HWZ Schriftenreihe f端r Betriebs- und Bildungs旦konomie Herausgegeben von HWZ Hochschule f端r Wirtschaft Z端rich
Band 16
Sybille Sachs · Edwin Rühli · Claude Meier
Strategisches Management Eine neue Perspektive
2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Haupt Verlag
Redaktion und Satz durch die Autoren 2. Auflage: 2015 1. Auflage: 2013 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN: 978-3-258-07946-2 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2013 Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Printed in Austria www.haupt.ch
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Dank Dieses Lehrbuch ist nicht das alleinige Werk der drei Autoren. Wir wurden bei der Erforschung des Themas schon während vielen Jahren von Assistierenden unterstützt und in Diskussionen von Kolleginnen und Kollegen herausgefordert. Von der jetzigen Assistierendengeneration haben uns insbesondere Vanessa McSorley und Joëlle Khater in jeder Hinsicht einzigartig unterstützt. Auch Daniel Laude, Tom Schneider, Christian Stutz und Magaly Tornay haben bei der Ausarbeitung des Manuskripts intensiv mitgearbeitet. Ihnen allen möchten wir ganz herzlich danken. Ein besonderer Dank gebührt Astrid Steiner. Sie hat die Sprache und Ausdrucksweise überprüft und uns dabei sehr wertvolle Anregungen gegeben. Den Testlesern der ersten Version Jörg Bruckner, Gaby Signer, Georges Ulrich und Sylvie Vlk wollen wir an dieser Stelle ebenfalls unseren Dank aussprechen. Zudem wurden die Lehr-Erfahrungen die mit einer ersten Version dieser Schrift gemacht wurden, in den jetzigen Text eingearbeitet. Der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich danken wir für die Bereitschaft, das Buch in ihrer Schriftenreihe herauszugeben. Wir hoffen, dass es auch den Studierenden dieser Hochschule ein wertvolles Lehrmittel sein wird. Zürich, Juni 2015 Sybille Sachs, Edwin Rühli, Claude Meier
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Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ............................................................................ IX Tabellenverzeichnis ................................................................................. XI Abkürzungsverzeichnis ..........................................................................XII Vorwort .................................................................................................. XV 1. Strategisches Management – gestern, heute und morgen ...................... 1 1.1. Managergeneration 1.0: Die Portfoliomanager ............................ 1 1.2. Managergeneration 2.0: Die Shareholder Value Maximierer ....... 6 1.3. Managergeneration 3.0: Die nachhaltigen Wertschöpfer............ 11 1.4. Fazit ............................................................................................ 15 1.5 Aufbau des Buches ...................................................................... 15 2. Ausgangslage der Unternehmung: Strategische Analyse..................... 17 2.1. Issueanalyse ................................................................................ 18 2.2. Stakeholderanalyse ..................................................................... 27 2.3. Wettbewerbsanalyse ................................................................... 39 2.4. Ressourcenanalyse ...................................................................... 48 2.5. Dynamische und umfassende Sicht der Analyse der Ausgangslage ........................................................................... 53 2.6 Fazit ............................................................................................. 54 3. Zweck, Vision und Leitbild der Unternehmung: Strategische Ziele.... 55 3.1. Zweck der Unternehmung .......................................................... 56 3.2. Vision und Leitbild ..................................................................... 56 3.3 Das strategische Zielsystem ........................................................ 60 3.4. Fazit ............................................................................................ 67 3.5. Übergang strategische Ziele – Strategien ................................... 68 4. Wettbewerbsstrategien ......................................................................... 69 4.1. Traditionelle Produkt-/ Markt-Strategien ................................... 69 4.2. Ökonomische Fundierung der Wettbewerbsstrategien ............... 78 4.3 Erweitertes Verständnis von Wettbewerbsstrategien ................... 84 4.4. Fazit ............................................................................................ 91 5. Ressourcen- und innovationsorientierte Strategien ............................. 93 5.1. Frühe ressourcenorientierte Ansätze ........................................... 93
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5.2. Ökonomische Fundierung der Ressourcen- und Innovationsstrategien ............................................................... 95 5.3. Erweitertes Verständnis von Ressourcenstrategien .................... 98 5.4 Übersicht und Ergänzungen....................................................... 103 5.5. Fazit .......................................................................................... 107 6. Gesellschaftsbewusste Strategien ...................................................... 109 6.1. Rechtliche Rahmenbedingungen .............................................. 109 6.2. Frühe Sicht der unternehmerischen Verantwortung ................. 110 6.3. Von der Werthaltung zur Strategie ............................................ 112 6.4. Unternehmung als Teil der Gesellschaft ................................... 115 6.5. Gemeinsame Verantwortung von Staat, Gesellschaft und Unternehmung ........................................................................ 118 6.6. Spezielle Probleme bei der Gestaltung gesellschaftsbewusster Strategien................................................................................ 128 6.7. Fazit .......................................................................................... 131 7. Nachhaltigkeitsreporting, Strategieentscheid und Strategieprozesse 133 7.1. Nachhaltigkeitsreporting .......................................................... 133 7.2. Strategieentscheid ..................................................................... 144 7.3. Strategieprozesse ...................................................................... 145 7.4. Fazit .......................................................................................... 150 Literaturverzeichnis ............................................................................... 151 Autoren .................................................................................................. 161
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Vorwort Das Ziel dieses Buches ist es, aufbauend auf den traditionellen Ansätzen und Instrumenten des strategischen Managements Weiterentwicklungen aufzuzeigen, wie sie sich aufgrund der neusten Forschungen und Erkenntnissen in Theorie und Praxis zeigen. Die Publikation richtet sich an aktuelle und künftige Führungskräfte von privaten Unternehmungen und öffentlichen Organisationen, die sich für ein nachhaltig erfolgreiches und gesellschaftlich akzeptiertes strategisches Management interessieren. Insbesondere eignet es sich für den Unterricht im strategischen Management an Hochschulen und Weiterbildungsinstitutionen. Seit Ende der 1990er-Jahre haben sich die unternehmerischen Bedingungen sehr stark verändert. Die Globalisierung, der technische Fortschritt und die Digitalisierung bringen eine bisher ungekannte Komplexität und Vernetzung in den Arbeitsalltag. Hinzu kommt eine immer stärkere Arbeitsteilung aufgrund des dezentral vorhandenen Wissens. Damit steigen der Koordinationsaufwand aber auch die Chancen von Kooperationen. Ausserdem verlangen verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen von den Unternehmungen mehr Transparenz sowie die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse. Unternehmungen, die heute erfolgreich sein wollen, richten sich deshalb gezielt danach aus, wie sie für wesentliche Stakeholder wie Kunden, Mitarbeitende und die Gesellschaft mit ihren Produkten und Dienstleistungen Lebensqualität und Wohlstand schaffen können. Die Voraussetzung dafür ist die Stärkung der unternehmerischen Innovationskraft. Diese basiert darauf, die Ressourcen der wesentlichen Stakeholder (z.B. Wissen, Infrastruktur, Erfahrungen) zusammenzubringen, zu teilen und gezielt weiterzuentwickeln. Dadurch kann die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmungen gesteigert werden. Das vorliegende Buch behandelt das strategische Management als angewandte Theorie. Das bedeutet, dass es einerseits auf den theoretischen Grundlagen, wie wir sie in unserem Buch «Stakeholders Matter – A New Paradigm for Strategy in Society» (Cambridge University Press, 2011) dargelegt haben, beruht. Andererseits richtet es sich nach den Kernfragen und Vorgehensschritten, die sich beim strategischen Management in der Praxis verbreitet beobachten lassen. In den Kapiteln 2 bis 7 werden Konzepte und Instrumente des heutigen strategischen Managements dargelegt. Diese beruhen zwar auf den Denk- und Handlungsweisen früherer Managergenerationen, gehen jedoch auf die aktuellen Herausforderungen ein und stellen damit eine Weiterentwicklung dar. Um die
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heutigen Konzepte und Instrumente des strategischen Managements zu verstehen, werden in Kapitel 1 zun채chst die drei wesentlichen Phasen der Entwicklung des strategischen Denkens beschrieben: die Managergenerationen 1.0, 2.0 und 3.0.
Strategisches Management – gestern, heute und morgen
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1. Strategisches Management – gestern, heute und morgen 1.1. Managergeneration 1.0: Die Portfoliomanager Frühphase des professionellen strategischen Managements Man kann den Anfang eines auf wissenschaftlichen Reflexionen basierenden strategischen Managements etwa auf die Zeit von 1950 ansetzen. Damals ging es an den Business Schools im angelsächsischen Raum vor allem darum, ein eigenständiges strategisches Managementdenken gegenüber der vorherrschenden mikroökonomischen Theorie und dem allgemeinen Managementdenken zu entwickeln. Die mikroökonomische Theorie behandelt schwergewichtig das wirtschaftliche Handeln einzelner Wirtschaftssubjekte so auch das der Unternehmung. Wesentliche Vertreter der Entwicklung eines neuen strategischen Managementdenkens waren Ansoff (1965) und etwas später Andrews (1971). Zur gleichen Zeit erschienen auch im deutschen Sprachraum die ersten Bücher zum strategischen Management, oft mit den Oberbegriffen Betriebswirtschaftsoder Unternehmenspolitik (Fischer, 1962; Mellerowicz, 1976; Sandig, 1953). Produkt-Markt-Politik Als die Kernaufgabe des strategischen Managements wurde anfänglich die Koordination und Integration der betrieblichen Funktionen wie Produktion, Absatz, Finanzierung etc. verstanden. Die Perspektive war also nach innen gerichtet und die Aufgabe des Topmanagements war es, basierend auf einem systematischen Managementprozess, solch grundlegende Koordinationsentscheide zu treffen (Koontz & O’Donnell, 1955; Mintzberg, 1973). Doch schon bald erfolgte eine Erweiterung der Perspektive: Strategieentscheide betrafen von nun an nicht mehr nur betriebliche Funktionen, ihre Aufgabe war vor allem auch die Wahl der generellen Unternehmensziele sowie die Selektion der Produkt-MarktBereiche, in welchen sich die Unternehmung im Wettbewerb positionieren wollte. So definiert Ansoff (1965, S. 5) den Begriff Strategie wie folgt «Strategic decisions are primarily concerned with external, rather than internal, problems of the firm and specifically with selection of the product-mix which the firm will produce and the markets to which it will sell». Lernkurveneffekt Einen sehr nachhaltigen Impuls erhielt die Strategietheorie in den 1970er-Jahren durch die Erkenntnis, dass aufgrund von Lern- bzw. Erfahrungskurveneffekten die Wettbewerbsposition entscheidend gestärkt werden könne:
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Kapitel 1
Stückkosten
Kumulierte hergestellte Menge
Abb. 1 Lern-/Erfahrungskurveneffekt nach Hungenberg (2012, S. 215)
Das Lern-/Erfahrungskurvenmodell besagt, dass mit zunehmender, kumulierter Menge an hergestellten und abgesetzten Produkteinheiten die Stückkosten aufgrund von Lernvorgängen (Erkenntnissen) und zunehmender Erfahrung in allen Betriebsbereichen sinken (Hungenberg 2012). Ein Beispiel dazu liefert die Mobiltelephonbranche: Anfänglich, als die Produzenten erst kleine Stückzahlen herstellten, lagen die Stückkosten und damit auch die Preise bei Tausenden von Franken. Mit der weiteren Produktion und den dabei erzielten Lernfortschritten sanken die Stückkosten und die Preise rapide. Skaleneffekt Der Lernkurveneffekt darf nicht mit dem in der ökonomischen Theorie seit Langem bekannten Skaleneffekt (Economies of Scale) verwechselt werden, auch wenn beide in die gleiche Richtung, nämlich auf eine Senkung der Stückkosten, hinwirken.
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Die Economies of Scale entstehen, wenn pro Zeitperiode (z.B. pro Jahr) mehr Produkteinheiten hergestellt werden als in der Vorperiode. Dies, weil die Fixkosten dieser Periode dadurch auf mehr Produkteinheiten verteilt werden können. Erzielt eine Unternehmung im Vergleich zu ihren Konkurrenten ein schnelleres Wachstum, so produziert sie ständig mehr als die anderen. Sowohl die hergestellte Menge pro Zeitperiode, wie auch die kumulierte hergestellte Menge nehmen zu. Dies führt zu einem Mengen- und zu einem Lern-, Erfahrungs- und Kostenvorsprung, der die Wettbewerbsposition einer Unternehmung nachhaltig stärkt. Produktportfolio Auf dieser Grundlage entstand in der Strategietheorie die Idee, dass ein ausgeglichenes Portfolio von Produkten mit ertragsstarken Sortimentsteilen dank schnellem Wachstum bzw. hohen Marktanteilen zur Finanzierung von erfolgsversprechenden Nachfolgeprodukten mit noch kleinen Marktanteilen eine langfristig starke Wettbewerbsposition ergebe. Die lernkurvengestützte Portfoliooptimierung wurde somit als Kern einer erfolgreichen Unternehmensstrategie betrachtet (vgl. Abb. 25 im Kap. 4; Henderson, 1974). Menschliche und soziale Aspekte Neben ökonomischen Überlegungen standen in der Managergeneration 1.0 aber immer auch Fragen der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Stakeholderbeziehungen und sogar der sozialen Verantwortung und der Umweltorientierung im Zentrum (McGregor, 1960). Im Beratungsbereich hat das Stanford Research Institute (SRI) nicht nur gesellschaftliche Aspekte in seine Managementberatungen eingebracht sondern dafür bereits den Begriff „Stakeholder“ verwendet (Freeman & Read, 1983, S. 91). Und bei Andrews (1971) basierte eine Strategie auf vier Komponenten: «1. Market opportunity; 2. corporate competences and resources; 3. personal values and aspirations and 4. acknowledged obligations to segments of society other than stockholders». Auch bei der zentralen Frage nach der optimalen Produkt-Markt-Kombination wurden diese vier Aspekte miteinbezogen. So wurde die populär gewordene SWOT-Analyse (vgl. Abb. 4 im Kap. 2) von Andrews (1971) nicht nur prominent vertreten, sie wurde von ihm auch durch die zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Dimensionen einer Strategie ergänzt. Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken ergeben sich in dieser Perspektive also nicht nur aus ökonomischen Gegebenheiten wie Kostenvorteilen, sondern beispielsweise auch aus dem Ansehen, das eine Unternehmung in der Gesellschaft geniesst.
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Kapitel 1
Führungsmodelle Die Führungsmodelle an deutschsprachigen Universitäten aus jener Zeit, wie beispielsweise das St. Galler Managementmodell von Ulrich (Ulrich & Krieg, 1972) oder der Zürcher Ansatz von Rühli (1977, 1984), waren ebenfalls bewusst ganzheitlich ausgerichtet und umfassten ökonomische, soziale und ökologische Aspekte (Thommen, 2002). Andere Ansätze aus dieser Zeit sind beispielsweise das Harzburger Modell (Höhn, 1983) sowie das SIB-Führungsmodell (Schmid, 2009; SIB, 2013). Strategisches Management wurde in der Praxis bis in die 1980er-Jahre hinein nach diesen Grundsätzen unterrichtet und gelebt. Führungspraxis 1.0 Die Managergeneration 1.0 verstand sich also sowohl dem Gewinn, als auch dem Gemeinwohl verpflichtet, wie das beispielsweise Drucker (1954) eindrücklich beschrieben hat. Dabei entwickelte sich ein Denken und Streben, dessen Ziel vor allem darin bestand, etwas «Grosses, Wertvolles, Bleibendes und Eindrückliches» aufzubauen. Aktienrenditen standen im Vergleich zu diesen Zielen eher im Hintergrund. Hingegen entwickelte sich ein immer ausgeprägteres Wachstumsdenken. Dieses wiederum führte zu einer Welle von Akquisitionen oder Unternehmenszusammenschlüssen, weshalb die Manager dieser Zeitperiode zuweilen auch als «Empire Builders» bezeichnet werden (Trautwein, 1990, S. 283). BBC-Beispiel Ein bekanntes Beispiel aus der Schweizer Industriegeschichte ist der schwedische Manager Percy Barnevik, der die vormalige Brown Boveri & Cie. (BBC) durch eine umfassende Übernahmestrategie zu einem Grosskonzern (ABB) entwickelte. So beginnt eine bekannte Fallstudie der Harvard Business School zu ABB und Barnevik mit der Beschreibung der Massnahmen für die Durchführung von Mega-Mergers: der Planung der Matrixstruktur, der Stellenbesetzung in den Kerngeschäften, der Wahl der geographischen Schwerpunkte im Hinblick auf die Rationalisierung des operativen Geschäfts sowie dem Akquirieren von 40 Firmen in 18 Monaten. Die Fallstudie konzentriert sich dabei stark auf den «Empire Builder» Percy Barnevik und stilisierte ihn damit zum Vorbild für Manager hoch (Bartlett, 1994).
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Wesentliche Annahmen der Managergeneration 1.0 Bei ihrem strategischen Management ging die Generation 1.0 von folgenden Grundannahmen aus:
Der Lern-/Erfahrungskuveneffekt ist, zusammen mit den Economies of Scale, von strategischer Bedeutung.
Die menschlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten beeinflussen zusammen mit den ökonomischen Gesetzen den strategischen Erfolg einer Unternehmung.
Die darauf aufbauende Portfoliooptimierung ist die zentrale strategische Erfolgsmethode.
Die Manager und ihre Unternehmungen sind sowohl dem ökonomischen Erfolg wie dem Gemeinwohl verpflichtet.
Wachstum und Grösse sind die entscheidenden Ziele und Messgrössen des Erfolgs.
Der erfolgreiche Manager ist ein «Empire Builder».
Kritik und Grenzen Die Managergeneration 1.0 stiess angesichts der exponentiell ansteigenden kommerziellen, organisatorischen und technischen Komplexität ihrer «Empires» an ihre Grenzen. Selbst raffiniertere Organisationsformen wie die Matrixorganisation mit zwei gleichwertigen Gliederungsdimensionen (z.B. Produktlinien und Regionen) oder gar die Tensororganisationen mit einer dritten Dimension (z.B. zusätzlich Funktionen) konnten das reale Geschehen nicht adäquat erfassen. Gleiches galt für die immer komplexer werdenden Portfoliomethoden. Angesichts dieser Gegebenheiten konnten die Führungskräfte ein erfolgreiches strategisches Management kaum noch gewährleisten. Ineffiziente Konglomeratsgebilde, das heisst Unternehmungen mit zahlreichen Sparten und Tochtergesellschaften, die kaum Verwandtschaften zueinander aufwiesen, waren die Folge. Der Ruf nach einer klaren und überzeugenden neuen Logik im strategischen Management wurde immer lauter.
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Kapitel 1
1.2. Managergeneration 2.0: Die Shareholder Value Maximierer Shareholder Value Maxime In den späten 1970er-, vor allem aber in den 1980er-Jahren fand an den amerikanischen «Business Schools» ein tiefgreifender Wandel bezüglich des Lehrund Forschungsgebiets «Strategic Management» statt. Die zwar realitätsnahen, aber wegen ihrer vielgliedrig sozialen und ökonomischen Ausrichtung wenig stringenten Argumentationen der bisherigen strategischen Managementlehre wurden verdrängt. In der Strategietheorie begann die Ansicht zu dominieren, das strategische Management sei ausschliesslich ökonomisch zu erklären. Dabei standen zwei Aspekte im Zentrum dieser Ökonomisierung der Strategietheorie:
Der strategische Erfolg ist ausschliesslich mit ökonomischen Zielgrössen zu messen (z.B. finanzieller Gewinn). Dieser Erfolg wird (ausschliesslich) durch ökonomische Gesetze (z.B. Monopolstellung im Absatzmarkt) bestimmt.
Menschliche, soziale und ökologische Wirkungszusammenhänge traten dabei weitgehend in den Hintergrund. Zudem war die Ökonomisierung des strategischen Denkens dieser Zeit von einer raschen Professionalisierung der Finanzmärkte begleitet. Bis anhin versuchten die Manager die finanziellen Risiken für ihre Investoren zu einem guten Teil unternehmensintern durch die oben erwähnte Produktportfoliomethode (Konglomeratsbildung) aufzufangen und auszugleichen. Dank der zunehmenden Transparenz in den immer leistungsfähigeren Finanzmärkten konnten die Investoren ihre Anlagenportfolio auf den Finanzmärkten nun aber immer besser selbst und nach ihren eigenen Risikovorstellungen zusammenstellen, indem sie in Aktien von verschiedenen Unternehmungen investierten. Dadurch übernahmen die Investoren den Risikoausgleich vermehrt selbst und die unternehmensinterne Produktportfoliomethode sowie die Konglomeratsbildung verloren ihre überragende Bedeutung. Dies führte einerseits zu einer Welle von Verkäufen von wenig rentablen Unternehmensteilen («Demergers») und andererseits zur konsequenten Ausrichtung auf die Steigerung des Unternehmens- bzw. des Aktienwertes («Shareholder Value»). Strategische Rente als unternehmerischer Erfolgsindikator Bezüglich des strategischen Managements in Unternehmungen standen in der Strategieforschung nun folgende Fragen im Vordergrund: Welche ökonomischen Gesetze bestimmen den finanziellen strategischen Erfolg und weshalb können
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Unternehmungen unterschiedlich erfolgreich sein, obwohl sie unter vergleichbaren Bedingungen ihre Geschäfte betreiben (Becerra, 2009; Rumelt, Schendel, & Teece, 1994)? Gemäss der mikroökonomischen Theorie müssten eigentlich anhaltende Erfolgsunterschiede zwischen den Unternehmungen einer Branche durch den Wettbewerb über die Zeit hinweg beseitigt werden, so dass alle MitMitanbieter schliesslich gleich erfolgreich wären. Die Realität zeigt jedoch eindrücklich, dass dem oft nicht so ist. Trotz vergleichbarer Kontextbedingungen sind Unternehmungen im Zeitablauf unterschiedlich erfolgreich und einzelne Unternehmungen einer Branche können über lange Zeit erfolgreicher sein als andere. Der Kontext umfasst dabei die Wettbewerbsbedingungen sowie die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Die relevanten ökonomischen Kausalitäten sowie der Kontext sind in der Realität in gewissem Umfang stets unsicher und mehrdeutig. Daher werden ihre Bedeutung und Wirkung von Managern auch unterschiedlich eingeschätzt, was schliesslich zu unterschiedlichen Entscheiden bei der Strategiewahl und folglich auch zu unterschiedlichem Erfolg führt. Erfolgreichere Unternehmungen sind also in der Lage, durch bessere Ermessensentscheide bei der Strategiewahl einen höheren Erfolg als andere zu erzielen. Ein solcher anhaltender Erfolg wird oft als strategische Rente bezeichnet. So schreiben Mahoney und Pandian (1992, S. 364): «Strategy can be viewed as a continuing search for rent». Beispiel einer strategischen Rente Eine strategische Rente entsteht beispielsweise wenn der Automobilhersteller A in einem gegeben Marktsegment die oft unklaren Kundenerwartungen mit seiner Modellstrategie besser trifft als der Automobilhersteller B. Der Kunde ist dann bereit, einen höheren Preis für das Auto der Unternehmung A zu bezahlen, weil er unbedingt den für ihn damit verbundenen Mehrwert realisieren will. Der Preis- und demzufolge der Erfolgsunterschied zwischen A und B führt zur strategischen Rente der Unternehmung A. ISV und RbV Was die ökonomische Gesetzmässigkeit betrifft, die zu strategischem Erfolg führt, so entwickelten sich in den 1980er-Jahren zwei Hauptansätze. Der eine Ansatz erklärt den Erfolg aufgrund der einzigartigen Position der Unternehmung in der Branche, der andere Ansatz mit der einzigartigen Ressourcenausstattung der Unternehmung. Beispiele für Strategieansätze aus jener Zeit sind die «Industry Structure View of Strategy» (ISV) von Porter (1992; vgl. Kap. 4 im vorliegenden Buch) und die «Resource-based View of Strategy» (RbV) von
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Kapitel 1
Barney (1991; vgl. Kap. 5 im vorliegenden Buch). Beide Ansätze brachten eine konsequent ökonomische Denkweise in die Strategietheorie und bilden auch heute sowohl in der Theorie wie in der Praxis den Hauptstrom des strategischen Denkens.
Strategieansätze
Industry Structure View ISV
z.B. Porter (Kap. 4)
Resource-based View RbV
z.B. Barney (Kap. 5)
Abb. 2 Strategieansätze der Generation 2.0
Finanzmodelle Da bei der ISV und der RbV der finanzielle Erfolg und die finanzielle Bindung der Eigentümer an die Unternehmung im Zentrum stehen, werden sie zuweilen auch als Finanzmodelle des strategischen Denkens bezeichnet. Dementsprechend sagt z.B. Porter (1991, S. 96) Strategie sei «attaining a competitive position or series of competitive positions that lead to superior and sustainable financial performance». Die Finanzmodelle des strategischen Denkens beherrschen auch heute noch weitgehend sowohl die Strategieliteratur als auch das strategische Handeln in Unternehmungen. In diesen Modellen werden die Aktionäre (Eigentümer) als alleinige unternehmerische Risikoträger und das Kapital als die vorrangig strategisch relevante Ressource betrachtet. Vereinfacht gesagt: Der Aktionär stellt der Unternehmung sein Kapital als wichtigste Ressource zur Verfügung, damit diese ihr Geschäft überhaupt betreiben kann. Damit macht er eine firmenspezifische Investition. Das Management der Unternehmung setzt dieses Kapital für die Unternehmenszwecke ein. Die ultimative Verantwortung des Managements in diesen Finanzmodellen ist es, das Kapital
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für seine Aktionäre gewinnbringend einzusetzen. Der Aktionär ist dabei dem Risiko ausgesetzt, dass das Management dieses Kapital, unabsichtlich oder aber von Eigeninteresse geleitet, nicht ausschliesslich gewinnbringend einsetzt oder damit sogar Verluste erwirtschaftet. Und weil der Aktionär dieses finanzielle Risiko trägt, wird ihm eine Vorzugsstellung gegenüber anderen Stakeholdern eingeräumt, beispielsweise die Entscheidungsbefugnis über Gewinnverwendung. Kernsatz von Friedman Milton Friedman (1962), renommierter Ökonom und Nobelpreisträger, unterstreicht diese Verantwortung des Managements in seinem berühmten Buch «Capitalism and Freedom»: «In such an economy (a free economy), there is one and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profits so long as it stays within the rules of the game, which is to say, engages in open and free competition, without deception or fraud» (Friedman, 1962, S. 133) Bereits 1962 geschrieben, hat sich diese Sicht in der Praxis vor allem in den 1990er-Jahren mit voller Wucht durchgesetzt. Daher gilt für die Managergeneration 2.0 der Slogan: «Maximize the Shareholder Value!» Typisch für dieses Denken ist das Buch von Rappaport (1986), das ein Managementkonzept vorstellt, welches konsequent die Werteschaffung für die Eigentümer in den Vordergrund rückt. Verbreitung des Finanzmodells in der Praxis Die ökonomisch fundierten Strategietheorien wurden in der Praxis rasch von den amerikanischen Unternehmungen und Beratungsfirmen übernommen und perfektioniert. Die bestechende Logik, sich einzig und allein am Gewinnziel und an ökonomischen Kausalitäten zu orientieren (z.B. monopolistische Positionierung in der Branche führt zu grösstmöglicher strategischer Rente), begann alles zu überdecken. Dabei wurde die Unternehmung zum Shareholder Value Generator, der die an die Aktionäre auszuschüttende Rentenanteile (Dividende) stets zu maximieren oder den Aktienwert stetig zu steigern hat. Unter dem Einfluss dieses amerikanischen Wirtschaftsdenkens und mit der immer ausgeprägteren Professionalisierung des Managements haben sich auch die europäischen Unternehmungen in den 1990er-Jahren zunehmend auf den Shareholder Value ausgerichtet.
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Kapitel 1
Wesentliche Annahmen der Managergeneration 2.0 (Sachs & Rühli, 2011, Kap. 2)
Der «Homo Oeconomicus» ist das vorherrschende Menschenbild in der Managergeneration 2.0. Er handelt und entscheidet als Manager, Mitarbeitender, Kunde oder Lieferant streng rational. Er hat eine klare Präferenzordnung, ist opportunistisch und maximiert seinen Eigennutzen.
Unternehmungen werden als ausschliesslich ökonomische Handlungseinheiten, nicht auch als gesellschaftliche Institutionen gesehen.
Die Strategie der Unternehmungen umfasst streng ökonomische Kausalitäten und hat sich nach einem einzigen Ziel zu richten: Maximierung des Shareholder Values.
Die Maximierung des Shareholder Values steigert gleichzeitig auch das Gemeinwohl. Das Profitstreben der Unternehmung wird nur begrenzt durch: die Effizienz der Märkte, oft bezeichnet als die «unsichtbare Hand der Märkte», und die Rechtsordnung des Staates.
Kritik und Grenzen des Finanzmodells Auf der einen Seite hat dieses strikt ökonomische Denken in manchen Fällen zur Überwindung veralteter und unrentabler Strategien und Strukturen der Managergeneration 1.0 beigetragen. Auf der anderen Seite hat es aber auch zu einer Reduktion der Ausrichtung auf rein monetäre Referenzgrössen geführt. Bei der Beurteilung dieser Finanzmodelle und ihrer Bedeutung ist zu bedenken, dass es sich um Modelle handelt, die auf stark vereinfachenden und aus heutiger Sicht unrealistischen Annahmen beruhen. Die hohe Komplexität der Realität wird dabei auf wenige ökonomische Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge reduziert (Sachs & Rühli, 2011, Kap. 2). Dieses Vorgehen wird heute als zu reduktionistisch bezeichnet. Das primäre Ziel der Modelle ist nicht Realitätstreue, sondern ökonomische Stringenz. Die Aussagekraft der reduktionistischen Modellannahmen hängt aber genau von der Realitätstreue ab: Stimmen die Annahmen mit der Wirklichkeit nicht oder nur sehr begrenzt überein, sind die Aussagen der Modelle hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit stark eingeschränkt, teils sogar gefährlich und unbrauchbar. Ein Beispiel für eine solche realitätsferne Annahme war, dass sich die Manager aufgrund von zusätzlichen monetären Anreizen (z.B. «Boni», Beteiligungen etc.) ausschliesslich für mehr Shareholder Value einsetzen würden. Ungewollt wurde damit allerdings auch die Entwicklung gefördert, dass Manager grosse
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Teile der rasch wachsenden Gewinne für sich abschöpften. Während die Managerlöhne und die Wachstumsrate derselben teils mit bis dato unbekannter Geschwindigkeit stiegen, konnte dieser rasante Anstieg bei der Gewinnausschüttungen an die Eigentümer nicht festgestellt werden.
1.3. Managergeneration 3.0: Die nachhaltigen Wertschöpfer «Gute» Managementpraktiken gefordert Angesichts der primär ökonomischen und generell reduktionistischen Ausrichtung des strategischen Denkens der Managergeneration 2.0 sowie der damit verbundenen Übertreibungen zeigten sich immer klarer und häufiger Fälle von krassem Finanzmarkt- und Managerversagen. Diese Fehlentwicklungen nahmen – wie etwa in der Finanzkrise 2008 – existenzbedrohende Formen für die Unternehmungen und sogar für das kapitalistische Wirtschaftssystem an. Staaten und Steuerzahler mussten rettend eingreifen. Weitere Krisen wie «Fukushima» und die Eurokrise wurden ebenfalls mit dem vorherrschenden Führungsverständnis in Verbindung gebracht. Das Vertrauen in die Manager sank auf Tiefstwerte. Ein Umdenken wurde und wird noch immer gefordert: Die Manager sollen beweisen, dass sie in der stark verflochtenen und extrem volatil gewordenen Umwelt, in der Vernetzungen und Wissen strategisch entscheidend geworden sind, nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial und ökologisch, also bezüglich Nachhaltigkeit, kompetent sind. Gefragt ist eine neue Managergeneration: die Managergeneration 3.0. Bereits 2005 forderte Ghoshal nach den ersten Wellen der unternehmerischen Skandale wie Enron in den USA und Swissair in der Schweiz ein Umdenken. Aus seiner Sicht waren für die Fehlleistungen der Managementpraxis auch die Annahmen der Managementtheorien mitverantwortlich: «Bad management theories are destroying good management practices», schrieb er (2005, S. 75). Die zentrale Frage, die uns heute beschäftigt, lautet deshalb: Wie sehen gute Managementtheorien und das entsprechende Managementverständnis der Generation 3.0 in der Praxis aus? Forderung nach einem ganzheitlichen Denken An den weltweit führenden Fachtagungen der «Academy of Management» (AOM) (http://aom.org) und der «Strategic Management Society» (SMS) (http://strategicmanagement.net/) wurde und wird seit 2008 vermehrt über Erweiterungen und Anpassungen der grundlegenden Annahmen der Managementlehre diskutiert (Sachs & Rühli, 2011, Kap. 2). In einem gewissen Umfang wur-
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Kapitel 1
de bereits eine neue Generation von Managementansätzen entwickelt (Donaldson & Preston, 1995; Freeman, 1984; Post, Preston, & Sachs, 2002). Diese reflektieren die Rolle und Stellung der Unternehmung in der Gesellschaft und die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Führungskräfte und ihre Strategien. In die gleiche Richtung entwickelt sich auch die mikroökonomische Theorie («Theory of the Firm»). Prominente Autoren (Asher, Mahoney, & Mahoney, 2005; Foss, 2000; Mahoney, 2011) zeigen sich unzufrieden mit der engen ökonomischen Sichtweise, die nicht in der Lage ist, die Komplexität der Realität zu erfassen. Vor allem aber wird das Menschenbild des «Homo Oeconomicus» kritisiert, das auf den Annahmen der Maximierung des individuellen Eigennutzens, des Opportunismus und der Rationalität basiert. Empirische Studien führender Wissenschaftler in der Ökonomie, der Biologie wie auch der Psychologie zeigen nämlich ein weitaus differenzierteres Bild des Menschen. Demnach sind Menschen weder reine Egoisten noch pure Altruisten. Viel mehr handeln sie differenziert, der Situation entsprechend je nachdem, wie sie stimuliert bzw. motiviert werden (Anderson, Kraus, Galinsky, & Keltner, 2012; Bridoux, Coeurderoy & Durand, 2011; Fehr & Fischbacher, 2004). Zusätzlich liegen Erkenntnisse über die begrenzte Effizienz der Märkte respektive über ihre Unvollkommenheiten vor. Hierzu sei nur an das Versagen der Finanzmärkte in der Krise von 2008 erinnert. Wesentliche Annahmen der Managergeneration 3.0 Daraus ergeben sich einige Kernelemente für die Managergeneration 3.0 (Sachs & Rühli, 2011, Kap. 4), die in den nachfolgenden Kapiteln vertieft werden.
Strategisches Management – gestern, heute und morgen
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Tab. 1 Annahmen der Managergeneration 3.0 Kernelemente
Beschreibung
Vgl. Kap.
Unternehmungen werden nicht nur als ökonomische HandlungseinheiDie Unter-
ten, sondern auch als integraler Teil der Gesellschaft wahrgenommen.
nehmung
Neben der ökonomischen Verantwortung tragen sie auch eine gesell-
3, 6
als Teil der
schaftliche Verantwortung. Eine unerlässliche gesellschaftliche Akzep-
und 7
Gesellschaft
tanz wird nur erreicht, wenn eine Unternehmung auf Dauer auch Werte für die Gesellschaft als Ganzes schafft. Unternehmungen können nur dank dem Engagement von Menschen Werte schaffen. Das Menschenbild des «Homo Oeconomicus» greift
Der Mensch als Zweck
dabei eindeutig zu kurz. Es definiert einen zu engen Handlungsraum und fördert sogar negative Einstellungen. Nicht ökonomische Roboter,
3 und 6
sondern Menschen mit all ihren Eigenheiten und Qualitäten sind in den Unternehmungen an der Wertschöpfung beteiligt. Die Leistungserstellung der Unternehmungen wird technisch, kommerziell und sozial immer komplexer. Hochdifferenziertes Wissen und Können ist in Wirtschaften mit hoch entwickelten Finanzmärkten für den strategischen Erfolg wesentlicher als finanzielles Kapital. Damit Nachhaltige Innovation
wird die Unternehmenstätigkeit nicht zu einem vorrangigen Kampf um begrenzte finanzielle Ressourcen, sondern zu einem steten Bemühen
2 und 5
um die Entdeckung und Entwicklung von potenziell unbegrenzten Ressourcen wie Wissen und Erfahrung. Diese sind entscheidend für die Schaffung innovativer Produkte und Dienstleistungen, welche die Lebensqualität der Menschen verbessern und die Nachhaltigkeitsforderung bezüglich der Natur und Umwelt berücksichtigen. Unternehmungen erbringen ihre Leistungen durch vielfältige Kooperationen mit Stakeholdern in Netzwerken. Die Wertschöpfung in solchen Netzwerken wird zum primären Handlungsprinzip der Managergenera-
Kooperation
tion 3.0. Stakeholder sind Individuen oder Gruppen von Menschen, die
in Netzwer-
zur Wertschöpfung in Unternehmungen beitragen. Die Zusammenar-
ken
beit in solchen Stakeholdernetzwerken bringt sowohl Nutzen wie auch Risiken mit sich. Eine professionelle Identifikation und Analyse der relevanten Stakeholder sowie der Interaktionen zwischen ihnen in Netzwerken ist im heutigen Führungsverständnis unerlässlich.
2 und 4
14
Kapitel 1
In der nachstehenden Tabelle sind die drei Managergenerationen im Überblick dargestellt: Tab. 2 Managergenerationen 1.0, 2.0 und 3.0 im Überblick Managergenerati-
Managergenerati-
Managergeneration 3.0:
on 1.0:
on 2.0:
Die nachhaltigen Wert-
Die Portfoliomana-
Die Shareholder
schöpfer
ger
Value Maximierer
Ziel der Unter-
Wachstum; Grösse
Kurzfristige Gewinn-
Nachhaltige Wertschöp-
nehmensstrategie
wichtiger als Ge-
maximierung
fung
winn Strategischer
Kostenvorteil insbe-
Monopolistische
Einzigartige Innovationen
Vorteil
sondere dank Lern-
Positionierungen im
durch Kooperationen mit
kurven- und Ska-
Absatzmarkt oder in
Stakeholdern in Netzwer-
leneffekten
der Ressourcen-
ken
ausstattung Menschenbild
Differenziert; mana-
«Homo Oeconomi-
Mensch mit seinen spezi-
gerorientierte Sicht
cus»; Eigennutzen,
fischen Eigenheiten und
Opportunismus und
Qualitäten als Eigentümer
Rationalität
von unerlässlichen Ressourcen
Zeitraum
Ab ca. 1950
Ab ca. 1980
Ab ca. 2000
Bild der Unter-
Persönliches «Em-
Profit-Generator für
Institution zur Wertschöp-
nehmung
pire» des Managers
Eigentümer (und
fung mit und für Stakehol-
Manager)
der
Andrews, Ansoff,
Friedman, Porter,
Freeman, Donaldson,
Drucker, Ulrich,
Barney, Rappaport
Mahoney, Post, Preston,
Autoren
Rühli
Sachs, Rühli
Strategisches Management – gestern, heute und morgen
15
1.4. Fazit Der Wandel von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft erfordert immer wieder eine neue Denk- und Handlungsweise der Führungskräfte. Seit der Professionalisierung des strategischen Managements in den 1950er-Jahren können drei Managergenerationen unterschieden werden, die alle vom jeweiligen Zeitgeist und Erkenntnisstand geprägt sind und ein eigenes Strategieverständnis haben. Es sind dies die Managergenerationen 1.0, 2.0 und 3.0. Checkliste zu Kapitel 1: 1.
Welche Managergeneration(en) ist (sind) in der Unternehmung zu beobachten?
2.
Welches Führungsverständnis prägt die heutige Managergeneration?
3.
Welche Vorstellungen haben in der Vergangenheit die Strategie der Unternehmung massgeblich geprägt und wie wirken diese noch nach?
4.
Welches Strategie- und Führungsverständnis wird für die Zukunft der Unternehmung als richtig beurteilt?
Vertiefungsfragen zu Kapitel 1 1. Wie wirken sich heute die Unzulänglichkeiten des Managements 2.0 aus, unternehmensintern und in der Öffentlichkeit? 2. Was spricht dafür/dagegen, dass wir heute am Übergang vom Managementverständnis 2.0 zu 3.0 stehen? 3. Was bedeutet die Aussage, die Unternehmung sei neben dem eigenen Erfolg auch dem Gemeinwohl verpflichtet?
1.5 Aufbau des Buches In den nachfolgenden Kapiteln besprechen wir Konzepte, Frameworks und Tools aus der Zeit der Managergenerationen 1.0 und 2.0 soweit sie in Theorie oder Praxis heute noch von Bedeutung sind. Wir ergänzen diese anschliessend jeweils aus der Perspektive des Managements 3.0 (vgl. insbesondere die Abschnitte 4.3, 5.3 und 6.4). Dabei wird durchgehend die Stakeholderperspektive eingearbeitet. Die Abfolge der weiteren Kapitel orientiert sich an den grundlegenden Vorgehensschritten des strategischen Managements:
16
Kapitel 1
Tab. 3 Gliederung der Kapitel Ausgangslage der Unternehmung: Strategische Analyse (Kap 2)
Issueanalyse
Stakeholder-
Wettbewerbs-
analyse
analyse
Ressourcenanalyse
Zweck, Vision und Leitbild: Strategische Ziele (Kap 3)
Zweck
Vision und Leitbild
Strategische Ziele
Strategien (Kap 4 -6)
Wettbewerbs-
Ressourcen- und
Gesellschaftsbewusste
strategien
Innovationsstrategien
Strategien
Nachhaltigkeitsreporting, Strategieentscheid und Strategieprozesse (Kap 7)
Nachhaltigkeitsreporting
Strategieentscheid
Strategieprozesse
Auttoren
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Au utoren Sybille Sachs S ist Professorin für Betriebswirttschaftslehre und Leiterin des d Instituts für strategiscches Manageement: Stakeeholder View w an der HW WZ Hochscchule für Wirtschaft W Zü ürich. Daneben ist sie seit 2003 2 Titularpprofessorin an a der Univerrsität Zürich, an a welcher siie die Lehrveeranstaltungeen «Businesss and Society» institutionaalisiert hat. A Ausserdem ist sie ausseerorn an der Facuulty of Busin ness and Law w an dentlichee Professorin der Univversity of So outhern Queeensland. Sie hat zahlreeiche peer-reviewed Artikel in führendeen Zeitschrifften und meh hrere Bü ücher publiziiert, darunterr das Buch «Stakeholder « rs Matter – A New Parad digm forr Strategy inn Society», das d 2011 im m Verlag Cam mbridge Uniiversity Press ersch hienen ist. A Als Wissenschhaftlerin hat sich Sybillee Sachs im Bereich B Stakeeholderrmanagemennt mit ihrer Forschungss- und Lehrrtätigkeit intternational einen e Naamen gemachht. Ausserakkademisch en ngagiert sie sich in Exp pertenkommissionen n, Think Tannks von Verbbänden und bringt b sich m mit regelmässiigen öffentlichen Au uftritten in ggesellschaftlicche Debatten n ein. In derr Rolle als wissenschaftl w liche Ex xpertin untersstützt Sybillee Sachs regellmässig Unteernehmen beei der Umsetzzung ihrres Stakeholddermanagem ments. Edwin Rühli ist emerritierter Profeessor für Bettriebswirtsch haftsndete er dortt das lehre an der Univerrsität Zürich.. 1970 grün f Betriebsw wirtschaftlichhe Forschun ng und leitette es Institut für bis zum Jahr 2000. Von V 1984 bis 1990 amtetee er als Proreektor U Zü ürich. Im Früühlingssemeester 1994 war er an der Universität als ersterr Gastprofessor am Chazzen Institute for Internatiional Managem ment an der Columbia Buusiness Scho ool in New York. Y Er war Mitglied veerschiedener öffentlicherr Beratungsk komV atsmitglied bei mehrreren missioneen und Verwaltungsra Sch hweizer Firm men. Er ist Autor A der Maanagementbüücher «Unterrnehmensführung und Unternehm menspolitik I-III», welche in mehreeren Auflageen veröffenttlicht urden. Er verrfasste als Dozent D an deer Universitäät Zürich meehr als 200 peerp wu rev viewed Publlikationen im m Bereich Internationalles Managem ment, Corpo orate Go overnance strrategisches Management M t und Stakehholdermanag gement. Zur Zeit ist er Senior A Advisor am Institut für strategischees Managem ment: Stakeho older Vieew der HWZ Z Hochschuule für Wirtscchaft Zürichh. In den letzzten zehn Jaahren hatt er als Co-A Autor von Syybille Sachs eine Reihe von wissensschaftlichen ArtiA
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keln in führenden Zeitschriften und mehrere Bücher über Stakeholdertheorie und Stakeholdermanagement publiziert. Claude Meier hat in Betriebswirtschaft und Politologie an der Universität Zürich promoviert und ist stellvertretender Leiter des Instituts für strategisches Management: Stakeholder View an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. An derselben Institution etabliert und leitet er die Fachstelle Wissenschaftsmethodik. Ausserdem ist er dort als Fachreferent für strategisches Management tätig. Neben der Lehre ist Claude Meier in der Forschung tätig. Er hat mehrfach Fachbeiträge im Schnittstellenbereich Global Governance – Stakeholdermanagement publiziert. Zudem ist er als Forscher und Experte in leitenden Positionen an verschiedenen Forschungsprojekten im Bereich Stakeholdermanagement beteiligt. Vor seiner akademischen Laufbahn arbeitete er in der Praxis als kaufmännischer Angestellter in verschiedenen Dienstleistungs- (v.a. Versicherungsbranche) und Industrieunternehmungen in der Schweiz. Von 2004 bis 2008 war er Mitglied des Verwaltungsrats der Genossenschaft Veloblitz.