Portrait barbe

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Schuhwerk

Martina Räber führte das Gespräch mit Dr. phil. Josephine Barbe, Berlin

Ob bunte Sneaker, iligrane High Heels, bequeme Sandalen oder klassische Halbschuhe: Schuhe bieten nicht nur Schutz vor Kälte und Witterung, sondern sind auch wichtiger Teil des Outits oder modisches Statement. In «Schuhwerk» führt Josephine Barbe durch dreihundert Jahre Schuhgeschichte und berichtet umfassend über das Kulturgut Schuh. Im Interview erzählt sie von High Heels im 14. Jahrhundert, der Schuhmacherei als traditionellem Handwerk und was sie von der industriellen Massenproduktion hält, welche den Markt mit billigen Schuhen überschwemmt. Josephine Barbe, was fasziniert Sie an der Schuhmacherei? Mich fasziniert das traditionelle Handwerk. Im Gegensatz zur industriellen Produktion werden heute handwerklich gearbeitete Schuhe noch auf die gleiche Art und Weise hergestellt wie seit hunderten von Jahren. Noch immer werden Schuhe über Leisten gezogen und sogar das Material Leder ist, bis auf seine verschiedenen Gerbverfahren, das gleiche geblieben. Andere Werkstoffe haben sich zum Teil verändert oder sogar verbessert. So vereinfachte beispielsweise die Entwicklung des lösungsmittelhaltigen Schuhmacherklebstoffs das Besohlen enorm. Mich beeindruckt vor allem, dass sich aus einem zweidimensionalen Stück Leder mit relativ einfachen Mitteln ein dreidimensionaler bequemer und vor allem schöner Schuh herstellen lässt. Durch eine ausgeklügelte Schnitttechnik


Josephine Barbe (Dr. phil.) studierte Kunst und Kunstwissenschaft (Abschluss Meisterschülerin) und Textiles Gestalten an der Hochschule der Künste Berlin (heute UdK). Sie lehrt an der Technischen Universität Berlin. «Schuhwerk» ist ihr viertes Buch im Haupt Verlag.

Franz Kälin ist Schuhmachermeister und Sozialpädagoge. Seit 1988 gibt er Kurse zu den Themen Leder und handgemachte Schuhe, unter anderem im Kurszentrum Ballenberg, Schweiz. Im Jahr 2005 eröffnete er seine eigene Werkstatt «Zwickmühle» in Brienz.

© Frank-Michael Arndt

lassen sich eigene Vorstellungen und unendlich viele Stile designen, z.B. durch unterschiedliche Absatzhöhen, Materialmischungen, Verzierungen, Schafthöhen usw. Zudem ist der handwerklich hergestellte Schuh nachhaltig, weil er langlebig ist und sich immer wieder reparieren lässt. Ein aus heutiger Sicht wichtiger Aspekt. Was waren die größten Veränderungen in der Schuhmode über die letzten Jahrhunderte? Die größte und meiner Meinung nach wichtigste Veränderung war die Verbesserung der Passform der Schuhe. Da die Anatomie der Füße bis vor ca. 100 Jahren nicht berücksichtigt wurde und die Schuhe über einem einzigen Leisten gearbeitet wurden, es also keinen rechten und linken Schuh gab, waren Fußkrankheiten, wie Hühneraugen, offene Stellen und Verwachsungen die Regel. Deshalb habe ich der Fußanatomie ein eigenes Kapitel gewidmet. Die größte Veränderung in der Schuhmode brachte die industrielle Entwicklung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Nun konnten viele Schuhstile durch die maschinelle Produktion schneller entwickelt und auf den Markt gebracht werden. Im rasanten Tempo wandelten sich Schuhmoden. Ingenieure waren gefragt, innovative Schuhmaterialien zu entwickelten, damit sich die Schuhe besser verkaufen ließen. So war beispielsweise folienbeschichtetes Leder für goldene Pumps in den 1920er Jahren hochmodern, passte es doch perfekt zu den kniekurzen Paillettenkleidern. Auch heute sind Materialforscher gefragt,

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Schuhmaterialien funktional, das heißt atmungsaktiv und je nach Witterung luftdurchlässig oder absolut wasserdicht zu gestalten. Ventilationselemente und superabsorbierende Polymere versprechen uns immer angenehm trockene Füße, 3-D-Klimakomfort-Systeme absorbieren durch Laminate sekundenschnell jeglichen Wasserdampf im Schuh. Materialeigenschaften, die ein gut gegerbtes Leder allerdings auch erfüllt. Schuhe bilden die Basis nicht nur für jedes Modedesign, sondern auch für jedes Outit. Ein extravaganter Schuh gibt selbst einfachster Kleidung ein besonderes Flair. Extravagant heißt aber nicht unbedingt hoher Absatz, denn auch lache Schuhe haben ihre Ausstrahlung. Die modernen, schwindelerregend hohen High Heels oder Plateauabsätze sind jedoch keine Erindung des 21. Jahrhunderts. Bereits im 14. Jahrhundert trugen hochstehende Spanierinnen ähnlich hohe Stelzpantoffeln. Nur lässt sich dank moderner Konstruktionstechnik wahrscheinlich heute sicherer darauf gehen. Wie erkenne ich die handwerkliche Qualität eines Schuhs? Worauf sollte man besonders achten, wenn man Schuhe kauft? Durch die industrielle Massenproduktion wird der Markt mit billigen, unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellten Schuhen überschwemmt. Diese sind meist nicht nur vom Preis her billig, sondern die geringe Haltbarkeit und die Qualität des Materials machen sie zu Wegwerfprodukten und belasten unsere Füße und die Umwelt. Deshalb ist es gut, beim Kauf einerseits auf die Qualität der verwendeten Materialien zu achten, wie beispielsweise hochwertiges planzengegerbtes Leder oder Kautschuksohlen, andererseits auch auf die Verbindung von Schaft und Sohle, ob sie genäht oder nur geklebt ist. Letztendlich sollte der Schuh gut passen und keine Druckstellen verursachen. Wie schwierig ist es, einen Schuh selbst herzustellen? Muss ich in jedem Fall einen Kurs besuchen? Das kommt darauf an, was für einen Schuh Sie machen möchten. Die Herstellung eines rahmen- oder zwiegenähten Schuhs ist höchste Schuhmacherkunst und ist für einen Laien nicht ohne Kurs zu bewältigen. Auch werden die nötigen Werkzeuge und Maschinen üblicherweise nicht zur Verfügung stehen. Bei den Schuhmodellen im Buch «Schuhwerk» haben wir verschiedene Vorarbeiten, wie die Erstellung des Schaftschnittes am Leisten, bereits vorweggenommen, die passenden Schnittmuster beinden sich im Anhang. Wir haben eine Methode entwickelt, Schaft und Brandsohle rundherum zu lochen und mit einem Sattlerstich von Hand zu verbinden – das heißt, die Schuhe lassen sich mit Hilfe der Anleitungen im Buch auch ohne Kurs und aufwändiges Werkzeug


Weitere Bücher von Josephine Barbe im Haupt Verlag herstellen. In einzelnen Etappen werden dort alle nötigen Arbeitsschritte erklärt und mit Tipps, Fotos, Zeichnungen und kleinen Filmen visuell verdeutlicht. Welches der zwölf Schuhmodelle zum Selbermachen im Buch gefällt Ihnen selbst am besten? Ich bin ganz verliebt in die Boots, gefüttert oder ungefüttert. Deshalb habe ich mir gleich mehrere Paar in verschiedenen Farben gemacht, die mal bequem lach, mal hoch auf Holzzoccolisohlen daherkommen. Und in diesem Sommer trage ich besonders gerne ein paar hellgraue Ballerinas. Dann tragen Sie im Alltag auch selbstgemachte Schuhe? Immer wieder gerne. Zuhause trage ich selbstgemachte Pantoffeln aus Ziegenleder mit einer besonders weichen Gummisohle, tagsüber je nach Wetterlage, wie gesagt, gerne Boots oder Ballerinas. Und wenn ich im Sommer ausgehe, trage ich die hohen Holzzoccoli. Der Buchinhalt wird ergänzt durch 15 Filme, die im Internet angeschaut werden können. Wie kam es dazu? Da manche Arbeitsschritte etwas kniffelig sind und sich durch visuelle und gesprochene Anleitungen – wie im Kurs – vielleicht besser verstehen lassen, kam ich auf die Idee, diese ilmisch festzuhalten. Der Ton ist authentisch, nichts ist eingefügt oder herausgeschnitten worden, da hört man schon mal eine Nähmaschine rattern oder ein Flugzeug über die Werkstatt liegen.

Hut und Putz € 29.90 / ca. sFr. 41.90 978-3-258-60015-4 Leder € 39.90 / ca. sFr. 53.90 978-3-258-07072-8 figur in form € 38.– / ca. sFr. 44.– 978-3-258-07763-5

Schuhwerk – das Buch zum Artikel

Josephine Barbe und Franz Kälin Schuhwerk Geschichte, Techniken, Projekte 256 S., gebunden € 39.90 / ca. sFr. 49.90 978-3-258-60057-4

NEU

Josephine Barbe führt durch dreihundert Jahre Schuhgeschichte und berichtet über die Schuhherstellung, die Schuhmode und manche Anekdote aus der Welt der Schuhe. Die Schuhwerkstatt und die Werkstoffe des Schuhmachers werden ebenso vorgestellt wie die Anatomie des Schuhs und die Techniken seiner Herstellung. Im zweiten Teil werden zwölf attraktive Lederschuhe, die hauptsächlich vom Schuhmacher Franz Kälin entworfen wurden, Schritt für Schritt vorgestellt. Die Auswahl reicht vom Ballerina über den Zebra-Boot bis hin zur Herrensandale.

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