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Besonnen im Wandel
Der diesjährige Personalmanagementkongress (PMK) mit dem Schwerpunkt Metamorphose – veranstaltet vom Bundesverband der Personalmanager*innen (BPM), Quadriga und dem Human Resources Manager –spiegelte die zentralen Themen der Zeit für Personalverantwortliche wider und machte einmal mehr deutlich, wie massiv, rasant und vor allem stetig sich der Wandel in der Arbeitswelt vollzieht.
Über tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich am 22. und 23. Juni 2023 zu mehr als 80 Sessions mit hochkarätigen Keynotes, lebendigen Diskussionen, spannenden Impulsen, inspirierenden Preisverleihungen sowie kleinen Auszeiten mit Yoga, Malen, Spaß und Party. „Wir sind dem Titel mit dem vielfältigen Programm gerecht geworden“, resümiert BPM-Präsidentin und Personalvorständin von BP Europa, Inga Dransfeld-Haase gegenüber dem Human Resources Manager. Die Akteurinnen und Akteure bündelten im Berlin Congress Center (BCC) politische, unternehmerische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Perspektiven, die die verschiedenen Facetten des Wandels verdeutlichten. Last, but not least wurde auch die eigene HR-Profession kritisch unter die Lupe genommen. So ging es unter anderem um die Ausgestaltung der Rolle von HR als Innovationstreiber und Enabler, aber auch um das Selbstverständnis von HR. Dransfeld-Haase sieht die Auswahl bestätigt, im Programm auch auf die Schwerpunkte Recruiting und Retention gesetzt zu haben. Alle Unternehmen seien damit beschäftigt, „aber zu sehen, wie Recruiting auf Tiktok funktionieren kann und welche Retention-Maßnahmen möglich sind, war lehrreich“.
Über tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen zum Personalmanagementkongress, um Impulse, Inspirationen und Austausch für ihre Personalarbeit zu bekommen.
Diskussionsstoff gab es reichlich in den zwei Tagen. Beispielsweise zum Thema Workforce Transformation. Hier ging es um die Frage, wie sich die Rahmenbedingungen für Millionen von Beschäftigten verändern werden. Für Dransfeld-Haase ist es „das Thema des Jahrzehnts, das wir kleinteilig herunterbrechen müssen“. Sie plädierte in der Diskussion dafür, für die Thematik ein gemeinsames Verständnis von Politik, Mitbestimmung und Belegschaft zu schaffen. Der BPM hat aus diesem Grund zusammen mit dem Beratungsunternehmen Undconsorten eine Studie zum Thema durchgeführt, deren Ergebnisse in ein White Paper geflossen sind, das auf der Website undconsorten.de/ wft/ abrufbar ist. Im Panel CEO-Perspektiven für HR wurde anhand von branchenspezifischen Beispielen unter anderem thematisiert, wie die Unternehmensstrategie auf HR zurückwirkt und welche Rollen- und Perspektivwechsel es in der Zusammenarbeit künftig braucht.
Starke Gesellschaft als Fundament für Transformation
Pandemie, Energiekrise, Rekordinflation – „Über drei Jahre erleben wir im Moment Krisenmodus“, gab Dr. Ulrich Schneider zu bedenken. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands appellierte in seinem Vortrag an die Anwesenden, über den Tellerrand zu schauen, und warnte im Hinblick auf die ökonomischen Krisen: Es betrifft nicht nur arme Menschen, es betrifft die Gesellschaft. Eine Gesellschaft könne an den Krisen wachsen und neue Solidarität finden, sie könne aber auch daran zerbrechen, so Schneider. Die steigenden Lebenshaltungskosten oder die Krise am Wohnungsmarkt beispielsweise setzten die Gesellschaft unter extremen Stress. Ökonomische Spaltungen gingen oft in politische Spaltung über. Gemäß Schneider braucht es eine starke Gesellschaft und „ein Mindestmaß an Zusammenhalt“, um die notwendigen Transformationen zu schaffen.
Der PMK gab dieses Mal auch mehr weiblichen Stimmen und Menschen mit Beeinträchtigung eine Bühne. Berührend war ein Auftritt des Circus Sonnenstich. Die Mitglieder des inklusiven Projektes begeisterten mit ihrer Lebensfreude und ihrer tänzerischen und akrobatischen Darbietung und konnten sich zudem über eine Spende freuen (siehe auch Seite 87). Dransfeld-Haase verspricht, den Themen Diversität und Inklusion im nächsten Jahr noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Neben den fachlichen Angeboten fanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch ausreichend Gelegenheit für Verschnaufpausen. Von Yoga am Mittag bis zu Malen auf Leinwand bis zur schon legendären Nacht der Personaler*innen im Café Moskau, die im kommenden Jahr sicher eine Fortsetzung findet.
Doch die harten Fakten lassen sich nicht wegfeiern. Arbeitskräftemangel ist wohl die politisch, gesellschaftlich und unternehmerisch größte Herausforderung der Zeit und wurde in verschiedenen Sessions thematisiert. Naturund Klimaschutz stellen Unternehmen ebenso vor große Herausforderungen. Doch klimaneutrales Wirtschaften ist keine Utopie mehr. Vaude hat es geschafft, das ist kein Geheimnis. Doch der Weg dahin war steinig und auch nicht frei von Konflikten in der Belegschaft bis hin zur Verzweiflung. Wie es das Unternehmen dennoch geschafft hat, letztendlich alle hinter dem gemeinsamen Ziel zu versammeln, berichtete Firmenchefin Antje von Dewitz in einem beeindruckenden Vortrag – digital zugeschaltet aus dem Firmensitz bei Tettnang am Bodensee. Getreu ihrem Motto: Kleinstmöglicher Fußabdruck – größtmögliche Lebensqualität. Sirka Laudon verantwortet beim Versicherungsunternehmen Axa das Strategiethema Nachhaltigkeit und berichtete darüber, wie sie Nachhaltigkeit zum Topthema in HR gemacht hat. Sie rief die Anwesenden dazu auf, sich „das Thema zu greifen“. HR sei als Spezialist gefragt. „Die Vorträge haben uns vor Augen geführt, wie viel Arbeit hier noch vor uns liegt, aber uns zeitgleich Mut gemacht und inspirierende Lösungswege aufgezeigt“, so Dransfeld-Haase rückblickend. Man könne und müsse von dort auch die Verbindung zur Nutzung von KI ziehen.
Um dem Arbeits- und Fachkräftemangel zu begegnen, gibt es keine einfachen Lösungen. Jeder Ansatzpunkt trägt auch Hemmnisse in sich. Über die größten Hebel, die stärksten Haken und manche Widersprüchlichkeiten bei der Arbeitskräftesicherung.
Ein Beitrag von Petra Walther
Personal gesucht! Ein Zettel mit zwei Wörtern, wie er derzeit an vielen Fenstern und Türen von Restaurants und Cafés klebt, ist zum Symbol des allgemeinen Fachkräftemangels geworden. Der IAB-Stellenerhebung zufolge – es handelt sich um eine regelmäßige Betriebsbefragung des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) – gab es im ersten Quartal 2023 bundesweit 1,75 Millionen offene Stellen. „Bis 2035, wenn die Babyboomer in Rente sind, geht die Zahl der Arbeitskräfte um sieben Millionen zurück, würden wir das nicht irgendwie ausgleichen können“, sagt Enzo Weber, der beim IAB den Forschungsbereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ leitet.
Mismatch-Problem
Eine drastische Situation. Doch wie kann das sein? Gibt es doch trotz Arbeitskräftemangel gleichzeitig ein Überangebot an Arbeitskräften: Auf 100 von den Betrieben ausgeschriebenen offene Stellen kommen laut des IAB rund 150 arbeitslos gemeldete Personen. „Wir haben unter anderem ein Mismatch-Problem“, erklärt Anika Jansen, Economist im Projekt Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA). „Ein großer Teil der Arbeitslosen passt aufgrund ihrer Qualifikation nicht auf die offenen Stellen. Etwas über die Hälfte der 2,4 Millionen Arbeitslosen sind beispielsweise nur für ein Helferniveau qualifiziert.“ Für diese Menschen ist die Vermittlung in den meisten Berufen schwierig; nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit stehen neun arbeitslose Helfer nur einer gemeldeten offenen Helferstelle gegenüber. Und dies, obwohl fast ein Drittel der Betriebe Vakanzen für Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung nicht besetzen kann, wie der DIHK-Fachkräftereport 2022 zeigt. Ein weiterer, regional bedingter Mismatch scheint hier durch- zuschlagen: Laut Jansen wohnen viele Menschen, die Arbeit suchen, nicht dort, wo es offene Stellen gibt.
Zuwanderung ist ein starker Hebel
Um Arbeits- und vor allem auch Fachkräfte gewinnen zu können, gibt es verschiedene Hebel. Der in der Öffentlichkeit am meisten diskutierte ist die Zuwanderung. Laut IAB-Experte Weber müssten in den nächsten 13 Jahren 18 Millionen Migranten und Migrantinnen nach Deutschland kommen, will man das Arbeitskräftepotenzial konstant halten. Erwerbsmigration aus Drittländern werde dabei immer wichtiger, da voraussichtlich zunehmend weniger Arbeitskräfte aus EU-Ländern wie Polen und Rumänien zuwandern werden. „Die Lebensbedingungen in diesen Ländern verbessern sich. Gleichzeitig ist die demografische Lage dort teilweise noch ungünstiger als in Deutschland.“
Langandauernde Verfahren
Das Recruiting Arbeitswilliger aus Drittstaaten wird jedoch stark ausgebremst. Schuld ist die Bürokratie, die im Übrigen bei der Fachkräftesicherung insgesamt als größtes Hemmnis gesehen wird (siehe hierzu Kasten, Seite 13). „Für uns sind Personen aus Drittstaaten eine wichtige und attraktive Zielgruppe, insbesondere in den Bereichen IT und Engineering. Herausfordernd sind jedoch lang andauernde Verfahren durch die Antragsstellung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen“, sagt etwa Ulrike Stuehmeyer-Pulfrich, Leiterin Center of Expertise beim Werkstoffhersteller Covestro. In der Regel dauert es mehrere Monate, bis jemand aus einem Drittland ein Visum erhält. Die Bundesregierung verspricht mit ihrem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz Besserung, doch Verbände einzelner Branchen sowie Arbeitsmarktexperten äußerten sich diesbezüglich bereits skeptisch. „Was weiterhin für ein effizientes Management fehlt, ist ein digitales System, welches Botschaften, Ausländerbehörden, Zuwandernde und Unternehmen integriert“, erklärt Weber.