Jackson, Falttechniken

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Paul Jackson

FALTTECHNIKEN


Paul Jackson hat mehr als 30 Bücher über Papierkunst verfasst, Falttechniken an mehr als 50 Hochschulen für Kunst und Design gelehrt und zahlreiche Auftragsmodelle für Druck, Fernsehen und andere Medien ausgeführt. Seine Werke aus gefaltetem Papier waren und sind in Galerien und Museen auf der ganzen Welt zu sehen. Paul Jackson verfügt über mehrere Studienabschlüsse in den Bereichen Bildende Kunst, Experimentelle Mediengestaltung und Verpackungsdesign.

Die englischsprachige Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Complete Pleats bei Laurence King Publishing Ltd., GB-London Copyright © Text 2015 Paul Jackson Autorenrechte eingetragen für Paul Jackson. Copyright © Videos und Audio Paul Jackson Aus dem Englischen übersetzt von Lina Feske, D-Berlin Redaktion der deutschsprachigen Ausgabe: Ute Orth, D-Freiburg Umschlag und Satz der deutschsprachigen Ausgabe: Verlag Die Werkstatt, D-Göttingen Printed in China

Die durch die Transportkosten verursachten CO 2 -Emissionen wurden durch den Kauf eines CO 2 -Zertifikats kompensiert. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-258-60134-2 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2015 für die deutschsprachige Ausgabe Haupt Bern Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. www.haupt.ch Wünschen Sie regelmäßig Informationen über unsere neuen Titel zum Gestalten? Möchten Sie uns zu einem Buch ein Feedback geben? Haben Sie Anregungen für unser Programm? Dann besuchen Sie uns im Internet auf www.haupt.ch. Dort finden Sie aktuelle Informationen zu unseren Neuerscheinungen und können unseren Newsletter abonnieren.


Paul Jackson

FA LT T ECHNIK EN Die Grundlagen f端r Papierdesign, Mode und Architektur

Haupt Verlag


Inhalt EI N L EI T U N G

1.3 Gitterteilung  46

Einleitung 6

1.3.1 90°-Gitter  46

Was ist eine Falte?  8 Worum es in diesem Buch geht  12 Wie Sie die Modelle anfertigen  14 Wie Sie die Zeichnungen, Fotos und Texte nutzen  16 Schneiden und Falten  17 Hilfsmittel 18

1.3.2 60°-Gitter  47 1.4 Teilung mit grafischen Hilfsmitteln  50

3 V ER D R EH T E FA LT EN

2 G RU N D FA LT EN

Symbole 19

1

3.1 Rosetten  155 3.2 Säulen mit Dreh  160 3.3 Mehrstufige Rosetten und Säulen  164

PA PI ERU N T ER T EI LU N G

3.4 Verdrehte Ringe  166 3.5 Mehrstufig verdrehte Ringe  172 2.1 Ziehharmonikafalten  55

3.6 Frei konstruierte Ringe  175

2.1.1 Grundformen  55

4

2.1.2 Verlaufsfalten  61 2.1.3 Faltenrhythmen  65 2.1.4 Materialformate  68 2.1.5 Verdichten und Spreizen  73

V- FA LT EN

2.2 Messerfalten  77 1.1 Lineare Teilung  23 1.1.1 Talfalten  24 1.1.1.1 16tel-Talfalten  24 1.1.1.2 32stel-Talfalten  26 1.1.1.3 64stel-Talfalten  27 1.1.2 Tal- und Bergfalten  28

2.2.1 Grundformen  77 2.2.2 Reflexion (Spiegelung)  86 2.2.3 Verdichten und Spreizen  92 2.3 Kastenfalten  96 2.3.1 Grundformen  96 2.3.2 Weiterführende Beispiele  102

1.1.2.1 8tel-Ziehharmonikafalten  29

2.4 Stehfalten  110

1.1.2.2 16tel-Ziehharmonikafalten  30

2.4.1 Grundformen  110

1.1.2.3 32stel-Ziehharmonikafalten  32

2.4.2 Weiterführende Beispiele  115

1.1.2.4 64stel-Ziehharmonikafalten  34

2.5 Nicht-parallele lineare Falten  122

1.1.3 Diagonale Teilung  36

2.5.1 Grundformen  122

1.1.3.1 Die Grundtechnik  36

2.5.2 Weiterführende Beispiele  128

1.2 Radiale Teilung  38

2.6 Gekrümmte Falten  132

1.2.1 Talfalten  39

2.6.1 Grundformen  132

1.2.1.1 8tel-Talfalten  39

2.6.2 Weiterführende Beispiele  136

1.2.1.2 16tel-Talfalten  41 1.2.2 Tal- und Bergfalten  42 1.2.3 Winkelvarianten  44

2.7 Aufgeschnittene Falten  140 2.7.1 Grundformen  140 2.7.2 Weiterführende Beispiele  144 2.7.3 Pop-ups  146

4

4.1 Grundform der V-Falte  181 4.1.1 Grundkonstruktion  181 4.1.2 Verändern des V-Winkels  183 4.1.3 Verschieben der Mittelachse  183 4.1.4 Varianten  184 4.2 Mehrere Achsen  185 4.2.1 Prinzip  185 4.2.2 Grundkonstruktion  186 4.2.3 Radiale Achsen  188 4.2.4 Achsen in ungleichmäßigen Abständen  190


4.3 Mehrere Vs, eine Achse  191 4.3.1 Prinzip  191 4.3.2 Grundkonstruktion  194 4.3.3 Varianten  198

6 FA LT ENS YS T E M E M I T M EH R ER EN V ER L AU F SR I CH T U N GEN

7 FA LT EN I N S TO FF

4.4 V-Falten in Opposition  201 4.4.1 Prinzip  201 4.4.2 Grundkonstruktion: <> & ><  203 4.4.3 Varianten  205 4.5 Mehrere Vs, mehrere Achsen  208 4.5.1 Prinzip  208 4.5.2 Konstruktion  209 4.5.3 Veränderte Papierformen  213 4.6 Konzertina-Zylinder  216 4.6.1 Abgeschrägte Ecken  216

6.1 Messerfalten in zwei Laufrichtungen 253

7.1 Dampf- und Ofenplissee  282

4.6.2 Varianten  218 4.6.3 Rechtwinklig verkantete Ecken  222

6.1.1 Ausgangsbeispiel 253

7.1.2 So wird Stoff plissiert 283

4.6.4 Varianten  224

6.1.2 Diagonale Variante 256

5

6.1.3 Drei Laufrichtungen 259

FA LT EN G I T T ER

6.1.4 Vier und mehr Laufrichtungen 261 6.2 Ziehharmonika- und Messerfalten 264

7.1.1 Dampfplissee 282 7.1.3 Ofenplissee 287 7.2 Schattenfalten  288 7.2.1 Quadratische Faltenkreuze 289 7.2.2 Andere Faltenkreuze 292 7.2.3 Kombinierte Faltenkreuze 295

6.3 Stehfalten in mehreren Laufrichtungen 270

7.3 Weitere Techniken  300

6.4 Aufgeschnittene Falten in mehreren Laufrichtungen  274

7.3.2 Einlagen 301

7.3.1 Nähen 300 7.3.3 Stärken 301 7.3.4 Unorthodoxe Methoden 301

Bildnachweise 302 Danksagung 303 5.1 Quadratraster  231

DVD-Inhalt 303

5.1.1 Konstruktion 231 5.1.2 Ausformen des Gitters 232 5.1.3 Teilausgeformte Varianten 236 5.2 Dreiecksraster  244

5


Einleitung

Schon seit Jahrtausenden schmückt der Mensch seine Kleidung und seine Wohnräume mit Falten. Obwohl Falten allgegenwärtig sind, blieben sie doch weitgehend unbeachtet und dienten als „stumme Helfer” für dekorative und praktische Zwecke. Neue Herstellungsverfahren, innovative Materialien und die Entdeckung der Origami-Faltkunst für das Design haben für die bescheidenen Falten in den letzten Jahrzehnten jedoch eine sensationelle Aufwertung und Entwicklung mit sich gebracht. Das altvertraute Zickzackmuster ist in allen Bereichen des Designs angekommen und begegnet uns heute bei einer Vielzahl von gefalteten Oberflächen und Formen aus flexiblen oder starren Werkstoffen. Falten gehören heutzutage zu den innovativsten und spannendsten Grundelementen des Designs. Der stumme Helfer ist zum Meister geworden. Ziel dieses Buches ist die systematische Dokumentation sowohl traditioneller Faltmuster als auch ihrer zeitgenössischen Ausdrucksformen. Manche Muster werden Sie wiedererkennen, andere werden neu für Sie sein. Auf diese Weise stellt FALTTECHNIKEN einen Katalog bekannter Faltmuster dar und bietet Ihnen zugleich innovative oder wenig beachtete Faltmuster, die zu Ihrer Inspiration gedacht sind. Es ist ein Standardwerk für alle Gestalter aus den Bereichen von Mode, Schmuckherstellung, Architektur oder Inneneinrichtung sowie der Objektgestaltung oder der Kunst, die bei ihren Arbeiten − sei es mit Stoff, Kunststoff, Metall oder Schichtholz − Falten verwenden wollen. FALTTECHNIKEN beginnt mit der detaillierten Erläuterung der Grundmuster und führt Sie über eine ganze Reihe von Variationen hin zu einem nach oben nahezu unendlichen, offenen Spielraum sowohl von dekorativen als auch von funktionalen Flächen und Formen. Dieses Buch stützt sich auf 30 Jahre Falt-Erfahrung, die ich während meiner Lehrtätigkeit an Universitäten und im Bereich des Industriedesigns sammeln konnte. Dementsprechend habe ich aus meinem Fundus nur die Faltmuster ausgewählt, die sich – ob traditionell oder modern − erprobtermaßen als besonders vielseitig, nützlich, anschaulich und schön erwiesen haben. Da die Zahl der Faltvarianten annähernd unendlich sein muss, kann keine Auflistung jemals vollständig sein. In FALTTECHNIKEN werden daher die Strategien für Abwandlungen und Neuentwicklungen vermittelt. Gelegentliche Überschneidungen mit meinem früheren Titel Von der Fläche zur Form. Falttechniken im Papierdesign werden dem aufmerksamen Leser sicherlich nicht entgehen. Die größere Vertiefung und Detailgenauigkeit von FALTTECHNIKEN haben zu einer neuen Systematik geführt, mit der sich die Faltmuster aus dem früheren Buch technisch genauer beschreiben und einordnen lassen. Dem ernsthaft interessierten Leser sei das parallele Arbeiten mit beiden Büchern ans Herz gelegt, da das eine die ideale Ergänzung des anderen darstellt.

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Als Anregung enthält das Buch ausgewählte Faltarbeiten zeitgenössischer Designer aus aller Welt, darunter auch Arbeiten von Studenten aus meinen Hochschulkursen. Es ist die erste Sammlung dieser Art in gedruckter Form, die bekräftigt − sofern dies überhaupt noch nötig ist −, dass Falttechniken heutzutage in Praxis und Lehre des Designs zu einem unverzichtbaren Ausdrucksmittel geworden sind. Ich hoffe, dieses Buch wird Ihnen nicht nur gefallen, sondern Sie vor allem motivieren, Ihre eigenen Faltideen umzusetzen.

Paul Jackson

V-Falten im Großformat. Detail einer Arbeit, die mit unterschiedlichen Techniken hergestellt wurde, u. a. mit computergesteuerter, industrieller Anfertigung von Jacquardgewebe und aus traditionell gefärbten Shibori-Stoffen. Baumwolle, monofile Nylonschnur und Synthetik; 60 x 130 cm. Angharad McLaren (GB). 7


Was ist eine Falte?

Die Bezeichnung „Falte” stammt von dem griechischen Wort „plectos” sowie von der lateinischen Form „pli” und dem Verb „plicare” (falten) ab. Überraschenderweise treten viele Fremdwörter, die in konkreter oder metaphorischer Bedeutung „falten” oder „entfalten” ausdrücken, oft in Verbindung mit einer Vor- oder Nachsilbe wie „ex-”, „com-”, „re-” oder „-ment” auf. Beispiele dafür sind: Applikation Dokument Duplikat Expansion explizit Kompliment kompliziert multiplizieren (= vervielfältigen) reflektieren Replik(ation) simplifizieren … und viele andere. Daraus wird ersichtlich, dass besonders im Lateinischen die Begriffe des „Faltens” oder „Entfaltens” fest verankert waren und sich keineswegs nur auf Papier- oder Stofffalten beschränkten. In diesem Sinne beschreibt das Wort „Falten” nicht nur eine Bearbeitungstechnik, sondern ruft auch Emotionen, abstrakte Gedanken und Handlungen wach. Für unsere Zwecke ist das Wort „Falten” ein Sammelbegriff, der stellvertretend für Raffen, Kräuseln, Drapieren, Plissieren, Smoken, Rüschen, Krinkeln, Crashen, Wellen, Riffeln, Schichten oder einen der vielen anderen handwerklichen Begriffe steht, wobei die meisten aus der Mode- und Textilindustrie stammen und sich speziell auf die Stoffverarbeitung beziehen. Von Land zu Land, von Handwerk zu Handwerk und manchmal sogar von Betrieb zu Betrieb gibt es unterschiedliche Begriffe, die in diesem Buch aber bewusst ausgeklammert werden: Für alle diese Varianten steht in FALTTECHNIKEN stellvertretend das Wort „Falten” – in der Hoffnung, dass die Leser an dieser Vereinfachung keinen Anstoß nehmen mögen.

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Definition Eine Falte entsteht, indem ein fl ächiger Werkstoff nach oben und nach unten geknickt wird. Oder in der Sprache des Origami: aus einer „Bergfalte” und einer „Talfalte”. Eine Falte kann gerade oder gekrümmt sein, scharf oder weich, streng geometrisch oder eine organische Einheit bilden. Sie kann eine zweidimensionale Fläche oder einen dreidimensionalen Körper erzeugen, einmalig vorkommen oder in endlos sich wiederholender Abfolge. Es gibt bewegliche und feste Falten, rein dekorative und ausschließlich funktionale sowie aus einem einzelnen Teil oder Werkstoff bestehende oder zusammengefügte Falten. Obwohl eine Falte einfach zu beschreiben und zu definieren ist, ermöglicht sie − je nach Art des zum Einsatz kommenden Materials und dem Einfallsreichtum des Designers – eine nahezu unbegrenzte Vielfalt an unterschiedlichen kreativen Umsetzungen.

0.1 Grundform einer Falte, geöff net und geschlossen

Bergfalte Talfalte

Bergfalte

Talfalte

Faltenrhythmen Die Faltmuster sind rhythmisch aufgebaut. Die Grundform mit gleichen Abständen zwischen den Tal- und Bergfalten ergibt die geläufigen Ziehharmonikafalten (siehe Seite 55 ff.). Dies ist der einfachste Faltenrhythmus. Messerfalten (siehe Seite 77 ff.) sind den Ziehharmonikafalten ähnlich, der Abstand zwischen den Brüchen ist jedoch ungleich (daher wurde die Messerfalte auch treffend als „hinkende Ziehharmonikafalte” bezeichnet!).

0.2 Ziehharmonikafalten

0.3 Messerfalten

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Obwohl die Falten im Grunde gleich sind, ist der Rhythmus von Messerfalten also komplexer als der von Ziehharmonikafalten. Diesen Rhythmus können Sie durch Variieren des Abstands zwischen den Brüchen einer Faltenfolge und ebenso zwischen mehreren Faltenfolgen nach Ihren Vorstellungen bestimmen. Der einfache Zweierrhythmus von Ziehharmonika- und Messerfalten (eine Tal- und eine Bergfalte) kann zu anspruchsvolleren Rhythmen von drei, vier oder noch mehr Brüchen erweitert werden, bei denen die Tal- und Bergfalten in unterschiedlichen Kombinationen innerhalb eines Rapports wiederkehren. Diese unterschiedlichen Rhythmen kann man mit den Taktarten in der Musik vergleichen. Eine Faltenfolge kann im Rhythmus einer Polka, eines Walzers, eines Marschs, als komplexe Synkope oder im Jazz-Tempo daherkommen. Das Faltmuster kann sich langsam und träge oder in einer furiosen Gangart fortsetzen − und natürlich auch in allen dazwischenliegenden Tempi. Es kann wie eine Symphonie oder ein Klimpern sein. Faltmuster lassen sich im Sinne eines musikalischen Rhythmus oft besser analysieren und kategorisieren, als über die Ordnung des Origami. Ein weiteres Notationssystem ist das Skizzieren von Faltenrhythmen auf Papier. Diese Methode eröffnet Ihnen endlose Möglichkeiten des Experimentierens. Das auf der gegenüberliegenden Seite unter 0.4 aufgeführte Beispiel aus dem Skizzenbuch eines Studenten erkundet Faltenkombinationen aus Messer- und Kastenfalten. Geöffnete und geschlossene Falten Eine Faltenfolge kann entweder locker geöffnet aufgestellt werden, wobei die gesamte Oberfläche des Werkstoffs sichtbar wird, oder vollkommen zusammengeschoben und flach gedrückt werden, wobei das Material nur teilweise sichtbar und der Rest zwischen den Falten verborgen ist. Diese beiden Erscheinungsformen der Falte werden als „geöffnete” oder „offene” bzw. „geschlossene Falte” bezeichnet. Offene Falten ergeben in der Regel Relief-Oberflächen (3-D), während geschlossene Falten im Allgemeinen flache, mehrlagige Oberflächen erzeugen.

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0.4 Verschiedene einfache Beispiele, wie sich das Grundthema der Paarung einer Tal- und einer Bergfalte entwickeln lässt. In diesem Buch werden Ihnen noch viele weitere Beispiele begegnen.

0.5 „Offene” und „geschlossene” Formen von Messer- und Kastenfalten

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Worum es in diesem Buch geht

FALTTECHNIKEN enthält Grundmuster, die Sie als Gestaltungsideen für Objekte und Flächen nutzen können. Diese sind nicht als Modelle zum Kopieren gedacht. Zudem bietet FALTTECHNIKEN auch keine „schnellen Rezepte” für Gestaltungslösungen an. Der Nutzen dieses Buches sollte vielmehr als eine Sammlung praxistauglicher Faltstrategien verstanden werden, die sich in allen Bereichen des Designs in ­unendlich vielen Variationen anwenden und mit jedem x-beliebigen Flächenmaterial umsetzen lassen.

das Material genauso wichtig wie das Faltmuster, manchmal sogar noch wichtiger. Das beste Ergebnis ist immer ein glückliches Zusammentreffen aus dem geeigneten Material und dem richtigen Faltmuster (sowie der passenden Idee).

Dazu zunächst ein paar Hinweise, wie Sie von den vorgestellten Modellen erfolgreich zu Ihren eigenen Arbeiten übergehen können.

Gehen Sie spielerisch vor

Materialien Dieses Buch vermittelt Ihnen die Falttechniken, mit denen Sie einen 90 g/m 2 starken Bogen Papier zu einer dreidimensionalen Form, einer Reliefoberfläche oder einer mehrschichtigen Fläche verformen können. Dabei wird ausgeklammert, wie sich diese Techniken auf andere Flächenmaterialien übertragen lassen, ob diese nun dicker, dünner, weicher, härter, größer oder kleiner, genäht, geklebt oder gesteckt sind, ob sie einteilig oder mehrteilig sind, von Hand oder mit der Maschine gefertigt, starr oder flexibel, durchlässig oder undurchlässig, fest und strapazierfähig oder empfindlich und dekorativ und so weiter und so fort. (Die einzige Ausnahme, auf die eingegangen wird, sind „Falten in Stoff”. Siehe dazu Kapitel 7 ab Seite 280.) Die Entscheidung für das eine oder andere Material treffen Sie als Designer selbst. Doch die Umsetzung mit einem anderen Werkstoff als Papier kann das Aussehen der einfachsten Falte radikal verändern. In dieser Hinsicht ist

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Eine Galerie ausgewählter Arbeiten in diesem Buch zeigt Ihnen zahlreiche Umsetzungsmöglichkeiten auf, doch aus Platzgründen kann nicht detailliert auf den jeweiligen Entstehungsprozess eingegangen werden.

Es ist am sinnvollsten, wenn Sie sich diesem Buch auf spielerische Weise nähern. Dabei geht es jedoch nicht darum, ein Faltbeispiel nachzuarbeiten, es kurz auf sich wirken zu lassen und mit dem nächsten fortzufahren. Spielen Sie stattdessen mit dem Modell. Falten Sie es auf verschiedene Arten, drücken Sie es flach oder dehnen Sie eine Kante. Komprimieren Sie mal die eine, mal eine andere Kante, dann beide gleichzeitig oder nur die Mitte. Drehen Sie das Modell in der einen Hand, dann in der anderen und nehmen Sie es von allen Seiten in Augenschein. Nach langjähriger Erfahrung möchte ich Ihnen ans Herz legen, dass manchmal fünf Minuten Spielen mit einem Faltobjekt weit mehr bringen, als wenn Sie sich von fünf unterschiedlichen Entwürfen eine schnelle Lösung erhoffen würden, ohne mit einem Modell davon ausgiebig gespielt zu haben. Jedes Beispiel in diesem Buch birgt einen Ansatzpunkt für viele weitere. Sie sollten diese jedoch nicht nur in Gedanken nachvollziehen, sondern so viele davon nacharbeiten, wie Sie können. Auch wenn Ihnen einmal nicht klar ist, wie Sie das, was Ihnen in Gedanken vor-


schwebt, in die Tat umsetzen können, versuchen Sie es trotzdem und lassen Sie sich von dem leiten, was Sie in den Händen halten. Unter Umständen wird etwas Besseres dabei herauskommen, als Sie es sich zu Beginn vorgestellt haben (oder vorstellen konnten). Faltmuster mögen zwar zunächst den Eindruck erwecken, sie seien vorhersehbar und unabänderlich, aber wenn Sie anfangen, sich Varianten auszudenken, werden Sie sehen, wie wunderbar flexibel sie sind, sowohl das Muster selbst als auch das Model als solches. Daher mein Appell an Sie: Spielen Sie, so viel es geht! Sie müssen keine Falt-Meisterschaft gewinnen Lassen Sie sich nicht frustrieren, wenn Sie die komplizierteren Beispiele aus dem Buch nicht hinbekommen. Diese sind sicherlich spektakulär, aber in Wahrheit (vielleicht paradoxerweise) auch die, die den geringsten Anwendungswert haben. Begnügen Sie sich stattdessen mit den einfachen, weniger ausgefallenen Beispielen, denn sie bieten Ihnen ein breiteres Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten und sind mit weit mehr Materialien umsetzbar. Aufsehenerregende Beispiele sind verführerisch, aber im Allgemeinen gilt: Je komplizierter ein Faltmuster, desto stärker festgelegt ist das Endergebnis und demzufolge geringer der Anwendungsspielraum. Mit dem Falten verhält es sich wie stets beim Design: Weniger ist oft mehr (zumindest grundsätzlich). Denken Sie daran, dass Sie in erster Linie und vor allem Designer sind, der mit Falten arbeitet, und kein Faltspezialist, der versucht, sich als Designer zu betätigen. Wenn Sie nichts anderes zustande bringen als die einfachste Ziehharmonikafalte, diese dafür aber gekonnt

ausführen, mit dem richtigen Material und einem überzeugenden Konzept, dann wird Ihr Produkt gelingen. Stellen Sie stets das Faltmuster in den Dienst des Designkonzepts und nicht umgekehrt. Falten Sie, so viel Sie können Natürlich wird nicht alles, was Sie aus den Faltbeispielen dieses Buchs ableiten, sofort der große Wurf sein. Ihre anfänglichen Versuche werden wahrscheinlich noch technische oder ästhetische Mängel aufweisen, und viele Stücke gelingen erst nach einer gründlichen Optimierung. Darin unterscheidet sich das Falten nicht von anderen Gestaltungsprozessen. Es gibt keine „schnelle Lösung”, die Ausdauer und hartes Arbeiten überflüssig machen würde. Beschäftigen Sie sich unbedingt mit Kapitel 1 („Papierunterteilung”, siehe Seite 20 ff.). Es ist mehr als wichtig! Der geringe Zeitaufwand, der erforderlich ist, um die exakte Papierunterteilung zu erlernen, steigert Ihre kreativen Möglichkeiten ungemein und erleichtert Ihnen viele Schritte. Es gibt, um ehrlich zu sein, keine Alternative zum Falten, Falten und nochmals Falten. Zu viel Nachdenken, zu viel Analysieren und der Versuch, theoretisch begreifen zu wollen, wie etwas aussehen wird, all das wird Sie unweigerlich entmutigen oder zumindest zu schlechten gestalterischen Ergebnissen führen. Papier ist überall erhältlich, es lässt sich leicht und schnell damit arbeiten und es kostet kaum etwas: Verwenden Sie es! Und bevor Sie Ihre Ideen auf andere Materialien übertragen, rate ich Ihnen: Nutzen Sie dieses Buch so ausgiebig, wie Ihre Zeit es Ihnen erlaubt!

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Wie Sie die Modelle anfertigen

Es gibt vier unterschiedliche Methoden, die in diesem Buch präsentierten Faltbeispiele nachzuarbeiten. Für welche Methode Sie sich entscheiden, bleibt Ihrem persönlichen Geschmack und den spezifischen Eigenarten des jeweiligen Modells vorbehalten. Wie bei der Ausarbeitung einer Idee in einem Skizzenbuch, liegt beim Papierfalten der Schlüssel zur Entwicklung guter Entwürfe im flüssigen und schnellen Arbeiten. Daher müssen die einzelnen Falten nicht immer technisch perfekt sein (Das meine ich ernst!). Sie können viel Zeit sparen, wenn Sie ein Modell zunächst grob vorfalten, um es dann sorgfältig zu wiederholen, wenn Sie die passende Idee für seine Umsetzung gefunden haben. Sie sollten sich auch nicht in unnötig präzisem Falten verzetteln, wenn Sie nichts weiter benötigen als eine schnelle, skizzenhafte Probe. Mit wachsender Erfahrung werden Ihre Geschwindigkeit und Spontaneität im Umgang mit Papier zunehmen. Und nun möchte ich Ihnen die versprochenen vier Falttechniken vorstellen: 1. Falten konstruieren aus der freien Hand Von Hand zu falten ist so „lowtech”, wie es ein Herstellungsprozess nur sein kann. Es ist ganz wörtlich genommen „digitale Kunst” (Digitus ist das lateinische Wort für „Finger”.). Sie stellen etwas unmittelbar mit Ihren körpereigenen Mitteln – mit den Händen − her, ohne Zuhilfenahme eines Hilfsmittels wie etwa eines Bleistifts, einer Computermaus oder einer Nadel. Auf diese Weise nehmen Sie den Schaffensprozess in einzigartiger und vielleicht ungewohnter Unmittelbarkeit wahr. Dieses sehr einfache Handanlegen kann besonders in der heutigen Hightech-Umgebung vieler Arbeitsplätze eine tief beeindruckende und bereichernde Erfahrung sein, sowohl für den blutigen Anfänger als auch für den mit allen Wassern gewaschenen Profi. Die Arbeit von Hand sollte daher keinesfalls unterschätzt und als naiv oder unangemessen abgetan werden. Betrachten Sie dieses Vorgehen als eine Abwechslung zur Gestaltung am Computer, denn neben dem positiven Gestaltungsergebnis ist das Falten von Hand an sich schon eine hervorragende Lernerfahrung. Viele Faltbeispiele in diesem Buch gehen von einem Blatt Papier aus, das in acht, sechzehn oder zweiunddreißig Abschnitte unterteilt wurde. Diese Unterteilungen sind schnell und einfach von Hand gemacht (siehe Kapitel 1, „Papierunterteilung”, Seite 20 ff.). Wenn Sie das erst einmal gelernt haben, ­ersparen Sie sich das langwierige Messen mit dem Lineal. Sehen Sie das Falten von Hand als den Normalfall an und greifen Sie nur bei Bedarf auf die anderen, nun folgenden Methoden zurück.

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Durch sorgfältige Auswahl bestimmter Falten in einem dichten Raster aus horizontalen, vertikalen und diagonalen Brüchen, ähnlich dem auf Seite 231 beschriebenen Gitter, legt sich ein Stück Papier zu dieser spektakulären gewundenen Figur. Sie ist äußerst flexibel und lässt sich ver­ drehen, strecken, stauchen und in viele Richtungen biegen. Maße: 73 x 23 x 23 cm. Andrea Russo (Italien).

2. Falten konstruieren mit geometrischen Hilfsmitteln Für ungewöhnliche Papierformen, exakte Winkel, Einteilungen in Verlaufsfalten und so weiter ist manchmal eine Grundausstattung an geometrischen Hilfsmitteln, bestehend aus einem Skalpell oder einem Cutter, Lineal, Zirkel, Winkelmesser und einem harten, gut gespitzten Bleistift unumgänglich. Seien Sie aber auf der Hut, dass ihr Gebrauch nicht zur Gewohnheit wird − vor allem dann, wenn das Falten von Hand viel schneller und einfacher wäre. 3. Falten konstruieren per Computer Heutzutage zeichnen die meisten von uns lieber am Computer als mit geometrischen Hilfsmitteln auf Papier. Anscheinend befinden wir uns auf bestem Wege, unsere „hand”werklichen Fähigkeiten einzubüßen. Das Arbeiten mit dem Computer hat aber in der Tat seine Vorteile: Die Skalierung ist ebenso leicht gemacht wie eine symmetrische Verdoppelung, eine Neigung oder Streckung. Zudem können Entwürfe gespeichert und beliebig oft kopiert werden. Aber es gibt auch einen Nachteil: Alle Ihre Zeichnungen müssen irgendwann ausgedruckt werden. Wenn der Entwurf das machbare Format Ihres Druckers übersteigt, müssen Sie vielleicht mehrere Abschnitte zusammenkleben, was niemals ganz sauber und präzise wird. Die Alternative dazu wäre ein Plotter. Falls Sie selbst keinen Zugang zu einem solchen Gerät haben, gibt es viele Druckereien und Kopierläden, die darüber verfügen und in denen man kostengünstig Schwarz-Weiß-Ausdrucke von 1 Meter Breite oder mehr machen kann. 4. Konstruktionsmethoden kombinieren Die pragmatische Lösung, zwischen den drei oben beschriebenen Möglichkeiten hin- und herzuwechseln, ist wahrscheinlich die Methode, mit der die meisten von Ihnen in den meisten Fällen die meisten Faltkonstrukti­ onen ausführen werden. Jede Methode hat ihre Vor- und Nachteile und die eigene Erfahrung wird Ihnen zeigen, welche Sie wann am besten einsetzen. 15


Wie Sie die Zeichnungen, Fotos und Texte nutzen

Die Zeichnungen Wenn dies im Text nicht ausdrücklich erwähnt wird, spielen die genauen Maße und Winkel einer Zeichnung keine Rolle. Solange Ihr Ergebnis in etwa der Abbildung ähnlich sieht, ist es exakt genug. Wichtige Stellen einer Konstruktion werden genau benannt, hier sollten Sie die Anleitung genauestens befolgen. Wo eine Form eindeutig als Kreis (oder was auch immer) zu erkennen ist, wird dies nicht explizit erwähnt, tun sie also das Offensichtliche und folgen dem, was Ihre Augen Ihnen sagen. Fassen Sie die Zeichnungen eher als Anregungen auf und nicht als Vorgaben zum exakten Kopieren. Allerdings kann es am Anfang hilfreich sein, eine Zeichnung nicht nur ungefähr nach Augenmaß, aus der freien Hand und ganz ohne Hilfspunkte zu erstellen, sondern stattdessen zunächst mit einem Lineal die Hauptlinien nachzumessen. So erhalten Sie einen groben Eindruck von ihren Proportionen und es wird Ihnen leichter fallen, die Form auf die gewünschte Größe zu bringen. Tipp: Wenn Sie eine Faltkonstruktion zum ersten Mal ausprobieren, sollten Sie den Maßstab nicht zu klein wählen. Kleine Probestücke können zu trivial wirken und sich so hemmend auf Ihre Kreativität auswirken. Ist eine Form hingegen zu groß, kann sie plump und instabil aussehen. Am besten versuchen Sie, Ihre Probestücke auf einem DIN-A4-Blatt unterzubringen. Wenn Sie sich für die Größe und das Material, mit denen Sie endgültig arbeiten wollen, entschieden haben, können Sie das Modell immer noch auf den richtigen Maßstab vergrößern oder verkleinern.

Kanten und Falten zueinander in Beziehung stehen, und Ihnen eine bessere Vorstellung davon zu geben, wie ein Modell nach seiner Fertigstellung aussehen sollte. In diesem Sinne sollten Sie die Fotos als bildliche Erklärungen betrachten und nicht nur als erbauliche Bilder, die das Buch verschönern. Papier ist ein lebendiges, atmendes Material. Es verzieht sich unter der Hitze der Atelierbeleuchtung, reagiert auf Feuchtigkeit und kann unter Umständen die Symmetrie einbüßen (je nachdem, wie die Fasern im Papier ausgerichtet sind). Daher kann es vorkommen, dass ab und zu ein Faltbeispiel etwas unstimmig wirkt. Die Alternative zu einer gelegentlich erkennbaren ­Ungenauigkeit wäre gewesen, alles aus dickem Karton anzufertigen. Karton aber wurde für dieses Buch als „seelenloses” Material verworfen. Die Eigenschaften von Papier sind (hoffentlich auch für Sie) einfach ansprechender, da sie den gefalteten Formen etwas Persönlichkeit einhauchen. Der Text Lesen Sie ihn! Ein Buch wie dieses, das in erster Linie visuell aufgebaut ist, verlockt dazu, sich sofort in die Anfertigung eines Objekts zu stürzen, ohne vorher etwas über dessen Konstruktion erfahren zu haben oder gelesen zu haben, warum es in dieses Buch aufgenommen wurde. Je mehr Sie lesen − und zwar im Idealfall in der vorgegebenen Reihenfolge sowie von der ersten bis zur letzten Seite −, desto größer wird Ihr Verständnis für das, was Sie tun. Und das größere Verständnis wird Sie zu mehr Erfolg führen.

Die Fotos Obwohl die Fotos für dieses Buch gemacht wurden, um die Faltbeispiele möglichst interessant und attraktiv zu präsentieren, haben sie primär die Funktion, zu veranschaulichen, wie die unterschiedlichen Ebenen,

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Wenn Sie sich also fragen, was die farbigen Linien oder die schnörkeligen Pfeile bedeuten oder warum dieses oder jenes Faltmuster in welchem Zusammenhang steht, dann halten Sie Ihre eifrigen Finger still und lesen Sie bitte weiter.


Schneiden und Falten

Schneiden

Falten

Eine wichtige Voraussetzung für das Schneiden von Papier oder Karton per Hand ist ein hochwertiger Cutter oder besser noch ein Skalpell. Billige Cutter mit Abbrechklinge sind instabil und daher im Gebrauch nicht ungefährlich. Es gibt robustere Cutter, bei denen die Verletzungsgefahr geringer ist. Allerdings bekommen Sie für den gleichen Preis auch ein Skalpell mit Metallgriff und auswechselbaren Klingen, das sich besser führen lässt und mit dem eine saubere Schnittlinie weitaus leichter gelingt. Unabhängig von der Art Ihres Schneidemessers, sollten Sie die Klinge unbedingt regelmäßig austauschen.

Während es beim Schneiden nicht viel zu beachten gibt, ist das Falten doch etwas kniffliger. Hier gibt es unterschiedliche Methoden, bei denen es aber vor allem darum geht, niemals den Karton zu verletzen, sondern ihn lediglich an der Falzlinie zu prägen. Dafür benötigen Sie ein Werkzeug. Ob es sich dabei um ein eigens dafür gedachtes oder ein improvisiertes Hilfsmittel handelt, ist eine Frage der persönlichen Vorliebe und Gewohnheit.

Ein Metall- oder Winkellineal ermöglicht Ihnen einen kräftigen, geraden Schnitt. Sie können aber auch mit einem durchsichtigen Kunststofflineal arbeiten, das Ihnen den Vorteil bietet, dass die vorgezeichneten Linien durch das Lineal hindurch sichtbar bleiben. Für kurze Schnittlinien genügt ein etwa 15 cm langes Lineal. Generell sollten Sie beim Schneiden das Lineal auf Ihre Zeichnung legen, denn so schneiden Sie außerhalb Ihres Faltobjekts und, wenn Ihnen die Klinge abrutscht, nur in den Randkarton. Zudem ist eine selbstheilende Schneidematte eine sehr lohnenswerte Anschaffung (siehe Seite 18).

Standardhaltung des Skalpells beim Schneiden. Achten Sie zu Ihrer Sicherheit darauf, dass sich Ihre freie Hand stets oberhalb der schneidenden befindet.

Buchbinder arbeiten mit sogenannten Falzbeinen. Diese prägen das Material sehr gut, allerdings liegt die entstehende Rille meist 1−2 mm neben der Anlegekante des Lineals. Die Arbeit mit dem Falzbein kann also bereits zu ungenau sein, wenn die Konstruktion des Faltobjekts nur geringe Abweichungen zulässt. Ein gut improvisiertes Werkzeug ist die Mine eines leer geschriebenen Kugelschreibers. Die Kugel erzeugt eine hervorragende Falzlinie, die jedoch ähnlich wie beim Falzbein etwas neben dem Lineal liegt. Ich selbst bevorzuge eine stumpfe Skalpell- oder Cutterklinge, die ich umgedreht halte. So wird der Karton in einer gleich bleibenden Linie und unmittelbar an der Linealkante gerillt.

Ein Skalpell oder Cutter eignet sich auch zum Erzeugen einer Prägelinie in Karton. Mit der Klinge nach oben direkt entlang der Linealkante geführt, wird der Karton nicht verletzt, sondern nur eingedrückt.

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Hilfsmittel

Sämtliche Modelle in diesem Buch lassen sich einfach abmessen und kon­ struieren. Lediglich akkurates Arbeiten ist dabei wichtig. Akkurates Arbeiten beruht aber nicht auf einer bestimmten Geisteshaltung oder einem ­angeborenen Talent. Es hängt vielmehr von der Bereitschaft zu einem sorgfältigem Vorgehen ab, wozu vor allem die Verwendung sauberer Werkzeuge von guter Qualität gehört. Hier eine Liste der erforderlichen Hilfsmittel: • harter Bleistift (am besten 2H). Dieser sollte immer spitz sein! • guter Radiergummi (nicht der vom Bleistiftende!) • guter Bleistiftanspitzer, falls Sie keinen Druckbleistift verwenden • Kunststofflineal, 15 cm lang • Metall- oder Kunststofflineal, 30 cm lang • großer Winkelmesser, 360° • hochwertiges Cuttermesser oder Skalpell mit Wechselklingen • durchsichtiges Klebeband und/oder Masking Tape (zum Ausbessern von Fehlern) • selbstheilende Schneidematte, so groß wie möglich Mit einer Ausnahme kosten diese Hilfsmittel nicht die Welt. Aber wie so oft, zahlt es sich auch hier aus, in gute Qualität zu investieren. Grundsätzlich ist jedoch billiges, aber intakt und sauber gehaltenes Arbeitsmaterial besser als teures in schlechtem Zustand. Über die Jahre entstandene Gebrauchsspuren auf Linealen lassen Ihr Papier oder den Karton und auch alles, was sie daraus herstellen, schnell unansehnlich und beliebig aussehen. Wenn Sie Ihre Werkzeuge sauber halten, werden Sie damit bessere ­Ergebnisse erzielen. Die einzige relativ teure Anschaffung ist die Schneidematte. Papier und Karton direkt auf der Tischplatte zu schneiden grenzt an Vandalismus und Holz- oder Pappunterlagen zeigen bald Schnittspuren, die Ihnen das Arbeiten erschweren. Eine selbstheilende Schneidematte belohnt Sie dagegen mit stets akkuraten, glatten Schnitten. Kaufen Sie am besten die größte, die Ihr Geldbeutel zulässt. Bei richtiger Behandlung bleibt sie ein Jahrzehnt oder länger in gutem Zustand. Ein zusätzlicher Vorteil einer Schneidmatte ist ihr Zentimeterraster, sodass Sie, wenn überhaupt, nur selten ein Lineal zum Messen brauchen.

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Symbole

Talfalte

Bergfalte

Gegenbruchfalte

geรถff nete Talfalte

wenden

Eine Gegenbruchfalte wird als schwarze Linie dargestellt.

geรถff nete Bergfalte

Punkt auf Punkt falten

hier kleben

schneiden

diesen Bruch markieren

anzeichnen

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1 GP R I EDRSU : N P LTEE AT PA R TSE ILLAUINDG A C R O S S P L E AT S


Das Papier unterteilen Die schnelle und einfache Papieraufteilung ist das A und O beim Falten. Wenn sie Ihnen problemlos von der Hand geht, eröffnet sich Ihnen das Universum des Faltens. Ohne diese einfachen Grundregeln bleibt das Falten jedoch eine langwierige, knifflige und frus­ trierende Angelegenheit. Diese Grundlagen sind wichtiger und hilfreicher als alles, was das Buch ansonsten zu bieten hat. Nach dem Erlernen der Papierunterteilung werden Sie in der Lage sein, auch die komplizierten Modelle in diesem Buch nachzufalten. Vor allem aber haben Sie dann gelernt, Ihre eigenen Faltmuster zu entwerfen. Sollte der Werkstoff Ihrer Wahl jedoch nicht Papier, sondern Stoff, Plastik oder beispielsweise die Fassade eines Gebäudes sein, so lassen sich diese Materialien (wenn überhaupt) natürlich nicht so einfach unterteilen. In diesem Fall erscheint Ihnen das Erlernen

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der Methoden vielleicht nicht von Belang. Doch da irren Sie sich. Erst das Beherrschen der Papieraufteilung gibt Ihnen die Freiheit zu experimentieren, Ihr Konzept abzuändern, bei Fehlern neue Wege zu finden, Risiken einzugehen und Prototypen auszuarbeiten. Die beschriebenen Methoden zeigen Ihnen, wie man Papier exakt unterteilt, sodass Ihre Ergebnisse jedes Mal perfekt sein werden. Zügeln Sie also Ihren Tatendrang und nehmen Sie sich erst einmal alle Zeit, die Sie brauchen, um zu lernen, wie man einen Bogen Papier in exakt acht, sechzehn, zweiunddreißig oder vierundsechzig Falten unterteilt. Jede mit diesem vermeintlich trockenen Kapitel verbrachte Minute gibt Ihnen den Anstoß für unzählige Stunden des Faltens und Gestaltens. Die Methoden zur Papierunterteilung sind Ihr Handwerkszeug, ohne das Sie nicht vorankommen werden.


K A PI T E L 1 PA PIERUN T ERT EILUNG

1.1 Lineare Teilung

Es gibt zwei Möglichkeiten, eine Fläche in gleich große Teile zu gliedern: auf lineare und auf radiale Weise. Der erste Abschnitt beschreibt die lineare Teilung.

1.1_1 Bei der linearen Teilung wird eine Fläche über eine bestimmte Strecke in gleiche Teile untergliedert, wobei die Teilabschnitte jeweils in gerader Linie von einem Rand zum anderen verlaufen. Die Länge der Strecke kann dabei genauso beliebig sein, wie die Anzahl der gleich großen Teilstücke.

Lineare Teilung

Unterteilung einer vorgegebenen Strecke

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K A PI T E L 1 PA PIERUN T ERT EILUNG

1.1.1

Talfalten

Bevor Sie sich an die Kombination aus Tal- und Berg­ falten wagen, lohnt es sich, das Prinzip der Papierunterteilung zunächst nur anhand von Talfalten zu betrachten. Die folgenden Übungen zeigen Ihnen, wie lineare Falten – die Grundlage für alle weiteren Falttechniken in diesem Buch − konstruiert werden.

1.1.1.1 16tel-Talfalten

1.1.1.1_1 Falten Sie die Kante ○ auf die Kante ●, um das Papier in zwei Hälften zu teilen. Öffnen Sie das Papier.

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1.1.1.1_2 Falten Sie die Kanten auf den Mittelbruch. Öffnen.

1.1.1.1_3 Falten Sie die Kante ○ auf den Bruch ●. Öffnen.

1.1.1.1_4 Wiederholen Sie Schritt 3 an der gegenüberliegenden Kante.


K A PI T E L 1 PA PIERUN T ERT EILUNG

1.1.1.1_5 Falten Sie die Kanten ○ auf die Brüche ●. Öff nen.

1.1.1.1_6 Es sind sieben Talfalten entstanden, die das Papier in gleich große Achtel gliedern.

1.1.1.1_7 Markieren Sie mit einem Bleistift jede zweite Talfalte.

1.1.1.1_9 Wiederholen Sie Schritt 8 von der gegenüberliegenden Papierkante aus. Achten Sie darauf, die Kante nur auf die vier markierten Brüche zu falten.

1.1.1.1_10 Das Papier ist nun in exakt gleich große Sechzehntel unterteilt.

Unterteilung in Sechzehntel. Bei allen Brüchen handelt es sich um Talfalten. Das Papier zeigt keine „echten” Falten, sondern rollt sich zu einem Zylinder auf.

1.1.1.1_8 Falten Sie die Kante ○ nacheinander auf alle Brüche ●, die Sie in Schritt 7 angezeichnet haben. Es ergeben sich vier neue Brüche. Das Papier nach jedem neuen Bruch öff nen.

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K A PI T E L 1 PA PIERUN T ERT EILUNG

1.1.1.2

32stel-Talfalten

1.1.1.2_1 Beginnen Sie mit Schritt 10 der 16tel-Methode (siehe Seite 25). Markieren Sie mit einem Bleistift jede zweite Talfalte, d. h. acht Brüche. Markieren Sie jedoch nicht die bereits mit ● gekennzeichneten Brüche, da ansonsten die alten und neuen Markierungen durcheinandergeraten würden.

Bei 32 Talfalten rollt sich das Papier enger ein als bei den 16 Brüchen auf dem vorigen Foto.

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1.1.1.2_2 Falten Sie die Kante ○ nacheinander auf alle in Schritt 1 gekennzeichneten Brüche, sodass acht neue Brüche entstehen.

1.1.1.2_3 Wiederholen Sie Schritt 2 von der entgegengesetzten Papierkante aus. Es entstehen weitere acht Brüche.

1.1.1.2_4 Das Blatt ist nun gleichmäßig in lineare Zweiunddreißigstel unterteilt.


K A PI T E L 1 PA PIERUN T ERT EILUNG

1.1.1.3

64stel-Talfalten

1.1.1.3_1 Beginnen Sie bei Schritt 4 der 32stel-Methode (siehe Seite 26) und zeichnen Sie jeden zweiten Bruch an. Insgesamt sind das 16 Markierungen. Wenn es auf dem Blatt bereits Markierungen gibt, können Sie für die neuen eine andere Farbe oder ein anderes Symbol verwenden.

1.1.1.3_2 Falten Sie die Kante ○ nacheinander auf alle in Schritt 1 gekennzeichneten Brüche, sodass 16 neue entstehen.

1.1.1.3_3 Wiederholen Sie dies an der gegenüberliegenden Kante, wodurch 16 weitere neue Brüche dazukommen.

1.1.1.3_4 Sie erhalten die gleichmäßige Papierunterteilung in lineare Vierundsechzigstel. Durch wiederholte Anwendung dieses Prinzips, zunächst jeden zweiten Bruch zu kennzeichnen und dann die Papierkanten nacheinander auf diese Brüche zu falten, lässt sich das Papier 128-fach, 256-fach und so weiter teilen.

Ein anhand von Talfalten 64-fach untergliedertes Blatt Papier. Statt sich in Falten zu legen, rollt es sich ein.

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DA N K S AGU N G , DV D - I N H A LT

Danksagung

DVD-Inhalt

Seit vielen Jahren halte ich Workshops und Seminare zum Thema „Falten” für Design-Studenten – anfänglich (von 1982 bis 2001) an unterschiedlichen Hochschulen in Großbritannien und seit 2001 vor allem am Shenkar College of Engineering and Design in Tel Aviv (Israel). Das Grundgerüst sowie der Inhalt dieses Buchs gehen auf das zurück, was ich von meinen Studenten gelernt habe und wofür ich ihnen zutiefst dankbar bin.

1 Lineare Teilung in 8tel 2 Lineare Teilung in 16tel 3 Lineare Teilung in 32stel 4 Radiale Teilung in 8tel 5 Radiale Teilung in 16tel 6 Radiale Teilung in 32stel 7 Verlaufsfalten 8 Messerfalten 9 Gespiegelte Messerfalten 10 Kastenfalten 11 Stehfalten 12 Nicht-parallele Falten (Spirale) 13 Nicht-parallele Falten (Zickzack) 14 Aufgeschnittene Falten 15 Überkreuz aufgeschnittene Falten 16 Pop-ups mit aufgeschnittenen Falten 17 Rosette 18 Säule mit Dreh 19 Parallele V-Falten 20 V-Falten in Opposition 21 Gitter-Varianten 22 Messerfalten in verschiedenen Laufrichtungen 23 Messer- und Ziehharmonikafalten in verschiedenen Laufrichtungen

Am Shenkar College habe ich außerdem zu danken: Leah Perez, der Leiterin des Fachbereichs Mode; dem früheren Leiter der Textilabteilung Uri Tsaig sowie der derzeitigen Leiterin Dr. Katya Oicherman für ihre großzügige und anhaltende Unterstützung meiner Lehre; allen Studenten, die meine gelegentlich exzentrischen pädagogischen Experimente in der Hoffnung auf „den perfekten Lehrgang” toleriert haben und die, ob trotzdem oder gerade deswegen, so viele schöne Arbeiten hervorbrachten. In vielerlei Hinsicht empfinde ich dieses Buch als unser gemeinsames Werk. Besonderen Dank schulde ich dabei meinen Studenten Nitsan Greyevski und Dror Zac, die die Beispiele für die Schattenfalten und das Dampfplissee angefertigt haben. Gleichermaßen danke ich Meidad Sochovolski für seine präzisen Fotos, meinem Lektor Peter Jones für seine leichte, aber zielsichere Führung, &Smith für ihr hervorragendes Layout und vor allem meiner Redakteurin bei Laurence King Publishing, Jo Lightfoot, für ihr Vertrauen in dieses Buch. Und last but not least möchte ich meiner Frau Miri Golan für ihre Unterstützung in den zwei Jahren, in denen ich dieses Buch geschrieben habe, danken und unserem Sohn Jonathan für die Extrazeit im Atelier, die er mir geduldig gestattete, während wir eigentlich zusammen Segelflugzeuge bauen wollten.

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