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Gemeinschaft leben |
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DasHauskreisMagazin Nr. 4/2007
Geistliche Selbsthilfe:
In zwölf Schritten befreit „Die eigenen Lebenskonflikte gemeinsam durcharbeiten“ – das ist Ziel des zwölf-SchritteProgramms „Endlich leben!“. Brigitte Eckel hat in ihrer Gemeinde erfahren, dass Menschen Befreiung und Heilung erlebt haben.
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ndlich leben!‘ ist das Beste, was mir je passiert ist!“, „Mein Leben ist so viel leichter“, „Ich nehme Jesus jetzt ungefilterter wahr“, „Ich war in Mustern gefangen, die mich überleben, aber nicht leben ließen“ – die Reaktionen von Teilnehmern am „Endlich leben!“-Programm in unserer Gemeinde sind mehr als ermutigend. Seit drei Jahren läuft das Programm, das von dem Lemgoer Pastor Helge Seekamp zusammen mit anderen entwickelt wurde. Viele Teilnehmer haben eine tiefgreifende Veränderung in Brigitte Eckel ist BTS-Seelsorgerin und ihrem Leben erfahren. Dabei sind die meisten schon lebt mit ihrem Mann in zwanzig oder dreißig Jahre Christen, und doch erleKassel. ben sie, dass eine neue Beziehung zu Jesus wächst. Mitbringen müssen sie die Bereitschaft, ein Jahr lang jede Woche an einem Treffen teilzunehmen, denn „Endlich leben!“ setzt auf Kontinuität. Sie verpflichten sich bei den Gesprächen offen und ehrlich zu sein, Gefühle zuzulassen und auch noch Hausaufgaben zu erledigen, weil sie Heilung, Veränderung und Gelassenheit erfahren wollen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Ängste, Groll, Neid, Eifersucht, Beziehungsabhängigkeit, Kontrollsucht oder Wutausbrüche das Leben einengen. Hier ist jeder richtig, der von sich sagt: „So wie ich jetzt lebe, möchte ich in den nächsten zehn oder zwanzig Jahre nicht weiterleben.“ Stoffgebundene Süchte spielen zur Zeit in unseren Gruppen eher eine untergeordnete Rolle, aber auch hier kann „Endlich leben!“ ansetzen.
Internet: www.endlich-leben.net
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Die Oxforder Gruppenbewegung Der Ursprung dieses Programms liegt in einem geistlichen Aufbruch in den Anfängen des vorigen
Jahrhunderts. Die so genannte Oxforder Gruppenbewegung wollte in den Kirchen den lebendigen Glauben wieder neu entzünden. Manche Menschen, die sich bekehrten, erlebten eine dramatische Heilung und erwarteten sie durch ihre „Predigten“ auch bei Anderen. Doch nichts geschah. Deshalb belehrten die Betroffenen nicht weiter andere, sondern berichteten aus eigenem Erleben. So entstanden geistliche Selbsthilfegruppen, in denen sich die zwölf Schritte entwickelten. Später gerieten die christlichen Wurzeln in den Selbsthilfegruppen immer mehr in den Hintergrund. Das heutige 12-Schritte-Programm von „Endlich leben!“ knüpft wieder an den christlichen Ursprung an und ist ein erstaunlich hilfreiches Werkzeug, Menschen – auch außerhalb von Suchtproblematiken – zu heilen und zu Lebensveränderungen zu führen. Als die Gemeindeleitung meinen Mann und mich vor fünf Jahren fragte, ob wir einen Jüngerschaftskurs anbieten könnten, haben wir uns verschiedene Materialien angesehen und kamen zu der Überzeugung, dass das geistliche Selbsthilfeprogramm „Endlich leben!“ für unsere Gemeinde das Richtige sein könnte. So haben wir es erst einmal ausführlich vorgestellt und immer wieder in den Gottesdiensten und mit Flyern dafür geworben. Sich öffnen, hinhören und anschauen Vor Beginn jeder neuen Gruppe steht ein Informationsabend. An unserem letzten Infoabend im September 2006 kamen ungefähr vierzig Personen – etwa die Hälfte war nicht aus unserer Gemeinde. Daraus entstanden vier Gruppen mit je sieben bis neun Personen.
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t Vereinzelt nehmen auch Nichtchristen an den Gruppen teil, die das „fromme“ Leben der Anderen erst einmal aushalten müssen. Sie profitieren besonders, wenn sie im Laufe des Programms Schritt drei, „Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unsere Leben der Sorge Gottes – soweit wir ihn verstanden – anzuvertrauen“, akzeptiert haben und halten dann auch durch. Unser Gruppenabend dauert eineinhalb Stunden. Wir setzen einen dezenten Wecker ein. Jede Person entscheidet selbst, was sie sagen möchte. Es geht nicht um Diskussionen und um das Erzählen irgendwelcher „Geschichtchen“, sondern um das ehrliche sich Öffnen, Hinhören und Anschauen, in der tiefen Gewissheit, dass Gott das Leben neu ordnen und heilen kann. Schmerzliche Anfänge Die Gestaltung des Abends ist schlicht: Eine herzliche Begrüßung, ein Lied von der CD, ein Gebet, eine erste Runde, in der weitergegeben wird, was sich in der vergangenen Woche ergeben hat. Die Erfahrungen, Eindrücke und Erkenntnisse aus der Hausaufgabe sind Grundlage für die zweite Runde – hier kann direkt nachgefragt oder aus eigener Erfahrung ergänzt werden. Oft hilft der Beitrag eines Anderen, Dinge im eigenen Leben aufzudecken und zu bearbeiten. Dabei kann es vorkommen, dass von Erlebnissen erzählt wird, die kaum auszuhalten sind – zum Beispiel aus der Kindheit – und einige weinen mit. Eine Teilnehmerin fragte bei so einer Erinnerung: „Wo warst Du Gott?“ Später berichtet sie, dass sie beim Fahrradfahren eine Stimme hörte: „Ich war da, ganz tief unter dir, möchtest Du jetzt noch einmal deine Geschichte
mit mir durchgehen?“ „Nein“ antwortete sie, „das ist mir zu schwer“ und konnte nur noch weinen. Dann hörte sie Jesu Stimme in ihrem Herzen: „In Ordnung, ich warte“. Mit diesem Reden Gottes fing die Heilung an. Es bewegt uns auch immer wieder, wenn Gruppenteilnehmer Schritte gehen und ein Veränderungsprozess sichtbar wird, selbst wenn es zunächst nur kleine Veränderungen sind. Wenn Sünde benannt und bekannt wird, ist es zunächst sehr schmerzlich, doch dadurch wächst die Beziehung untereinander. Jede positive Veränderung, jeder Fortschritt wird von den anderen freudig aufgenommen. Oft geht es den Teilnehmern zunächst schlechter, nämlich dann, wenn sie aufhören zu leugnen, ihre Situation auf sich wirken lassen und ihre Ohnmacht erkennen. Es kommt auch vor, dass Teilnehmerinnen einfach nicht (oder noch nicht) an ihre Probleme herankommen wollen oder können und vielleicht auch ganz aus der Gruppe aussteigen. Es gibt Rückschritte, die zu verkraften sind und manchmal sind Rückschritte die Startbasis für einen größeren Sprung.
„Gott hat ‚Endlich leben!‘ dazu benutzt, mir meine Lebenslügen und mein falsches Gottesbild aufzuzeigen.“
Der Stolz bröckelt Jeder Gruppe sind bei uns zwei Leiter zugewiesen. So ist eine gegenseitige Unterstützung möglich und man kann sich vertreten, so dass keine Gruppenstunde ausfallen muss. Man braucht kein Psychologie-Studium, um Leiter(in) werden zu können, aber es ist hilfreich, selbst an einer Gruppe teilgenommen oder eine Schulung beim Endlich-leben!-Netzwerk besucht zu haben. Zur Aufgabe der Leitung gehört es, die Gruppenstunden zu moderieren, auf die Einhaltung der Regeln zu
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Hier ist jeder richtig, der von sich sagt: „So wie ich jetzt lebe, möchte ich den nächsten zehn oder zwanzig Jahre nicht weiterleben.“
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achten und die Teilnehmer immer wieder zu ermutigen, dran zu bleiben, auch wenn manche Schritte schmerzhaft sind. Sie ist aber nicht dafür verantwortlich, dass jemand das Ziel erreicht, das er sich am Anfang gesteckt hat. Als Leiterin weiß ich, dass ich in allem von Gott abhängig bin. Er rettet, er heilt und nicht ich oder das Programm „Endlich leben!“ Die zwölf Schritte sind die Leitplanke, um zerstörerische Muster im Lichte Gottes zu entdecken und eine gesunde Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst aufzubauen. Dabei ist es wichtig, dass die Leitung nicht über, sondern in der Gruppe steht – mit den eigenen Gefühlen, dem Erleben, dem Ehrlichwerden und dem Versagen. Dadurch wird das Sich-Öffnen innerhalb der Gruppe gefördert. Bei der Leitung geht es auch um die eigene Veränderung. Man profitiert selbst davon. Als ich bei Schritt 5 („Wir machten eine gründliche und furchtlose Inven-
tur in unserem Innern“) der Co-Leiterin mit Zittern mein Innerstes offenbarte, fing mein Stolz an zu bröckeln. Ich durfte Schwäche zugeben und dabei Gottes Barmherzigkeit erfahren. Mein Leben hat sich durch das Programm verändert, obwohl ich nie als Teilnehmerin mitgemacht habe. Durch die Beschäftigung mit dem Programm bin ich meinen Gefühlen und Verhaltensweisen nicht hilflos ausgesetzt. Ich kann besser reagieren, zum Beispiel bei meinem Mann, der seit vielen Jahren gesundheitlich angeschlagen ist. Seine Krankheit versetzt mich immer wieder in Ängste und bringt mich an meine Grenzen. Mittlerweile breite ich das alles jedoch viel schneller vor Jesus aus, durchschaue mein Selbstmitleid und lerne wieder zu vertrauen und die Dankbarkeit für das, was ich habe, wächst. Meine Familie und meine Bekannten spüren die Veränderung und beschreiben sie mit einer innigeren Gottesbeziehung, mehr Barmherzigkeit und Gelassenheit. <<
Das sagen Teilnehmer des Zwölf-Schritte-Programmes: „Ganz neue Freiheit“ Obwohl ich schon lange Christ war, war ich durch meine Lebenslügen und mein falsches Gottesbild richtig blockiert. Ich lebte in einem ständigen Spannungsfeld von Angst und Selbstbespiegelung – getrieben von dem Anspruch, alles richtig machen zu müssen. Ich hatte Angst vor Gott, der doch nur mein Versagen sieht. In der „Endlich-leben-Gruppe“ konnte ich diese Zusammenhänge erkennen und es fiel eine große Last von mir ab. Obwohl die Teilnahmeverpflichtung über ein Jahr anfangs eher eine Hürde war, konnten wir uns nach der Zeit schlecht vorstellen aufzuhören. So hat ein Teil der Gruppe das Buch noch ein zweites Mal durchgearbeitet und Gott arbeitet immer weiter an jedem von uns, auch wenn die Gruppe jetzt wirklich zu Ende ist. Gott hat „Endlich leben!“ dazu benutzt, mir meine Lebenslügen und mein falsches Gottesbild aufzuzeigen. Das hat mich zu einer ganz neuen Freiheit geführt.
Teilnehmerin (41)
„Alles wurde bunter“ Als der erste Endlich-leben-Kurs in unserer Gemeinde angeboten wurde, war ich mir hundertprozentig sicher, dass ich nie und nimmer daran teilnehmen würde. Niemals würde ich in einer Gruppe über so persönliche Fragen sprechen! Das war absolut indiskutabel. Zwei Jahre später startete ein neuer Kurs. Inzwischen hatte sich einiges in meinem Leben ereignet und ich spürte, dass ich es alleine nicht schaffen würde. Ich brauchte Hilfe! Ich hatte mich schon dazu entschlossen, bei diesem Kurs mitzumachen, als ich gefragt wurde, ob ich als Co-Leiterin einsteigen wollte. Nach einiger Zeit sagte ich zu.
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Ich schrieb meine Gedanken und Gefühle lieber in mein Tagebuch. Mich mit fremden Menschen darüber auszutauschen, war schlichtweg ein Albtraum. Deshalb stehen auch auf der ersten Seite des Buches solche Sätze wie: „Nach der Gruppe fühle ich mich hundeelend schlecht“ oder „Ich fühle mich hier total fehl am Platz“. Das erste halbe Jahr war einfach ätzend. Ich schleppte mich hin zur Gruppe und dann wieder nach Hause – nahm eine Schlaftablette und versuchte den Rest der Woche nicht mehr daran zu denken. So vieles wurde in mir aufgewühlt, warum sollte ich mir das antun – und auch noch freiwillig? Dazu noch Schuldgefühle, weil ich meiner Aufgabe als Gruppenleiterin nicht gerecht wurde. Irgendwann habe ich aufgegeben und mich dazu entschlossen, mich darauf einzulassen und nicht mehr zu blockieren. Ich war ja sowieso mit meinem Latein am Ende. Vorsichtig versuchte ich mich zu öffnen und siehe da – die Welt stürzte nicht ein. Da kam kein Donnerwetter oder vernichtendes Urteil. Keiner brach in anhaltendes Gelächter aus oder fragte, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte. Ich wurde ernst genommen! Ich wurde verstanden! Plötzlich „sprangen“ mich Sätze aus dem Buch an, ich verstand Zusammenhänge. Manchmal war es, als würde ein Vorhang zurückgezogen und ich sah die Dinge aus einem komplett anderen Blickwinkel. Ich erlebte, wie Gott zu mir redete! Irgendwann passierte es sogar, dass ich mich auf den Gruppenabend freute. Ich erzählte das dann auch in der Gruppe und spürte, dass sich die Anderen mitfreuten. Mein Mann spürte eine Veränderung. Ich fing an zu leben! Nicht, dass ich vorher nicht gelebt hätte, aber plötzlich wurde alles bunter. Vorher gab es viel Schwarz und Weiß, jetzt kam die Farbe dazu. Ich stellte erstaunt fest: Die Welt ist bunt!
Co-Leiterin (46)