Künti, einhängen und verschlingen

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Monika K체nti

einh채ngen & verschlingen Maschenbildung mit vorangef체hrtem Fadenende

Haupt

GESTALTEN



Monika K端nti

einh辰ngen & verschlingen Maschenbildung mit vorangef端hrtem Fadenende

Fotografien von Samuel K端nti

Haupt Verlag


Zur Autorin: Nach einer Lehre als Korb-und Flechtwerk­ gestalterin arbeite ich seit 2003 freischaffend in meiner wunderschönen, kleinen Ladenwerkstatt in der Altstadt von Bern. Neugierig suche ich nach neuen Horizonten in den jahrtausendealten, webstuhlunabhängigen stoff­bildenden Techniken. Dabei gibt es zwei Schwerpunkte, die Einhänge- und Verschling­ techniken und das Flechten. Mich fasziniert das Verbindung schaffende Drunter und Drüber der einzelnen ­Elemente – in alle Richtungen und ­be­liebige ­räum­liche Dimensionen. Zunächst orientiere ich mich an tra­­ditionellen Arbeits­ weisen, um dann experimentierend eigene Ideen zu verfolgen: Was ist alles möglich, auch mit ­ungewöhnlichen Materialien und eigenwillig ­interpretierten Technik ­variationen? Suchen, Finden, Erforschen, Anwenden, Bewahren, Weitergeben sind die spannenden ­Stichworte ­meiner Werkstatttage – ich kann mir kein schö­neres Arbeitsfeld für mich denken! www.flechtwerk.ch

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F端r alle, die sich nicht von einem langsamen Arbeitstempo abschrecken lassen.

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Inhaltsverzeichnis Vorwort 8 Am Anfang war ein Faden 8 Einleitung 10 Wie man dieses Buch lesen kann 13

1 Vorkommen, Verbreitung, Objektvielfalt Allgemeine Vorbemerkung Jungsteinzeit in Europa Altamerika Altägypten Heutiges Skandinavien Zentral- und Südamerika Australien Papua-Neuguinea Polynesien mit Neuseeland Afrika Asien Weitere Beispiele aus aller Welt

15 16 16 18 18 19 19 24 26 28 29 32 35

Maschenstoffbildende Technik Masche Maschenstoff

3 Wissenswertes für die praktische Arbeit 53 Der Arbeitsrand 54 Die Arbeitsrichtung 54 Die Wachstumsrichtung des entstehenden Stoffs 55 Der Arbeitsfaden 56 Die Anfangsmaschenreihe 58 Das Zu- und Abnehmen von Maschen 59 Die Einstichrichtung 61 Anfangsschwierigkeiten, Fehler und Übungen 61

4 Material, Werkzeug, Hilfsmittel Material Werkzeug Hilfsmittel 2 Begriffe und Definitionen Textil Faden Fadenverbindung Kreuzung Verhängung Durchdringung Verzwirnung Textile Technik Stoff Struktur und Textur Stoffbildende Technik

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41 42 42 43 43 43 44 44 44 44 45 45

45 45 46

63 64 65 66

5 Die praktische Arbeit 69 Einhängen – Stoffe mit Maschen aus Schlaufen 70 Verschlingen I – Stoffe mit Maschen aus Schlingen 88 Verschlingen II – Stoffe mit Maschen aus Doppelschlingen 128


Das Überspringen von Reihen Das Überspringen von Reihen bei Stoffen aus Schlingen Das Überspringen von Reihen bei Stoffen aus Schlaufen Maschen seitlich miteinander verhängen Seitliches Verhängen von Schlingen Seitliches Verhängen von Schlaufen In sich verlängerte Maschen

132 133 134 137 137 146 159

6 Muster und Farben 163 Strukturbedingte Muster 165 Muster durch Farbwechsel 167 Perlenstoffbildung 171 Musterbildung durch Besticken 171 7 Abschlussränder 173 Strukturen ohne speziellen Abschluss 174 Kordelverschlingen 174 Abschlussränder mit eingehängten Maschen 176 Fransen am Abschlussrand 177

19 Galerie Eigene Arbeiten Arbeiten anderer Gestalterinnen Zufällig gefundene Arbeiten

183 184 198 206

10 Quellen Allgemeine Bemerkungen zur Systematik von textilen Strukturen Die „Basler Systematik“ – Gliederung nach Herstellungsverfahren Die Klassifikation von Noémi Speiser Die „amerikanische Systematik“ von Irene Emery – Gliederung nach Struktur Paul Hinderling und seine Arbeit „Stoffbildendes Schnurverschlingen“ Peter Collingwood und sein Buch zu textilen Strukturen „Systematik und geographische Verbreitung der Geflechtsarten“ von Johannes Lehmann Weitere Quellen

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210 210 211

211 211 212

212 213

11 Die Piktogramme und ihre Bedeutung 215

8 Gestalterisches Potenzial der Techniken Dimensionen Strukturen Materialien Sich selbst Aufgaben stellen

179 180 180 180 180

12 Anhang 219 Literaturverzeichnis (Auswahl) 220 Bezugsquellen (Auswahl) 221 Museen (Auswahl) 222 Stichwort- und Personenverzeichnis 223

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Vorwort Es ist mir eine Freude, dieses Buch vorzustellen. Ich fühle mich gewissermaßen als Großmutter ­­dieser ­Arbeit: Es ist das Werk einer ehemaligen Schülerin, die inzwischen zur Meisterin geworden und mir in vieler Beziehung über den Kopf gewachsen ist. Vieles findet sich hier, was ich selber er­­ arbeitet und weitergeg­eben habe, manches ist von anderen Seiten dazugekommen und alles zusammen hat die Autorin in ihrer eigenen Weise verarbeitet, ergänzt und weiterentwickelt. Hier findet es sich jetzt aufs Schönste präsentiert. Monika Künti gelangte an mich, weil sie sich speziell für die „primären“ textilen Verfahren interessierte, nämlich die, welche ohne Webstuhl und nur mit wenigen Hilfsmitteln auskommen, umso mehr aber von geschickten Fingern, Geduld und Konzentration abhängig sind. Einige davon haben wir miteinander bearbeitet – besonders intensiv just die Verschlingtechniken, zu denen sie dann sehr bald für ihre damals beginnenden einschlägigen Kurse ein 70-seitiges Werkbuch verfasst hat, gewissermaßen ein Vorläufer der vorliegenden Publikation. Heute beruhen ihre Anweisungen zur praktischen Arbeit nicht nur auf eigenen, sondern auch auf

Am Anfang war ein Faden . . .

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Erfahrungen mit den ihr anbefohlenen Lernenden, die ja mit oft ganz unerwarteten Problemen kämpfen. Also bieten die Ratschläge des vorliegenden Buches wirklich alle nur denkbaren Hilfestellungen. Es war ein guter Entschluss, dass Monika Künti ihren beruflichen Werdegang mit einer offiziellen Lehre in der Korbmacherei ergänzt hat. Damit hat sie sich mit jeglicher Art von Arbeitsmaterial und mit den verschiedensten Verfahren gründlich aus­ ein­andergesetzt. Nach ihren mit Freude absolvierten Lehrjahren besitzt sie einen fundierten Schatz an Erfahrung und kann, darauf fußend, auch ihren Mut zu Innovationen ausleben. Wer die grundlegenden Regeln und Gesetze einmal kennt und anerkennt, der kann sich erlauben, diese bis zu den Grenzen oder gar darüber hinaus zu strapazieren, um neue Wirkungen zu erzielen. So hat sich Monika Künti in der ihr eigenen großzügigen, unerschrockenen und kaum je misslingenden Weise vielfach als Gestalterin bewährt. Es wird für neugierige Menschen wahrlich ein lohnendes Abenteuer sein, sich auf dieses Buch zur uralten Kunst des Einhängens und Verschlingens einzulassen.

Es war einmal ein Faden. Der lag träge und ganz ausgestreckt auf einem Tisch.


Einige Gedanken zum Thema Die Geschichte der Maschenstoffe ist erstaunlich: Seit Urzeiten wurde überall auf der Welt viele Tau­ send Jahre lang ein Faden mit dem Ende voran durch eine vorgebildete Masche geführt und in gan­ zer Länge hindurchgezogen. Erst während einer in der Geschichte der Menschheit späten Epoche hat man entdeckt, dass sich das nächstliegende Fadenteil hindurchziehen lässt, während das Ende des Fadens „unbehelligt“ bleiben kann. Nun wurde also „Ende durch Masche“ zu „Masche durch Masche“. Der genaue Zeitpunkt dieser umwälzenden Neuerung war wissenschaftlich umstritten. So galten zum ­Beispiel die vielen koptischen Socken in Museen lange als gestrickt, bis die Handarbeitslehrerin Louise Schinnerer an einigen Exemplaren eine Variante des seitlichen Verhängens – also eindeutig eine Verschlingtechnik – erkannt hat, während sie die verschränkten Maschen an anderen Exemplaren weiterhin als gestrickt gelten ließ ­­(Publikation Wien, 1891). Etwa sechzig Jahre später konnte Dorothy Burnham anhand einiger zusätzlich erscheinender Maschensäulen die Stricktechnik voll­ kommen ausschließen, weil die neue Masche in den Maschenbogen zwischen zwei alten eingehängt

war. Fazit: Alle koptischen Socken wurden, beginnend an der Spitze, in verschiedenen Techniken des Verschlingens hergestellt. Ein schönes Erlebnis meiner frühen Jahre war die persönliche Begegnung mit Regina von Bülzingslöwen, die gleich nach dem Zweiten Weltkrieg in deutschen Museen nach frühen Maschenstoffen gesucht und einen ausführlichen Bericht verfasst hat. Bei Regina von Bülzingslöwen sah ich zum ersten Mal zwei Bilder der maschenformenden Gottesmutter. Auf dem einen strickt sie mit vier Nadeln rund (Meister Bertram, um 1400) – eine damals hoch­ moderne Technik. Auf dem anderen jedoch zeigt Veit Stoß wesentlich später (um 1480) eine Form des Verschlingens. Maria arbeitet am unteren Rand des nahtlosen Hemdchens. Sie hält einen Garn­ träger, der allerdings so schwer bewickelt ist, dass er nicht durch die feinen Maschen schlüpfen kann. Zu jener Zeit war vermutlich diese Technik durch das Stricken schon weitgehend verdrängt, aber Veit Stoß stellte gewiss mit Absicht ein uraltes Verfahren dar. Und so hat die in allen Handarbeiten bewanderte Maria auch zu den Verschlingtechniken etwas beizutragen. Noémi Speiser, im Herbst 2013

Meister Bertram, Buxtehuder Altar, Detail des rechten Flügels, 1400–1410 Commons.wikimedia.org Foto: Henitsirk

Veit Stoß, Heilige Familie, (Ausschnitt) Kupferstich, um 1480. Bildkommentar: Arbeit Mariä am ungenähten Rock Christi mit endlichem Faden (Verschlingen). Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, Inv.Nr. 96213

Mit der Zeit wurde ihm langweilig und er sehnte sich nach Abwechslung. „Etwas Bewegung kann mir nur guttun“, dachte er sich und legte sich – kopfüber – in eine leichte Schlaufenform:

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Einleitung Diese kleine Geschichte umschreibt das Thema dieses Buches, das sich ausführlich mit speziellen Maschenstoffen befassen wird, die im Folgenden „Maschenbildung mit vorangeführtem Fadenende“ oder Einhänge- und Verschlingtechniken genannt werden. Im Vordergrund stehen folgende Fragen: Wo kommen sie vor? Wozu werden sie gebraucht? Wie lange gibt es sie schon? Wie sind sie beschaffen? Wie werden sie gemacht? Was kann man Neues daraus machen? Vor etwa 20 Jahren habe ich begonnen, Antworten auf diese Fragen zusammenzutragen. Teilchen um Teilchen, wie bei einem Puzzle, hat sich daraus ein Bild über die Stoffbildung bei vorangeführtem Fadenende aufgebaut. Noch ist das Bild nicht ganz vollständig, aber die Hauptzüge der Techniken ­ dieser seltenen Maschen lassen sich ablesen. Sie halten jetzt das Buch in den Händen, das ich selber am Anfang gerne gehabt hätte, um meine Neugier und die Lust auf praktisches Arbeiten zu stillen. Meine Passion begann etwa um 1990, als ich das Museum der Kulturen in Basel kennenlernte.

Es war die, heute leider nicht mehr zugängliche, Dauerausstellung zur „Systematik der Textilen Techniken“, die mich vom ersten Moment an ge­ fangen nahm. Die Ausstellung hieß ab 2000 „Textil: Technik, ­Design, Funktion“ und wurde vom Museum wie folgt beschrieben: „Mit Modellen und originalen Arbeitsproben wird in der neuen Dauerausstellung die Herstellung von Textilien auf einfach verständliche Weise dargestellt: von Rohmaterial über Färberei, von Fadenund Stoffbildung bis hin zu einer reichen Palette von Verzierungstechniken. Originale aus aller Welt zeigen, wie unterschiedlich und wie erfinderisch einzelne Kulturen mit textilen Verfahren umgehen und wie unglaublich variationsreich ihre Erzeugnisse sind. Wahl der Rohstoffe und technisches Wissen beeinflussen Formen ebenso sehr wie individuelle gestalterische Kreativität, kulturelle Tradition und Verwendungszweck.“ Schon bei meinem ersten Besuch war es „Liebe auf den ersten Blick“: Mit diesem Thema wollte ich mich befassen! Ich hatte Feuer gefangen und das Museum wurde zu meinem ganz persönlichen Studienplatz. Stundenlang bestaunte ich die reich bestückten Vitrinen und schaute auf die Bildschirme.

Das gefiel ihm so gut, dass er über­mütig kehrtmachte und auf dem Rückweg gleich noch einmal eine Schlaufenreihe warf, die er geschickt mit der 1. Reihe zu verbinden wusste: Ohne bestimmte Absicht hatte er mit dieser Idee den allerersten und einfachsten Stoff hergestellt, der sich aus einem Einzelfaden machen lässt: einen Maschenstoff aus Schlaufen. Der Faden löste sich wieder zu seiner Ursprungslänge auf und machte eine Pause. Durch seinen ersten Erfolg munter ge­worden, dachte er an eine Schrift und legte sich in eine Form, die aussah wie eine Reihe aus zusammen­ hängend ­geschriebenen „e“:

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Auf einem Klappstühlchen sitzend, das Notizbuch auf den Knien, sammelte ich Material für meine „autodidaktischen Lehr- und Wanderjahre“. (Es war noch die Zeit vor Internet und Digitalkamera!) Bald war klar, dass meine Liebe den sogenannten webstuhlunabhängigen Techniken gilt, das heißt allem, was man mit Faden, den eigenen Händen und ganz wenigen Hilfsmitteln anfertigen kann. Fasziniert war ich von allen Geflechten und besonders von diesen seltsamen, eindeutig weder gestrickten noch gehäkelten Maschentechniken, die bis heute nicht von Maschinen übernommen werden können und bei denen das Arbeitstempo nicht beliebig gesteigert werden kann. Zwei Wechselausstellungen waren wegweisend für mich: 1997 die Ausstellung über Vanuatu, die mir ­Augen und Herz für die „Südsee-Geflechte“ und meinen späteren neuen Beruf (Korb- und Flechtwerkgestalterin) öffnete, 2000 die Ausstellung „Kultur an einem Faden, Maschenstoffe aus Amazonien und Neuguinea“, durch die meine Vorliebe für Maschen mit vorangeführtem Fadenende ihre endgültige Be­ stätigung fand.

Auch das probierte er sofort in mehreren Reihen aus und fand großen Gefallen an der entstandenen Struktur: einem Maschenstoff aus Schlingen. Nun vollends putzmunter geworden, löste sich der Faden erneut zu seiner Ursprungslänge auf, gönnte sich aber nur eine kurze Pause, um sich sofort in eine noch kühnere ­Maschenform aus ­Doppelschlingen zu werfen.

Ein weiterer Glücksfall war, dass ich in Kursen zu speziellen Flechttechniken Noémi Speiser kennenlernte. Sie hat mir entscheidend geholfen, mich durch den „Dschungel der textilen Techniken“ zu schlagen und die Systematik hinter der verwirrenden Vielfalt zu erkennen. Noémi Speiser hat lange in Basel gelehrt und auch nach ihrer Pensionierung nicht aufgehört, die Geheimnisse von webstuhlunabhängigen textilen Techniken zu erforschen. In ihrem Unterricht und durch einen spannenden Erfahrungsaustausch ­lernte ich, strukturiert, genau und klar zu schauen, zu denken und zu formulieren. Ihre strengen ­Fragen („Sprichst du jetzt von der fertigen Struktur oder von deren Herstellungsprozess?“) brachten mich oft ins Schleudern, führten aber zu wichtigen Erkenntnissen und zunehmender Sicherheit in der verzweigten Materie. Das bei Noémi Speiser er­ worbene Grundwissen gehört zum wichtigsten ­Rohstoff für meine heutige Arbeit – es bildet auch das „Rückgrat“ dieses Buches. Parallel zu meinen „textiltechnischen Lehr- und Wanderjahren“ absolvierte ich eine Ausbildung zur Erwachsenenbildnerin sowie ein Teilzeitstudium in Ethnologie an der Universität Bern.

Diesmal wurde ihm beinahe schwindlig, als er akrobatisch ­mehrere Reihen solcher Maschen untereinander anordnete: zu ­einem Maschenstoff aus Doppelschlingen. Der Faden war begeistert! Seine Ent­deckungen hatten dazu geführt, dass alle Trägheit und Langeweile verschwunden war. Der Faden war nun nicht mehr zu bremsen – neugierig und geduldig probierte er aus, wie er sich immer wieder anders mit sich selbst verkreuzen könnte: So ist die Maschenbildung mit vorangeführtem Fadenende in die Welt gekommen.

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Arbeitsproben und Notizen

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Gemeinsam mit Irene Reinmann entwickelte ich die Kursreihe „Textiles Gestalten“, die ab 1993 im Weiterbildungsprogramm der Berner Berufs-, Fachund Fortbildungsschule BFF angeboten wurde. In diesem Rahmen fand im Herbst/Winter 1999/2000 erstmals der Semesterkurs „Einhängen und Verschlingen“ mit drei Wochenstunden statt. Von den Frauen in den Kursen habe ich unendlich viel dazulernen können. Der Lehrgang wurde so mit jedem Kurs reichhaltiger und differenzierter. Ich erkannte das Bedürfnis nach praktischen Schritt-für-SchrittAnleitungen und erweiterte meine Kursunterlagen entsprechend. Die Anfrage, ob ich nicht ein Buch zu dieser Sache machen wolle, brachte den entscheidenden Impuls für eine vollständige Überarbeitung der bestehenden Unterlagen und eine erneute Überprüfung all meiner Erfahrungswerte. Die vorliegende Arbeit wäre nicht zustande gekommen, wenn nicht ein dichtes und spannendes Netz aus „Beziehungsfäden“ in alle Welt den Hintergrund für diese Herausforderung gebildet hätten. Diese Beziehungsfäden verhalten sich wie die ­Fäden eines Maschenstoffs: Wenn man an einem Ende zupft, bewegt sich überraschend ein Faden

an einem anderen Ende und beweist, wie letztlich alles miteinander verhängt und verschlungen ist. Das Buch wäre nur eine halbe Sache ohne das ­f abelhafte Engagement von Samuel Künti, der die Sach- und Anleitungsfotos für dieses Buch anfertigte: eine Herkulesarbeit neben Beruf und Familie, für die ich mich aufs Herzlichste bedanke! Es war eine wunderbar stimmige Zusammenarbeit. Wir haben unsere Improvisationstalente zusammengelegt und genau die Bilder gemacht, die ich mir vorgestellt hatte. Ohne die mentale, computertechnische und haushaltsbezogene Rückendeckung von Hans Künti wäre die Arbeit kaum zu schaffen gewesen. Er war immer dabei, von der 1. Masche bis zum fertigen Buch – der Mann hat Nerven – merci! Ein weiterer spezieller Dank geht an „meine drei Elisabethen“: Elisabeth Burckhardt, Elsbeth Gygli und Elsbeth Trummer, die „Testgruppe“ während der Entstehung dieses Buches. Ihr waches Interesse, die konstruktiven Rückmeldungen und ihre überaus flinken Hände haben auf den praktischen Teil dieses Buches einen gewichtigen Einfluss ­gehabt. Danke auch für das Recht, Bilder von euren Produkten zu machen und in dieses Buch einzu­ bauen. Und was wäre eine Buchidee ohne Verlag? Es ist für mich eine große Ehre, dass Adela und Matthias Haupt Vertrauen in mein Thema haben und mich ermutigten, meine Erfahrungen und Erkenntnisse zwischen diese zwei Buchdeckel zu packen – habt tausend Dank! Allerbesten Dank den Lektorinnen Heidi Müller und Eva Hauck und der Grafikerin Inge Schumacher für die geduldige und kompetente Begleitung! Und natürlich gebührt mein Dank noch vielen weiteren Personen aus dem erwähnten Beziehungsnetz; sie sind im Anhang dieses Buches aufgeführt.


Wie man dieses Buch lesen kann Als Bilderbuch

Als Lehr- und Anleitungsbuch

Ich hoffe, dass Ihnen schon allein die vielen Bilder in diesem Buch Freude machen. Schön, wenn Sie sich inspiriert fühlen, und noch besser, wenn Sie Lust bekommen, selbst Hand anzulegen!

Interessieren Sie sich ganz praktisch und handfest für textile Techniken? Und haben Sie Lust, Ihr Technikrepertoire um eine seltene Kategorie zu erweitern? Dann wird Sie der praktische Teil dieses Buches in eine neue Dimension entführen! Die spezielle Herausforderung bei den hier behandelten Techniken ist die merkwürdige Tatsache, dass zur Stoffbildung mit dem Fadenende voran gearbeitet wird und dass daher nur begrenzt lange Fadenstücke statt Fadenknäuel verwendet werden. Ich stelle Ihnen meine Arbeitsweisen so vor, wie ich sie selbst für mich entdeckt und erprobt habe. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie noch ganz ­andere Möglichkeiten kennen oder finden! Jean-Luc Godard hat gesagt: „Jede Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.“ In diesem Sinn können Sie die Kapitel im Buch gemäß Ihren ­Interessen in beliebiger Reihenfolge lesen. Einzig für den Einstieg in die praktische Arbeit brauchen Sie entweder Vorkenntnisse oder die Informationen aus den den Anleitungen vorangestellten Kapiteln. Das Lesezeichen mit der Piktogramm-Zusammenfassung wird Ihnen eine zusätzliche Orientierungshilfe sein. Anleitungen für konkrete Produkte sind dort integriert, wo die neuen Maschen jeweils erstmals vorgestellt und erklärt werden.

Als Fachbuch Personen, die im Museum oder im Textilfach ­tätig sind, wird die Darstellung der Strukturen von ­Maschenstoffen mit vorangeführtem Fadenende möglicherweise Anhaltspunkte liefern, wenn es um die Beurteilung und Einordnung von zu untersuchenden Objekten geht. Bedenken Sie, dass das vorliegende Buch keine vollständige und wissenschaftliche Abhandlung ist und dass ich keine Feldforschungserfahrung habe. Die Schwerpunkte und die Auswahl der Beispiele sind subjektiv gewählt und waren in erster Linie durch die Verfügbarkeit der Informationen bestimmt.

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Die praktische Arbeit 5 Im Folgenden lernen Sie die Maschenbildung mit vorangeführtem Fadenende mithilfe von Schritt-für-Schritt-Anleitungen kennen. Wenn eine Maschenform zum ersten Mal gezeigt wird, geschieht das sehr ausführlich. Die An­leitungen bei Variationen sind kürzer gehalten. Ideen für Projekte werden dort eingefügt, wo die entsprechenden Maschen und Strukturen erstmals vorgestellt werden.


Einhängen – Stoffe mit Maschen aus Schlaufen Als Erstes lernen Sie die Struktur des Ein­ hängens kennen – sozusagen die „Urmutter“ der Masche mit vorangeführtem Fadenende. Es gibt textil­technisch gesehen nichts Ein­ facheres, was Sie stoffbildend mit einem ­einzelnen Faden machen können!

Einhängen in Reihen hin und her Die Struktur im Modell

Material Nicht zu stark gezwirnte Baumwollschnur, ca. 25 m/50 g, oder nicht zu stark gedrehtes Wollgarn, ca. 30–40 m/50 g Beliebige andersfarbige Schnur als Hilfsfaden Werkzeug und Hilfsmittel Stumpfe Nadel Klebeband Arbeitsplatz vorbereiten Auf einer ebenen Fläche den Hilfsfaden mit 2 Stück Klebeband befestigen. 2 Armspannen (ca. 3 m) Fadenmaterial in die Nadel fädeln. Anleitung 1. Reihe: Die 1. Reihe geht von links nach rechts, die Nadel halten Sie in der rechten Hand. Mit einem simplen Knoten den maschen­ bildenden Faden am Hilfsfaden oben links ­befestigen. [1] Sie gehen mit der Nadel jeweils leicht schräg von Süd nach Nord unter dem Hilfsfaden hindurch und ziehen den ganzen Fadenvorrat

Bei der Fertigung des ersten Stoffs versuche ich, ausführliche und genaue Angaben zu machen unter den Rubriken „Material“, „Hilfsmittel“, „Arbeits­

Einhängen in Reihen hin und her

platz vorbereiten“ und „Generelle Bemerkungen zum Arbeitsprozess“. Alle diese Angaben gel­

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ten automatisch für alle weiteren Stoffe. Sollte sich jedoch im Vergleich zum ersten Stoff etwas ändern, finden Sie die neuen Angaben an der entsprechenden Stelle im Anleitungstext. Ausgangslage zur Bildung der 1. Schlaufe

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Ausgangslage zur Bildung der 2. Schlaufe

Ausgangslage zur Bildung der weiteren Schlaufen


DIE PRAKTISCHE ARBEIT

schräg nach oben rechts durch. Beim Durch­ ziehen des Fadens sichern Sie mit dem Zeige­ finger der linken Hand die sich bildende ­schlaufen­förmige Masche. Bringen Sie dann den ganzen Fadenvorrat nach links und gehen Sie für die 2. Masche erneut unter dem Hilfsfaden durch. Mit der rechten Hand den Faden durchziehen und mit der linken Hand die entstehende Masche sichern. [2] Die so gebildeten Maschen aus Schlaufen sollen sich in regelmäßigem Abstand zueinander um den Hilfsfaden schmiegen. Es entstehen s-gerichtete Schlaufen. [3] Arbeiten Sie für Ihren ersten Versuch nicht mit zu vielen Maschen, 5 – 10 sollten genügen.

Zählen Sie die nach unten hängenden Maschenbogen, der kurze Abschnitt vor dem Knoten zählt als 1 Bogen. Das sind die Stellen, wo bei diesem Stoff in der 2. Reihe eingestochen werden soll. [4]

2. Reihe: Die 2. Reihe wird von rechts nach links gearbeitet, die Nadel halten Sie in der linken Hand. Die Randmasche rechts bildet sich beim Umkehren der Arbeitsrichtung und präsentiert sich als schön nach rechts geschwungener Bogen. [5] Sie stechen mit der Nadel jeweils von Südwest nach Nordost unter den Maschenbogen ein, die Sie in der 1. Reihe als Maschen abgezählt

Bitte beachten Sie, dass auf den Fotos immer ein unnatürlich kurzes Faden­ ende zu sehen ist, damit

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der ganze Faden gezeigt werden kann. Dies ent­ spricht natürlich nicht der tatsächlichen Faden­ länge.

Ende der 1. Reihe, s-gerichtete Schlaufen

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Ende der 2. Reihe, z-gerichtete Schlaufen

Ausgangslage für die 1. Masche der 2. Reihe

Anfang der 2. Reihe

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Beginn der 3. Reihe, es entstehen wieder s-gerichtete Schlaufen

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Musterstücke in verschiedenen Materialien

Einhängen in Reihen hin und her, Baumwoll-Kederschnur, 3 mm, Unterlegscheiben

haben, und ziehen den ganzen Fadenvorrat schräg nach oben links durch. Lassen Sie Ihre linke Hand den Faden führen und legen Sie vor jeder neuen Masche den ganzen Fadenvorrat schräg nach rechts. Es entstehen z-gerichtete Schlaufen. Der letzte Maschenbogen dieser 2. Reihe hängt nun direkt unter dem Knoten. [6] [7]

3. Reihe: Die 3. Reihe wird wieder von links nach rechts gearbeitet: Nadel in der rechten Hand, Einstechen wie für die 1. Reihe, leicht schräg arbeiten von Südost nach Nordwest. Es entstehen wieder s-gerichtete Schlaufen. Die letzte Masche der Reihe wird in den rechten Randmaschenbogen eingehängt. Einhängen in Reihen hin und her, 50 % Wolle, 10 % Alpaka und 40 % Polyacryl, 30 m/50 g

Nun arbeiten Sie wieder von rechts nach links wie bei der 2. Reihe usw. [8]

Wachstumsrichtung des Stoffs Dieser Stoff wächst von Ihnen weg.

Einhängen in Reihen hin und her, Hilfsfaden schon entfernt, Wollkordel, 60 % Schurwolle, 40 % Mohair

Einhängen in Reihen hin und her, Stoffstreifen, gerissen, 5 cm breit, 100 % Baumwolle

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Struktur des entstehenden Stoffs Vorder- und Rückseite sind identisch. Der Stoff ist quer zur Fadenrichtung stark dehnbar, längs zur Fadenrichtung hingegen wenig. Die Bildung der Randmaschen geschieht in der Regel problemlos. Die Struktur ist für die Perlenstoffbildung gut geeignet. Wenn dicht gearbeitet wird, entsteht ein ­kompakter Stoff mit „körnigem“, rippenartigem Charakter, bedingt durch den reihenweisen Wechsel der Richtung der Bindungspunkte (= gut sichtbare, oben aufliegende Faden­ abschnitte der einzelnen Maschen). Wenn locker gearbeitet wird, entsteht ein ­Netzcharakter.


DIE PRAKTISCHE ARBEIT

Generelle Bemerkungen zum Arbeitsprozess Der richtige Bogen zum Einstechen: Wenn Sie unsicher sind, welches nun die richtige Einstichstelle für die neue Masche ist, bedenken Sie Folgendes: Die bogenförmigen neuen Einstichstellen hängen alle am gleichen Fadenabschnitt der Vorreihe. Zupfen Sie ein bisschen an diesem Faden und der Bogen oder Fadenabschnitt, der sich mitbewegt, ist die gesuchte Einstichstelle. Die richtige Maschengröße: Sie fragen sich, wie stark der maschenbildende Faden nach jedem Durchziehen angezogen werden soll? Beobachten Sie am besten das Material: Weiches Fadenmaterial schmiegt sich schön bogenförmig an den Bogen aus der vorhergehenden Reihe an. Steifem Fadenmaterial kann mehr „Luft“ gelassen werden, die Maschen dürfen weiter sein. Für alle Materialien gilt, dass die Randmaschen nicht zu eng angezogen werden dürfen, da sonst der Stoff unfreiwillig schmaler wird. Die Maschen beim Durchziehen des Fadens sichern: Bei jedem Durchziehen des Fadenvorrats durch die neue Masche sichern Sie die bereits gebildeten Maschen gegen ungewolltes Verziehen mit der Hand, die nicht die Nadel führt. Es geht leichter, wenn Sie den Faden zupfend abschnittweise durchziehen, anstatt alles in einem Ruck durchzuziehen. Regelmäßiges Maschenzählen: Wenn Sie noch nicht so viel Übung haben, zählen Sie am besten am Ende jeder Reihe, ob noch alle Maschen vorhanden sind. Die Bereiche der Randmaschen sind für das Verschwinden von Maschen besonders anfällig. Der Bogen der fertigen Randmasche wird als eine Masche gezählt, während an der Umkehrkante nur der fertige Bogen und nicht der zur Umkehr bereite Faden gezählt wird.

Sich eine Übersicht verschaffen: Jedes Material legt sich beim Maschenbilden ein bisschen anders. Oft ist dann beim fertigen Stoff die Lage der Fadenabschnitte nicht mehr so klar erkennbar wie auf einer Modellzeichnung. Wenn Sie unsicher sind, ob Sie die Einstichstellen richtig erkennen, sollten Sie die entstehende Struktur aufspannen – sofort wird ersichtlich, wie der ­maschenbildende Faden läuft. Den Arbeitsfaden verlängern: Sie können nach Belieben sämtliche im Kapitel „Das Verlängern des Arbeitsfadens“ (siehe Seiten 56/57) vorgestellten Methoden anwenden. Empfehlungen zur Arbeitsmethode: Für die ersten 4–5 Reihen empfehle ich Ihnen, die Arbeit flach auf den Tisch zu legen. Später können Sie gerne die Arbeit während des Maschenbildens schräg vom Tisch anheben oder – wenn das für Sie angenehm ist – sogar ganz vom Tisch lösen. Möglicherweise haben Sie so sogar eine bessere Sicht auf die Arbeitslinie und erkennen die Maschen­bogen genauer, in die eingestochen werden soll. Denken Sie immer daran, dass es viele Möglichkeiten für bequemes Arbeiten gibt, keine ist die absolut richtige! Der Hilfsfaden verbleibt vorläufig im Stoff.

Das Zählen der Maschen und Einstichstellen, hier bei ­Maschen aus Schlingen

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Kleiderb端gel端berz端ge, entstanden mithilfe von diversen Maschenformen und verschiedenen Arbeitsweisen unter Mitarbeit von Lisbeth Burckhardt und Elsbeth Gygli


DIE PRAKTISCHE ARBEIT

Kleiderbügelüberzüge

Grundsätzlich sind für Kleiderbügelüberzüge viele Maschenformen und Strukturen denkbar. Allerdings sind nur nicht zu dicke Materialien geeignet. Es ist möglich, in Reihen hin und her, in Reihen mit Wenden oder spiralig als Schlauch direkt auf die Kleiderbügel zu arbeiten. Wenn Sie in Reihen arbeiten, wird der Überzug anschließend mit ­einem beliebigen (sichtbaren oder nicht sicht­ baren) Nähstich um den Bügel genäht. Wird direkt am Bügel gearbeitet, können die Fadenreste des Arbeitsfadens dazu genutzt werden, die Maschen formgerecht an den Stirnseiten der Bügel zu­ sammenzuziehen. Je nach Kleiderbügelform müssen im Mittelbereich des Bügels Maschen zu- und dann wieder abgenommen werden (siehe Seiten 59/60). Am besten messen Sie den Bügel zunächst aus und machen eine Skizze. Kleiderbügelüberzüge sind ein ideales Produkt, um neu gelernte Maschenformen zu üben und verschiedene Materialien, Muster und Farbwirkungen auszutesten. Wegen ihrer geringen Abmessungen sind die Überzüge schnell fertiggestellt. Im Folgenden finden Sie eine Anleitung für Kleider­bügelüberzüge aus Einhängemaschen in Reihen hin und her.

Material Faden aus Wolle, Baumwolle etc. Maschenform und Arbeitsweise Maschen aus Schlaufen Einhängen in Reihen hin und her Anleitung Die Anzahl der benötigten Maschen ermitteln (hängt ab von Material und Bügelgröße). Den Arbeitsfaden auch gleich als Hilfsfaden verwenden; Fadenanfang ca. 70 cm lang stehen lassen, um später damit den Überzug an den Bügel zu nähen. Bei Bedarf eine Skizze mit allen Maßen ­an­fertigen. Zum Verlängern des Fadens kommen alle auf den Seiten 56/57 genannten Varianten infrage. Es entsteht ein Band in der berechneten Länge und Breite; den Arbeitsfaden zum Schluss ca. 20 cm lang stehen lassen. Das Band mit Überwendlingsstich von Rand­ masche zu Randmasche an den Bügel nähen. Die Anfangsreihe mit dem Anfangsfaden (Hilfsfaden) und die Schlussreihe mit dem Arbeits­ fadenrest zusammenziehen; die Maschen rücken ringförmig zusammen und bilden damit einen schönen seitlichen Abschluss am Bügel; Rest­ fäden vernähen.

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Einhängen in Reihen mit Wenden Anleitung 1. Reihe: Die 1. Reihe wird so gearbeitet wie oben beim Einhängen in Reihen hin und her beschrieben. Am Ende der 1. Reihe die Klebestreifen des Hilfsfadens lösen und die gesamte Arbeit über die (zukünftige) linke Seitenkante wenden. Den Hilfsfaden wieder mit Klebestreifen ­sichern. Nun liegt die vorherige Rückseite der Arbeit oben. Der Knoten des Fadenanfangs am Hilfsfaden liegt rechts. Das Fadenende des ­Arbeitsfadens liegt wieder links. 2. und alle weiteren Reihen: Alle Reihen immer von links nach rechts arbeiten und die Arbeit nach jeder Reihe wenden. Es entstehen s-gerichtete Schlaufen. Wachstumsrichtung des Stoffs Dieser Stoff wächst von Ihnen weg.

1. Reihe aus s-gerichteten Schlaufen

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Struktur des entstehenden Stoffs Es entsteht ein Stoff mit starkem Drall. Alle Schlaufen sind gleich gerichtet. Quer zur Fadenrichtung ist der Stoff stark ­dehnbar, längs dazu kaum. Vorder- und Rückseite sind identisch. Die Struktur ist für die Perlenstoffbildung gut geeignet. Vereinfachen des Wendens Je nach Material kann das ständige Wenden inklusive Lösen und Wiederanbringen des Hilfsfadens mühselig und zeitraubend sein. Einfacher geht es mit einem bügelartigen Hilfsmittel, das auch eingesetzt werden kann, um eine stets gleich bleibende Stoffbreite zu erreichen. Einen Hilfsbügel herstellen Einen Aluminiumstab (kein Rohr!) aus dem ­Baumarkt wie gewünscht mithilfe einer Eisen­ säge ablängen. (In meinem Fall betrug die ­L änge ca. 65 cm.) Mithilfe eines Schraubstocks zu einem u-förmigen Bügel biegen. Die Schnittflächen mit Schleifpapier glätten.

Ausgangslage zur Bildung der 2. Reihe


DIE PRAKTISCHE ARBEIT

Arbeiten mit dem Hilfsbügel Bügel in U-Form auf den Arbeitsplatz legen (offene Beine weisen von Ihnen weg). Den Arbeitsfaden rechts anknoten und als Hilfsfaden zwischen den Bügelbeinen aufspannen. Die 1. Reihe wie gewohnt arbeiten, der Faden bleibt gespannt. Die gesamte Arbeit wenden, dabei den Arbeitsfaden um den Bügel mitführen und auf die neue Vorderseite bringen. Die 2. Reihe arbeiten, dabei die Arbeit weiterhin gespannt halten. Erneut wenden und die 3. Reihe wieder von links nach rechts arbeiten. So fortfahren, bis die gewünschte Höhe erreicht ist. Bei einem langen Stoff würde der fertige Stoff mühelos von den offenen Bügelenden gleiten. Der Hilfsbügel ermöglicht ein zügiges Arbeiten und die Struktur wird sehr gleichmäßig.

Hilfsbügel, Stoff mit starkem Drall; Einhängen in Reihen mit Wenden; 100 % Baumwolle, 25 m/50 g

Einhängen, spiralig in Runden als Schlauch Hilfsmittel Ein Stück einer Kartonröhre oder anderer ­z ylinderförmiger Gegenstand Arbeitsplatz vorbereiten Auf einer Kartonröhre (bzw. einem anderen ­z ylinderförmigen Gegenstand) einen Hilfsfaden montieren oder den Arbeitsfaden als Hilfsfaden um die Form führen und verknoten. Falls Sie einen zylindrischen Beutel etc. herstellen möchten, zunächst einen Boden in beliebiger Technik als Basis herstellen, um ­daran später die 1. Maschenreihe anfügen zu können. Anleitung Ausgangslage: Den Arbeitsfaden mit einem Knoten am um die Röhre montierten Hilfsfaden befestigen. 1. Runde: Die 1. Runde arbeiten Sie genauso, wie wenn Sie eine Fläche herstellen. Die Arbeitsrichtung verläuft nach rechts, die Nadel halten Sie in der rechten Hand. Die Maschen aus s-gerichteten Schlingen sollen sich in gleichmäßigen Abständen um den Hilfsfaden „schmiegen“. Arbeiten Sie so viele Maschen, wie es der Umfang der Form erfordert.

1. Runde

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2. Runde: Die 2. Runde beginnt mit einem leichten ­(maschenhohen) Absatz zur 1. Runde, bedingt durch die spiralige Arbeitsrichtung. Bei allen weiteren Runden werden Sie davon allerdings nichts mehr merken. Um den Rundenbeginn zu erkennen, kann ein Kontrastfaden als Markierung mitgeführt werden (senkrecht zur Arbeitslinie). Dies ist beispielsweise nötig, wenn Muster gebildet werden sollen.

Ausschnitt aus einem quer liegenden Schlauch; Einhängen, spiralig in ­Runden; Haushaltsschnur aus Hanf, Trinkhalmstücke als Perlen

Wachstumsrichtung des Stoffs Dieser Stoff wächst von Ihnen weg.

Beginn 2. Runde

Struktur des entstehenden Stoffs Es entsteht ein Stoff mit sehr starkem Netz­ charakter (wenn aufgespannt). Alle Schlaufen sind gleich gerichtet. Der Stoff ist längs sehr dehnbar, quer jedoch kaum. Vorder- und Rückseite sind identisch. Je nach Material werden diagonale Linien sichtbar. Die Struktur ist für die Perlenstoffbildung gut geeignet. Der Stoff weitet sich etwas aus, wenn er von der Form abgenommen wird.

Beginn 3. Runde

Der Stoff baut sich auf.

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DIE PRAKTISCHE ARBEIT

Einhängen in Reihen ohne Wenden, aber mit zurückgespanntem Faden In dieser Arbeitsweise werden zum Beispiel Hängematten in Südamerika gefertigt. Dort kommen ­häufig auch komplexere Maschenformen mit Über­ springen von Reihen zur Anwendung. Wichtig ist hier, dass zwei Pfosten als Spannvorrichtung dienen und gleichzeitig eine gleich bleibende Stoffbreite garantieren. Das Besondere ist, dass der Stoff nach unten wächst, Sie jedoch am oben liegenden Arbeitsrand arbeiten.

Anleitung Sie blicken von oben auf die Arbeit. Es kann gut im Stehen gearbeitet werden. Den Arbeitsfaden von hinten nach vorne um die rechte Zwinge führen, wieder nach links führen (es bildet sich ein Fadenkreuz) und hinter der linken Zwinge erneut nach vorn bringen. [1] Nun beginnt die 1. Maschenbildung: Sie führen also den Arbeitsfaden von hinten nach vorn um die linke Zwinge, führen die Nadel von vorn nach hinten unter den beiden gespannten Fäden hindurch (Fadenkreuz ignorieren) und legen den Fadenvorrat dann wieder auf Sie zu, und zwar leicht nach links (für bessere Sicht). Nun neue Maschen bilden, indem Sie jeweils von vorne nach hinten stechen. Bei der letzten Masche rechts (Randmasche) führen Sie den Faden direkt hinter der rechten Zwinge nach vorne. [2]

Hilfsmittel 2 Schraubzwingen Tisch Kartonstücke etc. zum Schutz der Tischplatte Arbeitsplatz vorbereiten Die Schraubzwingen an der Tischplatte befestigen. Die langen Enden weisen nach oben. Der Abstand ist grundsätzlich beliebig, für einen ersten Versuch sind ca. 15–20 cm Abstand angenehm. Den Arbeitsfaden an der linken Zwinge an­ knoten und nach rechts führen. Die Bilder der Arbeitsschritte: 1

Ausgangslage zur Bildung der 1. Maschenreihe

2

Ende der 1. Maschenreihe

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Spannen Sie den Faden auf die linke Seite. Führen Sie ihn von hinten nach vorne um die linke Zwinge. Jetzt arbeiten Sie wieder von links nach rechts. Für die neuen Maschen fassen Sie jeweils den letzten Faden und den Spannfaden der Vorreihe und stechen jeweils wieder von vorne nach hinten. Sie müssen also bei diesem Stoff nicht auf die Maschenbogen achten, in die eingestochen wird, sondern auf die gespannten Fäden der letzten beiden Reihen. [3] [4] An der linken Zwinge liegen die beiden Spannfäden, die aufgefasst werden müssen, hinten (von oben geschaut). An der rechten Zwinge liegen sie vorn. [3] [5] Auf der rechten Seite können Sie jeweils beim Auffassen der beiden Spannfäden mit der Nadel direkt hinter die Zwinge gehen und den Faden nach vorne ziehen. Es entstehen Einhängemaschen, die alle gleich gerichtet sind. Achten Sie darauf, dass die Arbeit immer gespannt bleibt! Die Randmaschen bilden gleichmäßige Bogen um die Zwingen. Das ergibt einen Bereich, der ideal ist, um von Anfang an oder nachträglich Henkel oder Tragebänder einzuziehen.

Wachstumsrichtung des Stoffs Dieser Stoff wächst auf Sie zu bzw. nach unten.

3

Bilden der 1. Masche der 2. Reihe

4

Bilden der 2. Masche der 2. Reihe

5

Bilden der letzten Masche der 2. Reihe

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DIE PRAKTISCHE ARBEIT

Struktur des entstehenden Stoffs Es entsteht ein Stoff mit ausgeprägtem Netzcharakter (wenn belastet). Unbelastet wirkt die Struktur relativ dicht. Alle Schlaufen sind gleich gerichtet gekreuzt. Der Stoff hat einen ziemlich starken Drall. Er ist längs stark dehnbar, quer jedoch kaum (typische Hängematten- und Tragetaschen­ eigenschaft!). Vorder- und Rückseite sind identisch. Die Struktur ist für die Perlenstoffbildung gut geeignet.

Bemerkenswert Das bereits beschriebene Arbeiten in Runden und das Arbeiten in Reihen mit Wenden und Hilfsbügel ergeben die exakt gleiche Stoff­ struktur. Ebenfalls die gleiche Struktur könnten Sie herstellen, indem Sie in Reihen hin- und her­arbei­ ten, aber in jeder 2. Reihe anders ein­stechen (siehe Seite 91), oder indem Sie in Reihen mit Wenden arbeiten, aber ohne Hilfsbügel. Es ist erstaunlich, wie stark die Arbeitsweise eine Struktur beeinflusst und wie viele Möglichkeiten es dennoch gibt, um ein und dieselbe Struktur zu erzeugen! Blick auf die fertige Struktur (stark aufgespannt)

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