DIE HASENGLOCKE 2007 Installation Glocke, Sender, Feldhase Art en plein air, M么tiers; Nationale Land Art Ausstellung im Val de Travers (CH) Haus am Gern montierte auf dem Dach des Ortsmuseums M么tiers einen Glockenstuhl mit Glocke, die auf ein dreigestrichenes h gestimmt ist. Zum Ausstellungsbeginn liess Haus am Gern einen Feldhasen (Lepus europaeus) frei, der einen Sensor mit Sender trug. Schnelle und rhythmische Bewegungen des Hase l枚sten via Sensor das Glockenl盲uten aus. Hasen sind in der Schweiz selten geworden.
Foto: Raphael Hefti
DIE HASENGLOCKE oder ein Fest für Jean-Jacques Hasen, das weiss mittlerweile auch in Môtiers jedes Kind, sind keine Kaninchen. Hasen (Lepus europaeus) haben längere Ohren und kräftigere Keulen und kommen mit Fell und offenen Augen zur Welt, nicht nackt und blind wie die Kaninchen. Hasen graben keine Löcher in die Erde, leben meist allein, und trifft ein Bock auf eine Häsin, wird Nachwuchs gezeugt, gleich mehrmals pro Jahr. Der Hase ist ein Fruchtbarkeits-Weltmeister. Trotzdem, schreibt der WWF, verschwinden die Hasen aus der Landschaft. Schweizweit sei der Bestand auf durchschnittlich 2.7 Hasen pro Quadratkilometer gesunken, was dramatisch sei, schreibt der WWF. Im Neuen burger Jura, im Val-de-Travers, bei Môtiers, sagt der zuständige Wildhüter, gebe es vorab viele Füchse aber kaum mehr Hasen. Wenn hier oben ein Hase ausgesetzt würde, sagt der zuständige Wildhüter, würde er nicht lange leben, vorab wegen der Füchse, wegen der Jäger, wegen der Autos. Und zudem, sagt der zuständige Wild hüter, sei die Idee, hier oben einen Hasen aus zusetzen, vorab nicht gut und zudem verboten. Hasen seien Wildtiere, weshalb jegliches Einfangen und demzufolge auch jegliches Aussetzen verboten sei. Nur die Franzosen, sagt der zuständige Wildhüter, würden Hasen züchten, vorab für die Jagd. Aber die Schweiz, sagt der zuständige Wildhüter, sei nicht Frankreich. Das dachte wohl auch Jean-Jacques Rousseau, als er am 9. Juni 1762, während in Paris sein Buch Emile oder über die Erziehung zerfetzt und verbrannt wurde, nach hektischer Flucht mit dem Ausruf: «Himmel, Beschützer der Tugend, ich lobe dich, ich berühre freien Boden!»1 den bernischen Boden küsste. Aber die Berner wollten den berühmten Philosophen nicht dulden, weshalb Rousseau ins Fürstentum Neuchâtel, damals unter preussischer Hoheit, auswich und im abgelegenen Val-de-Travers im Dörfchen Môtiers Unterschlupf fand. Als nach drei Jahren die ersten Steine nach dem exzentrischen Philisophen geworfen wurden, verliess Rousseau auch Môtiers und siedelte über auf die St. Petersinsel im Bielersee, wo er für nur knapp sechs Wochen sein «Paradies auf Erden» fand: «Ich halte diese zwei Monate für die glücklichste Zeit meines Lebens. (...).» 2 Rousseau verbrachte die Zeit auf der Insel mit Müssiggang, auf langen Spaziergängen sammelte er Pflanzen oder ruderte mit dem Boot über den See. «Aber am häufigsten ruderte ich von der grossen zur kleinen Insel», schreibt Rousseau später in seinen Träumereien des einsamen Spazier gängers, «dort landete ich und brachte den Nachmittag mit kleinen Spaziergängen inmitten von Weiden, Faulbäumen, Flöhkraut, Sträuchern
und Bäumchen aller Art zu; andere Male lagerte ich auf dem Gipfel eines sandigen Hügels, der von Gras, Thymian, Blumen, sogar von Esparsette und Klee bedeckt war, den man wahrscheinlich früher einmal gesät hatte; ein geeigneter Ort für Kaninchen, die sich hier ungestört vermehren konnten, ohne etwas fürchten zu müssen oder einen Schaden anzurichten.» Kaum war die Idee geboren, wurde sie auch schon umgesetzt. Aus Neuchâtel wurden weibliche und männliche Kaninchen herangeschafft, die Rousseau in Begleitung einiger Damen «mit grosser Feierlichkeit» auf der kleinen Insel aussetzte: «Die Gründung dieser kleinen Kolonie war ein Fest. Der Führer der Argonauten war nicht stolzer als ich, da ich die Gesellschaft und die Kaninchen im Triumph von der grossen Insel zur kleinen brachte (...)». Ob die Kaninchen den ersten Winter überlebt haben, ist nicht überliefert. Die Kaninchen-Insel ging übrigens mit der ersten Juragewässer korrektion 1868-1891 verloren. Wie dem auch sei: Knapp 230 Jahre nach Jean-Jacques Rousseaus Tod bimmelt im Valde-Travers im Dörfchen Môtiers in einem kleinen Glockentrum auf dem Maison des Mascarons (neben dem sich auch ein kleines RousseauMuseum befindet) ab und zu ein helles Glöckchen. Wenn das Glöckchen bimmelt, wissen die Bewohner von Môtiers, dass der Hasenbock irgendwo da draussen auf den Feldern vor dem Dorf eine Häsin rammelt. Denn der aus französischer Zucht eingeführte und verbotenerweise ausgesetzte Hasenbock trägt einen Sensor mit Sender um den Hals, der bei anhaltenden rhythmischen Bewegungen die Glocke zum Läuten bringt. Hasen, das weiss in Môtiers jedes Kind, sind keine Kaninchen. Trmasan Bruialesi Jean-Jacques Rousseau, Bekenntnisse, Düsseldorf und Zürich: Artemis & Winkler 1996
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Jean-Jacques Rousseau, Träumereien des einsamen Spaziergängers, Düsseldorf und Zürich: Artemis & Winkler 1996 2
Trmasan Bruialesi, * 1956 in Tiflis, Georgien. Studium der Slavistik mit Schwerpunkt altslavische Texte des frühen Christentums. Arbeitet als Übersetzer, Autor und Musiker seit 1989 in Berlin.
Daniel Simon Lafond: L’embarquement des lapins, colorierte Umrissradierung, 1795, Collection MusÊe Schwab, im Besitz der Stadt Biel/Bienne
Credits Gastgeber Beratung Glocke Glockenstuhl Transport Montage
Musée régional du Val-de-Travers Arthur Fiechter, Wildhüter, Couvet Glockengiesserei Rüetschi, Aarau ruwa holzbau, Dalvazza Traberproduktion, La Vraconnaz Menuiserie Etienne, Môtiers
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Stiftung Lydia Eymann, Langenthal Kanton Bern Stadt Bern Stadt Biel / Bienne