HEKS-Magazin handeln, Nr. 322, November 2013

Page 1

handeln›››››› DAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVANGELISCHEN KIRCHEN SCHWEIZ | Nr. 322 4 / November 2013

Indien: Mein Land – meine Zukunft


I N H A LT

3

Editorial

4

Kolumbien: Eine starke Jugend für den Frieden

7

Hilfe schenken

8

Indien: Wie der Zugang zu Land alles verändert. Die Geschichte der Familie Chittiboini.

17

Interview mit Barbara Miller, Regisseurin des HEKS-Kampagnenfilms «Naa Boomi – Mein Land»

18

Helfen Sie mit, unsere Kampagne bekannt zu machen

20

Landkampf weltweit

21

Soziale Integration in der Schweiz: Sprachkurse am Arbeitsplatz

24

EAPPI – 10 Jahre Friedensarbeit in Palästina und Israel. Eine Ausstellung zum Jubiläum

26

Patenschaft für Kinder und Jugendliche weltweit

27

Osteuropatag 2014: Spannungsfeld Politik in Osteuropa

28

Georgien: Ein erfolgreiches Berufsbildungsprojekt steht auf eigenen Füssen

32

10 Fragen an Joseph Gama Bulben

IMPRESSUM Nr. 322, 4/November 2013 handeln. Das Magazin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz. Erscheint 4-mal jährlich. Auflage 52 000 Redaktionsleitung: Susanne Stahel Redaktion: Bettina Filacanavo, Corina Bosshard Fotoredaktion: Ruedi Lüscher Korrektorat: www.korr.ch Gestaltung: Herzog Design, Zürich Druck: Kyburz AG, Dielsdorf Papier: LEIPA ultraLux silk /Recycled /FSC Material Abonnement: Fr. 10.–/Jahr, wird jährlich einmal von Ihrer Spende abgezogen Adresse: HEKS, Seminarstrasse 28, Postfach, 8042 Zürich, Telefon 044 360 88 00, Fax 044 360 88 01, E-Mail info@heks.ch, Internet www.heks.ch bzw. www.eper.ch HEKS-Spendenkonto: Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz, PC 80-1115-1

«handeln» 322 0413

2


3

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser Vor etwas über einem Jahr besuchte ich die von HEKS unterstützten Projekte in Kolumbien. Eine mehrstündige Fahrt auf dem Fluss Atrato in der Provinz Chocó ist mir dabei in lebhafter Erinnerung geblieben. Bei regnerisch grauem Wetter trug uns ein Schnellboot über das ruhige Wasser, entlang dicht bewachsener Ufer, an denen nur gelegentlich kleine Siedlungen die sattgrüne Silhouette des Urwalds durchbrachen. Unser Besuch war bei den lokalen Behörden und bei der kolumbianischen Armee angemeldet. So hatten wir uns sowohl auf der Hin- wie auf der Rückfahrt bei zahlreichen militärischen Checkpoints zu melden. Während wir an der Seite schwer bewaffneter Boote der Armee anlegten, wurden unsere Papiere kontrolliert. Hinter einsatzbereiten Maschinengewehren beäugten uns gelangweilte, teils etwas verschlafen wirkende junge Männer. Dies alles geschehe zu unserer Sicherheit, wurde immer wieder betont. So richtig einstellen wollte sich das Gefühl der Sicherheit allerdings nicht. Nicht nur diese physisch greifbaren Symbole von Macht und Gewaltbereitschaft waren uns ständige Begleiter. Gewalt war auch in den Schilderungen zahlreicher Menschen, denen wir begegneten, ein ständiges Thema. Einer unserer Gesprächspartner meinte, Gewalt sei ein Teil der kolumbianischen Befindlichkeit geworden, sie hätte den Charakter des Ungeheuerlichen, über das man sich empört, weitgehend verloren. Wie kann man in einem solchen Kontext sinnvolle Entwicklungsarbeit oder gar einen Beitrag zur Überwindung von Konflikten leisten? Mireya Ramirez, die HEKS-Direktorin in Kolumbien, gibt im Interview auf Seite 5 Antwort auf diese und andere Fragen. Sie streicht dabei heraus, wie wichtig die Arbeit mit Jugendlichen ist. Ihnen sollen Alternativen zu den gängigen Mustern der Problembewältigung aufgezeigt werden. Junge Menschen werden in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und eignen sich Fähigkeiten an, die sie auf die Übernahme von Verantwortung in der Zivilgesellschaft vorbereiten. Vielen gelingt es denn auch, im Schulrat, bei der Arbeit in Kinder- und Jugendgruppen, im Gemeinderat oder in lokalen Organisationen Schlüsselpositionen zu besetzen. Über allem steht die Hoffnung, dass sich möglichst viele von ihnen einer Friedensbewegung und nicht einer bewaffneten Bande anschliessen. Kann das überhaupt gelingen? Können sich junge Menschen dem Einflussbereich jener Kräfte entziehen, deren Interesse es ist, weiter an der Spirale der Gewalt zu drehen? Erste Anzeichen seien ermutigend, erläutert Mireya Ramirez. Sorgfältige Auswertungen unserer Projekte werden weitere Aufschlüsse liefern. Klar scheint mir allerdings, dass die Arbeit mit jungen Menschen der Schlüssel für positive Veränderungen in einer gezeichneten Gesellschaft ist. Nur wenn es gelingt, die kommenden Generationen für ein gewaltfreies Zusammenleben in der Gemeinschaft zu gewinnen und ihren Einfluss in der Zivilgesellschaft zu vergrössern, besteht eine Chance, herkömmlichen Zwängen und Strukturen sowie dem gesellschaftlichen Druck wirksam entgegenzutreten. Für Ihre Unterstützung unserer Arbeit mit jungen Menschen im Chocó und anderswo auf der Welt

«handeln» 322 0413

danke ich Ihnen von ganzem Herzen.

Ueli Locher, Direktor


KONF L I K T B E A R B E I T U N G

Eine starke Jugend für den Frieden Im bewaffneten Konflikt im Chocó in Kolumbien gehören Kinder und Jugendliche zu den verwundbarsten Bevölkerungsgruppen. Mit einem Jugendprojekt will HEKS einen Beitrag leisten zur Umsetzung der grundlegenden Rechte von Kindern und Jugendlichen, damit sie sich trotz Krieg und Gewalt zu gesunden, freien und verantwortungsvollen Menschen entwickeln können. VON BETTINA FILACANAVO

Jugendliche stärken Im Vordergrund des HEKS-Projekts stehen Schutzmassnahmen, Gewaltprävention und der Aufbau einer starken Zivilgesellschaft, in der die Jugendlichen eine positive, aktive Rolle spielen. Seit 2008 zum Beispiel realisiert HEKS in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnerorganisationen eine Schule zur Ausbildung von jungen sozialen LeaderInnen. Die TeilnehmerInnen werden von den lokalen DorfrätInnen oder Jugendorga-

Hilfesuchende minderjährige Mütter und Schwangere in Quibdó. Die jungen Mädchen sind häufig zu wenig aufgeklärt oder wurden Opfer sexueller Gewalt.

I Quibdó I Bogotá KOLUMBIEN

ECUADOR PERU

«handeln» 322 0413

Kinder und Jugendliche leiden besonders In den Armenvierteln im Norden von Quibdó sind 50 Prozent der Bevölkerung jünger als achtzehn Jahre. Hier leben vorwiegend intern vertriebene

Familien. Staatliche Institutionen zu deren Schutz und Unterstützung gibt es keine. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen ohne Schulausbildung ist alarmierend hoch und sexueller Missbrauch, Jugendprostitution und Drogenkonsum sind durch die Präsenz der verschiedenen bewaffneten Akteure weit verbreitet.

BRASILIEN

D

IE BEVÖLKERUNG DER REGION

Chocó hat mit schwierigen Bedingungen zu kämpfen: 79 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Die Region weist die höchste Kindersterblichkeit ganz Kolumbiens auf; von 1000 Kindern sterben 194 noch vor dem 5. Lebensjahr. Die militärische Präsenz in Chocó hat in den letzten Jahren zugenommen. Armee und Guerilla haben ihre Truppen verstärkt und die paramilitärischen Gruppierungen haben sich neu formiert. Es geht um die Kontrolle von Land, Kokaanbau, Agrobusiness, Bergbau sowie Drogen- und Waffenhandel.

nisationen aus Quibdó ausgewählt und verpflichten sich, das Gelernte weiterzuvermitteln und eine positive Führungsrolle in ihren Gemeinschaften zu übernehmen. Das Projekt hat zum Ziel, dass die Jugendlichen im Chocó, sowohl jene in der Stadt als auch jene in ländlichen Regionen, ganz bewusst beim Aufbau eines Friedensprozesses mitmachen. Sie sollen sich ihres Rechts bewusst werden, keiner bewaffneten Gruppe angehören zu müssen. Sie sollen das Recht haben, eine gewaltfreie Lösung und Bewältigung von Konflikten zu fordern, sowie eine menschlichere Welt, die auf dem Respekt der Menschenrechte gründet.

VENEZUELA

Foto: HEKS/André Gsteiger

4


5 «Die Jungen sind die Leader von morgen»

Wie wirkt sich diese Situation auf Kinder und Jugendliche aus? Weil viele Familien wegen industrieller Grossprojekte vertrieben wurden, ist die Zahl der Strassenkinder alarmierend hoch. Und durch die Präsenz der verschiedenen bewaffneten Akteure sind sexuelle Gewalt, Ju-

Foto: HEKS/Walter Imhof

Mireya Ramirez ist Direktorin des HEKS-Büros in Kolumbien. Sie erklärt, wie junge Menschen dank der Stärkung ihrer Kompetenzen positive Veränderungen bewirken können. Das Interview führte Christine Spirig.

negative Auswirkungen auf die Umwelt, etwa durch den Bergbau. Um schneller an grosse Mengen Gold zu kommen, werden Cyanide und Quecksilber eingesetzt, was schwerwiegende Luft- und Wasserverschmutzungen zur Folge hat.

Mireya Ramirez, können Sie kurz die Lage in der Projektregion Chocó beschreiben? Seit Jahren führen die Guerilla, paramilitärische Gruppen und die Armee einen Krieg um die Ressourcen des Landes. Multinationale Konzerne betreiben intensive Monokulturen und Bergbauunternehmen tragen Gold ab, um sich daran zu bereichern. Knapp 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Dazu kommen zunehmende

«handeln» 322 0413

Kolumbien: Seit Jahrzehnten schwelt in Kolumbien ein bewaffneter Konflikt. Die Opfer stammen mehrheitlich aus der Zivilbevölkerung. Die Vertriebenenrate in Kolumbien zählt im weltweiten KOLUMBIEN

gendprostitution und Drogenmissbrauch weit verbreitet. Vor allem auf dem Land üben die verschiedenen bewaffneten Gruppen einen grossen Druck auf Jugendliche aus, sich ihnen anzuschliessen. Ein Projekt arbeitet mit Kindern und Jugendlichen in der Region. Was ist das Ziel? Die jungen Menschen sollen trotz Krieg und Gewalt ihre grundlegenden Rechte einfordern und innerhalb der

Vergleich zu den höchsten: Jedes Jahr steigt die grosse Zahl um weitere hunderttausende Frauen, Männer und Kinder an. Zwischen drei und vier Millionen Menschen wurden bisher gezwungen,

Gesellschaft eine positive Rolle übernehmen können. Denn die Jungen sind die Leader von morgen. Dazu benötigen sie spezifisches Wissen und bestimmte Fähigkeiten wie den richtigen Umgang mit Behörden und Ämtern, das Schlichten von Konflikten, friedliche Verhandlungsführung, die Organisation und Verwaltung von einkommensschaffenden Aktivitäten und den Aufbau von lokalen Netzwerken. Das Aneignen von Wissen und Fähigkeiten, mit denen die eigene Lebenssituation positiv verändert werden kann, fällt unter den Begriff «Capacity Building». Wie werden den Kindern und Jugendlichen die nötigen Inhalte vermittelt? Durch Zugang zu formeller Schulbildung, die Durchführung von soziokulturellen Aktivitäten in Jugendzentren, Konfliktbearbeitung im Schulunterricht oder Fortbildung zu Themen wie sexuelle Gewalt, sexuelle Gesundheit, Verhütung und Geburtenkontrolle, um ein paar Beispiele zu nennen. Zudem bilden wir junge soziale LeaderInnen aus, die eine positive Führungsrolle in ihren Gemeinschaften übernehmen können. Die Auszubildenden verpflichten sich, das Gelernte in ihren Dörfern und Gemeinschaften weiterzuvermitteln. So wirken sie als MultiplikatorInnen. Bisher wurden zwei Lehrgänge mit jeweils fünfzig Jugendlichen durchgeführt. Mittlerweile sind es also schon hundert soziale Leaderinnen und Leader. Sind Jugendliche schon so weit, dass sie die Rolle von gesellschaftlichen Akteuren übernehmen können? Und werden sie von der Gesellschaft ernst genommen? In Kolumbien ist das sicher in vielen Regionen der Fall. Diese Jugendlichen mussten wegen der Kriegssituation schon sehr früh Verantwor-

ihre Heimat zu verlassen und anderswo im Land Zuflucht zu suchen; von weiteren 500 000 wird vermutet, dass sie in Nachbarländer geflohen sind.


6

KONF L I K T B E A R B E I T U N G

Foto: HEKS/André Gsteiger

Früher haben sich die Jugendlichen in Chocó einer gewalttätigen Gruppe angeschlossen, heute sind sie Teil eines Friedensprogramms. Geht es nicht vor allem um das Gefühl, irgendwo dazuzugehören? Natürlich spielt das Gemeinschaftsgefühl gerade während der Adoleszenz eine wichtige Rolle. Es gibt aber einen grossen Unterschied, ob sich Jugendliche einer gewalttätigen Gruppierung oder einer Friedensbewegung anschliessen: In den Strassengangs, den «Bandillas», erhält nur der Stärkste die Chance, eine leitende Rolle zu übernehmen. Im HEKS-Projekt können alle zu Leaderinnen und Leadern werden. Indem sie ihr eigenes Wissen und ihre individuellen Fähigkeiten in die Gesellschaft einbringen können, entwickeln sie ein Selbstbewusstsein und eine eigene Identität. Das passiert nicht, wenn man einfach einem Gruppenboss folgt.

Welche positiven Veränderungen sind durch das Projekt spürbar geworden? Sowohl den Eltern als auch den Lehrpersonen ist eine Veränderung im Verhalten der Kinder und Jugendlichen aufgefallen: Der Gewaltpegel ist deutlich gesunken. Für uns ist es ein grosser Erfolg, dass 95 Prozent der Jugendlichen, die wir zu sozialen Leadern ausbilden, nachher weitermachen; sie bekleiden wichtige Ämter, zum Beispiel im Schulrat, in der Ausbildung von Kinder- und Jugendgruppen, im Gemeinderat oder in lokalen Organisationen. Wo gibt es noch Verbesserungspotenzial? Der Staat muss endlich Verantwortung übernehmen bei Erziehung, Gesundheitsförderung und dem Schutz von Kindern und Jugendlichen. Zurzeit bereiten wir gemeinsam mit einem Ombudsmann für Menschenrechte eine politische Anhörung zuhanden der Regierung vor. Wir hoffen, dass die Regierung trotz ihrem knappen Budget auf unsere Forderungen eingeht und diese entsprechend priorisiert.

Was wünschen Sie sich für Ihr Land? Dass wir in Frieden leben können. Ich hoffe sehr, dass die gegenwärtigen Friedensverhandlungen zwischen der FARC und der kolumbianischen Regierung günstig ausgehen. Und ich wünsche mir, dass die Bodenschätze nicht weiter durch multinationale Konzerne ausgebeutet werden. Das Gold soll in den kolumbianischen Bergen bleiben. Mireya Ramirez ist Direktorin des HEKS-Büros in Kolumbien, seit dieses 2007 eingerichtet wurde. Die Nahrungsmittelingenieurin hat jahrelange Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit und engagiert sich stark für die Chancengleichheit von Frauen und Männern. Weitere Informationen zu den HEKS-Projekten in Kolumbien finden Sie unter www.heks.ch/handeln

Die Kinder und Jugendlichen sind die Hoffnung von morgen.

«handeln» 322 0413

tung und zum Teil sogar die Ernährerrolle innerhalb ihrer Familien übernehmen. Dadurch sind sie vermutlich reifer als gleichaltrige Jugendliche in anderen Ländern.


7

HILFE SCH E N K E N

Und was schenken Sie zu Weihnachten? Immer mehr Menschen erleben Schenken als Konsumstress. HEKS bietet bereits seit mehreren Jahren eine stressfreie und erst noch sinnvolle Alternative: Geschenke, die den Ärmsten dieser Welt und sozial Benachteiligten in der Schweiz zugutekommen.

… zum Beispiel sauberes Trinkwasser VON CHRISTINE SPIRIG

Früher begann der Tag für Christine A. aus Nyarbanga in der südsudanesischen Provinz Central Equatoria um ein Uhr nachts. Sie machte sich auf den Weg zum acht Kilometer entfernten Fluss, um Wasser zu holen. Mit vollem Kanister kam sie um fünf Uhr wieder zu Hause an – um für die nächsten zwanzig Liter nochmals hin- und zurückzugehen. Heute braucht Christine für einen Kanister Wasser kaum eine halbe Stunde, denn sie kann das Wasser jetzt am Dorfbrunnen holen. Der HEKS-Brunnen von Nyarbanga spendet Wasser für 45 Haushalte. Ein Bohrloch ergründet das Wasser in fünfzig Metern Tiefe, und eine

Handpumpe befördert es an die Oberfläche. Ein elfköpfiges Brunnenkomitee wacht über die korrekte Benützung und Hygiene. Ein Teil des Brunnenbeckens ist beispielsweise speziell für das Tränken des Viehs vorgesehen. Dank dem sauberen Wasser haben die Menschen keine Wurmund Durchfallerkrankungen mehr. Das Wasser wird auch zur Bewässerung des Gemüsegartens genutzt, den einige Frauen und Männer am Unterlauf des Brunnens angelegt haben. Dort pflanzen sie Tomaten, Auberginen, Okra und Grünkohl an. Seit Christine nachts nicht mehr Wasser holen muss, kann sie ihren Kin-

dern am Morgen Frühstück machen. Schliesslich müssen diese zwei Stunden gehen, bis sie in der Schule sind, und sie hat mehr Energie für die tägliche Hausund Gartenarbeit. Für 38 Franken können Sie sauberes Trinkwasser verschenken und stellen damit die Trinkwasserversorgung für eine Person im Südsudan sicher. Der Bau eines neuen Brunnens kostet rund 11 500 Schweizerfranken und versorgt 300 Personen mit sauberem Trinkwasser.

www.hilfe-schenken.ch

So funktioniert’s: 1. Unter www.hilfe-schenken.ch wählen Sie ein Geschenk aus, zum Beispiel eine Ziege, zwanzig Hühner, eine Erfolgsleiter oder eben sauberes Trinkwasser.

Schenkungsurkunde für

sauberes Trinkwasser

2. Sie erhalten für jedes Geschenk, das Sie bestellt haben, eine Urkunde, die Sie Ihren Liebsten unter den Weihnachtsbaum legen können.

3. Im Namen von erhält eine Familie im Südsudan ein Jahr lang sauberes Trinkwasser. Regen fällt dort nur spärlich, und Frauen wie Kinder sind auf dem Weg zu den weit entfernten Wasserquellen diversen Gefahren ausgesetzt. Dank dem Bau und der Wartung eines Brunnens in ihrer Nähe können sie ein besseres Leben führen.

Das Geld, das Sie für das Geschenk bezahlt haben, kommt den Menschen in den HEKS-Projekten zugute, wie zum Beispiel Christine A. aus Nyarbanga. Foto: HEKS/Christian Bobst

«handeln» 322 0413

www.hilfe-schenken.ch



Stolz und zuversichtlich blickt Familie Chittiboini in die Kamera. Es ist der Tag der Tomatenernte. Die Früchte jahrelanger Bemühungen können nun geerntet werden. Die Chittiboinis haben heute eine sichere Existenzgrundlage. Und sie Keine Selbstverständlichkeit in einer Gesellschaft, die von Kastensystem, Ausgrenzung und Diskriminierung geprägt ist. Sie und andere Familien aus der südindischen Region Andhra Pradesh haben mit der Unterstützung von HEKS und seiner lokalen Partnerorganisation DROPS eine Entwicklung in Gang gesetzt. Sie haben die ihnen zustehenden Rechte durchgesetzt und sich einen Platz in der Gesellschaft erkämpft. Sie haben heute Hoffnung und eine Perspektive für die Zukunft. Und alles begann mit dem Zugang zu Land. Die Chittiboinis stehen stellvertretend für die rund 110 000 Familien weltweit, die HEKS jedes Jahr im Kampf um Land begleitet. Denn HEKS ist überzeugt: Es sind die kleinbäuerlichen Strukturen, die das Potenzial haben, die Ernährungssituation in den Ländern des Südens auf eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Weise zu verbessern. Der Zugang zu Land und seinen Ressourcen ist jedoch eine zentrale Voraussetzung, damit kleinbäuerliche Gemeinschaften dieses Potenzial auch ausschöpfen können. HEKS setzt sich daher dafür ein, dass Kleinbauernfamilien gesicherten Zugang zu Land erhalten und dieses selbstbestimmt bewirtschaften können. In der Kampagne «Entwicklung ermöglichen» macht HEKS vom 3. bis 15. Dezember 2013 auf seine Arbeit im Bereich der Entwicklung ländlicher Gemeinschaften aufmerksam. Danke, dass Sie unser Engagement unterstützen und Entwicklung möglich machen.

Kampagne

werden als Kleinbauernfamilie mit einem eigenen Stück Land ernst genommen.


EN TWI C K L U N G LÄ N D L I CH E R G E M E I N S C H A FT E N

«Ich bin glücklich, dass das Lan Lakshmi Devi Chittiboini und ihr Mann Krishnaja leben im kleinen Dorf Kotagadda in Andhra Pradesh, einer von Dürre und Trockenheit geprägten Region in Südindien. Ihr Leben war wie jenes vieler landloser Kleinbauernfamilien gezeichnet von bitterer Armut und Ausgrenzung. Doch die Familie hat mit der Unterstützung der HEKS-Partnerorganisation DROPS einen Weg in eine bessere Zukunft gefunden. Der Zugang zu Land hat ihr Leben nachhaltig verändert. VON HANSPETER BIGLER (TEXT) UND CHRISTIAN BOBST (FOTOS)

I

H R B L I C K S C H W E I F T B E D Ä C H T I G über das weite Tal. Über staubige braune Erde unter der brennenden Mittagssonne. Über die steil ansteigenden Hügel aus Geröll und Stein, welche die Hitze speichern und auf denen kein Leben gedeiht. Bis hinüber auf grüne Felder, die wie Oasen in einer unwirtlichen Wüste das Auge des Betrachters auf sich ziehen. Lakshmi Devi lächelt. Sie zeigt auf ein kleines Feld in dieser grünen Oase. Es ist ihr Stolz. Der Stolz ihrer Familie. Dort, wo sie Tomaten anbaut. Ein kleiner Flecken Hoffnung in einer harten und ungerechten Welt. Lakshmi Devi steht auf. Die Ziegen klettern bereits flink den Hügel hinab ins Tal, dem Grün entgegen. «Naa Boomi», sagt sie. Mein Land.

Zugang zu Land schafft Entwicklung Jeden Morgen gehen Lakshmi Devi Chittiboini und und ihr Mann Krishnaja die drei Kilometer vom Dorf zu ihrem Feld. Es ist heiss in Kotagadda. Bereits vor dem Mittag klettert das Thermometer auf 40 Grad, der Himmel ist wolkenlos. Lakshmi Devi und Krishnaja pflegen die Tomatenstauden, düngen sie mit ihrem eigenen Kompost, entfernen Unkraut und bewässern die Pflanzen. Lakshmi Devi ist bereits um 4 Uhr morgens aufgestanden, hat beim Dorfbrunnen Wasser geholt und das Frühstück für die Familie zubereitet. Danach ging Krishnaja mit den Ziegen aufs Feld. Später kam Lakshmi Devi zu Lakshmi Devi Chittiboini bei der Ernte auf ihrem Tomatenfeld, ihrer kleinen, grünen Oase.

«handeln» 322 0413

10


«handeln» 322 0413

Kampagne

11

nd meinen Namen trägt»


12

EN TWI C K L U N G LÄ N D L I CH E R G E M E I N S C H A FT E N

ihm. Derweil spielen ihre drei Töchter, die neunjährige Harita, die sechsjährige Bavita und die dreijährige Shirisha, auf dem Weg vor dem Haus. In den Sommermonaten ist die Dorfschule geschlossen. Gleich wird sich die ganze Familie wieder zu Hause zum Mittagessen treffen. Dass es genug zu essen gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. «In der ersten Zeit der Ehe litten wir an Hunger», sagt Lakshmi Devi. «Wir hatten kein Land und lebten in einer einfachen Hütte. Es war schwierig für uns.» Ihr Mann Krishnaja pflichtet bei: «Wir hatten meist nur einmal am Tag etwas zu essen. Für mehr reichte es nicht.» Lakshmi Devi und Krishnaja gehören zur Fischerkaste, einer der untersten im indischen Kastensystem. Die Kasten sind gesellschaftliche Gruppen, und in der Regel haben niederere Kasten keinen Zugang zu Vorrechten höherer Kasten. Den untersten Kasten bleibt so der Zugang zu gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Ressourcen verwehrt, wie etwa dem Zugang zu Land.

Wie die anderen Bauernfamilien können die Chittiboinis im Saatgutzentrum von DROPS

Saatgut beziehen. Dadurch sind sie unabhängig von Grosskonzernen.

Wandel durch die Frauen Mangelernährung ist eine der grossen menschenrechtlichen Herausforderungen in Indien. Auch im Dorf Kotagadda bleibt das Thema auf der Tagesordnung. Und doch hat sich die Situation grundlegend verändert, seit die lokale HEKS-Partnerorganisation DROPS hier aktiv wurde. DROPS engagiert sich insbesondere gegen die Unterdrückung der Frauen. «Als wir entschieden, uns für die unterdrückten Menschen einzusetzen, haben wir unseren Fokus auf die Frauen gelegt, da sie das schwächste Glied in der Gesellschaft sind», erklärt Suguna Bothaka, die Leiterin von DROPS. «Wir konzentrieren uns auf alle Aspekte der Unterdrückung. Denn nur wenn sich die Frauen in allen Bereichen entwickeln, ist gesellschaftlicher Wandel möglich.» «Um in der Gesellschaft anerkannt zu werden, ist

Landbesitz zentral», sagt Suguna. «Bisher wurde den Frauen in Indien jegliche finanzielle Grundlage abgesprochen. Dadurch wurden sie diskriminiert und unterdrückt.» DROPS bekämpft die Diskriminierung der Frauen und hat dabei auch gesellschaftliche Normen ins Wanken gebracht. «Wir haben erwirkt, dass das erkämpfte Land auf den Namen der Frauen registriert wird», sagt Suguna. «Sie werden so das erste Mal als gleichwertig anerkannt. Ein Umdenken setzt ein.» DROPS ermittelte in Kotagadda brachliegendes Staatsland. Gemäss indischer Gesetzgebung können landlose Bauern, wenn sie solches Land bebauen, einen Nutzungs- oder gar einen Besitzanspruch erwirken. So auch die Chittiboinis. «Als DROPS in unser Dorf kam, halfen sie uns dabei, das brachliegende Land nutzbar zu machen, und leiteten uns an, Landtitel dafür zu erstreiten», erzählt Krishnaja. «Meine Frau und die anderen Frauen des Dorfes kämpften für unser eigenes Land!» Der Landbesitz veränderte alles.

Landverteilung erkämpfen und begleiten Aber der Landbesitz für landlose Kleinbauernfamilien muss erarbeitet und erkämpft werden. HEKS und DROPS sammeln nicht nur Daten über brachliegendes Staatsland, das landlosen Familien zugänglich gemacht werden könnte. Das Projekt ermittelt auch mögliche Begünstigte, welche die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, um von der staatlichen Landverteilung profitieren zu können. Diese Daten werden der Regierung von Andhra Pradesh übergeben und sind eine zentrale Voraussetzung für eine möglichst gerechte Verteilung von Land an Menschen in Armut. Doch damit überhaupt der politische Wille bei den Behörden vorhanden ist, eine Landverteilung vorzunehmen, braucht es hartnäckige Begleitung der Regierungsarbeit und politisches Lobbying. Zu diesem Zweck hat HEKS jene Nichtregierungsorganisationen des Gliedstaats vernetzt, welche sich für die Landrechte von Landlosen einsetzen. HEKS initiierte das Andhra Pradesh Forum for Land Rights (APFLR). Dieses Forum organisiert und mobilisiert


Kampagne

13


EN TWI C K L U N G LÄ N D L I CH E R G E M E I N S C H A FT E N

die betroffene Bevölkerung und setzt sich gegenüber den Behörden für gerechte Landverteilungen ein. Mit Erfolg. Durch seine Arbeit haben seit 2007 bereits über 4000 Familien in Andhra Pradesh Zugang zu Land erhalten. Höhere Erträge dank Küchengärten und Wurmkompost Wer Land hat, muss etwas anpflanzen können. Die Chittiboinis erhielten wie die anderen Familien von DROPS Saatgut. Es ist eine Form von Starthilfe, welche die Kleinbauernfamilien unterstützen soll, traditionelles, den klimatischen Bedingungen gut angepasstes Saatgut verwenden zu können. Damit sollen die Erträge erhöht und die Abhängigkeit von Kunstdünger oder Pestiziden vermindert werden. Diese Starthilfe für die neuen Landbesitzerinnen ist allerdings kein Geschenk. Nach erfolgreicher Ernte bringen die Bäuerinnen von ihren Feldern die doppelte Menge des erhaltenen Saatguts ins DROPSSaatgutzentrum zurück. So können im Projekt

Dank einer Wurmkompostanlage hat Lakshmi Devi grössere Erträge im Küchengarten und

auf dem Tomatenfeld, wo sie die Komposterde verteilt.

immer weitere Familien profitieren. Auch Lakshmi Devi nutzt diese Möglichkeit. Allerdings hat sie schon einen hohen Grad an Unabhängigkeit erreicht. «Aus meinen Pflanzen gewinne ich neue Samen. Aus dem Saatgutzentrum beziehe ich nur Samen, die ich nicht selbst gewinnen kann.» Zudem schulte die HEKS-Partnerorganisation die Familien in der Einrichtung von Küchengärten rund um das Haus und in der Wurmkompostierung. So haben die Menschen in Kotagadda auch während der Trockenzeit Gemüse, Früchte und Kräuter, was ihre Ernährung und damit die Gesundheitssituation massiv verbessert hat. Anderseits erhöht der Dünger die Ernteerträge. Lakshmi Devi und Krishnaja benutzen den Dünger auf dem Tomatenfeld. Durch die Erträge konnten sie sich nach und nach Ziegen kaufen und auch ein Darlehen für

einen Bohrbrunnen aufnehmen. Durch die Bewässerung der Felder hat sich der Ertrag noch einmal deutlich erhöht und die Familie hat in Dürreperioden mehr Sicherheit, wenn sonst die Stauden verdorren würden. «Unsere Tomaten gedeihen schön, und wir können heute vom Verkauf gut leben», sagt Krishnaja. Mobilisierung staatlicher Ressourcen HEKS arbeitet seit 2006 mit DROPS zusammen. Seit Beginn der Zusammenarbeit haben beide Organisationen ein grosses Augenmerk auf die Mobilisierung von staatlichen Förderprogrammen gelegt. Die Bedürftigen an diesen Programmen teilhaben zu lassen, ist denn auch ein wichtiger Aspekt des Projekts, das HEKS mit der Partnerorganisation DROPS in der Region durchführt. Die indische Regierung bietet eine ganze Reihe von staatlichen Unterstützungs- und Beschäftigungsprogrammen für Menschen in Armut an. Einerseits wissen die Bauern in den Dörfern oft nicht, dass sie Anrecht auf solche

staatlichen Dienstleistungen haben. Anderseits werden die Fördermassnahmen auch nicht immer optimal eingesetzt. «HEKS bringt diese Ressourcen und die Bedürftigen zusammen», erklärt Suguna. «So wird der Graben zwischen dem staatlichen Angebot und den Bedürfnissen der Menschen geschlossen.» Familien wie die Chittiboinis können Unterstützung beim Bau oder der Wiederinstandsetzung ihrer Häuser in Anspruch nehmen. Deshalb herrscht heute in Kotagadda ein reges Treiben. Viele Familien haben durch die Vermittlung von DROPS Baumaterial erhalten und können sich nun selber ein kleines Haus aus Stein mit einem oder zwei Räumen bauen, statt in einer Hütte zu leben. So haben sie auch während der Regenzeit ein sicheres Zuhause. Daneben können sie am staatlichen Beschäftigungsprogramm teilnehmen: Sie können sich an Arbeiten für die Gemeinschaft, z. B. an Erosionsschutz- oder Bewässerungsmassnahmen im Dorf, beteiligen und erhalten dafür einen garantierten Mindestlohn. Diese bezahlten Arbeiten sind ins-

«handeln» 322 0413

14


ÂŤhandelnÂť 322 0413

Kampagne

15


● Neu-Delhi

CHINA

INDIEN

Andhra Pradesh Golf v on Ben g

ale

n

SRI LANKA

Eine Perspektive für die Zukunft Dies schafft zusammen mit der Landmobilisierung und der Entwicklung der Landwirtschaft eine Existenzgrundlage. Die Menschen können so Armut und Mangelernährung entfliehen. Im vergangenen Jahr wurden in der Region Kadapah, in welcher Kotagadda liegt, mehr als 700 Familien von HEKS und DROPS unterstützt. Viele dieser Familien konnten wie die Chittiboinis ihr Einkommen nicht nur stark

Mit einer Postkartenaktion fordern über 10 000 Landlose die Landvertei-

lung von brachliegendem Regierungsland für 25 000 Bauernfamilien.

erhöhen, sondern auch diversifizieren. Das macht sie weniger anfällig bei Dürreperioden oder Schädlingsbefall. Die Chittiboinis nehmen seit 2007 am DROPS-Projekt teil. Davor verdiente die Familie pro Jahr umgerechnet nur etwa 200 Franken mit dem Verkauf von landwirtschaftlichen Produkten und hatte damit nicht einmal die Mittel für eine ausreichende Ernährung. Heute kommt sie mit dem Verkauf von Tomaten, Milch, Ziegen und dem staatlichen Beschäftigungsprogramm auf etwa 1300 Franken im Jahr. Zwar haben sich in dieser Zeit durch die landwirtschaftliche Entwicklung auch ihre Ausgaben erhöht. Doch kann die Familie heute sogar einen bescheidenen Beitrag für die Zukunft sparen, während sie sich früher immer wieder verschuldete. Damit wird auch eine Perspektive für die Kinder ermöglicht. Krishnaja und Lakshmi Devi konn-

ten nie eine Schule besuchen. Sie mussten sich bereits als Kinder als Tagelöhner verdingen, damit ihre Familien überleben konnten. Die Chittiboinis möchten, dass ihre drei Töchter bessere Startchancen für ihr Leben erhalten. So sagt Krishnaja: «Ich bin sehr stolz, dass ich meine Kinder nun in die Schule schicken kann. Ich wünsche mir, dass sie ihren Horizont erweitern können und eine gute Arbeit finden. Mit diesem Ziel arbeiten wir hart für eine gute Ausbildung unserer Kinder.» Harita, welche die vierte Klasse in der Dorfschule besucht, ist das erste Mitglied ihrer Familie, das lesen und schreiben kann. Bavita ist in der ersten Klasse und wird ihr bald folgen. Land haben heisst Mensch sein Der Anfang von allem war der Zugang zu Land. Damit wurde eine Entwicklungsspirale in Gang gesetzt, die weit über wirtschaftliche Aspekte hinausgeht: Das Land hat den Chittiboinis nicht nur ein höheres Einkommen und damit eine sichere Existenzgrundlage ermöglicht, Landbesitz bedeutet auch sozialen Status. Angehörige niederer Kasten werden in Indien oft nicht als gleichberechtigte Menschen angesehen, werden oft nicht menschenwürdig behandelt. Wer kein Land besitzt, wird ausgegrenzt, diskriminiert, unterdrückt, missachtet. So kann der Landbesitz die Türe öffnen zum lang ersehnten Platz in der Gesellschaft. Die Menschen erleben plötzlich, dass sie ernst genommen werden, dass sie gleichberechtigt sind, dass sie Mensch sind. Land verleiht Identität und Würde. So sagt denn auch Lakshmi Devi mit einem Lächeln: «Ich bin so glücklich, dass unser Land meinen Namen trägt.» Für sie und viele andere Menschen in Indien heisst Land haben Mensch sein. Und ein letztes Mal streift ihr Blick über die grüne Oase, bevor sie losgeht und den Ziegen hinunter ins Tal folgt. www.heks.ch/sammelkampagne

Indien. Die Wirtschaft Indiens wächst jährlich um 6 bis 9 Prozent. Von diesem Aufschwung profitiert leider nur ein kleiner Teil der Bevölkerung in den Wirtschaftszentren Indiens. In ländlichen Gebieten, wo gut zwei Drittel aller InderInnen leben, stagniert die Entwicklung. Kleinbäuerinnen und -bauern, Landarbeiterinnen und Landarbeiter kämpfen auf kleinen Feldern ums Überleben. So bleibt Indien trotz wirtschaftlichem Boom eines der grössten Armenhäuser der Welt.

«handeln» 322 0413

besondere während der Trockenzeit, wenn die Familien kein anderes Einkommen haben, überlebenswichtig. Bis 2006 war das Beschäftigungsprogramm ein Teil des Projekts von HEKS. Der Erfolg des Beschäftigungsprogramms und die hartnäckigen Verhandlungen von HEKS und DROPS mit der Regierung des Gliedstaats Andhra Pradesh haben dazu geführt, dass diese seither selbst das Programm durchführt. Dadurch haben Bedürftige heute ein Anrecht auf mindestens 100 Tage Arbeit pro Jahr mit einem garantierten Mindestlohn.

NEPAL

EN TWI C K L U N G LÄ N D L I CH E R G E M E I N S C H A FT E N

PAKISTAN

16


17 «Die Armut in Indien ist niederschmetternd»

«handeln» 322 0413

Barbara Miller, was hat Sie dazu bewogen, für HEKS diesen Film zu drehen? Soziale Themen interessieren mich grundsätzlich. Ich möchte mit meinen Filmen einen Beitrag leisten, um auf existierende Probleme auf der Welt hinzuweisen und Lösungsansätze von Menschen zu zeigen, die sich für eine Veränderung einsetzen. Die Armut in Indien ist niederschmetternd, diese Hoffnungslosigkeit. Ich habe vorher noch nie Hilfsprojekte besucht und stellte mir vor, da kommt man, baut Brunnen und Schulen, und geht wieder. Doch jetzt habe ich gesehen, wie nachhaltig und grundsätzlich gearbeitet wird. Die Menschen werden unterstützt und erleben plötzlich, dass sie etwas erreichen können. Das gibt ihnen Kraft und Hoffnung. HEKS und seine Partnerorganisation DROPS erreichten, dass die Frauen Land erhielten, das ist ein grosser Erfolg. Die Regierung hat zudem in ihr Programm aufgenommen, dass Frauen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn wie die Männer erhalten. Hier ist definitiv ein Umdenken im Gange. Gerade Indien hat das Potenzial, mit seiner Sinnlichkeit und den Klischees die ZuschauerInnen zu verzaubern und gar das Elend malerisch scheinen zu lassen. Wie gehen Sie als Regisseurin damit um? Es ist tatsächlich eine Herausforderung aufzuzeigen, wie hart das Leben für die Menschen in Kotagadda ist, trotz allen schönen Stim-

Was hätten Sie als Nächstes getan, wenn Sie noch drei Tage länger in Kotagadda geblieben wären? Ich wäre gerne noch länger bei der Familie Chittiboini geblieben. Mich hat ihr Umgang untereinander berührt. Wie liebe- und respektvoll

Krishnaja mit seinen Töchtern umging etwa, die Fürsorglichkeit von Lakshmi Devi. Mir wurde bewusst, dass diese Entwicklung auch dank den Projekten möglich wurde: Denn oft bleibt Menschen am Rande des Existenzminimums vor lauter Arbeit und Armut keine Kraft mehr, fürsorglich und wertschätzend gegenüber ihrer Familie zu sein.

Kampagne

mungen und dem goldenen Licht. Die Menschen stehen um 4 Uhr morgens auf und arbeiten bei einer Gluthitze bis zum letzten Sonnenstrahl. Wir haben bei 45 Grad gedreht und sind teilweise auch um 4 Uhr aufgestanden, mussten aber oft über Mittag eine Pause machen, da das Licht fürs Filmen zu hart gewesen wäre. Zudem braucht es Vertrauen und Nähe zu den Menschen, um solche Filme drehen zu können. Lassen sich die Menschen nicht voll auf das Projekt ein, können wir ihre Geschichte nicht wirklich erzählen. Gleichzeitig habe ich immer im Hinterkopf, welche Bilder oder Szenen ich noch brauche, damit die Zuschauer in diese fremde Realität eintauchen und sie nachvollziehen können.

Wenn Sie Lakshmi Devi einen Film schenken dürften, welchen? Diesen Film über sie selbst. Ich möchte ihr zeigen, wie schön ihre Ausstrahlung ist, wie liebevoll sie ist, wie viel sie leistet. Lakshmi Devi ist sehr bescheiden und realisiert nicht, was sie alles zu geben hat – und auch gibt. Einmal fragte sie mich: «Filmt ihr noch lange? Die Leute lachen, wenn ihr mich filmt.» Weil uns die anderen Mitglieder der Dorfgemeinschaft immer fragten, ob wir sie auch filmen, konnte ich Lakshmi Devi versichern, dass sie nicht ausgelacht wird, sondern dass die Leute lachen, weil sie selbst gerne gefilmt würden.

Foto: HEKS/Christian Bobst

Foto: HEKS/Ruedi Lüscher

Barbara Miller ist die Regisseurin des HEKS-Kampagnenfilms «Naa Boomi – Mein Land». Sie war zwei Wochen im HEKS-Projekt in Andhra Pradesh. Im Interview erzählt sie von ihren Erlebnissen während der Dreharbeiten mit der Familie Chittiboini. Das Interview führte Susanne Stahel.

Szene am Drehort: Barbara Miller im Gespräch mit Lakshmi

Devi Chittiboini, an der Kamera Peter Indergand.


EN TWI C K L U N G LÄ N D L I CH E R G E M E I N S C H A FT E N

Machen Sie unsere Kampagne Zeigen Sie den Film! Film «Naa Boomi – Mein Land» DVD-Film, 37 Minuten, von Barbara Miller Ein eindrücklicher Dokumentarfilm über unsere Projektarbeit in Indien. Schauplatz ist das Dorf Kotagadda. Die beiden Protagonisten Lakshmi Devi Chittiboini und ihr Mann Krishnaja erzählen aus ihrem Leben und darüber, welche Entwicklung die Unterstützung der HEKS-Partnerorganisation in ihrem Dorf in Gang gesetzt hat. Der Film zeigt eindrücklich den Weg der Familie Chittiboini. Sie hat den Kampf um ihr Land geführt. Und gewonnen. Mit Unterstützung von HEKS und der lokalen Partnerorganisation DROPS konnte sie die Landrechte, welche die indische Regierung der Landbevölkerung eigentlich zugesteht, auch tatsächlich einfordern. Zeigen Sie den Film Ihrer Familie oder Freunden, und machen Sie unsere Arbeit dadurch bekannt. Zudem auf der DVD: 4 Kurzfilme, 14 Minuten, mit einer Auswahl an Szenen aus «Naa Boomi – Mein Land» sowie der TV-Spot «Indien 2013», 23 Sekunden.

Zeigen Sie die Bilder! HEKS-Adventskalender zum Projizieren 24 schöne Bilder mit Texten zum Thema «Weihnachten ist, wenn …» Wann ist für die Menschen in unseren Projekten Weihnachten? Wenn sie sehen, dass ihre Arbeit Früchte trägt, wie etwa Mor Pouye, der in Senegal seine Mangobäume vor der Erosion bewahren konnte. Wenn sie den verdienten Erfolg haben, wie etwa Valmir Shabani, der dank dem Motivationssemester HEKS KICK seine lang gesuchte Lehrstelle finden konnte. Wenn sie sich unterstützt fühlen, wie etwa die 90-jährige Marta Popescu, die sich in Rumänien auf den von HEKS aufgebauten Spitex-Dienst verlassen kann. Im HEKS-Adventskalender erfahren Sie mit 24 verschiedenen Bildern zum Projizieren, was Weihnachten für 24 verschiedene Menschen in unseren Projekten, aber auch für HEKS-Mitarbeitende bedeutet. Projizieren Sie die Adventskalenderbilder jeweils abends mit einem Beamer von der Innenseite eines Hauses an ein Fenster, das von der Strasse aus gut sichtbar ist. Beginnen Sie am 1. Dezember und wechseln Sie jeden Abend das Bild, oder zeigen Sie den HEKS-Adventskalender als Slideshow an einem Adventsanlass zum Beispiel in Ihrer Kirchgemeinde. Sie können die Bilder auch im Freien an eine Wand projizieren und dazu einen Adventsapéro organisieren. Den Adventskalender gibt es elektronisch zum Herunterladen unter: www.heks.ch/adventskalender

«handeln» 322 0413

18


19

sichtbar

Es ist bereits Tradition: Anlässlich der HEKS-Sammlung bieten wir Kindern, aber auch Erwachsenen, die gerne kreativ sind, eine Bastelidee an, damit die Inhalte der Sammlung auch auf eine etwas andere Weise thematisiert werden können. Dieses Jahr bieten wir eine schön gestaltete Papiertasche zum Thema «Weihnachten ist …» an. Auf einer Seite ist die Familie Chittiboini aus Indien zu sehen. Auf der anderen Seite ist viel leerer Platz, der frei gestaltet werden kann. Mit Malen oder Kleben lässt sich jede Tasche in ein Unikat verwandeln. Die Tasche kann mehrmals verwendet werden, solange sie nicht völlig durchnässt wird. Sie ist persönlich gestaltet ein nützliches Weihnachtsgeschenk oder kann als spezielle Geschenkverpackung gebraucht werden.

Machen Sie mit! Aktionsmagazin mit Ideen für Kirchgemeinden Damit Sie die HEKS-Sammlung in Ihrer Kirchgemeinde bekannt machen können, haben wir neben den oben erwähnten Materialien noch viele weitere Ideen im neuen Mitmach-Magazin aufgeführt, die helfen, die HEKS-Sammelkampagne thematisch zu begleiten, zum Beispiel im Konfirmandenunterricht. Bestellen sie das Aktionsmagazin unter: info@heks.ch

AKTUELL

1

aktionsmagazin HEKS-SAMMLUNG «ENTWICKLUNG ERMÖGLICHEN»

«handeln» 322 0413

Alle Materialien können bestellt werden unter projektdienst@heks.ch und sind kostenlos.

HEKS-Weihnachtsaktion in Ihrer Kirchgemeinde: Adventskalender Predigtbausteine Inspirationen für den Religionsunterricht

WINTER 2013/14

Spenden Sie! Die HEKS-Sammlung dauert vom 2. bis 15. Dezember. Helfen auch Sie, Entwicklung zu ermöglichen, und unterstützen Sie HEKS mit einer Online-Spende oder einer Einzahlung auf das PC-Konto 80-1115-1, Vermerk «HEKS-Sammlung». Danke für Ihre Unterstützung!

Kampagne

Tragen Sie die Tasche! HEKS-Tasche für Weihnachten


EN TWI C K L U N G LÄ N D L I CH E R G E M E I N S C H A FT E N

Landkampf weltweit Nicht nur in Indien setzt sich HEKS für eine faire Landverteilung ein. Auch in Lateinamerika und Afrika sind Menschen auf die Unterstützung im Landkampf angewiesen. Eine kurze Übersicht.

Brasilien: Der Landkampf der Guarani-Kaiowá

Honduras: Lokalradio als wichtige Stütze

Niger: Schutz für nomadische Viehzüchterfamilien

Senegal: Weideland für die Viehzüchter

Im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul leben heute etwa 30000 Indigene vom Volk der GuaraniKaiowá eingepfercht in kleine Schutzgebiete, umgeben von den Viehweiden, Soja- und Zuckerrohrplantagen, denen sie weichen mussten. Manche besitzen überhaupt kein Land mehr, leben in notdürftigen Zelten am Strassenrand, und sie können sich nicht mehr selber ernähren. Die GuaraniKaiowá, die bereits seit mehreren Jahren für die Rückgewinnung ihrer Territorien kämpfen und die nationalen Rechtsmittel weitgehend ausgeschöpft haben, wollen ihren Fall nun vor den interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen. HEKS unterstützt die GuaraniKaiowá in ihrem Landkampf. Auch bei der Klage vor dem Menschenrechtsgerichtshof wird HEKS die Guarani begleiten. Zurzeit wird gemeinsam mit der HEKS-Partnerorganisation FIAN International der Inhalt der Klage, die voraussichtlich Anfang 2014 eingereicht werden soll, ausgearbeitet. Gefordert wird die endgültige Demarkation der Guarani-Territorien, damit sich das Volk wieder selbst ernähren kann.

In Honduras besitzen einige wenige Oligarchenfamilien über 90 Prozent des Landes. In vielen Regionen, so auch auf der Halbinsel Zacate Grande, kämpft die Bevölkerung um ihr Land. Das von Jugendlichen betriebene Lokalradio «La Voz de Zacate Grande», welches von HEKS mit Infrastruktur und Weiterbildungskursen unterstützt wird, informiert die Menschen über ihre Landrechte und spielt eine wichtige Rolle im Widerstand. Aus Anlass des 70. Todestages der Geschwister Scholl organisiert die Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Bern-Johannes vom 13. Oktober bis 17. November 2013 eine Veranstaltungsreihe zum Thema Widerstand. Um aufzuzeigen, dass das Thema Widerstand auch heute noch aktuell ist und was es für Jugendliche heute bedeutet, Widerstand zu leisten, weilen auf Einladung von HEKS und der Kirchgemeinde Johannes zurzeit zwei jugendliche Radioschaffende des honduranischen Lokalradios «La Voz de Zacate Grande» in der Schweiz. Die beiden reisen vom 2. bis 16. November durch die Schweiz und erzählen von ihrer Arbeit und dem Kampf um Land. Details zum Programm finden Sie hier: www.heks.ch/handeln

Neben sesshaften Bauernfamilien leben im Sahelland Niger auch nomadische ViehzüchterInnen. Früher wanderten sie mit ihren Herden über Hunderte von Kilometern vom Norden in die Ackerbauzone des Südens, wo ihr Vieh die abgeernteten Äcker beweidete. Zu Beginn der Regenzeit kehrten sie in den Norden zurück, damit die Bäuerinnen und Bauern ihre Felder bestellen konnten. Doch die wiederkehrenden Dürren und das hohe Bevölkerungswachstum führen dazu, dass sich die komplementären Wirtschaftsweisen zunehmend in die Quere kommen. Die Ackerbäuerinnen und Ackerbauern halten aufgrund der rückläufigen Bodenfruchtbarkeit die Durchzugswege für das Vieh nicht frei und eignen sich immer mehr Land an, das bisher für das Vieh der Nomadisierenden reserviert war. Dadurch sehen sich die ViehzüchterInnen gezwungen, ihre Tiere über die Ackerflächen zu treiben. HEKS setzt sich dafür ein, dass ViehzüchterInnen und sesshafte Bauernfamilien gemeinsam die Durchgangspassagen für Viehherden bestimmen. Diese sogenannten Korridore werden in einem breit abgestützten gemeinsamen Konsultationsverfahren mit allen Betroffenen festgelegt.

Die ehemalige Staatsranch von Dolly besteht seit 1968 und wurde per Gesetz als Naturreservat unter Schutz gestellt. Die Ranch mit ihrer Fläche von 87 500 Hektaren ist ein einzigartiges Refugium für halbnomadische Viehzüchterfamilien und deren Herden und von hohem ökologischem Wert für das ganze Land. Seit der Staat die Ranch aufgrund fehlender Finanzen aufgegeben hat, ist die rechtliche Situation der Ranch ungeklärt. AgrarinvestorInnen versuchen, das Land für eine grossflächige Landwirtschaft an sich zu reissen Die Viehzüchterorganisationen der Region und auf nationaler Ebene haben nun die Initiative ergriffen: Der Staat soll mittels eines Gesetzes die Ranch von Dolly endgültig den ViehzüchterInnen zur Nutzung übergeben. HEKS unterstützt die Viehzüchterfamilien in diesem Bestreben. Bereits konnte ein Komitee sein Anliegen den verschiedensten Entscheidungsträgern – bis zum Präsidenten der Republik – vorstellen. Weitere Informationen zu den Projekten und den Projektfortschritten: www.heks.ch/handeln

«handeln» 322 0413

Kampagne

VON BETTINA FILACANAVO UND CORINA BOSSHARD


21

S O Z I A L E I NT E G RAT I O N

Integration durch Sprache – auch am Arbeitsplatz

Bessere Deutschkenntnisse von Migrantinnen und Migranten vereinfachen auch den Alltag am Arbeitsplatz: Wenn man sich gegenseitig besser versteht, können Konflikte und Missverständnisse im Betrieb reduziert werden. HEKS in-fra ist ein Sprach-Integrationsangebot und bietet in der Ostschweiz auch massgeschneiderte Deutschkurse für Firmen an. VON BETTINA FILACANAVO (TEXT) UND ANNETTE BOUTELLIER (FOTOS)

V

«handeln» 322 0413

IELE GESCHÄFTSLEITUNGEN HABEN

erkannt, dass durch betriebsinterne Deutschkurse nicht nur die Kommunikation, sondern auch das Betriebsklima und die Identifikation ihrer Mitarbeitenden mit der Firma verbessert wird und sich das letztlich auszahlt», sagt Jolanda Bertozzi. Sie ist die Leiterin von HEKS in-fra, einem Sprach-Integrationsprogramm in der Ostschweiz. «Deutsch am Arbeitsplatz» heisst eines der Angebote von HEKS in-fra. Früher hat

HEKS in-fra nur Deutsch für Frauen angeboten, dabei war auch für die Kinderbetreuung während des Kurses gesorgt. Aber die Nachfrage generell nach niederschwelligen Deutschkursen hat stark zugenommen, sagt Programmleiterin Jolanda Bertozzi, vor allem auch die Nachfrage nach Deutschkursen am Arbeitsplatz für Firmen. Im letzten Jahr haben die SprachlehrerInnen von «in-fra» über 130 Sprachkurse geleitet. Davon 114 für Frauen – hauptsächlich für Mütter

und ihre Kinder – 10 Kurse für Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen und 7 Firmenkurse. Zum Beispiel auf dem Bau Dass ein finanzierter Sprachkurs am Arbeitsplatz eine wichtige Massnahme ist, um fremdsprachige MigrantInnen im Arbeitsalltag gut zu integrieren, zeigte auch die HEKSKampagne «Chancengleichheit zahlt sich aus», die im Frühling 2013 zum ersten Mal präsentiert wurde. In


SOZ I A L E I N T E G RAT I O N

einem Kampagnen-Dossier stellte HEKS zwölf Firmen vor, die sich besonders für die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt einsetzen. Eine von diesen Firmen ist das Bauunternehmen Stutz AG, das seinen ausländischen Mitarbeitenden während der Arbeitszeit kostenlose Kurse anbietet: «Deutsch auf der Baustelle». Die zwei Stunden Unterricht pro Woche sind gratis und gelten als Arbeitszeit. Die Stutz AG hat damit gute Erfahrungen gemacht1. Deutschkurs bei der Model AG Dank solchen Fördermassnahme können auch MigrantInnen mit unregelmässigen Arbeitszeiten an einem Sprachkurs teilnehmen. Wie zum Beispiel bei der Verpackungsherstellerin Model AG im Kanton Thurgau. Die Gruppe besteht aus 15 Tochtergesellschaften in 8 Ländern und beschäftigt über 3000 Mitarbeitende. Der Firmenhauptsitz befindet sich in Weinfelden/TG. «Wenn im Produktionsbetrieb mehrheitlich Angestellte ausländischer Herkunft arbeiten, wird die 1

Das Kampagnen-Dossier zur Förderung von Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt kann heruntergeladen werden unter www.heks.ch/chancengleichheit

Kommunikation am Arbeitsplatz erschwert», stellt die Assistentin des Produktionsleiters, Marie-Claire Signer fest. «Mangelnde Deutschkenntnisse führen zwingend über kurz oder lang zur Gefahr, den Arbeitsplatz zu verlieren, da die Anforderungen an die einzelnen Funktionen immer höher werden.» Gemeinsam haben HEKS und die Model AG in einem ausführlichen Assessment Bedürfnisse, Rahmenbedingungen, Fokus und Ziele des Kurses festgelegt. Die Angestellten beschäftigen sich einmal pro Woche 90 Minuten in ihrem Betrieb mit der deutschen Sprache, dabei wird sowohl die Alltagssprache, aber auch die berufsspezifische Sprache gefördert. Die Kurse finden vor beziehungsweise nach den Schichten und auf drei verschiedenen Niveaus statt. Am Kursende wird allen Teilnehmenden ein Zertifikat ausgehändigt. Dieses kann sich beispielsweise bei einer späteren Stellensuche als nützlich erweisen. Nahe am Arbeitsplatz Schon früher hat HEKS in-fra Kurse für Firmen angeboten, «aber die Kursteilnehmenden, die von der Firma an-

Im Deutschkurs der Firma Model AG lernen Mitarbeitende auch Wörter und Ausdrücke, die sie täglich am Arbeitsplatz brauchen.

gemeldet wurden, kamen zu uns», erklärt Jolanda Bertozzi «Wir haben im Laufe dieser Kurse gemerkt, dass uns durch die Entfernung zum Arbeitsplatz viele Informationen, wie Arbeitsplatzsituation, Abläufe, spezifisches Betriebsvokabular oder Infos über die Firmenkultur, fehlten. Diese sind aber wichtig, will man eine verbesserte Kommunikation innerhalb der Organisation erreichen», so Bertozzi. Heute bietet HEKS in-fra firmenspezifische, also massgeschneiderte, Kurse an. So ist man nahe am Betriebsvokabular und am Betriebswissen der Mitarbeitenden. Auch kann die Gesprächsführung mit Mitarbeitenden und Vorgesetzten in konkreten Situationen am Arbeitsplatz geübt werden, was wiederum die berufssprachliche Kompetenz fördert. Zudem hat die Lehrperson Zugriff auf interne Papiere wie Rapporte, die die Mitarbeitenden ausfüllen müssen, oder im Unterricht können wichtige

«handeln» 322 0413

22


«handeln» 322 0413

23

firmeninterne Informationen, welche Angestellte verstehen müssen, gemeinsam durchgearbeitet werden. All das bedingt jedoch als eine wichtige Rahmenbedingung, dass alle Mitarbeitenden im Betrieb über die Durchführung der Deutschkurse informiert sind. Durch das Miteinbeziehen der Mitarbeitenden und der Vorgesetzten in den Sprachkurs werden zudem die transkulturellen Kompetenzen aller im Betrieb Tätigen gefördert. «Integration läuft über Sprache» Neben den Deutschkursen versucht die Model AG ihre Mitarbeitenden zusätzlich zu motivieren: «Um die

Kommunikation zu verbessern, ermuntern wir insbesondere das Führungspersonal, mit allen Mitarbeitenden ein richtiges Hochdeutsch zu sprechen», sagt Marie-Claire Signer. Den Eltern im Betrieb wird empfohlen, mit den Kindern Hausaufgaben zu machen. Damit werden ihre Deutschkenntnisse gefestigt und sie machen sich gleichzeitig mit dem Schweizer Schulsystem vertraut. «Früher war Integration von ausländischen Arbeitskräften in der Schweizer Wirtschaft ein wenig diskutiertes Thema», sagt Marie-Claire Signer. «So kommt es, dass auch unsere Firma Angestellte beschäftigt,

die sich selbst nach dreissig Jahren in der Schweiz nur mit Mühe verständigen können. Für mich ist aber klar: Integration läuft nur über Sprache.» Kontakt: Jolanda Bertozzi, Leiterin HEKS in-fra, bertozzi@heks.ch oder 071 410 16 83. Weitere Informationen zur Kampagne «Chancengleichheit zahlt sich aus»: www.heks.ch/chancengleichheit


24

KONF L I K T B E A R B E I T U N G

EAPPI Begleitprogramm – 10 J Vor zehn Jahren reisten zum ersten Mal Schweizer Freiwillige für das ökumenische Begleitprogramm zu beobachten. Aus diesem Anlass organisiert HEKS zusammen mit ehemaligen Einsatzleistenden eine sondern die ganz persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse der Menschen, die für EAPPI im Konfliktg VON CORINA BOSSHARD

C

H R I S T I A N S C H E L B E R T, C H R I S -

TELLE

GÉNOUD

UND

WOLF-

G A N G S R É T E R sind 3 der über 100 Freiwilligen, die in den 10 Jahren der Schweizer Beteiligung am EAPPIProgramm einen Einsatz in Israel/Palästina geleistet haben. Die BeobachterInnen leben jeweils für drei Monate in Jerusalem, Bethlehem, Hebron oder an anderen Orten im Westjordanland. Sie markieren Präsenz an Checkpoints, begleiten Kinder auf ihrem Schulweg, besuchen Familien, hören sich ihre Geschichten an, erleben viele unwürdige Situationen, sehen Menschenrechtsverlet-

zungen, greifen aber nicht aktiv ein, sondern beobachten und fotografieren, dokumentieren und rapportieren, schreiben Berichte und Blogs. Das ökumenische Begleitprogramm EAPPI wurde im Jahr 2002 vom Ökumenischen Rat der Kirchen als Antwort auf einen Aufruf lokaler Kirchen lanciert und ist seither permanent mit rund 30 BeobachterInnen vor Ort präsent. Die Idee von EAPPI ist, dass die internationalen BeobachterInnen durch ihre Anwesenheit und das Schaffen von Öffentlichkeit Gewalt verhindern können. Durch die kontinuierliche Präsenz und die strikte

«Ich bin oft gefragt worden, ob ich Angst hatte, und ich habe versucht eine Antwort zu formulieren. Klar, man war manchmal nervös, wenn man einer M-16-Mündung eines jungen israelischen Soldaten gegenüberstand oder wusste, dass man von den Scharfschützen auf einem Wachturm beobachtet wird. Angst jedoch bekam ich, wenn ich mit den Kindern, die ich von Hebron nach Jerusalem in die Dialyse-Station zur Blutwäsche begleitete, im Krankenhausbus sass und nicht wusste, ob sie am Checkpoint durchgelassen werden …» Wolfgang Sréter, Tulkarem 2008

Gewaltfreiheit geniesst EAPPI heute bei der lokalen Bevölkerung grosses Vertrauen. Internationale Organisationen wie Unicef stützen sich auf die Daten von EAPPI, um etwa den Zugang palästinensischer Kinder zu Schulen zu verbessern. BeobachterInnen erzählen HEKS ist unter dem Patronat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes für die Schweizer Beteiligung an EAPPI verantwortlich und unterstützt die Schweizer Freiwilligen nach ihrer Rückkehr in ihrer öffentlichen Sensibilisierungsarbeit. In einer


25

ahre Hinschauen EAPPI nach Israel und Palästina, um die Menschenrechtslage Ausstellung. Diese thematisiert nicht den Nahostkonflikt als solchen, ebiet waren.

Ausstellung zeigt HEKS Texte, Fotos und Videos ehemaliger BeobachterInnen. Die Ausstellung wird an einer Vernissage in Zürich vorgestellt und geht dann auf Wanderschaft in der Schweiz. Im Fokus der Ausstellung stehen die Menschen, die EAPPI drei Monate ihres Lebens gewidmet haben. In ganz persönlichen Collagen mit Texten, Fotos, Zeichnungen sowie Tonund Videodokumenten erhalten die Besucher einen Einblick in die Erfahrungen von Freiwilligen, die zwischen 2003 und 2013 für EAPPI im Westjordanland weilten und die erzählen,

was sie bewirkt haben und was nicht, was sie bewegt hat, was frustriert und was motiviert. Die Vernissage mit Apéro findet am 12. Dezember um 19 Uhr im Walcheturm Zürich statt. Die Ausstellung dauert bis am 15. Dezember. Ehemalige BeobachterInnen werden jeweils anwesend sein.

Interessierte Veranstalter können die Ausstellungselemente bei HEKS anfordern. Bitte kontaktieren Sie: Ruedi Lüscher, luescher@heks.ch

«Wenn man sich in einer Stadt befindet, in der 1500 Soldaten stationiert sind, um 500 israelische Siedler zu beschützen, und das zu Lasten von rund 30 000 palästinensischen Einwohnern – klar ist es da schwierig, neutral zu bleiben. Aber das war unsere Aufgabe.» Christelle Génoud, Hebron 2012/13

«Wir versuchen, die Gewalt hier zu minimieren, indem wir dem Ort und den Geschehnissen durch unsere Anwesenheit eine gewisse Öffentlichkeit verschaffen. Denn die Gewalt sucht die Öffentlichkeit nicht, die sucht das Versteckte.» Christian Schelbert, Yanoun 2012


NA H E B E I D E N ME N S CH E N

Das können Sie tun: Setzen Sie auf die konstruktiven Kräfte der Jugend! VON MONIKA ZWIMPFER

Dorfes aktiv. Anfang Schuljahr hat er als Leiter der Jugendgruppe bei der Regierung in Quibdó erfolgreich protestiert, weil sie in Tutunendo keine LehrerInnen und kein Schulmaterial erhalten hatten. Dabei kam ihm seine Weiterbildung in der «Escuela de Líderes» (Schule für soziale Führungspersönlichkeiten) zugute, die von HEKS unterstützt wird (siehe auch Beitrag Seiten 4 bis 6). Zurzeit bewirbt er sich für ein Stipendium, um in Argentinien Informatik zu studieren. Falls sein Wunsch in Erfüllung geht, wird er später nach Tutunendo zurückkehren und sich hier im Gemeinderat politisch und sozial engagieren. Eine Patenschaft für Kinder und Jugendliche weltweit Luis Fernando ist ein Beispiel für unzählige engagierte Jugendliche, Kinder und junge Erwachsene, die HEKS weltweit mit Beiträgen von Patinnen und Paten unterstützt. Allein in Kolumbien können pro Jahr rund 2000 junge Menschen direkt von HEKSProjekten profitieren. Viele von ihnen geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter. Die Hilfe vervielfacht sich. Fernando aus Kolumbien (oben) und Aleksandra aus Kroa-

tien (unten) engagieren sich in ihrer Heimat für die Anliegen und

Vimbai aus Bulawayo, Aleksandra aus Obrovac und Luis Fernando aus Tutunendo haben eines gemeinsam: Sie engagieren sich für die Gemeinschaft, weil sie an eine bessere Zukunft glauben. Mit ihrem «Web for Life» schärft Vimbai in Simbabwe das Bewusstsein junger Frauen und Mädchen für die sexuelle Selbstbestimmung. Als «Roma-Schulassistentin» unterstützt Aleksandra in Serbien sozial benachteiligte Kinder, damit sie in der Schule mithalten können. Auch der Kolumbianer Luis Fernando kümmert sich um die Schulkinder in seinem Dorf. Allerdings in anderer Art und Weise: Der 19-Jährige betreibt mit der «Asociación de estudiantes rurales»

die Zukunft der jungen Menschen.

in Tutunendo eine kleine Farm. Das Gemüse, der Mais und die Früchte, welche die Studentinnen und Studenten dort anpflanzen, sind für den Mittagstisch der Dorfschule bestimmt. Tutunendo liegt in einer stark umkämpften Region im Norden Kolumbiens. Die Schulwege sind lang und gefährlich, weshalb die Schülerinnen und Schüler auf das Mittagessen im Dorf angewiesen sind. Erst vor kurzem hat die Guerilla bei einem Übergriff auf die Farm Hühner und Lebensmittel gestohlen. Seither fürchten sich die Jugendlichen, dort zu arbeiten, und die Lebensmittel müssen vorübergehend gekauft werden. Luis Fernando ist auch ausserhalb seines

Für 1 Franken pro Tag Mit einer Patenschaft erhalten junge Menschen eine Chance, der Armut zu entfliehen und als Erwachsene auf eigenen Beinen zu stehen. Übernehmen Sie jetzt eine Patenschaft für Kinder und Jugendliche weltweit! Sie unterstützen damit Vimbai in Simbabwe, Aleksandra in Serbien, Luis Fernando in Kolumbien und viele andere bei ihrem Einsatz für eine lebenswerte Zukunft. Herzlichen Dank für Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung. Weitere Auskunft erteilt Ihnen gerne Susanne Loosli, Tel. direkt 044 360 88 09, E-Mail patenschaft@heks.ch. Den Anmeldetalon finden Sie auf der Rückseite dieser Ausgabe.

«handeln» 322 0413

26


27

K I R C H L I C HE Z U S A M M E N A RBE I T

Spannungsfeld Politik in Osteuropa

«handeln» 322 0413

Foto: Keystone/SzilardKoszticsak

Im Zentrum dieses Osteuropatages stehen die politischen Verhältnisse und die Herausforderungen für die Arbeit von HEKS in den Ländern Osteuropas. g teuropata s VON ESTHER OETTLI O n e d e Si Besuchen ar in Zürich. nu am 25. Ja

Auch bald 25 Jahre nach der Wende sind die demokratischen Strukturen in Osteuropa alles andere als gefestigt. Die Politik in den jeweiligen Staaten ist von Regierungen mit autokratischen Tendenzen oder labilen politischen Koalitionen geprägt. In Ungarn und Rumänien haben die Regierungen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, was weniger ein Zeichen der hohen Zufriedenheit der Bevölkerung ist, sondern vielmehr auf das Fehlen einer glaubwürdigen Opposition hinweist. Diese ist aufgrund von Misserfolgen in der früheren Regierungstätigkeit geschwächt und zerstritten. Mit einer Zweidrittelmehrheit können die Regierungen die Verfassung ändern und damit das politische System grundsätzlich neu gestalten. Damit wird auch versucht, die Macht langfristig zu sichern. Ganz anders ist die Situation in Tschechien. Dort regieren seit Jahren unterschiedlich zusammengesetzte Regierungskoalitionen, zwischen denen es regelmässig zu Unstimmigkei-

ten kommt. Als zudem im vergangenen Sommer die Mitte-rechts- Regierung wegen einer Bespitzelungs- und Korruptionsaffäre zurücktreten musste, setzte der sozialdemokratische Staatspräsident eine sozialdemokratische Übergangsregierung ein, die nach nur einem Monat im Amt bereits die Vertrauensabstimmung verloren hat. Die Spannungen haben auch Auswirkungen auf die Projektarbeit von HEKS in Osteuropa. Besonders bei Projekten im Sozialbereich ist die Kooperation mit staatlichen Stellen unabdingbar. Wenn aber bei jedem Regierungswechsel ein Teil der Verwaltung ersetzt wird und sich die staatlichen Bestimmungen laufend ändern, wird eine verlässliche Zusammenarbeit schwierig. Der diesjährige Osteuropatag bietet Gelegenheit, sich vertieft mit den politischen Verhältnissen in Osteuropa auseinanderzusetzen. SRFOsteuropakorrespondent Marc Lehmann wird in seinem Referat einen Überblick über die politische Situation

in Osteuropa geben und die Tendenzen aufzeigen. In den Workshops berichten unsere Partner über die Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen und die Auswirkungen auf die Projektarbeit. Die politische Situation Ungarns wird in einem Workshop mit dem präsidierenden Bischof der Reformierten Kirche Ungarn, Gusztáv Bölcskei, thematisiert.

Der Osteuropatag findet statt am: Samstag, 25. Januar 2014, Kirchgemeinde Schwamendingen, Zürich. Das ausführliche Programm und die Online-Anmeldung finden Sie unter: www.heks.ch/osteuropatag. Anmeldeschluss ist der 10. Januar 2014.


28

NA H E B E I D E N ME N S CH E N

«Ihr Beruf ist ihre Zukunft» Sie sind jung, haben die Zukunft vor sich, aber keine Arbeit: junge Georgierinnen und Georgier, die aus armen, sozial benachteiligten Familien kommen und nach dem Schulabschluss nicht weiter wissen. HEKS unterstützte während sieben Jahren ein Projekt in Tiflis, das es jungen Menschen ermöglichte, eine Berufsausbildung zu machen. VON BETTINA FILACANAVO (TEXT), WALTER IMHOF (FOTOS)

Alexander (30). Vater Omar Tkabladze (71) ist bereits pensioniert und Mutter Mana ist sechzig. Die Familie lebt vom Einkommen des ältesten Sohnes, von der Pension des Vaters und den Kinderzulagen des Staates für Flüchtlingsfamilien. Insgesamt sind das rund 1190 Lari pro Monat, das sind rund 630 Schweizerfranken. Nach der Flucht kamen sie ohne Hab und Gut in Tiflis an, als der Staat sie in einem leerstehenden, kleinen Spital unterbrachte. «Ausser den nackten Wänden und ein paar alten Spritzen am Boden gab es in diesem Gebäude nichts», erzählt Mutter Mana. Hier wohnen sie noch heute, alle in einem Raum, haben sich irgendwie eingerichtet. Alte Technik neu entdeckt Tamuna Tkabladze stellt Filigranschmuck her. Der Ausdruck «Filigran» bedeutet wörtlich so viel wie «gekörnter Draht» und bezeichnet feine Goldschimedearbeiten aus Metallfäden mit aufgesetzten Metallperlen. Drähte aus Gold oder Silber werden in Ziermustern auf einen Grund des gleichen Materials gelötet. Diese alte Technik sei in Georgien kaum mehr bekannt, aber sehr beliebt, sagt Ivane Kokaja, der bei Lazarus als Ausbildner für Holz- und Metallbearbeitung ar-

beitet. Er ist nicht nur Ausbildner, er ist auch ein bisschen Vaterfigur für die ehemaligen Schülerinnen und Schüler. Er motiviert sie, unterstützt sie bei ihrer Weiterentwicklung als selbständige GoldschmiedInnen oder bei grösseren und kleineren Ausstellungen. Er ist selber Goldschmid und einer der wenigen, die die Filigrantechnik noch beherrschen und diese nun weiter gibt. Ob Tamuna nach sechs Monaten Selbständigkeit bereits von ihrem Schmuckverkauf leben kann? «Nein, noch nicht», meint sie. Aber sie sei sehr zuversichtlich. Rund 100 Franken verdient sie momentan pro Monat. Einzelne Schmuckstücke kann sie bereits zum Verkauf in Schmuckläden in Tiflis geben. Zurzeit macht sie sich fleissig mit den anderen WerkstattKollegInnen Gedanken, wie sie die Werbung und das Marketing für ihre Produkte verbessern kann. Touristenbüros anschreiben, damit sie Touristen auf Stadtrundgängen in die Werkstatt führen, ist eine Idee. Ein weiterer Verkaufskanal ist das Facebook: Dort preisen sie ihre Schmuckstücke an. Kleine Kunstwerke aus Silber, Kupfer und Email. Auch Vater Omar Tkabladze ist stolz auf seine Tochter:»Sie ist wirklich eine Künstlerin, und dass sie die

Tamuna Tkabladze an ihrem Arbeitstisch im Gemeinschaftsatelier in Tiflis. In Feinarbeit stellt sie aus Silberdraht Filigranschmuck her.

«handeln» 322 0413

D

A N K D I E S E R A U S B I L D U N G kann ich mein eigenes Einkommen erarbeiten und zum Unterhalt meiner Familie beitragen», sagt Tamuna Tkabladze. Sie ist 25 Jahre alt und lebt mit ihren Eltern und Brüdern in Tiflis. Tamuna hat dank der Unterstützung von HEKS eine Ausbildung zur Goldschmiedin gemacht und arbeitet heute selbständig. Tamuna Tkabladze war, wie viele junge Erwachsene in Georgien, lange arbeitslos. Seit Januar 2013 mietet sie gemeinsam mit vier Kolleginnen und Kollegen in der Altstadt von Tiflis ein Gemeinschaftsatelier. Alle sind zwischen 20 und 25 Jahre alt und haben bei der HEKS-Partnerorganisation Lazarus kostenlos eine Berufsausbildung gemacht. Nicht dass man sich jetzt ein modern eingerichtetes Atelier vorstellen muss. Es sind bloss zwei kleine Räume in einem schäbigen Haus, in jeder Ecke ein Arbeitsplatz. Die Jugendlichen kommen aus sozial benachteiligten Verhältnissen, die meisten aus Flüchtlingsfamilien. Wie Tamuna Tkabladze. Ihre Familie musste 1994 aus der abchasischen Stadt Sochumi fliehen, als es zum Bürgerkrieg zwischen Abchasien und Georgien kam. Sie hat zwei ältere Brüder, Grigol (28) und


«handeln» 322 0413

29


NA H E B E I D E N ME N S CH E N

Ein erfolgreiches Projekt steht auf eigenen Füssen Viele von Armut betroffene Jugendliche in Tiflis wie Tamuna Tkabladze und Eimri Sikharulia kommen aus Flüchtlingsfamilien. Meistens schaffen sie es nicht, dieser benachteiligten Situation zu entkommen. Das Berufsbildungsprojekt von HEKS, das im Jahr 2006 als Pilotprojekt startete, konnte bis jetzt über 200 Jugendlichen zu einer Ausbildung verhelfen, wovon 90 Prozent heute einen Job haben oder selbständig arbeiten. Die Finanzierung von HEKS-Seite ist nun zu Ende, weil das Projekt auf eigenen Füssen stehen kann, ja sogar ausgebaut wird: Lazarus, die langjährige Partnerorganisation von HEKS, konnte während der letzten Jahre Erfahrungen sammeln und eröffnete nun eine Berufsbildungsschule, die von der georgischen Kirche, also vom Patriarchat, mitfinanziert wird. Das Gebäude wird von der Kirche kostenlos zur Verfügung gestellt und die Schulungsräume konnten mithilfe von staatlichen Geldern renoviert werden. An dieser Berufsschule werden neben Berufsausbildungen auch Englischoder Computerkurse für Jugendliche angeboten. Die SchülerInnen zahlen ein kleines Schulgeld, das es der Schule ermöglicht, selbsttragend zu funktionieren. Für die sozial benachteiligten Jugendlichen aus sehr armen Familien wird das Schulgeld in Zukunft von der georgischen Kirche bezahlt. HEKS und Lazarus sind sehr erfreut über den erfolgreichen Ablösungsprozess und die nachhaltige Weiterführung dieses Berufsbildungsprojektes.

Möglichkeit bekommen hat, dieses Handwerk zu erlernen, ist unbezahlbar. Ihr Beruf ist ihre Zukunft», sagt er, und zeigt stolz ein Familienfoto aus der Vergangenheit, aufgenommen um 1992 in Sochumi. Darauf ist Tamuna noch ein pausbäckiges Kleinkind. Wenig später brach der Bürgerkrieg aus, die Familie musste fliehen. Noch heute träumt der Vater von der Rückkehr nach Sochumi am Schwarzen Meer, das mit seinem subtropischen Klima und seinem florierenden Tourismus einst die reichste Region der ehemaligen Sowjetunion war. Doch Abchasien ist höchstens noch ein Paradies für russische Touristen. Das Gebiet betrachtet sich selbst unter der Bezeichnung Republik Abchasien als selbständigen Staat, wird völkerrechtlich zumeist jedoch als Teil Georgiens angesehen. Seit 1993 verfügt Abchasien über eigenständige staatliche Strukturen, die vollständig unabhängig von Georgien sind. Abspaltung vom Mutterland Georgien, Krieg und internationale Isolation haben Abchasien in eine permanente wirtschaftliche und soziale Krisensituation ohne Entwicklungsperspektive gebracht. Es gibt keine Arbeit, keine Zukunft und eine Konfliktlösung ist nicht in Sicht. Das Paradies ist für die Tkabladzes Vergangenheit. Hohe Arbeitslosigkeit Georgiens Auch Eimri Sikharulia (23 Jahre) kommt aus einer Flüchtlingsfamilie und arbeitet ebenfalls im Gemeinschaftsatelier. Adrett sitzt der junge Mann an seinem bescheidenen Arbeitsplatz: ein kleiner Tisch, eine Leuchte und ein paar Schubladen für die Werkzeuge. Ein Wandgestell lässt erkennen, mit welchem Material er arbeitet: Kupfer. Das Metall liegt in unterschiedlich grossen Teilen auf der

Gestellablage neben angefangenen und fertiggestellten Werken. Eimri Sikharulia ist ebenfalls 1994 während des Bürgerkriegs aus Abchasien geflohen. Er wohnt mit der Mutter und seinem jüngeren Bruder in einer winzigen Zweizimmerwohnung in Tiflis, sein Vater kam vor der Flucht ums Leben. Nach seinem Abschluss am Technikum in der Hauptstadt war Eimri Sikharulia arbeitslos. «Die Jobsuche war zum Verzweifeln», sagt er. Die Arbeitslosigkeit in Georgien ist sehr hoch. Durch den Wegfall der Industrie, die Georgien während der Sowjetzeit hatte, stieg die Zahl der Arbeitslosen rapide an. Auch mehr als zehn Jahre nach der Unabhängigkeit sind die wirtschaftlichen Fortschritte in Georgien immer noch sehr klein. Berufsbildungsmöglichkeiten gibt es kaum. In Georgien leben zur Zeit rund 500000 intern Vertriebene, die während der Bürgerkriege in Abchasien und Südossetien fliehen mussten. Über 38 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, rund 14 Prozent der Haushalte sogar in extremer Armut. Im HEKS-Projekt hat Eimri Sikharulia ein besonderes Handwerk gelernt: Er stellt aus Kupfer kunstvolle Ikonen her. Auf dem Tisch liegt ein halbfertiges Werk, noch ungerahmt, auf dem der heilige Nikolaus zu sehen ist. Eimri Sikharulia arbeitet meist auf Bestellung, zu seinen Kunden gehört vor allem die georgische Kirche. Seit der Unabhängigkeit Georgiens werden viele Kirchen renoviert und wieder in Betrieb genommen, während sie zur Sowjetzeit leer blieben. Er sei ganz zufrieden mit dem Geschäft, meint er, er wolle jetzt sparen, damit er heiraten könne.

Weitere Bilder aus diesem Projekt finden Sie unter: www.heks.ch/handeln

Eimri Sikharulia stellt aus Kupfer Ikonen her. Sie sind bei seinen Kunden sehr beliebt, besonders bei der georgischen Kirche.

«handeln» 322 0413

30


«handeln» 322 0413

31


NA H E B E I D E N ME N S CH E N

10 Fragen an Joseph Gama Bulben

früher nicht möglich. Ich bin auch sehr glücklich, dass meine Kinder heute nicht mehr vor Hunger weinen.

7

Joseph Gama Bulben ist 48 Jahre alt. Er wohnt in Yei River County im Südsudan und lebt hauptsächlich von der Landwirtschaft. Er ist einer der über 2500 Kleinbauern, die in dieser Region von der HEKS-Partnerorganisation Mugwo Development Organisation MDO geschult werden, damit sie ihre landwirtschaftliche Produktion und somit ihr Einkommen verbessern können.

1 Was machen Sie heute beruflich? Ich lebe vor allem von der Landwirtschaft und der Fischzucht. Wenn ich am Nachmittag vom Feld nach Hause komme, dann helfe ich in der Schneiderei im Dorf und nähe Kleider, um so noch zusätzlich etwas Geld zu verdienen. 2 Was beschäftigt Sie im Moment am meisten? Ich bin gerade dabei, Getreide und Cassava anzupflanzen, zudem kümmere ich mich um das Gemüse im Garten und die Fischzucht. 3 In welcher Beziehung stehen Sie zu HEKS? HEKS habe ich durch die Organisation MDO kennengelernt. 4

Wie wohnen Sie? Früher habe ich mit meiner Familie in grosser Armut gelebt. Wir

haben oft Hunger gelitten. Heute, mit der Unterstützung von MDO, reicht meine Ernte zum Leben und einen Teil kann ich sogar verkaufen. Mit dem zusätzlichen Einkommen kann ich das Schulgeld meiner Kinder bezahlen. Heute essen wir neben dem Frühstück zwei Mahlzeiten pro Tag. Wir wohnen in einem einfachen Haus mit Grasdach.

5

Was haben Sie gestern gegessen? Gestern war Sonntag. Bevor wir zum sonntäglichen Gebet gingen, hatten wir ein gutes Essen aus Cassava, Erdnusspaste und Gemüse. Am Abend hatten wir Gäste und assen mit ihnen Fisch.

6

Was macht Sie glücklich? Es macht mich glücklich, wenn meine Familie gesund ist. Heute kann ich mir Malaria-Medikamente für meine Kinder leisten. Das war

Was macht Ihnen Angst? Ich mache mir Sorgen, weil immer mehr Kinder aus dem erweiterten Familienkreis in meinem Haushalt leben und die Schulgebühren steigen. Mein kranker Bruder braucht dringend eine Operation, aber uns fehlt das Geld dafür. Weiter haben wir die Aussteuer von meiner Frau und der Frau meines älteren Sohnes noch nicht bekommen. Und zuletzt beschäftigt mich, dass wir die Beerdigungsrituale für meinen verstorbenen Grossvater noch nicht durchführen konnten. Das macht mich sehr unglücklich, denn es kann Unheil über mich und meine Familie bringen.

8

Was bringt Sie zum Lachen? Wenn alle genug zu essen haben und ich weiss, dass für die nächsten Monate genug Vorrat da ist, und wenn alle bei guter Gesundheit sind.

9

Ein schöner Moment, an den Sie sich erinnern? Ein guter und wichtiger Moment war die Ausbildung, die ich von MDO erhalten habe. Dank diesen Fähigkeiten und diesem Wissen hat sich mein Leben und das Leben meiner ganzen Familie verändert. Denn heute kann ich unsere Probleme weitgehend selber lösen

10 Was ist Ihr grösster Wunsch? Dass ich genug Geld verdiene, um meinen Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen, dass ich im Krankheitsfall Medikamente kaufen kann und dass wir genug zu essen haben.

«handeln» 322 0413

Foto: HEKS/Christian Bobst

32


33 Syrien: Hunderttausende von Menschen flüchten vor dem Krieg in Syrien in die umliegenden Länder. Dieses kleine Mädchen schaut durch die zerkratzte Scheibe eines Minibusses in eine unsichere Zukunft.

Jetzt spenden!

Foto: Keystone/Vadim Ghirda

«handeln» 322 0413

HEKS unterstützt syrische Flüchtlingsfamilien im Libanon. Die Hilfe ist dringend notwendig, denn bald wird es Winter. Die meisten Familien haben weder Decken noch Heizmöglichkeiten, weshalb HEKS neben der Verteilung von Lebensmittelgutscheinen auch Unterstützung für den Winter leisten wird. Damit wir helfen können, sind wir dringend auf Ihre Spende angewiesen. Vielen Dank! Spenden bitte auf das PC-Konto 80-1115-1 mit dem Vermerk «Syrien»‚ oder per SMS an 2525 mit dem Keyword Syrien 25 (1 bis 99 Franken möglich).


DIE L E T Z T E

Umzug der HEKSRegionalstelle Bern Die letzten acht Jahre hatte die HEKSRegionalstelle Bern ihre Adresse an der Schwarztorstrasse 124 in Bern. Seit 1. November 2013 hat die Regionalstelle neue Büroräumlichkeiten, und zwar an der Bürenstrasse 12, ebenfalls in Bern. An dieser Adresse befinden sich unter anderem die Evangelisch-reformierte Gesamtkirchgemeinde Bern, Brot für alle oder die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Region Bern (AKiB). Die HEKSRegionalstelle Bern wird zudem Nachbarin des kirchlichen Zentrums Bürenpark an der Bürenstrasse 8, wo HEKS zusätzlich zwei Kursräume gemietet hat. Neu finden an der Bürenstrasse 8 und 12 auch Sprach- und Integrationskurse der HEKS-Regionalstelle statt. Postadresse: HEKS-Regionalstelle Bern, Bürenstrasse 12, Postfach 1082, 3000 Bern 23.

Preis für HEKS-Projekt «Neue Gärten Solothurn» Das HEKS-Projekt «Neue Gärten Solothurn» wurde im Rahmen des Sozialpreises 2013 des Kantons Solothurn mit einem Anerkennungspreis von 5000 Franken ausgezeichnet. Die Jury würdigte das «einfache und überaus wirksame und menschliche Projekt», das auf die Integration von Flüchtlingsfrauen ausgerichtet ist. HEKS mietet Parzellen in öffentlichen Gartenarealen und bewirtschaftet diese mit interessierten Flüchtlingsfrauen. Die Beschäftigung mit dem Boden gibt ihnen nicht nur Halt unter den Füssen, sondern öffnet ihnen auch

Wege der Integration, sei es durch den Kontakt mit GartennachbarInnen oder durch die weiterbildenden Begleitangebote von HEKS. In ihrer Laudatio vom 5. September 2013 wünscht die Oltner Stadträtin und Jurymitglied Iris Schelbert-Widmer «der Projektleiterin Claudia Rederer, den beiden Gartenfachfrauen Brigitte Denk und Regine Anderegg sowie den 16 Freiwilligen weiterhin viel Erfolg, schöne und vielfältige Begegnungen mit Frauen und Kindern, die neue Wurzeln in Neuen Gärten fassen können». Das wünschen auch wir und gratulieren herzlich zum Preis. Mehr Informationen zum HEKS-Projekt finden Sie unter www.heks.ch/handeln

Erfolg für Lunchkinos Bereits zum dritten Mal wurde im Rahmen des Lunchkinos im Kino Le Paris in Zürich der neue HEKS-Kampagnenfilm gezeigt; dieses Jahr der Film «Naa Boomi – Mein Land» der Regisseurin Susanne Miller über die Familie Chittiboini aus einem HEKSProjekt in Indien. Diese LunchkinoVorführungen in Zürich stiessen jedes Jahr auf grosses Interesse, so dass wir dieses Jahr den Film auch in anderen Schweizer Städten zeigten. Wir freuen uns sehr darüber, dass der neue HEKS-Kampagnenfilm so viele ins Kino lockte. Der Film kann bestellt werden unter: info@heks.ch

«handeln» 322 0413

34


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.