handeln›››››› DAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVANGELISCHEN KIRCHEN SCHWEIZ | Nr. 323
Libanon: Hilfe im Elend von Shatila
1 / Februar 2014
EDITORIAL
I N H A LT
Liebe Leserin, lieber Leser Zu Ende des abgelaufenen Jahres hatte auf den Philippinen der schwerste Taifun aller Zeiten massive Zerstörungen angerichtet und die Lebensgrundlagen Tausender von Menschen zerstört. Bereits wenige Tage nach dem Ereignis konnten wir rund 2000 Familien, die alles verloren hatten, mit Lebensmittelpaketen unterstützen und damit ihr Überleben sichern (mehr dazu auf Seite 3). In den kommenden Jahren werden wir uns beim Wiederaufbau der zerstörten Häuser engagieren und diese nach Möglichkeit so bauen, dass sie den regelmässig über die Philippinen ziehenden Wirbelstürmen besser Stand halten. Wer nach Naturkatastrophen Nothilfe leistet und sich dann am Wiederaufbau der zerstörten Infrastrukturen beteiligt, steht unter dem Eindruck, dass die Ereignisse häufiger und die Verwüstungen immer drastischer werden. Und dieser Eindruck täuscht nicht. Zahlreiche Klimaforscher bestätigen, dass als Folge des Klimawandels ganze Regionen anfälliger geworden sind, häufiger von Naturereignissen wie monsunartigen Regenfällen, Wirbelstürmen, Überschwemmungen oder Dürren heimgesucht werden und mit immer grösseren Zerstörungen konfrontiert sind. Die Herausforderungen bei der Bewältigung dieser Katastrophen für die betroffene Bevölkerung, für die zuständigen staatlichen Stellen, aber auch für die nationalen und internationalen Hilfsorganisationen wachsen ständig. Sind wir diesen zunehmend von menschlichem Verhalten verursachten Kapriolen der Natur einfach hilflos ausgeliefert? Bleibt uns nichts anderes übrig, als die Schäden zu beheben und jeweils den Menschen in Not beizustehen? Ich bin überzeugt, dass wir deutlich mehr tun können. Abgesehen davon, dass wir weiterhin den grösstmöglichen Druck auf die Staatengemeinschaft aufrechterhalten sollten, damit endlich wirksame Massnahmen gegen die Klimaerwärmung ergriffen werden, können wir in den besonders exponierten Ländern mit konkreten Projekten die Auswirkungen von Naturereignissen mildern. HEKS hat etwa in Bangladesch die Aufforstung von Mangrovenwäldern in Küstenregionen vorangetrieben. So entstand ein natürlicher Schutz vor Überschwemmungen und vor Erosion nach den Regenfällen des Monsuns. Nicht nur sind damit die Behausungen der Menschen besser geschützt, sondern auch die fruchtbaren Böden bleiben selbst nach ausgiebigen Regenfällen erhalten. In Äthiopien haben wir nach der Nahrungsmittelverteilung anlässlich der letzten Dürre begonnen, mittels Wiederaufforstung und dem Anbau von bodenbedeckenden Futterpflanzen die Erosion zu bremsen. Damit werden die Böden fruchtbarer und sie können das Wasser der spärlichen Niederschläge besser speichern. Beim nächsten Ausbleiben der saisonalen Regenfälle wird damit die Bevölkerung besser vorbereitet sein. Über die reine Nothilfe hinaus unterstützen wir in den HEKS-Schwerpunktländern zahlreiche Projekte, welche die oft dramatischen Folgen von Naturkatastrophen mildern können. Wir sind also sehr wohl in der Lage, wirksame Beiträge zur Vorbereitung der Menschen auf Naturereignisse zu leisten. Ich danke Ihnen ganz herzlich, wenn Sie uns auch in Zukunft bei dieser so wichtigen Arbeit unterstützen.
Ueli Locher, Direktor
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Philippinen: Humanitäre Hilfe nach dem Taifun
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Reportage aus Libanon: Von Exil zu Exil – die palästinensischen Flüchtlinge aus Syrien
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Alter und Migration: Warum dieses Thema unsere Gesellschaft in Zukunft beschäftigen wird. Mit einem Interview mit HEKS-Mitarbeiterin Nina Gilgen
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Armenien: Eine Baumschule veränderte ihr Leben
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Patenschaft: Fördern Sie junge Menschen in Kosovo!
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Pakistan: Wie die Hilfe die Menschen in Not erreicht
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Honduras: Die Stimme von Zacate Grande
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10 Fragen an Esther Oettli
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Kirchliche Zusammenarbeit: Mitarbeitende aus dem In- und Ausland können voneinander profitieren
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Dankeschön «handeln» 323 0114
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HEKS unterstützt auf den Philippinen 2000 Familien Die Philippinen sind am 8. November 2013 vom schwersten Taifun aller Zeiten heimgesucht worden. HEKS leistet Humanitäre Hilfe für die Opfer des Taifuns Haiyan in der Höhe von zwei Millionen Franken. Zurzeit werden Lebensmittel an besonders bedürftige Familien verteilt. Anschliessend steht die Errichtung von neuen, widerstandsfähigen Unterkünften im Zentrum.
Foto: HEKS / Khalid Grein
VON CHRISTINE SPIRIG
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Am 3. Dezember verteilte HEKS zum zweiten Mal Nahrungsmittel auf der Insel Panay.
Auf der Insel Panay, wo der Taifun viele Häuser und Hütten sowie einen Grossteil der Lebensgrundlagen der Menschen zerstört hat, haben HEKS und seine langjährige Partnerorganisation Task Force Mapalad (TFM) in einem ersten Schritt Lebensmittel verteilt. 1000 begünstigte Familien aus zwei Gemeinden im Distrikt Pilar erhielten je eine Ration Reis, Bohnen, Trockenfisch, Salz und Konserven. Im November und Dezember war HEKS hauptsächlich in der Provinz Iloilo an der Südküste der Insel tätig. «Auf Panay gibt es aber immer noch viele Gegenden, wo bisher keine Hilfe eingetroffen ist», sagt HEKS-Mitarbeiter Khalid Grein, der im November drei Wochen auf den Philippinen war, um
die Soforthilfe zu organisieren. «Darauf wollen wir uns nun konzentrieren und nochmals 1000 Familien in zwei weiteren Gemeinden unterstützen.» Für dieses Vorhaben erhöhte HEKS Ende November sein Projektvolumen von einer Million auf zwei Millionen Franken. Als zweiten wichtigen Faktor der Soforthilfe richtete HEKS den Fokus auf die Instandsetzung von Unterkünften. Die begünstigten Familien erhalten nicht nur Werkzeuge und Materialien, sondern werden während der Aufbauarbeiten von Fachleuten begleitet. «Weil Naturgewalten hier allgegenwärtig sind, brauchen die Menschen Häuser, die genügend widerstandsfähig sind», sagt Khalid
Grein. Im Rahmen eines Cash-forwork-Projekts unterstützen die Gemeindemitglieder besonders bedürftige Menschen – ältere Menschen und Frauen, Kranke und Behinderte – bei den Bauarbeiten und erhalten im Gegenzug eine monetäre Entschädigung. Die Soforthilfe wird sich zunächst über vier Monate bis Ende Februar erstrecken, danach sind weitere Projekte im Bereich Wiederaufbau geplant. HEKS wird unterstützt von der Glückskette. Spenden bitte auf das PC-Konto 80-1115-1 mit dem Vermerk «Taifun Asien» oder per SMS an 2525 mit dem Keyword TAIFUNASIEN 25 (1 bis 99 Franken möglich).
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Von Exil zu Exil – die palästinensischen Flüchtlinge aus Syrien In Shatila, dem palästinensischen Flüchtlingslager in Beirut, leben Tausende von Menschen auf engstem Raum. Und es werden immer mehr: Seit dem Ausbruch des Kriegs in Syrien suchen PalästinenserInnen Zuflucht in diesem Lager, das in einem südlichen Vorort von Beirut liegt. Die Not und das Elend sind gross. HEKS leistet mit seiner Partnerorganisation Najdeh für 500 Familien Soforthilfe. Eine Reportage aus Shatila. VON SARA SAHLI * (TEXT) UND PASCAL MORA (FOTOS)
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100 Franken im Monat Moussef steht stellvertretend für insgesamt 500 der bedürftigsten Familien, die durch dieses Projekt Hilfe empfangen. Jede Familie erhält von HEKS monatlich 100 US-Dollar. «Diese Summe mag einem lächerlich vorkommen. Aber für diese extrem bedürftigen Familien ist das Geld eine willkommene Hilfe. Drei MITTELViertel der Flüchtlinge im Lager sind MEER Frauen und Kinder», erklärt Wafaa. «Die Summe entspricht etwa dem Monats■ Beirut lohn, den ein Palästinenser auf den Baustellen in Libanon verdient», gibt Mark LIBANON Gschwend, HEKS-Delegierter für Libanon,
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in drei von HEKS und Najdeh ausgewählten Geschäften Lebensmittel beziehen. «Über die Verteilung der Gutscheine wurde er am Vortag per SMS informiert. Dieses Vorgehen soll verhindern, dass der Andrang zu gross wird und alles aus dem Ruder läuft. Jede Stunde kommen 50, manchmal sogar 75 Menschen in dieses kleine Büro», erklärt Wafaa Ahmad, eine Freiwillige bei Najdeh.
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M 10.15 UHR. In den Räumen von Najdeh, dem lokalen Partner von HEKS, mitten im Lager von Shatila, einem südlichen Vorort von Beirut, gibt es einen Menschenauflauf. Das Lager, das für Palästinenser errichtet wurde, die seit Beginn des Konflikts in Israel im Jahr 1948 ihr Land verlassen mussten, erlebt gerade die Ankunft eines neuen palästinensischen Flüchtlingsstroms. Die Menschen fliehen vor dem Krieg, der in Syrien tobt. Seit April 2013 sind zu den bis dahin 16 000 Bewohnern Shatilas über 3800 weitere Flüchtlinge hinzugekommen. «Es ist schrecklich, ein zweites Exil erleben zu müssen. Syrien ist für mich wie zu einer Heimat geworden. Dann wurde mein Haus bombardiert. Ich habe alles aufgeben müssen, um hierher zu kommen. Ich kam vor fast einem Jahr nach Shatila, weil Shatila der einzige Ort in Libanon ist, wo ich bereits vor dem Krieg Kontakt zu anderen Palästinensern hatte», berichtet der 57-jährige Moussef Ahmad Azzam. Der Mann, der seinen Enkel auf dem Schoss hält, wartet, bis er an der Reihe ist und seinen Gutschein erhält. Mit dem Gutschein kann er im Lager
In Shatila leben heute rund 20 000 Menschen in ärmlichsten Verhältnissen, und es werden seit Ausbruch des Krieges in Syrien immer mehr. Da das Lager, das mitten in Beirut liegt, nicht erweitert werden kann, bauen die Menschen einfach in die Höhe. Die Gassen und Wohnverhältnisse sind eng und chaotisch, Tageslicht gibt es nur wenig.
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zu bedenken. «Den palästinensischen Flüchtlingen ist es hier in Libanon nicht erlaubt zu arbeiten. Diejenigen, die es trotzdem illegal tun, werden in der Regel ausgebeutet.» Das, was die palästinensischen Flüchtlinge brauchen, die von Syrien aus über die libanesische Grenze kommen, ist immens. Meist haben sie nicht viel mehr als die Kleider an ihrem Körper. Besonders schlimm ist es während der Wintermonate, wenn die Temperaturen bis auf null Grad fallen. Neben den Einkaufsgutscheinen versorgt HEKS die Empfängerfamilien seit November 2013 auch mit Decken und Heizöfen und finanziert den Kauf von Heizöl. «Die grösste Herausforderung wird sein, finanzielle Mittel für den Frühling sicherzustellen», sagt Mark Gschwend. «So lange, wie der SyrienKonflikt dauert, werden die Flüchtlinge auf Soforthilfe angewiesen bleiben.» Elende Bedingungen im Lager Eine Gemeinschaft zu integrieren, die sich vom Trauma des Massakers von Shatila im Jahr 1982 nie richtig erholen konnte, ist besonders schwer. Seit
der völligen Zerstörung des Lagers durch die israelische Invasion im Jahr 1982 und nach unzähligen Angriffen während des Bürgerkriegs sind die Wohngebäude völlig chaotisch gewachsen. Die Mehrheit der Familien lebt unter schlechten hygienischen Bedingungen. Das Trinkwasser ist verschmutzt. «Die Lage ist kompliziert. Das Leben der Menschen, die bereits vorher in Shatila lebten, war schon schwierig genug. Aber für die Palästinenser aus Syrien ist es noch viel schwieriger. Wir fühlen uns nicht willkommen in Libanon», murmelt Moussef, während das Stimmengewirr um ihn herum einfach nicht abreissen will. Zurück nach Syrien trotz Bomben Mahmoud, 9 Jahre alt, führt uns durch das Labyrinth Shatila – weit weg von den Bomben in Syrien, die noch vor kurzem auf einige seiner Verwandten niederprasselten. «Mein Cousin war dort an der Universität eingeschrieben», vertraut uns der Junge an. Sein Blick wird düster. «Er wollte trotz Bomben zurück, um weiter zu studieren. Eine Rakete tötete ihn gleich am ersten Tag.» Mahmoud stoppt vor
Ein Mitarbeiter der HEKS-Partnerorganisation Najdeh verteilt in einem Haushalt die Lebensmittelkarten, mit denen die Flüchtlinge in ausgewählten Shops einkaufen können.
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einer Mauer mit Graffiti. Wir stehen vor der Wohnung, in der er und seine Familie leben. Sechs Personen teilen sich zwei Schlafzimmer. Sie sind eine von insgesamt 500 Familien, denen HEKS Hilfe leistet. «Wir haben Syrien vor einem Jahr verlassen. Die Lage wurde immer gefährlicher», berichtet Rahab Sharkaoui, 44 Jahre alt. Ihr Neffe Esmael, 21 Jahre, denkt ebenfalls daran, zurückzukehren, trotz Bomben. Auch er will sein Studium in Aleppo fortsetzen. «Eine Arbeit in Libanon zu finden, ist für mich unmöglich. Deshalb muss ich nach Syrien zurück, in der Hoffnung, dass ich überlebe.» Rahab richtet den Blick zum Himmel. «Verglichen mit der Hölle, die wir hier erleben, hatten wir in Syrien vor dem Krieg ein Leben wie im Paradies. Mein Mann hat keine Arbeit. Wir sind auf Hilfe angewiesen und leben in elenden Verhältnissen.» Vierzehn Menschen in drei Räumen Auch Bassam Habib, 67 Jahre alt, berichtet von sehr grossen Problemen seit seiner Ankunft in Shatila am 1. Dezember 2012. Der Mann lebt mit seinen zwei Schwestern, seinen zwei Kindern und deren Kin-
dern zusammen. «Insgesamt teilen sich hier vierzehn Menschen drei Räume», erzählt Bassam. «Seitdem wir hier sind, ist die Miete geradezu explodiert. Im Jahr 2006 haben wir noch eine Familie aus Shatila bei uns aufgenommen – so viel Gastfreundschaft haben wir bei unserer Ankunft leider nicht erfahren. Wir führen ein elendes Leben.» Der Mann träumt von einer Rückkehr nach Syrien. «Mein Leben war einmal schön. In Syrien war ich Händler und meine Familie hatte ein Haus.» Heute ist Bassams Familie voll und ganz auf die Unterstützung durch HEKS und auf kleine Zuverdienste angewiesen. Dass Bassam von Syrien träumt, zeigt, dass er die Hoffnung, eines Tages nach Palästina zurückzukehren, bereits verloren hat. «Ich war noch ganz klein, als uns die Israeli unser Haus wegnahmen. Ich glaube nicht, dass ich es eines Tages wiedersehen werde. Meine Kinder haben Palästina nie kennen gelernt. Ihre Heimat ist Syrien. In Shatila haben wir keine Zukunft.»
Während der kalten Wintermonate erhalten die Menschen neben Wolldecken, Heizöfen und Öl auch Gasflaschen, um ihre Behausungen zu heizen. Hier eine Abgabestelle für Gasflaschen.
* Sara Sahli ist Journalistin und hat im November 2013 im Rahmen einer Medienreise, die die Glückskette organisierte, das HEKS-Projekt in Shatila besucht. Begleitet wurde sie vom Fotografen Pascal Mora. Das HEKS-Projekt wird von der Glückskette unterstützt.
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Alter und Migration: Rechte zu haben, ist eine Sache – sie zu kennen, eine andere Ältere Menschen mit Migrationshintergrund haben oft Mühe, sich in unserem System von Sozialversicherungen zurechtzufinden. Seit acht Jahren führt HEKS in Zürich das erfolgreiche Projekt AltuM, das zum Ziel hat, die Chancen von älteren MigrantInnen auf gleichberechtigten Zugang zu Angeboten der Altersarbeit, -pflege und der Sozialversicherungen zu verbessern, damit sie ihre Lebensqualität im Alter möglichst lange erhalten können. Mit diesem Projekt leistet HEKS schweizweit Pionierarbeit. Neuerdings wird es an drei weiteren Standorten in der Schweiz umgesetzt. So auch in Lausanne. VON JOËLLE HERREN LAUFER (TEXT) UND WALTER IMHOF (FOTOS)
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B M I T F R E U D E E R WA R T E T oder gefürchtet – der Übergang ins Rentenalter markiert einen wichtigen Lebensabschnitt. Ob für Migranten, die aus wirtschaftlichen Gründen in den Jahren des Wirtschaftsbooms in die Schweiz kamen, oder für Flüchtlinge – für sie alle kommt dieser Abschnitt meist ohne Vorwarnung. Die Rückkehr ins Heimatland war einmal selbstverständlich, kommt aber längst nicht mehr für alle infrage. Gründe sind vor allem die eigenen Kinder und Enkel, die in der Schweiz aufgewachsen sind, und von denen man sich nicht trennen möchte, weiter sind es finanzielle oder gesundheitliche Probleme.
Schlüsselpersonen sind wichtig Fest steht, die älter werdenden MigrantInnen in unserer Gesellschaft leiden oft unter einer schlechten Gesundheit, die sich teils auf ein anstrengendes Erwerbsleben, teils auf schwierige Migrationserfahrungen wie Flucht, Erleben von Gewalt oder Trennung von Familienmitgliedern zurückführen lässt. Hinzu kommt die Gefahr, im Alter zu verarmen oder zu vereinsamen. «Ein schwacher Integrationsgrad, fehlende Kenntnisse der Landessprache und folglich der Mangel an Information sind Hürden, die sich in einer Gesellschaft wie der Schweiz, die auf Eigenverantwortung basiert, nur schwer überwinden lassen», erklärt Elma Hadzikadunic, die im Januar 2012 das HEKS-Projekt Alter und Migration im Kanton
Waadt lancierte. Das Projekt arbeitet mit sogenannten Schlüsselpersonen, die aus dem gleichen Kulturkreis wie die MigrantInnen selber kommen, deren Sprache sprechen und bereits gut vernetzt sind. Sie suchen nach Mitteln und Wegen, die ihnen Zugang zu den verschiedenen Migrantengemeinschaften ermöglichen, mit dem Ziel, ihnen Informationsveranstaltungen über das Schweizer Sozialversicherungssystem anzubieten. «Man muss wissen, dass wenn Menschen isoliert leben und keinerlei Informationen zu Leistungen erhalten, die ihnen eigentlich zustehen, sich ihr Risiko erhöht, häufiger krank zu werden und unter schlechten Bedingungen alt zu werden. Das kommt die
Gesellschaft teuer zu stehen», erklärt Chantal Varrin, Verantwortliche für die HEKS-Inlandprojekte in der Romandie. Man benötigt viel Zeit und ist auf externe Unterstützung angewiesen, um den Zugang zu einer Migrantengemeinschaft zu finden. Elma Hadzikadunic rekrutiert und bildet die Schlüsselpersonen aus diesen Gemeinschaften aus. Sie sollen ihr die Kontaktaufnahme erleichtern und spielen eine wichtige Rolle als «Brücke» und ÜbersetzerInnen. Zunächst hatte sich die Projektverantwortliche in Begleitung einer dieser Schlüsselpersonen immer wieder mit dem Imam einer bosnischen Gemeinschaft getroffen, ehe dieser ihr
Die älteren MigrantInnen erhalten von Experten in ihrer Muttersprache wichtige Informationen über das Schweizer Sozialversicherungssystem oder die AHV.
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Alter und Migration ist ein Thema, das unsere Gesellschaft in Zukunft zunehmend beschäftigen wird. Gesundheitsprävention: Bei den regelmässigen Treffen gehören auch Bewegung und Gymnastik dazu.
schliesslich sein Einverständnis zu einer Informationsveranstaltung nach dem Freitagsgebet gab. An diesem Treffen hatten sich etwa zwanzig Menschen eingefunden. Die Veranstaltung, die von einer Expertin für Sozialversicherungen von Pro Senectute geleitet wurde, bot Raum für zahlreiche Fragen. Im Anschluss daran bestand zudem die Möglichkeit, spezifische Fragen in Einzelgesprächen zu vertiefen. Bedarfsgerechte Angebote Der Bedarf an Informationen variiert stark, je nach Gemeinschaft und Migrationshintergrund. Die in der Schweiz lebenden MigrantInnen aus Serbien und Mazedonien sind mehrheitlich ArbeitsmigrantInnen. In der Regel haben sie viele Jahre ins Sozialversicherungssystem eingezahlt und stellen Fragen zur zweiten Säule, etwa wie sie sich diese bei einer allfälligen Rückkehr ins Heimatland auszahlen lassen können oder welche finanziellen Folgen eine vorzeitige Pensionierung mit sich bringt. Die meisten BosnierInnen sind hingegen vor Konflikten in ihrem Land in die Schweiz geflohen. Die damals bereits 50-Jährigen hatten meist wenig Gelegenheit – egal ob als vorläufig Aufgenommene oder als Flüchtlinge −, hier zu arbeiten, und benötigen daher weniger Informationen zur zweiten Säule. Sie fragen sich, wann, wo und wie sie eine AHV beantragen müssen und ob sie einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen
haben, die ihre prekäre Alltagssituation erleichtern würden. MigrantInnen profitieren vom Angebot Auch wenn das Projekt noch am Anfang steht, ist es für die betroffenen Einzelpersonen bereits ein grosser Erfolg. Das zeigt auch das Beispiel eines Mannes aus Kosovo, der, nachdem er an einer Informationsveranstaltung teilgenommen hatte, seine vorzeitige Altersrente allein und ohne fremde Hilfe beantragen konnte. Anfangs noch sehr misstrauisch und zunächst ohne den Nutzen des Projekts zu verstehen, las er die in albanischer Sprache verteilten Broschüren zum Schweizer Sozialversicherungssystem. Dank der Unterstützung durch das HEKS-Projekt Alter und Migration konnte er so rechtzeitig alle nötigen Schritte unternehmen und darf nun auf eine Verbesserung seiner Lebensqualität hoffen. «Bereits nach einem Jahr Aktivität zeigt sich, dass das Projekt die Bedürfnisse der Menschen richtig erkannt hat und darum wichtig ist. Es gelingt, Menschen zu erreichen, denen es an Informationen fehlt. Die Zusammenarbeit mit Pro Senectute funktioniert sehr gut, und wenn Menschen unter guten Bedingungen alt werden, dann ist das ein Gewinn für die ganze Gesellschaft», zeigt sich Chantal Varrin überzeugt.
Warum sich HEKS für dieses Thema einsetzt und was in Zukunft mit der demografischen Alterung für Herausforderungen auf die Gesellschaft und den Staat zukommen, erklärt Nina Gilgen, Fachstelle für soziale Integration bei HEKS, im Gespräch mit Bettina Filacanavo.
Nina Gilgen, warum brauchen ältere MigrantInnen in der Schweiz zusätzliche Unterstützung? In vielen Belangen ist die Situation der älteren MigrantInnen vergleichbar mit derjenigen der Schweizer SeniorInnen. Die Beendigung des Erwerbslebens bzw. der Eintritt ins Pensionierungsalter wird überwiegend positiv, aber auch als anspruchsvoll bewertet. Der Grossteil der Bevölkerung meistert den Übergang in diese neue Lebensphase gut. Aber nicht alle haben die gleichen Ressourcen, um sich eine neue sinnvolle Tagesstruktur zu geben, die Übersicht über die neuen finanziellen Verhältnisse zu bekommen, soziale Kontakte zu pflegen oder sich präventiv um die eigene Gesundheit zu sorgen. Häufig sind hier ältere MigrantInnen besonders gefordert. Im Vergleich zu älteren SchweizerInnen
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Foto: HEKS / Beni Basler
zeitgestaltung an und fördert damit die Vernetzung der MigrantInnen untereinander. Weiter werden Informationen in der Muttersprache zu Fragen des Alterns, etwa zur AHV, zu Ergänzungsleistungen, zur Pensionskasse oder zu Angeboten der offenen Altersarbeit sowie zu stationären und ambulanten Diensten der Alterspflege und zur Gesundheitsprävention vermittelt.
Nina Gilgen
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sind sie oft schlechter informiert. Für viele sind sprachliche Hürden erschwerend. Deshalb nutzen sie öffentliche Dienstleistungen der Altersbetreuung und Alterspflege sowie Angebote der offenen Altersarbeit unterdurchschnittlich häufig. Zudem sind sie im Schnitt auch materiell schlechtergestellt. Jede dritte Migrantin und jeder dritte Migrant ab 65 ist armutsgefährdet, und die Altersarmut in dieser Gruppe nimmt zu. Aufgrund fehlender Beitragsjahre erhalten sie sehr häufig nur kleine Teilrenten, die nicht genügen, um den Grundbedarf zu decken. Ältere MigrantInnen haben zudem häufiger gesundheitliche Probleme als gleichaltrige SchweizerInnen. Sei dies aufgrund anstrengender körperlicher Arbeiten oder bei Flüchtlingen aufgrund traumatischer Erfahrungen wie Krieg, Verfolgung und Flucht. Das sind alles Belastungen, die zu psychischen und körperlichen Beschwerden führen können. Wie kann das HEKS-Projekt AltuM älteren MigrantInnen helfen? Wichtig sind in diesem Projekt die Schlüsselpersonen, die von HEKS ausgebildet werden und die selber aus diesen Kulturkreisen stammen und gut mit den Vereinen der Migrationsbevölkerung vernetzt sind. HEKS bietet gemeinsam mit diesen Schlüsselpersonen Kurse zur aktiven Frei-
Aus welchen Ländern stammen die Migrantinnen und Migranten, die jetzt ins Alter kommen? Die erste Einwanderungsgeneration, allen voran die ItalienerInnen als grösste Gruppe – aber auch ArbeitsmigrantInnen und Flüchtlinge aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien sind bereits im Pensionierungsalter oder stehen kurz davor. In fünf bis zehn Jahren kommen auch die erste Generation von EinwandererInnen aus Portugal, Spanien sowie Flüchtlinge aus Sri Lanka und Somalia ins Rentenalter, und hier sprechen wir von grossen Zahlen. Diese Menschen müsste man jetzt auf ihre Pensionierung und das Leben im Alter vorbereiten. HEKS AltuM gibt es in Zürich schon seit acht Jahren. Wie hat sich konkret die Situation bei den Projektteilnehmenden verbessert? Die Wirkung des Projekts wurde in einer umfassenden Evaluation untersucht: Die älteren MigrantInnen fühlen sich gut informiert, was das Sozialversicherungssystem, die Altersvorsorge und Gesundheitsthemen angeht. Sie haben durch «AltuM» neue Bekanntschaften geschlossen und ihr soziales Beziehungsnetz erweitert. Sie nehmen auch regelmässig an den wöchentlichen Gymnastikangeboten teil, was sich positiv auf ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit auswirkt. Welche Herausforderungen kommen in Zukunft auf uns zu? Die demografische Alterung der Gesellschaft wird die soziale Solidarität in Zukunft stark beanspruchen.
Die alten Menschen stellen die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe dar mit einer stark gestiegenen Lebenserwartung. Auch die Schweizer Migrationsbevölkerung altert: Bereits 2008 lebten über eine Viertelmillion Menschen über 65 Jahren mit Migrationshintergrund in der Schweiz. Diese Bevölkerungsgruppe wächst und wird bereits im Jahr 2020 etwa 400 000 Personen umfassen. Generell braucht es einen Ausbau der Angebote und Strukturen in der Altersarbeit und Alterspflege. Dabei muss zum Beispiel auch den kulturellen und religiösen Bedürfnissen von älteren MigrantInnen Rechnung getragen werden wie zum Beispiel wichtigen religiösen Festen, Ernährung oder Sterbe- und Bestattungspraktiken. Zudem werden die Arbeitgebenden gefordert sein, Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, die es ermöglichen, Beruf und die private Pflege von Angehörigen zu vereinbaren. Was sind die konkreten Forderungen von HEKS? HEKS fordert die Stärkung des Diversity-Ansatzes in der Alterspolitik und Altersarbeit. Bund und Kantone müssen gezielt Massnahmen prüfen, damit sozial benachteiligte MigrantInnen gleichberechtigten Zugang zu Angeboten der Altersarbeit, der Altersbetreuung und -pflege haben und ihre Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe verbessern können. Mehr Informationen zum HEKS-Projekt AltuM: www.heks.ch/handeln
Quellen: Kobi, Sylvie: Unterstützungsbedarf älterer Migrantinnen und Migranten. Eine theoretische und empirische Untersuchung. Bern, 2008. Hungerbühler, Hildegard, und Bissegger, Corinna: «Und so sind wir geblieben …» Ältere Migrantinnen und Migranten in der Schweiz. Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen EKM (Hg), 2012.
E NT WI CK LU N G L Ä N D L ICH E R G E M E IN S C HAFTEN
Eine Baumschule veränderte ih
Aram Hakobyan und seine Frau Marine leben im Dorf Getap im Südwesten Armeniens in der dünn bes Wajoz Dsor. Früher wohnten sie mit ihren beiden Söhnen in einer winzigen Hütte aus Stein und Erde u zu essen. Heute sind Aram und Marine stolz, dass sie dank der Unterstützung der HEKS-Partnerorgan eigene Baumschule aufgezogen haben, ein Haus bauen konnten und ihre Söhne studieren können. VON BETTINA FILACANAVO (TEXT) UND WALTER IMHOF (FOTOS)
Aram Hakobyan zeigt in seiner Baumschule, wie er die kleinen Bäumchen schneidet, damit sie nicht zu schnell in die Höhe schiessen und gleichzeitig starke Wurzeln bilden. Mittlerweile sind seine Setzlinge für ihre gute Qualität bekannt.
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bücken sich über ein Tuch, auf dem Aprikosen zum Trocknen ausgelegt sind. Es ist ihre bescheidene Aprikosenernte, und durch das Trocknen machen sie die Früchte haltbarer. Hinter dem Haus liegt der Küchengarten: Dort wachsen Bohnen, Kartoffeln, Tomaten, verschiedene Beeren, Knoblauch, Zwiebeln, Pfirsich- und Aprikosenbäume, und neben dem Grundstück liegt ihr eigenes Getreidefeld, das bereits gemäht wurde. Vor dem Haus lagert
das Korn auf einem grossen Haufen in der Sonne. Das kleine Familienunternehmen Sie sind stolz auf das, was sie in den letzten Jahren erreicht haben. Seit zwei Jahren verdient die Familie ihren Lebensunterhalt mit einer Baumschule. Aram ist einer von sieben Bauern im HEKS-Projekt, die Fruchtbaum-Setzlinge ziehen und diese dann an die umliegenden Obstbauern verkaufen. Auf seinem Pflanzfeld wachsen Apfel-, Birnen-, Aprikosen-,
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siedelten Bergregion und hatten gerade genug isation Syunik eine
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Armenien erklärte sich am 21. September 1991 für unabhängig und ist heute eine Präsidialrepublik mit rund 3,2 Millionen Einwohnern. Das armenische Christentum gilt als das älteste Christentum der Welt, die armenisch-apostolische Kirche ist die älteste Staatskirche der Welt. Im Jahre 301 erklärte der damalige König das Christentum offiziell zur Staatsreligion. 47 Prozent der Bevölkerung lebten von der Landwirtschaft. HEKS nahm seine Arbeit in Armenien bereits 1988 auf, als ein schweres Erdbeben die Region Lori im Norden der Armenischen Sowjetrepublik erschütterte. HEKS leistete damals Soforthilfe und beteiligte sich am Wiederaufbau.
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Jäten gehört ebenfalls zur Pflege der Baumschule. Das kleine Familienunternehmen wächst stetig. Dabei packt auch Arams Frau Marine Hakobyan mit an.
Pfirsich-, Mandel- und Nussbäume. Aram und Marine pflegen zwei Felder mit insgesamt 7000 Setzlingen. Wenn es viel Arbeit gibt, kommen ihre Söhne, die in der Hauptstadt Erewan studieren, um ihren Eltern zu helfen. Die Bäumchen auf dem Feld sind zwischen zwanzig Zentimeter und einem Meter hoch. «Sie müssen von Anfang an richtig getrimmt werden», erklärt Aram auf dem Feld, «und sie sollten vor dem Verkauf nicht zu hoch wachsen, damit sie starke Wurzeln entwickeln können.»
Während der Sowjetzeit arbeitete Aram als Arbeiter in einer Baumschule wie bereits sein Vater. Doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlor er seine Stelle. Er versuchte selber eine Baumschule zu eröffnen. Aber er hatte nicht die finanziellen Mittel, um genügend Werkzeuge zu kaufen, und die wirtschaftliche Lage war so misslich, dass niemand Geld hatte, um ihm die Setzlinge abzukaufen. Der Versuch misslang. Mit Gelegenheitsjobs auf dem Bau und mithilfe des eigenen
Gartens hinter dem Haus konnte die Familie knapp leben. Sie wohnten zu viert in einem Haus gebaut aus Steinen und Erde, ohne jegliche Infrastruktur. Es war das Haus, das Arams Eltern hinterlassen hatten. Darlehen konnten sie keine aufnehmen, da sie die Kredite nicht hätten bezahlen können. So lebte die Familie über Jahre in sehr ärmlichen Verhältnissen. Unterstützung und Ausbildung Vor drei Jahren kam die HEKS-Partnerorganisation Syunik, die zuvor in
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der Region bereits mithilfe von HEKS Bewässerungsanlagen für die Bauern errichtet hatte, auf Aram zu und bot ihm an, zusammen mit anderen Bauern an einer Ausbildung teilzunehmen und seine eigene Baumschule aufzuziehen. Aram besuchte bei Syunik verschiedene Ausbildungsseminare, erhielt das Pflanzgut und weitere Ausstattung, um mit der Produktion von Setzlingen zu beginnen. Sein Wissen gibt er heute weiter an die
Qualität der Bäume hat sich herumgesprochen und es gibt viele Abnehmer. Auch fürs Marketing ist Aram selber zuständig. Dank Syunik hat er gelernt, Marktabklärungen zu treffen, Werbung für seine Bäume zu machen, auch via Internet. Und weil er ein guter Geschäftsmann ist, hat er seinen Kundenstamm bereits gut ausbauen können. «Heute fühle ich mich als Unternehmer und ich bin stolz auf unsere Arbeit», sagt er. Vor allem
Provinzgrenze hinaus.» HEKS arbeitet im Südkaukasus (Armenien, Georgien und Aserbeidschan) mit 19 lokalen Partnerorganisationen zusammen (NGOs, Bauernvereinigungen, Kleinbetriebe) und ist in internationalen Netzwerken aktiv. Das regionale Koordinationsbüro von HEKS für den Südkaukasus mit Sitz in der georgischen Hauptstadt Tbilissi unterstützt die Partnerorganisationen bei der Planung, Umsetzung und Überwachung ihrer Projekte. Zudem
Aram und Marine Hakobyan verlesen vor ihrem Haus die Aprikosen, die sie zum Trocknen an die Sonne gelegt haben.
Obstbauern, auch an jene, die bei ihm Setzlinge kaufen. Denn auch sie müssen wissen, wie die Bäume richtig geschnitten und gepflegt werden, damit sie eine gute Ernte bringen. Zu verdanken hat er diese neue Chance nicht zuletzt seiner Frau: «Wir Männer aus dem Kaukasus hören selten auf unsere Frauen. Aber Marine hat mich überredet, bei diesem Projekt mitzumachen, und ich bin heute froh, habe ich auf sie gehört», sagt er. Denn heute haben sie ein kleines Familienunternehmen. Die
konnte die Familie einen grossen Traum verwirklichen: ein neues Haus. Seine Frau hat eine Waschmaschine und die Söhne studieren. Jetzt spart die Familie Geld, um eine neues Feld zu kaufen und die Produktion zu erhöhen, denn die Kosten für die Ausbildung der Söhne sind hoch, auch wenn der jüngere eines der seltenen Stipendien des Staates erhalten hat. «Früher hatte ich nichts ausser einer kleinen Hütte und einem Garten», sagt Aram. «Heute bin ich bekannt für meine Setzlinge weit über die
setzen zusätzliche HEKS-Projektbüros im georgischen Kakheti und im aserbeidschanischen Agjabedi je ein DEZAMandat um. Das HEKS-Programm in Armenien und den anderen Ländern des Südkaukasus hat zum Ziel, die Lebensbedingungen der ländlichen und benachteiligten Bevölkerung zu verbessern. Es fördert Aktivitäten, die den Betroffenen ein Einkommen und den Zugang zu bezahlter Arbeit ermöglichen.
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Das können Sie tun: Fördern Sie begabte junge Menschen in Kosovo! Jugendliche aus Roma-Gemeinschaften haben in Kosovo nicht die gleichen Chancen wie andere junge Menschen. Diskriminierung und Armut sind Gründe dafür, dass nur wenige junge Roma eine höhere Ausbildung absolvieren. Mit einer Patenschaft für Jugendliche in Osteuropa können Sie das jetzt ändern.
Foto: HEKS / Annelies Hegnauer
VON MONIKA ZWIMPFER
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Fazilja, Alabina und Valentina erhielten dank der Patenschaftshilfe ein Stipendium für eine höhere Ausbildung.
«Einige Lehrer behandeln alle gleich. Andere lassen uns links liegen. Doch richtig schwierig wird es, wenn wir Roma in der Schule besser sind als unsere Klassenkameradinnen. Dann werden wir gehänselt und ins Abseits gestellt», berichtet Fazilja aus Lypjan, Kosovo. Die 17-Jährige hat von der HEKS-Partnerorganisation «Voice of RAE» (Roma, Ashkali und Egypten) ein Stipendium erhalten und besucht die höhere Schule für «Transports and Construction». Fazilja ist eine der besten Schülerinnen und hofft deshalb auf ein weiteres Jahr Stipendium, das ihr den Weg zu einem Studium als Lehrerin ebnen würde. Fazilja ist ehrgeizig. Und sie hat aufgeschlossene Eltern, die ihr als Mädchen eine gute Ausbildung gönnen. Weil ihnen das Geld dazu fehlt, springt HEKS ein. Rund 300 Jugendliche erhalten im Schuljahr 2013/14 ein Stipendium mit Coaching für eine höhere Ausbildung. Der Beitrag deckt die Auslagen für Transport und Verpflegung. Denn die meisten Fachund Hochschulen befinden sich in der rund 30 Kilometer entfernten Hauptstadt Pristina.
Auch Alabina pendelt nach Pristina. Sie besucht dort die Wirtschaftsschule und möchte unbedingt weiterstudieren. «Mein Ziel ist, an der Uni Rechtswissenschaften zu studieren. Dafür arbeite ich hart, denn nur wer ehrgeizig ist und gute Leistungen bringt, erhält eine Chance.» Ihr Vater ist froh um das Stipendium, denn er brächte das Geld nicht auf, um Alabina in eine höhere Schule zu schicken. Ihm ist es wichtig, dass seine Kinder – auch die Mädchen – eine gute Ausbildung erhalten. Er selbst musste nach der Sekundarschule auf dem Bau arbeiten und so die Lebenskosten seiner Familie mittragen. Valentina ist 16 Jahre alt und macht eine Lehre als Coiffeuse. Auch sie hofft auf ein weiteres Jahr Stipendium, damit sie sich an einer höheren Fachschule weiterbilden kann. Ihr ist bewusst, dass sie privilegiert ist:«Viele Mädchen haben diese Chance nicht, weil ihre Eltern sie zur Arbeit schicken oder verheiraten.» Die Unterstützungsgesuche an «Voice of RAE» haben in den letzten Jahren stetig zugenommen. Konnte man die SchülerInnen aus Roma-Ge-
meinschaften in höheren Ausbildungen noch vor ein paar Jahren an einer Hand abzählen, so besuchen dieses Jahr bereits sechs- bis siebenhundert Roma eine Fach- oder Hochschule. 570 Roma haben im letzten Jahr ein Stipendium beantragt, 300 haben eines erhalten. Immer mehr Jugendliche, vor allem Mädchen, sehen in einer guten Ausbildung die Chance, sich in ihrer Heimat eine würdige Zukunft aufzubauen. Für 360 Franken im Jahr: Eine Patenschaft für Jugendliche in Osteuropa Mit einer Patenschaft für Jugendliche in Osteuropa helfen Sie mit, die Zahl der jungen Roma mit guter Ausbildung zu erhöhen. Geben auch Sie jungen Menschen wie Fazilja, Alabina und Valentina das Werkzeug für eine eigenständige Zukunft in die Hand. Herzlichen Dank. Weitere Auskunft erteilt Ihnen gerne Susanne Loosli, Tel. direkt 044 360 88 09, E-Mail patenschaft@heks.ch. Den Anmeldetalon finden Sie auf der Rückseite dieser Ausgabe.
HU MA N I TÄ RE HIL F E
«Als liefe man über einen Mis
Im Juli 2010 erlebte Pakistan die schlimmsten Überschwemmungen in der Geschichte des Landes. Die D Überflutungen kaum Hilfe erhalten. Familien, die nun hierhin zurückgekehrt sind, leben in sehr prekär dert, wenn sie Zugang zu sauberem Trinkwasser, Toiletten und Waschgelegenheiten haben. Anna Scheln VON BETTINA FILACANAVO (TEXT) UND ANNA SCHELNBERGER (FOTOS)
So sehen Dörfer aus, bevor HEKS Hilfe leistet. In Naushero Feroz z.B. wird HEKS mit dem Bau von sanitären Einrichtungen erst beginnen. Die hygienischen Zustände in den Dörfern von Naushero Feroz seien beängstigend, erzählt Anna Schelnberger nach ihrer Rückkehr aus Pakistan.
In den Dörfern der Region Dadu läuft seit ein paar Monaten das Hygieneprojekt. Hier arbeitet HEKS mit den Partnerorganisationen Research and Development Foundation (RDF) und dem actalliancePartner Norwegian Church Aid (NCA) zusammen. Das Projekt wird von der Glückskette unterstützt. «Im Vergleich zu den Dörfern in Naushero Feroz sieht man hier sehr klar, wie aufgeräumt und sauber es ist», sagt Anna Schelnberger. Tiere und Menschen leben in getrennten Bereichen. Es liegen keine Fäkalien mehr herum und es gibt kein stehendes Wasser – die Brutstätte für Moskitos. Die Anzahl an Durchfall-, Malaria- und Atemwegserkrankungen ist deutlich zurückgegangen. Die neuen sanitären Einrichtungen, die allen im
Überall liegen Exkremente der Tiere herum, es sei, als liefe man über einen Misthaufen, dazwischen spielen die Kinder. Es gibt kleinere Abwasserkanäle, worin sich eine dunkle, stinkende Brühe staut. Die Bevölkerung leidet unter Atemwegserkrankungen, weil der Wind die von der Hitze getrockneten Fäkalien aufwirbelt und die Menschen sie einatmen. Im Sommer ist es hier sehr heiss und trocken, die Temperaturen steigen bis auf
Dorf zugänglich sind, wurden erhöht gebaut, so dass bei einer erneuten Flut das Wasser nicht in den Abwassertank der Toiletten laufen und diesen ausspülen kann. Auf der einen Seite des Gebäudes liegt die Toilette, auf der anderen der Waschraum. Ausserhalb des Gebäudes befindet sich ein kleiner Wasserbehälter mit Wasserhahn zum Händewaschen. Hier können die Menschen auch Toilettenspülwasser entnehmen. Dazu steht ein Wasserbehälter bereit, der täglich von einer dafür verantwortlichen Person aufgefüllt wird. Auch die Wasserpumpen sind erhöht gebaut und werden von einer Mauer geschützt. Zum einen wird die Pumpe so nicht mehr durch Tiere verdreckt, und bei einer Flut kann das schmutzige Flutwasser nicht in die Pumpe hineinlaufen. Wenn das Pumpwasser keine ausreichende Qualität hat, wird es zusätzlich gefiltert. Je nach Art der Be-
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thaufen»
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örfer in den Distrikten Naushero Feroz und Dadu in der südlichen Provinz Sindh haben nach den en Verhältnissen. Im Folgenden lesen Sie, wie sich die Lebenssituation dieser Menschen konkret veränn berger, Abteilungsleiterin Humanitäre Hilfe bei HEKS, hat die Projektregion besucht.
40 Grad Celsius. Zusätzlich leiden alle, vor allem die Kinder, an Malaria und Durchfallerkrankungen, dies sind die Folgen des mit Fäkalien und anderen Bakterien verunreinigten Wassers. Die Wasserpumpen sind nicht geschützt, das heisst, dass sie zum Beispiel direkt neben verschmutzten Gewässern oder Misthaufen stehen, wodurch Bakterien in das Pumpwasser gelangen können. Die Dorfbevölkerung hat keine Toiletten, sondern
verrichtet ihre Notdurft unter freiem Himmel auf den Feldern. Manchmal gibt es kleine Verschläge, die als Toiletten benutzt werden. Die Frauen müssen die Fäkalien dann wegbringen. Weil es keinen geschützten Rahmen gibt, trauen sich die Frauen nur im Schutz der Dunkelheit aus dem Haus, um zur Toilette zu gehen. Deshalb trinken sie auch bei grösster Hitze den ganzen Tag nichts. Durch dieses Verhalten wird die Gesundheit der Frauen stark beeinträchtigt.
lastung kommen unterschiedliche Filter zum Einsatz. Zudem wurden für die Frauen Waschplätze errichtet, wo sie die schmutzigen Kleider waschen können. Da das Wasser und die Waschplätze jetzt im Dorf sind, haben die Frauen mehr Zeit zur Verfügung und müssen nicht täglich bis zu drei Stunden dazu aufbringen, um Trinkwasser zu holen. «Diese Zeit nutzen sie jetzt, um Schnüre und Seile herzustellen, die sie dann verkaufen, und erarbeiten sich ein kleines Einkommen», so Anna Schelnberger. Die Leute und speziell auch die Kinder in der Schule erhalten Hygienetrainings. Es werden Hygiene-Kits und andere Materialien zur Hygieneerziehung verteilt. Die HEKS-Partnerorganisation RDF hat dazu einen Zeichentrickfilm produziert, den sie in den Dörfern zur Hygieneerziehung verwendet.
HEKS in Pakistan Nach den verheerenden Überschwemmungen in Pakistan leistete HEKS Soforthilfe und startete im Februar 2011 mit dem Wiederaufbau von 36 Schulhäusern in der Provinz Sindh. Im Juni 2013 wurden die letzten Schulen offiziell ans Bildungsministerium übergeben. HEKS ist weiterhin in der Region Sindh tätig. Durch die Fluten hat sich der Zugang zu trinkbarem Wasser hier enorm verschlechtert. Das HEKS-Projekt hat zum Ziel, den Zugang zu trinkbarem Wasser in 183 Dörfern (12 375 Familien) zu verbessern, im Jahr 2014 wird das Projekt auf weitere Dörfer ausgeweitet. Zusammen mit den Partnerorganisationen erarbeiten die Dörfer auch Pläne zur Katastrophenvorsorge. Dies ist in einem Gebiet, das regelmässig von Fluten und Dürren heimgesucht wird, sehr wichtig. Weitere Informationen zum Projekt: www.heks.ch/handeln
K ON FLI K TTRA N S F O RM AT IO N
Die Stimme von Zacate Grande Im November letzten Jahres waren zwei Jugendliche aus Honduras in der Schweiz zu Besuch. Roxana Corrales Vasquez (23) und Aldo José Rubio Marquina (15) gehören zum Radioteam in Zacate Grande, das von HEKS unterstützt wird. Die Jugendlichen nutzen das Medium Radio, um in der heutigen Zeit Widerstand zu leisten. Zweck ihres Engagements ist es, die honduranische Bevölkerung über den Landkampf zu informieren und zu sensibilisieren. VON BETTINA FILACANAVO
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I E S I T U AT I O N F Ü R R U N D TA U -
auf der Halbinsel Zacate Grande in Honduras ist äusserst kritisch. Sie wohnen und arbeiten seit mehreren Generationen in ihren Dörfern und leben von dem Land, für das sie bis im Jahr 2000 das unbestrittene Nutzungsrecht hatten. Seither wird ihnen das Land von einem Grossgrundbesitzer streitig gemacht und die Familien müssen befürchten, vertrieben zu werden. Lokaler Partner von HEKS ist die Selbsthilfeorganisation ADEPZA (Vereinigung zur Entwicklung von Zacate Grande). Mit dem Projekt wird die Bevölkerung von Zacate Grande darin unterstützt, Landtitel zu erhalten und somit ohne Angst vor Vertreibung auf ihrem Land leben und arbeiten zu können. Mittels fachlicher Begleitung und Beratung soll die Bevölkerung befähigt werden, auch die nötigen juristischen Schritte zu unternehmen. Ein weiteres Ziel des Projekts ist die Sensibilisierung der lokalen Bevölkerung mithilfe des Lokalradios «La Voz S E N D FA M I L I E N
de Zacate Grande». Für den Betrieb und die Gestaltungen der Radiosendungen ist eine Gruppe von rund zwanzig jungen Erwachsenen und Jugendlichen zuständig. Ziel des Projekts ist zudem, die Bevölkerung von Zacate Grande in der Förderung von nachhaltigen Anbaumethoden zur Produktion ihrer Nahrungsmittel zu unterstützen. Ihre Lebenssituation und damit auch ihre Existenzsicherheit sollen verbessert werden. Die Menschen sind wegen ihres Engagements gefährdet und werden immer wieder bedroht. HEKS unterstützt deshalb ein Programm zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen. Zacate Grande wird regelmässig von freiwilligen MenschenrechtsbeobachterInnen besucht.
Interview mit Roxana und Aldo VON CHRISTINE SPIRIG
Wie seid ihr mit HEKS in Kontakt gekommen? R O X A N A : HEKS unterstützt das Jugendradioprojekt «La Voz de Zacate Grande». Dieses wurde von ADEPZA, der Organisation, der wir beide angehören, 2012 initiiert. HEKS hat uns zum Beispiel die technischen Mittel zur Verfügung gestellt, so dass sich unsere Reichweite erhöht hat; wir werden nun in zwei Departements gehört. Worum kämpft ihr konkret? A L D O : Um den Zugang zu Land und dessen Legalisierung. Viele Familien haben seit drei Generationen Land bearbeitet, für das sie das unbestrittene Nutzungsrecht hatten. Seit dem Jahr 2000 wird ihnen das
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19 det, weil mein Vater Präsident von ADEPZA ist. R O X A N A : Auch ich bin mir bewusst, dass immer etwas passieren kann. Dieses Risiko gehe ich aber ein, weil ich nur so etwas bewirken kann.
Foto: HEKS / Ruedi Lüscher
Was habt ihr bisher erreicht? R O X A N A : Früher haben die Menschen vieles einfach hingenommen, heute wissen sie, was recht und was unrecht ist. Sie beginnen, sich zu wehren. Wenn wir im Radio über einen Vertreibungsfall berichten, gehen die Menschen vor Ort, um die betroffene Familie zu schützen.
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streitig gemacht, und sie müssen Angst haben, vertrieben zu werden und ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten zu können. R O X A N A : Wir kämpfen gegen Einschüchterung und Unterdrückung und für ein Leben in Frieden und Würde. Weshalb braucht es das Jugendradio? R O X A N A : Wir haben einen Slogan, der heisst «Somos la voz que nace para informar a la gente» («Wir sind die Stimme, die dazu geboren ist, das Volk zu informieren»). In Zacate Grande ist es schwer, an Informationen zu kommen. Das Internet hat sich in den ländlichen Gebieten noch nicht genügend durchgesetzt. Und die grösseren Radiostationen, TV-Sender und Zeitungen sind alle unter dem Einfluss und der Kontrolle jener mächtigen Familien, die in Zacate Grande das Sagen haben. Informationen werden bewusst gesteuert oder unterlassen. Die Menschen wer-
den dadurch manipuliert. Wir wollen, dass sie ihre Rechte kennen und diese auch durchsetzen können. Wie informiert «La Voz de Zacate Grande»? R O X A N A : Wir senden regionale und nationale News rund um die Themen Zugang zu Land und Landkampf, wir dokumentieren Ungerechtigkeiten und produzieren Hintergrundberichte. A L D O : Eine wichtige Rolle in unserem Alltag ist Musik, sie schafft den Zugang zu den Menschen. Ich komponiere selbst Lieder und singe diese zusammen mit einer Musikgruppe im Radio. Mit eurem Engagement wendet ihr euch öffentlich gegen das Regime. Habt ihr keine Angst vor Sanktionen? A L D O : Ich habe oft sehr grosse Angst. Zum Beispiel vor einem gewalttägigen Übergriff gegen meine Familie. Wir sind besonders gefähr-
Ihr seid für drei Wochen in die Schweiz gereist, um von der Situation in eurem Land und von eurer Arbeit zu berichten. Wie war euer Eindruck? R O X A N A : Mir ist als Erstes die extreme Ungerechtigkeit auf der Welt bewusst geworden. Auf der einen Seite grosse Armut, auf der anderen extremer Reichtum. Schlimm ist, dass unser Land auch deshalb so arm ist, weil es solchen Reichtum überhaupt gibt. Auf der anderen Seite war es eine positive Erfahrung, dass sich auch Menschen aus der reichen Schweiz für unsere Situation interessieren. A L D O : Die Menschen, die wir trafen, haben nicht nur zugehört, sondern auch gefragt, was sie tun könnten, um unsere Lage zu verbessern. Das gibt mir Mut, denn wir brauchen diese Unterstützung. Was wünscht ihr euch für euer Land? A L D O : Mehr Arbeitsmöglichkeiten für Arme, bessere Bildung und Perspektiven für junge Menschen. R O X A N A : Dass die Menschenrechte für alle respektiert werden. Und dass sich die Lebensqualität der Menschen in Honduras, von denen 60 Prozent in extremer Armut leben, endlich verbessert. Weitere Informationen zum Projekt: www.heks.ch/handeln
NA H E BEI D EN M E N S CH E N
10 Fragen an Esther Oettli
tieren konnten und dies auch zu erkennen geben, ein freundliches Lächeln bei einer zufälligen Begegnung, das Zusammensein mit den Menschen, die mir lieb sind.
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Was macht Ihnen Angst? Angst kriege ich nicht so schnell. Am ehesten sind es Situationen, die ausser Kontrolle geraten und nicht mehr kalkulierbar sind, für die Verhältnisse viel zu schnelles Autofahren, hie und da neue Situationen. Tief durchatmen und das Ganze rational betrachten hilft fast immer.
Rund achteinhalb Jahre hat Esther Oettli den Ausland-Bereich bei HEKS geführt und tritt nun in den wohlverdienten Ruhestand. Wir möchten ihr an dieser Stelle herzlich danken für ihre Arbeit und ihr Engagement für HEKS. Esther Oettli ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Sie wohnt in Beringen im Kanton Schaffhausen.
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Was machen Sie heute beruflich? Zum Zeitpunkt dieses Interviews bin ich noch Bereichsleiterin Ausland bei HEKS.
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Was beschäftigt Sie im Moment am meisten? Die Übergabe an meinen Nachfolger und die Gestaltung der neuen Lebensphase, die nach meiner Pensionierung beginnt.
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Wie sind Sie mit HEKS in Kontakt gekommen? Ich bin seit 1981 in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Ich habe immer in Nichtregierungsorganisationen gearbeitet und bereits vor meiner Zeit bei HEKS habe ich bei einer grossen Nichtregierungsorganisation den Bereich Ausland geleitet. Natürlich war mir HEKS bekannt. Im 2005 habe ich mich dann auf die Stelle als Bereichsleiterin Ausland beworben und die Stelle auch bekommen.
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Wie wohnen Sie? Wir wohnen auf dem Lande in einem Solarhaus, das wir vor mehr als zwanzig Jahren zu einem grossen Teil selber konzipiert haben. Für uns war immer klar, wenn wir schon ein Haus bauen, dann soll es möglichst wenig an nicht erneuerbarer Energie verbrauchen.
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Was haben Sie gestern gegessen? Gestern habe ich zum Mittagessen ein Sandwich gegessen und zum Nachtessen gab es Kartoffelstock und einen Fleischvogel. Das ist nicht gerade ein Alltagsessen in unserem Haushalt.
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Was macht Sie glücklich? Mich macht vieles glücklich. Das kann der Moment sein, in dem ich nach Hause komme, ein klarer Sternenhimmel, ein kleiner Gedankenaustausch mit jemandem, Menschen, die von unserer Unterstützung profi-
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Was bringt Sie zum Lachen? Urkomische Situationen, gute Sprüche, fröhliches Zusammensein, Kinder, Spiele, vor Freude strahlende Menschen.
9 Ein schöner Moment, an den Sie sich erinnern? Bei einem Workshop in Indien hatten wir mit grossen Widerständen für eine Idee zu kämpfen, die den Bauern dazu verholfen haben würde, mehr zu produzieren und dadurch mehr Nahrung oder Einkommen zu erzielen. Nach heftigen Diskussionen mit unseren Partnerorganisationen stand die Person, die sich am heftigsten gewehrt hatte, am Morgen des dritten Tages auf und sagte: «Ich habe jetzt zwei Nächte nachgedacht und bin zum Schluss gekommen, dass die eingebrachte Idee eine gute ist.» Die Arbeitsgruppe, in der die besagte Person mitarbeitete, kam anschliessend mit dem besten Arbeitskonzept und Vorschlag von allen Gruppen. 10 Was ist Ihr grösster Wunsch? Mehr Einsicht von uns Menschen, dass wir alle unsern Beitrag liefern müssen, um eine gerechtere und nachhaltigere Welt zu gestalten, und die Bereitschaft, auch wirklich daran zu arbeiten.
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Foto: HEKS / Beni Basler
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K I RCH LI CHE Z U S A M M E N A R B E IT
Tschechen holen sich bei HEKS in Genf Impulse HEKS-Projekte im Ausland und Inland können voneinander profitieren. Ein Projektteam aus Tschechien besuchte das Projekt «Fliegende Beratung für Sans-Papiers» in Genf.
Alles begann mit einer langen Reise. Am Morgen um fünf Uhr war Abfahrt in Prag, und vor Alena, Jan, Jon und Dana aus Tschechien lag eine fast tausend Kilometer lange Autofahrt nach Genf. Nach einem stündigen Zwischenhalt in Zürich war es dann gegen acht Uhr abends so weit, dass die vier in der Rhonestadt ankamen. Grund für die Fahrt nach Genf war ein Besuch und Erfahrungsaustausch von Mitarbeitenden des Projekts «Kampf gegen Zwangsarbeit» von HEKS in Tschechien beim HEKSInlandprojekt «Fliegende Beratung für Sans-Papiers» in Genf. Die Gemeinsamkeit beider Projekte ist die Arbeit mit MigrantInnen. Die Tschechen gehen in ihrem Land auf WanderarbeiterInnen zu. Die meisten von ihnen werden von ausländischen Agenturen in Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine angeheuert und kommen nach Tschechien, wo sie unter misslichen Bedingungen und oft ohne oder mit illegalen Verträgen arbeiten. Das Ziel des Projekts ist es, die Arbeiter über ihre Rechte aufzuklären, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und in Krisensituationen Nothilfe zu leisten. In einer misslichen Situation befinden sich auch jene Menschen, mit denen Gaëlle Martinez von «Fliegende Beratung für Sans-Papiers» zu tun hat. Sie stammen aus Lateinamerika und halten sich in der Schweiz meist illegal auf. In Genf klären die HEKS-Mitarbeitenden diese Menschen über das Arbeitsrecht, Gesundheitsversorgung und Bildung auf. «Uns hat beeindruckt, mit welchem Enthusiasmus die HEKS-Mitarbeiter auf die fremden Menschen eingehen», sagt Alena aus Tschechien. Inspirierend war für sie die kreative Art und Weise, wie der Austausch mit Migranten über Spiele und Rollenspiele gepflegt wird. «Da wird auch viel gelacht», sagt Alena. In Tsche-
chien dagegen würden sie sich oft nur auf die Schwierigkeiten ihrer Leute konzentrieren. Dana und Jon fiel auf, wie multikulturell Genf ist. «Im Gegensatz zu Tschechien gehören hier die MigrantInnen zum Alltag. Wir haben den Eindruck, dass Genf offen für fremde Kulturen ist», sagen die beiden. Die Begegnung mit den unterschiedlichsten Leuten und die Besuche von verschiedenen Organisationen hätten ihnen viele Impulse und Ideen für ihre Arbeit in Tschechien gegeben. Positiv hat auch Gaëlle Martinez von HEKS in Genf den gegenseitigen Austausch in Erinnerung. «Wir waren gefordert, den Tschechen, denen un-
sere Situation völlig unbekannt war, das Wesentliche unseres Projekts zu erklären», sagt sie. Spannend sei gewesen, mit wie vielen ähnlichen Problemen beide Seiten zu tun haben: Mit Arbeitsausbeutung, prekären Lebensumständen von MigrantInnen und rechtlichen Schwierigkeiten seien sie in Genf sowie auch die Tschechen konfrontiert. Martinez freut sich, wenn sie im nächsten Jahr nach Tschechien fährt. Bei solchen Projektbesuchen analysiere man immer auch seine eigenen Arbeitsmethoden. «Das ist sehr wertvoll», ist sie überzeugt. Weitere Informationen zu den beiden Projekten finden Sie unter www.heks.ch/handeln
Die Mitarbeitenden des HEKS-Projekts «Kampf gegen Zwangsarbeit» zu Besuch in Genf, links aussen Weimar Agudelo und Gaëlle Martinez von «Permanence volante».
Foto: HEKS / Matthias Herren
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VON MATTHIAS HERREN
DA N K ESCH Ö N
An dieser Stelle möchten wir uns bei allen bedanken, die im letzten Jahr unser Hilfswerk unterstützt und in irgendeiner Form dazu beigetragen haben, dass HEKS sich für sozial benachteiligte Menschen auf dieser Welt einsetzen kann, sei dies nun im In- oder Ausland. Vier Beispiele, wie uns Kirchgemeinden, Einzelkämpfer oder Firmen unterstützt haben:
Kirchgemeinde Aarau Am 29. November organisierte die Reformierte Kirchgemeinde Aarau während des Advent-Nightshoppings in Aarau eine unkomplizierte und originelle Aktion. Sie projizierte die schönen Bilder unseres Adventskalenders an die Kirchenmauer und stellte auf dem Platz einen dekorierten Stand auf mit dem Slogan des Adventskalenders «Weihnachten ist, wenn». Verpflegt wurden die Passantinnen und Passanten, die die Bilder an der Kirchenmauer bewunderten,
mit Kürbissuppe, die die Konfirmandinnen und Konfirmanden zubereitet hatten und verkauften. Den Erlös von 466 Franken spendeten die jungen Menschen HEKS.
Marathon für syrische Flüchtlinge Khalid Grein ist bei HEKS unter anderem verantwortlich für die Humanitäre Hilfe in Libanon. Am Sonntag, 27. Oktober, lief er am Swiss City Marathon in Luzern. Mit diesem Lauf wollte er seinen privaten Beitrag leisten, um den Flüchtlingen aus Syrien zu helfen. Er rief dazu auf, seine ge-
laufenen Kilometer zu sponsern. Khalid Grein hat den Marathon bei zum Teil strömendem Regen erfolgreich beendet und damit fast 6000 Franken für syrische Flüchtlinge in Libanon gesammelt.
Kirchgemeinde Schiers
Im Advent sammelte die Kirchgemeinde Schiers für ein Bio-FairtradeHaselnuss-Projekt in Georgien. Am Strassenrand waren Schilder mit Eichhörnchen zu sehen, das Kirchgemeindehaus zierte ein Adventsfenster mit einem Eichhörnchen und Nüssen und der Aufschrift «Bio-Fairtrade-Haselnüsse aus Georgien». Eine Gruppe von Frauen hat viele kleine Geschenke zum Thema gebastelt und aus georgischen Haselnüssen verschiedene Esswaren hergestellt wie Guetzli, in Zucker gebrannte Nüsse oder Haselnussaufstrich. Diese Produkte verkauften sie an einem Adventsmarkt und sammelten so Geld für die Haselnussbauern in Georgien.
bauern im Niger beim Bau von zehn Kornspeichern aus lokalen Materialien. Eine süsse Variante des Kornspeichers gab es als kleines Weihnachtsgeschenk für alle Patiswiss-Mitarbeitenden.
Kirchgemeinde Frauenfeld Zusammen mit der Kirchgemeinde Frauenfeld beteiligte sich HEKS auch dieses Jahr am traditionellen Frauenfelder Weihnachtsmarkt. Geissen, Hühner, Enten, Wolldecken und weitere sinnvolle Geschenke wurden im Rahmen der Standaktion verkauft. Dank der Unterstützung des Thurgauer Kirchenratspräsidenten Wilfried Bührer, dem HEKS-Direktor Ueli Locher sowie vielen freiwilligen HelferInnen und den KonfirmandInnen der Kirchgemeinde Frauenfeld wurden am Markt rund 13 000 Franken zugunsten von HEKS eingenommen. Ein Riesenerfolg.
Firma Patiswiss AG Eine originelle Idee hatte die Patisserie-Herstellerin Patiswiss AG. Ihr Kunden-Weihnachtsgeschenk war dieses Jahr ein Kornspeicher-Zertifikat von der HEKS-Weihnachtsaktion «Hilfe schenken». Mit dem Kauf dieser Zertifikate unterstützt Patiswiss Klein-
V.l.n.r. Ueli Locher, Direktor des HEKS; Wilfried Bührer, Kirchenratspräsident der Evangelischen Landeskirche Thurgau; Andreas Winkler, Präsident der Kirchenvorsteherschaft Frauenfeld
IMPRESSUM Nr. 323 1/Februar 2014 handeln. Das Magazin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz. Erscheint 4-mal jährlich. Auflage 52 000 Redaktionsleitung: Susanne Stahel Redaktion: Bettina Filacanavo Fotoredaktion: Ruedi Lüscher Korrektorat: Erika Reist, www.korr.ch Gestaltung: Herzog Design, Zürich Druck: Kyburz AG, Dielsdorf Papier: LEIPA ultraLux silk /Recycled /FSC Material Abonnement: Fr. 10.–/Jahr, wird jährlich einmal von Ihrer Spende abgezogen Adresse: HEKS, Seminarstrasse 28, Postfach, 8042 Zürich, Telefon 044 360 88 00, Fax 044 360 88 01, E-Mail info@heks.ch, Internet www.heks.ch bzw. www.eper.ch HEKS-Spendenkonto: Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz, PC 80-1115-1
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