Togni, Arbeitsagogik

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1. Auflage: 2016 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-258-07952-3 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2016 Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Gestaltung: Velvet, Luzern Fotos: Herbert Zimmermann S. 60; S. 94; S. 146; S. 178, Cover; Velvet: S. 10, S. 198 Printed in Germany www.haupt.ch

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Dario Togni-Wetzel

Arbeitsagogik Grundlagen des professionellen Handelns Das Modell Dual- und Kernauftrag

Haupt Verlag

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Inhalt

1. Teil: Dual- und Kernauftrag – Modellbeschreibung 11 Übersicht 13 Die drei Elemente: Arbeitsagogin – Klient – Arbeit 15 23 Der Sozialauftrag Der Produktions-/Dienstleistungsauftrag 31 37 Die Verbindung Klient – Arbeit Der Kernauftrag 45 Der Dual- und Kernauftrag im erweiterten Kontext der Anspruchsgruppen 55 Begriff und Definition von Arbeitsagogik 58

2. Teil: Dual- und Kernauftrag – Modellerklärung

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Einordnung der drei Aufträge 63 Rollenverständnis 66 Die Rolle des Beraters im Kernauftrag 68 und die arbeitsagogische Intervention Situative Ausprägung der Beraterrolle 75 Rollenkonflikte 77 Arbeitsagogik ist keine Therapie 79 Systemisches Denken 81 83 Spannungsfelder der Arbeitsagogik Förderliche Bedingungen für arbeitsagogisches Arbeiten 89

3. Teil: Arbeitsagogische Methoden und Prinzipien

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Forderungen durch Arbeit 98 Arbeit als Spiegelbild der Klientin 101 Lern- und kompetenzförderliche Arbeitsgestaltung 105 Individuelle Arbeitsarrangements 110 Schlüsselfunktionen 115

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Ermächtigung 123 Arbeitsagogische Prinzipien 130

4. Teil: Arbeitsagogische Prozessgestaltung Professionelles Beobachten und Beurteilen Die Arbeitsagogische Prozessgestaltung Beschreibung der Arbeitsagogischen Prozessgestaltung Erklärung der Arbeitsagogischen Prozessgestaltung Gefässe und Instrumente zur Prozessgestaltung Arbeitsagogik als inter­disziplinäre Fachdisziplin

5. Teil: Professionelle Beziehungsgestaltung

147 149 161 162 164 170 172

179

Die Bedeutung der professionellen Arbeits­beziehung 181 Der professionelle Helfer zwischen Macht und Verantwortung 183 187 Grundeigenschaften eines professionellen Helfers Hilfreiche Fragen für eine hilfreiche Beziehung 189 Achtsamkeit 195

Anhang 199 Dank 200 Kontakt 201 Literaturverzeichnis 202 Endnoten 205

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Vorwort Ein Handlungskonzept zur Arbeitsagogik – griffig und nachvollziehbar – ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der Professionalisierung des noch jungen Berufs. Mit dem Modell des Dual- und Kernauftrags werden die grundlegenden Sichtweisen und Ziele arbeitsagogischen Handelns aufgezeigt. Mit der Klarheit des Modells, das die verschiedenen Orientierungsrichtungen der Arbeitsagogik differenziert und verbindet, gewinnt das professionelle Tun deutlich an Profil. Im Rahmen der Arbeitsagogik sind weder der „Sozialauftrag“ noch der „Produktions-/Dienstleistungsauftrag“ ohne gegenseitige Impulse oder „Reibung“ denkbar. Arbeitsagogik ist mehr als Arbeit unter einem sozialen Dach: Sie orientiert sich an den Anforderungen der aktuellen Arbeitswelt und setzt sich mit ihr auseinander. Die vielfältigen Rollen und Aufgaben der Arbeitsagogin/des Arbeits­ago­gen machen den Wandel der Arbeitsagogik in den letzten zwanzig Jahren deutlich. Sie sind Antwort auf eine immer anspruchsvollere berufliche Realität in der sozialen Arbeit und im ersten Arbeitsmarkt. Die Unterkapitel „Verzerrte Rollenbilder“ und „Fehlinterpretationen“ helfen zusätzlich, diese komplexen und anspruchsvollen Rollen zu klären. Dario Togni-Wetzel ist es gelungen, das arbeitsagogische Handeln beschreibbar und damit erklärbar zu formulieren. So erleichtert er den konkreten Zugang für Studierende in den Beruf Arbeitsagogik. Zudem können sich die Ausbildungsinstitutionen in Arbeitsagogik auf einen gemeinsamen Handlungsrahmen stützen – eine Voraussetzung zur weiteren Entwicklung der Arbeitsagogik. Berufsleute, die auf die Zusammenarbeit mit Arbeitsagoginnen und Arbeitsagogen angewiesen sind, finden klare Orientierung – Voraussetzung jeglicher interdisziplinären Zusammenarbeit. Das vorliegende Fachbuch ist geprägt durch die jahrelange Praxiserfahrung des Autors. Nicht zuletzt deshalb bietet es zahlreiche praktische Überlegungen zur Methodik und Haltung im Berufsalltag. So weht einem, je weiter die Lektüre fortschreitet, eher Werkstatt- denn Bücherstaub entgegen. „Arbeit als Spiegelbild“ des Klienten/der Klientin: Geplant, gemessen und überprüft am konkreten Tun werden menschliche Entwicklung, Produktplanung und -qualität, Kooperationsfähigkeit und Zielorientierung. Hier ist und bleibt das Zentrum und die Dynamik arbeitsagogischen Handelns. Nebst allem, was das vorliegende Buch so wertvoll macht, ist es die wertschätzende, achtsame Haltung des Autors, seine Faszination für das „Medium Arbeit“ und sein Engagement für klare Handlungsweisen im Rahmen der Arbeitsagogik.  Angehende und „bestandene“ Arbeitsagoginnen und Arbeitsagogen werden das Angebot mit offenen Armen entgegennehmen. Ferdinand Röösli, Leiter Institut für Arbeitsagogik von 2003 bis 2011

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Einleitung Immer wieder werde ich gefragt, welche Fachliteratur zur Arbeitsagogik ich empfehlen könne. Wer sich auf dem Büchermarkt nach Literatur zur Arbeits­ agogik umschaut, stellt fest, dass es keine spezifische gibt. Obwohl der Beruf Arbeitsagogik in der Schweiz seit Jahrzehnten praktiziert wird, obwohl seit über 20 Jahren Arbeitsagoginnen und Arbeitsagogen ausgebildet werden und der Beruf inzwischen im schweizerischen Bildungssystem seinen offiziellen Platz gefunden hat, findet sich bis heute keine spezifische Literatur. Mit dieser Publikation soll nun diesem Bedarf entsprochen werden. Das Modell Dual- und Kernauftrag, das die Grundlage dieses Buches ist, beschreibt und erklärt das arbeitsagogische Tätigkeitsfeld. Ich habe dieses Modell in den Jahren meiner intensiven praktischen und theoretischen Auseinandersetzung mit der Arbeitsagogik entwickelt und erweitert. Es benennt die Elemente des arbeitsagogischen Feldes, zeigt ihre Verbindungen und Wechselwirkungen auf und erklärt relevante Einflussfaktoren. Es klärt Aufgaben und Rollen und zeigt entscheidende Spannungsfelder auf. Damit stellt es die Grundlage für ein arbeitsagogisches Handlungskonzept dar. Unzählige Ausbildungsteilnehmende haben mir immer wieder bestätigt, wie hilfreich und nützlich das Modell für die Analyse und das Verständnis ihrer täglichen Arbeit ist. Zwei Absichten verfolge ich im Besonderen mit diesem Buch: erstens ein grundlegendes professionelles Verständnis dieses Berufs und der Tätig­keit der Arbeitsagogin/des Arbeitsagogen zu ermöglichen. Zweitens das Potenzial der Arbeitsagogik aufzuzeigen und konkrete Wege zu seiner Nutzung zu eröffnen. Im ersten Teil des Buches beschreibe ich das Modell Dual- und Kernauftrag. Dieser erste Teil stellt die Grundlage zum Verständnis des Buches dar. Im zweiten Teil erkläre ich das Modell, indem ich die einzelnen Aspekte in ihre Zusammenhänge bringe und es in seiner Komplexität darstelle. Im dritten Teil zeige ich Möglichkeiten und Formen der Nutzung auf, indem ich einige grundlegende Methoden aufführe. Im vierten Teil gehe ich kurz auf die professionelle Förderung ein und stelle die Arbeitsagogische Prozessgestaltung vor. Es ist ein Modell zur professionellen Planung und Gestaltung der Förderung des Klienten/der Klientin. Ich habe das Modell in Anlehnung an bestehende, ähnliche Modelle für die Arbeitsagogik adaptiert und weiterentwickelt. Im fünften und letzten Teil gehe ich auf die Bedeutung der Beziehungsarbeit in der Arbeitsagogik ein. Es ist mir im Rahmen dieser Publikation nur am Rande möglich, auf weitere Modelle und die breite Methodenvielfalt der Arbeitsagogik einzugehen. Das Buch berücksichtigt im weiteren Verlauf abwechslungsweise die weibliche und die männliche Schreibweise. Der Verständlichkeit zuliebe habe ich versucht, eine möglichst einfache Sprache zu wählen sowie auf

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unnötige Fachbegriffe und die Verwendung englischer Begriffe zu verzichten. Für die in diesem Berufsfeld betreuten Personen, die der Unterstützung bedürfen, weil sie ohne fremde Hilfe ihre Existenz nicht bewältigen können, habe ich einheitlich den Begriff Klient oder Klientin, für die in diesem Berufsfeld tätigen Personen den Begriff Arbeitsagogin oder Arbeitsagoge verwendet. Für das System, in dem diese Personen tätig sind, gebrauche ich den Begriff helfendes System oder hilfeleistendes System. Ich unterscheide im Buch zwischen Agogik (wörtlich führen, leiten; Form, Gestalt geben) und Arbeitsagogik. Der Begriff Agogik bezieht sich jeweils auf alle Berufe, in denen agogisch gearbeitet wird (Sozialpädagogik, Sozialarbeit, Pädagogik, Andragogik, Beratung, Therapie und andere) und auf deren Gemeinsamkeiten; der Begriff Arbeitsagogik bezieht sich jeweils auf den spezifisch arbeits­ agogischen Kontext, in welchem mit dem Medium Arbeit gearbeitet wird. Unter dem Begriff Medium Arbeit verstehe ich Arbeit, die gezielt als Mittel zur Befähigung von Klientinnen und Klienten eingesetzt wird. Wo immer möglich, verzichte ich auf den Begriff Förderung und verwende den Begriff Befähigung, da er dessen Zielsetzung näherkommt. Entdecken Sie die Arbeitsagogik und tauchen Sie ein in dieses spannende berufliche Tätigkeitsfeld. Ich wünsche Ihnen viel Spass dabei. Arbon, im Dezember 2015, Dario Togni-Wetzel

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Modellbeschreibung

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1. Teil: Dual- und Kernauftrag – Modellbeschreibung

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Arbeitsagoge

Sozialauftrag

Kernauftrag

Produktionsauftrag

Lern- und Integrationsfeld Klient

Arbeit

Sozialauftrag

Produktionsauftrag

• Betreuung • Aspekte der professionellen

• Produktion • Betriebswirtschaftliche

• Bezugsperson • Bezugspersonenarbeit • Sozialkompetenz

• Vorgesetzter, Fachmann,

Beziehung

Kernauftrag

Aspekte

Kundenbetreuer

• Führungsarbeit • Führungskompetenz • Fachkompetenz

• Arbeitsagogik • Arbeitsagogische Aspekte • Berater, Berufsbildner • Prozessbegleitung, Integrationsarbeit • Selbstkompetenz, Methodenkompetenz

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Modellbeschreibung

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Übersicht

Dieser erste Teil des Buches stellt die Grundlage zum Verständnis des Inhalts dar. Um die Komplexität überschaubar zu halten, zeige ich in diesem Teil nur die grundlegenden Zusammenhänge auf, die Erklärung des Modells folgt im zweiten Teil. Das Modell betrachtet das arbeitsagogische Tätigkeitsfeld aus der Sicht des Arbeitsagogen und seiner Aufgabe. Eingangs werden die drei zentralen Elemente des arbeitsagogischen Tätigkeitsfelds beschrieben: • Der Arbeitsagoge • Der Klient • Die Arbeit Anschliessend werden die Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen diesen drei Elementen beschrieben, die zugleich die drei Aufträge des Arbeitsagogen darstellen: • Der Sozialauftrag • Der Produktions- oder Dienstleistungsauftrag • Der Kernauftrag Rollen und Aufgaben habe ich auftragsspezifisch zugeordnet. Die drei Aufträge werden jeweils nach den folgenden Kriterien beschrieben: • Kontext • Ziele • Wesentliche Aspekte • Rollen und Aufgaben • Verzerrte Rollenbilder • Mittel • Anforderungen und Kompetenzen Abschliessend beschreibe ich das Umfeld innerhalb und ausserhalb der Institution und führe eine Begriffserklärung und Definitionen von Arbeitsagogik auf.

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Arbeitsagoge

Klient

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Arbeit

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Modellbeschreibung

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Die drei Elemente: Arbeitsagogin – Klient – Arbeit

Drei zentrale Elemente stehen im arbeitsagogischen Tätigkeitsfeld in Beziehung zueinander und erzeugen gegenseitige Wechselwirkungen: Die Arbeits­ agogin, der Klient und die Arbeit.

Die Arbeitsagogin Arbeitsagoginnen begleiten Menschen, deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt eingeschränkt sind, bei der Arbeit. Es sind Menschen mit vorübergehenden oder bleibenden Beeinträchtigungen. Dabei arbeiten Arbeitsagoginnen mit Vertreterinnen anderer Fachdisziplinen des helfenden Systems und mit verschiedenen Anspruchsgruppen des sozialen und wirtschaftlichen Umfelds zusammen. Die Arbeitsagogin ist in der Regel Angestellte und Mitarbeiterin in einer Institution, in der Klienten arbeiten. Sie schliesst wie andere Arbeitnehmende einen Arbeitsvertrag mit dieser Institution ab, der ihre Rechte und Pflichten sowie ihre Funktion und Aufgaben regelt. Arbeitsagoginnen arbeiten in sozialen Institutionen wie • geschützten Werkstätten • Programmen zur vorübergehenden Beschäftigung von Stellen­ suchenden • Institutionen zur Ausbildung von Lernenden • Strafvollzugseinrichtungen • Beschäftigungswerkstätten psychiatrischer Kliniken • Rehabilitationseinrichtungen • Abklärungs- und Integrationsstätten • Sozialfirmen • spezialisierten Berufsbildungsstätten • Beobachtungsstationen mit Werk- oder Beschäftigungsstätten

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Die drei Elemente: Arbeitsagogin – Klient – Arbeit

Der Klient Im Zentrum aller arbeitsagogischen Bemühungen steht der Klient. Auch der Klient hat eine Vereinbarung oder einen Vertrag mit einer Organisation oder einem Dienstleister abgeschlossen, der seinen dauerhaften oder zeitlich befristeten Aufenthalt regelt und seine Rechte und Pflichten festhält. Die Klienten der Arbeitsagogik sind Menschen mit eingeschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt, Menschen, die wegen vorübergehender oder bleibender Beeinträchtigungen oder ihrer aktuellen Situation der Unterstützung bedürfen: • Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen • Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen • Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen • Stellensuchende in arbeitsmarktlichen Massnahmen, Langzeitarbeitslose, Taglöhner • Insassen von Strafanstalten (offene Anstalten, geschlossene Straf­ anstalten, Massnahmenzentren, Gefängnisse) • Lernende, die Ausbildungen auf unterschiedlichen Ausbildungsniveaus absolvieren (Praktikerausbildung PRA, eidgenössisches Berufsattest EBA, eidgenössisches Fähigkeitszeugnis EFZ) • Menschen mit Suchtmittelabhängigkeiten • Menschen mit Lernbeeinträchtigungen • Menschen mit Migrationshintergrund Oft ist es eine Kombination verschiedener Beeinträchtigungen, die den Zugang dieser Menschen zum Arbeitsmarkt erschweren. Für alle diese Menschen ist es entscheidend, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, einer Arbeit nachzugehen und Teil der produktiven Gesellschaft zu sein. Sie brauchen wie wir alle die tägliche Erfahrung, etwas Sinnvolles zu tun, gebraucht zu werden und Teil eines nutzstiftenden Ganzen zu sein.

Die Arbeit Arbeit hat eine zentrale Bedeutung für unser Leben. Arbeit ist als Grund­recht des Menschen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1  verankert. Wir sind tätige Wesen, und wir definieren uns zu einem grossen Teil über unser Tun. Wert- und Sinnschöpfung, körperliche und psychisch-geistige Betätigung, Tages- und Wochenrhythmus, soziale Kontakte, ganz praktische Erfolgserlebnisse und vieles mehr verdanken wir zum grossen Teil der Arbeit, um nur ein paar der ungezählten herausragenden Wirkungen von Arbeit zu nennen. Arbeit stellt eine gesellschaftliche Notwendigkeit und ganz zentrale Stütze im Leben des Menschen dar. Es scheint einleuchtend, dass für Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, vorübergehend oder

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Modellbeschreibung

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dauerhaft vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind und der professionellen Hilfe bedürfen, Arbeit eine mindestens so wichtige Bedeutung hat. Michael Brater führt die folgenden zentralen Lernchancen durch Arbeit auf: 2 • Sich für eine Sache beziehungsweise ein fremdes Bedürfnis interessieren und engagieren, • Zielgerichtet und praxisbezogen denken vor dem Tun • Den Übergang vom Denken ins Tun finden • Ausdauernd und zielstrebig eine Sache verfolgen • Genau und unbefangen wahrnehmen • Sachgemäss urteilen • Verzichten können • Das eigene Tun selbstkritisch reflektieren und daraus lernen Zu den Hauptprozessen des Lernens durch Arbeit schreibt Brater: 3 „Ganz allgemein kann man erkennen, dass zum Arbeiten Kräfte und Fähigkeiten gebraucht werden, die • mit der Hinwendung zur Sache und der Abwendung von sich selbst zu tun haben; • auf der Anerkennung von und dem Umgang mit objektiven Gesetz­ mässigkeiten (im Unterschied zu subjektiven Empfindungen) beruhen; • an die Stelle der Eigentendenzen und vorgegebenen Strukturen der funktionellen und seelischen Kräfte deren Verfügbarkeit und Handhabbarkeit setzen; • stark mit Selbstüberwindung, Selbstkontrolle und Selbstlosigkeit verbunden sind, ebenso mit Verbindlichkeit und Genauigkeit.“ Dieses Wechselspiel zwischen Mensch und Arbeit betrifft körperliche, seelisch-geistige und soziale Aspekte des Menschen und des Lebens. Trotz dieser Komplexität ist Arbeit gleichzeitig auch einfach, weil sie selbstredend ist.

Praxisbeispiel: Arbeit ohne Worte Eine kleine Episode, die ich während einer Betriebsbesichtigung im Vorfeld einer betrieblichen Schulung mit einer Klientin mit Trisomie 21 erlebt habe: Sie stand an einer Werkbank, als ich sie grüsste und fragte, ob sie mir sagen könne, welche Arbeit sie verrichte. Allerdings hatte sie ihre Arbeit bereits beendet, Werkbank und Arbeitsplatz waren sauber aufgeräumt. Sie reagierte nicht sichtbar, weshalb ich zuerst dachte, sie hätte meine Frage nicht verstanden. Ich wollte sie schon wiederholen, als sie langsam einen der dicken Äste auf ihrer Werkbank in die Hand nahm. Sie drehte sich ganz gemächlich um und spannte das eine Ende des Astes in eine Klemmvorrichtung. Dann

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Die drei Elemente: Arbeitsagogin – Klient – Arbeit

nahm sie einen metallenen Schaber, hielt ihn mit beiden Händen, streckte bedächtig die Arme aus und zog sie, während sie den Schaber auf den Ast drückte, zu ihrem Leib. Die Rinde des Astes schälte sich ab. Diese Bewegung führte sie einige Male aus. Während dieser Zeit sprach sie kein einziges Wort mit mir, noch schaute sie mich an. Ich verstand aber, dass sie meine Frage sehr wohl verstanden hatte und ihre Verrichtungen der Beantwortung meiner Frage dienten. Erst am Schluss sprach sie, wenn auch nicht direkt zu mir: „Ach“, raunte sie, „jetzt muss ich nochmals putzen, so blöd!“ Durch die Einwirkungen des Schabers lagen überall kleinere und grössere Stücke der Rinde auf Werkbank und Boden. Unwillkürlich musste ich schmunzeln, bedankte mich und entfernte mich. Zwei Erkenntnisse stellten sich spontan bei mir ein: Arbeit bedarf keiner Worte, sie spricht für sich. Und: Wo gearbeitet wird, entstehen auch Abfälle.

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„Arbeit ist das vornehmste Bindeglied zur Wirklichkeit.“ Sigmund Freud

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Arbeitsagoge

Sozialauftrag

Kernauftrag

Produktionsauftrag

Lern- und Integrationsfeld Klient

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Arbeit

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Modellbeschreibung

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Die Verbindungen Die drei grundlegenden Elemente der Arbeitsagogik, die Arbeitsagogin, der Klient und die Arbeit, stehen in einer Wechselwirkung. Die Arbeitsagogin steht in einer Arbeitsbeziehung zum Klienten. Wie in jeder Beziehung üben auch Klient und Arbeitsagogin vielfältigen Einfluss aufeinander aus. Der Klient setzt sich mit seiner Arbeit auseinander und prägt diese während des Arbeitsprozesses, bis schliesslich das Endprodukt vorliegt. Die Arbeit wiederum stellt je nach Art, Materialien, Rahmenbedingungen und so weiter vielfältige Anforderungen an den Klienten. Somit stehen auch Klient und Arbeit in einer Wechselwirkung. Die Arbeit stellt auf der anderen Seite auch Anforderungen an die Arbeitsagogin. Es sind Anforderungen, die sich aus dem Kundenauftrag oder der zu erbringenden Dienstleistung ergeben. Die Arbeitsagogin ihrerseits hat vielfältige Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Arbeit. Die Arbeitsagogin muss über Kenntnisse der beiden anderen Elemente verfügen; sie muss Klient und Arbeit kennen, um beide in ein sinnvolles Wechselspiel zu bringen. Ja, sie muss auch sich selbst kennen, um in diesem Feld professionell arbeiten zu können, denn sie ist ein entscheidender Teil davon. Im folgenden Kapitel beschreibe ich diese Wechselwirkungen vertieft. Aus den Wech­sel­wirkungen ergeben sich gleichzeitig die grundlegenden Auf­ träge der Arbeitsagogin: • Die Wechselwirkungen zwischen Arbeitsagogin und Klient stellen den Sozialauftrag dar. • Die Wechselwirkungen zwischen Arbeitsagogin und Arbeit stellen den Produktions- oder Dienstleistungsauftrag dar. • Beide Aufträge zusammen bilden den Dualauftrag. 4 • Die Wechselwirkungen zwischen Klient und Arbeit stellen das zentrale Lern- und Integrationsfeld dar. • Der Kernauftrag stellt die Verbindung zwischen Arbeitsagogin und der Verbindung Klient – Arbeit dar.

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