshalb, weil das damit verbundene lineare und rein ökonomische, ausschliesslich auf die Gewinnmaximierung ausgerichtete Denken die Folgen der immer akuter werdenden ge­sell­schaft­lichen und wirtschaftlichen Probleme einer modernen Wohlstandsgesellschaft nicht mehr zu bewältigen vermag:

Kapitel 1: Denkmodelle der Unternehmensführung 7

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(1)  Schon früh förderte dieses lineare Denken die Massenproduktion. Um die Gewinnbasis zu erhalten, versuchten viele Unternehmungen gleiche Produkte in grösseren Mengen billiger herzustellen. Sie übersahen aber die zunehmende Überbeanspruchung der natürlichen Res­sour­cen sowie die Verschwendung auf Seiten der Konsumenten. Die ökologische Entwick­lung wurde zu einem Problem, das heute nach weiteren Massnahmen ruft. (2)  Es entstehen in einzelnen Ländern oder Branchen Überkapazitäten, welche aus Gründen der Arbeitsplatzerhaltung (sozialer Aspekt) nicht mehr durch Stilllegung von Betrieben be­seitigt werden können, sondern mittels wenig wirksamer staatlicher Subventionen durchzu­halten sind, was trotz den vermeintlichen Vorzügen des Marktes zu vielen wirtschaftlichen Ineffi­zien­zen führt und die Problematik eines oft notwendigen Abbaus von Arbeitsplätzen nicht beseitigt. (3)  Die Gewinnmaximierung hat zum kurzfristigen Denken verleitet und die langfristige, in­novative und strukturgerechte Weiterentwicklung von Unternehmungen in vielen Bereichen behindert. Dadurch sind viele Strukturprobleme in der Wirtschaft ungelöst geblieben. (4)  Weil nicht alle Menschen über die gleichen Gegebenheiten (Ausbildung, Berufswahl, Auf­stiegschancen usw.) verfügen, öffnet sich die soziale Schere: Einzelne Menschen werden bevorzugt, andere benachteiligt. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Bevölke­rung beginnen auseinanderzuklaffen, wenn auch in der Schweiz in einem geringeren Ausmass als in den meisten anderen Ländern. (5)  Moderne Entlöhnungssysteme (insbesondere Bonussysteme) fördern die kurzfristige Ge­winnmaximierung im Interesse der persönlichen und unbedachten Gier einzelner (nicht aller) Manager. (6)  Das nicht zuletzt unter dem Zwang der Gewinnmaximierung kurzfristiger werdende Den­ken und Handeln vieler Manager wird die Wirtschaft krisenanfälliger machen und immer wei­tere Bereiche in ihrer Stabilität bedrohen. Verschärfen wird sich diese Entwicklung durch gleich­ gerichtete Verhaltensweisen vieler Unternehmungen und Manager (optimistische und pessimistische Einstellungen), welche durch die Medien systematisch verstärkt werden, was die Instabilität fördert.

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(7)  Schwankungen in der Wirtschaftsentwicklung und unreflektiertes Verhalten von Mana­gern erhöhen die Skepsis vieler Menschen gegenüber marktwirtschaftlichen Systemen, die Kri­tik am Unternehmertum wird lauter, und es wird immer häufiger nach staatlichen Interven­tionen gerufen, welche nicht nur kostspielig sind, sondern auch die Effizienz der Wirtschaft nachweislich beeinträchtigen. Solche Fehlentwicklungen müssen mit einem neuen Unternehmungsmodell, welches auf eine Abkehr vom rein gewinnmaximierenden Denken auszurichten ist, überwunden werden.

1.3

Ein neues integratives Unternehmensmodell

Die eben nachgezeichneten Fehlentwicklungen lassen sich nur überwinden, wenn die Unter­nehmungen ihre Entscheidungen nicht mehr nur auf die Entwicklungen in der ökonomischen und der technologischen Umwelt ausrichten, sondern sie für ihre strategische Planung auch Erkenntnisse aus den Trends der sozialen Umweltsphäre (Mitarbeitende, Gesellschaft, Staat) und der ökologischen Umweltsphäre (natürliche Umwelt und Nachwelt) mit einbeziehen und sich nicht nur mit den Ansprüchen der Kapitalgeber (Shareholder), sondern auch aller anderen Anspruchsgruppen (Stakeholder) (Mitarbeitende, Lieferanten, Kunden, Staat, nicht gouverne­mentale Organisatio­nen) ausei­nan­der­setzen, sie also ihre strategischen Überlegungen an allen Umweltsphären und An­spruchsgruppen orientieren (siehe Abbildung 2) (ausführlich Dubs et al., 2009). Dies gelingt aber nur, wenn an Stelle der Gewinnmaximierung das Prinzip eines Gewinns unter Neben­bedingungen tritt. Gewinn bleibt ein konstituierendes Merkmal einer jeden marktwirt­schaft­li­chen Ordnung. Er muss langfristig so hoch sein, dass die Unter­nehmung dauernd erhalten bleibt (zielgerichtet abgeschrieben und ein angemessener Gewinn ausbezahlt werden kann, damit sich ein Investment lohnt). Dies bedingt ein ganzheit­liches (vernetztes) Denken in allen vier Umwelten und unter Einbezug der Ansprüche aller Anspruchsgruppen. Mit anderen Worten darf das unter­neh­me­rische Denken nicht mehr nur ökonomisch linear, sondern es muss ganzheitlich ver­netzt sein. Diese ganzheitliche Form unter­neh­merischen

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Denkens erschwert jedoch die unternehmeri­sche Ent­schei­dungsfindung, weil nicht mehr nur anhand der Zielsetzung Gewinnmaximierung ent­schie­den werden kann, sondern jeder unternehmerische Entscheid beinhaltet vielfältige Wider­sprüche infolge einer Vielzahl von Zielvorstellungen und Ansprüchen. Deshalb müssen sich die Leitungsorgane einer Unter­nehmung dauernd mit Zielkonflikten auseinandersetzen.

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Ziele

–  Gewinn unter Nebenbedingungen –  dauernde Erhaltung

Denkweise – interdisziplinär – vernetzt – ganzheitlichh Probleme – Zielkonflikte Abbildung 2: Ein ganzheitliches Unternehmensmodell

1.4 Zielkonflikte als Merkmal ganzheitlich vernetzter Unternehmensführung Ein Zielkonflikt liegt vor, wenn ein Problem auf verschiedene Weise gelöst werden kann, und keine Lösung allein richtig ist, sondern jede Lösung Vorteile und Nachteile hat. Je sorgfältiger alle Entwicklungstendenzen in den Umweltsphären und bei den Anspruchs­grup­pen in das unternehmerische Denken miteinbezogen werden, desto mehr Probleme entstehen, welche Zielkonflikte darstellen (siehe

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Abbildung 3). Einzig richtige (Patent-)Lö­sungen werden mit der Zunahme der Komplexität des unternehmerischen Geschehens immer seltener werden. Zu entscheiden ist anhand von vielen Kriterien, so dass jede Lösung Vorteile und Nachteile hat, welche bei der Entscheidungsfindung abzuwägen sind. An die Stelle von Patentlösungen treten verschiedene mögliche Lösungen, welche alle Zielkonflikte beinhalten. Deshalb müssen sich gute Manager in Zukunft durch einen gekonnten Umgang mit Ziel­konflikten auszeichnen. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Eine Unternehmung hat ein neues stark nachgefragtes Produkt entwickelt und kann es sofort auf den Markt bringen. Es ist ihr aber bewusst, dass dieses Produkt zu vie­len Abfällen führt und deshalb umwelt­ belastend wirkt. Orientiert sie sich nur am Prinzip der Ge­winnmaximierung, so ist der Ent­scheid einfach: Das Produkt wird auf den Markt gebracht. Beachtet sie aber die damit vor­han­denen Probleme in der ökologischen Umwelt, wird sie zu­nächst an der kostspieligen Weiter­ent­wicklung des Produkts zu einer besseren Umweltgerech­tig­keit arbeiten, so dass nicht mehr ein maximaler Gewinn, sondern nur noch ein Gewinn unter Neben­bedingungen im Interesse der Um­welt erzielt werden wird – eine Situation, die auch heute noch für viele Manager einen ernsthaften Zielkonflikt darstellt.

Problem

Lösung A

Lösung B

Lösung C

Vorteile Nachteile

Vorteile Nachteile

Vorteile Nachteile

Abbildung 3: Zielkonflikte

Die schwierigsten Zielkonflikte entstehen für viele Unternehmer und Manager immer dann, wenn sie aus persönlicher Verantwortung nicht einen maximalen, sondern einen Gewinn unter Nebenbedingungen anstreben: Sie stehen vor der Kernfrage der strategischen Ausrichtung ihrer Unternehmung.

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Bin ich als Verwaltungsrat und als Mitglied der Geschäftsleitung bereit, –  Gewinnbegrenzungen und als Folge davon allenfalls auch –  persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen, wenn ich mein Denken und Handeln in der Unternehmung an mehr als nur Gewinnmaxi­mie­rungs­ zielen orientiere und eine Unternehmensführung verwirklichen will, welche zu einer all­seitig guten Entwicklung nicht nur meiner Unternehmung, sondern der gesamten Ge­sell­schaft und Wirtschaft sowie ihrer Menschen beiträgt.

1.5

Strategisches und normatives Denken

Unternehmerische Entscheide bei Zielkonflikten lassen sich besser lösen, wenn eine Unter­neh­mung eine Strategie entwickelt (strategisches Management) und die Werte, von denen sie sich bei allen Entscheidungen leiten lässt, in aussagekräftiger und verbindlicher Weise festlegt (normatives Management). Strategisches Denken und Planen ist in der Wirtschaft schon seit langem zu einer Selbst­ver­ständlichkeit geworden, denn jede Unternehmung muss sich über die langfristige wirtschaft­liche Marschrichtung im Klaren sein. Sie muss wissen, wo und wie sie ihre Wettbewerbs­vor­teile aufbauen und sichern kann. Allerdings orientieren sich bei der Entwicklung der Strategie immer noch viele Unternehmungen ausschliesslich an der Gewinnmaximierung und überle­gen sich kaum, welche weiteren Werte (z.B. Zielvorstellungen für Massnahmen des Umwelt­schutzes, Absichten im Umgang mit den Mitarbeitenden, Beziehungen zu den Shareholdern usw.) sie in ihrer Unternehmungspolitik verwirklichen wollen. Deshalb drängt sich bei der Gestaltung der Strategie einer Unternehmung ein Umdenken auf: Die Strategie darf nicht mehr nur auf die Analyse der ökonomischen und techno­logischen Umweltsphäre und deren Trends ausgerichtet werden, sondern sie ist bewusst und ohne Vernachlässigung ökonomischer und technologischer Aspekte in Überein­stim­mung mit den Werten, die für das unternehmerische Verhalten und Handeln gewollt sind, zu erarbeiten.

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Diese ganzheitliche Betrachtung der Unternehmung ist sehr anspruchsvoll: Es ergeben sich gegenüber dem rein ökonomischen Denken und (1)  Planen noch mehr Zielkonflikte, weil die ökonomischen Ziele immer wieder mit den Werten der Unter­nehmung im ökologischen, sozialen und im Führungsbereich der Unternehmung in Übereinstimmung zu bringen sind. (2)  Die Festlegung der für die Unternehmung massgeblichen Werte (normatives Management) stellt für die Unternehmensleitungen eine grosse Herausforderung dar, weil sie immer subjektiv bleiben und die finanziellen Ressourcen den normativen Bemühungen Grenzen setzen. (3)  Dadurch wird die Strategiearbeit noch anspruchsvoller.

1.6

Der Weg zu nachhaltigen Unternehmensstrategien

Abbildung 4 zeigt den Weg von traditionellen zu nachhaltigen Unternehmensstrategien. früher ökonomische Umwelt technologische Umwelt

heute

traditionelle Unternehmensstrategien

in Zukunft

ökonomische Umwelt

traditionelle Unternehmensstrategien

technologische Umwelt

ökonomische Umwelt technologische Umwelt

+ Insellösungen (Richtlinien im ökologischen und sozialen Bereich der Führung)

soziale Umwelt ökologische Umwelt

soziale Umwelt

nachhaltige Unternehmensstrategien

ökologische Umwelt

Abbildung 4: Die Unternehmungen auf dem Weg zu nachhaltigen Unternehmensstrategien

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Früher wurden Unternehmensstrategien vor allem aus Analysen und daraus abgeleiteten Trends aus der ökologischen und technologischen Umwelt entwickelt. Die einzige Zielset­zung der Gewinnmaximierung erübrigte eine vertiefte Auseinandersetzung mit Werten. Heute spielt diese Beobachtungsweise immer noch eine prägende Rolle. Sie wird aber ergänzt durch Insellösungen, d.h. es werden punktuell Richtlinien für wertvolles unternehmerisches Ver­ halten im ökologischen, sozialen und Führungbereich entworfen. Nachhaltige Unterneh­mens­strategien entstehen erst, wenn die ökonomischen Erfordernisse mit den ökologischen, sozialen und den Führungszielen aufeinander abgestimmt und ganzheitlich (integriert) be­ trach­ tet werden. Nachhaltige Unternehmensstrategien sind – und es ist zu betonen – geprägt durch die Vorstellung einer Unternehmungsführung nach dem Postulat Gewinn und Neben­be­dingungen. Allerdings ist der Begriff der Nachhaltigkeit zu einem Schlagwort geworden, das in der öffentlichen Diskussion mehr schadet als nützt.

1.7

Definition der Nachhaltigkeit

Für das Gelingen von nachhaltigen Unternehmensstrategien wichtig ist es, eine ak­zep­table Definition für Nachhaltigkeit zu finden. Eine gute Ausgangsdefinition bietet der Brundt­land-Bericht (1987), der von der Notwendigkeit einer dauerhaften Entwicklung spricht und darun­ter Folgendes versteht: «Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Be­dürf­ nisse nicht befriedigen können.» Treffend an dieser Definition ist ihre Offenheit. Es wird nicht in sozialromantischer Schwärmerei generell gegen eine Bedürfnisorientierung oder ge­gen die Wohlstandsgesellschaft argumentiert, sondern es wird nur darauf verwiesen, die Be­friedigung künftiger Bedürfnisse der kommenden Generation durch eine nur auf ein hohes wirt­schaft­liches Wachstum und rücksichtsloses, egoistisches gegenwärtiges Verhalten ausgerichtete Wirt­schaft nicht zu behindern oder gar zu verunmöglichen. Wirtschaftliches Wachs­tum wird aber nicht generell ausgeschlossen. Eine Formaldefinition, die sich durchzusetzen beginnt, ist die ESGUmschreibung (Environ­ment, Social, Governance), welche in Abbildung 5

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wiedergegeben ist, wobei hier – entgegen anderen Umschreibungen – die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit miteinbezogen ist, denn ei­ne effektive Leistungsfähigkeit der Unternehmungen mit Gewinnen bleibt eine grundlegende Voraus­set­zung für allen Fortschritt in unserer Gesellschaft. Und es ist immer wieder zu be­tonen, dass alle Massnahmen zur Nachhaltigkeit nur umsetzbar sind, wenn die wirtschaftliche Leistungs­fähigkeit gegeben ist, es sei denn, man wolle einen Rückfall in Zeiten einer be­schei­denen Be­dürfnisbefriedigung in Kauf nehmen, was aber unrealistisch ist. Nachhaltigkeit

Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit

Ökologische Verantwortung

Gesellschaftliche Solidarität

Langfristige Erhaltung Sorgsamer Umgang der Unternehmung mit den natürlichen mit einer GewinnerRessourcen zielung unter Nebenbedingungen

Faire Bedingungen für alle Anspruchsgruppen

Corporate Governance Transparente Führung des Unternehmenes (gute kulturelle, klimatische und soziale Voraussetzungen)

Abbildung 5: Nachhaltige Entwicklung von Unternehmungen

Diese Umschreibung ist für ein normatives Management im Bereich des strategischen Den­kens für die unternehmerische Wirklichkeit selbstverständlich noch zu allgemein. Später wird sie präzisiert. Lange bevor von Nachhaltigkeit und ESG gesprochen wurde, stand der Begriff Corporate Social Responsibility (CSR) zur Diskussion (Bowen 1953). Damit verbunden ist die Auffas­sung, dass Unternehmungen nicht nur dem eigenen Wohlergehen, sondern auch jenem der Ge­sellschaft verpflichtet sind. Später wurde vom Verantwortungsverständnis gesprochen, das die ökonomische, ethische, philantropische und gesetzliche Dimension der Unterneh­mens­ver­antwortung in den Mittelpunkt der Diskussion stellte und sich an sozialliberalen Vorstel­lungen des «Good Corporate Citizen» orientierte. In Österreich wird in gleicher Weise von der Corporate Citizenship (CR) gesprochen, die wie folgt definiert wird (siehe beispiels­weise ÖVFA-Schriftenreihe 2004): «Die Einbeziehung (der Verantwortung) unter dem Be­griff CSR

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in eine Unternehmens­stra­tegie zielt auf eine klare Differenzierung zu anderen Unternehmen ab. CSR ist ein sehr um­fassender Begriff, der Themen wie Ethik, Umwelt, Menschenrechte, Corporate Governance, Arbeitsbedingun­ gen, tatsächliche Beiträge zum All­ gemeinwohl etc. umfasst.» Mit dieser Um­schreibung sollte eine Grundlage für die Unter­nehmensbeurteilung mit Blick auf ESG ge­schaf­fen werden. Sie vermag aber nicht ganz zu befriedigen, weil sie nicht auf ein strategi­sches Ziel hin ausge­richtet ist, sondern eine Insel­ lösung allein für ESG darstellt. Seit längerem konzentriert sich die Diskussion über CSR auf die Frage der ökonomisch sinn­vollen Wahrnehmung der CSR, wobei sich seit einigen Jahren die Auffassung durchsetzt, dass Unternehmungen, welche ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkommen, all­mäh­lich das Vertrauen und die Unterstützung mit den entsprechenden ökonomischen Kon­se­quen­ zen entzogen wird. In dieser Schrift wird von der Definition der nachhaltigen Entwicklung gemäss Abbildung 5 (ESG) ausgegangen.

1.8 Standpunkte zum normativen Management und Erkenntnisse aus juristischer Sicht und empirischen Studien 1.8.1 Juristische Einwände gegen das normative Management aus der Sicht der Principal-Agent-Theorie 1.8.1.1

Die Principal-Agent-Theorie

In Diskussionen über das normative Management beziehen sich viele Juristinnen und Juristen auf die Principal-Agent-Theorie, mit welcher Aktiengesellschaften in ihrem Ursprung ge­recht­fertigt wurden. Bei ihr geht es um Folgendes (siehe Abbildung 6): Ein oder mehrere Auftraggeber (Prinzipal) (Shareholder) betreuen einen Auftragnehmer (Agent) (Verwaltungs­rat und Geschäftsleitung) mit der Gesamtführung der Unternehmung. Der Prinzipal nutzt den Agenten, um eigene Ziele zu erreichen. Er erwartet vom Agenten, dass er sich voll für die übertragene Aufgabe einsetzt und keine eigenen Ziele verfolgt. Der Prinzipal kann aber das Wirken nur beschränkt überblicken und

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beurteilen. Der Agent hat daher in jedem Fall einen Informationsvorsprung, und nicht selten richtet er seine Entscheide auf seinen eigenen Nutzen aus, was oft leicht möglich ist, weil eine asymmetrische Infor­ma­tionssituation vorliegt, wel­che der Agent zu Ungunsten des Prinzipals zu seinem eigenen Vor­teil ausnützen kann.

asymmmetrische Informationen

P

beauftragt leistet

A Nutzenmaximierung

Nutzenmaximierung Abbildung 6: Principal-Agent-Theorie 1.8.1.2

Die Argumentation der Vertretenden der Principal-Agent-Theorie

Viele Juristen vertreten auf der Grundlage der Principal-Agent-Theorie die Auffassung, ein sozial verantwortliches Verhalten der Unternehmen sei bereits durch das Aktienrecht ab­gedeckt, und die gesetzlichen Vorschriften liessen keinen Spielraum zur Verletzung der Regel der langfristigen Gewinnmaximierung aus Gründen der Corporate Social Responsibility. In einem interessanten Beitrag gehen Watter & Spillmann (2006) davon aus, dass die Dis­kussion über die Corporate Social Respon­sibility primär durch das Versagen der Märkte ausgelöst wurde. So sehen sie als Ursache für viele ökologische Probleme Preisver­zerrungen, welche durch die Nutzenmaximierung der Produzenten und Konsumenten entste­hen, indem beide Gruppen die externen Kosten nicht in Rechnung stellen, sondern sie an die Öffentlich­keit (an den Staat) abschieben. Dadurch kommt es zu Fehlallokationen bei den Ressourcen, d.h. weil die Produkte nicht auch die ex­ternen

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Kos­ten tragen, wird nichts gegen die negativen Auswirkungen unternommen. Müssten die Produzenten und Konsumenten auch die externen Kosten selbst tragen, so entstünden Markt­preise, welche die Fehlentwicklungen beseitigen wür­den (teurere umweltbelastende Produkte würden weniger gekauft, und die Umweltbe­las­tung würde reduziert). Oder auf dem Arbeits­markt entstehen Ungleichgewichte, weil sich das Angebot und die Nachfrage nach Arbeits­ kräf­ten infolge mangelnder Mobilität (Mitarbeitende sind nicht mehr bereit um­ zu­ ziehen), infolge einer Informationsasymmetrie (unklare Rahmen­ bedingungen für Löhne, die nicht durchschaut werden) oder infolge unge­ nü­gender Weiter­bildung (Mitarbeitende sind bei Struk­turänderungen nicht bereit sich weiter­zubilden) nicht mehr ausgleichen, so dass Ver­zerrungen und damit wenig begründbare Lohn­unterschiede auftreten. Schliesslich besteht auch eine In­formationsasymmetrie zwischen Ak­tio­nären (Prinzipal) und Geschäftslei­tungs­mit­gliedern (Agent). Wenn diese rücksichtslos ihre eigenen Interessen verfolgen (z.B. im Interesse ihrer Boni einen kurzfristigen maximalen Ge­winn anstreben), oder wenn einzelne Grossaktionäre dank ihrer Macht zu eigenen Zwecken Vor­teile herausholen können, kann auch über einen an sich funktionierenden Aktienmarkt eine Ungleichheit entstehen, welche ein Versagen des Marktes darstellt. Bei solchen Un­gleich­heiten als Folge des Marktversagens setzt denn auch die Diskus­sion um Gewinne unter Neben­bedingungen (wirtschaftsethische Diskussion, Anrufen der Cor­ porate Social Responsi­bility) an, indem verständlicherweise Massnahmen seitens der Unterneh­mungen gefordert werden, die aber oft «sozial­romantischen Schwärmereien» anheim­fallen und die Bedeutung des unternehmerischen Wachs­ tums und der notwendigen Gewinn­ erzielung undifferenziert vernachlässigen. Viele Ver­treter der freien Märkte sind hingegen der Auffas­sung, dass in allen Fällen des Marktver­sa­gens staatliche Massnahmen und Regulie­ rungen das Problem wirk­samer lösen als der Ver­such, in Unternehmungen Nebenbedingungen des Gewinns zu definieren. Als Belege für die­se Meinung werden immer wieder Rahmenvorschriften über die Umweltpolitik oder Rechts­normen im Aktien­recht als bessere Lösung empfohlen. Und in der Tat würden mit einer Rahmenordnung viele Forderungen bezüglich Corporate Social Respon­sibility hinfällig. Wenn es beispielsweise ge­länge, alle externen Effekte zu internalisieren, d.h. die Produzenten und Konsumenten würden alle Kosten, die aus Umweltschäden in weitesten Sinn auflaufen, selbst tra-

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gen (z.B. wenn Ver­schmutzungszertifikate, welche aus einem staat­lichen Pool, der auf Umweltziele ausge­richtet ist, von solchen Unternehmungen zu kaufen wären, die Um­weltschäden verursachen). Damit trüge ein funktionierender Markt selbstregu­lierend zur Re­duktion der Umweltbe­lastungen bei. Oder staatliche Vorschriften über die unternehme­ri­sche Transparenz könnten die Informationsasymmetrie zwischen Aktionären und Geschäfts­lei­tungen vermeiden. Unter diesen Vorausset­zungen wird die Position vieler Juristen (siehe auch Forstmoser 2006 oder Schluep 1955) verständlich, welche besagen, dass der Zweck von Un­terneh­mun­gen einzig und allein darin liegt, den Eigenkapitalgebern eine risikobereinigte hohe Rendite zu erbringen, welche jedoch nicht kurzfristig, sondern langfris­tig auf eine Wertstei­gerung der Unternehmung auszurichten ist. Unter der Annahme von funktionierenden Märk­ ten, also mit staatlichen Eingriffen in Be­reichen des Marktversagens, führt nach Auffassung vieler Juristen die alleinige Orien­tierung an hohen Renditen automa­tisch zur erwünschten Interessenkonvergenz, d.h. eine Grosszahl von Ansprüchen aller An­spruchs­gruppen ergänzen sich: Die Umwelt wird geschont, Arbeitsplätze bleiben gesichert, der transparente Markt mit symmetrischen Infor­mationen verhindert Exzes­se; die Weiterent­wick­lung der Unternehmungen ist gewährleistet und ihr guter Ruf (Repu­tation) ist garantiert, was ihren langfristigen Erfolg von selbst sichert. Diese Auffassung über die Corporate Governance sieht also die Fehlentwicklungen in der Wirtschaft und das Fehlverhalten von Managern hauptsächlich im Marktversagen und fordert konse­quenterweise gute Rahmenbedingungen durch staatliche Regulierungen, womit Fehlent­ wick­ lungen verhindert werden, und das Management seine Unternehmensführung auf einen lang­fristig hohen Gewinn ausrichten kann. Demzufolge erübrigen sich Massnahmen der ein­zelnen Unternehmung im Bereich der Corporate Social Responsibility weitgehend. Deshalb ist nach dieser Meinung das ausschliesslich ökonomische Denken in der Unternehmens­führung ge­recht­fertigt. Auf den ersten Blick wirken diese Vorstellungen überzeugend. Für den Erfolg einer Markt­wirt­schaft sind die staatlichen Rahmenbedingungen denn auch wesentlich. Sie sollen eine gute ökologische Entwicklung sowie soziale Gerechtigkeit, was immer dies heissen mag, sicherstellen. Nur wird dies kaum je gelingen. Die politischen und die unternehmerischen Zielkonflikte werden in einer weiter wachsenden Wirtschaft und infolge der Globalisierung weiter

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zunehmen. Kein Staat wird bei der zunehmenden Pluralität und der damit häufig ver­bundenen Polarisierung in der Bevölkerung fähig sein, die Rahmenbedingungen so zu ge­stal­ten, dass sie in sich selbstregulierenden Märkten alle Probleme zu beseitigen vermögen. Zu­dem zeichnen sich die Grenzen der Regulierung immer stärker ab. Einerseits passen selbst wohl­gemeinte Regulierungen oft nicht gleichermassen auf alle Typen von Unternehmungen und Branchen, und andererseits ziehen einzelne Regulierungen weitere Regulierungen nach sich, welche nicht nur die Freiräume der Unternehmungen beschneiden, sondern die Effizienz der gesamten Wirtschaft schmälern. Man denke etwa an die sich als Folge der Finanzkrise ab­zeichnende Regulierungs- und Kontrollwut an den englischen und amerikanischen Haupt­bör­sen oder an die Unfähigkeit staatlicher Behörden, die leidige Geschichte übertriebener Boni in den Griff zu bekommen. Deshalb sind Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen aufgerufen, sich bei ihrer strategischen Planung und im täglichen operativen Verhalten mit dem norma­tiven Management auseinanderzusetzen und klare Voraussetzungen für einen langfristigen Gewinn unter Nebenbedingungen zu schaffen. Interessant ist, dass viele Juristen in ihren Meinungsäusserungen die Frage der Le­gi­timität des unternehmerischen Handelns im Interesse aller Stakeholder nicht ansprechen, sondern sich primär auf das Interesse des «Unternehmens an sich» als Focus unternehmerischer Tätigkeit im Lichte des klassischen Aktienrechts konzentrieren, bei ihren Überlegungen den Ruf der Unternehmung in den Vordergrund stellen und ein Re­puta­tions­management fordern (Watter & Spillmann 2006, Forstmoser 2006 und 2008). Grundlage für ihre Überlegungen ist das Aktienrecht und die darauf aufbauende Gerichts­pra­xis: Das schweizerische Aktienrecht kennt keinerlei Verpflichtungen von Unternehmungen zugunsten der Allgemeinheit. Massgeblich sind für die Leitungsorgane der Aktiengesellschaft einzig und allein das langfristige wirtschaftliche Interesse der Unternehmung und ein An­spruch der Aktionäre auf einen verhältnismässigen Anteil am Gewinn (OR Art. 660 Abs. 1): «Jeder Aktionär hat Anspruch auf einen verhältnismässigen Anteil am Bilanzgewinn.» Die Langfristigkeit des Gewinns wird vom Bundesgericht sehr deutlich betont (BGE 100 II 292 E.4): «Der Aktionär hat Anspruch darauf, dass die Gesellschaft sich bestrebt, mit den zur Ver­fü­gung stehenden Mitteln Gewinne zu erzielen. Dieses Recht des

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Aktionärs wird indessen durch das weitgehende Ermessen der Gesellschaft, welche neben der Gewinnerzielung auch andere Interessen (z.B. Existenzsicherung der Arbeitnehmer, Investitionen) wahrzunehmen hat, ein­geschränkt. Der einzelne Aktionär muss sich demnach damit abfinden, dass die Ge­sell­ schaft (nach dem Willen der Aktionäre) aus sachlichen Gründen eine Gesellschaftspolitik betreibt, die nur auf lange Sicht gewinnbringend ist.» Dieser Entscheid ist interessant, weil er einen Gewinn unter Nebenbedingungen nach dem Willen der Aktionäre so lange zulässt, als die die Nebenbedingungen betreffenden Aktivitäten langfristig gewinnbringend sind. Watter & Spillmann (2006, 11) bemühen sich in sorgfältiger Weise, die Aussagen dieses Bundesgerichtsentscheids mit Fallbeispielen zu präzisieren. So schreiben sie: Ein Verwaltungsrat darf «Massnahmen im Sinne der Corporate Social Respon­sibility ergreifen, wenn er in guten Treuen zur Überlegung gelangt, dass diese Massnahmen dem langfristigen Gedeihen des Un­ternehmens dienen, bzw. den Unternehmenswert steigern oder deren Verminderung ver­mei­ den.» In diesem Sinn darf nach Watter & Spillmann ein Verwaltungsrat Folgendes anordnen: –  Massnahmen zur Reduktion des CO²-Ausstosses, um freiwillig zur Verbesserung der Um­weltsituation beizutragen, damit kostenintensive staatliche Massnahmen hinfällig werden, –  teurere behinderte Menschen einstellen, obwohl ihre Produktivität geringer ist, und Lehr­stellen schaffen, um den Ruf der Unternehmung zu stärken, –  Produktionsstätten in neuen Absatzgebieten aufbauen, wenn sich lokal produzierte Güter besser absetzen lassen oder mit einer Erhöhung der Transportkosten zu rechnen ist. Nicht zulässig sind aber – Spenden, welche der Unternehmung keinen Nutzen bringen und auch keinen Bezug zu einem Stakeholder haben, – Sponsoring und andere finanzielle Zuwendungen, sofern sie nicht bekannt gemacht wurden sowie den Absatz der Unternehmensleistungen nicht steigern und/oder den Ruf der Unternehmung nicht stärken.

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Aufgrund der Haftung von Verwaltungsräten lassen sich Entscheidungen im Sinne eines Ge­winns unter Nebenbedingungen auch unter dem Gesichtspunkt «Sustainability versus Accoun­tability» diskutieren. Verantwortlich sind Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in ers­ter Linie für den Gewinn und die Steigerung des Unternehmungswerts. Ein normativer Hand­lungsrahmen, sofern er von den Aktionären nicht genehmigt wurde (was heute noch nicht üb­lich ist), beeinträchtigt den Gewinn und führt zu einer Verwischung der Verant­wor­ tung. Diese Gefahr wird umso grösser, je mehr sich die Leitungsorgane in ihren Entschei­dun­gen auf ein eigentliches Potpourri von Interessen aller Anspruchsgruppen ausrichten. Darin sieht Forst­moser (2008) die eigentliche Schwäche des Stakeholder-Konzepts. Dies ver­deut­lichend ver­tritt er die Ansicht, dass das Argument des Allgemeinwohls, das Unter­neh­mungen stützen soll­ten, leicht dazu missbraucht werden kann, schwache Leistungen der Un­terneh­mensspitze zu beschönigen, eine Argumentation die bedenkenswert ist. Juristen anerkennen also vom Prinzip her nur den Shareholder-Ansatz und nehmen an, die langfristige Gewinnorientierung und die Steigerung des Unternehmungswerts führe stets zu einer Interessenkonvergenz aller Stakeholder. Weil jede Unternehmung mit guten Gewinnen und einem steigenden Wert sich mehr finanziellen Spielraum verschafft, kann sie viele Fragen wie Löhne und Sozialleistungen, Massnahmen zum Schutz der Umwelt, Sicherheit der Ar­beits­plätze usw. besten Wirkungen zuführen, welche auch die Reputation (Ruf) der Unter­nehmung verbessern (Forstmoser, 2008). Im letzten Jahrzehnt hat die Reputation einer Unter­nehmung tatsächlich einen immer grösseren Stellenwert erhalten. Fehlverhalten von Leitungs­organen werden durch die Medien heute viel rascher angeprangert; Interessengruppen decken Fehlleistungen zunehmend schonungsloser auf; und der Staat wird praktisch laufend ge­zwun­gen, aufgrund von ungenügendem und fehlerhaftem Management weitere Regulierungen um­zusetzen. Als Folge solcher gesellschaftlicher Trends sind die Unternehmungen zu Ehr­lich­keit, Fairness und Transparenz gezwungen. Verlangt wird immer deutlicher eine Nulltole­ranz für unehrliches, unfaires und untransparentes unternehmerisches Verhalten. Viele Bei­spiele zeigen, dass Unternehmungen mit rufschädigendem Verhalten heute in ihrem öko­no­mi­schen Fortbestand tatsächlich stärker gefährdet sind als früher. So überzeugend die Argumentation auch ist, reputationsfördernde Massnahmen von Unternehmungen würden korrigierend wir­ken, so

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dass sich ein normatives Management mit einem Gewinn unter Nebenbedingungen erübrigt, ganz der Wirklichkeit entspricht sie aber nicht. Trotz einem nach aussen getrage­nen Bemühen um eine gute Reputation lassen sich immer wieder Beispiele von Unterneh­mungen finden, welche punktuelle Massnahmen normativer Art treffen und publik machen, sich aber als verdeckte Entscheidungen entpuppen, die einzig und allein der Gewinnmaxi­mierung oder dem Eigennutz der Leitungsorgane dienen. Beispiele dafür sind: Bekanntgabe markanter Lohn­erhöhungen ohne Hinweis darauf, welche Erhöhungen den Mitarbeitenden, der Ge­schäftsleitung und dem Verwaltungsrat zugestanden werden; Erhöhung der wöchentli­chen Arbeitszeit mit der Begründung des starken Schweizerfranken zur Erhaltung der Ar­beits­plätze, obschon die Budgetierung trotz allem hohe Gewinne erwarten lässt; grosse Spen­den dank hoher Gewinne, die aufgrund tiefer Löhne im Ausland (z.B. in Schwellenländern) mit dem Ziel der Gewinnmaximierung erwirtschaftet werden usw.

1.8.2

Erkenntnisse aus empirischen Arbeiten

Oft wird behauptet, normatives Management mit dem Ziel der Nachhaltigkeit bleibe eine Illu­sion von «Gutmenschen». Sobald man finanzielle Aspekte in die Diskussion miteinbeziehe sei zu erkennen, dass die Forderung nach Nachhaltigkeit jede unternehmerische Tätigkeit infolge sinkender Umsätze und Gewinne behindere. Seit längerem wird diese Streitfrage empirisch untersucht. Anfänglich hat sich die Forschung etwas summarisch mit den finanziellen Auswirkungen des normativen Managements befasst, also mit der Frage, ob das normative Management in Unter­nehmungen zu besseren Ergebnissen bei den Umsätzen und dem Gewinn führe. Eine Studie der Universität Basel (Bauhofer, 2004) ermittelte eine klare Be­ziehung zwischen guter Governance (als Vorbedingung guter Reputation) und Unterneh­mens­wert. Die Studie «Corporate Reputation Watch 2004» (Hill & Knowlton, 2004) zeigte, wie Unter­neh­mungen mit einem guten Ruf bessere finanzielle Ergebnisse erreichten. Oder mehr als drei Viertel aller institutionellen Anleger waren gemäss einer Studie von Mc Kinsey (in­ter­nes Papier) bereit, eine Prämie von 12 bis 20 % für die gute Führung einer Unternehmung zu be­zahlen. Andere Studien zeigen aber auch, dass Investments in

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Unternehmun­gen, welche sich auf Nach­haltigkeit ausrichten, (noch) keine besseren Renditen erzielen (z.B. Vance 1975). Be­stätigt wurde diese Tendenz durch eine breite und veröffentlichte Studie der fran­zösischen Business School EDHEC, welche 120 Fonds, die sich auf ESG-Unternehmungen kon­ zentrie­ren, bezüglich Rendite analysiert haben. Für die Jahre 2002 – 2009 ergaben sich gegenüber traditionellen Fonds keine Unterschiede in der Rendite. Wie so oft sind die widersprüchlichen Ergebnisse in der empirischen Forschung auf Schwach­stellen in den Untersuchungen zurückzuführen (keine richtige Stichprobe der analysierten Unternehmungen, unterschiedliche Branchen, nur kurzzeitige Betrachtung usw.). Bereits 2003 konnten Margolis & Walsh (2003) in einer Metaanalyse (Zusammenfassung einer Vielzahl von statistisch orientierten Einzeluntersuchungen in einem wissenschaftlichen Forschungs­gebiet, um eine allgemeingültige Aussage aus den Ergebnissen vieler Einzelstudien vorzu­legen, die genügend abgesichert ist) anhand von 127 Studien aus den Jahren 1971 – 2001 die positiven Wirkungen des normativen Managements nachweisen. In einer grossen Studie ha­ben Eccles & Ioannou (2011) zunächst die Verhaltensmuster von nachhaltigen und traditio­nellen Unternehmungn untersucht. Bei den nachhaltigen Unternehmungen beschäftigen sich die Verwaltungsräte öfters mit Fragen des normativen Managements, sie richten die Vergü­tungen an die Geschäftsleitungen häufiger auch auf die Leistungen im Zusammenhang mit ökologischen und sozialen Fragen aus und der Umgang mit allen Stakeholdern war struk­tu­ rierter. Sie untersuchten zudem in 180 Unternehmungen von 1993 – 2009 die Entwicklung der Aktienkurse und der Eigenkapitalrentabilität, die höher ausfielen als bei traditionell ge­führ­ten Unternehmungen (2–3 %), wobei die Wirkungen bei grösseren Unternehmungen aus­ geprägter waren. Zudem zeigten sich die Wirkungen in erster Linie bei Unternehmungen die ihre Produkte auf dem Markt an die Endkunden verkauften (vornehmlich bei Marken­artikeln im Konsumgüterbereich).

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