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Das Leben neu erfinden Ein Modell gegen die saure Einsamkeit
Rembert Unterstell berichtet über eine der zahlreichen „Endlich-leben-Gruppen“ in der FeG Bonn Bonn. „Endlich-leben-Gruppen“ ermöglichen persönliche Veränderung und setzen heilsame Impulse frei. „Du bist doch in der Endlich-leben-Gruppe für Männer“, sagt die ältere Dame mit dem markanten Kurzhaarschnitt nach dem Sonntagsgottesdienst. In ihrer Stimme liegt etwas Vibrierendes: „Hast Du das denn überhaupt nötig?“ Der verdutze Angesprochene antwortet freundlich – und ausweichend. So wird die Nachfrage bei anderer Gelegenheit bohrender: „Nun sag doch mal, welche Themen besprecht Ihr gerade in der Gruppe?“ „Das ist keine Diskussionsrunde“, sagt der Angesprochene spitz und erläutert das Anliegen der Endlich-leben-Gruppen, die in Gemeinden wachsenden Zuspruch finden. Die Antworten befriedigen nicht. Ein gewittriger Blick oder ein leises Achselzucken sind unübersehbar, auch gehört nicht viel dazu, einen Gedanken – einem Ticker gleich – von 28
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der Stirn zu lesen: „Ein komischer Heiliger! Der muss es nötig haben. Und geheimniskrämerisch ist er wie die anderen Männer der Gruppe auch“.
Hilfe für „normale“ Menschen Doch mit Schneckenhaftigkeit oder eitler Wichtigtuerei hat dies wenig, mit einem Prinzip dieser Selbsthilfegruppe viel zu tun: Vertraulichkeit, Diskretion und Anonymität zu wahren, ist unverzichtbar für jeden Einzelnen und für die Gruppe. Endlich-leben-Gruppen, getrennt für Frauen und für Männer angeboten, bieten einen geschützten Raum für Menschen mit Nöten, Verstrickungen und Problemen, die nicht mehr überleben, sondern „endlich leben“ wollen. Bei der ersten Männergruppe in der FeG Bonn – Frau-
en fühlen sich von dem Angebot weitaus häufiger angesprochen – steht immer ein Papierkegel auf dem Tisch. „Was Du hier hörst bitte lass’ es hier!“ Sieben Männer sind es, die sich im Oktober 2004 erstmals um einen Tisch im Gemeindehaus versammeln – alle „mitten im Leben stehend“, durchschnittlich 45 Jahre alt, Familienväter, Ehemänner und ein Single. Von Beruf sind sie Programmierer oder EDV-Spezialist, Polizeibeamter oder Gewerbetreibender in der Druckbranche, Fotograf oder Redakteur – von außen betrachtet, eine ideale Mannschaft für die Öffentlichkeitsarbeit. Alle bleiben „dran“ – zwei Jahre lang.
Auf dem Weg zur Ganzheit So unterschiedlich die persönlichen Hintergründe sind, so sehr verbindet sie eine Erkenntnis: „So
kann es mit meinem Leben nicht weitergehen!“ Unterstützt von einer Selbsthilfegruppe, die nach dem „12-Schritte-Prinzip“ arbeitet, wollen sie aufbrechen, sich verändern und neue Schritte wagen. Das 12-Schritte-Programm diente anfänglich dazu, abhängigen Menschen zu helfen. 1938 hat der Amerikaner Bill Wilson das Programm der „Anonymen Alkoholiker“ (AA) formuliert, das weltweit Schule gemacht hat. In Deutschland arbeiten AA-Gruppen seit 1953. Weniger bekannt ist, dass die „Anonymen Alkoholiker“ ursprünglich christliche Wurzeln hatten. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden diese wiederentdeckt, was eine neue, „rechristianisiert e“„Endlich-lebenBewegung“ angestoßen hat. Sie richtet sich nicht nur an Men-
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Die Werte der „Endlich-Leben-Gruppen“ π Christliche Spiritualität Ohne Gott geht nichts. Das ist unsere Grunderfahrung. Unsere Spiritualität hat ihr Zentrum in Jesus Christus. Dabei leben wir Einheit in Vielfalt. Wir schätzen die unterschiedlichen Ausdrucksformen von Spiritualität als wertvolle Ergänzung. π Ganzheitlichkeit Wir verstehen die Welt als ein komplexes, aber vernetztes System. Darum achten wir bei allem auf die größeren Zusammenhänge und denken und handeln konsequent unter systemischen Gesichtspunkten. Das hat entscheidenden Einfluss auf unser Verständnis von Problemen und deren Lösungen. π Beziehungsfähigkeit Leben besteht grundlegend darin, eine vertrauensvolle und angemessene Beziehung zu sich selbst, zu anderen Menschen, der Welt und zu Gott zu pflegen. Wir schätzen Nähe genauso wie notwendige Abgrenzungen. Gerade darin erweist sich eine gute Beziehung. π Barmherzigkeit All unser Tun ist durchdrungen von der Erkenntnis unserer Grenzen. Hochmut sehen wir als die größte Falle an. Deshalb entwickeln wir leidenschaftlich den Mut, schwach sein zu dürfen und mit der Schwäche anderer respektvoll und barmherzig umzugehen.
π Wahrheit Wir haben eine Leidenschaft, den Dingen auf den Grund zu gehen. Das erfordert Mut zur Wahrheit. Wir wissen: Wahrheit macht uns frei. Darum ringen wir um Eindeutigkeit, Ehrlichkeit und Wahrheit. π Gelassenheit Gelassenheit ist ein kostbares Geschenk Gottes und prägt alle unsere Aktivitäten und Prozesse. Gott „machen zu lassen” ist der Kern von Gelassenheit. Das führt zu der Freiheit, loslassen zu können. So entwickeln wir ein Gespür für Situationen, die uns einengen. π Kompetenz Vielfältige Kompetenzen (geistliche, fachliche, soziale und emotionale) sind uns wichtig. Deshalb schätzen wir theologische und humanwissenschaftliche Erkenntnisse. Wir haben eine Leidenschaft, uns ständig weiterzuentwickeln. π Schönheit Befreites Leben strahlt eine innere Schönheit aus. Das Leben wieder genießen zu können und sich am Schönen zu freuen, ist Geschenk Gottes. Darum prägen Kreativität & Ästhetik
schen mit Abhängigkeiten, sondern an Frauen und Männer mit ganz unterschiedlichen Lebensproblemen und Belastungen. Bislang haben mindestens 50 christliche Gemeinden im deutschen Sprachraum 12-Schritte-Gruppen angeboten. Und die Erfahrung zeigt: Ist das Angebot erst einmal bekannt, ist die Nachfrage groß. In der FeG Bonn zum Beispiel sind in den letzten drei Jahren allein zehn Gruppen durchgeführt worden.
lich-leben-Gruppen werden Menschen aufgrund der heilenden Beziehung zu Jesus Christus so verändert, dass sie einen entscheidenden Einfluss auf ihr Umfeld gewinnen“. Bemerkenswert ist, dass die Gruppen auch glaubens- und gemeindefernen Menschen offenstehen sollen. Sie verstehen sich nicht als „umettikettiertes“ BibelLernprogramm oder verkappter Glaubensgrundkurs, sondern als Lebensschule, getragen von einer christlichen Spiritualität. Von deren Strahlkraft ist der Koordinator des bundesweiten Endlich-lebenNezwerks überzeugt: „Gemeinde kann ihre Ghetto-Enge überwinden, eine offene Tür für Suchende und mit Problemen beladene Menschen bieten“, sagt Seekamp und fügt hinzu. „So machen wir die liebevolle Barmherzigkeit Jesu sozial erfahrbar“.
Menschen werden zu Hoffnungszeichen Helge Seekamp, Pfarrer einer evan gelisch-reformierten Gemeinde in Lemgo, und Mitgründer und Koordinator des Endlich-leben-Netzwerks (www.endlich-leben.net) bilanziert: „Menschen werden zu Hoffnungszeichen! Durch End-
den Umgangsstil und die Atmosphäre unserer Arbeit. Auch das Design unserer Produkte, Präsentationen und unseres übrigen Auftretens soll schön sein. Umfangreiches Wissen vermitteln wir schön, einfach und verständlich.
Die Werte-Pyramide der „Endlich-lebenGruppe“
Christliche Spiritualität
Ganzheitlichkeit
Barmherzigkeit
Beziehungsfähigkeit
Wahrheit
Kompetenz
Wenn Masken fallen Und wie arbeitet eine Endlich-leben-Gruppe konkret? Arbeitsgrundlage ist ein Buch mit Programm-Titel: „Endlich leben! Heilung, Veränderung, Gelassenheit“ (Brunnen-Verlag, Gießen). Meist beginnt die Bonner Männergruppe mit einer lockeren Austauschrunde oder einer gemeinsamen „Gesangsdarbietung“. Das eingängige Lied „Neue Schritte wagen …“ wird rekordverdächtig oft gesungen. Die Atmosphäre ist gelöst, es wird auch gelacht und miteinander gefrotzelt. Häufig folgt eine kurze Gebetsgemeinschaft, bevor die Gruppenarbeit beginnt. Zu deren Regeln gehört „Ich“ zu sagen und von sich zu sprechen statt unverbindlich zu bleiben „man kann das nicht ...“ Die Teilnehmer lassen sich stehen, in dem
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Schönheit
was sie sagen. Es gibt keine Korrektur, keine Bewertungen und keine gut gemeinten Ratschläge, wobei Letzteres nicht immer gelingt. Gelegentlich erfordert das zusammengebissene Lippen. So muss jeder lernen, sich und die Gruppe auszuhalten und den anderen anzunehmen und wertzuschätzen, so wie er ist. Das Vertrauen wächst untereinander, das ist schnell spürbar. Jeder hat die Freiheit, das zu offenbaren, was er möchte. Nur wenn er etwas mitteilt, muss es ehrlich und authentisch sein – sonst bleibt es bei der Kulissenschieberei und dem Maskenspiel des Alltags.
Nur mit leeren Händen können wir greifen Kannst du deinen „blinden Fleck“ im Leben finden und auf den Punkt bringen? So fragt das Christsein Heute 2/2007
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Literatur: Eine gute persönliche Vorbereitung, zum Beispiel durch das Beantworten von Fragen zur Reflexion, ist unverzichtbar für die wöchentliche Arbeit in der Gruppe.
Das Buch der „Endlich-leben-Gruppen“: Helge Seekamp u.a. Endlich leben! – Ein Arbeitsbuch Paperback, 248 Seiten Brunnen Verlag 2004, EUR 19,95 Bestellungen bei: Bundes-Verlag Buchhandlung Bodenborn 43, 58452 Witten Tel.: 0 23 02 / 9 30 93 950 Fax: 0 23 02 / 9 30 93 709 E-Mail: info@bvbuch.de
Kontakt: Fragen zur Gruppengründung in der eigenen Gemeinde beantwortet hilfreich und kompetent: www.endlich-leben.net 30
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Programm. Harmoniesucht oder Alkoholabhängigkeit, Depression und Minderwertigkeitsempfinden, Beziehungszerrüttung und Selbstzweifel, existenzielle Sorgen und soziale Ängste sind solche Stichworte der Teilnehmer. Der erste gemeinsame Schritt „Endlich am Ende“ verlangt „Du musst kapitulieren!“ Wie leicht ist das gesagt, aber wie schwer ist es wirklich vollzogen. Ein Gruppen-mitglied sagt es bildhaft: „Du musst erst leere Hände haben, um nach Neuem greifen zu können“. Schritt für Schritt werden die Muster in der eigenen Lebensgeschichte aufgespürt. Dahinter stehen schmerzliche Erfahrungen und Prägungen aus Elternhaus und Kindheit sowie langjährig antrainierte Verhaltensmuster. „Die Beziehungen zum ICH und zum DU haben Schaden genommen, was in Ehe und Familie, in Beziehungen und am Arbeitsplatz seine Folgen hat“, unterstreicht ein Teilnehmer nachdenklich. Doch wie lässt sich das ändern?
Sich in Gottes Arme werfen Ein Schlüssel zur Veränderung ist, psychologisch gesprochen, sicher die liebevolle Achtsamkeit der Teilnehmer untereinander und die schrittweise Einsicht in ganzheitliche Lebenszusammenhänge. Doch das Eigentliche liegt, geistlich gesprochen, nicht in Menschenhand: Wir können uns nur in die Arme Jesu fallen lassen und auf seine verändernde Kraft und seinen Geist setzen. Das erfordert Vertrauen, Glauben und neue Hoffnung. Kannst du das glauben? Willst du es wagen? So zu werden, wie Gott dich angelegt und gemeint hat. Eines ist für alle
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Die 12 Schritte der „Endlich-LebenGruppen“ im Überblick
π Schritt 1: Endlich am Ende „Wir gaben zu, dass wir unseren Abhängigkeiten und Problemen gegenüber machtlos sind – und unser Leben nicht mehr meistern konnten.“ π Schritt 2: Nie mehr allein „Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.“ π Schritt 3: Sich Gott geben „Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes – soweit wir ihn verstanden – anzuvertrauen.“ π Schritt 4: Endlich sich kennen „Wir machten eine gründliche und furchtlose Inventur in unserem Inneren.“ π Schritt 5: Endlich dazu stehen „Wir gaben Gott, uns selbst und einem anderen Menschen gegenüber unverhüllt unsere Fehler zu.“ π Schritt 6: Bereit für Veränderungen? „Wir waren völlig bereit, all diese Charakterfehler von Gott beseitigen zu lassen.“
π Schritt 7: Die Verwandlung zulassen „Demütig baten wir ihn, unsere Mängel von uns zu nehmen.“ π Schritt 8: Dinge in Ordnung bringen „Wir machten eine Liste aller Personen, denen wir Schaden zugefügt hatten, und wurden willig, ihn bei allen wieder gutzumachen.“ π Schritt 9: Dinge in Ordnung bringen „Wir machten bei diesen Menschen alles wieder gut – wo immer es möglich war –, es sei denn, wir hätten dadurch sie oder andere verletzt.“ π Schritt 10: Das Sofort-Prinzip „Wir setzten die Inventur bei uns fort, und wenn wir Unrecht hatten, gaben wir es sofort zu.“ π Schritt 11: Beziehung mit Gott leben „Wir suchten durch Gebet und Besinnung die bewusste Verbindung zu Gott – soweit wir ihn verstanden – zu vertiefen. Wir baten ihn, uns seinen Willen erkennbar werden zu lassen und uns die Kraft zu geben, ihn auszuführen.“ π Schritt 12: Zum Zeugen werden „Nachdem wir durch diese Schritte ein geistliches Erwachen erlebt hatten, versuchten wir, diese Botschaft anderen weiterzugeben und unser tägliches Leben nach diesen Grundsätzen auszurichten.“
Was Du hier hörst – wenn Du geh st, bitte, lass es hier!
Vertraulichkeit, Diskretion und Anonymität zu wahren, ist unverzichtbar für jeden Einzelnen und für die Gruppe.
sicher: Ohne IHN geht es nicht. Und es gilt die Zusage: „Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir, habe keine Angst, denn ich bin dein Gott! Ich helfe dir“ (Jes. 41, 10). Zugleich zeigt sich: Das Endlich-leben-Programm serviert keine schnellen, überstülpenden Antworten, auch nicht solche im fromm-verbrämten Gewand. Es fordert heraus zum ehrlichen und individuellen Weg zu Jesus, in die lebendige Nachfolge hinein. Vorgestanzte Allerweltsantworten helfen nicht. Wohl eine neue oder intensivierte Beziehung zu IHM, die wachsen und „heil“ werden lässt.
Veränderung alltäglich leben Die sieben Männer wagen verändernde Schritte und erproben neue Denk- und Verhaltensweisen. Die Münzen in der Alltagsumsetzung sind klein, aber wertvoll. Dazu gehören etwa das abgrenzende Neinsagen auch gegenüber Freunden, das wiedergutmachende Gespräch mit der Ehefrau, das Zügeln der eigenen Unbeherrschtheit in der Familie oder das Einfordern berechtigter Ansprüche am Arbeitsplatz. Manches gelingt, anderes nicht. „Gelassenheit ist gefragt“, unterstreicht ein Familienvater in seiner trockenen Art. Auch berichtet mal dieser, mal jener über Rückschritte in frühere Gewohnheiten hinein, auch von „bequemer Unentschlossenheit“ ist die Rede.
Doch der „Kurs“ stimmt. Viele Selbsthilfegruppen bestätigen es: Langwierige und durchaus nicht nur geradlinige Wege sind die Regel. Hilfreiche Lebensimpulse nehmen alle mit.
Freiheit und Hoffnung finden Am Ende wird den Bonner „12Schrittlern“ ein Psalmistenwort wichtig: „Wir gingen durch Feuer und Wasser. Doch du hast uns in die Freiheit hinausgeführt“ (Ps. 66, 12). Eine Ahnung von dieser geschenkten Freiheit – vielleicht einem tiefen Durchatmen am Meer vergleichbar – wird spürbar. So bietet die Endlichleben-Gruppe nicht nur einen Zeit-Raum für Selbstbegegnung und Lebensveränderung, sondern weckt neue Hoffnung über den Tag hinaus. „Von dem HERRN kommt es, wenn eines Mannes Schritte fest werden / und er hat Gefallen an seinem Wege.“ (Ps. 37, 23). Das kann ermutigen und weiter tragen.
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as kannte ich bisher noch nicht: Zu Beginn des neuen Jahres versagte meine Stimme, nur noch ein kaum hörbares Flüstern war mir möglich. Meine Enkel, für die ein flüsternder Opa sehr ungewöhnlich ist, begannen ebenfalls zu flüstern. Vermutlich dachten sie, ich machte mit ihnen ein geheimnisvolles Spiel. Aber für mich war das Gefühl der Hilflosigkeit alles andere als lustig. Beim Betreten des Hausflurs überlegte ich, wie ich reagiere, wenn mir jemand begegnet. Für wie unhöflich werden mich die Leute halten, wenn ich sie nicht richtig grüßen kann? Und wie sollte ich mich beim Bäcker oder Apotheker verständlich machen? Diese und andere Überlegungen gingen mir durch den Kopf. Die Stimmlosigkeit war eine eigenartige und wohl auch wichtige Erfahrung für mich. Und das Schlimmste: Ich durfte nicht predigen! Glücklicherweise ist diese Zeit nun vorbei. Aber mich beschäftigten noch andere Gedanken: Was ist, wenn Gott mir einmal wirklich meine Stimme nimmt – etwa wie bei Zacharias, der dem Wort Gottes misstraute und nicht mehr sprechen konnte, bis Gott seine Zusage erfüllte (Lukas 1, 20)? Und ist es nicht auch möglich, mit einer kräftigen und klangvollen Stimme geradezu stumm zu sein? Dann mögen unsere Worte noch so klug und überzeugend wirken, ohne die durchdringende Kraft des Heiligen Geistes werden sie nicht die Herzen erreichen. Vielleicht setzen sie Emotionen frei, aber sie schaffen keine wirkliche Frucht (1. Korinther 2, 1). Paulus hat gewusst, wie sehr ein Prediger des Evangeliums beim Reden auf den Heiligen Geist angewiesen ist. Da kann es durchaus sein, dass einer nur eine schwache und kaum verständliche Stimme hat, aber Gottes Sprache spricht er so verständlich und klar, dass seine Zuhörer ins Nachdenken kommen und durch ihn Gottes Stimme vernehmen. Und was das eigentliche Geheimnis dabei ist? Nein, nicht Selbstaufopferung und Pflichterfüllung. Nach 1. Korinther 13 ist es die Liebe, die Liebe zu Gott und den Menschen. Ohne sie ist und bleibt unser Reden ein blechernes Scheppern (Vers 1). Vor allem die Liebe macht die Stimme schön.
Peter Strauch
Dr. Rembert Unterstell ist Wissenschaftsjournalist und arbeitet als geschäftsführender Redakteur der Magazine „forschung“und „german research“.
Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden
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