BÖSE MUSIK Oden an Gewalt, Tod und Teufel | Programmflyer

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Kann Musik böse sein? Was sagt es eigentlich über den Homo sapiens aus, wenn die beiden heute populärsten Musikgenres immer wieder explizit die Gewalt feiern? Ist die Brutalität in Hip Hop und Heavy Metal eine Metapher oder real? Werden hier nur Fantasien ausgelebt, um den Alltag in Milde und mit Liebe gestalten zu können, oder müssen wir es mit der Angst kriegen?   Sicher ist nicht jeder Death-Metal-Fan ein potenzieller Serienkiller – aber ohne Soundtrack wären die meisten Schulmassaker wohl nicht über die Bühne gegangen. Und es gibt ja noch mehr, noch speziellere Musikgenres: Die mexikanischen Narcocorridos etwa feiern genau be­ schriebene Gräueltaten namentlich genannter Unterweltgrößen, wie auch die Lieder der Mafia. Und ist es in der klassischen Heldenballade nicht eigentlich ähnlich? Warum sind Gewalttäter sexy?   Diesen Fragen geht böse musik in Konzerten, Installa­ tionen, Filmen, Vorträgen und Gesprächen nach. Das Programm thematisiert auch die Rolle von Schall als Waffe, die Verfemung einzelner Instrumente aus religiö-­ sen oder machtpolitischen Gründen und wirft in diesem Zusammenhang einen genauen Blick auf die Wirklich­keit der Voodoo-Kultur, die unter kolonialen Gräuelmythen und hunderten von Zombiefilmen verschüttet wurde. Schließlich kommt es noch zur Ehrenrettung eines gemein-­ hin als Gewalt-anstachelnd angesehenen Genres wie der Marschmusik.   böse musik. oden an gewalt, tod und teufel ist nach unmenschliche musik. kompositionen von maschinen, tieren und zufällen das zweite Musikprogramm zum Anthropozän-Projekt des HKW. Im Mai 2014 folgt doofe musik. lieder zum träumen, betäuben und vergessen. Detlef Diederichsen, Holger Schulze


Can Music be Evil? What does it say about Homo sapiens that today’s two most popular musical genres regularly and explicitly celebrate violence? Is the brutality in hip-hop and heavy metal a metaphor, or is it real? Are these genres just an outlet for their fans’ fantasies, allowing them to go about their daily lives with love and charity, or do we have reason to be afraid?   Surely there isn’t a potential mass murderer in every death-metal fan—but without a soundtrack, most school massacres probably wouldn’t have come to pass. And there are other, more particular musical genres. Mexican narcocorridos, for example, glorify in painful detail the atrocities of underworld bosses, whom they call by name, not unlike the songs of the Mafia. And aren’t the classic heroic ballads actually similar? Why are violent criminals sexy?   evil music explores these questions in concerts, installations, films, talks, and discussions. The program also takes up such topics as the role of sound as a weapon and the banning of specific instruments on religious or political grounds. In this context, it closely examines the reality of voodoo culture, which has been buried under colonial myths of horror and hundreds of zombie movies. Finally, it comes to the defense of a genre commonly blamed for inciting violence, namely march music.  Following inhuman music. compositions by machines, by animals and by accident, evil music. odes to violence, death and demons is the second music program within the HKW’s Anthropocene Project. It will be followed in May 2014 by stupid music. songs for dreaming, sedation and forgetting. Detlef Diederichsen, Holger Schulze


Donnerstag 24.10. Abendticket Performance und Konzert 10€/8€, sonst Eintritt frei

19.30h Eröffnung · keynote

Dietmar Dath: »Genug geblutet« Wie Musik Sachen macht, die sich nicht gehören Der Prosaautor (zuletzt: »Pulsarnacht«, ausgezeichnet mit dem Kurd-LaßwitzPreis), FAZ-Redakteur, Musiker bei The Schwarzenbach und Experte für fast alles zwischen Wissenschaft und Magie, zur wechselseitigen Liebe zwischen Musik und extrem negativen S ­ eelenzuständen.

H a s sg e s ä

nge

20h Performance · premiere

Ale Dumbsky, Robert Stadlober, Volkan Terror, Jetzmann: »PURE HATE« Seit Rapmusik vor 40 Jahren New Yorker Gangland befriedete, hat die verbale Vernichtung des Gegners ihre Globalisierung erlebt: Gerappt wird heute weltweit gegen Juden, Schwule, Frauen, Weiße und jeden erdenklichen politischen Gegner – dabei steht poetischer Extremsport neben tiefer Phobie. Buback-Label-Gründer Ale Dumbsky, Schauspieler und Indie-Musiker Robert Stadlober und Alleshasser Volkan Terror reißen den internationalen Giftschrank weit auf. Sie nehmen dem Hass-Rap die Faktoren Funk und Flow und platzieren ihn in atonal-absurder Klangumgebung, kreiert von Jetzmann. Das Resultat: brutalst mögliche Deutlichkeit und Kakophonie. Auftragsproduktion für böse musik

Ale Dumbsky Foto: Henning Heide

Robert Stadlober Foto: Matthias David


21h Konzert

The Schwarzenbach: »ZARTE BLÜTE HASS« The Schwarzenbach ist die vielbeachtete Kollaboration der zwischen Jazz und Repetition traumwandelnden Band Kammerflimmer Kollektief und des Autors und Keynotesetzers Dietmar Dath. Der gibt den schwebenden Arrangements der Band nach Jahren wortloser Klangforschung erstmals eine Stimme und klingt dabei nach Bowie, wenn dieser wiederum nach Lou Reed klingen möchte. Die gemeinsame CD »Farnschiffe« (Spex: »Spritzbesteckblues«) erschien 2012 bei ZickZack und stieß zu gleichen Teilen auf Anerkennung und Hass. Um letzteren kümmert sich die Band gleichsam liebevoll in ihrem Exklusivprogramm für böse musik. Auftragsproduktion für böse musik

Lars   Brinkmann,   Foto:   Grimm

22h Böse Lounge I

DJ: Lars Brinkmann Bei Lars Brinkmann, Musik­schreiber, Schallplattenunterhalter und seit 2009 Chef des eigenen Periodikums mit dem selbsterklärenden Namen »Grimm«, liegen Liebe und Hass dicht beieinander. Der überzeugte Hamburger unter­legt zur Nacht die Assoziationen des Publikums mit einem »Worst-of« musikalischer Launen. PURE HATE: The performance of Buback label founder Ale Dumbsky, actor and indie musician Robert Stadlober, and the all-hating Volkan Terror rips the international poison cabinet of hate-rap wide open. The Schwarzenbach: The noted collaboration of the band Kammerflimmer Kollektief, which somnambulates between repetition and jazz, with author-singer Dietmar Dath—who will also deliver the keynote address under the title “Blood Enough.” Böse Lounge I with Lars Brinkmann: The music writer, recording entertainer and publisher of Grimm magazine, with a “worst-of” of musical moods.


INSTALLATIONEN, FOTOAUSSTELLUNG 24.10.   ab 18h,   25.   und 26.10.   ab 15h,   27.10.   ab 14h Eintritt frei

»  STALKER 1«

Dokumentation von Anke Eckardt (2013) Mit einer Sammlung von Videos wird die Wirkung von UltraschallLautsprechern im Öffentlichen Raum dokumentiert, und ein leistungsreduziertes Modell kommt hier im HKW zum Einsatz. Die den Hypersonic Speakers zugrunde liegende Technologie entwickelte das amerikanische Militär ursprünglich zum Zwecke der psychologischen Kriegsführung.

»  STALKER 2«

Klanginstallation von Anke Eckardt (2013) Wie als Parallele zu Tarkovskys »Stalker« entvölkerte die Katastrophe von Tschernobyl die Umgebung, »Zone of alienation« genannt. Im HKW kreiert ein durch den Raum wandernder Schallbeam eine fremde auditive ›Zone‹. Ein an Radaranlagen erinnernder Parabolspiegel, Old School und Science Fiction zugleich, wird dabei vom ›Listening Ear‹ zum Reflektor, zur Stimme.

»  The Culture of Violence«

Arbeiten zur ’Ndrangheta von Francesco Sbano, kuratiert von Thomas Schönberger Die multimedialen-dokumentarischen Arbeiten untersuchen die Mafia als soziales Phänomen. Sie zeigen die Taufe der »Fiore«, der Neuanfänger der Ehrenwerten Gesellschaft, Mitgliederversammlungen der ’Ndrangheta und den von den Mafia-»Capos« kommandierten Tanz der Tarantella.

»  V FOR VILLAINS«

Eine audio-visuelle Inszenierung des Schurkenlogos im Film von Branded To Kill Bösewichter, Schurken und Killer setzen sich nicht nur visuell in Szene,­ sondern auch mit klanglichen Killer-­ Motiven, die direkt ins Ohr stechen.

Einprägend, wiedererkennbar, unvergesslich und meist zu cool, um zu den Guten zu gehören – eine hör­ bare Essenz des Bösen.

»  Musik als Strafe«

Soundinstallationen Wer wissen möchte, wie es sich anfühlt, wenn gängige Musik wie Rock, Pop, Klassik als Bestrafung, ja Folter empfunden werden soll, setze sich historischen Original-Playlisten aus. Zelle 1 – Szenario: Panama Stadt, Dezember 1989/Januar 1990 Nach der Invasion durch US-Truppen flüchtet Manuel Noriega, der der Organisierten Kriminalität verdächtigte Regierungschef Panamas, in die Nuntiatur des Vatikans. Er wird dort von US-Marines mit Rockmusik beschallt, am 3. Januar 1990 ergibt er sich. Zelle 2 – Szenario: Guantanamo Bay Naval Base, Camp Delta, irgendwann zwischen 2002 und heute Gefangene werden Rock- und Popmusik ausgesetzt, was entweder durch große Lautstärke oder aufgrund der Inhalte schmerzhaft und/ oder demütigend wirken soll. Zelle 3 – Szenario: Hamburg, Hauptbahnhof, irgendwann zwischen 2000 und heute Seit dem Jahr 2000 wird der Hamburger Hauptbahnhof mit klassischer Musik beschallt, mit dem Ziel, Drogensüchtige, Obdachlose und Kleinkriminelle zu vertreiben. Sound installations, exhibition: Acoustically and visually striking dances of the Mafia and the musical quintessence of evil are presented here. Experience for yourself how music can be used as a weapon, punishment, and means of enforcing order.


FREItag 25.10. Eintritt frei, Abendticket Konzerte 10€/8€

15.30h Film

»UNITED STATES OF HOODOO« D 2012, R: Oliver Hardt, 100 min, OmU Ein Roadtrip zu den Inspirationsquellen Schwarzer Kultur und Kreativität in Amerika: Der Schriftsteller Darius James kehrt nach dem Tod seines Vaters in die USA zurück, der Nachlass besteht aus einer Sammlung von Masken der Yoruba-Religion. Sein Interesse ist geweckt – und nun begegnet er an den unwahrscheinlichsten Orten Manifestationen dieses Glaubens, den alten afrikanischen Göttern in ihrer neuen Gestalt: von hypnotischen Haiti-Beats in New York über Blues-Mythen in Mississippi bis nach New Orleans, der USVoodoo-Hauptstadt.

e Verbot en T rommeln

17.15h Lecture · performance

Ebba Durstewitz: »BÖSE INSTRUMENTE« Trommeln, Orgeln, Flöten – die Angst, der Klang bestimmter Musikinstrumente könnte eine Verkörperung des Bösen sein oder gar den Leibhaftigen zu einem Besuch hienieden bewegen, hat in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder zu Panikattacken, Verboten und noch absurderen Auswüchsen geführt. Ebba Durstewitz, promovierte Wissenschaftlerin, Autorin und Musikerin bei JaKönigJa, erläutert kulturgeschichtliche Konzepte.

18h Mikrosymposium

»BÖSE SCHWINGUNGEN – MEAN OSCILLATIONS« Mit Anke Eckardt (Klangkünstlerin, Berlin), Ralf Hoyer (Komponist, Berlin), Julia Meier (Medienwissenschaftlerin, Hannover), Silke Wenzel (Musikwissenschaftlerin, Hamburg), Moderation: Holger Schulze, Professor Sound Studies HU Berlin Kann denn Schwingen Sünde sein? Es gibt Klänge, die in einer bestimmten Kultur missbilligt, sogar mit Verbot belegt werden – doch was macht eine Schwingung, einen Rhythmus oder Instrumentenklang unerträglich, amo­ ralisch oder kriminell? Und ist ihre Ächtung kulturspezifische Äußerung von Macht und Politik, oder gibt es wirklich eine universal-asoziale Organisation der Klänge? Was passierte, wenn die Töne freigelassen? Müssen wir lernen, mit uns widerstrebenden Klängen zu leben?


20h Konzert

Sunpie and the Louisiana Sunspots New Orleans spielt als Brutstätte von Jazz und Funk eine zentrale Rolle in der Historie der US-amerikanischen Musik. Doch was wäre die Stadt ohne ihren afro-karibischen, speziell haitianischen Anteil – was wäre New Orleans ohne Voodoo? Dieser Frage geht Musiker und Historiker Bruce Sunpie Barnes in seiner Musik nach. Sunpie war früher Parkranger, Schauspieler, Biologie­ lehrer und Football-Spieler, aber vor allem ist er Big Chief der traditions­ reichen Mardi Gras-Gruppierung »North Side Skull and Bones Gang« in New­ Orleans. Sein eigener, hochenergetischer Sound-Gumbo entspricht dem Melting-Pot-Charakter seiner Heimat: Blues, Zydeco und Voodoo Funk verbinden sich mit Gospel-Feeling und den Chants der Mardi Gras Indians. Sie führten ihn und seine Band weit über das New Orleans Jazz Fest, wo sie regelmäßig das Blues-Zelt rocken, hinaus: in bislang 35 Länder.

Sagbohan    Danialou

21.30h Konzert

Sagbohan Danialou In Westafrika, Heimat des Vodun-Glaubens, sind die rituellen Rhythmen in den 1960ern und 1970ern Teil der populären Tanzmusik geworden: In Benin integrierten Bands wie L’Orchestre Poly-Rhythmo oder L’Orchestre Black Santiago du Bénin Vodun-Patterns in ihr Repertoire aus Funk, Latin und lokalen Rhythmen. Ende der 1990er-Jahre nahm Sagbohan Danialou (*1947), Schlagzeuger des Black Santiago-Orchesters, den Faden wieder auf und begeistert seitdem mit seiner »Afro Band« auf Festivals von FESPAM (Kongo) bis zum Jazz Festival in New Orleans ein weltweites Publikum.


23h Böse Lounge II

DJ: Val Inc »Evoking Lwa Ginen« Die in Haiti geborene Musikerin und Komponistin Val Jeanty – Protagonistin im New Yorker Kapitel von »United States of Hoodoo« – führt in die Bereiche des kreativen Unbewussten: In ihren mit Plattenspielern, Percussions und elektronischen Mitteln produzierten Musikstücken und Installationen beschwört sie die Geister der Lwas – Legba, Zaka und Dantor – herauf. Auftritte u. a. bei Jazz à la Vilette und auf der Venedig-Biennale.

Val   Jeanty   aka   Val   Inc

UNITED STATES OF HOODOO: A cinematic road trip to the inspira­ tional sources of black culture and creativity in America. Sunpie and the Louisiana Sunspots: Musician and historian Bruce Sunpie Barnes, Big Chief of the tradition-steeped New Orleans Mardi Gras group, the “North Side Skull and Bones Gang,” with his high-energy sound-gumbo. Sagbohan Danialou: In the 1970s in his homeland, Benin, bands like L’Orchestre Black Santiago du Bénin incorporated Vodun patterns into their repertoire of funk, Latin and local rhythms. With his Afro Band and infectious enthusiasm, Sagbohan picks up this thread. Böse Lounge II with Val Inc: Val Jeanty, who has performed at Jazz à la Vilette and the Venice Biennale, invokes the spirits of the Lwas—Legba, Zaka and Dantor. In the afternoon: Discussions on evil instruments and their vibrations.


SAMStag 26.10. Eintritt frei, Abendticket Konzerte 10€/8€ 15.30h Film

»BLUT MUSS FLIESSEN« D 2012, R: Peter Ohlendorf, 87 min Sie nennen sich »Freikorps«, »Störkraft«, »Kraft durch Froide« oder » ­ Werwolf«: Mit versteckter Kamera dokumentierte der Journalist Thomas Kuban sechs Jahre lang die Konzerte notorischer Nazi-Bands. Der unter Lebensgefahr und – zusammen mit Regisseur Peter Ohlendorf – auf eigene Kosten gedrehte Film zeigt einen rechtsfreien Raum voller Volksverhetzung und Antisemitismus, mit Hitlergruß und NS-Merchandising. Die Musik und das gemeinsame konspirative Erlebnis fungieren in dieser Szene als Einstiegsdroge. Ein hochbrisantes Dokument, dessen Mut und Aktualität nicht mit Filmförderung und über Jahre auch nicht mit einem öffentlich-rechtlichen Sendetermin belohnt wurden.

17h Lesung

Erlend Erichsen: »NATIONALSATANIST« Er war Schlagzeuger der Death-Metal-Band Molested und der Black-MetalKapelle Gorgoroth. Erlend Erichsen hat die Erfahrungen in der einschlägigen norwegischen Szene in seinem vieldiskutierten Debüt-Roman verarbeitet, d ­ er die Links zwischen Black Metal, Satanismus und völkischem Nationalismus in einer fiktiven Fan-Biografie durchspielt.

he c i l g ä r t r une n fr eq u e n z e

18h Film

»MUSIK ALS WAFFE« D 2010, R: Tristan Chytroschek, 55 min, OmU Entsetzt erfuhr der Komponist Christopher Cerf, dass eine seiner mehr als 200 vermeintlich unschuldigen Kompositionen für die »Sesamstraße« in Guantanamo zur Zermürbung von Gefangenen eingesetzt wurde. Gemeinsam mit dem Filmemacher Tristan Chytroscheck besuchte er Verhörspezialisten, Soldaten und Folteropfer sowie die bei US-Soldaten hoch geschätzte Band Drowning Pool. Und Cerf setzt sich einem Selbstversuch aus … Ein verstö­­ rendes Update der uralten Allianz von Krieg und Musik, Emmy Award 2012 als bester Dokumentarfilm.

19h Lecture Performance

AUDINT (Toby Heys & Steve Goodman): »MARTIAL HAUNTOLOGIES/UNSOUND HISTORIES« AUDiNT untersucht, wie mit Schallwellen, Ultraschall und tiefem Infraschall Territorien abgesteckt werden und wie ihr militärischer oder ziviler


Gebrauch psychologische und körperliche Zustände sowie selbst Bauten verändert. Hier bei böse musik wird multimedial die Geschichte der Gruppe präsentiert, die bis 1945 zurückreicht, zur Gründung durch Mitglieder der Ghost Army. Mit Live-Musik wird das Gewisperte und Brüchige in eine hörbare R ­ eise verwandelt, der Underground-Ton des Elementarteilchen­ beschleunigers mit den Grüften der »Bank of Hell« verbunden. Verfolgt wird auch die Evolution der Wandering Soul Tapes der Vietnam Psychological Operations (PSYOP) zur viralen Dynamik der online Phantom-Software IREX².

20h Konzert

Bundespolizeiorchester Berlin: »MARSCHMUSIK« »  Ich habe (...) Marschmusik geschrieben, obwohl ich geistig kaum in der

Lage bin, solche mit Appetit zu komponieren. Kann man Genuss an einem Genre haben, dessen auslösender Effekt nur als zweifelhaft bezeichnet werden kann?« So kommentierte Mauricio Kagel seine 1979 entstandenen »  10 Märsche, um den Sieg zu verfehlen«. Freilich verkürzt Kagel das Genre hier auf seinen militärischen Zweig – was ist mit Hochzeitsmärschen, Trauer­ märschen? Das Bundespolizeiorchester Berlin unter der Leitung von Arend zu Hoene versucht das Bild gerade zu rücken, stellt den zehn Kagel-Kompositionen Märsche von Verdi, Mozart, Berlioz und anderen gegenüber, die für unterschiedlichste Zwecke komponiert wurden – Ehrenrettung eines Genres.

Bundespolizeiorchester Berlin

21.30h Konzert

Michael Farin + Zeitblom: »POLKA HURRICANE – CORRIDOS prohibidos« Die mexikanischen Narcocorridos sind Lobgesänge auf die Verbrechen der Drogenkartelle und ihrer Bosse, die jüngste und dunkelste Blüte am Stammbaum der Polka. Auf eine Exkursion in diese Welt wagen sich der Autor Michael Farin, dessen Werk (Bücher, Hörspiele und Filme über u. a. Leopold


von Sacher-Masoch, Jürgen Haarmann und Ed Gein, Vorbild für Hitchcocks »  Psycho«) sich vorrangig den Abgründen der menschlichen Seele widmet, und der Berliner Musiker Zeitblom. Mit seinem Hörspiel/Improv-Projekt »  Heaven And« flirtete der zuletzt mit dem Bösen in Gestalt Aleister Crowleys. Dazu kommt eine hochklassige Band, bestehend aus Blake Worrell, Dred, Achim Färber, Bela Brauckmann.

Auftragsproduktion für böse musik

u n so u n d

22.30h Böse Lounge III

DJ: Kode9 Als feste Institution der Londoner Clubnächte Fwd>> und DMZ hat Steve Goodman aka Kode9 die jüngste Bass-Renaissance mitgestaltet und ihren inhärenten Futurismus mit seinem Label Hyperdub in die Gegenwart geführt. Als DJ bereist er den dunklen Ozean zwischen Grime, House, Garage, Dubstep, Hip Hop und Footwork.

Kode9

MARCH MUSIC with Federal Police Orchestra Berlin: With a repertoire including Mauricio Kagel’s “10 Märsche, um den Sieg zu verfehlen” (Ten marches in order to miss victory), military, and wedding marches. POLKA HURRICANE—corridos prohibidos with Michael Farin + Zeitblom: An excursion to admire the youngest and darkest blossom on the polka family tree: the songs of praise for the Mexican drug cartel bosses and their crimes. With a first-rate band – Blake Worrell, Dred, Achim Färber and Bela Brauckmann. Böse Lounge III: Kode9, a fixture of the London FWD>> and DMZ club nights, travels the dark ocean between the grime, house, garage, dubstep, hip-hop and footwork styles. In the afternoon: Films on the music of the Nazi scene and music as a weapon, as well as a reading on the theme “National Satanist.”


Sonntag 27.10. Eintritt frei, außer Workshop 5 €, Abendticket Konzerte 10€/8€ 14.30h Film

»NARCO CULTURA« USA/Mexiko, R: Shaul Schwarz, 103 min, engl. und span. OF In der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez, vis-à-vis vom texanischen El Paso: Die »Narcos«, die vom Schmuggel reich gewordenen Drogenbosse, sind Helden der dominierenden lokalen Populärkultur. Zu den Rhythmen und Akkordeonklängen der ländlichen Norteño-Musik singen in quasi-feudalem Anstellungsverhältnis lebende Musiker Preislieder auf den Reichtum und die Potenz der Bosse. Einen Reichtum, den alljährlich Tausende mit dem Leben bezahlen. 15h Workshop kids&teens@hkw ab 8 J.

»Kettenrasseln und Geschrei« Wie klingt ein Gruselfilm? mit Simon Franzkowiak Anmeldung: kids_teens@hkw.de

16.15h Lecture Performance

Francesco Sbano: »LA musica della Mafia« Geboren in Kalabrien, im Machtbereich der ’Ndrangheta, beschäftigt sich Francesco Sbano seit zwei Dekaden mit dem Phänomen der Ehrenwerten Gesellschaft: Neben zahlreichen Fotoreportagen und dem Dokumentarfilm »  Uomini d’onore« (Männer der Ehre) veröffentlichte er in einer CD-Trilogie »  La Musica della Mafia«, deren Geschichte, Codes und Wesen er hier erläutert.

Tanzende r ne e h re n m än

17h Mikrosymposium

»ODEN ANS VERBRECHEN« Mit Ale Dumbsky (Musiker/Autor, Hamburg), Peter Ohlendorf (Filmemacher, München), Francesco Sbano (Autor, Hamburg), Moderation: Christoph Twickel (Journalist, Hamburg) Die musikalische Ästhetik um Subkulturen des Verbrechens ist vielfältig: sei es im Genre der mexikanischen Narcocorridos, der rituellen Tarantella der kalabrischen ’Ndrangheta oder auch der rechtsextremen Musikszene im deutschsprachigen Raum. Kriminelle Aktivitäten werden gepriesen, und ­ das angsteinflößende Leben in diesen Subkulturen wird ausgestellt. Im öffent­ lichen Raum wird solche Musik mit Verboten oder Tabus belegt, gehört und


Foto von Francesco Sbano

begeistert konsumiert wird sie dennoch. Wie werden diese Lieder produziert in Haft und in Zeiten der Nichtinhaftierung? Gibt es ästhetische Maßstäbe, eine immanente Kritik? Welche Macht- und Sozialverhältnisse werden hier offenherzig erzählt? Gibt es Doppelagenten, die die höfisch-kriminelle Subkultur und ihre Oligarchen verlassen, um im Mainstream zu musizieren? 18h Mikrosymposium

»SCHÖNE BÖSE WELT« Mit Dunja Brill (Ethnologin, Sussex/Berlin), Lars Brinkmann (Journalist, Köln), Michael Farin (Autor und Verleger, München), Paul Paulun (Radio­ macher, Berlin), Moderation: Detlef Diederichsen, Leiter Musik-Bereich HKW, und Holger Schulze, Professor Sound Studies HU Berlin Das Besingen radikaler psychischer Abgründe aus Hass und freudvollperversen Bedürfnissen geht uns nah. Es rührt an unsere moralischen, gesetzlichen und intimen Grenzen. Die böse Welt ist schön und hat viele schöne Lieder: Kern unseres musikalischen Kanons aus Krieger-, Seefahrerund Ritterepen, aus Marsch- und Mafiamusik, aus Lobgesängen auf Mord und Unmenschlichkeit. Warum sind wir überrascht, solche Lust in uns zu entdecken? (Musik-)Ästhetischer Genuss an der Vernichtung anderer? Sind böse Hymnen Bannfluch und Entlastungsphantasie? Was wäre ein nichtböses Leben wert? Sind nicht nur Mörder und abgrundtief böse Menschen wirklich sexy?

20h Konzert

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Duo Chúpame El Dedo: »COLoMBIAN DARK TROPICAL« Nach seinem umjubelten Auftritt mit den Meridian Brothers bei der letzten wassermusik kehrt der Komponist, Gitarrist und Sänger Eblis Álvarez zurück ins HKW. Zusammen mit Pedro Ojeda, seinem »Partner-in-crime« im Avant-Cumbia-Trio Los Pirañas, widmet er sich ausdrücklich den dunklen


Seiten der gerne als »ewig sonnig im Gemüt« missverstandenen Musik Kolumbiens. Mit Gitarre und Electronics, Humor und kompositorischer Raffinesse nähern sie sich dem wohl dunkelsten aller musikalischen Genres: dem Death Metal. Der Imperativ Chúpame El Dedo gibt die Richtung vor. Auftragsproduktion für böse musik

Axel Krygier, Foto: Andy Cherniavsky

21h Konzert

Axel Krygier »HOMBRE DE PIEDRA« »  Gefangen in der Schwermut eines verschwommenen Traums stolpere ich

über den steinigen Boden einer uralten Höhle …« Axel Krygier präsentiert die schrecklichen Bilder, die sich im Unterbewusstein eines zeitlosen und verstörenden Charakters angereichert haben. Für seine musikalische und visuelle Performance »Hombre de Piedra« (Mann aus Stein) bedient sich Krygier einer Fülle von musikalischen Bindestrich-Stilistiken wie TrashTango, demented Pop, crazed Cumbias, Psychedelia tropicale und diverser medialer Quellen, digitaler Echtzeit-Sample-Technologie – dazu immenser Keyboard-Fähigkeiten und seines chaplinesken Humors. Auftragsproduktion für böse musik COLOMBIAN DARK TROPICAL with Duo Chúpame El Dedo: ­Composer, guitarist and singer Eblis Álvarez (Meridian Brothers) and Pedro Ojeda, his partner in crime in the avant-cumbia trio Los Pirañas, give themselves over to the dark sides of the supposedly “perpetually sunny” Colombian music. HOMBRE DE PIEDRA with Axel Krygier: The Argentine musician and composer presents an homage to dark comic characters, with trash tango, demented pop, crazed cumbia, psychedelia tropicale and real-time digital sampling technology. ­In the afternoon: Film and discussions on the ­relationship between music and crime, on narco-culture, Mafia culture and our secret pleasure in evil.


böse musik untersucht die menschliche Intentionalität am musikalischen Exempel: Was treibt den Menschen an? Warum bewundert er Gesetzesbrecher? Warum findet er Gewalt sexy? Welche Musik klingt böse aus Sicht welcher Moral und Lebensweise? By evil music, the intentionality of humanity is studied using a musical example: what drives people? Why do they marvel at lawbreakers? Why do we find violence sexy? What music sounds evil from the point of view of which morality or lifestyle? böse musik ist Teil von Das Anthropozän-Projekt 2013–2014 Kuratiert von Detlef Diederichsen (Bereichsleiter Musik, HKW) und Holger Schulze (Professor Sound Studies, Humboldt Universität zu Berlin) Programmkoordination: Gabriele Tuch, Projektkoordination: Pia Thilmann, Praktikant: Marek Polgesek

Design & Cover photo: NODE Berlin Oslo

In Kooperation mit Berliner Gesellschaft für Neue Musik

Unterstützt von Botschaft Benin

Präsentiert von

Haus der Kulturen der Welt gefördert von

Haus der Kulturen der Welt John-Foster-Dulles-Allee 10 10557 Berlin, hkw.de


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