HEKS-Magazin handeln, Nr. 329, August 2015

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AUGUST 2015

HANDELN DAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVANGELISCHEN KIRCHEN SCHWEIZ

FOKUS EZA IN DER KRITIK

REPUBLIK MOLDAU Der Bauer wird neu erfunden NORDIRAK HEKS unterst端tzt Kriegsfl端chtlinge


INHALT

IMPRESSUM NR. 329 / AUGUST 2015 HANDELN Das Magazin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz Erscheint 4-mal jährlich AUFLAGE 52 000 REDAKTIONSLEITUNG Dieter Wüthrich (dw) REDAKTION Bettina Filacanavo (fb) BILDREDAKTION Sabine Buri

Indische Frauen fordern ihre Rechte ein: Entwicklungszusammenarbeit heisst auch, aus Misserfolgen zu lernen. Mehr dazu auf Seite 16. Foto: Karin Desmarowitz

TITELBILD Lunaé Parracho KORREKTORAT korr.ch

THEMA Kontroverse Entwicklungszusammenarbeit in der Kritik

DRUCK Kyburz AG, Dielsdorf

IN DIESER NUMMER

PAPIER Refutura / Recycled / FSC

3 Editorial

ABONNEMENT Fr. 10.– / Jahr wird jährlich einmal von Ihrer Spende abgezogen

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HEKS bezieht Position Eine Auslegeordnung zur EZA

6 Streitgespräch EZA – Humanitäres Gebot oder Geldverschwendung? 9

So funktioniert EZA Ein Blick hinter die Kulissen

12 Meinungen Antworten auf kritische Fragen zur EZA 20 Reportage EZA am Beispiel der Republik Moldau 26 Patenschaft HEKS setzt sich für die Rechte von Minderheiten in Bangladesch ein 27 Aktuell und Agenda

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GESTALTUNG Joseph Haas und Corinne Kaufmann-Falk, Zürich

ADRESSE HEKS Seminarstrasse 28 Postfach 8042 Zürich Telefon 044 360 88 00 Fax 044 360 88 01 E-Mail info@heks.ch www.heks.ch www.eper.ch HEKS-SPENDENKONTO: Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz PC 80-1115-1


EDITORIAL

LIEBE LESERIN LIEBER LESER

Die Entwicklungszusammenarbeit war in jüngster Zeit etwas häufiger in der Kritik als auch schon. Sie erziele zu wenig Wirkung zugunsten der Ärmsten in den Ländern des Südens, versickere in korrupten Staatsapparaten und sei kaum in der Lage, die Armut der Bevölkerung nachhaltig zu reduzieren. Die selbstkritische Auseinandersetzung mit unserer eigenen Arbeit, insbesondere mit der erzielten Wirkung der zahlreichen Projekte, ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Und wir haben den Anspruch, auch mit expliziten Kritikern den Dialog zu suchen.

reichen Gesprächen, aus Zuschriften und aus wichtigen aktuellen Ereignissen in der Schweiz. Hoffentlich habe ich damit ab und zu Ihr Interesse geweckt.

Die vorliegende Ausgabe von «handeln» nimmt einige dieser Kritikpunkte auf. Wir möchten Ihnen damit einen vertieften Einblick in unsere Arbeit vermitteln und Sie für die vielfältigen Herausforderungen sensibilisieren.

Zum Abschied möchte ich HEKS und meinem Nachfolger die besten Wünsche mit auf den Weg geben. Ich wünsche den Menschen, in deren Händen die Geschicke von HEKS liegen, viel Gelassenheit, Ruhe, Rückgrat und Standfestigkeit, wenn sie wieder einmal im Gegenwind stehen. Ich wünsche ihnen viele kreative, innovative Ideen und den Mut, die­se auch umzusetzen. Für das Bewältigen der Herausforderungen in einer sich rasch verändernden Welt wünsche ich Ihnen ein hohes Mass an Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Schliesslich wünsche ich ihnen auch einfach Glück, denn nicht alles lässt sich steuern und kontrollieren.

Für mich ist dieser entwicklungspolitische Akzent der Schlusspunkt meiner Tätigkeit bei HEKS. Anfang August hat Andreas Kressler die Leitung des Hilfswerks übernommen.

Und dann hoffe ich natürlich, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, HEKS weiterhin die Treue halten und dessen Arbeit in irgendeiner Form unterstützen. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen.

«Wir haben den Anspruch, mit Kritikern den Dialog zu suchen.»

Wie weit ich Sie mit meinen Texten in den vergangenen Jahren begleitet habe, kann ich nicht beurteilen. Seien Sie, liebe Leserin, lieber Leser, jedoch versichert: Sie waren mir während der letzten acht Jah­re treue Begleiterinnen und Begleiter! Beim Schreiben meiner Editorials habe ich mir nämlich stets überlegt, welche Themen Sie interessieren könnten. Die Inspiration für meine Texte holte ich mir aus zahl-

Ueli Locher Direktor

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EZA IN DER KRITIK

HEKS BEZIEHT POSITION Text Dieter Wüthrich Foto Annette Boutellier

Entwicklungszusammenarbeit (EZA) – speziell jene der Schweiz – geniesst nach wie vor ein hohes Ansehen. Gleichwohl haben die öffentliche Diskussion und die Meinungen gegenüber der EZA, aber auch gegenüber Hilfswerken insgesamt, in den letzten Jahren eine zunehmend kritische Dimension angenommen. In einer von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in Auftrag gegebenen, repräsentativen Umfrage ga­ ben im vergangenen Jahr 83 Pro­zent der Schweizer Bevölkerung an, dass die Schweiz zumindest eine eher gute Entwicklungszusammenarbeit leiste. Der Anteil der Bevölkerung, welcher der Meinung ist, dass die Schweiz ihre Bemühungen in der EZA verstärken solle, hat in den letzten 15 Jahren gar um die Hälfte zugenommen und steht heute bei 30 Prozent, während nur noch 8 Prozent denken, die Schweizer EZA solle verringert werden (1999 waren es 17 Prozent). Doch die DEZA und die Schweizer Hilfswerke sollten sich angesichts dieser positiven Resultate nicht zurücklehnen und sich in Selbstgenügsamkeit üben. Denn seit ei­ nigen Jahren mehren sich auch jene kri­ti­ schen Stimmen, die die EZA und die dahinterstehenden Hilfswerke infrage stellen. Befeuert wird dieser Trend durch die Diskussionen über die Wirksamkeit und Transparenz der EZA und ihrer Akteure, welche sich im Zuge der politischen Forderung nach einer Erhöhung der staatlichen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit verschärft haben. Nicht nur die Politik fragt sich, welchen Nutzen es hat, wenn den Hilfswerken mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden.

HEKS stellt sich dieser Kritik – mit einem «handeln»-Spezialdossier zum Thema. In einem Streitgespräch legen Ueli Locher, bis Ende Juni dieses Jahres Direktor von HEKS, sowie SVP-Nationalrat Luzi Stamm als profilierter EZA-Kritiker ihre unterschiedlichen Standpunkte dar. Zu Wort kommen aber auch Leute aus der Bevölkerung, die sich kritisch mit der Thematik auseinandersetzen. HEKS stellt sich ihren unbequemen Fragen über Sinn und Wirkung der EZA. Anhand einer Analyse unseres Landes­programms in Indien legen wir zudem Rechenschaft ab über Erfolge und Misserfolge in unseren Projekten. Und wir zeigen anhand einer illustrierten «Timeline» auf, wie bei HEKS ein EZA-Projekt initiiert, geplant und umgesetzt wird. Und schliesslich liefert der NZZ-Journa­list Martin Woker eine unabhängige Aussensicht auf eines unserer EZA-Projekte in der Republik Moldau.

Zusätzlichen Nährboden für die wachsen­de Skepsis gegenüber der EZA bietet die breite Verfügbarkeit von Informationen über die Arbeit von Hilfswerken und ihre Projekte, insbesondere im Internet und anderen elektronischen Medien. Aufmerk­ samere Spendende, Geld- und Auftrag­ gebende informieren sich online und stossen dort immer wieder auf Berichte über fehlgeschlagene Projekte, welche dann medial aufgedeckt und ausgeschlachtet

Unser Spezialdossier vermag wohl viele, aber sicher nicht alle offenen Fragen rund um die Entwicklungszusammenarbeit zu beantworten. Wir möchten Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, auf den folgenden 16 Seiten eine Übersicht über die wichtigsten Argumente pro und contra Entwicklungszusammenarbeit geben und Ihnen einen vertieften Einblick in die Arbeitsweise von HEKS vermitteln. Die Diskussion geht weiter ...

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werden. Infrage gestellt werden insbesondere Nutzen und Nachhaltigkeit der EZA, die fehlende Transparenz über die Vergabe und Verwendung von EZA-Geldern – Stichworte dazu sind Korruption in den begünstigten Ländern und hohe Verwaltungskosten auf Seiten der Hilfs­ wer­ke – sowie deren mutmasslich feh­ lende kritische Selbstreflexion.


Entwicklungszusammenarbeit: Für die Befürworter eine Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum in den Ländern des Südens, für manche Kritiker eine reine Geldverschwendung nach dem Giesskannenprinzip.

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EZA IN DER KRITIK – EIN STREITGESPRÄCH

HUMANITÄRES GEBOT ODER GELDVERSCHWENDUNG? In der Schweiz hat sich die Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) des Bundes, aber auch an jener der privaten Hilfswerke in den letzten Jahren spürbar akzentuiert. Fehlende Transparenz über die Vergabe und Verwendung der Mittel, mutmassliche Korruption in vielen Nehmerländern sowie eine fehlende Wirkungsmessung sind nur einige der Kritikpunkte, die von den Medien, Politikerinnen und Politikern und zunehmend auch von einer breiten Öffentlichkeit thematisiert werden. Im folgenden Streitgespräch diskutieren SVP-Nationalrat Luzi Stamm als prominenter Kritiker der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit und HEKS-Direktor Ueli Locher ihre gegensätzlichen Standpunkte. Moderation Markus Mugglin* Bearbeitung Dieter Wüthrich Fotos Sabine Buri

Herr Stamm, nützt Entwicklungszusammenarbeit mehr, als sie schadet, oder ist der Schaden grösser als ihr Nutzen? Luzi Stamm: Entwicklungszusammen­ arbeit nützt sicher mehr, als sie schadet. Es wäre ja anmassend zu sagen, dass in der EZA tätige Schweizer Hilfswerke mit ihrem Engagement Schaden anrichten würden.

Ueli Locher: Da stimme ich Herrn Stamm vollumfänglich zu. Oft wird zwischen öffentlicher, also staatlicher, EZA und privater EZA, wie sie beispielsweise HEKS leistet, unterschieden. Fällt da ihr Urteil gleich aus? Luzi Stamm: Da gibt es durchaus Unterschiede. Bei der staatlichen EZA muss der Grundsatz gelten, dass jeder investierte

Franken ein Maximum bringen muss. Das ist noch sehr viel wichtiger als bei der v­ on privaten Organisationen geleisteten EZA. Die entscheidende Frage ist immer und überall: Wo und wie verwenden Sie das Geld, wenn Sie zum Beispiel eine Million oder gar eine Milliarde Franken zur Verfügung haben? Als Privatperson oder als pri­vate Organisation können Sie mit dem Geld machen, was Sie wollen. Da können

«Wer sich überall engagieren will, verzettelt sich. Heute machen wir zu viel, sowohl was die Zahl der Länder betrifft als auch die der Projekte.» Luzi Stamm

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Sie zum Beispiel auch jemanden unterstützen, der es objektiv gesehen gar nicht braucht. Bei der öffentlichen EZA hingegen muss der Staat dem Steuerzahler Rechenschaft ablegen. Hier muss besonders genau darauf geachtet werden, dass der einzelne Franken gut eingesetzt wird.

Fokussieren wir auf die Schweiz. Herr Stamm, welche Note geben Sie der Schweizer EZA? Luzi Stamm: Als Politiker kritisiere ich: Die von der Schweiz eingesetzten Mittel sind vor allem dann hoch problematisch, wenn ein viel zu hoher Anteil in die

landprodukt statistisch erhöhen lässt. Ich persönlich meine, dass dies keine gute Art ist, die EZA-Gelder auszuweisen. Vor allem sollte man die beiden Bereiche – Flüchtlingshilfe und EZA – nicht miteinander vermischen. Die Wirksamkeit der EZA sollte vielmehr daran gemessen werden,

«Im internationalen Vergleich kann sich das, was die Schweiz in der EZA leistet, wirklich sehen lassen.» Ueli Locher

Dann ist HEKS als privates Hilfswerk also weniger unter Druck, Herr Lo-­ cher ... ? Ueli Locher: (lacht) Das glaube ich nun gar nicht. Unsere Geldgeber, seien dies nun Privatpersonen, Stiftungen oder etwa Kirchgemeinden, haben genau die gleichen Erwartungen. Es muss zwar keinen Return of Investment in Form von Geld geben, aber es wird sehr wohl erwartet, dass mit den uns zur Verfügung gestellten Mitteln eine positive Entwicklung der Lebensumstände der Begünstigten in Gang gesetzt wird. Bei der öffentlichen EZA gilt es zu differenzieren. Es kommt zum Beispiel darauf an, welcher Staat EZA leistet. Staaten wie die USA oder China verknüpfen die EZA mit ihren eigenen geopolitischen Interessen. Der Druck auf die EZA, die geopolitische Ausrichtung des betreffenden Landes zu unterstützen, ist in diesen Ländern ungleich viel grösser als bei vielen europäischen Staaten. Und die Schweiz hat ja keine geopolitische Agenda.

Schweiz selber fliesst. Statt angesichts der riesigen Flüchtlingsdramen die Mittel an Ort und Stelle in den Krisengebieten einzusetzen, werden unglaubliche Sum-­­ men dazu verwendet, um in der Schweiz angebliche Flüchtlinge zu finanzieren. Dass wir viel zu viele EZA-Gelder in der Schweiz selbst für Juristen, Übersetzer, Wohnungseigentümer, Sozialarbeiter etc. ausgeben, ist meines Erachtens der entscheidende Mangel.

welche positiven Veränderungen mit den Mitteln ausgelöst werden, die in den Ländern des Südens eingesetzt werden.

Ueli Locher: Das ist ein ewiger Streitpunkt in der Politik, aber auch unter EZA-Fachleuten. Wir bei HEKS sind allerdings der Auffassung, dass die Mittel, die wir hier in der Schweiz für die Flüchtlinge einsetzen, keine EZA-Gelder im eigentlichen Sinne sind.

Wo verorten denn Sie, Herr Locher, die schweizerische EZA? Ueli Locher: Ich habe vor meiner Zeit als HEKS-Direktor selber fünf Jahre in der Entwicklungsarbeit in Afrika und Asien gearbeitet und konnte auch danach auf meinen Reisen als HEKS-Direktor immer wieder zwischen Schweizer Projekten in der EZA und solchen aus anderen Ländern vergleichen. Und in diesem internationalen Vergleich kann sich das, was die Schweiz in der EZA leistet, wirklich sehen lassen. Selbstverständlich gibt es auch bei uns Optimierungspotenzial, verlaufen nicht alle EZA-Projekte erfolgreich.

Aber es wird statistisch so ausgewiesen ... Ueli Locher: Das ist leider so. Das hat damit zu tun, dass sich damit der Anteil der ein­g esetzten EZA-Mittel am Bruttoin-

Luzi Stamm: Ich kann aus meiner Optik die Aussage von Herrn Locher in Bezug auf den internationalen EZA-Vergleich be-­ stätigen. Die Schweizer Hilfe ist besser als diejenige von vielen anderen Ländern »

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EZA IN DER KRITIK

oder internationalen Organisationen. Aber wir sollten die Zahl der Länder und Projekte, die wir im Rahmen der EZA unterstützen, unbedingt reduzieren. Wer sich überall engagieren will, verzettelt sich. Heute machen wir zu viel – sowohl was die Zahl der Länder betrifft als auch die Anzahl der Projekte. Warum ist diese Diversifizierung ein Problem? Luzi Stamm: Wir sollten zum Beispiel längst darauf verzichten, EZA-Gelder in EU-Länder in Osteuropa fliessen zu lassen. Die EU hat genug Geld! Wir sollten unsere EZA auf die wirklich armen Länder auf dieser Welt beschränken. Herr Stamm, Sie haben aber vor einiger Zeit in einem parlamentarischen Vorstoss eine Erhöhung der Gelder für die humanitäre Soforthilfe zu Lasten der EZA gefordert. Besteht da nicht die Gefahr, dass dann für die langfristigen Anliegen der EZA die Mittel fehlen? Luzi Stamm: Wenn nur beschränkte Mittel da sind, fehlt immer irgendwo Geld! Da muss eben auch die Schweiz bei der Auswahl der Länder und Projekte Prioritäten setzen. Ich persönlich würde zum Beispiel Projekte wie dasjenige von Kinderarzt Beat Richner in Kambodscha unterstützen, der mit seinem Spital Menschen rettet, die sich nie eine medizinische Hilfe leisten könnten. Das sind messbare Erfolge. Es würde unserem Land deshalb gut anstehen, solche Projekte in Zukunft noch stärker zu fördern. Was die Schweiz hingegen zum Beispiel in die sogenannte Demokratieförderung steckt, ist viel zu oft in den Sand gesetzt. Da gibt es keine sichtbaren Resultate. Politisches Engagement führt sogar zu Abhängigkeiten von den Weltmächten, die mit einem Wimpernschlag alles kaputt machen können.

Ueli Locher: Was Beat Richner macht, würde ich nicht als humanitäre Soforthilfe, sondern als klassische Entwicklungs­ zusammenarbeit bezeichnen. Er baut Infrastrukturen auf, er stellt Leute ein, die die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherstellen. Ich möchte aber grundsätzlich davor warnen, die humani-

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täre Soforthilfe und die längerfristige EZA gegeneinander auszuspielen. Es braucht beides. Nach einer Katastrophe geht es zuerst einmal um das nackte Überleben. Die EZA ist hingegen dazu da, die Lebensgrundlagen und -umstände dieser Menschen so zu verändern, dass sie längerfristig ein besseres Leben führen können, ohne Hilfe von aussen in Anspruch nehmen zu müssen. Luzi Stamm: Sicher braucht es beides. Und es ist natürlich positiv, wenn sich private Hilfswerke in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren. Was die offizielle Entwicklungspolitik der Schweiz betrifft, so ist für mich immer noch das Rote Kreuz wegweisend. Wenn wir uns an die Umstände seiner Gründung durch Henri Dunant als Reaktion auf die Schlacht von Solferino erinnern, so führt uns das vor Augen, wie wichtig es ist, die Nerven zu bewahren und in einem Konflikt nicht Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen, sondern sich allein auf die Linderung menschlichen Leids zu konzentrieren. Und darum sollte die offiziel­le Schweiz ihre Mittel vor allem für die Linderung der Folgen solcher humanitärer Katastrophen einsetzen. Probleme in EZA-Projekten transparent zu machen und Fehler einzuräumen, birgt doch immer auch die Gefahr rückläufiger Spendenerträge. Wie geht HEKS mit diesem Dilemma um? Ueli Locher: Probleme und Fehler im Zeitalter des Internets und der sozialen Medien lassen sich nicht unter dem Deckel halten. Ich sehe das Für und Wider einer offenen und ehrlichen Kommunikation deshalb auch ganz pragmatisch. Das Risiko eines nachhaltigen Reputationsschadens ist um ein Vielfaches geringer, wenn wir von uns aus proaktiv kommunizieren, statt darauf zu warten, dass wir durch die mediale Berichterstattung dazu gezwungen werden. Herr Stamm, sollte die Schweiz angesichts ihres Reichtums nicht noch viel mehr EZA leisten? Luzi Stamm: Entscheidend ist doch nicht die Frage der Quantität, sondern der Qua­­lität. Und da gilt es eben Prioritäten zu

setzen. Wenn ich zum Beispiel im Zusammenhang mit den syrischen Flücht­lingen zu entscheiden hätte, wo das Geld eingesetzt werden soll, dann würde ich alle Mittel demonstrativ im Grenzgebiet Syrien selber einsetzen und unsere Hilfe an die Bedingung knüpfen, dass die Menschen in ihrer Herkunftsregion bleiben. Wenn wir die extrem hohen Summen, die wir im Inland für das Asylwesen einsetzen, in die EZA im Ausland investieren würden, könnten wir viele Probleme in diesen Ländern viel wirksamer lösen. Ueli Locher: Herr Stamm, Sie blenden allerdings aus, dass die Situation für die Menschen in Syrien unerträglich und lebensgefährlich ist. Deshalb habe ich grösstes Verständnis dafür, dass diese Menschen an einen Ort gelangen wollen, wo sie nicht Tag und Nacht an Leib und Leben bedroht sind. Herr Locher, Sie treten nach acht Jahren als HEKS-Direktor ab. Welches ist Ihre wichtigste Erkenntnis, die Sie im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gewonnen haben? Ueli Locher: Ich habe vor allem eines gelernt, nämlich bescheiden zu bleiben. Wir müssen uns realistische Ziele setzen: Wir können zwar mit unseren bescheidenen Mitteln im Kleinen Grosses bewirken, aber wir können nicht die Weltpolitik verändern. Und eine zweite Erkenntnis, die mich mit grosser Besorgnis erfüllt: Für zivilgesellschaftliche Hilfsorganisationen wie HEKS ist es in vielen Ländern zunehmend schwierig geworden, sich zu engagieren. Sobald man von Menschenrechten spricht oder die Zivilbevölkerung über ihre Rechte informieren und aufklären will, muss man mit staatlichen Restriktionen rechnen. Zu leiden haben darunter immer die Ärmsten und Schwächsten. Umso mehr brauchen sie aber unsere Unterstützung.

* Markus Mugglin war während 25 Jahren als Redak­tor bei Schweizer Radio SRF tätig, unter anderem als Leiter des traditionsreichen Politma­gazins «Echo der Zeit». Er ist ein profunder Kenner der schweizerischen Entwicklungspolitik. Heute arbeitet er als freischaffender Journalist und Ökonom zu Themen der Globalisierung.


BLICK HINTER DIE KULISSEN Entwicklungszusammenarbeit – wie funktioniert das eigentlich? Wie entsteht ein Projekt, und welche Phasen durchläuft es? Erfahren Sie mehr über «unser Handwerk» anhand eines konkreten Projektbeispiels in Niger.

schlichten. Doch die Umsetzung des Code Rural geht nur schleppend voran. Längst gibt es noch nicht überall Landkommissionen und dort, wo sie bereits existieren, funktionieren sie häufig nur unzureichend.

Text Corina Bosshard Foto Heidi Keita

Projektziele Ziel des HEKS-Projekts ist es, ein friedliches Zusammenleben von ViehzüchterInnen und sesshaften Bauernfamilien zu fördern, indem in der Region Maradi in breit abge­ stützten Konsultationsverfahren mit allen Betroffenen – Nomadisierenden und Sess­ haften – klar demarkierte Durchgangskorridore für Viehherden und Weideland-Zonen ausgehandelt und festgelegt werden. Diese sollen mit Begrenzungspfosten und Hecken markiert werden.

Im Projekt «Schutz für nomadische Viehzüchterfamilien in Maradi» geht es darum, Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Bauernfamilien zu verhindern. Diese beiden Gruppen kommen sich im Sahelland Niger nämlich zunehmend in die Quere. Projektkontext Auf der Suche nach Wasser und Weideflächen wandern mobile Viehzüchter zum Ende der Regenzeit über Hunderte Kilometer vom trockenen Norden des Landes in die Ackerbauzone des Südens, wo ihre Herden die abgeernteten Äcker beweiden. Nach den ersten Regenfällen im Juli kehren sie zurück, damit die Bauern erneut die Felder bestellen können. Doch aufgrund der wiederkehrenden Dürren und des enormen Bevölkerungswachstums werden die natürlichen Ressourcen in Niger immer knapper. Dies hat zur Folge, dass die Bauern ihre Felder immer

öfter in den für die Viehzüchter bestimmten Weidekorridoren bestellen. Die sich normalerweise in ihren Wirtschaftsformen ergänzenden Ackerbauern und Viehzüchter stehen sich zunehmend im Kampf um dieselben natürlichen Ressourcen gegenüber. Während der jährlichen Wanderbewegungen kommt es daher oft zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Um dies zu vermeiden, verabschiedete die nigrische Regierung bereits 1993 den «Code Rural», ein Rahmengesetz, das die Landnutzungsrechte für die sesshafte ländliche Bevölkerung regelt und gleichzeitig Räume für die Viehzucht sichert. Ein wichtiger Bestandteil des Code Rural ist die Einrichtung von Landkommissionen, zusammengesetzt aus VertreterInnen der Regierung sowie der einzelnen Nutzergruppen. Die Kommissionen sollen dafür sorgen, dass die Durchgangswege respektiert werden, und Landkonflikte

Auch der Zugang zu Wasser führt immer wieder zu Konflikten zwischen Bauern und Viehzüchtern. Um die Lage zu entschärfen, will das Projekt entlang der Durchgangskorridore Brunnen bauen und defekte Brunnen reparieren. Das Projekt soll auch den Aufbau von gut ausgebil­ deten Landkommissionen auf Dorf-, Distrikts- und Departementsebene fördern, wie vom Code Rural vorgesehen. Auf der folgenden Doppelseite ist der Projektverlauf – von der Projektidee bis zum heutigen Stand – grafisch abgebildet.

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Links: Die Durchgangskorridore für die Viehherden sind mindestens 50 Meter breit und werden mittels rot-weisser Betonpfosten markiert.

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6 HEKS Baja

Saidawa Konkorma

1

2

6.2 CTB

Zongon Dédé

Gidan Assaka

May Gachi

5

Dan Koulou

Soké Soké Saboa

4 CTB Garin Bizo

4 Moforawa

Gondama Serkin Aréwa

3 HEKS

Mayrakouma

Daboubou

Rouga Mai Layou

Sansamé

Garin Nanaya Kouka Dan Bako

Sarkin Hatsi

Guidan Ato

Rechts: Mögliche Nord-Süd-Korridore wie auch geplante Brunnen und Weidegebiete wurden vom Projektteam voridentifiziert und kartografisch festgehalten. In Rot der Durchgangskorridor im Departement Mayayi, an dem im Projekt zurzeit gearbeitet wird.

Guidan Meyda

Dan Baou 14°20'

Guidan Tanko Garin Bala Katoley

Samia Andi

Dan Gao

Kotya

Azarori El Mayahi Mallamawa

Garin Galadima Algoum

Bantacha

Guidan Tanko

Mai Douma

Dan Zao

Rapka

Kankalé Majikay

May Kiéléwa Linkidim

Guidan Gagéré

Guidan Nakaora Rougar Moussa (kaka)

Janrwa

Djibbi Inkidi

Koudou Baro

Labara

Zongon Kankaré

Guidan Bara Guidan Magagi Bara

Garin Agali

Dan Gado In Gawa

Dadin Tamro Al Moktar

Guidan Bawa

Gakwey TCHAKYÉ

May Bagay Guidan Koré

Garin Wari

Dan Ila

Tchaké Batchiri

Tossa

Dan Askya Hassane

Farou Bakey

Sakawa

Dan Albawa Gisgué

Dan Amaria

Djali

Salifawa

Gourbabo

ATANTANÉ Toulou Bouché

Guidan Atchié

Djilguigé

Inyélwa Sarékou

Litao

ISSAWAN Nwala Maydoubou

Guidan Kata

Gourjougou Wala

Rougga Hamadi

Aytaden

Gangara

GOULBI N May Yara

MAYAHI KA

Loda

B

Korén Abjia Guidan Koussaw

Ita Sofoua

Mayléllé Baba

Maygizon Aréwa

Guidan Bara

14°

Kowa Gwani

Kabirgui

Koufan Agoua

Guidan Antou

Guidan Ibrahim

Kago

Boultou

Guidan Issa Toukounda

Karé Dahaouka

Dalawa

A Dan Kori

Dan Bakoy

Tambarawa

Danko

Dan Goulbi

Araourayé

KANAN BAKATCHÉ

Dan Mairo Dan Tsountsou

Maissakari

SERKIN HAOUSSA Kahin Kossaou

Malamawa Zarso

Maché Jambaouchi

Dan Galadima

Guidan Ranaou

Kadakay

Atchi lafia

Tobana

Barkégé

TESSAOUA

Guidan Kibia

Dan Maimouna Sirdawa

Echelle

Karoubini

Malamawa Oura

0 7°20'

Guidan Maga

Wakasso

7°40'

10 km 8°00'

PROJEKTIDEE

AKTIVITÄTEN PROJEKTPHASE I

Die Projektidee wurde vom HEKS-Landesdirektor in Niger, Maman Mansour Moutari, eingebracht. Bevor der 53-jährige Geologe im Jahr 2008 das HEKS-Koordinationsbüro in Niamey übernahm, war er in Niger für die DEZA tätig. In dieser Funktion war er mass­ geblich am Aufbau eines Projekts zur Siche­rung von Korridoren für Vieh-­ züchterfami­lien entlang der Nord-Süd-Routen beteiligt. Diese Erfahrung und Expertise veranlasste HEKS dazu, ein Pilotprojekt zu starten mit dem gleichen Ansatz, jedoch in einem an­deren geografischen Gebiet.

– Organisation von diversen Foren mit den ver­schiedenen Nutzergruppen, um den Verlauf der Korridore und den Zugang zu Weideland aus­zuhandeln. – Kartografierung und Kennzeichnung der Korridore und Weidegebiete (mit Betonpfosten und Hecken). – Unterstützung beim Aufbau von 32 Land­ kommissionen und Organisation von 20 Ausbildungs-Workshops für ihre Mitglieder. – Bau oder Reparatur von 26 Brunnen entlang der Korridore. – Organisation von Sensibilisierungskampagnen (z.B. Friedenskarawanen durch die betroffenen Dörfer oder Ausstrahlung von Radiosendungen). – Landwirtschaftliche Unterstützung von rund 500 sesshaften Bauernfamilien entlang der Kor­ridore (Ausbildung in neuen Produktions­techniken, Unterstützung mit Saatgut).

VORABKLÄRUNGEN Das Team des HEKS-Koordinationsbüros in Niger machte mehrere Abklärungsmissionen im Projektgebiet, um sich mit den verschiedenen Akteuren über die Pro­jektidee auszutauschen. Wanderrouten der Viehzüchter­ familien wurden beobachtet und Konflikte dokumentiert. So konnten die geplanten Durch­ gangskorridore wie auch verfügbares Weideland kartografisch vor­identi­fiziert werden. Die für die Umsetzung des Projekts verantwortliche Projekt­ koordinatorin wie auch die weitere Projekt­equipe wurden vom HEKS-Koordinationsbüro rekrutiert. Das Pro­­jekt­team zeichnet sich durch einen grossen Erfah­rungsschatz im Bereich der pastoralen Mobilität aus.

PROJEKTANTRAG VON GESCHÄFTSLEITUNG BEWILLIGT

2010 10

2011

JAHRESBERICHT

JAHRESBERICHT

2012


PROJEKTKOSTEN 2014 Investierter Betrag: CHF 351 400 Sensibilisierungs- Aufbau Landkampagnen kommissionen Infrastruktur Personal

5%

12%

2%

5%

Sicherung Korridore und Weidegebiete

23%

Brunnen- und Latrinenbau

Landwirtschaftliche Unterstützung

42%

11%

EVALUATION

AUSBLICK

Die erste Projektphase wurde in der Evaluation des HEKS-Landesprogramms Niger 2009 – 2012 von zwei externen Konsulenten evaluiert.

Das Projekt leistet einen wichtigen Beitrag an den Aufbau der Strukturen des Code Rural und könnte sich zu einem Kompetenzpool im Bereich Sicherung der pastoralen Mobilität entwickeln. Das Projekt könnte geografisch weiter ausgedehnt werden und so auch die schwierigen Fragen der Mobilität von Viehzüchtern über die Grenze Niger-Nigeria aufgreifen.

Erfolge In der Projektphase I konnten fünf Korridore von 531 km Länge ausgehandelt und markiert werden. Dank der gebauten Brunnen haben die nomadisierenden Viehzüchter nun einen besseren Zugang zu Wasser – dies entlastet die Dorfbrunnen, deren Nutzung durch Viehzüchter häufig zu Konflikten führte. Wurden zu Beginn des Projekts rund zwanzig Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Bauern registriert, sank die Zahl bis zum Ende der Projektphase auf null. Die lokale Bevölkerung wie auch die Behörden stehen hinter dem Projekt. So be­willigte etwa ein Bürgermeister die Finan­zierung des Aufbaus von zehn lokalen Landkommissionen über das Gemeindebudget. Bisher wurde dies von HEKS finanziert. Dies zeigt die Bereitschaft auf lokaler Ebene, das Projekt mit eigenen Mitteln weiter­zutragen. Schwierigkeiten Der Bedarf der nomadisierenden Viehzüchter nach Wasserstellen entlang der Korridore wurde unterschätzt. Auch wurde es versäumt, die teils stark degradierten Weideflächen von Unkraut zu befreien und wieder nutzbar zu machen. In Phase II wurde daher ein stärkerer Fokus auf die Wasserversorgung entlang der Korridore wie auch auf die Regenerierung der Weideflächen gelegt.

JAHRESBERICHT

2013

Sorgen bereitet der HEKS-Programmbeauftragten für Niger, Heidi Keita, jedoch die fragile Sicherheitslage in Niger. Für EuropäerI­nnen besteht eine er-­­ höhte Entführungsgefahr. Projektbesuche aus der Schweiz können daher nicht immer wie geplant durchgeführt werden.

PROJEKTPHASE II In der laufenden Projektphase wurden bis jetzt: – in 14 Foren rund 300 km Durchgangskorridore ausgehandelt und markiert, – 6 Sensibilisierungskampagnen durchgeführt und 73 Radiosendungen ausgestrahlt, – 35 Landkommissionen gegründet und deren Mitglieder ausgebildet, – 13 neue Brunnen gebaut und 4 repariert, – 480 ha Weideland entlang der Korridore frisch angesät.

JAHRESBERICHT

2014

2015

2016 11


EZA IN DER KRITIK – MEINUNGEN HEKS lässt Kritiker und Kritikerinnen der EZA zu Wort kommen und gibt Antworten auf die unterschiedlichen und auch berechtigten Argumente.

HERBERT WIDMER (49), STÄFA

«Ich spende nicht für Entwicklungszusammen­arbeit. Ich bin der Meinung, dass es nicht förderlich ist, Geld zu verteilen, ohne dafür eine Gegenleistung einzufordern. Die Empfänger von Entwicklungshilfegeldern müssen sich so gar nicht anstrengen, um selbst Lösungen für ihre Probleme zu finden. Im schlechtesten Fall gewöhnen sie sich an den Geldsegen und sind ohne diesen kaum mehr überlebensfähig. Korruption ist ein weiteres grosses Problem. Anstatt dass das Geld bei den Bedürftigen ankommt, wird ein Grossteil davon bereits vorher von korrupten Regimen abgezweigt.» HEKS ANTWORTET: «Sie haben völlig recht, eine nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn sie die Betroffenen selbst in die Hand nehmen. HEKS macht daher auch keine Geschenke, sondern erwartet von den Projektteilnehmenden Eigeninitiative. HEKS-Programme arbeiten an der gesellschaftlichen Basis mit lokalen Partnerorganisationen. Mit Unterstützung dieser Organisationen definieren die Betroffenen selber ihre jeweiligen Bedürfnisse und suchen nach Lösungen, wie ihre soziale und wirtschaftliche Situation verbessert werden kann. Das Risiko, dass Mittel der Entwicklungszusammenarbeit missbraucht werden, besteht. Auch HEKS hat damit in mehreren Ländern schon Erfahrungen machen müssen. Abmachungen, die die NutzniesserInnen selber einbinden, und Transparenz bei der Verwendung der Mittel helfen jedoch, den Missbrauch von Hilfsgeldern zu minimieren.»

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REINHARD MARGELISCH (41), DIESSBACH BEI BÜREN

«Ich habe Mühe mit der Emotionalisierung der EZA. Oft dramatisieren Hilfsorganisationen die Verhältnisse, um möglichst viele Spenden zu generieren. Gerade Sammelaktionen zur Weihnachtszeit, die einen riesigen Hype um die EZA produzieren, zielen darauf ab, die Menschen aus einer momentanen Emotion heraus zum Spenden zu animieren. Der Aspekt der Nachhaltigkeit kommt dabei zu kurz. Hilfsor­ ganisationen sollten den Menschen fun­diertes Wissen vermitteln, das ihre Haltung verändert und sie dazu bewegt, sich das ganze Jahr über für benachteiligte Menschen und die Verbes­ serung von Notständen auf dieser Welt einzusetzen.» HEKS ANTWORTET: «Es gibt viele Menschen, die aufgrund von Emotionen spenden. Vor allem im letzten Quartal des Jahres, wenn Weihnachten naht, möchten viele Gutes tun. Sie wollen nicht nur ihre Familie beschenken, sondern mit einer Spende dazu beizutragen, das Leben für Benachteiligte zu verbessern. Natürlich profitieren Hilfswerke von diesem Bedürfnis und werben mit entsprechenden Angeboten. Auch HEKS. Uns ist es aber sehr wichtig, dass wir neben der Bitte um eine Spende sensibilisieren und infor­ mieren, denn Sie haben recht: Nur eine Änderung im Verhalten gegenüber den Schwachen und Ausgegrenzten in unserer Gesellschaft und die Befähigung dieser Leute, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können, bringt nachhaltige Entwicklung – und das nicht nur an Weihnachten!»


NAOMI JONES (44), BERN

«Ich spende nicht oft für EZA-Projekte. Ich spende eher für die Flüchtlingshilfe, die mich direkter betrifft und mich entsprechend berührt. Entwicklungszusammenarbeit hat aus meiner Sicht oft etwas Bevormundendes. Viele Hilfsorganisationen glauben zu wissen, was die Begünstigten brauchen, ohne diese Menschen zu fragen, was ihre tatsächlichen Bedürfnisse sind. Hilfsorganisationen sollten verstärkt Entwicklungspolitik betreiben, damit die Regierungen die nötigen politischen Rahmenbedingungen bereitstellen und die Bevölkerung ihre Lebensbedingungen selbstbestimmt verbessern kann.» HEKS ANTWORTET: «Selbstverständlich muss sich Entwicklungszusammenarbeit immer an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientieren. Deshalb arbeitet HEKS in seinen Projekten immer mit lokalen Partnerorganisationen zusammen. Deren Mitarbeitende sind mit den Lebensumständen, den Problemen und Bedürfnissen der Bevölkerung vertraut. Sie wissen deshalb sehr genau, in welcher Form und in welchem Umfang die Menschen tatsächlich Unterstützung brauchen. Ein zentrales Element des Engagements in der Entwicklungszusammenarbeit von HEKS ist die an­ waltschaftliche Arbeit. Wir unterstützen Menschen in ihrem Be­stre­ben, eine reale Partizipation an den Entscheidungsprozessen der Regierung und anderer wichtiger Organe zu erreichen. Die anwaltschaftliche Arbeit von HEKS ist damit auch ein wichtiger Faktor zur Stärkung der Selbstkompetenz von Menschen mit einem Rechtsanspruch.»

THOMAS FERON (24), PALÉZIEUX

«Ich spende nicht für Entwicklungsprojekte. Ich engagiere mich lieber politisch in der Schweiz und unterstütze NGO, die hier vor Ort handeln. Denn indem ich mich hier engagiere, kann ich im Ausland etwas bewirken. Was mich an vielen im Ausland tätigen NGO stört, ist ihr imperialistischer Ansatz. Einige bezahlen ihren ins Ausland entsandten Mitarbeitenden hiesige Gehälter, beuten aber ihre Mitarbeiter vor Ort aus und verwehren ihnen gewerkschaftliche Rechte. Ausserdem zwingen sie den Menschen Denk- und Handlungsweisen auf, die sich nicht mit lokalen Gegebenheiten vereinbaren lassen.» HEKS ANTWORTET: «Auch HEKS ist der Ansicht, dass es manchmal Aktivitäten hier in der Schweiz braucht, um die Lebensbedingungen von Menschen in anderen Ländern zu verbessern. HEKS setzt daher auf die Sensibilisierung der Schweizer Öffentlichkeit zu gewissen Themen und beteiligt sich an schweizweiten Kampagnen von NGO-Koalitionen wie etwa der Klima-Allianz oder der ‹Recht ohne Grenzen›-Kampagne. Was den imperialistischen Ansatz von im Ausland tätigen NGO betrifft, geben wir uns grösste Mühe, nicht in diese Kategorie zu fallen. Die Entwicklung und Umsetzung unserer Projekte er­folgt wo immer möglich in einem partnerschaftlichen Dialog mit den Betroffenen. Wir entsenden auch generell keine Mitarbeitenden ins Ausland, sondern wir arbeiten eng mit lokalen Partnern vor Ort zusammen, da wir davon ausgehen, dass diese die lokalen Gegebenheiten am besten kennen und verstehen, welche Form der Unterstützung nötig und sinnvoll ist.»

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GHANA Illegale Goldgr채ber in der Mine von Obuasi in der Region Ashanti Foto George Osodi/Panos



EZA IN DER KRITIK

AUF ERFOLGE BAUEN, AUS MISSERFOLGEN LERNEN Herausragende Erfolge im Landkampf, aber eine unzureichende Breitenwirkung bei den landwirtschaftlichen Aktivitäten. Überzeugende Programmkomponenten, aber eine ungenügende Verknüpfung und Synergiennutzung. HEKS hat in Indien viel erreicht, aber es gibt Verbesserungspotenzial. Das neue Indien-Landesprogramm 2015– 2018 will dieser Erkenntnis Rechnung tragen. Text Corina Bosshard Fotos Karin Desmarovitz

HEKS arbeitet bereits stolze 57 Jahren in Indien. Das erste HEKS-Entwicklungsprojekt in Südindien war eine mechanische Lehrwerkstätte für ländliche Jugendliche in Kerala. In den folgenden Jahren realisierte HEKS mit indischen Partnerorganisationen diverse Projekte für benachtei-

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ligte und marginalisierte Bevölkerungs­ ruppen wie etwa Kastenlose (Dalit), g Frauen oder Indiens Ureinwohner (Adivasi). Im Jahr 1997 wurden die Projektaktivitäten auf drei Gliedstaaten in Südindien be­schränkt, und ab 2009 wurde auch der

thematische Fokus des Indien-Programms enger gefasst: Die Projekte konzentrierten sich nun stärker auf den Zugang zu Land für marginalisierte Bevölkerungsgruppen und auf diverse Aktivitäten zur Urbarmachung und Nutzung des mobilisierten Landes.


Die Zeit von Januar 2013 bis Dezember 2014 wurde schliesslich zur Übergangsphase erklärt, um die thematische Neuausrichtung einzuleiten. HEKS-Partner­ organisationen in den Bundesstaaten Andhra Pradesh und Karnataka begannen im Oktober 2013 mit dem Aufbau eines Wertschöpfungsketten-Programms in den Bereichen Cashewnüsse und Ragi (Fingerhirse). Im September 2014 wurden eine weite­re Evaluation durch den externen Konsu­ lenten und ein HEKS-interner Workshop in Indien durchgeführt, um die Aktivitäten im Bereich Wertschöpfungsketten zu evaluieren und aus den Ergebnissen das neue Indien-Landesprogramm 2015– 2018 zu skizzieren.

SYNERGIEN BESSER NUTZEN Oben: Familie Bhumela hat mit HEKS-Unterstützung ein Stück Land erkämpfen können, auf dem sie nun Cashewnuss-Bäume anpflanzen möchte. Unten: Tomatenernte in Kattogadda. Diese Familien können von ihrem Stück Land bereits ein Einkommen erwirtschaften.

Ein Ziel – diverse Projektkomponenten Im Jahr 2003 gründete HEKS in den drei Bundesstaaten, in denen es tätig ist, Landrechtsforen, die die Aktivitäten der verschiedenen HEKS-Partnerorganisationen im Bereich Landkampf koordinieren. Die Organisationen treffen sich in diesen Foren regelmässig, tauschen Informationen aus, besprechen Strategien und planen gemeinsame Aktivitäten. Sie helfen Landlosen und Menschen ohne gesicherte Landtitel durch die administrativen Mühlen und den Gesetzesdschungel hindurch, bis sie gesicherten Zugang zu einem eigenen Stück Land erhalten. Land zu mobilisieren hat aber wenig Sinn, wenn dieses von den betroffenen Familien nicht auch bewirtschaftet und genutzt werden kann. Aus diesem Grund fördern HEKS-Partner in der Programmkomponente «SEASON» eine nachhaltige Landwirtschaft mit traditionellen Getreide­ sorten. Dies geschieht etwa durch das An­legen von Gemüsegärten, durch die Herstellung und Anwendung von organischen Düngemitteln und Pestiziden sowie durch den Aufbau von Saatgutzentren.

Der Programmbeauftragte Adrian Scherler hat die Verantwortung für das Indien-Programm vor zwei Jahren übernommen, den Evaluationsprozess gesteuert und gemeinsam mit dem Landesdirektor in Indien das neue Landesprogramm verfasst. Mit ihm sprach Corina Bosshard.

Ausserdem werden die Projektbegünstigten in der Programmkomponente «LRM» («Local Resource Mobilisation») darin unterstützt, staatliche Dienstleistungen zur Entwicklung und Bewirtschaftung des erkämpften Landes einzufordern, wie etwa die Einrichtung von Brunnenbohr­ löchern oder das Bereitstellen von Elektri­ zität. HEKS-Partnerorganisationen klären die Menschen über ihre Rechte auf und helfen ihnen, diese Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Evaluation und Neuausrichtung Das Landesprogramm 2008–2012 wurde am Ende der Programmphase durch einen externen Konsulenten evaluiert. Seine Empfehlung: HEKS sollte in Indien damit weitermachen, worin es am besten ist: mit der Landmobilisierung. Doch gemäss dem Konsulenten sollten die neuen LandbesitzerInnen verstärkt in Wertschöpfungsketten eingebunden werden, so dass sie für die Produkte, die sie auf ihrem Land anbauen, einen Absatzmarkt mit fairen Preisen finden.

Adrian Scherler, was ist das wichtigste Fazit aus den Evaluationen? Die Landrechtsforen sind der grösste Erfolg von HEKS in Indien: HEKS-Partner­ organisationen konnten zwischen 2009 und 2014 Land für rund 69 000 Dalitund Adivasi-Familien mobilisieren. HEKS Indien will sich daher in der nächsten Programmphase in erster Linie auf die »

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EZA IN DER KRITIK

Was heisst das konkret? Etwa nahmen bisher viele Familien am «SEASON»-Programm teil, die aber kein eigenes Land besassen. Andererseits wur-­ ­­den nicht alle Familien, die dank HEKS Land erkämpft hatten, auch in die «SEASON»- und «LRM»-Aktivitäten eingebunden, so dass sie ihr neues Land nur un­genügend oder gar nicht nutzen konn­ten. Auch fehlte den Projekten eine Followup-Komponente: Es wurde nicht syste­ matisch erfasst, wie es den neuen Landbe­sitz­ern nach ein paar Jahren mit dem neuen Land erging. Dies soll sich in der neuen Programm­ phase nun ändern? Ja. Hauptfokus soll sein, die Familien, die um ein Stück eigenes Land kämpfen, im ganzen Kreislauf zu begleiten: von der Landmobilisierung über die nachhaltige Bewirtschaftung des erkämpften Landes bis zum Absetzen der angebauten landwirtschaftlichen Produkte. Die Cashewnuss- und Ragi-Vermarktung kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Was ist mit den weiteren Programmkomponenten? Diese werden nicht als separate Programmkomponenten weitergeführt, sondern vielmehr in Landmobilisierungsund Landbewirtschaftungsaktivitäten eingegliedert. Idealerweise werden die Aktivitäten in Zukunft von Animatoren in den Dörfern eigenständig, ohne HEKSUnterstützung, weitergeführt. Denn langfristiges Ziel ist – wie in jedem anderen HEKS-Projektland – auch in Indien, dass Strukturen aufgebaut werden, die weiterfunktionieren, auch wenn HEKS sich einmal aus Indien zurückziehen wird.

Arbeit der Landrechtsforen konzentrieren und diese unterstützen, auch in Zukunft nachhaltig und selbstständig arbeiten zu können.

Auf die Aussaat folgt die Ernte und schliesslich die Fahrt zum lokalen Markt, wo die Produkte verkauft werden.

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Was lief weniger gut? Wo gab es Miss­ erfolge? Man musste feststellen, dass die landwirtschaftliche Unterstützung im «SEASON»-Programm nicht die gewünschte Breitenwirkung erzielte: Nur rund ein Drittel der Begünstigten konnte von den Interventionen nachhaltig profitieren. Zudem zeigte sich, dass die Synergien zwischen den einzelnen Programmkomponenten zu wenig genutzt wurden und dass diese oft etwas verzettelt angewendet wurden.

Indien ist eine aufstrebende Wirtschaftsmacht. Braucht es da überhaupt noch Entwicklungshilfe? Das Schwellenland Indien erlebt derzei­tig effektiv einen bedeutenden Wirtschaftsboom. Von diesem Aufschwung profi­ tiert jedoch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt nach wie vor unter der Armutsgrenze. Der Wirtschaftsboom Indiens verschärft zudem die Konflikte um Land und Ressourcen. Genau in dieser Phase benötigen die Kleinbauernfamilien unsere Unterstützung. Sobald unsere Partnerorganisationen und Landrechtsforen ge­nügend gestärkt sind, können wir ihnen die Projektverantwortung endgültig übergeben und uns schrittweise aus Indien zurückziehen.


EZA IN DER KRITIK – MEINUNGEN

GERHARD ITEN (65), ZÜRICH

«Ich spende nicht, wenn die Verwaltungskosten sehr hoch sind. Das Engagement einer Organisation muss uneigennützig sein, und es darf sich niemand daran bereichern. Zudem müssen die Rechnung und die Kommunikation transparent sein, denn als Spender will ich wissen, wie ein Projekt durchgeführt wird und ob das Geld wirklich ankommt. Je grösser eine Organisation, und je weniger ich erkennen kann, wie diese Organisation aufgestellt ist, desto eher zögere ich, zu spenden.» HEKS ANTWORTET: «HEKS verfügt über das Zewo-Gütesiegel. Dieses bestätigt, dass eine Organisation einen gemeinnützigen Zweck verfolgt und die Spenden wirkungsvoll zur Erfüllung dieses Zwecks einsetzt. Das Gütesiegel wird unter anderem nur dann verliehen, wenn die betreffende Organisation einen haushälterischen und verantwortungsvollen Umgang mit Verwaltungskosten nachweist. Bei HEKS lag der Anteil der Verwaltungskosten (Kosten für Administration, Kommunikation und Fundraising) im Jahr 2014 bei 13,4 Prozent. Dieser Wert liegt weit tiefer als der Durchschnitt der zertifizierten Organisationen. Aber trotzdem braucht es ein Minimum an Administration: zum Beispiel für Qualitätsmanagement. Wenn ein Projekt oder Programm möglichst breit wirken soll, muss es gut umgesetzt werden. Das bedingt Kontrollen und Evaluationen. Und wenn Spendende erfahren sollen, was mit den Mitteln geschieht, müssen detaillierte Jahresberichte und Statistiken erstellt werden. HEKS hat zudem einen umfassenden Transparenzkodex veröffentlicht. Damit soll Klarheit über Defi­ nition, Grundsätze und Praxis transparenter Kommunikation geschaffen werden. Gleichzeitig nimmt HEKS jährlich eine Standortbestimmung vor, um bestehende Mängel bezüglich Transparenz zu erkennen und Massnahmen zur Verbesserung einzuleiten.»

KATRIN SANTSCHI (34), BERN

«Ich denke, dass die EZA bis zu einem gewissen Grad die Regierungen in den Entwicklungsländern aus der Verantwortung nimmt: Wenn Hilfsorganisationen die Bildung fördern, nehmen sie eine Aufgabe wahr, die eigentlich die Regierung übernehmen müsste. Darum sollten sich die Hilfsorganisationen verstärkt auch auf politischer Ebene einsetzen und die Regierungen in die Verantwortung nehmen. Hilfsorganisationen sollten auch ihre eigenen Regierungen in die Pflicht nehmen, damit diese beispielsweise mit wirtschaftspolitischen Massnahmen Druck auf die Regierungen in den Entwicklungsländern ausüben, ihre Verantwortung für die Verbesserung der Lebensbedingungen wahrzunehmen.» HEKS ANTWORTET: «HEKS engagiert sich im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit vor allem dort, wo staatliche Strukturen und Angebote nicht greifen bzw. gar nicht vorhanden sind. Gleichzeitig steht HEKS entweder direkt oder über seine lokalen Partnerorganisationen vor Ort im Dialog mit Regierungen und Behörden, damit diese ihre rechtliche und moralische Verantwortung verstehen und wahrnehmen. Auch in der Schweiz steht HEKS stets in engem Kontakt mit den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern, um sie für die Situation in den Projektländern zu sensibilisieren, über die Entwicklung zu informieren und so Einfluss auf Gesetzgebung und Rechtsprechung zu nehmen.»

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EZA IN DER KRITIK

AN DIE SCHOLLE GEBUNDEN In der Republik Moldau, im ehemaligen Obstgarten und Weinbaugebiet der Sowjet­ union, findet eine Rückbesinnung statt. Nach dem Ende der Kolchosen binden sich innovative Landwirte wieder freiwillig an die Scholle. Der Bauer wird neu erfunden. Text Martin Woker Foto Mihai Vengher

Ziel des HEKS-Projekts ist die Verbesserung der Einkommen und

Massenarmut, Menschenhandel, Migration. Auf der Republik Moldau lastet ein Fluch. Seit ihrer Unabhängigkeit vor 24 Jahren sorgt die einstige Sowjetrepublik stets nur für negative Schlagzeilen. Das rund dreieinhalb Millionen Einwohner zählende Land belegt im europäischen Ranking der Emigranten-Rimessen seit Jahren den Spitzenrang. Hunderttausende von Moldauerinnen und Moldauern verdienen ihr Geld ausschliesslich oder zeitweise im Ausland; nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Vorbei sind die Zeiten, da es im blühenden Agrarstaat gut bezahlte Lohnarbeit in den Kolchosen gab, mit Überstundenregelung und Ferienanspruch. Der real existierende Sozialismus hatte die Bauern zwar von ihrer Bindung an die Scholle gelöst. Eine bleibende Befreiung aber war’s nicht. Kleinbauern wider Willen Die Moldau hat mit ihren vorzüglichen klimatischen Bedingungen und fruchtbaren Böden während Jahrhunderten arbeitsame Bauern aus halb Europa angezogen. Sie liessen sich in den lieblichen Hügeln und weiten Flächen nieder, brachten heimisches Saatgut mit und liessen blühende Siedlungen entstehen. Zum Beispiel Burlacu. Das im südlichen Verwaltungsbezirk Cahul gelegene Dorf, einst Alexandrowka geheissen, zählt heute 2500 Bewohner. Gegründet wurde es 1908 von deutschen Kolonisten. Gut dreissig Jahre später wurden sie wie alle andern Bessarabien-Deutschen in Folge der sowjetischen Besetzung nach Deutschland umgesiedelt. Dem heute mehrheitlich von rumänisch sprechenden Moldauern und einer bulgarischen Minderheit besiedelten Ort haftet bis heute der Ruf von der Tüchtigkeit seiner Bewohner an. Einer von ihnen ist Petru Mihow, Vorsitzender der Tafeltrauben-­ produzenten der Region Cahul. Der stämmige und selbstsicher auftretende Agronom bewirtschaftet derzeit 2000 Hektaren Land und hat gegen hundert Angestellte auf der Lohnliste. Doch zufrieden ist er nicht. «Meine Generation opfert sich, weil wir den russischen Markt verloren haben», sagt er. Mihow ist einer,

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der stets an die Zukunft der Landwirtschaft glaubte und dies immer noch tut. Als die Kolchosen nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Systems zerschlagen wurden, erhielten deren Angestellte Realersatz. Hier im Süden der Republik Moldau gab es knapp zwei Hektaren Land pro Angestellten. Der für eine grossflächige Landwirtschaft passende Maschinenpark der Kolchosen war für die wider Willen zu Kleinbauern gewordenen Kolchose-Angehörigen nutzlos. Mit dem Land allein wussten sie nichts anzufangen, und so suchten sie eben Arbeit im Ausland. Viele von ihnen verpachteten oder verkauften ihre Landanteile an Personen wie Mihow, die im alten System Verwaltungspositionen innehatten und heute die Grossbauern von morgen sind. «Im alten System waren die Landbewohner Befehlsempfänger,» sagt Mihow. «Das prägte ihre Mentalität. Noch heute haben sie Mühe, selbstständig zu entscheiden.» Doch Besserung ist in Sicht.

damit der Lebensbedingungen von TraubenproduzentInnen in der Zentral- und der Südmoldau.

Nötige Gewinnmaximierung In der Gemeinde Manta südlich von Cahul begegnen wir Viorel Bezman, dem Verwalter des örtlichen Kühlhauses. Manta liegt im Zentrum des Anbaugebiets der Tafeltrauben, deren begehrteste Sorte «Muscat de Hambourg» traditionell nach Weissrussland und in die Ukraine exportiert wurde. Die Käufer holten die Trauben jeweils direkt bei den Produzenten zum Preis von umgerechnet etwa 50 Rappen pro Kilo. Seit dem Bau des Kühlhauses mit einem Fassungsvermögen von 50 000 Tonnen müssen die Produzenten ihre Ernte nicht länger ab Feld verkaufen, was ihnen beachtlichen Gewinn einbringt. Bis im Frühling steigt der Preis ihrer Trauben bis ums Dreifache. Dank der Vermittlung des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) können in Manta neuerdings auch Kleinproduzenten ihre Trauben im Kühlhaus lagern, das ursprünglich von ein paar Grossbauern finanziert und gebaut wurde. Einer der Kleinbauern ist des Lobes voll. Die von ihm verlangten Lagerkosten von umgerechnet 10 Rappen pro Kilo Trauben lohnen sich angesichts des höheren Verkaufspreises. Trotz kleinerer Ernte als im Vorjahr wird er dieses Jahr einen höheren Gewinn erzielen. Diesen will er in Netze investieren, die seine 4,5 Hektaren grosse Anbaufläche vor Hagel schützen. Der Erfolg der Traubenproduzenten ist messbar. Innert der letzten paar Jahre hat sich in der Region der Bodenpreis für Landwirtschaftsland auf umgerechnet etwa 700 Franken pro Hektare verdoppelt, mit steigender Tendenz. Von Optimismus erfasst wurde auch Bezman. Er hat in Italien moderne Produktionsbetriebe besichtigt und begriffen, dass ausser der Lagerung auch eine marktgerechte Verpackung einen Teil der Wertschöpfungskette bildet. Die Produzenten in Manta, und zwar grosse und kleine, planen bereits, dem Kühlhaus eine moderne Verpackungsanlage anzugliedern. Marktzugang als Hürde Geradezu getrieben von Innovationseifer erscheint Slava Burla­cu, ein junger Agronom, der am südlichen Stadtrand von Cahul auf dem Gelände einer heruntergekommenen ehemaligen Kolchose Gemüse produziert. Derzeit bewirtschaftet er eine Fläche von drei Hektaren. In Plastiktunnels wachsen Peperoni, Chinakohl und Salat. Slava hat sich in den Ruinen des Verwaltungsgebäudes notdürftig eingerichtet. Drei freundliche Kleinhunde begleiten ihn auf Schritt und Tritt durch die Trümmer der ehemaligen Staatsfarm. Fast alles Land liegt brach, rostende Rohre und allerlei Eisenschrott versperren den Weg, was den Agronomen in seinem Tun nicht hindert. Er plädiert vehement für biologischen Gemüseanbau und bezeichnet den Marktzugang als einziges echtes Hindernis auf seinem Weg. Dank der Vermittlung eines von HEKS engagierten Beraters kann er seit kurzem eine einheimische Supermarktkette beliefern, was ihm dringend nötiges Geld in die Kasse spült. Er, der seine Fachausbildung in Frankreich zum Thema Apfelwein abgeschlossen hat, will die Lage der örtlichen Landwirtschaft nicht beschönigen. «Ich kann dies alles tun, weil ich studiert habe», räumt er freimütig ein. Ohne einschlägige Fachkenntnisse wären für ihn die Türen des Landwirtschaftsministeriums und damit auch der Zugang zu Subventionen verschlossen. Wird der dynamische Agronom dereinst auch Apfelwein herstellen? Das wäre zu weit vorgegriffen, sagt er, so sehr ihm der Gedanke auch gefällt. Vorerst träumt er davon, auf der einstigen Kolchose für sich ein Haus zu bauen, um in unmittelbarer Nähe seiner Pflanzungen zu wohnen. »

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EZA IN DER KRITIK

Im eigenen Bauernhaus Den Traum vom guten Leben auf heimischer Scholle im eigenen Bauernhaus hegt auch Adrian Cepoi in Mihaileni. Sein Dorf liegt fünf Fahrstunden nördlich von Cahul im Distrikt Riscani. Zentrum der sehr fruchtbaren Region ist die zweitgrösste Stadt der Moldau, Balti (ausgesprochen: Belz). So wie Slava ist auch Adrian einer jener jungen Agronomen, die sich zum Anpacken nicht zu schade sind. Er bewirtschaftet 200 Hektaren Land mit Soja, Weizen und Mais. Eine von HEKS initiierte praxisorientierte Weiterbildung bewog ihn dazu, die Verwendung von Kunstdünger zu reduzieren. So begann er, den Tierhaltern im Dorf den Mist abzunehmen. 250 Tonnen waren es im vergangenen Jahr, sagt er stolz und lässt mit der Erfolgsgeschichte seine Besucher die Kälte seines ungeheizten Kabäuschens am Dorfrand vergessen, von wo aus er seinen Grossbetrieb dirigiert. Adrians Mistproduzenten im Dorf sind eigentlich gar keine Bauern. Wir begegnen einigen von ihnen an der örtlichen Milchsammelstelle; ausnahmslos ältere Männer und Frauen, die alle in der einstigen Kolchose beschäftigt waren, als Melker, Maschinisten oder Mechaniker. Alle hatten sie ein geregeltes Einkommen, Ferienanspruch und Pensionsberechtigung. Heute halten sie in den Gärten ihrer Häuser in behelfsmässigen Ställen zwei oder drei Kühe. Mehr Tiere zu ernähren ist nicht möglich mit dem Ertrag aus den 1,2 Hektaren Land, die den Dorfbewohnern hier zugeteilt wurden. Die Dörfler überleben nur darum, weil die im Ausland arbeitende Generation ihrer Kinder ihnen Geld zukommen lässt. Die improvisiert wirkende Milchsammelstelle ist ein aus der Not geborenes genossenschaftliches Selbsthilfeprojekt. Dass die Milch in kleinen Plastikeimern auf Fuhrwerken herbeigekarrt wird, ist Ausdruck von technologischem Rückschritt im Vergleich zur Zeit, da die Kolchose funktionierte und alles mechanisiert war. Ein erwachter Glaube Drei jüngeren Dorfbewohnern begegnen wir auf freiem Feld. Dort haben sie kürzlich dank Mikrokrediten mit bescheidensten Mitteln je einen Stall errichtet, wo sie ein paar Rinder, Kühe und Schweine halten. Von den drei einfachen Nutzbauten genügt nur gerade einer den Ansprüchen artgerechter Tierhaltung. In ihrer neuen Rolle als Kleinbauern fühlen sich die drei noch etwas unwohl. Sie klagen über tiefe Fleischpreise und andere Hemmnisse, wie den erschwerten Export nach Russland. Europa sei für Produkte aus der Republik Moldau nicht bereit, sagt einer. Dass die Sachlage wohl eher umgekehrt ist, will ihm nicht einleuchten. Eine solche Erwartungshaltung erstaune ihn nicht, sagt der Bürgermeister von Mihaileni, Valerian Cecan. Auch er ortet den Kern der wirtschaftlichen Probleme in den ländlichen Regionen in den Köpfen der Bewohner. Und fügt an, dass immerhin schon einiges passiert sei. Das Dorf zähle wieder wie zu Zeiten der Kolchose rund 1200 Milchkühe. Das Problem sei noch, dass das Nutzvieh heute bei den Wohnhäusern im Dorf gehalten werde. Die Kommunalverwaltung ermuntere die Bevölkerung, ausserhalb des Siedlungsgebiets Ställe zu bauen, und stelle dafür Land zur Verfügung. Der Glaube an die Zukunft der Landwirtschaft sei eindeutig wieder erwacht. Ausdrücklichen Dank richtet Cecan an jene wenigen Organisationen wie HEKS, die nicht nur in harten Zeiten Hilfe brachten, sondern niemals Zweifel daran liessen, dass solch fruchtbare Erde einst guten Ertrag zugunsten von allen abwerfen werde.

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BER ATUNG UND VERMITTLUNG Das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) orientiert sich bei seinem Engagement für die ländliche Bevölkerung in der Moldau an einer Strategie na­ mens M4P. Das Kürzel steht für «Making Markets Work for the Poor». Die Vorgehensweise stützt sich auf die Erkenntnis, wonach effiziente Armutsbekämpfung eine Stärkung jener Märkte erfordert, an denen die Armen bereits beteiligt sind. Für diese Form von Strukturhilfe eingesetzt werden erfahrene einheimische Agronomen, die den Kleinbauern beim Erstellen von Business-Plänen helfen, fachliche Weiterbildung organisieren, genossenschaftliche Strukturen begünsti­ gen und die Vernetzung mit dem Markt herstellen. Im Unterschied zur herkömmlichen Entwicklungszusammenarbeit, die meist Infrastrukturprojekte finanziert, sind die Resultate des M4P-Vorgehens schwieriger messbar.


REPUBLIK MOLDAU

UNGARN

TSCHECHIEN SLOWAKEI

ÖSTERREICH

MOLDAVIEN

UNGARN RUMÄNIEN

SERBIEN

Bevölkerung der Republik Moldau

3 938 679 davon arbeiten im Ausland

DAS WISSEN ERWEITERN Bragaru Tudor ist ein Tafeltraubenpro­duzent aus dem Dorf Manta im Bezirk Cahul. Er ist 37 Jahre alt und verheiratet. Er hat Jura studiert, konnte aber als Jurist keine Arbeit finden. Nachdem er von seinen Eltern zwei Hektaren Land geerbt hatte, entschloss er sich, Landwirt zu werden. Die Produktion von Tafeltrauben ist zu seiner Leidenschaft und auch zur wichtigsten Einkommensquelle für seine Familie geworden.

APSM organisiert. Die Ausbildner der theoretischen und praktischen Kurse verfügen über langjährige Erfahrung im Bereich der Tafeltraubenproduktion. Da konnte ich sehr viel lernen.

Was konkret haben Sie in der Ausbildung gelernt? Ich konnte durch diese Lehrgänge mein Wissen erweitern, die Qualität der Trauben verbessern und die Produktivität erhöhen. Inzwischen habe ich weitere drei Hektaren Land gepachtet, auf denen ich Text Bettina Filacanavo Weintrauben anbaue. Letztes Jahr wurde Foto Octavian Olaru ich gemeinsam mit sieben örtlichen Tafeltraubenproduzenten Mitglied der TrauBragaru Tudor, wie sind Sie mit HEKS benproduzenten-Kooperative «Struguri de Colibasi» (Trauben aus Colibasi). Mit in Kontakt gekommen? Ich erfuhr in einem Seminar des Verban- Hilfe von HEKS erhiel­ten wir Zugang zu des der Cahuler Tafeltraubenproduzen-­ Mitteln der Weltbank und wir arbeiten jetzt daran, für die Mitglieder ein Kühlten (APSM) vom Projekt, das von HEKS in der Republik Moldau umgesetzt wird. haus zu errichten. Es soll 450 Tonnen fas2013 besuchte ich die Farmer Field School sen. So können wir die Ernte besser la(FFS) und die Farmer School for Viticulture gern, die Trauben zu einem besseren Preis (FSV). Die Lehrgänge wurden mit Unter- verkaufen und einen höheren Gewinn stützung von HEKS Moldawien und von erzielen.

ca. 30% Die Republik Moldau ist das ärmste Land Europas. Seit dem EU-Beitritt Rumäniens wurde der traditionell enge Kontakt mit dem Nachbarland schwieriger, das Land immer stärker isoliert. Politisch und wirtschaftlich laviert die moldawische Regierung zwischen Europa und Russland. Eine der grössten Herausforde­run­ gen der Republik ist die hohe Arbeitsmigration ins Ausland.

Was bereitet Ihnen nach wie vor Sorgen? Da der bestehende Markt in Osteuropa, und hier meine ich vor allem den russischen Markt, unberechenbar ist, versuche ich nun Zugang zum EU-Markt zu erhalten. Dies ist eine grosse Herausforderung für mich. Hier könnte ich noch Unterstützung gebrauchen.

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HUMANITÄRE HILFE IN NORDIRAK

«WER FLIEHEN MUSS, GEHT NACH SULAYMANIYAH»

Simon Salman, HEKS-Delegierter in Libanon.

HEKS unterstützt zusammen mit seinen Partnerorganisationen «Christian Aid» und «REACH» Christen und andere intern Vertriebene (IDP) im Nordosten Iraks. Die Menschen mussten vor der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) fliehen. HEKS-Mitarbeiter Simon Salman hat das Projektgebiet besucht. Im Gespräch mit Redaktorin Bettina Filacanavo berichtet er von seinen Eindrücken und Erfahrungen. Text Bettina Filacanavo Fotos Sabine Buri/Simon Salman

Simon Salman, wer sind die vertriebenen Menschen, die in Sulaymaniyah Zuflucht suchen? Es sind vor allem religiöse Minderheiten wie Christen, Jesiden oder Schabaks, das sind kurdische Schiiten, aber auch Sunniten. Wer vor der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) fliehen muss, geht nach Sulaymaniyah ins kurdische Autonomiegebiet. Sulaymaniyah gilt noch als sicher, geschützt durch die eigenen Streitkräfte (Peschmerga). Rund 168 000 IDP hat Sulaymaniyah bereits aufgenommen, und

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es werden noch mehr erwartet. Hinzu kommen noch etwa 250 000 Flüchtlinge aus Syrien. Wie unterstützt HEKS die intern Vertriebenen? Mithilfe unserer lokalen Partner «Christian Aid» und «REACH» konnten wir in einer ersten Phase von Anfang November 2014 bis Anfang Mai dieses Jahres 2280 Familien mit dem Nötigsten versorgen: Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Koch­ utensilien, Matratzen, im Winter mit Heiz-

öfen und Decken, und einige Familien, die gar kein Geld hatten, erhielten auch einmalig 400 Dollar. Damit haben sie sich das Nötigste kaufen können. 40 Personen konnten an einem «Cash for work»Programm teilnehmen. Wie ist die Situation in Sulaymaniyah? Ich war sehr erstaunt darüber, wie hilfsbereit die lokale Bevölkerung ist und wie sie die Flüchtlinge offen aufnimmt, Wohnraum und Nahrungsmittel zur Verfügung stellt. Es herrscht eine grosse So-


25 Familien haben in der chaldäisch-katholischen Kirche in Sulaymaniyah Unterschlupf gefunden.

lidarität. Man muss allerdings sagen, dass es dieser Region wirtschaftlich gut geht im Vergleich zu den anderen Regionen im Irak. Auch die lokale Regierung unterstützt die IDP so gut es geht. Die christlichen Familien zum Beispiel finden auch grossen Rückhalt bei der katholischen Kirche, die ihnen Obdach gewährt. Aber nicht alle können vom Netzwerk der Kirche profitieren. Vor allem die Jesiden haben es noch einmal schwieriger, denn sie kommen häufig schwer traumatisiert in Sulaymaniyah an und müssen nebst dem Elend noch mit den Grausamkeiten fertigwerden, die ihre Familien erlebt haben.

Was brauchen die Menschen vor Ort jetzt dringend? Eigentlich brauchen sie vor allem Geld. Damit sie einkaufen und ihren Lebensunterhalt bestreiten oder ihre Behausungen fertigstellen können. Die Vertriebenen haben mit Hilfe von REACH von der Regierung am Stadtrand Land erhalten, um notdürftige Unterkünfte zu bauen. Gerade in diesen Gebieten braucht es dringend Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Anlagen. Zurzeit klären wir mit unseren Partnerorganisationen ab, wie wir weiterhin im Nordirak helfen können.

UNTERSTÜTZEN SIE KRIEGSFLÜCHTLINGE! Von Oktober 2014 bis Ende Mai 2015 hat HEKS in Sulaymaniyah rund 13 000 Kriegsflüchtlinge mit Lebensmitteln und Kochutensilien sowie Matratzen, Decken und Kissen versorgt, dies im Rahmen eines Projekts der Partnerorganisationen «Christian Aid» und «REACH». Das Projekt wurde erfolgreich abgeschlossen. HEKS plant, ab Ok­tober 2015 in Sulaymaniyah ein weite-

res Soforthilfe-Projekt umzusetzen, die Abklärungen dazu sind im Gange. Zudem unterstützt HEKS neu mit der Part-­ nerorganisation «Norwegian Church Aid» 32 000 Menschen in einem Flüchtlingscamp in der Region Dohuk mit drin­gend benötigten Hygiene-Artikeln. Helfen auch Sie mit! Vielen Dank! Spenden bitte auf das PC-Konto 80-1115-1 mit dem Vermerk «Nordirak»

«ICH WERDE HIER WAHNSINNIG» Von HEKS unterstützt wurde auch die christliche Familie Shaba. Sie musste am frühen Morgen des 28. Juli 2014 ihren Heimatort, die Stadt Qaraqoush, die dreissig Kilometer südöstlich von Mosul liegt, fluchtartig verlassen, um der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu entkommen. Elias, seine Frau Fawzia und Sohn Anwar leben seit einem Jahr zusammen mit 24 anderen Familien in der chaldäisch-katholischen Kirche im Stadtzentrum von Sulaymaniyah. Dort leben sie auf engstem Raum, die Privatsphäre ist notdürftig gewährleistet. Fawzia Shaba, möchte nur noch nach Hause: «Ich kann nicht mehr, ich werde hier wahnsinnig, ich bringe mich um, wenn ich nicht wieder nach Hause gehen darf», sagt sie verzweifelt. «Als die IS-Kämpfer damals die Stadt Mosul eroberten und Beamte der Polizei, Sicherheitskräfte und Soldaten festnahmen, machten wir uns grosse Sorgen», erzählt ihr Mann Elias. Zu diesem Zeitpunkt habe es zwar noch keine Übergriffe auf Christen gegeben. «Doch dann erfuhren wir, dass der IS allen Christen in Mosul ein Ultimatum gestellt hatte. Wir hatten vier Möglich­ keiten: entweder zum Islam zu konvertieren, eine besondere Steuer zu bezahlen, die Stadt zu verlassen oder zu sterben.»

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PATENSCHAFT

RECHTE FÜR MINDERHEITEN

Dipa ist das Kind eines Strassenwischers und hätte ohne die Hilfe von HEKS die Schule nicht besuchen können.

In Bangladesch werden Minderheiten wie die Dalits oder Adivasi systematisch diskriminiert. Die HEKS-Partnerorganisation SERP informiert sie über ihre Rechte und hilft ihnen, diese einzufordern. Text Olivier Schmid Foto HEKS/SERP

Dipa lebt mit ihrer Familie im Distrikt Pa-­ 2014 hat Dipa den Übertritt von der Vorra von Nilphamari. Ihr Vater ist Strassen- schule in die öffentliche Schule geschafft. wischer und gehört zur untersten Gesell- Damit hat sich ein grosser Wunsch von ihr schaftsschicht. Anstatt die Schule zu be- erfüllt. «Meine neue Lehrerin meint, dass suchen, half Dipa ihren Eltern beim Stras- ich in meiner Klasse zu den besten und senwischen. «Mein Vater sagte mir, dass motiviertesten Schülerinnen gehöre. Das mich die Schule niemals aufnehmen wür- macht mich sehr, sehr glücklich.» de, weil ich das Kind einer Strassenwischerfamilie bin», erzählt Dipa. SERP verhilft aber nicht nur benachteiligten Kindern zu einer Schulbildung, sonDie HEKS-Partnerorganisation SERP («Ser­ dern unterstützt die Minderheiten in vice Emergency for Rural People») infor- Bangladesch auch bei der Einforderung mierte die Familie, dass Dipa ein Recht ihres Rechts auf Land. Sie fördert die Bilhabe, die öffentliche Schule zu besuchen. dung und Vernetzung von Dorfgruppen Sie überzeugte den Vater, Dipa in die Vor- und sensibilisiert Behörden und Organisaschule zu schicken, wo SERP jedes Jahr tionen für deren Situation. Um das Einsechzig Kinder auf den Eintritt in die öf- kommen der Minderheiten zu verbessern, fentliche Primarschule vorbereitet. SERP bildet sie SERP im handwerklichen Bezahlt zudem die Schuluniformen und das reich, im Gartenanbau und in der AdmiSchreibmaterial und bietet den Kindern nistration weiter. nach dem Eintritt in die öffentliche Primarschule Nachhilfeunterricht an.

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WERDEN SIE PATIN ODER PATE! Mit einer Patenschaft «Rechte für Minderheiten» für 360 Franken im Jahr helfen Sie benachteiligten Menschen, sich gegen Entwürdigung und Ausgrenzung zur Wehr zu setzen und ihr Menschenrecht auf Zugang zu Ressourcen wie Land, Wasser, Nahrung oder Bildung einzufordern: zum Beispiel den Dalits in Bangladesch, den Roma in Serbien oder den Guaraní Kaiowá in Brasilien. Weitere Informationen zur Patenschaft sowie den Einzahlungsschein finden Sie auf dem Beilageblatt zu diesem Heft. Kontakt: Jeannette Vögeli, Tel. direkt 044 360 88 08, patenschaften@heks.ch


AKTUELL

AGENDA

Wechsel in der HEKS-Direktion

Tagung im RomeroHaus

Nach acht Jahren in der operativen Führung des Hilfswerks der Evange­ lischen Kirchen Schweiz (HEKS) hat Direktor Ueli Locher die Organisation per Ende Juni 2015 verlassen. Ueli Locher trat das Amt als Direktor von HEKS im Juli 2007 an. Seither hat er die Entwicklung des Hilfswerks massgeblich geprägt. In seine Amtszeit fällt die strategische Fokussierung von HEKS, die Neuausrichtung ver­ schie­­d e­n er Tätigkeitsbereiche und eine weitreichende Neugestaltung des Auf­­tritts. Seit dem 1. August leitet nun An­dreas Kressler (Bildmitte) die Organisation. Der gelernte Jurist bringt breite Erfahrungen zum Tätigkeitsgebiet des Hilfswerks mit. So war er mit der Herrnhuter Mission, deren Vorstand er über mehrere Jahre angehörte, im Einsatz in Entwicklungsprojekten in Tansania. Er ist zudem Stiftungsrat einer Einrichtung für statio­näre und ambulante Wohnbegleitung und Mitglied der Expertenkommission für Entwicklungszusammenarbeit des Kantons Basel-Stadt. Zudem verfügt er über langjährige Führungserfahrung in einem komplexen Arbeitsumfeld. Zuletzt leitete er das staatliche Immobilienunternehmen von Basel-Stadt. Zuvor war er als Generalsekretär des kantonalen Finanzdepartements Basel-Stadt tätig.

Tagung und Workshops zum Thema «Kairos Palästina – Dem Hilfeschrei palästinensischer Christinnen und Christen gerecht werden». Anmeldung bis Mittwoch, 19. August 2015, an veranstaltungen-romerohaus@ comundo.org oder 058 854 11 73.

Lunchkino Auch dieses Jahr präsentiert Ihnen HEKS im Rahmen der «Lunchkinos» den Film zur jährlichen Sammelkampagne. Der neue Kampagnenfilm «Cido – Eine Zukunft im Cerrado» zeigt die Arbeit von HEKS in Brasilien. Die preisgekrönte Regisseurin Barba-­ ra Miller zeichnet in diesem Film ein eindrückliches Porträt eines Kleinbauern und seiner Gemeinschaft, die trotz widriger Umstände nicht nur einen Weg aus der Armut gefunden haben, sondern einen nachhaltigen Weg für eine ganze Region aufzeigen. Beginn der Lunchkinos: jeweils 12.00 Uhr. Für Verpflegung ist gesorgt. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.heks.ch/lunchkino

SAMSTAG, 5. SEPTEMBER 2015, 10.00 – 16.30 UHR

Luzern, RomeroHaus, Kreuzbuchstrasse 44

Interreligiös offene Feier Die reformierten Kirchgemeinden Saatlen und Schwamendingen und «HEKS Neue Gärten Zürich» laden ein zur interreligiös offenen Feier. Bei Regen findet die Feier im Kirchgemeindehaus Schwamendingen an der Stettbachstrasse 58 statt. Treffpunkt: 10.15 Uhr vor der Migros beim Schwamendingerplatz. Bei Unsicherheit über den Durchführungsort: Tel. 076 496 23 76. SONNTAG, 23. AUGUST, 10.30 UHR

Zürich, Familiengarten Auzelg

Lunchkino HEKS-Kampagne im «Stöckli» Die basel-städtische Ständerätin Anita Fetz (SP) unterstützt die diesjährige HEKS-Kampagne «Chancengleichheit zahlt sich aus». In einem in der Sommersession eingereichten Postulat for-­ dert sie den Bundesrat auf, den Aufbau einer nationalen Datenbank zur Interpretation und Vergleichbarkeit aus­ländischer Berufsdiplome zu prüfen. Unternehmen sollen anhand einer solchen Datenbank leichter einen Eindruck über die beruflichen Qualifikationen und Fähigkeiten hochqualifizierter Migrantinnen und Migranten erhalten. Diese stellen ein bisher kaum beachtetes Potenzial an Fachkräften dar. Im Rahmen seiner Kampagne fordert HEKS, dass diese Ressourcen als Massnahme gegen den Fachkräftemangel besser genutzt werden.

MONTAG, 31. AUGUST, ZÜRICH IM KINO ARTHOUSE LE PARIS

Gottfried-Keller-Strasse 7, Zürich FREITAG, 4. SEPTEMBER, BERN IM KINO KUNSTMUSEUM

Hodlerstrasse 8, Bern DIENSTAG, 8. SEPTEMBER, LUZERN IM STATTKINO

Löwenplatz 11, Luzern FREITAG, 11. SEPTEMBER, BASEL IM STADTKINO

Klostergasse 5, Basel DONNERSTAG, 17. SEPTEMBER, THUN IM KINO REX

Aarestrasse 2, Thun FREITAG, 25. SEPTEMBER, ST. GALLEN IM KINOK

Grünbergstrasse 7, St. Gallen

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