Bristol-Schriftenreihe Band 62
Herausgeber Ruth und Herbert Uhl-Forschungsstelle fĂźr Natur- und Umweltschutz, Bristol-Stiftung, ZĂźrich www.bristol-stiftung.ch
Weisheiten aus meinem nicht digitalen Garten Klaus C. Ewald Prof. em. Dr. phil. II habil. und Obergärtner Palazzo Piccolo Gerzensee Pikiert, umgetopft, gejätet und gegossen von Gregor Klaus
Haupt Verlag
Verantwortlich für die Herausgabe Bristol-Stiftung. Stiftungsrat: Dr. René Schwarzenbach, Herrliberg; Dr. Mario F. Broggi, Triesen; Prof. Dr. Klaus Ewald, Gerzensee; Martin Gehring, Zürich Managing Editor: Dr. Manuela Di Giulio, Natur Umwelt Wissen GmbH, Zürich Adresse des Autors: Klaus C. Ewald Prof. em. Dr. phil. II habil. Petit Palais Dorfstrasse 11 3115 Gerzensee email: klaus.ewald@bluewin.ch Redaktion Dr. Gregor Klaus, Wissenschaftsjournalist, Rothenfluh Layout: Jacqueline Annen, Maschwanden Umschlag und Illustration Atelier Silvia Ruppen, Vaduz Zitierung EWALD, K.C., 2019: Weisheiten aus meinem nicht digitalen Garten. Zürich, Bristol-Stiftung; Bern, Haupt. 187 S. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Der Haupt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt. ISBN 978-3-258-08161-8 Alle Rechte vorbehalten Copyright © 2019 Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Printed in Germany www.haupt.ch
Signet FSC
Klimaneutral
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Zum Geleit Dieser Band ist kein «normales» Gartenbuch, wie sie zu Dutzenden in den Buchhandlungen stehen, mit Hochglanzfotos und Anleitungen für den perfekten Gemüseanbau versehen. Es ist ein Garten-Tagebuch unseres Stiftungsratsmitgliedes Klaus Ewald. Er schrieb bereits seit einiger Zeit sein jährliches Gartenjournal, und wir mussten regelmässig über seine Erzählungen schmunzeln. Wir regten darum an, daraus eine Schrift zu gestalten. Im vorliegenden Band schildert er nun sein intensives Gartenwirken in Kurzgeschichten, mit viel Liebe zum Detail. Er hat sich mit Akribie und Ordnungssinn in sein Gartenabenteuer gestürzt. Leidenschaft spricht aus seinen Texten, wobei Leidenschaft immer auch mit Leiden einher geht. Er regiert den Garten seines Schlösschens – dem Petit Palais – als «König», aber ausgestattet mit viel Sachverstand. Seine Texte sind voller Emotionen, er zeigt Freude an den kleinen Wundern dieser Erde, ohne seine gesellschaftskritische Ader zu verleugnen. Dies betrifft eine gewisse Abneigung gegen das digitale Zeitalter und seine Auswüchse oder den dreifachen ökologischen Fussabdruck von uns Menschen. Klaus Ewald schafft erstaunliche Sprünge zwischen Garten und Gesellschaft und hüpft in die weite Welt hinaus und wieder zurück in seinen Garten. Seine Erzählweise ist mit der französischen Gartenkunst und dem entsprechenden Sprachschatz verknüpft. Wir danken Klaus Ewald für sein Schluss-Bouquet in der langjährigen Bristol-Reihe und dem Redaktor Gregor Klaus für die Begleitung des Werkes. Mit diesem Werk schliesst die Bristol Stiftung ihre Aktivitäten. Wir danken aus diesem Anlass auch unserem bewährten Bristol-Team mit Silvia Ruppen, der Titelblattgestalterin seit der ersten Stunde, der Erstellerin des Layouts Jacqueline Annen und unserer Schriftenleiterin Manuela Di Giulio und dem Haupt Verlag für den Druck und Vertrieb der bisher erschienenen Bände. Wir gedenken dem langjährigen Mitwirken von Ruth Landolt bei der Betreuung der Bristolreihe. Seit 1993 konnten wir 60 Studien veröffentlichen. Unser erklärtes Stiftungs-Ziel war es, im Naturschutz zwischen Forschung und Anwendung Brücken zu bauen und projektbezogen zu wirken. Der Philanthrop Herbert Uhl aus Baden-Baden und Schaan (FL) ermöglichte uns dieses Wirken, welches er bis zu seinem Tode im Jahre 1997 intensiv begleitet hat. Er setzte seine Stiftung als Erbe ein und brachte so dieses langjährige Wirken der Bristol-Stiftung ins Rollen. Seit der Weltfinanzkrise 2008 schmolzen die Zinserträge der Stiftung allerdings gegen Null, was uns nicht mehr erlaubte, bei ungeschmälertem Kapital von den Erträgen zu wirken. Der Stiftungsrat beschloss darum seine weiteren Tätigkeiten durch den Abbau des Kapitals zu finanzieren. Damit war ein Ende der Aktivitäten absehbar. Das ist nun nach 30 Jahren erreicht. Wir danken den vielen Mitbeteiligten an diesem langjährigen Wirken und sind stolz darauf, viele ausgezeichnete Arbeiten veröffentlicht zu haben. Wir sind hoffnungsvoll, dass die Bristolreihe im Haupt Verlag durch eine andere Stiftung übernommen werden kann, sodass für eine gewisse Kontinuität gesorgt sein wird. Der Stiftungsrat Rene Schwarzenbach, Präsident Mario F. Broggi, Klaus C. Ewald, Martin Gehring
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Inhalt Zum Geleit Dank
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Präludium
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Garten-Haus
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Garten-Geschichte
19
Garten-Berichte
26
Garten-Beete
30
Garten-Acker
34
Garten-Topf
35
Garten-Boden
37
Garten-Uhr
41
Garten-Tag
44
Garten-Jahr
47
Garten-Arbeiten
59
Garten-Bauer
63
Garten-Roboter
64
Garten-Wetter Garten-Sumpf Garten-Sturm Garten-Wüste Garten-Frost Garten-Verdun
65 66 69 69 71 73
Garten-Sprüche
76
Garten-Sorten
84
Garten-Ernte Garten-Bohnen Garten-Melone Garten-Tomate Garten-Kohl Garten-Rüebli Garten-Kartoffeln Garten-Peterli Garten-Ingwer Garten-Dahlien Garten-Giganten
87 89 90 90 92 94 96 96 96 97 98
Garten-Triebe
100
Garten-Frische
101
Garten-Gerüche
102
8
Weisheiten aus meinem nicht digitalen Garten
Garten-Baum
103
Garten-Lager
106
Garten-Freuden Garten-Training Garten-Frische Garten-Düfte Garten-Farben
109 109 110 110 111
Garten-Ethik
136
Garten-Gedichte
138
Garten-Kraut
141
Garten-Mitwelt
143
Garten-Divas
145
Garten-Tiere Garten-Vögel Garten-Reptilien Garten-Insekten Garten-Bestäuber Garten-Spinnen Küchen-Zoo Garten-Floh
147 149 151 153 155 156 157 157
Garten-Plagen Garten-Schnecken Garten-Katzen Garten-Zünsler Garten-Dachs Garten-Schnaken Garten-Wespen Garten-Lärm Garten-Gestank Garten-Geballer Garten-Zehnten
158 158 161 163 165 166 166 166 166 167 167
Garten-Gift
170
Garten-Burnout
171
Garten-Bibel
172
Garten-Küche
174
Garten-Kräuter
177
Garten-Abfall
179
Garten-Dinieren
181
Garten-Philosophie
182
Portrait Des Autors
187
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Dank Ich bedanke mich herzlich bei den Kollegen des Stiftungsrates der Bristol Stiftung, die spontan der Idee des Ratsmitgliedes PD Dr. Mario F. Broggi zustimmten, meine Gartenberichte als letzten Band unserer Schriftenreihe herauszugeben. Dr. Gregor Klaus, mit dessen Mitautorschaft ich vor zehn Jahren «Die ausgewechselte Landschaft» herausgeben konnte, danke ich wiederum für seine stupende Sprachbegabung und Fertigkeit, meine Sprachrohlinge in beste Form zu bringen. Meinem Hund Fritz – der Welsh Terrier Fripouille Robin von Burg Grufenstein –, der wie der Hund zum Tritt zu mir gelangt ist und seinen Lebensabend mit dem meinigen auf liebenswürdige und unterhaltsame Weise verbringt, danke ich als treuem Katzenjäger! Gerzensee im März 2019
Klaus C. Ewald
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Präludium Wie kam der Professor in den Garten? Dazu muss ich etwas ausholen, wie ich das so oft in meinem Leben tun musste, auch wenn mir regelmässig vorgeworfen wird, ich würde immer bei Adam und Eva beginnen. Im Elternhaus hatten wir einen Garten. Doch die Eltern waren mit den acht Kindern vollauf beschäftigt. Haushaltshilfen wie Waschmaschine, Kühlschrank, Tiefkühlgerät und Mixer fehlten genauso wie die Zeitvernichtungsmaschinen TV, Smartphone und Tablet. Der Vater war neben dem Beruf als Primarlehrer Jugendgerichtsschreiber und gesuchter Regisseur schwankfreier Aufführungen von Dorftheatern. Die Mutter nähte und strickte zusätzlich zu den Haushaltsarbeiten, die sie von morgens 6 Uhr bis Mitternacht ausfüllten. Daher war der Garten ein Nebenschauplatz des Familienlebens. Ein Klarapfelbaum, ein weiterer Apfelbaum unbekannter Sorte, ein Quittenbaum und viele Beerensträucher füllten einen grossen Teil des Gartens. Der Alpengarten (eine typische Gartengestaltungsidee der 1930er-Jahre) benötigte nur einen geringen Unterhalt, ebenso die Cotoneaster und Mahonien als Bodenbedecker aus der gleichen Gartenbauperiode. Es blieb nur wenig Zeit und Platz, wo die Mutter Blumen ziehen konnte. Es waren daher die Kinder, die jäten und Steine einsammeln mussten. Mit etwa 15 Jahren begann ich mich für Gartenarbeit zu interessieren. So lernte ich den Umgang mit Himbeeren und Brombeeren wie auch deren Schnitt und Vermehrung. Das war es dann allerdings auch schon – ausser dass ich lernte, mit Dornen und Stacheln umzugehen! Diese Fähigkeit kann das Leben ganz entscheidend erleichtern. Meine Kenntnisse zu den einheimischen Tier- und Pflanzenarten waren seit den Sonntagsspaziergängen mit dem Vater schon so breit, dass ich den Kommilitonen der Pharmazie beim Erstellen des Herbars mühelos dabei helfen konnte, deren «Heuhaufen» zu bestimmen. Während des Studiums der Botanik habe ich in den Bestimmungsübungen die Artenkenntnis weiter verbreitert und vertieft. In der Zoologie habe ich in den Bestimmungsübungen etliches lernen können. Das biologische Wissen und die Artenkenntnis – die angesichts der unvorstellbaren Artenfülle immer noch gering war – kamen mir bei den Feldexkursionen zugute, welche ich bereits als Student und Assistent leitete. Obwohl ich beim Schweizerischen Bund für Naturschutz als wissenschaftlicher Mitarbeiter – meine erste Stelle nach dem Doktorat – vor allem Schreibtischtäter war, nutzte ich alle Aussentermine und Augenscheine, um mit der Natur im Gespräch zu bleiben. Horizonterweiternd, prägend und vertiefend für meine Natur- und Landschafts-Affinität war der halbjährige Aufenthalt – heute heisst das zwingend Postdoc! – an der Universität Hannover. Am Institut für Naturschutz und Landschaftspflege habe ich mich gezielt und intensiv weitergebildet. Zu der dortigen grünen Fakultät gehörten auch die Institute für Gartenbau, für Landschaftsplanung sowie für Geschichte der Landschaftsarchitektur. Der wissenschaftliche Gartenbau (er führt zum Dr. horticult.!) und die Gewächshausgärtnerei faszinierten mich und aktivierten wohl meine gärtnerischen Gene. Das Tüpfelchen auf dem «i» war die Lage der Institute der grünen Fakultät am Grossen Garten von Herrenhausen, also den Königlichen Gärten. Der häufige Aufenthalt in diesem faszinierenden Barockgarten sowie «son et lumière» unter Händels Klängen der Feuerwerksmusik liessen den Funken auf mich springen und die lebenslange Liebe zu historischen Gärten in mir aufblühen. Kein Wunder erstarrte ich 40 Jahre später zur Salzsäule beim Blick auf das Barockgärtlein im Garten des Petit Palais in Gerzensee, meinem heutigen Wohnsitz. Während der Berufsjahre hatte ich zwei Mal eine Mietwohnung mit Gartenanteil; doch sowohl in Freiburg im Breisgau als auch in Birmensdorf bestand die Gartenarbeit im Rasen
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Weisheiten aus meinem nicht digitalen Garten
mähen. In Tat und Wahrheit hatte ich während der mehr als 30 Berufsjahre keine Zeit für Gartenarbeit. Die Liegenschaft in Gerzensee wurde aber wegen des Interieurs erworben. Der Garten war einfach dabei. Wie so oft im Leben ergab es sich: L’appétit vient en mangeant! Nach einer gewissen Anlaufzeit bedingt durch die Publikation des Buches «Die ausgewechselte Landschaft» und deren Nachwehen mit etlichen Referaten – nicht nur in der Schweiz –, geriet der Garten allmählich in meinen Fokus. So begann ich 2012 mit dem Gärtnern. Von Jahr zu Jahr erlag ich immer mehr der neuen Krankheit: Gartensucht! Das hatte positive Auswirkungen auf meine schriftstellerische Tätigkeit. Seit ich mich in Gerzensee niedergelassen habe, führe ich kein Tagebuch mehr. Nach acht Bänden
Eine Schale voller Tomaten – na und? Das Stillleben erzählt von der Gartenarbeit. Doch vorab sei gefragt: Was sieht man hier im Detail? Die fast schwarze birnenförmige Eier-Frucht (Aubergine) passt nicht nur farblich zu den Tomaten, sondern auch weil sie derselben Familie der Nachtschattengewächse angehört. Die vier grossen Tomaten gehören der Sorte «Gezahnte» an, auch wenn sie wie Coeur de Boeuf (also Ochsenherz) aussehen. Die dunklen Runden heissen Black Jerry, die länglichen Rote Datteltomaten. Jene links im Vordergrund nennt sich Black Plum – leider auch im deutschsprachigen Gebiet! Die Gelben heissen wie ihre Farbe. Doch bis Bacchus den Korb füllen und seinen Penaten (= Hausgötter) bringen kann, bedarf es gründlicher Vorbereitungen und Vorarbeiten. Der Begriff «gründlich» wird hier goldrichtig verwendet, denn als Erstes ist der Boden oder Grund zu bearbeiten. Darunter versteht man das Lockern der Erde, Einbringen von Komposterde und organischem Dünger wie zum Beispiel Hornmehl und pelletiertem Mist. Die Tomaten als wärmeliebende Pflanzen werden als etwa 20 Zentimeter hohe Setzlinge nach den Eisheiligen gepflanzt. In meinem Garten finden die Tomaten eine doppelt komfortable Situation vor: Sie gedeihen am Fuss der grossen wärmespeichernden Mauer und sind unter dem Plastikdach vor dem Regen geschützt. Sobald der Pflanzschock überwunden ist, kann das Wachsen beginnen. Nicht nur Geduld und Wasser sind jetzt erforderlich, sondern auch die Kontrolle des Wachstums. Die Achseltriebe, die sich immer wieder neu bilden, müssen abgebrochen werden. Dadurch erhält man weniger und kräftige Triebe, die auf etwa fünf bis sieben Niveaus Früchte bilden. Das Wachstum vom Setzling bis zur reifen Tomate dauert je nach Sorte etwa zweieinhalb Monate. Und nun: hurtig, hurtig zu Tische!
Präludium
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Memoiren von 1984 bis 2009 habe ich aufgehört, auch eingedenk der Tatsache, dass meine Sorgen und Meinungen doch niemanden interessieren. Meine Schreibfreudigkeit lebe ich seither in jährlichen Gartenberichten aus. Das vorliegende Buch basiert auf den fünf Gartenberichten, die ich zwischen 2013 und 2017 als eine Art unterhaltsamer Rechenschaftsbericht verfasst habe. Der erste Gartenbericht in meinem Leben, den ich Ende 2013 an Freunde und Verwandte schickte, löste verschiedene Echos aus: vom praktisch Unhörbaren über freudiges Nicken und Staunen, über Applaudieren bis zum höhnischen Kommentar eines Bruders: «bireweich», «Grufti zählt Erbschen» und «Böhnli oder der Statistik-Virus». Allen zum Trotz und wie so oft in meinem Leben gilt: Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter! Auch wenn wir es negieren: Die Quantifizierung zieht sich wie ein roter Faden durch unser ganzes Leben. Die spontanen und freudigen Rückmeldungen auf den Gartenbericht 2014 – als «Gartenroman» und «Garten-Epos» tituliert! – haben mich ermutigt, weitere Gartenjahre zu beschreiben. Geradezu be- und gerührt war ich, dass mehrere Personen unabhängig voneinander mir geraten haben, die Gartenberichte zu publizieren, um sie noch mehr Menschen zugänglich zu machen. Dass die Gartenberichte nachhaltig wirken, wurde mir klar, als bereits im Januar 2016 Anfragen eingingen, ob denn kein Gartenbericht 2015 erschienen sei. Das erinnert mich daran, dass man früher sehnlichst den «Hinkenden Boten» (ein Kalender) und auf dem Land die «Brattig» (ebenfalls ein Jahreskalender mit astrologischen Prophezeiungen zu Naturereignissen und zum Wetter) erwartet hat. Demselben Erwartungsdruck bin ich nun jeden Januar ausgesetzt. Im Austausch erhalte ich mittlerweile aus dem hintersten Entlebuch den «Alpenhorn-Kalender, Jahrbuch für heimatliche Art zur Belehrung und Unterhaltung mit Astrologischem Kalendarium und Marktverzeichnis» aus Langnau im Emmental! Ausschweifende Gedanken waren in allen Berichtsjahren Legion, denn die Arbeit in der Stille des Gartens ohne Kopfhörer, ohne permanent schrillendes Smartphone, ohne röhrendes Tablet und was der Konzentrations-Störer mehr sind, regt zum Denken und Studieren an. Statt überflüssigem Ge-Twitter lausche ich dem Gezwitscher und Gesang der Vögel, auch wenn ich schon an dieser Stelle deren rapide Abnahme beklagen muss. Der Garten vereinnahmt mich ab etwa März. Damit liege ich im Trend: «Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt.» Von jenem Zeitpunkt an bestimmen der Garten und das Wetter meinen Tagesablauf, das heisst die Gartenarbeit wird zum Schwerpunkt, indem sich das Aufwachen mit dem Sonnenaufgang in die frühen Morgenstunden verschiebt, so dass im Juni das Levé zwischen 4 und 5 Uhr des Morgens stattfindet. Bis zum Abtrocknen des Taus und dem Arbeitsbeginn im Garten erledige ich Schreib- und Haushaltsarbeiten. Bereits nach dem Frühstück schreibe ich den Tagesbefehl mit den zu erledigenden Gartenarbeiten, unterteilt nach Dringlichkeiten. Im Gartenbericht 2017 titelte ich: «Garten – eine 30-wöchige Passionsgeschichte?» Natürlich ist der Titel etwas vollmundig geraten, und doch: Leidenschaft geht zwingend mit Leiden einher. Die Freude an den länger werdenden Tagen, am erwachenden Meisenruf und zaghaften Amselgesang wächst mit dem nahenden Frühling; der Sonnenschein lockt mich in den Garten. Er liegt noch immer darnieder, beinahe in einer Todesstarre, und ist gezeichnet von Winterstürmen, Eis und Nässe. Altlaub, verdorrte und gebrochene Äste liegen verstreut herum. Das Gras ist fahl. Die wenigen Zeugen von Leben sind die ersten Flieglein und Mücken sowie die Regenwurmhäufchen, welche eine subterrane Tätigkeit bezeugen und an kryptisches Leben auch im Winter in der Erde und im Kompost erinnern. Der Anblick des winterlichen Chaos fordert die Gärtnerseele heraus. Ordnung muss in den Garten! So wächst die Herausforderung und weckt die Disziplin. Diese übernimmt das Zepter und komplimentiert mich an die Arbeit, was ich freudig annehme! Doch obwohl ich eigentlich schon routiniert bin, beginnt alljährlich das Lernen. So wie man beim
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Ein echtes Stillleben: Der umgangssprachlich «Regenfass» genannte Säulentank fasst etwa 330 Liter Regenwasser. Es gibt noch voluminösere, die ich aber wegen meiner Körpergrösse nicht herumschleppen und einrichten kann. Die beiden Giesskannen mit je zehn Liter Fassungsvermögen geben einen Grössenvergleich. Hinter dem Kreuz des Schmiedeeisengitters erkennt man schwach den Säulentank im unteren Gartenteil. Schillers kluger Rat «Die Axt im Haus erspare den Zimmermann» gilt auch für die Gartenarbeit. So muss ich im Frühling die Tanks aus dem Keller holen und am Kännelrohr (links des Tanks sichtbar) anschliessen. Dort, wo die senkrechten Rohre ineinandergeschoben sind, muss ich die sogenannte Regenfalle einschieben. Diese leitet das Regenwasser wie eine Weiche in den Tank um bis er voll ist. Im November harrt mir das umgekehrte Prozedere, wo ich wiederum mit dem Blick gen Himmel bitte und flehe, ich möge Hände kriegen wie Umzugsmänner: Sie verfügen über wahre Schraubstockhände!
Präludium
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Nichtgebrauch einer Sprache Worte und Wendungen vergisst, so geht alles nicht dauernd Geübte irgendwann verloren. Gleiches gilt für den Gesang der Vögel, der jeden Frühling wieder mit Aha-Erlebnis gelernt oder memoriert werden muss. Dasselbe trifft zu für die Pflanzennamen, die von den winterlichen Eisblumen überwuchert worden sind. Plötzlich bin ich mitten drin in der Arbeit. Der Garten packt mich mit seinen «Klauen» und lässt mich für Monate nicht mehr los, wie das Frau Dr. Käthi Studer-Stalder aus Liestal so treffend formuliert hat. Sie hat mich am 12. Juli 2014 mit dem «Bibelgarten-Virus» so heftig infiziert, dass ich ihm restlos erlegen bin! Mit dem Wachsen von allem auf der ganzen und grossen Gartenfläche gerate ich unversehens in ein Ganztagesprogramm. Alles wächst und wuchert, vom erwünschten Samenkorn bzw. den Keimlingen über verschiedene Gemüse, Salate, Blumen und vieles mehr bis hin zum Unkraut, das alles dominieren möchte. Auch der Rasen (eher Wildgrasund Unkraut-Fläche) schiesst in die Höhe. Täglich wird es schwieriger, die garten- und pflanzengerechten Prioritäten zu setzen. Verweile ich zu lange beim Pikieren, verpasse ich den richtigen Zeitpunkt des Aufbindens oder der Knospenreduktion. Wie viele Setzlinge
In der Mauer zwischen oberem und unterem Graten ist ein Löwenkopf bzw. -gesicht als Relief eingebaut. Man könnte das Antlitz mit einer Drahtbürste säubern. Doch als naturverbundener Gärtner freuen mich die Mauerraute und die Moosarten, die vor allem die Stirn besetzen. Mit der Lupe und dem Mikroskop sähe man sogar Bärtierchen und andere Kleinbewohner im Moosteppich – ein echter Mikrokosmos!
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benötige ich, ohne eine Über- oder Unterproduktion zu verschulden? Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Salatsetzlinge, angesichts der Wetterkapriolen ins Freiland gesetzt zu werden, auf dass sie später ihrer Zweckbestimmung zugeführt werden können? Es sind also täglich unzählige Gedankenschlaufen und viele Verknüpfungen zu bedenken und zu meistern. Das bald beginnende Hinterher-Hecheln führt unweigerlich in den «Garten-Burnout», weil man der Unkräuter – von Gutmenschen als Beikräuter und Begleitflora beschönigt – und Kohorten von Schnecken, Läusen und Raupen sowie wuchernden Grases usw. nicht mehr Herr wird und darüber hinaus von Platzregen, Hagel und Sturmböen Ungemach aufgebürdet erhält! Kurzum: mein Name ist Sisyphus! Doch das Stehaufmännchen hat ähnliche und andere schreckliche Situationen im Laufe des Berufslebens immer wieder gemeistert. Die Motivation, die der Naturfreude entspringt, erweckt frische Disziplin. Ein Ansporn entsteht auch dann, wenn der pensionierte Gärtner des Neuen Schlosses zu Gerzensee mich für meinen Garten lobt! So wechseln Belohnung und Anstrengung einander ab. Duftende und süsse Aprikosen sind wie ein Geschenk des Himmels. Bohnen, weich wie Butter auf einem Wedgwood-Teller serviert, oder sonnenwarme Tomaten mit taufrischem Koriander verhelfen zu paradiesischen Gefühlen. Das mit eigenen Blumen dekorierte Haus duftet was das Herz begehrt! Umso leichter fallen dann die permanent harrenden Gartenarbeiten. Auf denn in den Garten, wie in Sibylle von Olfers Büchlein «Etwas von den Wurzelkindern»: «Und als der Frühling kommt ins Land, da ziehn gleich einem bunten Band, die Käfer, Blumen, Gräser klein, frohlockend in die Welt hinein.»
«Willst du ein Leben lang glücklich sein, werde Gärtner» Chinesisches Sprichwort
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Garten-Haus Wohnen war für mich lebenslang nicht irgendwo und irgendwie hausen oder vegetieren! Ich suchte wenn möglich eine schöne Wohnlage mit Blick in die Landschaft als Augenweide. Aus beruflichen Gründen und wegen lärmenden Nachbarn bin ich mehrmals aus- bzw. umgezogen. Insgesamt habe ich neun Umzüge – schweizerdeutsch «Züglete» – durchgestanden und durchlitten! Jener nach Deutschland war von unvergesslichen Skurrilitäten gekennzeichnet, so die Beschaffung eines amtlichen Gesundheitszeugnisses für meine Zimmerpflanzen, auf dass ich keine Seuchen in die BRD einschleuste. Auch die exakte Deklaration des eigenen Silberbestecks gehörte dazu. Beim vorletzten Umzug landete ich in einer prächtigen Eigentumswohnung mit noch prächtigerem Ausblick in die von Calame vielfach gemalte Landschaft am Urnersee, im Grand Palais in Brunnen, dem ehemaligen Jugendstilhotel. Doch der Krach der Nachbarn trieb mich statt in den Wahnsinn zum Umzug. Das Schicksal liess mich im Internet ein selten prächtiges Landhaus mit Garten in Gerzensee finden, das heisst alleinstehend und ohne lärmende Hausgenossen. Ich verzichte hier auf die pikanten Details mit schlaflosen Nächten, die ein Wohnungsverkauf und ein Hauskauf verursachen. Zu guter Letzt landete ich mit meinen vier Tonnen Büchern und Papierdokumenten in Gerzensee.
Dass der Winter die Landschaft mit einem Leichentuch bedecke, leuchtet einem hier ein. Die vom Neuschnee erstickten Geräusche tragen zum klammen Bild bei – absolute Stille herrscht. Die Symmetrieachse vom Sitzplatz aus zur Bronzestatue ist ebenso kalt wie die durch den Schnee akzentuierten Linien der Oberfläche der Buchscarrés. Der den Wildwuchs der Pflanzen züchtigende Schnitt als Maxime des Barocks stimmt akkurat für die Buchse und die geformte Hainbuchenhecke hinter der Bronzeskulptur, nicht aber für die Linden, auch wenn sie den jährlichen Kopfschnitt «erdulden» müssen. Links im Bild drei der vier venezianischen Säulen (mit Kapitellen aus dem 13. Jahrhundert) der Terrasse – im Sommer eine Oase zum Sitzen und Dinieren!
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Weisheiten aus meinem nicht digitalen Garten
Schon vor dem Versand der Adressänderung nagte der Stolz an mir: Es kann doch nicht sein, dass nach der Adresse von Brunnen (die da lautete: Prof. Dr. K. C. Ewald, Grand Palais, 6440 Brunnen) die neue lauten würde: Dorfstrasse 11, 3115 Gerzensee! Man würde annehmen, dass ich total verarmt sei und in ein Taunerhäuschen umgezogen bin. Kurz entschlossen taufte ich das schöne Anwesen «Petit Palais». Doch der Post passte das gar nicht, was mich aber nicht weiter scherte. Also musste die Dorfstrasse 11 quasi als Koordinate beigegeben werden. Übrigens hätte mir «Aurora» auch gefallen, was für mich als Frühaufsteher goldrichtig wäre. Aber die Stellung des Hauses zum Aufgang der «güldenen» Morgensonne ist nicht gegeben. Dennoch ist die Stellung des Hauses zur Sonne ideal, indem das Sonnenlicht die Heizung im Haus unterstützt. Die Fenster gegen Osten, Süden und auch jene gegen Westen bewirken ein Ansteigen der Zimmertemperatur. Das jüngste Beispiel dazu: Vom 16. bis 21. Februar 2019 hat der intensive Sonnenschein im Salon und dessen Nebenraum (alle mit Fenstern zur Sonnseite versehen) sowie in den im Obergeschoss zur Sonnseite gelegenen Zimmern die Temperatur auf 24 °C erhöht! Sogar das Schlafzimmer hat die aufgehende Sonne von 15 auf 19 °C aufgeheizt. Der Vorgänger des Hauses, das langgezogene Hotel Bären mit prächtigem Türmchen, Trinkhalle und Gartenwirtschaft, lag ungefähr in Ost-West-Richtung. Das erinnert daran, dass die früheren Baumeister und Architekten wussten, wie wichtig die Stellung eines Hauses zur Sonnenlaufbahn sowie Grösse und Beschaffenheit der Fenster eines Hauses sind, denn Energie war früher ein kostbares Gut. Heute stellt man fest: Im Sog der billigen Energie haben die meisten Architekten und Baumeister das profunde Wissen ihrer Vorgänger verloren.
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Garten-Geschichte Alte Karten zeigen zwar keine vom Menschen ungestörte Naturlandschaft mehr, sondern eine moderat kultivierte Landschaft; die traditionelle Kulturlandschaft lässt aber trotz menschlichem Einfluss die ehemalige Naturlandschaft durchscheinen. Aufgrund meiner Vorliebe für alte Karten habe ich eine Skizze meiner Wohngemeinde nach dem Topographischen Atlas der Schweiz (= Siegfriedkarte, Blatt 338, 1873) angefertigt (siehe Abbildung). In Gerzensee als alter Gemeinde (1228 erste Erwähnung) stehen das Alte und das Neue Schloss sowie weitere markante Gebäude mit Namen wie Freudheim, Fridberg oder Rosengarten, ganz zu schweigen von der Kirche. Die Lage meiner Liegenschaft markiert der grüne Punkt neben dem Neuen Schloss, auch wenn 1873 weder sie noch deren Vorläufer, das Hotel Bären, existiert haben. Die Zahlen geben die Höhenlinien an. Der See zu Füssen des Dorfes wird von einer mächtigen Moräne aufgestaut, die von Osten her seit längerer Zeit schon ausgebeutet wird. Auf den oberen Teil warten schon gierige Bagger. Die Siedlung selbst breitet sich auf einer Verflachung des Hangs aus und wächst dort unaufhörlich. Dahinter steigt das Gelände relativ steil auf den Belpberg hinauf. Rein theoretisch verläuft die 640 Meter-Isohypse durch den Garten. Die Lage der Liegenschaft an der Kante vor dem sanften Abfall zum See hin führt dazu, dass der Garten auf zwei Niveaus liegt.
Grobe Skizze meiner Wohngemeinde.
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Eingangstor / Eingang Haus Eingang Einzimmerwohnung Oberer Garten Unterer Garten Rasen Leylandia-Hecke Platane Roter Ahorn Kastanie Rhododendren Pflästerung Granitsteine Brunnen Treppe zum oberen Garten Parkplatz
Gartenplan des Petit Palais.
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Himbeergarten Terrassenmauer aus dem 18. Jahrhundert Linde Buchenhecke Alte Mauer mit Löwenkopf Finnische Tannen Buchs, geschnitten und geformt Hohe Rotdornhecke, geschnitten Hohe Eibenhecke Peristyl mit venezianischen Marmorsäulen Wandrosen Rosen- und Lavendelgarten Sitzplatz
Garten-Geschichte
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Der obere Garten befindet sich auf dem Niveau der Dorfstrasse, der untere gut fünf Meter tiefer am Bärenmattweg, der in jüngster Zeit zur Erschliessung einer Wohnzone erstellt wurde. Die dort gebauten Wohnhäuser liegen in den ehemaligen Pflanz- und Baumgärten, die früher wohl bis zum See hinunterreichten. Der obere Garten konnte sich flach ausdehnen, weil gegen Südwesten hin eine mächtige Stützmauer aus dem 18. Jahrhundert eine Auffüllung bzw. Verflachung ermöglichte. Auf dieser Terrasse oberhalb der Mauer lag die Gartenwirtschaft des Hotels Bären mit Trinkhalle, das dort von etwa 1890 bis 1965 stand. Postkarten aus der Zeit vor 1900 (das Staatsarchiv des Kantons Bern hat alte Postkarten ins Internet gestellt, was mich als Steuerzahler sehr freut, im Gegensatz zu anderen Aktionen desselben Staates mit meinen Steuermitteln!) zeigen die Stützmauer und die Gartenwirtschaft. Auf den alten Postkarten sieht man eine schmale steile Treppe auf der Nordostseite der Mauer. Diese blieb wie auch die ehemalige Gartenwirtschaft samt einzelnen Bäumen nach dem Abriss des Hotels Bären erhalten. Der obere und der untere Garten sind noch heute nur durch diese steile und schmale Treppe (Nr. 13) miteinander verbunden. Der Plan des Gartens entstammt der Verkaufsbroschüre der Liegenschaft aus dem Jahr 2007. Um eine Vorstellung der Dimension zu erhalten, habe ich eine 10 Meter messenden grüne Linie eingezeichnet. Schon beim Antritt der Liegenschaft im Jahr 2009 hatte der Zahn der Zeit – die Liegenschaft wurde 1982 erbaut – den Plan leicht überholt. So waren die drei Finnischen Tannen (Nr. 20) bereits nicht mehr vorhanden. Die Pflästerung (Nr. 11) war zum Teil abgesenkt, schadhaft und uneben, so dass sie durch Gneissplatten ersetzt wurde. Die Rosskastanie (Nr. 9), die möglicherweise noch im Hotelgarten gestanden hatte, serbelte dahin, so dass ich die Krone entfernen lassen musste. Der Stamm wurde als stehendes Totholz zum Mikro-Biodiversitäts-Hotspot! Das «Rhododendren-Beet» (Nr. 10), das ich vorgefunden habe, bestand aus Kirschlorbeer. Ich liquidierte diesen auch wegen dessen neophytischen Migrationshintergrundes. Die Platane (Nr. 7) war leider so gross geworden und zu nahe am Haus, dass wir sie schweren Herzens fällen mussten. Die hohe Rotdornhecke (Nr. 22), die den oberen Garten wie einen Aussenraum gestaltete, war so lückig und schwach geworden, dass sie entfernt werden musste. Das bedeutete: Ich war gezwungen, den oberen Garten neu zu gestalten. Wie schon oft liess ich mich von André le Nôtre (1613–1700) inspirieren, dem bedeutenden französischen Landschafts- und Gartengestalter und obersten Gartenarchitekten von Ludwig XIV. Der Plan lässt vermuten, er sei genauso ausgeführt worden wie geplant – ein bekanntes Phänomen, so alt wie die Kulturgeschichte! Beim Sitzplatz (Nr. 27) erkennt man den Beginn der Sichtachse in südlicher Richtung. Auf dem Sitzplatz gibt sie vor, es sei links und rechts je ein Rosen-Lavendelgarten spiegelsymmetrisch vorhanden. In Tat und Wahrheit galt das aber nur für die rechte Seite. Für die linke habe ich mittels eines Schnurgespannes die zu pflanzende Buchseinfassung ausgesteckt. Dort, wo die Rotdornhecke beim Hauseingang ihren Anfang hatte, steckte ich ein Rechteck ab mit harmonischem Breiten-Längenverhältnis von 1:4, um auch dieses mit einer Buchseinfassung zu bepflanzen. So entstand nah am Haus und sofort erreichbar das Gewürz- und Kräuterbeet. Neidvoll denke ich an die ausgedehnten «Potager» (= Gemüsegärten) bei den Schlössern an der Loire. Im Mini-Barockgarten mit den vier Buchscarrés wuchsen in den linken beiden je eine Buchskugel. Diese liess ich ausgraben und zusammen mit Buchskugeln, welche wie die Buchsheckenpflanzen im Park des Alten Schlosses überflüssig geworden waren, so platzieren, dass neue Raumakzente entstanden, ohne die Sicht- und Symmetrieachse zu stören. Der Begründer von Haus und Garten war zwar wie ich bis ins Innerste beseelt, wenn nicht besessen, vom Symmetriegedanken. Doch der Symmetriegedanke wurde immer
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Weisheiten aus meinem nicht digitalen Garten
wieder und an verschiedenen Orten aufgeweicht oder unterlaufen durch «Hineinpflümeln» von irgendwelchen Gewächsen. Der Disziplin zur Symmetrie verpflichtet, habe ich ihr kräftig mit Umpflanzen und Ausreissen zum Durchbruch verholfen, so dass mich Le Nôtre beglückwünschen würde! Auch das lang gezogene Beet der Eibenhecke (Nr. 23) entlang war infiltriert von Multikulti, was entflochten und klar geordnet werden musste. Der Symmetrie gehorchend wurde das Beet unterteilt und das Pflanzgut ordentlich neu eingebracht. Die Hainbuchenhecke (Nr. 18) hinter den beiden Linden – sie sind die letzten «Überhälter» der Gartenwirtschaft des erwähnten Hotels Bären – musste soweit reduziert werden, dass sie nun den Gesetzen der Symmetrie entspricht. Der junge Kirschbaum – ebenfalls wider alle Gesetzmässigkeiten von Symmetrie und Barockgarten eingepflanzt – unterlag wie auch der chinesische Gewürzbaum der Remedur durch Axt und Säge, denn im Barockgarten hat ein Baum sowenig zu suchen oder verloren wie in der mittelalterlichen Getreidezelge. Das Springbrünnlein im Kreuzpunkt der Achsen zwischen den Buchs-Bosketten gilt immer noch als grosser Wunsch bis zum Tag, wo ich das richtige Brünnlein erspähen werde! Die Miniaturgrotte mit einer Miniquelle darin existiert schon längere Zeit im Kopf des Verfassers. Ob Le Nôtre wohl über meine Requisiten erfreut wäre? Die Brunnenfigur des Amor mit Delphin (in wohl römischer Anwandlung geformt) würde ihm gefallen! Die beiden Cachepots mit den andächtigen Engelein würde er wohl auch irgendwo platzieren. Dass der schon vorhandene Cachepot (= Übertopf) mit Satyr und Nymphe aus symmetri-
Blick vom Sitzplatz (Nr. 27) zur Blüemlisalp. Die Sichtachse läuft genau zwischen den Kugelbuchsen und den Buchscarrés hindurch zur Bronzefigur des David von Gustave Piguet (1909–1976) und durch den Sichttunnel in der Weissbuchenhecke.
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schen Gründen durch das Pendant ergänzt wird, würde seine volle Zustimmung finden. Die beiden Gänse würde er wohl in den Englischen Garten abschieben, weil nicht symmetrisch und zu naturalistisch. Dort, wo die Finnischen Tannen (Nr. 20) standen, die bei Übernahme der Liegenschaft nicht mehr existierten, legte ich im rechten Winkel zur Sichtachse zwei Beete entlang der Eibenhecke an für Farnkräuter, Malven, Lilien und Sommerflor. Den «Himbeergarten» (Nr. 15) fand ich nach der relativ langen Zeit fehlender Pflege vor dem Erwerb als verunkrautete Brachfläche vor. Als ich den Mut fasste, den Himbeergarten urbar zu machen und in einen Gemüsegarten zu verwandeln, stellte ich fest, dass es kaum möglich sein würde, vom unteren Rasen her (Nr. 5 nördlich von 4) in den Himbeergarten zu gelangen, weil zwischen der Hecke aus Leyland-Zypressen (Nr. 6) neben der Terrassenmauer (Nr. 16) und dem Nachbargarten zu wenig Platz war, um mit Gerätschaften durchzukommen. Diese Leyland-Hecke kanalisierte mit der gegenüberliegenden die Blickachse – wiederum ein «Ah-Effekt» – aus der gemitteten Fenstertüre der Einliegerwohnung. Alle Hecken waren trotz Schnitt in die Breite gewachsen. Daher war der Zugang zum Himbeergarten auf 30 Zentimeter geschrumpft. Ein Rückschnitt der Hecke kam nicht in Frage, weil das Innere alter Hecken ohne Laub bzw. Nadeln ist und daher eine tote braune Wand entstanden wäre, was die Harmonie mehr lädiert hätte als eine amputierte Symmetrie! Auch wenn es mehr als frevelhaft war, diese Leyland-Hecke auszureissen: Le Nôtre hin oder her: sie musste weg, auf dass ich zum Gemüsegärtner mutieren könne. Ein mit
Blick von der Terrasse auf die vier Buchscarrés mit je einer Dahlie im Zentrum und je 12 Nelkenstöcken. In der Sichtachse gegen Westen. An der Stelle, wo die Finnischen Tannen (Nr. 20) standen, sieht man ein als Pfau (eher ein Auerhahn) geformter Buchs.
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einem Kran ausgerüsteter LKW riss mit einem Stahlseil die heckenbildenden LeylandZypressen aus – ein scheusslicher Anblick rohester Gewaltanwendung! Mit einem elektrischen Kultivator musste ich die Urbarisierung vornehmen. Als Ersatz setzte ich in die Sichtachse einen Kugelbuchs und eine hohe Rose. Um die Symmetrie hochzuhalten, platzierte ich die Hochbeete exakt quer dazu. Neben und zwischen den Hochbeeten gedeihen Bibelgartenpflanzen wie Mariendistel, Judaspfennig und Rizinus. Übrigens sind die Sichtachsen im oberen und unteren Garten obsolet geworden, weil unterhalb bereits vor meiner Zeit im Petit Palais Häuser gebaut worden waren, welche die freie Sicht beendeten. Das ehemalige «Rhododendrenbeet» (Nr. 10) ist zum Staudenbeet mit Madonnen lilien, Iris und Nelken geworden. Daran anschliessend liegt der kleine Tierfriedhof, wo tote Igel, Blindschleichen, Spitzmäuse, Rauchschwalben und andere ihre letzte Ruhe gefunden haben. Der obere Garten (nördlich Nr. 3) gilt als Schmuckgarten mit barocken Elementen und Blumen. In den Buchscarrés versuche ich absolute Symmetrien um- und durchzusetzen; doch die Natur ist stärker und widerborstiger als die exakten, vorgegebenen geometrischen Muster! Im unteren Garten (nördlich von Nr. 4) dürfen im Rasen, der aus Golfrasen-Perspektive eine schreckliche Unkrautwiese darstellt, Margriten, Wiesensalbei, Kriechender Günsel, Habichtskräuter usw. wachsen. Die natürliche Konsequenz ist, dass sich dort auch Grillen und Heuschrecken wohl fühlen.
Blick in den Gemüsegarten (Nr. 15): Salate, Zucchettis, Stangenbohnen usw. Rechts das Dach über dem Tomatenbeet mit der klugen, von Gärtner Ruedi Zürcher erstellten Dach-Entwässerung für die TomatenBewässerung.
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Dort, wo die Leyland-Hecke stand, habe ich am Mauerfuss einen Quittenbaum gepflanzt. Oberhalb der Fläche der liquidierten Hecke lehnt sich ein grosser alter Brunnentrog mit Sandsteinabdeckung an die Terrassenmauer an. Der Brunnen (Nr. 12) steht weder vor dem Tor noch plätschert er. Er ist wie zwei weitere Stellen im Garten mit einer Wasserleitung bestückt. Es ist für jedes Gärtnerherz die reinste Wonne, Wasser im Garten zu haben. Doch der sorgsame Gärtner sammelt in zwei grossen Tonnen das Regenwasser einer Dachhälfte und der Terrasse, um die Tomaten und andere heikle Gewächse mit Regenwasser zu giessen – trotzdem belastet die Gemeinde mich mit der Abgabe der «Regenwasser-Entsorgung»! Der zum Gemüsegarten umgestaltete Himbeergarten (Nr. 15) misst etwa 65 Quadratmeter. Ich habe ihn in 17 Gemüsebeete unterteilt. Der Plan ist massstäblich zu klein und ungenau, so dass er keine Details enthalten kann. So befindet sich an der Terrassen- oder Stützmauer rechts in der Verlängerung der fehlenden Leyland-Hecke ein Pultdach aus Hartplastik als Regenschutz für die Tomaten; nach links hin wachsen an der Mauer Spalierbäume wie Aprikosen, Williamsbirnbäumchen und eine Schwarze Maulbeere. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es davon in der Schweiz mehr als eine Million Bäume. Sie sollten die Seidenraupen ernähren, um die Seidenindustrie zur Blüte zu bringen. Ich geniesse die herrlichen Beeren und die mit den Blättern hergestellte Tinktur für meine rissigen Hände. Die Stachelbeerbäumchen haben wie Cassis, Feigen und Zwetschgenbaum bereits ihr Zeitliches gesegnet und den genannten Bäumen Platz gemacht. Der «Garten Gerzensee» klingt in meinen Ohren – auch wenn es blasphemisch klingt – wie der «Garten Gethsemane»! Er bereitet mir ebenso viel Freude wie Arbeit! Trotz schmerzendem Rücken, gebrochener Rippe, rissigen und schwieligen Händen und den letzten Schweissperlen auf der Stirn blicke ich auf glückliche Gartenjahre zurück.
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Portrait des Autors Prof. em. Dr. Klaus C. Ewald, geboren 1941 in Basel, wuchs in Liestal (BL) auf. Nach seiner Dissertation im Jahr 1969 arbeitete er fünf Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Schweizerischen Bund für Naturschutz (SBN). Im Rahmen eines Nachwuchsforscher-Stipendiums widmete er sich dem Landschaftswandel in der Schweiz. 1978 erschien sein Buch «Der Landschaftswandel – zur Veränderung Schweizer Kulturlandschaften im 20. Jahrhundert», mit dem er sich habilitierte. Bis 1987 etablierte er an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL die Landschaftsforschung. 1987 wurde Klaus Ewald ordentlicher Professor für Landespflege an der Universität Freiburg im Breisgau. Von 1993 bis 2006 war er Ordinarius der Professur für Natur- und Landschaftsschutz an der ETH Zürich. 2009 erschien sein Monumentalwerk «Die ausgewechselte Landschaft».