NOVEMBER 2015
HANDELN DAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVANGELISCHEN KIRCHEN SCHWEIZ
KAMPAGNE MACHT SPENDEN SINN?
NOTHILFE FÜR FLÜCHTLINGE Eine Reportage aus Serbien ARBEITSINTEGRATION Ganz nah am Puls des Arbeitsmarktes
INHALT
IMPRESSUM NR. 330 / NOVEMBER 2015 HANDELN Das Magazin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz Erscheint 4-mal jährlich AUFLAGE 52 000 REDAKTIONSLEITUNG Dieter Wüthrich (dw) REDAKTION Bettina Filacanavo (fb) BILDREDAKTION Sabine Buri
Zusammen mit Tausenden anderer Flüchtlinge in Serbien gestrandet: Fatimah aus Afghanistan mit ihrer Tochter Hasina.
TITELBILD Christian Bobst KORREKTORAT korr.ch
THEMA Kampagne Fragen Sie ihn, den brasilianischen Kleinbauern Cido
IN DIESER NUMMER 3 Editorial 4
Nothilfe für Flüchtlinge Ein Augenschein an der serbisch-kroatischen Grenze
8 Reportage Minas Gerais – ein Traum in Brasiliens grüner Wüste 16 Patenschaft Schutz und Obdach für Katastrophenopfer 17 Shop Mit sinnvollen Weihnachtgeschenken Freude bereiten 18 Arbeitsintegration «Careerplus» – eine Partnerschaft mit Potenzial 20 HEKS-Regionalstellen in der Schweiz Integration im Mittelland 22 Persönlich 10 Fragen an HEKS-Mitarbeiterin Micheline Bauma 23 Agenda Vorschau auf den 28. Osteuropa-Tag
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GESTALTUNG Joseph Haas und Corinne Kaufmann-Falk, Zürich DRUCK Kyburz AG, Dielsdorf PAPIER Rebello / Recycled / FSC ABONNEMENT Fr. 10.– / Jahr wird jährlich einmal von Ihrer Spende abgezogen ADRESSE HEKS Seminarstrasse 28 Postfach 8042 Zürich Telefon 044 360 88 00 Fax 044 360 88 01 E-Mail info@heks.ch www.heks.ch www.eper.ch HEKS-SPENDENKONTO: Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz PC 80-1115-1
EDITORIAL
LIEBE LESERIN LIEBER LESER
Zum Zeitpunkt, da ich dieses erste Editorial als neuer Direktor von HEKS schreibe, erreichen uns täglich neue, dramatische Bilder von verzweifelten, müden und hungrigen Menschen auf der Flucht. Männer, Frauen und Kinder, die der Spirale von Krieg, Zerstörung und Verfolgung in Syrien und anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens entkommen wollen – getrieben vom Wunsch und der Hoffnung auf eine sichere und bessere Zukunft in Europa. Es ist nicht anzunehmen, dass dieser Zustrom von Flüchtlingen in abseh barer Zeit versiegen wird. Deshalb stehen Europa und auch die Schweiz vor ihrer bisher wohl schwierigsten politischen und humanitären Bewährungsprobe im 21. Jahrhundert. Damit wir diese bestehen können, braucht es die Solidarität und Hilfsbereitschaft von uns allen. Ich bin beeindruckt, wie sich die Menschen in der Schweiz vom Schicksal der Flüchtlinge berühren lassen. Dies gibt Hoffnung, dass Flüchtlinge bei uns nicht nur Schutz und Zuflucht finden, sondern auch Menschlichkeit und zwischenmenschliche Begegnungen erleben.
«Macht Spenden Sinn? – Fragen Sie ihn». Mit «ihn» meinen wir Aparecido Alves de Souza, genannt Cido, einen Kleinbauern aus dem Cerrado, dem Savannengebiet Zentralbrasiliens. Von ihm und seiner Familie, ihren Sorgen und Nöten, aber auch den kleinen Erfolgen und Fortschritten im täglichen bäuerlichen Überlebenskampf handelt die grosse Reportage in diesem Heft (ab Seite 6). Und wer könnte Ihre berechtigte Frage besser beantworten als Cido, einer jener Menschen, denen wir mit Ihrer Spende eine gesicherte Existenzgrundlage und ein Leben in Würde und Selbstbestimmung ermöglichen konnten?
«Ich bin sehr beeindruckt, wie sich die Schweizer vom Schicksal der Flüchtlinge berühren lassen.»
Haben Sie sich beim Öffnen unseres HEKSCouverts auch schon die Frage gestellt: «Macht Spenden überhaupt Sinn?» Wir von HEKS können Ihnen auf diese Frage mit einem überzeugten «JA» antworten. Wir sind uns aber auch bewusst, dass dies allein noch kein Tatbeweis ist. Deshalb stellen wir unsere diesjährige Sammelkampagne bewusst unter das Motto:
«Im Kleinen Grosses bewirken». Diesem Leitspruch sieht sich HEKS seit jeher verpflichtet – sowohl in seinem Engagement für Flüchtlinge in der Schweiz und in deren Heimatstaaten als auch in der Ent wicklungszusammenarbeit in Brasilien und anderen Ländern dieser Welt. Dafür, dass Sie uns heute und auch in Zukunft dabei unterstützen, danke ich Ihnen ganz herzlich.
Andreas Kressler Direktor
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HUMANITÄRE HILFE
FLUCHT VOR DEM UNMENSCHLICHEN Serbien ist für Zehntausende von Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak und anderen Krisengebieten Durchgangsland auf dem Weg nach Europa. Sie fliehen vor Krieg und Gewalt und sie eint eine beschwerliche und ungewisse Reise. Eine Reportage von der serbisch-kroatischen Grenze. Text Joëlle Herren Laufer Fotos Andras D. Hajdu
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Es ist 11.30 Uhr. Ein doppelstöckiger Bus hält unweit der serbischen Stadt Šid auf freiem Feld. Es ist bereits der siebzehnte an diesem Morgen. Er kommt aus Preševo an der mazedonischen Grenze. Nach achtstündiger Fahrt sind die 65 Fahrgäste, die hauptsächlich aus Syrien und Afghanistan stammen, hungrig und erschöpft. Ihnen wird erklärt, dass sie möglichst schnell die kroatische Grenze erreichen müssen. An den Ständen der Hilfsorganisationen decken sie sich rasch mit Lebens mitteln ein, waschen sich und ziehen saubere Kleider an. Unter ihnen ist auch Sur Suhaila. Die 30-jährige Syrierin ist seit zehn Tagen allein mit ihren vier Kindern und den vier Töchtern der Schwester unterwegs. Nachdem sie den Bus verlassen hat, füllt sie die Taschen mit Lebensmitteln und Hygiene
artikeln: Bananen, Äpfel, Brot, Energieriegel, Wasserflaschen, Zahnbürsten. Sie bittet um eine Hose für ihren zehnjährigen Sohn, nimmt Strumpfhosen für die jüngeren Mädchen und breitet dann eine Decke auf dem Boden aus, um mit den Kindern schnell noch etwas zu essen, bevor es über die Grenze geht. Bloss nicht zurückschauen und jeden Gedanken an den Ehemann, dessen Spur sie verloren hat, wegschieben. «Das könnten wir sein» «Jeden Tag treffe ich Kinder und Frauen, deren Schicksal mich berührt», berichtet Olina Kolar, eine Freiwillige, die für das HEKS-Partnerhilfswerk «Ecumenical Humanitarian Organisation» (EHO) Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter verteilt. «Es ist unmöglich, gleichgültig zu bleiben. Das könnten ebenso gut wir sein!»
Fatimah, eine 21-jährige Afghanin, ist die Mutter der zweijährigen Hasina, die sie vor dem Bauch trägt. Seit zwei Monaten ist sie unterwegs. Sie träumt von Schweden, wo sie hofft, ihren Bruder wiederzufinden. Mit ihrem Ehemann, dem Schwager und den Schwägerinnen sind sie zu sechst. Gemeinsam sind sie aus Kabul geflohen, vor der Bedrohung durch die Taliban. Hinter ihnen liegt auch eine beschwerliche Reise durch den Iran. Zwei Stunden später treffen wir sie in Kroatien wieder, in einem vom Militär geführten Übergangslager, das wie ein Gefängnis abgeschirmt und von Dutzenden uniformierten Männern bewacht wird. Sie brüllen: «Stopp!» Und: «In einer Reihe aufstellen!» Die Menschen müssen sich in Reihen zu fünfzig Personen aufstellen und können erst dann zuerst in den Bus und dann in den Zug steigen, der sie anschliessend zur ungarischen Grenze bei Beli Manastir und Richtung Österreich bringt. Ein längerer Aufenthalt in Kroatien steht ausser Frage. Der Stress der Nacht Zurück an der serbisch-kroatischen Grenze bei Šid. Es ist Nacht. Alle zehn Minuten kommt ein weiterer Bus mit Flüchtlingen an. In dieser Nacht sind es 4000. Die Beklemmung der Menschen ist mit den Händen greifbar. Befehle werden gebrüllt, verhallen aber oft unverstanden. Vor allem Eltern mit kleinen Kindern haben Angst, sich im Dunkeln zu verlieren. «Wo sind wir?», «Wo gehen wir hin?», fragen die Neuankömmlinge. Es ist 21 Uhr und das Thermometer zeigt 16 Grad an. Vor zwei Tagen hat die HEKS-Partnerorganisation EHO damit begonnen, Decken zu verteilen – 150 pro Nacht. «Wir bemühen uns, sie den Schwächsten zu geben», erklärt Projektkoordinatorin Borka Vrekic. Ein Freiwilliger schiebt eine Frau im Rollstuhl, ein Angehöriger legt ihr eine Decke über die Knie. Die Unterstützung, die sich die Menschen hier gegenseitig bieten, ist unglaublich. Fast alle sind in Gruppen unterwegs und helfen einander. Diese Solidarität in Verbindung mit grosser Höflichkeit ist alles, was ihnen geblieben ist. Zu Rangeleien kommt es kaum.
Nacht für Nacht bringen Busse Tausende von Flüchtlingen zur serbisch-kroatischen Grenze. Die 21-jährige Fatimah mit ihrer Tochter Hasina möchte nach Schweden und hofft, dort ihren Bruder wiederzufinden.
Nur das Nötigste Zwei Tage später. Das Wetter hat sich weiter verschlechtert. In der Nacht davor hatte es geregnet und jetzt lässt ein kalter Wind die Hände frieren. Wieder haben 4000 Menschen Halt gemacht und es fehlt an Decken. Temperatur: 11 Grad.
Mitarbeitende von EHO verteilen Regenpe lerinen. Manche Flüchtlinge tragen Shorts, andere gehen barfuss. Eine junge Somalierin probiert Gummistiefel an, wahr scheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben. Die alten Turnschuhe landen im Müll. Alle wichtigen Güter sind willkommen. Aber nur was die Menschen unmittelbar brauchen, können sie bei sich behalten. Das ist die Regel dieses Dramas, bei dem diese Flüchtlinge alles verloren haben und nur bei sich tragen können, was im Moment notwendig ist. Dasselbe gilt für Lebensmittel. «Das ist eine grosse Herausforderung», sagt Borka Vrekic, «und zeigt, warum HEKS und EHO keine SoforthilfePakete verteilen. Für die Menschen ist es einfacher, wenn sie nur das nehmen, was sie wirklich brauchen, um Ballast zu vermeiden.» Jetzt müssen sich die Flüchtlinge in zwei Reihen zu je 25 Personen aufstellen, um vor den Augen der kroatischen Polizei die Grenze zu überqueren. Wie kann es im 21. Jahrhundert zu einem solchen Flüchtlingsstrom kommen? Was wird wohl aus Sur, Fatimah und all den anderen Flüchtlingen? Kann der Westen den Idealen von Freiheit, Demokratie, Frieden und Arbeit, für die er steht, entsprechen? Wie können wir Menschlichkeit zeigen? Es sind nicht die Flüchtlinge, die uns Angst machen sollten. Sondern die Tatsache, dass Menschen auf der Flucht sind.
MÖCHTEN AUCH SIE SICH FÜR DIE FLÜCHTLINGE ENGAGIEREN? Für unsere Hilfe für Flüchtlinge im In- und Ausland brauchen wir Ihre Unterstützung! Mit Ihrer Spende ermöglichen wir Familien auf der Flucht ein menschenwürdiges Leben. Die Nothilfe-Projekte in Serbien, Nordirak und Libanon werden auch von der Glückskette unterstützt. Spenden bitte auf das PC-Konto 80-1115-1 mit dem Vermerk «Flüchtlinge weltweit und in der Schweiz».
Brasilien ist ein Land der extremen sozialen Gegensätze. Im Land der pulsie renden Millionenmetropolen, der Samba-Rhythmen und der Traumstrände kämpfen täglich Millionen Menschen, unter ihnen viele Kleinbauernfamilien auf dem Land, ums Überleben. Sie sind bedroht von Armut, Gewalt und Entrechtung. Vielen von ihnen fehlt die entscheidende Existenzgrundlage, um diesen Gefahren zu entfliehen: eigenes Land. Wie können wir diesen Menschen eine Perspektive geben? Wie können wir jene unterstützen, die für ihre Rechte kämpfen? Wo sollen wir anfangen? Können wir überhaupt etwas bewirken? Ist es nicht sinnlos? Denn es stimmt: Wir können nicht die ganze Welt retten. Aber die Welt von Einzelnen. HEKS zeigt in seiner diesjährigen Sammelkampagne auf, wie betroffene Gemeinschaften im ländlichen Brasilien eine bessere Zukunft bauen, im Einklang mit der Natur. Menschen, die ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen und ihre Rechte einfordern, zeigen uns eindrücklich, wie ihre unermüdliche Arbeit letztlich Früchte trägt und wie wir alle mit unserer Unterstützung im Kleinen Grosses bewirken können. Im Zentrum der Kampagne steht der Kleinbauer Cido, dessen Geschichte stellvertretend für jene vieler Menschen in HEKS-Projekten steht. Er erzählt uns, wie sich sein Leben in den letzten zehn Jahren verändert hat, welche Entwicklung in Gang gesetzt werden konnte und wie HEKS ihn dabei unterstützt hat. Cido mag nur einer von vielen sein. Aber wenn auch Sie sich fragen, ob Spenden Sinn macht, dann fragen Sie ihn: Besuchen Sie unsere KampagnenWebsite, lernen Sie Cido kennen, stellen Sie Ihre persönlichen Fragen, diskutieren Sie mit und falls wir Sie überzeugen konnten, bewirken Sie mit Ihrer Spende im Kleinen Grosses.
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FALLS SIE SICH FRAGEN, OB SPENDEN SINN MACHT, FRAGEN SIE IHN. www.fragen-sie-ihn.ch
Im Kleinen Grosses bewirken. PC 80-1115-1
www.heks.ch
REPORTAGE
Eukalyptusbäume, so weit das Auge reicht: die «grüne Wüste» im Cerrado.
EIN TRAUM IN DER GRÜNEN WÜSTE Text Hanspeter Bigler Fotos Christian Bobst
Die Stämme ziehen an der Fensterscheibe vorbei wie kleine Spielzeugsoldaten. Eine Armee von Bäumen, penibel ausgerichtet in Reih und Glied. Unendlich weit scheint sich die Fläche des Waldes zu erstrecken. Eukalyptus, so weit das Auge reicht. Der Staub der Autopiste, die den Wald in Stücke schneidet, erfüllt die Luft mit einem stickigen, roten Schleier. Ich fühle mich nicht wie in einem Wald, sondern wie in einem Sandsturm. Und der Eindruck täuscht nicht. Wir sind an einem Ort, der
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bald zu einer Wüste werden wird. «Jetzt sind wir im Eukalyptus-Paradies», sagt Vicente Puhl, Landesdirektor von HEKS Brasilien, der mit uns unterwegs ist. Die «grünen Wüsten», wie die EukalyptusMonokulturen genannt werden, breiten sich in der HEKS-Projektregion Minas Gerais bereits über 50 000 km2 aus. Der Eukalyptus-Anbau ist hier ein boomendes Geschäft, weil die Bäume schnell wachsen und damit raschen Profit versprechen. Bereits nach fünf bis sieben Jahren kön-
Kaum sind die Stämme gefällt, folgt die nächste Eukalyptus-Anpflanzung. Nach drei Baumgenerationen ist der Boden ausgelaugt.
nen die Stämme gefällt werden. Dann folgt die nächste Generation an Bäumen. Nach drei Generationen ist der Boden ausgelaugt. Bedrohter Artenreichtum Unser Weg führt uns weiter in unser Projektgebiet, in den Cerrado. Im Herzen Brasiliens liegt die «artenreichste Savanne der Welt». Der Cerrado erstreckt sich über zwei Millionen Quadratkilometer und umfasst damit ein Gebiet von der Grösse Alaskas. Er ist nicht nur das zweitgrösste Ökosystem Brasiliens nach dem Amazonas-Regenwald, er ist auch das wichtigste Wasserreservoir des Landes. Doch der Cerrado ist vom Expansionsdrang der agrarindustriellen Grosspro jekte massiv bedroht. Da er häufig flache, mit niedrigen Bäumen besetzte Hoch ebenen bedeckt, ist es relativ leicht, ihn abzuholzen. Etwa zwei Drittel wurden bereits niedergebrannt oder gerodet. So jabohnen, Zuckerrohr und vor allem eben Eukalyptus in Monokultur ersetzen die einst vielfältige Vegetation. Die Eukalyptusbäume werden vor Ort zu Holzkohle für die Eisen- und Stahlindustrie verarbeitet. Eukalyptus-Zellstoff wird zudem exportiert und für die Herstellung von Toilettenpapier, Papiertaschentüchern oder Windeln verwendet. Vielen dieser Produkte wird Eukalyptus beigemischt, um sie möglichst flauschig zu machen.
hatten, von Eukalyptus-Konzernen streitig gemacht. Die einheimischen Kleinbauern wurden von den Hochplateaus, wo nun auf riesigen Flächen Eukalyptus angebaut wird, in die tiefer liegenden Täler zurückgedrängt. Und auch dort ist ihr Überleben bedroht. Denn die Eukalyptus-Monokulturen haben verheerende Auswirkungen auf das fragile Ökosystem des Cerrado. Der hohe Wasserbedarf der Bäume führt zu einem Absinken des Grundwasserspiegels, ganze Flüsse trocknen aus. Die Dörfer in den Tälern verlieren so ihre Wasserversorgung. Die Monokulturen zerstören zudem die biologische Vielfalt der Region. Neben Euk alyptus wächst nichts mehr. Und schliesslich gelangen Pestizide ins Wasser
und in die Nahrungskette, an deren Ende die zwischen den Hochplateaus ansässigen Kleinbauern stehen. «Hier leben viele landlose Bauern, die massiv bedroht werden von der Eukalyptus- und Kohle industrie», erklärt mir Vicente. «Die traditionellen Gemeinschaften wurden rechtlich anerkannt und das Land ihnen zugesprochen. Trotzdem werden viele dieser Territorien von Grossunternehmen beansprucht. Das ist eine der grössten Herausforderungen in den ländlichen Gebieten Brasiliens.» Mir gehen viele Fragen durch den Kopf, als wir die Piste verlassen und einen schmalen, holprigen Weg entlangfahren, durch ein buntes Gewirr aus Bäumen und
Die Eukalyptus-Baumstämme werden vor Ort zu Holzkohle verarbeitet.
Die Bauern müssen weichen In vielen Fällen wurde den Gemeinschaften, die traditionell im Cerrado leben, das Land, das sie über Generationen genutzt
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REPORTAGE
Cido und seine Frau Elei kultivieren heute etwa sechzig verschiedene Pflanzensorten.
Büschen. Wie können die traditionell im Cerrado ansässigen Gemeinschaften in dieser Situation überhaupt überleben? Haben sie – umzingelt von Eukalyptus – eine Zukunft? Heute treffen wir Menschen, die sich mit der Unterstützung von HEKS und seiner lokalen Partnerorgani sation für die Erhaltung des Cerrado und ein alternatives Entwicklungsmodell einsetzen. Nach einer Weile erreichen wir die Siedlung Americana, wo wir von Cido und seiner Familie begrüsst werden. Aparecido Alves de Souza, genannt Cido, lebt seit fünfzehn Jahren hier. Er war einst ein landloser Kleinbauer, der den Traum hatte, sein eigenes Land zu bebauen und so endlich seine Familie ernähren zu können. Cido kam mit weiteren Landlosen im September 2000 auf dieses Land und besetzte es. Gemäss brasilianischer Verfassung kann Land, das nicht produktiv genutzt wird, umverteilt werden. Wenn Kleinbauern also unproduktives Land bewirtschaften, können sie legal die Nutzungsrechte für dieses Land erlangen. Die vormaligen Besitzer werden dann vom Staat entschädigt. Oft wehren sich aber diese rechtlich und manchmal auch gewaltsam gegen die Umverteilung. Ein alternatives Entwicklungsmodell für den Cerrado Im Fall von Americana gehörte das Land einem Grossgrundbesitzer, der das Land nicht bewirtschaftete und auch keine anderen Pläne dafür hatte. Die Übertragung des Landes gestaltete sich gleichwohl langwierig, weil die staatlichen Behörden der Ansicht waren, dass der Cerrado gar
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nicht produktiv bewirtschaftet werden könne, ohne dass man ihn abholze. Die Kleinbauern von Americana wollten hingegen beweisen, dass dies sehr wohl möglich ist. Sie wurden von der HEKSPartnerorganisation «Centro de Agricultura Alternativa» (CAA) in Agrarökologie geschult. So wurde es ihnen möglich, eine Bewirtschaftung für den Cerrado zu entwickeln, welche im Einklang mit der vorhandenen Biodiversität und den na türlichen Gegebenheiten steht. Sie gründeten dazu eine Genossenschaft, über welche sie gemeinsam ihre Produkte vermarkten. «Die Kooperative trägt eine grosse Verantwortung, traditionelle Ter ritorien zu stärken», erklärt uns Cido, während wir mit ihm durch den Cerrado streifen. «Gleichzeitig hilft sie bei der Nutzung der Früchte, die hier natürlich wachsen. Damit schaffen wir einen Anreiz und sichern die Existenzgrundlage für die Bauernfamilien, damit sie hier weiterleben und ihr Land verteidigen können.» Sein Blick schweift immer wieder ab zu den Fruchtbäumen, welche hier in einem bunten Gemisch nebeneinander stehen. Und nicht ohne Stolz ergänzt er: «Das ist die Grundlage, welche die Kooperative gemeinsam mit HEKS aufgebaut hat.» Heute leben siebzig ehemals landlose Kleinbauernfamilien in der Siedlung Americana. Die Zeit der Landbesetzung war äusserst entbehrungsreich. Während Jahren lebten die Familien in winzigen Strohhütten und mussten drei Kilometer bis zur nächsten Wasserstelle laufen. Es gab
keine Infrastruktur wie Strassen oder Elek- trizität. Wichtig war die Unterstützung durch CAA, welche die Landlosen darin schulte, sich als Gemeinschaft zu organisieren. Eigenes Land ist dafür unabdingbar. Denn ohne Land müssten sich diese Menschen als Tagelöhner auf den Eukalyptus-Plantagen oder als Haushaltshilfen bei Grossgrundbesitzern verdingen. Die Früchte des Cerrado bieten ihnen hingegen die Möglichkeit, eine eigene Existenz aufzubauen. Cido erklärt uns das alter- native Entwicklungsmodell, das die Kooperative verfolgt: «Bei der nachhaltigen agrarökologischen Landwirtschaft mit ihrer Biodiversität konzentrieren wir uns auf den Cerrado. Wir sammeln die wildwachsenden Pflanzen und die wilden Früchte. Zudem pflanzen und pflegen wir einheimische Pflanzen, um unsere Produktion zu diversifizieren.» Wie eine Apotheke im Hinterhof 40 Prozent ihres Einkommens generieren die Familien mit der Sammelwirtschaft. «Ich kannte vorher die Pflanzen des Cerrado nicht», erzählt Elei, die Frau von Cido. «Heute arbeiten wir mit dieser Methode und sehen die Resultate.» Cido und Elei kultivieren etwa sechzig verschie denen Pflanzensorten auf ihrem Land. Und dank den Schulungen von CAA können sie aus den Pflanzen des Cerrado auch ihre eigenen Medikamente herstellen. «Der Cerrado ist wie eine Apotheke», meint Elei mit einem Lächeln. «Direkt in unserem Hinterhof, wenn uns etwas fehlt. Wir arbeiten gemeinsam und stellen zusammen hausgemachte, homöopathische
Tierische Mitbewohner der Kleinbauernfamilien im Cerrado: Papagei und Maultier.
LANDREFORM – UNEINGELÖSTES VERSPRECHEN Die soziale Ungleichheit Brasiliens spiegelt sich in der ungerechten Landverteilung wider: 4,8 Millionen Familien sind landlos, während rund 10 Prozent der Bevölkerung 80 Prozent des Landes besitzen. In der Verfassung von 1988 ist in Artikel 184 die Notwendigkeit einer Agrarreform vorgeschrieben: Ungenutzte Ländereien – rund 180 Millionen Hektaren sind es laut offiziellen Angaben – sollen enteignet und an landlose Bauernfamilien verteilt werden können.
«Der Cerrado ist wie eine Apotheke»: Aus Heilpflanzen werden homöopathische Medikamente.
Ex-Präsident Lula da Silva sprach sich im Wahlkampf 2002 für eine Bodenreform aus, alle Hoffnungen ruhten auf ihm. Trotz einigen Erfolgen während seiner Regierungszeit blieb der grosse Wurf aber aus. Während der Präsidentschaft von Dilma Rousseff gingen die Enteignungen gar noch weiter zurück. Die Angst vor sinkenden Agrarexporten ist derzeit deutlich stärker, die Agrarlobby im brasilianischen Parlament durchsetzungsfähiger. Mit der Verfolgung einer weltmarktorientierten Wirtschaftspolitik setzt sie auf eine Förderung des Agrobusiness, um die Exportproduktion zu steigern. Wo einst Grundnahrungsmittel wie Bohnen, Reis oder Maniok angebaut wurden, wachsen heute Soja und Mais als Futtermittel für die Fleischproduktion, Zuckerrohr zur Ethanolproduktion oder Eukalyptus für die Zelluloseindustrie. Viele Landlose greifen daher zur Nothilfe: Um eine Enteignung zu erzwingen, besetzen sie brachliegendes Land. Sie errichten dort provisorische Zeltlager, Acampamentos, und versuchen, über die Gerichte eine Zwangsenteignung zu erreichen. Oftmals dauert es Jahre, bis aus diesem Provisorium durch staatliche Enteignung eine endgültige Ansiedlung wird. Und auch dann ist das Leben dieser Familien noch harten Bewährungsproben ausgesetzt.
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Einzelne Glieder einer ganzen Wertschöpfungskette: Die Familie de Souza erntet Ananas, die anschliessend geschält, geschnitten und püriert werden. Am Ende wird das Fruchtmark als gesunde Pausenverpflegung in staatlichen Schulen verkauft.
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BRASILIEN DER CERRADO LIEGT IM HERZEN BRASILIENS
KOLUMBIEN
die Dürreperiode überstehen zu können. Es ist deshalb wichtig, dass die Wertschöpfungskette der Bauern – von der Produktion über die Verarbeitung bis zur Vermarktung der Cerrado-Früchte – effizienter gestaltet werden kann.
Medizin her. Der Cerrado ist sehr reich, sehr wichtig für mich.» Ich bin beeindruckt vom Willen dieser Menschen, die trotz allen Widrigkeiten einen Weg gefunden haben, im Einklang mit der Natur zu leben. Sie könnten eine Referenz für die brasilianische Regierung sein, wie der Cerrado nachhaltig genutzt werden kann. Bislang herrscht die Meinung vor, der Cerrado könne nur in Monokultur produktiv genutzt werden. HEKS und seine Partner nutzen ihre Kontakte zu den Behörden, um hier ein Umdenken anzustossen, wie mir Vicente bestätigt. Das Leben im Cerrado ist hart. Durch den Klimawandel bleibt die Regenzeit immer häufiger aus, was den Wassermangel zusätzlich verschärft. Die Kleinbauern müssen sorgsam mit den vorhandenen Ressourcen umgehen. Auch dabei werden sie von CAA unterstützt. Der HEKS-Partner hat Bewässerungsmethoden entwickelt, welche den klimatischen Bedin gungen im Cerrado optimal angepasst sind. Trotzdem mussten Cido und Elei dieses Jahr mehrere Tiere verkaufen, um
Grosses Potenzial Heute ist ein wichtiger Tag für die Kooperative. In einer kleinen Verarbeitungsstätte werden erstmals Ananas verarbeitet. Vicente, Cido und Elei begutachten den kleinen Betrieb, in welchem Fruchtmark hergestellt wird. So kann die Kooperative ihre Produkte direkt an Abnehmer in der Stadt verkaufen, zum Beispiel an staatli che Schulen, in denen Fruchtsäfte als Pausenverpflegung an die Schülerinnen und Schüler abgegeben werden. «Unsere ersten Erfahrungen haben gezeigt, dass der Betrieb grosses Potenzial hat», erklärt Cido. «Die Gemeinschaft hat so die Chance, die Früchte selber zu verarbeiten. Wir haben damit endlich bessere Arbeitsbedingungen. Wir sind alle glücklich.» Und Vicente ergänzt: «In Bezug auf den institutionellen Markt waren unsere Erfahrungen in den letzten Jahren in Brasilien sehr gut. Es gibt ein Programm zur Verpflegung an öffentlichen Schulen, das sehr erfolgreich ist.» Tatsächlich haben die Menschen in der Siedlung Americana in den letzten 15 Jahren viel erreicht. «Wir haben enorme Fortschritte gemacht. Für uns ist das von grosser Bedeutung», sagt Cido. «Denn als wir mit allem anfingen, hatten wir mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber wir haben immer an unse ren Weg geglaubt.»
ECUADOR BRASILIEN
PERU BOLIVIEN
PARAGUAY ARGENTINEN
Bevölkerungszahl Brasilien (2015)
204 Mio. Von extremer Armut betroffen
10,4 Mio. Brasilien weist extreme soziale und ökonomische Ungleichheiten auf. Nach Angaben der Regierung leben ein Drittel der EinwohnerInnen unter der Armutsgrenze. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist auch mit regionalen Unterschieden und der Diskriminierung grosser Bevölkerungsgruppen verbunden. 60 Prozent der Men- schen auf dem Land sind arm.
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REPORTAGE
Alltagsszenen aus dem Leben einer Kleinbauernfamilie im Cerrado: Nebst der harten Arbeit im Stall und auf den Feldern ...
HEKS WIRKT – ZAHLEN UND FAKTEN AUS BR ASILIEN Wir können nicht die ganze Welt retten – aber die Welt von Einzelnen: Was HEKS in den letzten Jahren in Brasilien mit seinen Projekten erreicht hat.
87% der staatlichen Subventionen flossen 2013/2014 in die industrielle Landwirtschaft. Dies, obwohl die kleinbäuerliche Landwirtschaft für 70% der Nahrungsmittelproduktion Brasiliens verantwortlich ist.
10,45 Millionen BrasilianerInnen leben in extremer Armut.
4,8 Millionen brasilianische Familien sind landlos.
Kleinbauern 70% Nahrungsmittelproduktion
21 Mia.
12 720 10 029 Familien
Subventionen (in Real)
Industrielle Landwirtschaft 30% Nahrungsmittelproduktion
136 Mia. Subventionen (in Real)
HEKS unterstützt Kleinbauern in Brasilien mit Projekten im Wert von rund 4 Millionen Real/Jahr.
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Zwischen 2010 und 2014 konnten dank HEKS-Projekten 12 720 BrasilianerInnen ihr Einkommen steigern.
10 029 brasilianische Familien haben dank HEKS-Unterstützung zwischen 2010 und 2014 Zugang zu Land erkämpfen können.
... gibt es auch Momente des fröhlichen und des gläubigen Beisammenseins.
Cido und Elei geben ihre Achtung für das Leben im Cerrado, für ihr Lebensmodell im Einklang mit der Natur an ihre drei Kinder weiter. Sie möchten gerne, dass diese ihren Weg weitergehen, den Kampf weiterführen. «Unser Traum ist es, dass unsere Kinder eine gute Ausbildung erhalten, aber mit der Vision der ländlichen Welt», sagt Cido. «Wir sind überzeugt, dass hier ein idealer Ort ist, um zu leben. Aber die heutige Kultur bringt uns nicht bei, dass das Leben auf dem Land wichtig und wertvoll ist.» Der Anfang ist gemacht Kurz vor Sonnenuntergang machen wir uns bereit zur Abfahrt. Cido gesellt sich
zu uns, um sich zu verabschieden. Er führt uns zu unserem Auto und sagt: «Wir haben immer diesen Traum, dass die Familie vereint ist und dass alle ein besseres Leben haben. Es gibt noch vie- le Herausforderungen, aber wir haben einen wichtigen Schritt geschafft.» Ich bin in Gedanken versunken, als wir wieder zurückfahren durch den roten Staub in der grünen Wüste. Ich denke an Cido, Elei und die Kleinbauern aus Americana. Es macht Mut zu sehen, wie diese Menschen ihren Weg aus Armut und Landlosigkeit hin zu einem gemeinsamen, alternativen Wirtschaftsmodell gefunden haben. Aber was ist mit all den anderen Gemeinschaften, die noch kein
eigenes Land besitzen und die jeden Tag in der Eukalyptus-Einöde ums Überleben kämpfen? Ist es nicht ein Tropfen auf den heissen Stein, was wir hier bewegen? Vielleicht. Es ist ein erster Tropfen, dem andere folgen müssen. Nur ein kleiner Beitrag für eine bessere Welt. Aber ein grosser Schritt für die Menschen in Americana.
BR ASILIEN – WIRTSCHAFTSBOOM MIT SCHATTENS EITEN Dank einem kräftigen Wirtschaftswachstum sind seit 2002 rund 35 Millionen BrasilianerInnen in die Mittelschicht aufgestiegen. Neben Russland, Indien, China und Südafrika zählt das grösste Land Lateinamerikas zu den so genannten BRICS-Staaten, denen zugetraut wird, die Industrieländer im Hinblick auf ihre Wirtschaftsleistung mittelfristig zu überrunden. Doch der brasilianische Wirtschaftsboom hat auch seine Schattenseiten. Brasilien ist weltweit eines der Länder
mit der grössten Schere zwischen Arm und Reich: Auf 10 Prozent der reichsten Bevölkerung entfallen 75 Prozent des Volkseinkommens. Nur ungefähr ein Drittel der Gesamtbevölkerung nimmt am Wirtschaftskreislauf teil, die grosse Mehrheit ist in der Schattenwirtschaft tätig oder lebt am Rande des Existenzminimums. 10,4 Millionen BrasilianerInnen – 5,5 Prozent der Bevölkerung – leben in extremer Armut. Besonders ausgeprägt ist die Armut auf dem Land, etwa in den unterentwickelten Zonen des Nordostens, die Sozial
indikatoren wie in Haiti oder Uganda aufweisen. Um der Armut zu entfliehen, zieht es daher viele Menschen in die Städte. Dies bewirkt jedoch ein Anwachsen der Armutsviertel: Sechs Prozent der Bevölkerung, das sind ungefähr 11,4 Millionen Menschen, leben in Favelas.
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PATENSCHAFT
SCHUTZ UND OBDACH FÜR KATASTROPHENOPFER Im Nordirak suchen Hundertausende von Menschen Zuflucht vor dem Islamischen Staat (IS). Viele von ihnen leben in Flüchtlingscamps und sind auf Hilfe angewiesen. HEKS hilft zusammen mit seinen lokalen Partnerorganisationen die schlimmste Not lindern. Text Olivier Schmid Foto Simon Salman
Die HEKS-Partnerorganisation «Norwe gian Church Aid» (NCA) sorgt in zwei Flüchtlingscamps in der Provinz Dohuk für Zugang zu sauberem Wasser und für bessere Hygienebedingungen. Mustafa Abdalla ist für die Verteilung der Hygieneartikel an 4600 Flüchtlingsfamilien zuständig. «Die Menschen in den Camps haben traumatische Erlebnisse hinter sich. Viele haben Familien und Freunde, die in Gefangenschaft des Islamischen Staates geraten sind. Und sie mussten ihre Häuser und ihre Jobs aufgeben und wissen nicht, wann sie zurückkehren können. Ih re Zukunft ist ungewiss», erklärt Mustafa, der 2011 selbst aus Syrien in den Nordirak geflüchtet ist. Auch der Jeside Simo Wesel Hayder und seine achtköpfige Familie mussten ihr erst
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halb fertiggestelltes Haus aufgeben. Sie lebten in Batnaya, einer Kleinstadt zwischen Mosul und Sinjar. «Eines Nachts wurden wir von Schüssen geweckt. Wir hatten Angst. Wir nahmen unser Erspartes und etwas Nahrung. Hals über Kopf verliessen wir, mit nichts anderem als unseren Kleidern auf dem Leib, die Stadt.» Im Flüchtlingscamp in der Provinz Sulaymaniyah erhielt die Familie von den HEKS-Partnerorganisationen «REACH» und «Christian Aid» Lebensmittel, Koch utensilien, Matratzen, Decken und Kissen. So überstand sie die kalten Wintermo nate. Jeden Tag stehen Simo und sein 14-jähriger Sohn gemeinsam mit anderen Vertriebenen an der Strasse und hoffen auf Arbeit. «Wir können nicht zurückkehren. Sie würden uns töten», sagt Simo.
WERDEN SIE PATIN ODER PATE! Mit einer Patenschaft «Schutz und Obdach für Katastrophenopfer» für 360 Franken im Jahr stehen Sie Menschen langfristig bei, die auf einen Schlag alles verloren haben, und helfen immer dort, wo Menschen in Not geraten: sei es nach einer Naturkatastrophe oder während eines bewaffneten Konfliktes. Sie unterstützen HEKS und seine lokalen Partnerorganisationen, Sofortund Wiederaufbauhilfe zu leisten. Weitere Informationen zur Patenschaft sowie einen Einzahlungsschein finden Sie in der Beilage. Kontakt: Jeannette Voegeli, Telefon direkt 044 360 88 08, patenschaften@ heks.ch
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FERKEL
WOLLDECKE Für einen warmen Empfang. In Shatila, einem Flüchtlingslager in Beirut, leben 20 000 Menschen auf engstem Raum. Und es werden immer mehr. Seit dem Ausbruch des Kriegs in Syrien sind mehr als eine Million Menschen in den Libanon geflüchtet. Da ganze Familien ohne Hab und Gut ankommen, hilft HEKS zusammen mit der Partnerorganisation Najdeh mit Lebensnotwendigem. Dazu gehören auch Wolldecken und Heizöfen gegen die Kälte im Winter. Fr. 25.–
KÜCHENGARTEN Das Kraut gegen Hunger. Gemäss Gesetz soll in Brasilien Land, das von Grossgrundbesitzern nicht mehr genutzt wird, an Kleinbauernfamilien verteilt werden. HEKS unterstützt Landlose bei ihrem Kampf um Landtitel und berät sie in ökologischer Landwirtschaft und Vermarktung. Der Küchengarten mit einer Vielfalt an Gemüsesorten, Kräutern und Fruchtbäumen versorgt sie mit dem Nötigsten und bildet den Anfang einer zuverlässigen Lebensgrundlage.
GEISS Diese Spende pflanzt sich fort. Im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo, in NordKivu, leiden die Menschen unter dem bewaffneten Konflikt um die Kontrolle der rohstoffreichen Gebiete. Bewaffnete Gruppen zünden Häuser an, verwüsten Äcker, stehlen Tiere und vertreiben die Menschen aus ihrem Zuhause. Viele Bauernfamilien haben ihre Lebensgrundlagen verloren und müssen wieder ganz von vorne anfangen. Mit einer Geiss als Starthilfe finden sie aus ihrem Elend heraus. Die Geissenmilch ist wertvolle Nahrung für die Kinder, und der Geissenmist wird zum Düngen der Felder genutzt. Wenn die Geiss Junge bekommt, schliesst sich der positive Kreislauf. Die jungen Geisslein werden weiteren Familien neue Hoffnung geben.
Ferkel für die Schule, Glück für die Kinder. In den verstreuten ländlichen Siedlungen des Departements Grand’Anse in Haiti leben hauptsächlich Kleinbauernfamilien. Weil der Staat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, hat HEKS in den letzten 30 Jahren 29 Schulhäuser gebaut, in denen heute mehr als 4000 Kinder unterrichtet werden. Damit die Dorfgemeinschaften den Unterhalt ihrer Schulen sowie Schulmaterial und Schuluniformen für die Kinder bezahlen können, haben nun einige mit der Aufzucht von Schweinen begonnen. Eltern komitees kümmern sich um die Tiere. HEKS-Fachleute begleiten sie beim Bau der Ställe, vermitteln das Wichtigste zur Tierpflege und helfen bei der Beschaffung von Futter.
Wie Honig kleine Einkommen versüsst. In Simbabwe beträgt die Arbeitslosenquote über 80 Prozent. Für die Menschen im ländlichen Raum ist es oft schwierig, mehr aus den Äckern herauszuholen, als sie selber zum Essen brauchen. HEKS bildet sie deshalb unter anderem zu Imkerinnen und Imkern aus. Als Starthilfe erhalten Sie einen Bienenstock und Ausrüstungsgegenstände wie Kopfschutz, Sieb, Bürste usw. Der Honig lässt sich gut verkaufen. Mit dem Geld können Gesundheits- und Transportkosten sowie Kleider und Schuhe für die Kinder bezahlt werden. Fr. 62.–
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Ferkel für die Schule, Glück für die Kinder.
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In den ländlichen Siedlungen der Grand’A nse in Haiti leben hauptsächlich Kleinbauernfamilien. Weil der Staat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, hat HEKS in den letzten 30 Jahren 29 Schulhäuser aufgebaut, in denen heute mehr als 4000 Kinder unterrichtet werden. Damit die Dorfgemeinschaften den Unterhalt ihrer Schulen sowie Schulmaterial und Uniformen der
Wie Ihr Geschenk doppelt ankommt. Ihre Liebsten erhalten das Geschenk in Form einer edel gestalteten Geschenkkarte, die Sie selber auf der Innenseite beschriften und gestalten können, und bedürftige Menschen in der ganzen Welt bekommen das tatsächliche Geschenk.
Kinder bezahlen können, haben einige mit der Aufzucht von Schweinen begonnen. Ein Schweinchen, das nach sechs Monaten weiterverkauft wird, bringt etwa 50 Franken ein. Muttersauen bleiben und werfen Junge – der Kreislauf setzt sich fort.
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Eines von vielen Beispielen, wie Ihre Spende eingesetzt wird.
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ARBEITSINTEGRATION
GANZ NAH AM PULS DES ARBEITSMARKTES Im Sommer 2014 ist HEKS mit der Personalberatung «Careerplus» eine strategische Partnerschaft eingegangen. Die Idee: Mitarbeitende von «Careerplus» können in HEKS-Arbeitsintegrationsprogrammen eintägige Freiwilligeneinsätze leisten – eine «Win-win»-Situation. Text Corina Bosshard Fotos Sabine Buri
Offener und ehrlicher Austausch: ein Teilnehmer von «HEKS TG job» im angeregten Gespräch mit Irène Thurnherr (links) und Simona Manetsch von «Careerplus».
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An diesem Morgen haben sich vier Mitarbeitende der Personalberatung «Career plus» in der Kantine des Arbeitsintegrationsprogramms «HEKS TG job» in Amriswil eingefunden. Bei einer Tasse Kaffee besprechen sie mit «TG job»-Programmleiter Thierry Possa und Bewerbungscoach Marcel Pfändler diesen für alle Beteiligten speziellen Tag. «HEKS TG job» unterstützt Erwerbslose bei ihrem Wiedereinstieg in die Arbeitswelt. Durch das Einbinden in eine geregelte Arbeits- und Tagesstruktur werden sie in ihren beruflichen und sozialen Kompetenzen gefördert.
Neue Erfahrungen «Es braucht eine gewisse Reife und breite Schultern», beschreibt Marcel Pfändler seine Arbeit bei «TG job». «Die Menschen hier haben oft viele ‹Baustellen›, die Jobsuche ist nur eine davon. Die Leute zu motivieren, ist das Allerwichtigste.» Ziel sei nicht nur das Finden eines Jobs, sondern eine ganzheitliche Stärkung der Arbeitssuchenden. Die allesamt sehr jungen «Careerplus»-Mitarbeitenden hören ihm interessiert zu. «Das ist schon was ganz anderes als bei uns», stellt Irène Thurnheer fest, die sonst für «Careerplus»
CAREERPLUS «Careerplus» ist die führende Schweizer Personalberatung für die Vermitt lung von qualifiziertem Fachpersonal aus den Bereichen Finanzen, HR, Sales, Technik sowie IT. In 13 Städten vermitteln über 100 Rekrutierungsspezialisten erfahrene Mitarbeitende für Dauerstellen, temporäre Anstellungen und Projekte. Kunden sind sowohl Stellensuchende als auch Unternehmen. www.careerplus.ch
in St. Gallen qualifizierte Fachleute im Bereich Verkauf rekrutiert. «Wir vermitteln Spezialisten mit gradlinigen Werdegängen – selbstbewusste, ja manchmal vielleicht gar etwas zu selbstbewusste Menschen», erzählt sie schmunzelnd. Eine halbe Stunde später sitzen sie sich dann gegenüber: die vier «Careerplus»Mitarbeitenden und sechs «TG job»-Teilnehmende, die sich für diesen Workshop angemeldet haben. Nach einer Einleitung durch Thierry Possa und einer Vorstellungsrunde gibt Christoph Battocletti einen kurzen Einblick in die Arbeit von «Careerplus». Danach führen die Projektteilnehmenden die Gäste durch das «TG job»-Areal und beantworten Fragen zum Projekt. Wie bewerbe ich mich? Nach diesem ersten Kennenlernen und gegenseitigen «Beschnuppern» bilden sich spontan die Zweier- und Dreierteams, die den Tag miteinander verbringen werden. Es gibt kein fixes Programm, jede Gruppe richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen der Stellensuchenden. Die Stimmung ist von Anfang an geprägt von einem ehrlichen und offenen Umgang miteinander. In den Gruppen werden verschiedene Themen angesprochen: Wie kommuniziere ich, warum mir die letzte Stelle gekündigt worden ist? Wie sieht eine vollständige Online-Bewerbung aus? Und was sage ich, wenn ich im Bewerbungsgespräch auf meine Gehaltsvorstellungen angesprochen werde? Die Spezialisten von «Careerplus» haben auf alles eine Antwort, geben nützliche Tipps und Tricks weiter und lassen die Teilnehmenden sehr offen an ihrem Know-how teilhaben.
Stefanie Rüesch prüft gerade den Lebenslauf von R.P. Sie macht ihn auf dessen fehlende Übersichtlichkeit aufmerksam und gibt ihm Tipps für eine bessere Darstellung seiner Arbeitserfahrung. R. beschwert sich, dass er manchmal eine Bewerbung abschicke und schon am nächsten Morgen eine Absage erhalte. Stefanie fragt: «Rufst du an, bevor du die Bewerbung abschickst?» R. verneint – das sei doch aufdringlich. «Ruf an, denn so bleibst du im Gedächtnis und hast die besseren Karten, wenn die dann den Stapel an Bewerbungen auf ihrem Pult durchgehen», rät Stefanie Rüesch. Und spielt mit R. einen solchen Telefonanruf kurzerhand nach.
sein Dossier zurückgeschickt wurde, obwohl er die verlangten Qualifikationen doch erfülle. Das Gespräch hat er zuvor mit Irène Thurnherr geübt. Für den Migranten aus Asien, dessen Deutsch noch etwas holprig ist, bedeutet dieser Anruf eine grosse Überwindung. «Ich war unheimlich aufgeregt, aber jetzt bin ich stolz, angerufen zu haben. Ich will das in Zukunft öfter machen.»
Beide Seiten profitieren Am Ende des Tages sind nicht nur die Projektteilnehmenden, sondern auch die «Careerplus»-Mitarbeitenden zwar erschöpft, aber auch zufrieden: «Ich wusste nicht, was auf mich zukommt, aber es war eine gute Erfahrung», fasst Christoph Battocletti seine Eindrücke zusammen. Die Frage nach den Stärken Nach einem gemeinsamen Mittagessen «Der Tag hat mein Bewusstsein geschärft in der Kantine gehen die Gruppenarbei- für die Schwierigkeiten und Hürden, mit ten weiter. Christoph Battocletti simu- denen diese Menschen bei der Jobsuche liert mit Ambros Kübler ein Bewerbungs- konfrontiert sind.» Irène Thurnheer pflichgespräch und gibt ihm zwischendurch tet ihm bei: «Wir kommen aus ganz unterimmer wieder Tipps, worauf er achten schiedlichen Ecken und haben ganz andeoder was er anders formulieren sollte. re Hintergründe. Es war schön, sich so viel Sichtlich Mühe bereitet ihm die Antwort Zeit für eine Person nehmen zu können.» auf die Frage nach seinen Stärken. Christoph Battocletti unterstützt ihn beim For- Auch «TG job»-Programmleiter Thierry mulieren seiner Qualitäten und bald ha- Possa kann den Volunteering-Einsätzen viel Positives abgewinnen: «Für unsere ben die beiden eine ansehnliche Liste von Stärken erarbeitet, mit denen Ambros Teilnehmenden ist diese Einzelbetreuung Kübler sich identifizieren kann und die er durch Spezialisten, die ganz nah am Puls im nächsten Bewerbungsgespräch ins des Arbeitsmarktes sind, ein Luxus. Je Feld führen will. «Ich konnte sehr viel mehr Sicherheit, Vertrauen und Knowrausholen aus diesem Tag», wird er später how sie erhalten, desto grösser die Wahrsagen. «Ich bin mir vieler Stärken be- scheinlichkeit, dass sie ihre Situation nachhaltig verbessern können.» Vorerst wusst geworden. Man muss sich ja erst sollen noch weitere Pilot-Workshops in wieder erinnern: Wer war ich eigentlich einmal in der Arbeitswelt?» anderen HEKS-Arbeitsintegrationsprojekten stattfinden. Wenn diese erfolgreich S.S. ruft unterdessen im Nebenzimmer bei verlaufen, können regelmässige Einsätze einer Firma an und fragt nach, weshalb geplant werden.
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HEKS-REGIONALSTELLEN IN DER SCHWEIZ
INTEGRATION IM MITTELLAND Aus bescheidenen Anfängen mit dem Aufbau einer Rechtsbe ratungsstelle für Asylsuchende im Jahre 1997 hat sich die HEKSRegionalstelle Aargau/Solothurn in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem der wichtigsten Anbieter von Dienstleistungen für sozial benachteiligte Menschen in den beiden Kantonen zwischen Mittelland und Jurasüdfuss entwickelt. Text Dieter Wüthrich
«Mehr Programm geht fast nicht»: Regula Fiechter, Leiterin der HEKS-Regionalstelle Aargau/Solothurn. Foto: HEKS/Beni Basler
Den Löwenanteil des Jahresbudgets der Regionalstelle Aargau/Solothurn beansprucht heute das Programm «HEKS Wohnen». Dieses niederschwellige ambu lante Angebot richtet sich an Menschen mit einer Suchtproblematik oder einer anderen psychischen Beeinträchtigung, die zwar keine stationäre Betreuung benötigen, die sich aber gleichwohl Unterstützung bei der Bewältigung ihres All tags in den eigenen vier Wänden wünschen. Das Besondere ist, dass die HEKSRegionalstelle die Wohnungen mietet – derzeit sind es über fünfzig – und diese dann an den Klienten oder die Klientin untervermietet.
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Günstiger Wohnraum wird rar Begleitet werden diese jeweils von einer Sozialpädagogin oder einem Sozialpädagogen, wobei der zeitliche Umfang und die Art der Begleitung in einer individuellen Vereinbarung geregelt und festgelegt werden. Die Hilfestellungen reichen vom Erledigen der Post über das Anleiten beim Putzen und Instandhalten der Wohnung bis hin zur Unterstützung beim täglichen Einkauf und beim Meistern anderer, für diese Menschen oft mit Schwierigkeiten verbundenen Alltagssituationen. Prak tische Begleitung und psychosoziale Beratung im Alltag heisst aber auch, dass die Fachpersonen in Kontakt mit Amts-
stellen stehen und die Klientinnen und Klienten im Bedarfsfall auch dorthin begleiten und bei den Gesprächen unterstützen. Regula Fiechter, Leiterin der Regionalstelle Aargau-Solothurn, stellt eine anhaltend grosse Nachfrage für die ambulante Wohnbegleitung fest, was ihr aber auch gewisse Sorgen bereitet: «Unsere Klientinnen und Klienten sind auf günstige Wohnungen angewiesen, doch günstiger Wohnraum wird immer mehr zur Rarität. Auf der anderen Seite können wir es uns nicht leisten, eine Wohnung bei einem Mieterwechsel auch nur für kurze Zeit ungenutzt zu lassen, weil sonst sofort ein Defizit in unserer Betriebsrechnung droht.» Über 40 Sprachen Ein weiteres, wichtiges Standbein der Regionalstelle Aargau/Solothurn ist «Lingua- dukt». Im Rahmen dieses Programmes vermittelt die Regionalstelle interkulturelle Dolmetscherinnen und Dolmetscher für mittlerweile 43 Sprachen. «Linguadukt» unterstützt und erleichtert damit die Verständigung und den Dialog zwischen fremdsprachigen Menschen und Fachpersonen aus dem Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich, wobei insbesondere auch soziale und kulturelle Unterschiede berücksichtigt werden. Nicht ohne Stolz erzählt Regula Fiechter, dass die HEKS-Regionalstelle in beiden Kantonen nach einer Ausschreibung und in Konkurrenz mit anderen Anbietern den Auftrag für die Umsetzung des Kantonalen Integrationsprogrammes (KIP) in diesem Bereich erhalten habe. Neben «Linguadukt» zielen auch die Programme «HEKS Vitalina» und «HEKS AltuM» – AltuM steht als Kürzel für Alter und Migration – darauf ab, Migrantinnen und Migranten bei ihrer Integration in die Schweizer Gesellschaft zu unterstützen. Während «Vitalina» sich mit Informationen zu Themen wie gesunde Ernährung, Bewegung oder sprachliche Frühförderung vor allem an fremdsprachige Eltern
mit kleinen Kindern richtet, ist «HEKS AltuM» ein Angebot für Migrantinnen und Migranten ab 55. In gemeinsamer Trägerschaft mit «Pro Senectute» veranstaltet die HEKS-Regionalstelle in verschiedenen Aargauer Gemeinden monatliche Treffpunkte zu Themen rund ums Älterwerden. «Mehr Programm geht nicht» Mit «HEKS Visite» wurde im März dieses Jahres zudem ein neues Unterstützungsangebot für ausgesteuerte Langzeitarbeitslose lanciert. Den Teilnehmenden wird dort ein individueller, auf ihre Fähigkeiten zugeschnittener Arbeitseinsatz von zwei bis acht Stunden pro Woche in einer gemeinnützigen Institution vermittelt. Sie erhalten so eine Tagesstruktur, erweitern ihr soziales Netzwerk und erbringen gleichzeitig eine Gegenleistung für die erhaltene Sozialhilfe.
Bild oben: Das Projekt «Vitalina» bietet Migrantinnen und Migranten praxisnahe Informationen zur gesunden Ernährung ihrer Kinder. Foto: HEKS/Annette Boutellier. Bild unten: Unterstützung im Alltag: Beat Küng, Leiter von «HEKS Wohnen Aargau», hilft einer Bezügerin beim Aufhängen der Wäsche. Foto: HEKS/Romeo Basler
Auf allfällige neue Angebote oder Projekte im kommenden Jahr angesprochen, meint Regula Fiechter: «Mehr Programm geht im Moment eigentlich gar nicht.» Um gleich mit einem Schmunzeln hinzuzufügen: «Ich bin aber schon ehrgeizig und gerne in Bewegung. Und ich springe immer wieder in neue Projekte, auch wenn mir das dann manchmal schlaflose Nächte bereitet.»
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PERSÖNLICH
Was haben Sie gestern gegessen? Das Frühstück habe ich ausgelassen, mittags haben wir im Koordinationsbüro gemeinsam mit unseren Gästen aus der Schweiz und dem neuen Landesdirektor gegessen. Es gab Fisch, Kuhfleisch, Kochbananen, Gemüse und Kartoffeln und am Abend dann nochmals Fleisch, Maniok, Mais und Gemüse.
10 FRAGEN AN MICHELINE BAUMA Micheline Bauma arbeitet seit 2011 im HEKS-Koordinationsbüro in Goma in der Demokratischen Republik Kongo. Sie ist Psychologin und betreut Projekte zur Friedensförderung und Betreuung von Gewaltopfern. Sie ist Mutter von zwei Kindern, ihr Mann ist ebenfalls Psychologe und arbeitet als Berater. Text und Foto Annelies Hegnauer
Was machen Sie heute beruflich? Ich bin verantwortlich für die HEKS-Projekte in meinem Land mit den Schwerpunkten Friedensförderung, Konfliktbewältigung und Gewaltprävention sowie ganzheitliche Betreuung von Opfern se xueller Gewalt. Was beschäftigt Sie im Moment am meisten? Im Moment geht es im Koordinationsbüro ziemlich hektisch zu und her. Es sind zwei Fachpersonen da, die das Landesprogramm der vergangenen drei Jahre evaluieren, zudem hat der neue Landesdirektor eben erst seine Arbeit aufgenommen. Vor kurzem weilten zwei Controlling-Spezialisten aus Zürich bei uns und jetzt haben wir erneut Besuch. Da habe ich als dienstälteste Mitarbeiterin viele Zusatzaufgaben zu erledigen.
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Wie sind Sie mit HEKS in Kontakt gekommen? Ich hatte zuvor für eine andere internationale Organisation gearbeitet. Dann sah mein Mann beim Vorbeifahren am Eingangstor des Koordinationsbüros von HEKS ein Stelleninserat. Ich war gerade für die andere Organisation im Einsatz, bewarb mich dann aber so rasch wie möglich. Ich durfte mich vorstellen, und anscheinend habe ich mit meinem Auftritt und meinen Unterlagen überzeugen können, denn ich erhielt die Stelle. Wo wohnen Sie? In Goma, im Quartier Katindo, das ist etwa eine halbe Stunde Fussmarsch oder rund zehn Minuten mit dem Motorrad vom HEKS-Büro entfernt.
Was macht Sie glücklich? Ich bin oft glücklich. Ich bin glücklich, dass mein Mann, der auch Psychologe ist, eine Arbeit hat. Ich bin glücklich über unsere beiden tollen Kinder und ich freue mich, dass meine Rechte als Frau von meinem Umfeld respektiert werden. Was macht Ihnen Angst? Ich habe keine Angst bei der Arbeit, obwohl diese oft schwierig und belastend ist. Aber ich habe Angst, dass ich meine Kinder, meinen Mann oder meine Eltern verlieren könnte oder dass ihnen etwas zustossen könnte. Was bringt Sie zum Lachen? Ich lache über Theaterstücke, über Sketches. Da ich aus Zeitgründen nicht oft ins Theater gehen kann, schaue oder höre ich diese auf DVD oder CD. Am Wochenende lache ich mit meinen Kindern. Oft lade ich Kolleginnen und Kollegen von ihnen ein, das ist dann immer sehr lustig. Ein schöner Moment, an den Sie sich erinnern? Das war, als ich das Universitätsdiplom in meinen Händen hielt und es eine grosse Feier gab. Ich war so stolz und mein Vater war es ebenso. Denn es war nicht selbstverständlich, dass ich als Mädchen studieren durfte. Mein Vater hatte dafür gekämpft, dass neben dem Sohn auch seine vier Töchter ein Studium absolvieren konnten. Der Moment, als ich das Ziel erreicht hatte, war für mich wirklich unbeschreiblich schön. Was ist Ihr grösster Wunsch? Meine Kinder sollen ihren Weg machen und verantwortungsvoll durchs Leben gehen, wie ich das tue. Und ich wünsche mir, dass alle Menschen ihr eigenes Stück Land haben, auf dem sie wohnen und das sie bebauen können. Und dass ein friedliches Zusammenleben auch in meinem Land irgendwann Realität wird.
AGENDA
OeME-Herbsttagung Vor zehn Jahren wurde die Ökumenische Wassererklärung von den schweizerischen und brasilianischen Landeskirchen verabschiedet. Damit wurde die internationale Forderung nach einem Menschenrecht auf Wasser und die Anerkennung der Bedeutung von Wasser als öffentliches Gut verstärkt. 2010 wurde schliesslich das Recht auf Wasser von den Vereinten Nationen verabschiedet. Seither hat sich viel verändert: Einerseits wurde das Millenniumsziel zur Halbierung der Anzahl Menschen ohne Wasser erreicht. Anderseits wächst die Zahl der Menschen, die unter Wassermangel leiden, stetig und Wasser wird zu einer immer begehrteren Handelsware. An dieser Herbsttagung wird aufgezeigt, was sich seit 2005 in Bezug auf einen gerechten Zugang zu Wasser verändert hat und welche Herausforderungen sich uns heute stellen. Weitere Informationen und Programm: www.refbejuso.ch/oeme SAMSTAG, 28. NOVEMBER 2015, 8.45 – 16.30 UHR
Bern, Kirchgemeindehaus Johannes, Wylerstrasse 5 Anmeldung bis 7. November an: heidi.vonkaenel@refbejuso.ch
Global Day of Action Kommt mit auf die Strasse! Am «Global Day of Action» soll ein Zeichen für eine ambitionierte und gerechte Klimapolitik gesetzt werden. Kurz vor dem 21. UNKlimagipfel in Paris werden Hunterttau sende Menschen weltweit auf die Strasse gehen. Auch in der Schweiz: Die KlimaAllianz organisiert daher in fünf Städten Veranstaltungen. Weitere Informationen unter www.klima-allianz.ch/aktuell/ SAMSTAG, 28. NOVEMBER 2015
Bern, Zürich, Genf, St. Gallen und Lugano
Tagung Konzern-Initiative
28. Osteuropa-Tag Die Menschen aus Osteuropa und dem Balkan migrieren Richtung Westen. In den vergangenen zehn Jahren hat pro Jahr durchschnittlich rund ein Prozent der Bevölkerung die Heimat verlassen. Und die Tendenz ist steigend. Beispielsweise verliessen allein im vergangenen Winter zwischen 50 000 und 100 000 Menschen den Kosovo. Das sind rund fünf Prozent der Bevölkerung. Die Ursachen für die Migration aus Osteuropa sind überall dieselben: Es fehlt an wirtschaftlichen Perspektiven. Ob qualifiziert oder nicht, jung oder in der Lebensmitte – die Menschen finden kaum noch Arbeit. Und wenn sie eine Stelle haben, genügt der Lohn oft nicht, um überleben zu können. Die Jobangebote im Westen sind daher nur allzu verlockend, so dass die Menschen ihr Land verlassen, um ihr Glück anderswo zu suchen.
Die Konzernverantwortungsinitiative wurde Ende April lanciert und sieht Sorgfaltsprüfungspflichten für Schweizer Unternehmen vor, damit sie die Respektierung der Menschenrechte und Umweltstandards verbindlich in ihre Geschäftsabläufe einbauen müssen. Damit verbunden ist eine Erweiterung der Schadenshaftung für Unternehmen im Falle von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch ihre Tochterfirmen – orientiert am Modell der Geschäftsherrenhaftung. An der Fachtagung wird der Initiativtext im Detail vorgestellt. Zudem diskutieren RechtswissenschaftlerInnen aus verschiedenen Bereichen über die Auswirkungen und die Umsetzung der Initiative. Kosten: Fr. 50.– / 25.– (Nichtverdienende). MITTWOCH, 2. DEZEMBER 2016, 13.00 – 18.00 UHR
Der Osteuropa-Tag bietet Gelegenheit, sich vertieft mit den Ursachen und Konsequenzen der Migration in Osteuropa und dem Balkan auseinanderzusetzen. Der Osteuropa-Korrespondent des «Tages-Anzeigers», Bernhard Odehnal, gibt einen Überblick über die Situation in Osteuropa und im Balkan. Die HEKSBereichsleiterin Inland, Antoinette Killias, erörtert, wie sich die Migration aus Osteuropa in der Schweiz auswirkt und wie HEKS die Integration von Menschen aus dem Ausland verbessert. SAMSTAG, 23. JANUAR 2016
Zürich, Kirchgemeindehaus Schwamendingen, Stettbacherstrasse 58 Anmeldung bis 8. Januar unter: www.heks.ch/osteuropatag
Bern, Kultur Casino Bern, Herrengasse 25 Weitere Informationen, Programm und Anmeldung bis 25. November unter: www.konzern-initiative.ch/fachtagung
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