Schwick et al., Zersiedelung messen und begrenzen

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Bristol-Schriftenreihe Band 57


Herausgeber Ruth und Herbert Uhl-Forschungsstelle fĂźr Natur- und Umweltschutz, Bristol-Stiftung, ZĂźrich www.bristol-stiftung.ch


Christian Schwick, Jochen Jaeger, Anna Hersperger, Gierina Cathomas, Rudolf Muggli

Zersiedelung messen und begrenzen Massnahmen und Zielvorgaben fĂźr die Schweiz, ihre Kantone und Gemeinden

Haupt Verlag


Verantwortlich für die Herausgabe Bristol-Stiftung. Stiftungsrat: Dr. René Schwarzenbach, Herrliberg; Dr. Mario F. Broggi, Triesen; Prof. Dr. Klaus Ewald, Gerzensee; Martin Gehring, Zürich Managing Editor: Dr. Manuela Di Giulio, Natur Umwelt Wissen GmbH, Zürich Adressen der Autoren Christian Schwick, Die Geographen schwick+spichtig, Turbinenstrasse 60, 8005 Zürich, Schweiz. Prof. Dr. Jochen Jaeger, Concordia University Montréal, Department of Geography, Planning and Environment, 1455 de Maisonneuve Blvd. West, Suite H1255, Montréal, Québec H3G 1M8, Canada. E-Mail: jochen.jaeger@concordia.ca Dr. Anna Hersperger, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf, Schweiz. E-Mail: anna.hersperger@wsl.ch Gierina Cathomas, Via principala 23, 7165 Breil/Brigels. E-Mail: gierina.cathomas@bluewin.ch Rudolf Muggli, AD!VOCATE, Helvetiastrasse 5, 3000 Bern 6. E-Mail: rudolf.muggli@ad-vocate.ch Bildautorenschaft Alle Fotos, bei denen keine Quelle genannt ist, stammen von den Autorinnen und Autoren. Layout: Jacqueline Annen, Maschwanden Umschlag und Illustration Atelier Silvia Ruppen, Vaduz Zitierung SCHWICK , C.; JAEGER, J.; HERSPERGER, A.; CATHOMAS, G.; MUGGLI, R., 2018: Zersiedelung messen und begrenzen – Massnahmen und Zielvorgaben für die Schweiz, ihre Kantone und Gemeinden. Zürich, Bristol-Stiftung; Bern, Haupt. 238 S. Zitierung einzelner Kapitel Kapitelautoren, 2018: Kapiteltitel. In: Zersiedelung messen und begrenzen – Massnahmen und Ziel vorgaben für die Schweiz, ihre Kantone und Gemeinden. Zürich, Bristol-Stiftung; Bern, Haupt. S. x-y. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Der Haupt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt. ISBN 978-3-258-08086-4

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Abstract Measuring and Limiting Urban Sprawl. Measures and Targets for Switzerland, its Cantons, and Municipalities The landscapes in Switzerland have been massively altered by increasing urban sprawl. Between 1885 and 2010, urban sprawl increased by 557 percent. It increased especially strong between 1960 and 1980 during the period of large-scale suburbanization and again more recently in 2002 to 2010. This trend can also be observed in individual municipalities and cantons. Urban sprawl is alarmingly spreading from the Midland to the alpine valleys. Spatial planning has not been able to stop the increase in urban sprawl to this day. The awareness of the many negative impacts of urban sprawl on the landscape and on different areas of life has grown considerably in recent years. In order to discuss the problem on a quantitative basis, however, methods and data have been missing so far, which would have allowed for a comparison of sprawl between different regions of Switzerland. This has changed only recently due to the implementation of the Weighted Urban Proliferation WUP method (or in German: Messmethode der gewichteten Zersiedelung Z ). In order to measure the degree of urban sprawl, the sole indication of the size of the settlement area is not sufficient. The spatial distribution of the settlements and population density must also be taken into account. For example, the degree of urban sprawl WUP (or Z ) can be quantitatively described as a combination of the measured values of the proportion of built-up areas PBA, the degree of urban dispersion DIS, and the land uptake per person LUP (or in German: Flächeninanspruchnahme FI pro Person). A quantitative assessment of urban sprawl also allows for establishing reference values, such as targets, limits, and warning values, on the basis of the values of Z for Switzerland, its cantons, and municipalities. Such values depend on the anticipated population development, as the number of inhabitants and jobs is considered in the calculation of the urban sprawl values. Correspondingly, this book proposes reference values for the high and the intermediate population scenarios of the Federal Statistical Office FSO. Based on these reference values, legal requirements can be developed. These act as a reliable framework for all spatial planning actors, create legal certainty, and can end the detrimental competition between the municipalities for jobs, tax revenues, and residents. The USM-tool, which is also outlined in this book, and the proposed guidelines can help municipalities and cantons to measure urban sprawl in a quantitative manner and to develop targeted measures to limit urban sprawl. With historical portraits we show how selected municipalities and cantons were able to control sprawl within their territory in the past decades. Keywords: urban sprawl, limits, USM-Tool, measurement, instruments, legal regulations, targets.


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Zersiedelung messen und begrenzen

Abkürzungsverzeichnis ABI ABN ARE

ASF BAFU BFS (BfS) CMA

DIS DSE EEA (EUA) EFTA ENHK EWAP FFF

FI g1 (DIS) g2 (FI) GIS LABES

LUP MONET NFP

PBA RPG TLM

TS ÜO

UD UP UPU USM UVEK VLP-ASPAN W2 WSL WUP

Z Za ZB ZPP

Anteil Bevölkerungszuwachs Innenverdichtung Anteil Bevölkerungszuwachs Neubaugebiete Bundesamt für Raumentwicklung Anteil der Siedlungsfläche (gemessen in Prozent) Bundesamt für Umwelt Bundesamt für Statistik Census Metropolitan Area Dispersion der Siedlungsflächen (gemessen in DSE/m2) Durchsiedelungseinheiten European Environment Agency (Europäische Umweltagentur) European Free Trade Association (Europäische Freihandelsassoziation) Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission Einwohner/innen und Arbeitsplätze Fruchtfolgeflächen Flächeninanspruchnahme pro Person (gemessen in m2 pro Einwohner/in oder Arbeitsplatz) Gewichtungsfunktion für die Dispersion Gewichtungsfunktion für die Flächeninanspruchnahme Geographic Information System (Geographisches Informationssystem) Landschaftsbeobachtung Schweiz Land uptake per person (FI) Monitoring der nachhaltigen Entwicklung in der Schweiz Nationales Forschungsprogramm Proportion of built-up areas (ASF) Raumplanungsgesetz Topographisches Landschaftsmodell Total Sprawl (Gesamtdurchsiedelung; gemessen in DSE ) Überbauungsordnung Ausnützungsdichte (Utilization Density; gemessen in EWAP pro km2) Urbane Durchdringung (Urban Permeation; gemessen in DSE/m2) Urban permeation units (DSE) Urban Sprawl Metrics Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Schweizerische Vereinigung für Landesplanung Wohnzone 2 Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) Weighted Urban Proliferation (Z) Gewichtete Zersiedelung (gemessen in DSE/m2) Gewichtete Zersiedelung mit Berücksichtigung des gesamten Referenzgebietes (a: alle Flächen) Gewichtete Zersiedelung mit Berücksichtigung der besiedelbaren Flächen eines Referenzgebietes (b: besiedelbare Fläche) Zonen mit Planungsflicht


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Zum Geleit Im März 2013 haben sich die Stimmenden in der Schweiz für einen Stopp der Zersiedelung ausgesprochen. Es sollte vor allem eine Lenkung der Siedlungsentwicklung nach innen stattfinden. Halten wir fest, dass in den letzten 25 Jahren die Siedlungsentwicklung um ein knappes Viertel zugenommen hat. Der Landmehrbedarf ging zu 80 Prozent zu Lasten wertvollen Landwirtschaftslandes. Die Zersiedlung hat vor allem in diesem Zeitraum weitaus mehr zugenommen als im selben Zeitraum die Bevölkerung; der Haupttreiber ist der Flächenkonsum pro Kopf. Da nützen uns alle Worthülsen über Nachhaltigkeit wenig, Raumplanung hat es schwer und blieb bisher zahnlos und damit wenig erfolgreich. Die Herausforderung damit umzugehen, ist nicht überall die Gleiche. Die Kernstädte mit ihren professionellen Stäben sind sich ihrer Aufgabe eher bewusst, sie haben ja auch bereits eine gewisse Verdichtung. Die Agglomerationsgemeinden dürften hingegen am meisten gefordert, ja wohl auch überfordert sein. Das gilt in ganz anderem Sinne auch für die schrumpfenden Berggemeinden, wo die bisherigen Raumplanungsinstrumente nur auf Wachstum ausgerichtet waren. Wie bekommen wir die weitere anstehende Zersiedelung doch noch in den Griff? Hat die Planung genügend Ahnung davon, wie wir morgen wohnen und leben wollen? Ich meine, hier braucht es vor allem auch Innovation und Mut für Experimente. Das braucht neue Vernetzungsbereitschaften zwischen Politik, Forschern, Stadtplanern, Architekten, Projektentwicklern und Investoren. Gut darum, dass im vorliegenden Werk einige raumplanerische Tastversuche dargestellt werden. Unsere Autorenschaft hat sich in ähnlicher Zusammensetzung bereits im Jahre 2010 mit der Zersiedlung der Schweiz befasst und zwar mit einer quantitativen Analyse und Folgerungen für die Raumplanung. Sie sorgten inzwischen für eine Fortentwicklung ihrer Forschungen, das heisst sie sind am Thema geblieben und präsentieren nun hier weitere Ergebnisse und vor allem ein konkretes Umsetzungsprodukt, einen neu entwickelten Wert für das Zersiedlungsmass. Ein zu berechnender Wert zeigt, wo ein Gebiet oder ein Projekt bezüglich Zersiedlung steht. Damit wird ein Benchmarking möglich. Es drängt sich auf, ein solches Mass in ein Indikatorenset für Nachhaltigkeit aufzunehmen. Dieses Zersiedlungsmass ist ein Hilfsmittel für die im geltenden Raumplanungsrecht etalierte raumplanerische Interessenabwägung auf allen Stufen. Das löst vorerst noch keine Handlungspflicht aus. Wenn die Darstellung der Zersiedlungsfolgen in der räumlichen Planung aber zur Pflicht wird, muss dies in künftige Entscheide einfliessen. Mit dem Einsatz des Zersiedlungsmasses lässt sich nämlich eine Weiterentwicklung anstreben. Man kann dieses Mass für Ziel- und Grenzwerte nutzen oder für ein Verschlechterungsverbot einsetzen. Dieser Wert ist somit vielseitig einsetzbar: als Indikator für die Raumbeobachtung, als Planungsinstrument, als rechtlich verbindlicher Ziel- oder Richtwert oder aber er wird wie erwähnt im Sinne des Verschlechterungsverbotes eingesetzt. Bund, Kantone und Gemeinden haben eine riesige Herausforderung vor sich, die Zersiedelung zu stoppen. Ob dieser Wille ausreichend ausgeprägt vorhanden ist? Eine proaktive Bodenpolitik kann dies jedenfalls massgeblich unterstützen. Wir danken der Autorenschaft für die Vorlage ihrer neuen Vorschläge. Sie haben uns für das Messen und Begrenzen der Zersiedlung sehr konkrete Anregungen vermittelt. Mögen diese Anregungen eine breite Resonanz finden, zum Wohle unseres gemeinsamen Lebensraumes und desjenigen unserer Enkel. Mario F. Broggi Stiftungsrat Bristol-Stiftung, Zürich



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Inhalt Abstract Abkürzungsverzeichnis Zum Geleit Vorwort

5 6 7 11

1 Einleitung Anna Hersperger, Jochen Jaeger, Christian Schwick 1.1 Zersiedelung – ein ungelöstes Problem der Raumplanung 1.2 Vielfältige Ursachen der Zersiedelung 1.3 Negative Auswirkungen der Zersiedelung 1.4 Die Raumplanung versucht, die Zersiedelung einzugrenzen 1.5 Verwaltung und Wissenschaft: Die Zukunft der Zersiedelung 1.6 Ziele des Buches

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2 Zersiedelung messen und begrenzen Christian Schwick, Jochen Jaeger 2.1 Die Messmethode der gewichteten Zersiedelung (Z) 2.2 Entwicklung der Zersiedelung in der Schweiz 2.3 Ziel- und Grenzwerte für die Schweiz

13 15 19 20 22 25

27 27 60 81

3 Illustration verschiedener Zersiedelungswerte mit Hilfe von Fotografien Anna Hersperger, Jochen Jaeger, Christian Schwick

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4 Instrumente und gesetzliche Bestimmungen zur Begrenzung der Zersiedelung Rudolf Muggli 4.1 Zum Inhalt des Kapitels 4.2 Erste Zersiedelungsbremsen in den siebziger Jahren 4.3 Geltende Regeln zur Bekämpfung der Zersiedelung 4.4 Notwendigkeit von zusätzlichen Instrumenten zur Bekämpfung der Zersiedelung 4.5 Einsatzmöglichkeiten der Zersiedelungsmasse in der Raumplanung 4.6 Vorschläge für die Raumplanung des Bundes, der Kantone und der Gemeinden 4.7 Beispiele für Gesetzestexte auf Bundesebene

113

5 Implementierung von Massnahmen gegen Zersiedelung: Lernen von guten Beispielen Gierina Cathomas, Anna Hersperger 5.1 Einleitung 5.2 Methoden 5.3 Porträts 5.4 Erkenntnisse aus den Beispielen

113 115 119 121 123 126 130

135

135 136 138 181


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Zersiedelung messen und begrenzen

6 Folgerungen und Ausblick – Wege zu einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung Anna Hersperger, Jochen Jaeger, Christian Schwick

189

7 Zusammenfassung

193

8 Literatur

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Anhang A Die Formeln der Messgrössen für die Zersiedelung B Wertetabellen C Tabelle der unbesiedelbaren Gebiete D Rolle der Dispersion E Theoretisches Beispiel zur Bewahrung von Grünflächen bei der Verdichtung von Siedlungsflächen F Erläuterungen zum Beobachtungshorizont

232 234

Porträts der Autorinnen und Autoren

237

201 204 230 231


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Vorwort Die Schweizerische Landschaft wurde in den letzten Jahrzehnten durch Aktivitäten der Menschen stark verändert. Insbesondere der gestiegene Wohlstand der Bevölkerung und die Bevölkerungszunahme führten zu einer eifrigen Bautätigkeit. Für die Errichtung neuer Gebäude zum Wohnen und Arbeiten, sei es als Antwort auf einen ausgewiesenen Bedarf oder als Möglichkeit, Geld zu investieren, wurde eine grosse Menge Land erschlossen. Die Siedlungsflächen haben sich deswegen stark ausgedehnt. In den nächsten zwanzig Jahren werden die Bevölkerungszahl und der Flächenbedarf voraussichtlich weiter ansteigen. Entsprechend bleibt der Siedlungsdruck auf die offene Landschaft sehr hoch und die Zersiedelung schreitet weiter voran. Solche Entwicklungen sind nicht nur in der Schweiz zu beobachten: Weltweit gehen durch Bautätigkeit und Siedlungsausdehnung jedes Jahr viele Hektare Land verloren. Die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen sind vielschichtig. Zum Beispiel versiegeln die sich ausdehnenden Siedlungen fruchtbaren Boden, so dass Regenwasser nicht mehr versickern kann, der Oberflächenabfluss zunimmt und es vermehrt zu Überschwemmungen kommt. Weitere wichtige negative Auswirkungen stehen in Verbindung mit erhöhten Treibhausgas- und Lärmemissionen, dem Verlust von Fruchtfolgeflächen und Naherholungsgebieten sowie steigenden Kosten für die Verkehrserschliessung. Seit mehr als einem halben Jahrhundert wird nun bereits vor den Auswirkungen einer zunehmend fragmentierten und zersiedelten Schweiz gewarnt. Das Problem wurde inzwischen weitgehend erkannt und angegangen, wenn auch zum Teil erst zaghaft. Nun ist es an der Zeit, Bund, Kantone und Gemeinden bei der Umsetzung von griffigen Massnahmen zur Begrenzung der Zersiedelung zu unterstützen. Mit dem Buch «Zersiedelung der Schweiz – unaufhaltsam?» von 2010 aus derselben Buchreihe wurde ein Dokument erstellt, das die Entwicklung der Zersiedelung in der ganzen Schweiz über einen Zeitraum von hundert Jahren in Zahlen ausgedrückt (SCHWICK et al. 2010). Ferner wurden darauf basierend einige generelle Folgerungen für die Raumplanung abgeleitet. Obwohl die Schweizer Raumplanung seither einige Massnahmen ergriffen hat, ist das Problem der Zersiedelung längstens nicht gebannt. Was bisher unter anderem noch fehlte, sind feste Referenzwerte, an welchen sich die Raumplanung orientieren kann, um gezielt Massnahmen gegen die Zersiedelung zu ergreifen und diese auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Mit Hilfe der Messmethode der «gewichteten Zersiedelung» kann die Zersiedelung zu jedem Zeitpunkt räumlich explizit gemessen werden. So erlaubt diese Methode, Zielvorgaben für die Zersiedelung zu entwickeln. Werden solche Werte in den entsprechenden Gesetzen verankert, könnten sie einen grossen Beitrag zur Eingrenzung der Zersiedelung leisten. Die letzten verfügbaren Werte zur Zersiedelung in der Schweiz stammen aus dem Jahr 2002 (SCHWICK et al. 2010). Ein Vorschlag zu Zersiedelungsgrenz- und Zielwerten sollte hingegen unter Berücksichtigung möglichst aktueller Werte erfolgen. In der vorliegenden Studie werden deshalb die Werte des Zersiedelungsgrades für das Jahr 2010 vorgestellt. Basierend auf diesen Werten will die Studie Planer(inne)n in Gemeinden und Kantonen Wege aufzeigen, wie das Mass der Zersiedelung eingesetzt werden kann, um die Ausdehnung von Siedlungsflächen in Zukunft zu reduzieren. Das Kapitel 1 «Einleitung» führt ins Thema ein und umreisst Ursachen sowie negative Auswirkungen der Zersiedelung. Kapitel 2 «Zersiedelung messen und begrenzen» diskutiert die neusten Entwicklungen beim Zersiedelungsgrad und die Messmethode der gewichteten Zersiedelung anhand des USM-Tools und macht Vorschläge zu numerischen Ziel- und Grenzwerten der Zersiedelung. Anhand von Fotos illustriert das Kapitel 3 unterschiedliche Zersiedelungsgrade in verschiedenen Siedlungstypen. Im Kapitel 4 «Instrumente und gesetzliche Bestimmungen zur Begrenzung der Zersiedelung» wird gezeigt, wie die Vorschläge für Grenz- und Zielwerte aus Kapitel 2 in der raumplanerischen Gesetzgebung umgesetzt werden können. Das Kapitel 5 «Implementierung von Massnahmen gegen Zersiedelung: Lernen von guten Beispielen» zeigt anhand von positiven kantonalen und kommunalen Beispielen, welche raumplanerischen Massnahmen zersiedelungshemmend gewirkt haben und wie diese umgesetzt wurden. Abschliessend werden in Kapitel 6 die Folgerungen des Buches zusammengefasst und ein Ausblick in die Zukunft gewagt.


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Zersiedelung messen und begrenzen

Im Anhang des Bandes sind Tabellen und Karten zu finden mit den wichtigsten Werten sowie unterstützenden Erklärungen für die in Kapitel 2 diskutierten Berechnungen. Weitere Dokumente sind auf der Webseite www.wsl.ch > Services und Produkte > Urban Sprawl Metrics Tool USM (www.wsl.ch/zersiedelung) zu finden. Diese beinhaltet das USM-Tool, Publikationen, Abbildungen, Karten, Fotografien und Links zu weiterführenden Informationen. Die Autoren wurden im Projekt von einer Expertengruppe unterstützt. Diese erarbeitete in mehreren Gesprächsrunden zusammen mit den Autoren die hier vorgestellten Vorschläge für Ziel- und Grenzwerte zur Zersiedelung in der Schweiz und für Gesetzesvorschläge auf der Ebene des Bundes, der Kantone und der Gemeinden. Mitglieder der Expertenrunde waren: – Herbert Bühl: Präsident der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission ENHK; – Prof. Dr. Alain Griffel: Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht an der Universität Zürich; – Heidi Haag: Schweizerische Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN; – Prof. Dr. Felix Kienast: Departement für Umweltsystemwissenschaften ETH Zürich und Eidg. Forschungsanstalt WSL; – Dr. Daniel Müller-Jentsch: Avenir Suisse; – Dr. Marco Pütz: Eidg. Forschungsanstalt WSL; – Dr. Raimund Rodewald: Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz; – Josef Sauter: ehemals Mitinhaber Hartmann & Sauter; – Prof. Dr. Irmi Seidl: Universität Zürich und Eidg. Forschungsanstalt WSL; – Dr. Gilbert Thélin: Ehemaliger Leiter der Abteilung Natur und Landschaft des Bundesamtes für Umwelt. Des Weiteren danken wir Hauke Fehlberg (damaliger Vizedirektor ARE), Nicole Mathys (Leiterin Grundlagen), Marco Kellenberger, Yves Maurer und zahlreichen weiteren Mitarbeitern des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE) für konstruktive und aufschlussreiche Gespräche über Fragen zur Begrenzung der Zersiedelung. Wir danken Laura Bazzi, die durch ihre Mitarbeit am Verfassen des Textes und Anfertigen von Diagrammen massgeblich zur Fertigstellung des Bandes beigetragen hat. Ebenso danken wir Nadine Keller für ihre tatkräftige Unterstützung beim Erstellen der GIS-Abbildungen und Naghmeh Nazarnia für ihre Arbeit an Szenarien und Illustrationen mit dem USM-Tool. Unser Dank geht auch an Dr. Manuela Di Giulio, die durch ihre Rolle als Managing Editorin das Projekt unterstützt hat. Sie hat die Aufgabe von Ruth Landolt übernommen, die leider im Herbst 2016 verstorben ist. Ruth Landolt hat das Projekt und die Erstellung des Buches von Anbeginn mit grossem Interesse begleitet. Sie hat uns mit ihrer engagierten Art in vielfältiger Art unterstützt und immer wieder ermuntert. Für alle diese Beiträge zum vorliegenden Werk sind wir sehr dankbar. Verbindlichen Dank sagen wir Mario F. Broggi von der Bristol-Stiftung für seine Unterstützung dieses Projekts. Der vorliegende Band der Bristol-Schriftenreihe zeigt im Wesentlichen die Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt «Konkrete Massnahmen und Zielvorgaben zur Steuerung der Zersiedelung in der Schweiz: Instrumente und gesetzliche Bestimmungen für Bund, Kantone und Gemeinden». Für die Finanzierung dieses Projektes sowie der vorangehenden Arbeiten danken wir der PaulSchiller-Stiftung, der Sophie-und-Karl-Binding-Stiftung, der Bristol-Stiftung, der Stiftung Landschaftsschutz, der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), der Concordia University, dem Bundesamt für Umwelt (BAFU), dem Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) sowie den Nationalen Forschungsprogrammen NFP 54 «Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung» und NFP 68 «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» des Schweizerischen Nationalfonds. Wir hoffen, dass dieser Band zu einer echten Trendwende bei der Zersiedelung beitragen wird. Christian Schwick, Jochen Jaeger, Anna Hersperger, Gierina Cathomas und Rudolf Muggli Zürich, Montréal, Birmensdorf und Bern im Sommer 2018


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Einleitung Anna Hersperger, Jochen Jaeger, Christian Schwick

1.1

Zersiedelung – ein ungelöstes Problem der Raumplanung

Der Unterschied zwischen den Städten und der freien Landschaft wird immer mehr durch das konturlose Wachstum von Siedlungsflächen verwischt (Abb. 1). Oft ist kaum mehr ersichtlich, wo eine Ortschaft aufhört und wo die nächste beginnt (SCHWICK et al. 2010). Diese zunehmende Landschaftszersiedelung kann nicht mit der angestrebten Raumentwicklung der Schweiz vereinbart werden. Es besteht darum dringender Handlungsbedarf, um diesen unerwünschten Trend zu unterbinden. Die Schweiz zählt zu den am stärksten urbanisierten Ländern der Welt. Rund 73 Prozent der Schweizer Bevölkerung lebten im Jahr 2014 in Städten oder Agglomerationen (BFS 2014a). Dementsprechend akzentuiert sich die Zersiedelung am stärksten in den Ballungsgebieten. Allerdings sind auch die ländlichen Regionen der Alpen und des Juras immer häufiger von Zersiedelung betroffen (Abb. 2; SCHWICK et al. 2010: 14). Eine solche Entwicklung steht klar im Widerspruch zum Prinzip der Nachhaltigkeit, wie es seit 1999 in Art. 73 der Schweizerischen Bundesverfassung festgelegt ist: «Bund und Kantone streben ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen andererseits an.»

1885 1935 1960 1980 2002 2010 Gewässer Kantonsgrenze

N

0

2

Abb. 1. Entwicklung der Siedlungsflächen im Kanton Zug von 1885 bis 2010.

4

6

8 km


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Zersiedelung messen und begrenzen

Die Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG) vom 15. Juni 2012, die seit 1. Mai 2014 in Kraft ist (im Folgenden genannt RPG 2012) und unüberbaute Bauzonenreserven nur noch für einen Zeithorizont von 15 Jahren gestattet, wird für sich alleine keine Wende bewirken können. Auch die bundesweite Beschränkung des Zweitwohnungsanteils auf 20 Prozent als Folge der Zweitwohnungsinitiative (2012) oder kantonale Vorstösse wie die Kulturlandschaftsinitiative in Zürich (Kap. 1.4) werden den Trend kaum ändern können. Denn trotz dieser Verbesserungen in der Raumplanung bleiben immer noch grosse unüberbaute Bauzonen bestehen, die in den nächsten zwei Jahrzehnten voraussichtlich grösstenteils überbaut werden. Da sich diese Bauzonen oft an Lagen befinden, die üblicherweise mit einer hohen Flächeninanspruchnahme pro Person bebaut werden, ist ein weiterer starker Anstieg der Zersiedelung zu erwarten. Die Annahme der Teilrevision des RPGs 2012 ist zwar ein erster wichtiger Schritt, aber nur gezielte und konkrete Massnahmen können die Situation massgeblich verbessern. «Die Zersiedelung des Landes und die Zerstörung von Kulturland sind ungelöste Probleme der Raumplanung» – diese Aussage der Bundesrätin Doris Leuthard und der Bundeskanzlerin Corina Casanova aus dem Jahr 2010 ist nach wie vor aktuell und weist auf den dringlichen Handlungsbedarf hin (LEUTHARD und CASANOVA 2010). Zusätzliche Massnahmen und Aktivitäten sind unerlässlich. Um entsprechende Massnahmen und Aktivitäten zielgerichtet entwickeln zu können, bedarf es einer quantitativen Erfassung der Zersiedelung (JAEGER et al. 2018). Dafür wiederum wird eine genaue Definition von Zersiedelung benötigt. Da die bestehenden Definitionen in der Literatur zu allgemein, ungenau und zum Teil sogar widersprüchlich sind, wurde im Projekt «Landschaftszersiedelung in der Schweiz: Quantitative Analyse 1935–2002 und Folgerungen für die Raumplanung» Zersiedelung neu definiert (Box 1).

Abb. 2. Die Zersiedelung greift auch in die Voralpen hinein, so wie hier in Amden (SG) (Foto: Sina Wild).


Einleitung

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Bestand in Millionen 9

Wachstumsrate

8

4%

7 Bevölkerungsbestand

6

3%

5 4

2%

3 2

1% Wachstumsrate

1 0

0%

1900

1910

1920

1930

1940

1950

1960

1970

1980

1990

2000

–1% 2015

Abb. 3. Bevölkerungswachstum (grüne Balken) und -bestand (Linie) in der Schweiz (Quelle: BFS 2016).

1.2

Vielfältige Ursachen der Zersiedelung

Die Ursachen der Zersiedelung sind vielschichtig. Der genaue Beitrag der einzelnen Faktoren kann deshalb kaum je eindeutig und abschliessend bestimmt werden. Allerdings liefern neuere Forschungsarbeiten interessante Hinweise zu einem besseren Verständnis des komplexen Wirkungsgeflechts. Zum Beispiel wurden im Rahmen des Forschungsprogramms des Schweizerischen Nationalfonds «NFP 68: Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» unter anderem die wichtigsten Treiber der Zersiedelung in der Schweiz abgeschätzt (WEILENMANN et al. 2017). Ergänzend untersuchte das transdisziplinäre WSLForschungsprogramm «Raumansprüche von Mensch und Natur», wie die Siedlungsentwicklung unsere Lebensqualität und die Biodiversität beeinflusst und welche Konflikte daraus resultieren (TOBIAS et al. 2016).

Box 1: Definition von Zersiedelung Zersiedelung ist ein in der Landschaft optisch wahrnehmbares Phänomen und wird von drei Komponenten bestimmt: Sie hängt von der Grösse der Siedlungsflächen, der räumlichen Anordnung der Siedlungsflächen (ihrer Streuung oder Dispersion) sowie von der Ausnützung der Siedlungsflächen durch Einwohnerinnen und Einwohner und durch Arbeitsplätze ab. Dies bedeutet, je grösser die bebaute Fläche ist, je weiter gestreut die Gebäude sind und je geringer die Ausnützung der Siedlungsfläche durch Einwohnerinnen und Einwohner und Arbeitsplätze ist, desto höher ist die Zersiedelung (JAEGER et al. 2010a; SCHWICK et al. 2010; JAEGER und SCHWICK 2014).


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Zersiedelung messen und begrenzen

Die Dörfer und Städte des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren in der Regel kompakt und dicht besiedelt, was mit einer starken sozialen Kontrolle einherging. Das Wachstum der Schweizer Bevölkerung seit 1900 (Abb. 3) alleine hätte nicht unbedingt zu einer Zunahme der Zersiedelung geführt. Erst durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und durch den steigenden motorisierten Individualverkehr nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es möglich, ins Umland zu ziehen (PFÄNDLER und ZIMMERMANN 2015). So konnte ein grösseres Mass an Privatsphäre erreicht werden. Dies entsprach einem wichtigen Bedürfnis vieler Menschen (BRUEGMANN 2005). Gleichzeitig hat sich auch der Wohlstand der Einwohnerinnen und Einwohner stark verbessert. Ein bedeutender Anteil dieses Wohlstandes wurde in grössere Wohnungen und Zweitwohnsitze investiert (Abb. 4; Abb. 8), was zum Anstieg der Zersiedelung beitrug. Auch der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur förderte massgebend den Anstieg der Zersiedelung (MATHIEU et al. 2016: 281–294). In den Jahren vor 1950 erfolgte die Siedlungsausdehnung primär in Dörfern und Städten entlang der Eisenbahnlinien. Insbesondere die massenhafte Einführung des Automobils ermöglichte es, im Grünen zu wohnen und gleichzeitig in der Stadt zu arbeiten. Seit den 1950er-Jahren wurde so eine in die Fläche gehende Suburbanisierung, also eine Abwanderung aus der Kernstadt in das Umland (SCHÖNERT 2003: 457) ermöglicht. Zwischen 1950 und 2014 erhöhte sich die Anzahl der Fahrzeuge pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner von 31 auf 539 (Eidgenössisches Statistisches Amt 1950; BFS 2014b). In diese Phase fiel auch der grösste Anstieg der Zersiedelung. Die Einführung der S-Bahnsysteme in den grössten Agglomerationen seit 1990 trug zu einer weiteren Zunahme der Zersiedelung entlang dieses Verkehrsträgers bei (PFÄNDLER und ZIMMERMANN 2015). Diese Entwicklung wird durch den sogenannten Pendlerabzug (steuerberechtigter Abzug für die Kosten der Fahrt vom Wohn- zum Arbeits-

a

b Abb. 4. Der Wunsch nach einem Leben in einem Einfamilienhaus äussert sich in der Ausbreitung von Ein- und Zweifamilienhaussiedlungen wie in a) Vuarrens (VD) und b) Richterswil (ZH) (Fotos: a) Sina Wild, b) Laura Bazzi).


Einleitung

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ort) begünstigt. Mit dem Aufkommen des Massentourismus in den alpinen Regionen der Schweiz gegen Ende der 1950er- und zu Beginn der 1960er-Jahre wurden viele neue Flächen in lockerer Weise überbaut. Dies trug stark zu einer Erhöhung der Zersiedelung in Berg- und Voralpengebieten bei (Abb. 5). Auch heute ist es nicht nur das stetige Bevölkerungswachstum, sondern vor allem die steigende Raumbeanspruchung pro Person, die das disperse Siedlungswachstum vorantreibt. Ökonomische Faktoren tragen zur Zersiedelungszunahme bei: die ungenügende Anwendung des Verursacherprinzips bei der Anlastung der Erschliessungskosten von Neubauten, eine unzureichende Internalisierung der externen Kosten des öffentlichen und privaten Verkehrs und die geringe Abschöpfung von Wertsteigerungen infolge von Planungs-, Erschliessungs- und Infrastrukturmassnahmen, die das Bauen auf der grünen Wiese überproportional attraktiv machen (FREY und ZIMMERMANN 2005). Agglomerationsnahe Wohnorte sind auch wegen ihrer tieferen Wohnmietpreise und der geringeren Preise für Wohneigentum attraktiv. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es ebenfalls heute oft rentabler, Produktionsstätten und Verteilzentren auf der grünen Wiese zu errichten (TOBIAS et al. 2016: 2). Untersuchungen zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung in ihrer Wohnumgebung ländliche Elemente wie Wälder, Hecken, Gewässer, Aussicht und weites Land bevorzugt (Abb. 6). Bei der Wohnortswahl spielen aber auch die Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr und dem Auto sowie das soziale Umfeld eine wichtige Rolle (TOBIAS et al. 2016). Locker überbaute Gebiete mit dörflichen Siedlungen haben meist ein ländliches Erscheinungsbild mit grossen Freiräumen und viel Natur. Solche Siedlungsmuster erlauben es, den Wunsch nach grossem und dennoch günstigem Wohnraum zu erfüllen (TOBIAS et al. 2016: 2), tragen aber auch zur Zersiedelung bei.

Abb. 5. St. Moritz (GR): Touristisches Alpenzentrum mit mittlerem Zersiedelungsgrad (Foto: Sina Wild).


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Zersiedelung messen und begrenzen

Die Raumplanung in der Schweiz dämpfte seit der Einführung des RPGs im Jahr 1979 mindestens punktuell die ansteigende Zersiedelung. Insbesondere die seit 1980 geltende Trennung zwischen Bau- und Nichtbaugebiet hat sicherlich zu einer Konzentration der neuen Siedlungsflächen geführt. Dies zeigt ein Vergleich mit den USA, wo in den meisten Bundesstaaten keine vergleichbare Regelung besteht. Dies hat vielerorts zu sehr ausgedehnten suburbanen und rural-urbanen Landschaften geführt (HAMIDI und EWING 2014). Einen dämpfenden Einfluss auf die Schweizer Zersiedelung hatten insbesondere auch strenge Schutzmassnahmen für Wälder und ausgewählte Landschaften. Zum Beispiel sind die Wälder der Schweiz seit der Einführung des eidgenössischen Waldgesetzes im Jahr 1902 in ihrem Umfang vollumfänglich geschützt. Somit sind 32 Prozent der Fläche der Schweiz von jeder Bebauung ausgenommen (RIGLING und SCHAFFER 2015: 10), was dazu führte, dass die Siedlungsflächen vor allem in die landwirtschaftlich genutzten Flächen hineinwuchsen. In weniger streng geschützten Gebieten, zum Beispiel in den Flächen des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN), wurde das Wachstum der Zersiedelung zwar nicht gestoppt, aber es ist deutlich schwächer als in ungeschützten Gebieten (SCHWICK et al. 2010). Durch das komplexe Zusammenspiel von lokal unterschiedlich ausgeprägten Faktoren bestehen innerhalb der Schweiz grosse räumliche Differenzen im Grad der Zersiedelung. Denn je nach Lage unterscheiden sich die naturräumlichen und demographischen Verhältnisse stark. Ferner ist die Raumplanung primär eine Angelegenheit der Kantone und der Gemeinden. Diese gehen die Zersiedelungsthematik verschieden an, was ebenfalls zu grossen regionalen Unterschieden zwischen den Anstrengungen und den Ergebnissen führt. Generell hat die Raumplanung bislang weder das Wachstum der Siedlungsflächen auf ein wünschenswertes Mass reduzieren noch die Ausnützung der Siedlungsflächen zufriedenstellend steigern können.

Abb. 6. «Wohnen im Grünen» – Siedlung nahe am Waldrand in Richterswil (Baujahr 2008; Foto: Laura Bazzi).


Einleitung

1.3

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Negative Auswirkungen der Zersiedelung

Der Boden ist die Lebensgrundlage der Menschen. Er ist jedoch eine endliche Ressource, deren Zerstörung langfristig nicht rückgängig zu machen ist (JAEGER et al. 2015: 15, 17). Die Zersiedelung bringt darum eine Vielzahl an wirtschaftlichen und sozialen Nachteilen sowie vor allem grossflächige negative ökologische Veränderungen mit sich. Viele dieser Auswirkungen sind heute bekannt und anerkannt. Übersichtliche Zusammenstellungen der wichtigsten Effekte finden sich zum Beispiel in JAEGER et al. (2015) «Zersiedelung aus landschaftsökologischer, sozialer und siedlungstechnischer Sicht» und in Siedentop (2005) «Urban Sprawl – verstehen, messen, steuern. Ansatzpunkte für ein empirisches Messund Evaluationskonzept der urbanen Siedlungsentwicklung». Da die Landschaft durch die Zunahme an überbauten Flächen fragmentiert wird, ist die Zersiedelung ein Grund für die Abnahme der landwirtschaftlichen Nutzfläche, den zunehmenden Anteil versiegelter Böden und den Verlust wichtiger ökologischer Funktionen der Böden (Abb. 7; TOBIAS et al. 2016). Mit steigender Zersiedelung werden in der Regel auch die Lebensräume vieler einheimischer Tier- und Pflanzenarten kleiner. Vielfach profitieren davon invasive Organismen wie der Japanknöterich (Fallopia japonica) oder der Götterbaum (Ailanthus altissima) (Kanton Zürich 2012a; WUNDER et al. 2014). Diese Pflanzen können sich schnell in den Randbereichen frisch zerschnittener Landschaftsräume oder ent-

Abb. 7. Blick in Richtung Zürich vom Höhronen (ZH/ZG). Im Vordergrund sind traditionelle Siedlungen zu sehen, die in Richtung Zürichsee zunehmend in eine verstreute Anordnung von Gebäuden übergehen (Foto: Laura Bazzi).


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Zersiedelung messen und begrenzen

lang neuer Verkehrswege ausbreiten und verdrängen einheimische Arten. Gehen die einheimischen spezialisierten Arten verloren, können sie auch ihre ökologischen Funktionen nicht mehr erfüllen. Bleiben wichtige ökologische Funktionen aus, kann es zu Umweltproblemen kommen. So kann der Verlust von Vogelarten dazu führen, dass die Eindämmung von Pflanzenschädlingen nicht mehr gewährleistet ist (TOBIAS et al. 2016). Wenn Siedlungen dispers in einem Gebiet verteilt sind, müssen die Bewohnerinnen und Bewohner für den Weg zur Arbeit und für die täglichen Erledigungen wie das Einkaufen weitere Strecken zurücklegen. Das erhöhte Verkehrsaufkommen führt in der Regel zu einer Erhöhung der ausgestossenen Treibhausgasmenge, wie beispielsweise jene des Kohlendioxyds. Eine Verkehrszunahme infolge fortschreitender Zersiedelung führt auch zu höheren Lärmemissionen, was die Wohn- und Lebensqualität von Menschen negativ beeinflusst. Eine gestreute Siedlungsanordnung führt dazu, dass die Kosten für Verkehrserschliessungen steigen, da mehr Verkehrswege gebaut werden müssen, um alle Haushalte zu erreichen. Dasselbe gilt auch für die Kosten der Energie- und Wasserversorgung sowie für die Abfallentsorgung. Des Weiteren steigt der Anteil ungedeckter Kosten im öffentlichen Verkehr an (SCHWICK et al. 2010, 2013). Diese negativen ökonomischen Folgen der Zersiedelung können somit dazu führen, dass beispielsweise die Abwassergebühren von Einfamilienhäusern erhöht werden, da diese heute im Vergleich zu Mehrfamilienhäusern zu tief sind (ARE 2017: 15).

1.4

Die Raumplanung versucht, die Zersiedelung einzugrenzen

Grundsätzlich ist die Raumplanung in der Schweiz gut institutionalisiert und verfügt über verschiedenste Instrumente, Pläne und Massnahmen, um übergreifend die räumliche Entwicklung zu koordinieren. Entsprechend wird die problematische Siedlungsentwicklung in der Schweiz vornehmlich einer ungenügenden Umsetzung der bestehenden Vorgaben zugeschrieben (MUGGLI 2014: 108). In den letzten Jahren wurde jedoch erkannt, dass in verschiedenen Kantonen und Gemeinden die ausgewiesenen Bauzonen zu gross sind. Neue Gebäude werden in zu grossen Bauzonen oft in beträchtlichem Abstand zum Ortszentrum gebaut, was zur weiteren Zersiedelung beiträgt. Als Reaktion auf die zunehmende flächenhafte Überbauung grosser Landesteile gab es auf nationaler und kantonaler Ebene in den letzten zehn Jahren diverse politische Vorstösse zur Eingrenzung der Zersiedelung. Im August 2008 reichte ein breites Bündnis von Umweltschutzorganisationen die Initiative «Raum für Mensch und Natur», auch Landschaftsinitiative genannt, ein. Diese verlangte, die Gesamtfläche der Bauzonen für die nächsten zwanzig Jahre auf dem heutigen Stand einzufrieren. Daraufhin beschloss das Parlament, eine Teilrevision des Raumplanungsgesetzes auszuarbeiten, die von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern am 3. März 2013 angenommen wurde und 2014 in Kraft trat. Hauptanliegen dieser ersten Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes war die Siedlungsentwicklung nach innen. Das verdichtete Bauen soll helfen, die Zersiedelung trotz steigender Bevölkerungszahlen zu stoppen. Im Jahr 2012 wurden weitere Initiativen zur Einschränkung des Landschaftsverbrauchs sowohl auf Bundesebene (z. B. «Zweitwohnungsinitiative») als auch in den Kantonen (z. B. «Kulturlandinitiative» im Kanton Zürich) angenommen. Die Kulturlandinitiative verlangt, dass Landwirtschaftsflächen und Flächen von besonderer ökologischer Bedeutung besser geschützt werden und in ihrem Bestand und ihrer Qualität erhalten bleiben: «Angestrebt wird der Erhalt von genügend Kulturland, um mittels einer regionalen landwirtschaftlichen Produktion einen


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möglichst hohen Selbstversorgungsgrad zu erreichen» (Kanton Zürich 2012). Mit der Annahme der sogenannten Zweitwohnungsinitiative – dem vom Parlament verabschiedeten Bundesgesetz über Zweitwohnungen und der Zweitwohnungsverordnung des Bundesrates – trat 2016 ein Gesetz in Kraft, das den Bau von Zweitwohnungen beschränkt (Abb. 8; WILLIMANN und DANIELLI 2011). Auch wenn das Problem der Zersiedelung vermehrt erkannt wurde, so hat man es bis heute nicht in den Griff bekommen. Dies zeigt sich am Beispiel der Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet. Diese Trennung ist ein zentraler Grundsatz der Schweizerischen Raumplanung. Trotzdem werden heute noch viele Bauten im Nichtbaugebiet errichtet, unter anderem wegen des tieferen Bodenpreises im Nichtbaugebiet und der nur teilweisen Anlastung der Erschliessungskosten an die Grundeigentümer. Gründe, Auswirkungen und Lösungsvorschläge dieser unerwünschten Entwicklung wurden von GMÜNDER (2016) in der Publikation «Treiber des Bauens ausserhalb der Bauzonen. Fehlanreize und Vollzugsdefizite» detailliert aufgearbeitet. Die neue Initiative der Jungen Grünen «Zersiedelung stoppen – für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)» will angesichts des oben beschriebenen Missstands die Zersiedelung unter anderem durch ein Verbot weiterer Bewilligungen für das Bauen ausserhalb von Bauzonen und durch eine Kompensation von Neueinzonungen stoppen. Die Initiative wurde am 21. Oktober 2016 bei der Bundeskanzlei eingereicht und ist am 29. November 2016 offiziell in die Wege geleitet worden. Sie wird getragen von den Grünen, Neustart Schweiz, der JUSO, der Alpeninitiative, umverkehR, der jungen EVP, dem Hausverein Schweiz, mountain wilderness schweiz, Pro Velo Schweiz, fossile-free.ch, Fussverkehr Schweiz, Décroissance Bern und DANACH.

Abb. 8. Hohe Bautätigkeit im touristisch geprägten Verbier (VS), vor allem für die Errichtung von Zweitwohnungen (Foto: Sina Wild).


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Zersiedelung messen und begrenzen

Eng verbunden mit der Schweizer Raumplanung ist der Föderalismus. Obwohl das föderalistische System häufig für den Anstieg der Zersiedelung mitverantwortlich gemacht wird, wirkt es sich nicht grundsätzlich negativ auf die Raumplanung aus (MUGGLI 2014). Die Bedürfnisse der Menschen in der Stadt unterscheiden sich von jenen in ländlichen Gegenden. Der Föderalismus trägt dieser regionalen Heterogenität von Bedürfnissen und Raumbedingungen Rechnung (MUGGLI 2014: 93). Die Instrumente der Raumplanung werden in Städten und Gemeinden entwickelt, so dass sie, erweisen sie sich als tauglich, von anderen Gemeinden und vom Bund übernommen werden können (MUGGLI 2014: 105). Erweisen sie sich jedoch als Fehlschlag, so bleibt der «Schaden» räumlich beschränkt (AUER et al. 2014: 6–7). Dass der Föderalismus aber durchaus zur Zersiedelung beitragen kann, wird im Folgenden erläutert. Die heutigen Gemeinde- und Kantonsgrenzen wurden im frühen 19. Jahrhundert festgelegt und entsprechen deshalb nicht mehr der aktuellen Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung. Die vielen Zweck- und Regionalverbände sowie Agglomerationsvereine, die seither entstanden sind, können diesen Mangel nur bedingt beheben, denn sie führen zu immer komplexeren und unübersichtlicheren Strukturen (MUGGLI 2014: 98). Des Weiteren erfolgt zuweilen die Umsetzung von beschlossenen Gesetzen und Verordnungen nur stark verzögert, wird durch Ausnahmebewilligungen verwässert oder aus diversen Gründen gar nicht vollzogen: «Föderalismus darf nicht bedeuten, dass die raumplanerischen Grundentscheidungen des Bundesgesetzgebers missachtet werden» (AUER et al. 2014: 10). Um dieser Missachtung entgegenzuwirken, wird das Raumplanungsgesetz in mehreren Etappen revidiert, so dass beispielsweise die Grundsätze über die Bauzonengrösse künftig besser umgesetzt werden sollen (AUER et al. 2014: 11). Grundsätzlich gilt, dass die Raumplanung durch die Revisionen des Raumplanungsgesetzes und insbesondere durch die Vorschriften zur Einschränkung der Grösse von Bauzonen bereits viel unternommen hat, um die Zersiedelung einzudämmen. Die Auswirkungen dieser Massnahmen sind jedoch im Raum noch nicht sichtbar. Es ist die Aufgabe der Kantone und Gemeinden, die für die Umsetzung dieser Massnahmen nötigen Strategien zu definieren, so dass sie tatsächlich der Zersiedelung entgegenwirken können. Dieses Buch liefert einen Beitrag zur Unterstützung der Kantone und Gemeinden bei dieser Aufgabe. Kapitel 4 erläutert deshalb ausführlich das bestehende rechtliche Instrumentarium der Raumplanung, die Notwendigkeit von zusätzlichen Instrumenten zur Zersiedelungsbekämpfung und das Potential von Referenzwerten.

1.5

Verwaltung und Wissenschaft: Die Zukunft der Zersiedelung

In den letzten Jahren wurde das Thema der Zersiedelung auch von der Verwaltung und der Wissenschaft aufgegriffen. Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) hat in den letzten Jahren diverse Dokumente publiziert, die sich mit dem Thema der Zersiedelung beschäftigen und entsprechende Grundlagen liefern. Besonders relevant im Kontext des Bundes ist die «Landschaftstypologie Schweiz» (ARE et al. 2011). Diese erfasst flächendeckend die verschiedenen Landschaftstypen der Schweiz und bildet eine gute Grund lage, um die räumliche Heterogenität in raumplanerischen Massnahmen zu berücksich tigen. Des Weiteren stellen die Berichte «Monitoring Bauen ausserhalb der Bauzonen» die Tatsache ins Zentrum, dass sich trotz des gesetzlichen Trennungsgrundsatzes von Bauund Nichtbaugebiet 24 Prozent aller Gebäude und 37,7 Prozent der Siedlungsflächen ausserhalb der Bauzonen befinden (ARE 2011, 2016). Raum- und Verkehrsplanung hängen stark voneinander ab und beeinflussen sich gegenseitig (MATHIEU et al. 2016). Diese


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Zusammenhänge werden in der Publikation «Abstimmung von Siedlung und Verkehr» detailliert dargestellt (ARE und UVEK 2012). Das im Jahr 2012 publizierte «Raumkonzept Schweiz» (Schweizerischer Bundesrat et al. 2012) ist das erste Strategiedokument in der Schweizer Raumentwicklung, das von allen Staatsebenen gemeinsam entwickelt wurde und als Orientierungsrahmen und Entscheidungshilfe für die künftige Raumentwicklung der Schweiz dient. Seitens der Wissenschaft wurde zum Beispiel an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im Rahmen des Projekts «Raumansprüche des Menschen» ermittelt, in welchem Umfeld die Schweizer Bevölkerung am liebsten wohnen würde (TOBIAS et al. 2016). In der Reihe «Forum für Wissen» befasste sich 2015 eine Tagung an der WSL mit dem Zusammenspiel von Siedlungsentwicklung und Landschaftsgestaltung (Eidg. Forschungsanstalt WSL 2015). Der Schweizerische Nationalfonds hat im Jahr 2013 das Nationale Forschungsprogramm «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68) gestartet. In diesem Kontext wurden unter anderem die wichtigsten Treiber der Zersiedelung in der Schweiz untersucht und ermittelt, welche Böden am stärksten durch die Zersiedelung gefährdet sind. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat das Programm zur Landschaftsbeobachtung (LABES) entwickelt, welches anhand von verschiedenen physikalischen Indikatoren und Personenbefragungen die Qualität der Landschaft erfasst (K IENAST et al. 2015). In diesem Programm wird der Grad der Zersiedelung mit der diesem Buch zu Grunde liegenden Messgrösse Z erfasst (ROTH et al. 2010). Trotz dieser bereits zahlreichen Publikationen und Projekte aus Verwaltung und Wissenschaft gibt es noch immer wichtige Aspekte, die bisher nicht behandelt wurden. Zum Beispiel fehlen quantitative Ziel- oder Grenzwerte, um Entwicklungen zu beurteilen und Szenarien zu evaluieren (JAEGER et al. 2018; Box 2). Es fehlt auch ein Nachweis, dass Gemeinden der zunehmenden Zersiedelung nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern dass sie eine Stabilisierung oder eine Verringerung der Zersiedelung erreichen können.


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Zersiedelung messen und begrenzen

Box 2: Wachstumsbegrenzung auf 30 Hektaren pro Tag Im Jahr 2002 hat die deutsche Bundesregierung im Rahmen der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel formuliert, das Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsflächen in Deutschland bis zum Jahr 2020 auf 30 Hektaren pro Tag zu reduzieren. Ausgehend von einem durchschnittlichen Flächenverbrauch von 120 Hektaren pro Tag in den 1990er Jahren würde dies einer Reduktion um 75 Prozent entsprechen. Bis zum Jahr 2013 ist der Flächenverbrauch auf 73 Hektaren pro Tag zurückgegangen (Abb. 9). Dies ist zwar ein deutlicher Rückgang, doch ist der aktuelle Wert noch immer weit entfernt vom Zielwert von 30 Hektaren pro Tag. Um solch ein Flächenziel auf die Schweiz umzurechnen, müssen die unterschiedlichen Einwohnerzahlen berücksichtigt werden. In Deutschland betrug die Einwohnerzahl im Berichtszeitraum von 1992 bis 2014 um die 80 Millionen. In der Schweiz lebten im Schnitt von 1979 bis 2009 7,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, also ungefähr 11-mal weniger. Das Ziel eines Flächenverbrauchs von 30 Hektaren pro Tag in Deutschland würde in der Schweiz also einem Flächenverbrauch von 2,7 Hektaren pro Tag entsprechen. Der Ausgangswert von 120 Hektaren entspricht einem Wert von 10,8 Hektaren für die Schweiz. Die Daten der Arealstatistik Schweiz zeigen aber im Berichtszeitraum von 1979/85 bis 1992/97 eine Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsflächen von durchschnittlich 7,4 Hektaren pro Tag und im Beobachtungszeitraum 1992/97 bis 2004/09 eine Zunahme von 5,9 Hektaren pro Tag (UVEK und ARE 2014). Die Werte aus der Arealstatistik zur Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsflächen lassen sich nicht exakt mit den deutschen Werten vergleichen, da sie unterschiedliche Definitionen der erfassten Bodennutzungen und andere Erhebungszeiträume verwenden. Sie zeigen jedoch, dass in den untersuchten Zeiträumen die Neubeanspruchung von Siedlungs- und Verkehrsflächen in beiden Ländern rückläufig ist und dass beide Länder noch weit vom Ziel entfernt sind. Die neuesten Schätzungen zur weiteren Entwicklung in Deutschland sagen zudem voraus, dass das Wachstum in den Jahren 2015 bis 2025 wahrscheinlich bei 63 Hektaren pro Tag liegen wird (Deutscher Bundestag 2015). Dies bedeutet, dass das tatsächliche Wachstum die angestrebte Obergrenze auch weiterhin voraussichtlich um mehr als 100 Prozent überschreiten wird und dass wirksamere Massnahmen dringend erforderlich sind, um den Flächenverbrauch und die Zersiedelung einzudämmen. Das deutsche Ziel einer Begrenzung des Siedlungsflächenwachstums auf 30 Hektaren pro Tag berücksichtigt nur die Menge der Siedlungsflächen. Um die Zersiedelung zu stoppen, müssen jedoch auch die räumliche Anordnung der Siedlungsflächen (Dispersion) und die Flächeninanspruchnahme pro Kopf berücksichtigt werden. Dies kann mit der im vorliegenden Buch verwendeten Messgrösse Z erreicht werden.

Abb. 9. Tägliche Zunahme der Siedlungsund Verkehrsflächen in Deutschland von 1996–2015 (Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland 2016).


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Autorinnen und Autoren (nach Nachnamen alphabetisch geordnet)

Gierina Cathomas Nach ihrem Masterabschluss in Geographie an der Universität Bern, absolvierte Gierina Cathomas Praktika mit Schwerpunkten in erneuerbaren Energien und bei der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung (VLP-ASPAN). Dort war sie für die Erstellung von Best-Practice-Beispielen in der Schweizer Landnutzungsplanung verantwortlich. Ihre Arbeit an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL fokussierte auf die Analyse von kantonalen und kommunalen Praktiken, welche eine erfolgreiche Eindämmung der Zersiedelung bewirkt haben. Kontakt: gierina.cathomas@bluewin.ch

Anna Hersperger Anna Hersperger ist Kulturingenieurin und hat ihre Doktorarbeit an der Harvard University in den USA in Landschaftsökologie geschrieben. In ihrer Forschung fokussiert sie auf Planungsinstrumente, Konflikte zwischen Landschaftsdienstleistungen, Landschaftsveränderungen sowie auf Siedlungsentwicklungen und Zersiedelung. Seit 2011 ist Anna Hersperger Leiterin der Forschungsgruppe Landschaftsökologie an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. Kontakt: anna.hersperger@wsl.ch

Jochen Jaeger Jochen Jaeger studierte Physik in Kiel und Zürich, arbeitete in Stuttgart an der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg und promovierte im Jahr 2000 im Fach Umweltnaturwissenschaften an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Anschliessend arbeitete er als Postdoktorand in Kanada an der Carleton University in Ottawa und an der ETH Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Landschaftsökologie, in der Strassenökologie sowie in der Erfassung und Bewertung von strukturellen Landschaftsveränderungen. Seit 2007 ist er an der Concordia University in Montréal (Kanada) tätig, wo er heute im Department of Geography, Planning & Environment als Associate Professor arbeitet. Kontakt: jochen.jaeger@concordia.ca


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Zersiedelung messen und begrenzen

Rudolf Muggli Nachdem Rudolf Muggli mehrere Jahre in Kantons- und Stadtverwaltungen tätig war, übernahm er während 14 Jahren die Leitung der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung (VLP-ASPAN). Sein Interesse gilt heute in erster Linie den Aufgaben der Raumplanung. Er ist beruflich als Rechtsanwalt vor allem für die öffentliche Hand in Bau-, Planungs- und Umweltrechtsfragen tätig. Er engagiert sich ferner bei Veranstaltungen von Hochschulen und NonProfit-Organisationen. Er ist Verfasser von Gesetzeskommentaren zum Schweizerischen Raumplanungsrecht. Kontakt: rudolf.muggli@ad-vocate.ch, rudolf.muggli@icloud.com, www.ad-vocate.ch

Christian Schwick Christian Schwick schloss sein Geographiestudium an der Universität Bern ab. In seiner Diplomarbeit hat er sich mit den Wasserfällen in der Schweiz beschäftigt. Danach arbeitete Christian Schwick als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und an der Professur für Natur- und Landschaftsschutz an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Seit 2004 ist er Gründer und Mitinhaber des Umweltbüros Die Geographen schwick + spichtig. Kontakt: Turbinenstrasse 60, 8005 Zürich, Schweiz




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