Müller-Beyeler/Butz, Das Unternehmen, die Marke und ich

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Ruedi Alexander M端ller-Beyeler & Heiner Butz

Das Unternehmen, die Marke und ich Unternehmen durch Marken f端hren



Ruedi Alexander M端ller-Beyeler & Heiner Butz

Das Unternehmen, die Marke und ich Unternehmen durch Marken f端hren

Haupt Verlag


1. Auflage: 2016

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN: 978-3-258-07975-2 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2016 Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Visuelle Gestaltung: Oliver Mayer & Joseph Kennedy, Tatin Design Studio Fotos: Florence Gross Printed in Germany

www.haupt.ch


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Inhaltsverzeichnis

Teil 1 Wirkung und Einsatz von Marken

Vorwort_____________________________________________________ 4

Kapitel 1 Ich bin auf Facebook, also bin ich __________________________ 12

Einleitung__________________________________________________ 6

Kapitel 2 Ich und das Unternehmen________________________________ 26 Kapitel 3 Unternehmenskultur und Identität________________________ 36 Kapitel 4 Vom Eigensinn der Medien – ein Einschub________________ 44 Kapitel 5 Marken machen Unternehmen___________________________ 52 Kapitel 6 Wie Kunden Marken als Mehrwert erleben________________ 62 Kapitel 7 Marke und Transformation_______________________________ 78 Kapitel 8 Der Designprozess_______________________________________ 86


Teil 2 Modelle, Methoden und Tools

Teil 3 Kommunikation

Kapitel 9 Der Markencode________________________________________ 100

Kapitel 18 Der Medienmarkt vor der Konvergenz ___________________ 198

Kapitel 10 Markenmood___________________________________________ 106

Kapitel 19 Marken und Storytelling ________________________________ 210

Kapitel 11 Der Markenauftritt_______________________________________114

Kapitel 20 Redaktionsarbeit im Dienste der Marke__________________ 220

Kapitel 12 Marke und Geschäftsmodell_____________________________ 130

Kapitel 21 Führen durch reda­ktionelle Marken­kommunikation______ 226

Kapitel 13 Dynamische Identitätsanalyse der Marke_________________ 140

Selbstgespräch statt Nachwort___________________________ 240

Kapitel 14 Die Sprache_____________________________________________ 152 Kapitel 15 Szenarien der Markenarchitektur ________________________ 158 Kapitel 16 Markenpartner­schaften _________________________________ 170

Abbildungsverzeichnis___________________________________ 246

Kapitel 17 Marken und Innovation_________________________________ 184

Verzeichnis der in diesem Buch zitierten Literatur_________ 248

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Vorwort In diesem Buch treffen zwei Welten aufeinander und auch zwei Menschen. Unternehmenskommunikation, Markenführung und Co. treffen auf redaktionelles Arbeiten und Journalismus. Ungleiche Geschwister, die sich nicht gerade lieben, aber manchmal eben doch aufeinander angewiesen sind. Sie sind heute Bereiche des öffentlichen Lebens, die ihre Verwandtschaft nicht mehr länger verleugnen können. Und so ging und geht es auch Ruedi Müller-Beyeler und Heiner Butz. Wir haben uns kennengelernt in einem gemeinsamen Projekt des «ZDF». In einem Projekt, in dem sich Markenführung und Journalismus, in dem sich Design und Inhalt begegnet sind. Der eine Markenfachmann und Designspezialist und der andere Journalist mit Erfahrung im Management von redaktionellen Planungs- und Produktionsprozessen. Aus dieser Ambivalenz ist in Zusammenarbeit mit vielen Kolleginnen und Kollegen das neue Nachrichtenstudio des «ZDF» entstanden, in neuem Design und mit neuen Produktionsprozessen und einer neuen Positionierung von Information. Seitdem lernen wir voneinander und benutzen unser Wissen und unsere Erfahrung, um in beiden Welten neue Wege zu gehen. In beiden Welten werden heute die gleichen Werkzeuge zur Kommunikation benutzt, in beiden Welten ähneln sich die Arbeitsabläufe zunehmend, und in beiden Welten verändern sich, zu Zeiten von «Facebook» und Co., die Anforderungen dramatisch. In der Unternehmenskommunikation wird redaktionelles Arbeiten ein großes Thema. Kommunikation und Marketing ringen um ihren Platz im Unternehmen. Und im Journalismus sind die Umwälzungen nicht minder groß. Die Deutungshoheit geht verloren in einer Zeit, in der jeder alles wissen kann, wenn er nur will. Die Produktionsumgebung für beide Welten kann sich heutzutage jeder leisten, im Prinzip reicht das Smartphone und ein Laptop. Wir schauen uns diese Entwicklung in diesem Buch aus diesen beiden Perspektiven an, bewerten und zeigen auf, wo die Entwicklung unserer Meinung nach hingeht. Der Schwerpunkt liegt hier, wie schon der Titel sagt, auf der Unternehmenskommunikation, und so hat auch den größten Anteil an der Autorenschaft dieses Buches Ruedi Müller-­ Beyeler. Die verwendeten Beispiele haben sich im Laufe zweier Berufsleben angesammelt. Fast alle sind Erfahrungen aus Projekten beider Autoren. Das macht uns am Ende so sicher, dass wir einen Zipfel der Wahrheit hier schon zu fassen bekommen haben.


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Da Lesen immer auch ein Akt des visuellen Wahrnehmens ist, war für uns die Gestaltung des Buches wirklich wichtig. Seit vielen Jahren ­arbeitet Ruedi Müller-Beyeler mit Oliver Mayer zusammen, mit einem Gestalter von visuellen Systemen, mit einem Grenzgänger zwischen Design, Kunst und Inhalten. Ihm und seinem Mitarbeiter Joseph Kennedy sind wir zu großem Dank für die Gestaltung dieses Buches verpflichtet. Ebenso danken wir der Berner Fachhochschule (BFH) für die Unterstützung bei diesem Buchprojekt. Auch aus Sicht der Hochschule, aus Sicht des Akademischen ergeben sich immer neue Perspektiven. Nun wünschen wir uns, dass Kommunikationsfachleute, Unternehmer, Designer, Journalisten sowie Studentinnen und Studenten dieser Fakultäten sich auseinandersetzen mit unseren Ideen und Gedanken. Im Januar 2016 Ruedi Alexander Müller-Beyeler und Heiner Butz


Einleitung

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Ruedi A. Müller-Beyeler & Heiner Butz

Wir leben in einem Zeitalter der Kommunikation. Das wird nicht nur deutlich durch die unglaublichen Börsenwerte der Kommunikationsunter­ nehmen, sondern vor allem durch das tagtägliche Erleben von Kommunikation über alle Grenzen hinweg. Im Privaten, im öffentlichen Raum und auch in den Unternehmen, unabhängig von Branche und Größe. Kommunikation ist heute evident wichtig und für erfolgreiche Unternehmensführung unverzichtbar geworden, längst nicht mehr nur als Instrument der Verkaufsförderung, sondern auch nach innen, hin zu allen Mitgliedern des Unternehmens, zu den Mitarbeitern auf allen Stufen und in allen Funktionen. Die Unternehmensleitung und mit ihr das ganze Unternehmen muss kommunizieren, damit alle wissen, wohin die Reise gehen soll. Menschen in westlichen Kulturen reagieren nur verhalten auf reine Befehlsausgabe. Das war früher anders und hat sich in vielen Unternehmen grundlegend geändert. Ein Unternehmer oder ein CEO muss heute mit seinen Leuten richtig ins Gespräch kommen und sie überzeugen, wenn er erreichen will, dass sie sich für seine Ziele, seine Strategie und für das Unternehmen als Ganzes einsetzen. Wie interne Kommunikation in einem Unternehmen fließt, ist deshalb genauso wichtig wie der Strom, der in den Fabrikhallen und Büros aus den Steckdosen kommt und die Maschinen und Computer antreibt. Oder können Sie sich ein Unternehmen vorstellen, das ohne auskäme? Aber auch in der Kommunikation nach außen hat sich viel verändert: Reklame, die einzig dazu diente, Angebote möglichst laut und marktschreierisch anzupreisen, wurde schon lange abgelöst durch Werbung, die nicht nur schreien, sondern auch verführen will. Aber unterdessen wirkt selbst solche Werbung oft kaum noch. Dem Unternehmen sollte es gleichzeitig gelingen, die Kunden einzubeziehen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und sie so an der Entwicklung des Unternehmens teilhaben zu lassen. Kommunikation ist immer schon interaktiv gewesen und wird jetzt auch in diesem Umfeld noch persönlich dazu. Genau so ist es in der Politik und im öffentlichen Raum: Die Menschen können nicht mehr massenmedial berieselt und auf diese Weise stillgehalten und kauflustig gemacht werden, sondern sie fordern von den Unternehmen einen wahrhaftigen Dialog ein. Alle wollen einbezogen werden und mitreden. Bei Missverständnissen droht sonst nämlich der Shit Storm, und der ist dann nur noch schwer zu kontrollieren. Interaktiv kommunizieren ist zwar anstrengend, bildet aber die Wirklichkeit ab – Zuhören ist im Unternehmenskontext nicht immer sehr eingeübt. Unternehmen gestalten sich eben nicht nur selbst, wie sie uns oft glauben machen wollen, sie werden auch von außen gestaltet.


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Unternehmen leben nicht im luftleeren Raum, sondern sie sind Teil einer Lebenswelt, in der sie sich bewegen. Nicht nur die Fußballspieler auf dem Spielfeld prägen ihren Club, sondern auch die Fans, wenn sie T-Shirts und Halstücher in den Clubfarben tragen und Mottos skandieren. Was von außen kommt, ist wichtig. Deshalb bauen Kunden, Lieferanten und die Öffentlichkeit am Ruf eines Unternehmens mit, wenn sie mit ihm und untereinander interagieren und sich Geschichten darüber erzählen. In diesem Sinne sind Unternehmen heute offene und eben nicht geschlossene Systeme. Und sie sind auch nicht nur das, was sie produzieren, verkaufen und besitzen, sondern sie sind auch ihre fortlaufend und immer wieder neu erzählten und erlebten Geschichten. Und diese Unternehmen und ihre Geschichten, dieses Ganze, das einerseits Reales und Fassbares hat, aber andererseits auch aus puren Vorstellungen besteht, die nur in den Köpfen der Anspruchsgruppen existieren, dieses ganze Gebilde nennen wir dann Unternehmensmarke. Unternehmen werden als Marken wahrgenommen, wenn sie in den Köpfen aller als Vorstellungen und Geschichten existieren. Marken sind dann gleichzeitig Inhalt und Ergebnis konsistenter Kommunikation. Und ganz und gar nicht zu verwechseln mit Marketing, einer rein operativen Funktion im Unternehmen. Schon die Bedeutung der Wörter Marke und Marketing ist nicht so nah beieinander, wie es scheint, denn Marke kommt von markieren, Marketing dagegen von vermarkten. Zwei völlig verschiedene Wortbedeutungen mit sehr ähnlichem Wortklang. Denn während Marketing den schieren Produktverkauf durch direkte Befeuerung der Verbraucher steigern will, gibt die Marke ein umfassenderes Leistungsversprechen, löst es im besten Fall ein und baut ein enges, prägendes Verhältnis zum Kunden auf. Zum Leistungsversprechen einer Marke gehört das Produkt natürlich auch, aber eben nur als Teil einer weiter gefassten Gesamtleistung. Natürlich lösen auch Marken Kauflust aus, aber mit anderen Mitteln als das Marketing. Während Marketing nämlich in erster Linie Produktwerbung macht, gestaltet Marke Zukunft und pflegt die Beziehungen mit den Zielgruppen – nicht alleine nur nach außen, sondern auch nach innen. Während Marketing taktisch und kurzfristig auf eine Steigerung des Umsatzes zielt, baut die Marke langfristig und strategisch Wert für das Unternehmen auf. Die Veränderung der Kommunikationskultur durch die schier grenzenlosen Möglichkeiten verändert unser Miteinander, unsere persön­ liche und professionelle Kommunikation in einem nie da gewesenen


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Maße. Und so können wir uns mit unseren Kunden, unseren Mitarbeitern und im öffentlichen Raum viel direkter austauschen. Weil Menschen in unseren gesättigten Märkten oft bereit sind, auch für einen rein ideellen Nutzwert gutes Geld zu bezahlen, wird diese Art der offenen, interaktiven Kommunikation immer wichtiger. Es geht eben nicht mehr ausschließlich um das eigentliche Produkt. Dies kann aber nur umgesetzt werden, wenn die Unternehmen die Strukturen entwickeln und einführen, die diese Art der Kommunikation möglich machen. Eingeübt ist dies in vielen Medienunternehmen seit Jahrzehnten in den klassischen Redaktionen des Journalismus. Redaktionelle Markenführung aus offenen, transparenten Strukturen direkt zum Kunden oder zu den Mitarbeitern kann da eine Lösung sein. Die Trennung von Unternehmenskommunikation und Marketing in vielen Unternehmen steht dem allerdings entgegen. Das Zusammenwachsen von Unternehmenskommunikation und Marketing zu einer integrierten und dynamischen Kommunikation und Markenführung ist in vielen Fällen eine Voraussetzung für die Veränderung. Mit diesem Buch wollen wir aufzeigen, wie Organisationen, die ihre Unternehmenskommunikation und ihr Marketing zusammengelegt haben, besser mit ihren Zielgruppen kommunizieren können und dadurch effektiver und mit reduziertem unternehmerischem Risiko geführt werden können. Die Marke also als Teil einer modernen Unternehmensführung. Solche Markenunternehmen kommunizieren dynamisch, weil neben dem statischen Markenauftritt – also den gestalteten und inszenierten Touchpoints – auch Arbeitsabläufe und redaktionsähnliche Kommunikationsprozesse eine Rolle spielen. Dank der elektronischen Vernetzung und den damit entstandenen Möglichkeiten sind heute viele Unternehmen irgendwie auch selbst eine Art Medienhaus geworden. Denn wenn früher nur Verlage und Massenmedien breite und große Menschenmengen mit Inhalten erreichen konnten, so können heute auch Unternehmen direkt, jederzeit und darüber hinaus auch interaktiv mit all ihren Zielgruppen kommunizieren. Und das hat dann auch nichts mehr gemein mit Werbung oder Marketing. Wir schreiben dieses Buch für unternehmerisch denkende Menschen, die ihr Unternehmen in unruhigen Zeiten unversehrt durch schwere See und durch unvermeidbare Krisen führen und später einmal als wertvollen Organismus einer nächsten Generation übergeben wollen. Für Menschen, die wissen, dass dies nur möglich ist, wenn sie mit ihren Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten und mit allen übrigen Zielgruppen, die für das Unternehmen wichtig sind, eine dauerhaft gute Beziehung pflegen. Für Menschen, die verstehen wollen, wie sie in einer Welt, in der Virtualität real und Realität auch virtuell geworden ist, ihre


Geschichte erzählen können. Für Menschen die durch ihre Geschichten manchmal mehr bewirken als durch harte Fakten. Für Menschen, die sich selbst als Individuen und Persönlichkeiten wie eine Marke entwickeln und positionieren – in einem sinnvollen Verhältnis zur Marke ihres Unternehmens. Solche dynamische Markenführung ist Teil einer kommunikationsgestützten Unternehmensführung. Sie ist heute unverzichtbar für die nachhaltige Entwicklung eines Unternehmens und schafft im Lauf der Zeit substanziellen Wert für Eigentümer und Mitarbeiter.

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» Mit diesem Buch wollen wir aufzeigen, wie Organisationen, die ihre Unternehmenskommunikation und ihr Marketing zusammengelegt haben, besser mit ihren Zielgruppen kommunizieren können und dadurch effektiver und mit reduziertem unternehmerischem Risiko geführt werden können. «



Teil 1 Teil 3 Wirkung und Kommunikation Einsatz von Marken


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Kapitel 1

Ich bin auf Facebook, also bin ich Ruedi Alexander Müller-Beyeler & Heiner Butz

Marken werden immer wieder mal als Persönlichkeiten dargestellt, und Unternehmen beschäftigen sich unter anderem mit ihrer Identität. Sind Marken deshalb menschlich? Oder anders herum gefragt: Was kann jeder und jede Einzelne von uns vom Konzept Marke abschauen und vielleicht übernehmen, um in der Gesellschaft des 21. Jahr­ hunderts gestaltend mitwirken zu können? Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigen wir uns in Kapitel 1.

In diesem Kapitel

Kapitel 1 – 01 Einheit in der Vielfalt – facettenreiche Ichs im Netz________________________ 16 Kapitel 1 – 02 Fassbar werden durch Inszenierung des Ich_____________________________ 20


Wundern Sie sich vielleicht, dass wir bei uns selbst beginnen, wenn wir über Marken schreiben? – Marken steigern den Wert eines Unternehmens und mindern viele Risiken am Markt und in der Organisation selbst. Finden Sie es deshalb abstoßend, von sich selbst als einer Marke zu denken? Assoziieren Sie dabei Menschen als reines Konsumgut, als Vermarktungsobjekte? Wie Justin Bieber, Paris Hilton, Lady Gaga und Co. es sein mögen? – Der Mensch sollte nicht zur Marke erniedrigt werden, werden Sie vielleicht denken, denn er ist keine Ware. Und natürlich hätten Sie recht: Was der Celebrity-Markt an Menschen­ marken so produziert, zeigt manchmal seltsame Auswüchse und kann durchaus kritisch diskutiert werden – so betrachtet. Oder denken Sie auch anders herum? Denken Sie vielleicht an den Stress, den Sie hatten, als Sie das letzte Mal Ihren Lebenslauf für einen Headhunter zusammenstellen oder eine Bewerbung schreiben mussten und sich nicht entscheiden konnten, was aus Ihrer Biografie da hineinsollte und was vielleicht nicht, um den nächsten Karriereschritt richtig aufzugleisen? Welche Seiten Sie von sich zeigen und wo Sie doch lieber die Grenzen zum Privaten ziehen sollten? – Gar nicht so einfach, vielleicht, denn unser privates Leben lässt sich wegen der digitalen Vernetzung nicht mehr mit der Stechkarte vom Fabrikalltag trennen wie damals im Industriezeitalter des 20. Jahrhunderts. Freizeit und Arbeit können heute nicht mehr trennscharf auseinandergehalten werden. ­Bildungs- und Berufskarrieren mäandern durch unser Leben wie Wasser­ läufe durch flache, sumpfige Landschaften. Und es lässt sich längst nicht mehr immer eindeutig entscheiden, welche Schlaufe, die wir in unseren Lebenslauf gelegt haben, für eine Selbstdarstellung – vielleicht nur ­situativ – bedeutsam sein könnte oder eben gerade nicht. Hinzu kommt, dass wir längst nicht mehr in geschlossenen Gesellschaften leben wie unsere Vorfahren vielleicht noch vor hundert Jahren. Mit einer klaren Rolle und einer Stellung auf Lebenszeit. Nein, wir leben heute in verschiedenen Gruppierungen … Communities … die nur noch teilweise personell überlappen, wenn überhaupt. Wir leben in unseren Unternehmen, bewegen uns auf Märkten, machen Sport, teilen kulturelle Interessen, an verschiedenen Orten … in Familien, in Patch­ works, in Single-Gemeinschaften, im Freundeskreis … mit und ohne Likes in den Sozialen Medien. Ja, wir leben heute kaum noch ausschließlich in Dorf- und Stadtgemeinschaften, sondern eben auch in sozialen Netzwerken, die keinen Ort kennen, weil sie digital sind. Wir treffen uns nicht mehr am Stammtisch, sondern häufiger auf «Facebook» und «LinkedIn». Und an jedem Knotenpunkt in unserem Netz zeigen wir uns ein bisschen anders, oder sieht man uns aus einem etwas anderen Blickwinkel, schillernd erscheinen wir vielleicht im besseren, verwirrend aber im schlechten Fall.

Ruedi A. Müller-Beyeler

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McLuhan, Marshall (1962): Gutenberg Galaxy

So hat sich das globale Dorf konkretisiert, das der berühmte Medientheoretiker Marshall McLuhan in den 1960er Jahren einst klarsichtig voraussagte. 1 Wir sind gleichzeitig eins und viele. Wir sind als Individuen durchaus in nicht mehr ganz trennscharfem Bezug zu den Unternehmen, die wir vielleicht als Unternehmer besitzen oder als Manager führen. Wir sind nicht mehr anonyme Arbeitskräfte des Industriezeitalters, die austauschbar waren wie Ersatzteile, denn was austauschbar und anonym ist, kann heute von Robotern geleistet werden. Und deshalb sind wir als Persönlichkeiten selbst wie Marken geworden, die mit den Unternehmen, für die wir arbeiten, Partnerschaften eingehen. Eigentliche Markenpartnerschaften, die wir vielleicht auch wieder aufkündigen und woanders neu eingehen werden – mit allen Mechanismen der Wertsteigerung und Risikominderung, die Marken eigen sind.

» Wir sind als Persönlichkeiten selbst wie Marken geworden, die mit den Unternehmen, für die wir arbeiten, Markenpartnerschaften eingehen. «

Zu dieser Entwicklung hat natürlich die virtuelle Welt, die wir uns mit dem Internet geschaffen haben, sehr viel beigetragen. Der digitale Raum ist heute nicht mehr Fiktion, wir leben real in ihm, einige von uns schon längst intensiver und den größeren Teil ihrer Lebenszeit als in der physischen Welt. Und auch in dieser neuen, neu hinzugekommenen Welt sind wir jemand … nur: wer denn eigentlich? … Unsere E-Mails vielleicht? Unser «Facebook»-Profil? Unsere Spiegelstrich-­ Biografie auf «LinkedIn»? Unsere Tweets? … Blogs? … Websites? – Eigentlich haben wir darüber bis heute wenig Kontrolle, denn wir haben im Netz keinen Körper wie im physischen Leben, der uns augenscheinlich als ein und dieselbe Person erscheinen lässt, ohne dass wir viel dafür tun müssen.

» Viele von uns sind heute wieder kleine Unternehmer geworden, weil sie ohne viel Investitionen ihre Kunden weltweit erreichen können. «


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Abbildung 1 – Das Ich im Spannungsfeld seiner Zielgruppen und Communities

Wie Chimären können wir dagegen, wenn wir wollen, in der vir­tuellen Welt zahlreiche unterschiedliche Identitäten annehmen. Aber wollen wir das wirklich als Unternehmer und Manager, oder geschieht es einfach mit uns, ohne dass wir Kontrolle darüber erlangen könnten? Für einige Netzexistenzen mag das Chimärenhafte reizvoll sein, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – gar nicht fassbar sein wollen. Viele andere haben aber das Bedürfnis, auch in dieser noch jungen digitalen Welt eine einzige Person und eine klar fassbare Persönlichkeit zu sein und selbst zu steuern oder wenigstens mitzusteuern, wie sie von anderen wahrgenommen werden. Nicht nur die Manager und CEOs großer Unternehmen, sondern auch sehr viele andere. Ähnlich wie es früher in jedem Dorf viele kleine Handwerksbetriebe gab, sind nämlich viele von uns heute wieder kleine Unternehmer geworden, weil sie jetzt


ohne viel Investitionen ihre Kunden weltweit erreichen können. Diesmal im globalen digitalen Dorf, aber doch wieder als kleine Einzel­ unternehmer wie die Handwerker vor dem Industriezeitalter in den Dörfern und Städten des Mittelalters. Und deshalb beginnen unsere Ausführungen zur modernen Markenführung bei uns selbst, beim Ich und bei der ICH-Marke. Sie führen uns dann über das Unternehmen als kulturellen Raum und die Unternehmensmarke als Identität schließlich wieder zurück zu uns selbst.

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Kapitel 1 – 01 Einheit in der Vielfalt – facettenreiche Ichs im Netz 2

Franck, Georg (1998): Ökonomie der Aufmerksamkeit: Ein Entwurf

Das globale Dorf ist weder ein Verkäufer- noch ein Käufermarkt. Hier herrscht schlicht die Ökonomie der Aufmerksamkeit, wie sie Georg Franck als Erster beschrieben hat. 2 Hier geht es erst einmal nur noch darum, überhaupt wahrgenommen zu werden. Das war auf dem Dorf zu Jeremias Gotthelfs Zeiten noch kaum zu beklagen. Eher im Gegenteil, da wusste jeder alles über jeden. Dorfklatsch. Der sorgte für mehr als genug Aufmerksamkeit. Anders heute … Gezwitscher im globalen Dorf … und keiner schaut hin. Aufmerksamkeit ist im Zeitalter der Überproduktion von Information das knappe Gut schlechthin geworden, in den hoch entwickelten Regionen der Welt und im globalen Netz. Und deshalb kämpft auch jeder Kleinunternehmer zuerst einmal darum, wahrgenommen zu werden – als etwas Besonderes am besten. Erst dann wird er Käufer finden und verkaufen können. Es ist aber gar nicht so einfach, seine ICH-Marke in Richtung Konsistenz zu steuern, Identität zu entwickeln und etwas Besonderes zu werden. Denn Identität ist nicht Uniformität. Schon gar nicht mehr heute, wo selbst große Marken wie zum Beispiel «Google» sich täglich in einem neuen Outfit zeigen. Identität ist komplex (geworden). Sie bedeutet Vielfalt in der Einheit und entsteht beim Menschen oft aus einem Erzählfluss, dessen Quelle wir manchmal selbst sind und dessen Lauf wir vielleicht gern selbst lenken möchten, aber nicht immer können. Wir konstruieren unsere Identität, indem wir uns von verschiedenen Seiten zeigen und indem wir uns selbst als Geschichte erzählen und weitererzählen lassen – mal so, mal anders, und doch immer gleich wahrgenommen. Deshalb sind wir vermutlich tatsächlich nicht nur eine einzige, sondern multiple Identitäten, obwohl wir nur ein einziges Ich, nur eine Persönlichkeit sind. Eben so, wie unser Körper von hinten anders aussieht als von vorne und wir doch nur ein Mensch sind, so ähnlich können wir in dieser erweiterten Welt, die digital ist, je nach medialem Zugang ganz unterschiedlich und doch als Ganzes gleich erscheinen – in unserem Unternehmen, vor unseren Analysten, in der Öffentlichkeit. Noch viel facettenreicher als schon in der alten Welt erscheinen wir aber im virtuellen Raum – eben nicht nur von vorne oder von hinten.


Weil wir als virtuelle Ichs nicht an drei Dimensionen gebunden und nicht in einem einzigen Körper gefangen sind, sondern uns medial inszenieren, gewollt oder ungewollt. Die Frage ist nur: Wie schaffen wir es eigentlich, in der digitalen Welt doch noch eins zu bleiben, wenn wir doch so viele sind? Oder, wie der Philosoph Richard David Precht es auf den Punkt gefragt hat: «Wer bin ich und wenn ja, wie viele?» 3 An diesem Punkt setzt die ICH-Marke an: Wenn wir unser physisches und unser digitales Dasein als ein Leben von einer Persönlichkeit verstehen wollen, dann sollten wir vielleicht damit beginnen, uns auch in der digitalen Welt irgendwo begreifbar zu machen, und uns aktiv selbst eine Form und ein Aussehen geben. Wir sollten uns vielleicht einen eindeutigen Ort schaffen da draußen im Universum der Server-Farmen, von dem aus wir unsere Identität aufbauen und pflegen können. Einen Ort, wo man uns findet und wiederfindet. Für die einen mag «Facebook» das schon geleistet haben, für die anderen mag eine Website genügen. Für Menschen aber, die als Unternehmer, Manager, Politiker, Freund, Sportler … oder was immer … Verantwortung übernehmen und in ihrem Netzwerk etwas bewegen wollen, genügt das wohl nicht. Auch ein geschliffenes Curriculum Vitae auf der Firmenseite kann solchen Menschen nicht mehr genügen, sie müssen richtig fassbar werden, damit sie selbst anpacken können.

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3 Precht, David Richard (2007): Wer bin ich – und wenn ja wie viele? Eine philosophische Reise

» Wir sollten uns vielleicht einen eindeutigen Ort schaffen da draußen im Universum der Server-Farmen, von dem aus wir unsere Identität aufbauen und pflegen können. «

Menschen, die verantwortungsvoll leben und etwas bewegen wollen, erreichen mehr, wenn sie sich selbst wie eine Marke pflegen. Nicht genau gleich wie ein Unternehmen, aber doch vergleichbar können sie ihre Identitätskonstruktion bewusst und gezielt selbst an die Hand nehmen. Damit sie sich im Netz nicht verpixeln und verlieren, sondern auch da Form und Profil als Persönlichkeit gewinnen. Gelingt das im digitalen, dann wirkt ein solches Profil natürlich auch wieder zurück in den analogen Alltag. Es wirkt im privaten und genauso auch im geschäftlichen Umfeld. Denn unsere digitale Identität ist durchaus verbunden mit unserem physischen sozialen Leben. Im Leben aus Fleisch und Blut können andere uns erleben, wenn wir etwas tun. Wir sind sichtbar und leben etwas vor, und manchmal erzählen wir den anderen, was wir tun und können. Wir pflegen ein


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Abbildung 2 – Identität im realen und im virtuellen Raum

soziales Leben. Dafür entwickeln wir einen individuellen Stil, geprägt durch: wie wir reden, wie wir uns kleiden, womit wir uns umgeben und so weiter. Warum aber sollten wir das in der virtuellen Welt nicht auch tun, wo wir doch potenziell viel mehr Menschen erreichen können und wahrscheinlich von einigen gesucht, gefunden und beurteilt werden. Auch von unseren Mitarbeitern, die uns in der virtuellen Welt jederzeit sehen können, ohne dass sie zuvor mit der Vorzimmerdame einen Termin vereinbaren müssen, wie das früher üblich war. Warum sollten wir im Netz nicht auch gezielt entscheiden, wie und mit welchem Stil wir uns zeigen wollen? Wir wären dann klarer zu fassen, könnten verbindlicher mit anderen kommunizieren, unser Netzwerk enger knüpfen und in der Welt mehr bewegen. Dafür sind aber die heutigen Social Media Tools, ob sie nun «Facebook», «Instagram» oder «Twitter» heißen, alleine zu schwach. Überhaupt reichen dafür Apps nicht aus, vielmehr braucht es auch für das Ich strategische und inhaltliche Markenführung, womöglich persönliches Coaching und multimediale redaktionelle Zulieferung von Dritten. Von Spezialisten also, die uns dabei unterstützen, unsere ICH-Marke im Netz aufzubauen und zu pflegen. Eine ICH-Marke strahlt Qualitäten aus. Qualitäten, die wir heute haben und die von den anderen akzeptiert und anerkannt sind, weil sie durch unsere Biografie und unser tägliches Handeln belegt sind. Aber auch solche, die wir vielleicht zuerst einmal nur behaupten, aber noch nicht durch Taten belegen können. Wie das auch eine Unternehmensmarke tut, wenn sie bekannt macht, wohin sie sich entwickeln will.


Qualitäten also, die glaubwürdig in die Zukunft weisen. Denn unsere Identität setzt sich zusammen aus dem, woran wir uns selbst und unsere Zielgruppen sich erinnern, also aus unserer Vergangenheit. Und natürlich auch aus dem, was wir jetzt gerade tun, also aus der Gegenwart. Aber eben auch aus dem, was wir erst noch zu tun gedenken. Zukünftiges, woran wir selbst wirklich glauben können. Ja, glauben müssen, damit andere es uns auch zubilligen und uns damit verbunden sehen. Zukunftsvisionen und -versprechen, die glaubwürdig wirken, wenn sie in der Vergangenheit verankert sind. Die Identität des Ich (genau wie von einer Unternehmensmarke auch) setzt sich deshalb aus IST- und aus SOLL-Vorstellungen zusammen. Aus Dingen, die wir schon sind, und solchen, die wir noch werden können oder werden wollen. Denn nicht nur, was wir sind, sondern auch, was wir noch vorhaben und andere uns auch zubilligen, macht uns interessant. Dabei ist zu wenig SOLL, zu wenig Behauptung, was noch kommen soll, langweilig. Und zu viel davon wahrscheinlich nicht mehr authentisch, weil die anderen und vielleicht auch wir selbst nicht richtig daran glauben können. Genau wie bei Unternehmensmarken eben auch. Deshalb muss sich die ICH-Marke wie eine kleine Unternehmensmarke fragen: Was ist mein aktuelles Image oder Fremdbild? Was denken die Leute von mir? Von meinen Fähigkeiten? Von dem, was ich tue? Von meinem Umfeld? Was erwarten sie von mir? Von meinem Talent und von meinen Beweggründen? Und welches sind meine eigenen Interessen und welche Vorhaben leite ich daraus ab? Aber auch: Was will ich erreichen und wozu fühle ich mich wirklich in der Lage? Und dann: Wie sollen andere mich in Zukunft sehen und erleben? Was soll anders sein als heute? Und wie anspruchsvoll ist eine beabsichtigte Veränderung des Fremdbildes? Ist dieses SOLL wirklich glaub­würdig? Kann ich das, was ich behaupte? Will ich einfach nur mein aktuelles Image stärken, oder will ich mich als Person tiefgreifend verändern, woraus dann ein neues, ganz anderes Fremdbild resultieren kann?

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» In der digitalen Welt haben wir oft keine Kontrolle darüber, wo wir gerade sind und wie wir dort wahrgenommen werden. Deshalb kann es zweckmäßig sein, Identität im Netz gezielt zu planen und aktiv zu inszenieren. «


Vieles davon tun wir im analogen, physisch gelebten Alltag auch. Aber selbstverständlich und oft unbewusst, weil wir einen Körper, Sinne und eine Sprache haben – und viele direkte Kontakte. In der digitalen Welt jedoch haben wir oft keine Kontrolle darüber, wo wir gerade sind und wie wir dort wahrgenommen werden. Deshalb kann es zweckmäßig sein, Identität im Netz gezielt zu planen und aktiv zu inszenieren.

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Kapitel 1 – 02 Fassbar werden durch Inszenierung des Ich

Sich selbst so mal einfach mit Texten, Tönen, Bildern, Filmen und Grafiken, also den Mitteln, die uns im digitalen Raum zur Verfügung stehen, darzustellen, ist schwierig. Wir haben das in vielen Selbstversuchen zusammen mit unseren Multimedia-Producer-Studierenden an der Hochschule in Chur ausprobiert und dabei festgestellt, dass es sehr viel schwieriger ist, sich selbst zu inszenieren, als von Dritten beschrieben zu werden. Genauso wie es für ein Unternehmen oft schwierig ist, von der Innensicht in die Perspektive der Kunden zu wechseln, ist es für eine einzelne Person schwierig, sich so zu beschreiben und darzustellen, wie es für Außenstehende interessant und aufschlussreich sein könnte. Manchmal fehlt Menschen, die in ihrem Fachgebiet zwar sehr kompetent sein mögen, aber auch einfach die Sprache als professionelles Kommunikationsmedium, ganz zu schweigen von der Fähigkeit, mit Fotos und mit Videos mehr als Erinnerungsbilder für die Familienchronik zu produzieren. Deshalb: Wer sein Ich im digitalen Universum profilieren und Aufmerksamkeit gewinnen möchte, beispielsweise weil er eine persönliche Polit- oder Wirtschaftskarriere ins Auge fasst, muss sorgfältig kommunizieren. Unternehmensmarken tun das auch. Und für die Entwicklung und Pflege der ICH-Marke können sogar teilweise die gleichen Modelle und Instrumente verwendet werden, wie sie in diesem Buch für die Analyse, die Entwicklung und die Führung von Unternehmensmarken beschrieben sind. Wie wir das Ich im Netz inszenieren und wie wir uns damit in Bezug zu anderen ICH-Marken und zu den Unternehmensmarken stellen, mit denen und für die wir arbeiten, ist natürlich keine Aufgabe, die einmal gelöst und dann für den Rest unserer Karriere erledigt ist. Es ist schon ein bisschen wie «Facebook» – Social Media eben. Bewegtes soziales Leben im Netz. Aber auch einmal etablierte ICH-Marken müssen laufend weiter unterhalten und gepflegt werden. So wie wir am Morgen duschen, uns rasieren oder schminken und uns für den Tag angemessen kleiden, so müssen wir auch die ICH-Marke im Netz immer wieder frisch machen, vielleicht wieder einmal eine neue Geschichte erzählen oder ein neues


Bild posten und damit eine andere Facette von uns ins richtige Licht rücken. Denn nicht nur wir selbst, sondern auch die Welt um uns herum verändert sich laufend und lässt uns selbst immer wieder in neuem Licht erscheinen, ob wir wollen oder nicht. Das können wir einfach über uns ergehen lassen und abwarten, was passiert, oder wir können eben reflektiert gestaltend damit umgehen. Wie mit Veränderungen im realen Leben auch. Und wer als Marke einmal bedeutend geworden ist, über den reden und schreiben dann auch andere. Vielleicht die Massenmedien, vielleicht auch Blogger in Foren und in den Sozialen Medien. Wer sich als ICH-Marke ernst nimmt, weil sie Wirkung nach außen zeigt, muss deshalb laufend mitverfolgen oder mitverfolgen lassen, wie und was über ihn geschrieben und geredet wird. Er muss auf Veränderungen reagieren und seine ICH-Darstellung immer wieder dem Kontext und der aktuellen Situation anpassen, ohne dabei opportunistisch zu werden.

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» Vieles spricht für eine sorgfältige Pflege des Ich in der digitalen Welt. «

Vieles spricht für eine sorgfältige Pflege des Ich in der digitalen Welt. Kunstfiguren wie Lady Gaga, Cindy Sherman oder Pipilotti Rist überhöhen mit ihren Kunstinterventionen solche Konzepte, so wie Kunst oft Themen überhöht, um sie deutlich zu machen. In unserem profanen Alltag aber, als Menschen, die als Unternehmer oder Manager, als Studierende oder Professoren Erfolg haben wollen, gehört eine selbst­ verständliche und professionelle Pflege unseres digitalen Daseins in Zukunft möglicherweise einfach mit zum Leben. Mit Instrumenten, die es heute vielleicht noch gar nicht gibt. So wie wir am Morgen früh unsere Zähne putzen, machen wir vielleicht dereinst unser digitales Ich mit einer digitalen Zahnbürste frisch für den Tag im Netz. Deo Stick hier – USB Stick dort.

» Wir sind multiple Identitäten geworden, und nur eine starke Marke hält sie zusammen und macht daraus eine Persönlichkeit. «


Deshalb: So gaga ist Lady Gaga vielleicht dann doch nicht mit dem, was sie uns zeigen will. Wir sind multiple Identitäten geworden, und nur eine starke Marke hält sie zusammen und macht daraus eine Persönlichkeit.

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Heiner Butz

Und nun schauen wir uns dies alles noch einmal aus einer anderen Perspektive an – aus der Perspektive des Journalisten, des weniger expressiven Menschen, der gerne auch mal die Ruhe genießt und sehr viel liest. Aus meiner Perspektive eben. Aber merken Sie etwas? Das fängt ja schon an wie die Darstellung einer ICH-Marke, und genau dagegen wollte ich mich verwahren. Ich – Heiner Butz – bin kein Produkt, keine Ware und ganz und gar nicht käuflich und sicher keine Marke. Und doch kann ich nicht verhehlen, dass ich mich sorge, um mein Image bei Freunden und Bekannten, bei Geschäftspartnern und auch in der Familie. Ich will ja nicht schlecht dastehen, nicht rückständig wahrgenommen werden. Ich will einfach auch geliebt werden – wenigstens ein wenig. Ich sorge mich nicht wirklich sehr um mein Ansehen. Das hat sicher auch zu tun mit meinem Alter und mit der Lebenserfahrung, die ein 52-jähriger Mann so hat. Die Frage nach dem Ich stellt sich aber auch für mich, für mich in der weniger multimedialen Lebenswelt. Diese Frage hat sich immer gestellt, ob bei Descartes, bei Sartre oder heute bei Precht, ob bei Goethe, bei Thomas Mann oder heute bei Kehlmann. Die Frage nach dem Ich ist eine der Fragen der Philosophie und der Literatur, eine Frage des Menschseins. Wer bin ich? Wer bin ich im Unterschied zum anderen? Wer war ich? Wer will ich sein? So schnell kommt man durch einen Perspektivenwechsel zu den ganz grundsätzlichen Fragen der Menschheit. Und alles nur, weil der Mensch als Marke gefasst wird. Oder sein Sein reduziert wird in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit. Immer wenn Menschen sich diese Fragen nach dem eigenen Ich stellen, dann stellen sie sich diese im Bezug zu ihrer Lebenswelt. Eine lapidare Selbstverständlichkeit, aber eine Selbstverständlichkeit, die häufig nicht bis ins Bewusstsein gelangt. Erkenntnistheorie und Existenzialismus haben immer wieder ganz grundsätzlich die Lebenswelt des Ich ignoriert oder zumindest nicht in hohem Maße gewichtet. Im Zentrum stand damals wie heute: Was kann ein Mensch wissen und erkennen oder was ist der Mensch in seiner Existenz, im Kern seinen Seins. Das Bezogensein auf das Ich ist eben nicht nur eine Zeiterscheinung, obwohl die Ausprägung heute in einer Welt westlicher Kultur eine besonders starke zu sein scheint. Ein ganzer Wirtschaftsbereich lebt davon. Die Regenbogenpresse und ihre Ableger auf allen medialen Plattformen sind ein enormer Wirtschaftsfaktor, und


hier werden offensichtlich die Bedürfnisse von ganz vielen Menschen befriedigt. Und die meisten Menschen, die hier dargestellt werden oder besser, die sich selbst zur Schau stellen, werden den Ansatz des ICH-­ Marketings verstehen und für selbstverständlich halten. Heerscharen von Boulevard-Journalisten leben genau davon. Sie schildern das Zusammenspiel der Egomanen in einer künstlichen Welt, in einer Scheinwelt und bieten den Menschen eine Fluchtburg vom Alltag. Das ist manchmal nachzuvollziehen und manchmal nicht. Aber die Menschen sind eben verschieden, und es ist nicht an mir, das zu bewerten. Die weiter oben erwähnte Identitätskonstruktion des Ich ist genau das, was das Wort aussagt. Es ist eine Konstruktion des Ich, und es ist immer auch eine Vorspiegelung von Tatsachen. So weit ein kritisch hinterfragender Ansatz zur ICH-Marke. Aber auch als Journalist bin ich all den Fragen dieses Themenfeldes immer wieder ausgesetzt. Und als Mensch verstehe ich Goethe schon sehr gut, wenn er sagen lässt, « … ach zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust!» Journalisten und Schriftsteller bewegen sich seit jeher in diesem Spannungsfeld. Auf der einen Seite geht es ihnen oft um expressive Selbstdarstellung und auf der anderen um echte Innerlichkeit. Als Journalist habe ich etwas zu sagen, will etwas in die Gesellschaft tragen, ihr etwas geben – uneigennützig und neutral. Und doch weiß ich zu jedem Zeitpunkt, dass es diese unbedingte Neutralität nicht gibt, nicht geben kann. Nur zu gerne vergessen wir Journalisten dies immer wieder, um uns dann wenig später verschämt wieder daran zu erinnern. Dies allerdings in der Regel im einsamen Kämmerlein. Sollte ich meine Wurzeln und meinen persönlichen Standpunkt nicht transparent machen? Sollte ich meine Meinung und vor allem auch meine Beziehungen in dieser Sache, über die ich schreibe, nicht offenlegen? Ja, muss ich das nicht eigentlich, um glaubwürdig zu sein, zu bleiben? In Zeiten von «Facebook» und Co. liegt meine Lebenswelt, liege ich offen wie ein Buch vor meinen potenziellen Kunden, vor meinen Lesern. Ich kann mich nie mehr ganz und gar zurückziehen ins Private. Immer gibt es mich im Netz oder etwas über mich. Journalisten haben, wie alle Menschen in dieser Kommunikationsgesellschaft nicht mehr die alleinige Hoheit über die Informationen zur eigenen Person. Wie gehen wir Publizisten damit um? Können wir das überhaupt ignorieren? Hat es nicht auch direkte Auswirkungen auf unsere Publikationen? Und damit auf das, was wir und wie schreiben oder visualisieren? Verstecken können wir uns nicht mehr. Als Publizistinnen und Publizisten sind wir nie mehr unsichtbar. Nichts Geschriebenes verschwindet wieder in der Versenkung. Das Netz vergisst nichts, und so ist es aus mit unserer Anonymität. Im Sinne des redlichen Journalismus ist

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das sicher kein Nachteil. Parteigänger können so entlarvt werden, genauso wie Objektivität überprüft werden kann – zumindest ansatzweise. So wird dann schnell klar, welche Verbindungen es gibt zwischen Journalisten, die dann im Nebenjob noch für Unternehmen oder Parteien Veranstaltungen moderieren, hierfür gut bezahlt werden und sich dann wieder kritisch auseinandersetzen sollen mit ebendiesen Geld­ gebern. So sieht sicher keine Objektivität aus, keine Neutralität, und so geht die Glaubwürdigkeit mal ganz schnell in die Binsen. Das bedeutet aber auch, dass ich mich als Publizist sorgen muss um meine Medienpräsenz, und zwar um die von mir initiierte und genauso um die von mir nicht gewollte und doch entstehende. Und ich muss mir der Frage stellen, ob ich meine Positionierung in bestimmten Fragen selbst vornehmen oder sie den Tiefen des Netzes überlassen will. Darf ich Bilder, Videos und Texte über mich einfach so ignorieren? Gehört zu meinem publizistischen Profil nicht auch eine Positionierung in Bezug auf den Berichtsgegenstand oder auf mögliche Berichtsgegenstände? Keine einfache Frage! Aber mir scheint eine Frage, der wir Publizisten und ganz sicher im Speziellen die Journalisten nicht ausweichen dürfen. Und dann bin ich doch wieder bei der ICH-Marke. Ergeben die Antworten auf die Fragen nicht wie ganz selbstverständlich die Werte und Eigenschaften einer ICH–Marke? Ich glaube, es gibt viel Gemeinsames zwischen einer medialen Selbstdarstellung und einer ICH–Marke und aber auch grundsätzlich Trennendes. Ich bleibe dabei, die ICH–Marke ist eine Konstruktion und keine Bestandsaufnahme des Ich. Das zeigt sich vor allem darin, dass eine ICH–Marke immer nach vorn zeigt, in die Zukunft, in das Morgen hinein. Das tut sie alleine schon dadurch, dass sie Behauptungen aufstellt, eben genau wie eine Unternehmensmarke, Behauptungen über das Morgen und in einer SOLL-Darstellung über das eigene Ich. Das ist die eigentliche Konstruktion und eine solche widerspricht für mich ganz grundsätzlich einer journalistischen Haltung. Sie geht davon aus, dass ich Wirkung haben will und dass diese Wirkung ganz bewusst eingesetzt werden soll, um etwas zu erreichen. Das Wissen um ein Fremdbild meiner selbst kann mir auch als Journalist noch sehr nützlich sein, bei der Bearbeitung eines Berichtsgegenstandes. Diese Fremdwahrnehmung aber zu steuern, zu beeinflussen, um dann etwas auszulösen, sie durch die Konstruktion des eigenen Ich zu gestalten, das wird dann doch sehr fragwürdig. Hier ist dann ein Journalist, eine Journalistin schnell mal nicht mehr weit entfernt von klassischer Propaganda. Was will ich erreichen? Wie kann ich mein Gegenüber beeinflussen? Wie kann ich mich glaubwürdig darstellen? Was will mein Gegenüber hören? Die eigene Position zu


einem Berichtsgegenstand wird dann gestaltet und so ein Mittel zum Zweck. Und der Berichtende wird in hohem Maße Teil der Szenerie und versucht nicht länger die größtmögliche Distanz zu halten, weil er ja Ziele hat, die ganz bewusst über das Berichten hinausgehen. In Meinungsformaten mag das dann noch akzeptabel sein, aber auch nur bei eindeutiger Kennzeichnung als Meinung. So wird es für den Rezipienten möglich einzuschätzen, was das Ziel des Autors ist. Ein Journalist kann keine ICH–Marke im oben dargestellten Sinne sein, aber er muss sich seiner Medienpräsenz bewusst sein, er muss in sein Schaffen mit einbeziehen, dass die Konsumenten seiner Produkte heute sein Werk immer im Kontext mit seiner Person und auch mit seinem Umfeld sehen. Er muss sich gegebenenfalls distanzieren, oder er muss transparent machen, welchen Einflüssen er ausgesetzt ist. Natürlich muss ein Publizist, eine Publizistin sich in Zeiten von «Facebook» und Co. bewusst machen, wie er oder sie gesehen wird in der Öffentlichkeit, in welchem Kontext seine oder ihre Texte, Bilder und Filme auftauchen und welche Schlüsse die möglichen Zielgruppen daraus ziehen können und werden. Das hat selbstverständlich Einfluss auf die Medienprodukte, auf die Machart und auch auf die Inhalte. Dieses an Zielgruppen orientierte Schreiben und Produzieren hat aber nichts zu tun mit nach dem Mund reden oder gar mit einer markenkonformen Darstellung von Inhalten. Dies ist ganz einfach einerseits der Authentizität geschuldet und andererseits dem Willen, in einer Gesellschaft Menschen zu informieren oder gar aufzuklären.

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