Kindheit und Entwicklung

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Jahrgang 27 / Heft 1 / 2018 Herausgeber Ulrike Petermann Franz Petermann Martin H. Schmidt Ulrich Stephani

Kindheit und Entwicklung Zeitschrift fĂźr Klinische Kinderpsychologie Schwerpunkt Umschriebene EntwicklungsstĂśrungen


Autismus-SpektrumStörungen Christine M. Freitag Janina Kitzerow Juliane Medda Sophie Soll Hannah Cholemkery

Hannah Cholemkery / Janina Kitzerow / Sophie Soll / Christine M. Freitag

Cholemkery / Kitzerow / Soll / Freitag

Ratgeber Autismus-Spektrum-Störungen

Autismus-SpektrumStörungen

Christine M. Freitag / Janina Kitzerow / Juliane Medda / Sophie Soll / Hannah Cholemkery

Hannah Cholemkery Janina Kitzerow Sophie Soll Christine M. Freitag

Ratgeber Autismus-SpektrumStörungen Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher

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Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie

(Reihe: „Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie“, Band 24). 2017, IX/162 Seiten, € 24,95 / CHF 32.50 (Im Reihenabonnement € 17,95 / CHF 24.50) ISBN 978-3-8017-2704-8 Auch als eBook erhältlich

(Reihe: „Ratgeber Kinder- und Jugendpsychotherapie“, Band 24) 2017, 62 Seiten, Kleinformat, € 9,95 / CHF 13.50 ISBN 978-3-8017-2705-5 Auch als eBook erhältlich Der Ratgeber informiert über Autismus-SpektrumStörungen und ihre Ursachen sowie häufig auftretende Schwierigkeiten im Alltag. Zudem werden Förder-, Behandlungs- und Unterstützungsmaßnahmen vorgestellt.

Marc Allroggen Jelena Gerke Thea Rau Jörg M. Fegert

Umgang mit sexueller Gewalt in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche Eine praktische Orientierungshilfe für pädagogische Fachkräfte

Eine praktische Orientierungshilfe für pädagogische Fachkräfte

Anke Beyer / Arnold Lohaus Stressbewältigung im Jugendalter

Umgang mit sexueller Gewalt in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche

Stressbewältigung im Jugendalter Ein Trainingsprogramm

Stressbewältigung im Jugendalter

Umgang mit sexueller Gewalt in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche

Allroggen / Gerke / Rau / Fegert

Marc Allroggen / Jelena Gerke / Thea Rau / Jörg M. Fegert

Beyer / Lohaus

Der Leitfaden bietet in Form von Leitlinien einen umfassenden Überblick über die Diagnostik und Behandlung von Autismus-Spektrum-Störungen bei Kindern und Jugendlichen.

Anke Beyer Arnold Lohaus

Ein Trainingsprogramm 2., überarbeitete Auflage

Therapeutische Praxis 2. Aufl.

2017, ca. 100 Seiten, ca. € 19,95 / CHF 26.90 ISBN 978-3-8017-2839-7 Auch als eBook erhältlich Der Band informiert Fachkräfte in pädagogischen Einrichtungen über Formen und Folgen sexualisierter Gewalt. Der Schwerpunkt liegt auf konkreten Handlungsempfehlungen zur Prävention von und zum Umgang mit sexueller Gewalt.

www.hogrefe.com

(Reihe: „Therapeutische Praxis“) 2., überarbeitete Auflage 2018, 130 Seiten, Großformat, inkl. CD-ROM, € 36,95 / CHF 45.90 ISBN 978-3-8017-2858-8 Auch als eBook erhältlich Das Stresspräventionsprogramm unterstützt Jugendliche dabei, aktuelle Belastungssituationen besser zu bewältigen und sich auf den Umgang mit zukünftigen Stresssituationen vorzubereiten.


Kindheit und Entwicklung Zeitschrift fĂźr Klinische Kinderpsychologie

Jahrgang 27 / Heft 1 / 2018

Schwerpunkt Umschriebene EntwicklungsstĂśrungen Herausgeber Franz Petermann


Herausgeber

Prof. Dr. phil. Ulrike Petermann, Bremen Prof. Dr. phil. Franz Petermann, Bremen Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Martin H. Schmidt, Heidelberg Prof. Dr. med. Ulrich Stephani, Kiel Die Zeitschrift „Kindheit und Entwicklung“ wurde 1992 von G. Neuhäuser, F. Petermann und M. H. Schmidt gegründet.

Schriftleitung

Prof. Dr. phil. Ulrike Petermann, Bremen (presserechtlich verantwortlich) Prof. Dr. phil. Franz Petermann, Bremen

Redaktionsanschrift

Prof. Dr. phil. Ulrike Petermann, Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen, Grazer Straße 6, 28359 Bremen

Wissenschaftlicher Beirat

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Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1)

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Inhalt Themenschwerpunkt

Umschriebene Entwicklungsstörungen

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Specific Developmental Disorders Franz Petermann Übersicht

Leseentwicklung in der Kindheit. Einflussfaktoren und Fördermöglichkeiten

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Children’s Reading Development: Influencing Factors and Training Programs Telse Nagler, Sven Lindberg und Marcus Hasselhorn Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF). Weisen betroffene Kinder spezifische Intelligenzprofile auf?

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Developmental Coordination Disorders: Do Children Have Specific Intelligence Profiles? Julia Jaščenoka und Franz Petermann Studie

Prävention von Rechenstörungen. Kurz- und mittelfristige Effekte einer Förderung der mathematischen Kompetenzen bei Risikokindern im Vorschulalter

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Prevention of Dyscalculia: Short-Term and Intermediate Effects of Stimulating Numerical Competencies for Children at Risk in Preschool Svenja Moraske, Anna Penrose, Anne Wyschkon, Juliane Kohn, Larissa Rauscher, Michael von Aster und Günter Esser Freie Beiträge

Wirksamkeitsüberprüfung einer kinderpsychiatrischen Eltern-Kind-Station unter klinischen Routinebedingungen

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Efficacy of a Parent–Child Psychiatric Unit Under Clinical Routine Conditions Stefanie Krause, Ulrike Röttger, Kerstin Krauel und Hans-Henning Flechtner Geschlechts- und situationsspezifische Stressverarbeitung und Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen

54

Gender and Situation-Specific Coping and Its Prediction of Quality of Life Among Children and Adolescents Petra Hampel und Franz Petermann Mitteilungen Hinweise für Autorinnen und Autoren

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Kongresskalender

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Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1)


70. KINDERTHERAPIETAGE

an der Universität Bremen 21./22. April 2018 VERANSTALTER FÖRDERVEREIN DER UNIVERSITÄTSKINDERAMBULANZ e.V. IM NAMEN DER UNIVERSITÄT BREMEN Prof. Dr. Ulrike Petermann

Anmeldung und Auskünfte: Eva Todisco Grazer Straße 6, D-28359 Bremen Tel. 04 21/218-68603 Fax 04 21/218-68629 todisco@uni-bremen.de www.zkpr.uni-bremen.de

Angebote: Vortrag zu den 70. Kindertherapietagen 40 Jahre Kinderverhaltenstherapie - Wurzeln und Perspektiven Prof. Dr. Franz Petermann

Kurs 5 Diagnostik und Behandlung depressiver Kinder und Jugendlicher Leitung: Prof. Dr. Sören Schmi

Kurs 1 Training mit aggressiven Kindern Leitung: Prof. Dr. Franz Petermann

Kurs 6 Training für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen – Das neuropsychologische Gruppentraining ATTENTIONER Leitung: Dipl.-Psych. Katja Hustedt, approb. KJP

Kurs 2 Training mit sozial ängstlichen und unsicheren Kindern Leitung: Prof. Dr. Ulrike Petermann Kurs 3 Diagnostik und Förderung von Sprachentwicklungsstörungen Leitung: Dr. Julia-Katharina Rißling Dr. Jessica Melzer Kurs 4 Der neue Entwicklungstest sechs Monate bis sechs Jahre (ET 6-6-R) Leitung: Dr. Thorsten Macha

Kurs 7 Emotionstraining in der Schule Leitung: Rieke Petersen, M. Sc. Psych. Kurs 8 Verhaltenstraining für Schulanfänger/ für die Grundschule Leitung: Dr. Esmahan Belhadj-Kouider Kurs 9 Intelligenzdiagnostik mit der Wechsler Intelligence Scale for Children Fifth Edition (WISC-V) Leitung: PD Dr. Monika Daseking

Pro Kurs werden von der Ärztekammer 18 Fortbildungspunkte anerkannt. KVT_4-17.indd 1

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Themenschwerpunkt

Umschriebene Entwicklungsstörungen Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Zusammenfassung: Umschriebene Entwicklungsstörungen sind dadurch gekennzeichnet, dass in einem Entwicklungsbereich eine Abweichung auftritt, die sich jedoch vielfach auch auf andere Bereiche auswirken kann. Besonders bedeutsam sind umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (Lesen, Rechtschreiben, Rechnen), die langfristig die Schullaufbahn und die berufliche Perspektive ungünstig beeinflussen. Zu wenig beachtet werden umschriebene Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen, die jedoch zu den häufigsten Entwicklungsabweichungen des Kindesalters zählen. Die Kenntnis von Vorläuferfähigkeiten einer auffälligen Entwicklung im Kindesalter bilden die Grundlage für Präventionsprogramme für Vorschulkinder. In diesem Lebensalter kann es gelingen, die Auswirkungen umschriebener Entwicklungsstörungen gering zu halten. Schlüsselwörter: Entwicklungsstörung, Lese-Rechtschreibstörung, Rechenstörung, umschriebene Entwicklungsstörungen, umschriebene motorische Entwicklungsstörungen

Specific Developmental Disorders Abstract: Specific developmental disorders are characterized by a deviation of a developmental area that can also affect other areas. Developmental disorders of academic skills (reading, spelling, and dyscalculia) play a significant role and in the long term influence a child’s school career and professional prospects unfavorably. Insufficient attention is given to developmental coordination disorders, which belong to the most frequent development deviations in childhood. Prevention programs for preschoolers are based on the knowledge of precursor skills of impaired development in childhood. In this age group, it is possible to minimize the effects of specific developmental disorders. Keywords: developmental disorder, reading and spelling disorder, dyscalculia, specific developmental disorders, developmental coordination disorders

Zu den umschriebenen Entwicklungsstörungen zählen vor allem Sprach- und Sprechstörungen, motorische Störungen sowie Störungen schulischer Fertigkeiten (Lesen, Schreiben, Rechnen). Die Leistungen der Kinder weichen in dem von der Störung betroffenen Bereich erheblich vom Altersdurchschnitt ab und sind nicht durch eine allgemeine Intelligenzminderung, unzureichende schulische Förderung oder sensorische und neurologische Auffälligkeiten bedingt. Unter einer unzureichenden schulischen Förderung wird eine nicht ausreichende pädagogische Anleitung, etwa wegen mangelnder Deutschkenntnisse oder einer längeren (etwa krankheitsbedingten) Abwesenheit des Schülers vom Unterricht (vgl. Thomas, Schulte-Körne & Hasselhorn, 2015), verstanden. Alle umschriebenen Entwicklungsstörungen weisen drei Gemeinsamkeiten auf: · sie beginnen im Kleinkindalter oder in der Kindheit, · sie führen zu Einschränkungen oder Verzögerungen solcher Funktionen, die eng mit der biologischen Reifung des Zentralnervensystems verknüpft sind und © 2018 Hogrefe Verlag

· sie weisen einen stetigen Verlauf ohne Rezidive und Remissionen auf. Die Störungen der Sprache und des Sprechens (vgl. Sprachentwicklungsstörungen; Rißling, Ronniger, Petermann & Melzer, 2016) äußern sich durch Fehler in der Lautbildung, einem verminderten Wortschatz oder einem fehlerhaften Gebrauch der Grammatik oder ein vermindertes Sprachverständnis (vgl. dazu das Themenheft 3/2016 dieser Zeitschrift; Petermann, 2016). Motorische Entwicklungsstörungen zeichnen sich durch defizitäre Koordinationsleistungen (Kastner & Petermann, 2009, 2010) in den Bereichen Fein- und Grobmotorik aus. Im Alltag wirken die Bewegungen der betroffenen Kinder plump und unbeholfen (Jenni & Caflisch, 2012). Lesestörungen oder eine Leseschwäche äußern sich in Form von fehlerhaftem Vorlesen oder einem mangelnden Leseverständnis. Symptome einer Rechtschreibstörung sind beispielsweise eine fehlerhafte Groß- und Kleinschreibung, Auslassungen oder Verdrehungen von Buchstaben. Weiterhin ist bei einer Rechtschreibstörung das Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 1–4 https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000239


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Vertauschen und Auslassen von Buchstaben oder das Einfügen von zusätzlichen Buchstaben charakteristisch. Vielfach treten Probleme bei der lautgetreuen Schreibung von Wörtern auf, die sich aufgrund von Wahrnehmungsfehlern, z. B. durch das Verwechseln ähnlich klingender oder aussehender Buchstaben ergeben (vgl. u. a. Werpup & Petermann, 2016; Werpup-Stüwe & Petermann, 2015). Bei einer Rechenstörung beherrscht der Betroffene nicht die vier Grundrechenarten Addition, Substraktion, Multiplikation und Division; in der Regel bleiben jedoch höhere mathematische Fertigkeiten davon unbeeinträchtigt. Zum Verständnis des Begriffs „umschriebene Entwicklungsstörung“ ist zweierlei zentral: Erstens die Normalitätsannahme, das heißt die Vorstellung, dass die Kinder über eine normale Intelligenz verfügen; ebenso darf keine Sinnesbeeinträchtigung (Hör- oder Sehschwäche) oder eine neurologische Störung vorliegen. Wichtig ist auch, dass bestehende emotionale Probleme nicht die Ursache, sondern nur die Folge der Störung sein dürfen (vgl. Kohn, Wyschkon & Esser, 2013; Rißling et al., 2016). Zweitens die Diskrepanzannahme, die auf einer Differenz zwischen allgemeinem Leistungsniveau und der Leistung im Intelligenztest (Petermann, 2006) basiert beziehungsweise auf einer Differenz, die man aufgrund der Lebensumstände im Leistungsbereich nicht erwarten würde (z. B. zeigt ein Kind keine altersgemäße Leistung). Selbst wenn das Diskrepanzkriterium aktuell kritisch diskutiert wird (z. B. Elhert, Schroeders & Fritz-Stratmann, 2012; Galuschka & Schulte-Körne, 2015), wird man ohne einen Bezug zu einem allgemeinen Leistungskriterium (Altersnorm, Klassennorm, IQ-Wert) den Begriff „umschriebene Entwicklungsstörung“ nicht angemessen mit Inhalt füllen können.

Prävalenz und Verlauf Legt man die diagnostischen Kriterien für umschriebene Entwicklungsstörungen nach der ICD-10 zugrunde, kann man Prävalenzen von 5 bis 8 % als realistisch ansehen, wobei innerhalb der ersten Lebensjahre für umschriebene Entwicklungsstörungen eine hohe Remissionsrate zu beobachten ist (Kastner et al., 2011; Thomas et al., 2015). Bestehen die Auffälligkeiten (z. B. im Bereich Sprache und Sprechen) bis zum Eintritt in die Schule, sind langfristig die Entwicklungschancen eines Kindes stark beeinträchtigt (vgl. u. a. Landerl & Moll, 2010; von Suchodoletz, 2011). Betrachtet man die Prävalenzzahlen insgesamt, so variieren diese sehr stark. Am deutlichsten trifft dies für die Sprach- und Sprechstörungen zu; je nach den zugrunde gelegten Grenzen zwischen normaler und abweichender Entwicklung variieren die Angaben altersabhängig zwiKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 1–4

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schen 3 und 20 %. Die Prävalenzen für die umschriebenen Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen schwanken zwischen 5 und 10 %, wobei mehrheitlich von 5 bis 6 % betroffenen Kindern berichtet wird. Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten weisen Prävalenzen zwischen 5 bis 15 % auf, wobei 1 % der Kinder mit einer schwergradigen LeseRechtschreibstörung so stark beeinträchtigt ist, dass diese Gruppe während der Grundschulzeit kaum das Lesen und Schreiben erlernt. Die Lese-Rechtschreibstörung verläuft sehr stabil und beeinträchtigt langfristig die schulische, berufliche und soziale Integration der Betroffenen (vgl. Thomas et al., 2015). Die Rechenstörung tritt bei ca. 3 bis 6 % aller Kinder auf und verläuft ebenfalls bis ins Erwachsenenalter hinein stabil. Ein chronischer Verlauf ist vor allem dann zu beklagen, wenn rechenschwache Kinder komorbid eine Lese-Rechtschreibstörung (vgl. Fischer, Roesch & Moeller, 2017; Thomas et al., 2015) oder massive psychosoziale Folgen (vgl. Kohn et al., 2013; Werpup & Petermann, 2016) aufweisen. Zur sogenannten nichtsprachlichen Lernstörung, also den visuellen und taktilen Schwierigkeiten von Kindern, liegen keine abgesicherten Prävalenzen vor (vgl. Knievel & Petermann, 2008). Generell sind Jungen von allen umschriebenen Entwicklungsstörungen häufiger betroffen als Mädchen.

Ätiologie Als zentrale Ursache aller umschriebenen Entwicklungsstörungen wird eine genetische Prädisposition angenommen. Im Rahmen von Sprach- und Sprechstörungen werden neben der genetischen Komponente auch Umweltfaktoren wie eine mangelnde Sprachförderung im familiären Umfeld oder frühkindliche Hirnschädigungen als weitere Ursachen angeführt. Die Ätiologie der motorischen Entwicklungsstörung ist nicht eindeutig geklärt. Neben genetischen Faktoren scheinen bei der Entstehung der Störung verschiedene Aspekte eine Rolle zu spielen, zum Beispiel Frühgeburtlichkeit und ein niedriges Geburtsgewicht; nach Jenni und Caflisch (2012) handelt es sich im Regelfall bei motorischen Entwicklungsstörungen um neurophysiologische Dysfunktionen. Lese-Rechtschreibstörungen resultieren aus dem komplexen Zusammenwirken von genetischen Dispositionen, verschiedenen neurobiologischen Faktoren sowie einer mangelhaften sprachlich-phonologischen und visuellschriftlichen Informationsverarbeitung. Rechenstörungen können zusätzlich durch neuropsychologische Defizite in © 2018 Hogrefe Verlag


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den Bereichen Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Sprache und visuell-räumliche Wahrnehmung verursacht sein.

Prävention und Intervention Die Behandlung aller Entwicklungsstörungen gestaltet sich durch ein umfassendes, interdisziplinäres Angebot. Allerdings wird die Vielfalt der Angebote erst in jüngster Zeit umfassend auf Wirksamkeit und Evidenz überprüft. Hierzu wurden wichtige Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen publiziert (z. B. Fischer & Pfost, 2015; Galuschka & SchulteKörne, 2015; Ise, Engel & Schulte-Körne, 2012). Die Bedeutung von Präventionsmaßnahmen rückt immer stärker in den Blickpunkt der Interessen (vgl. Daseking & Petermann, 2011; Moraske et al., 2018; von Suchodoletz, 2011). In diesem Rahmen sind die Befunde zu den Vorläuferstörungen von umschriebenen Entwicklungsauffälligkeiten zentral, da sie Ansatzpunkte für eine frühzeitige Diagnostik und Förderung eröffnen. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Präventionsmaßnahmen ergibt sich die Notwendigkeit, Vorläuferstörungen von Entwicklungsauffälligkeiten zu identifizieren. Verschiedene Studien wurden hierzu im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren durchgeführt; einige sollen genannt werden: · Rechenstörung (vgl. die Übersicht von Moraske et al., 2018), · Lesestörung (vgl. Ennemoser, Marx, Weber & Schneider, 2012), · Lese-Rechtschreibstörung (vgl. Daseking & Petermann, 2011) und · kombinierte Rechtschreib- und Rechenstörung (vgl. Knievel, Petermann & Daseking, 2011). Mit diesen Befunden wird die Förderung von Kindern mit umschriebenen Entwicklungsstörungen immer deutlicher eine Aufgabe, die im Kindergarten- und Vorschulalter verortet ist und in dieser Altersspanne besonders erfolgreich sein kann.

Inhalte des Themenschwerpunktes Der Beitrag von Nagler, Lindberg und Hasselhorn (2018) gibt eine Übersicht über die Leseentwicklung in der Kindheit und betont die Komplexität des Leseerwerbs. Die Ausarbeitungen dieser Autorengruppe stellen ein narratives Review dar, das sich den familiären, schul- und umweltbezogenen Einflussfaktoren sowie den Möglichkeiten der Prävention und Intervention zuwendet. Es wird dabei deutlich, dass der sozioöko© 2018 Hogrefe Verlag

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nomische Status und die häusliche Lernumgebung einen wichtigen Einfluss auf die Leseentwicklung besitzen. Nagler et al. (2018) empfehlen den Einsatz von Präventionsprogrammen, um Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb entgegen zu wirken; vor allem ist in diesem Zusammenhang die Förderung der phonologischen Bewusstheit bedeutsam. Jaščenoka und Petermann (2018) beschäftigen sich mit umschriebenen motorischen Entwicklungsstörungen (UEMF). Ziel dieser Übersichtsarbeit ist es, den Einfluss von kognitiven Teilleistungsdefiziten (= Defizite in der visuellen Wahrnehmung, in den Bereichen Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis) auf die Intelligenzleistungen von Kindern mit UEMF zu klären. Anhand dieser Übersicht soll herausgearbeitet werden, ob Kinder mit einer UEMF ein spezifisches Intelligenzprofil aufweisen. Weltweit kommt den Wechsler-Intelligenztests hierbei eine wichtige Rolle zu, wobei Kinder mit UEMF im WPPSI-III im Handlungsteil und ältere Kinder mit UEMF im WISC-IV im Index Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken und im Index Verarbeitungsgeschwindigkeit – im Vergleich zu unauffälligen Kindern – geringere Leistungen erbringen. Die Arbeit von Moraske et al. (2018) berichtet von den kurz- und mittelfristigen Effekten einer Förderung der mathematischen Kompetenzen bei Risikokindern im Vorschulalter. Die Autorengruppe geht dabei einleitend auf Wirksamkeitsstudien zu verschiedenen Programmen zur Förderung der mathematischen Basiskompetenzen ein. Daran schließt sich die Beschreibung einer Präventionsstudie an, an der Vorschulkinder teilnahmen, die ein Risiko für die Entwicklung einer Rechenstörung aufwiesen. Das Programm wurde von den pädagogischen Fachkräften im letzten Kindergartenjahr durchgeführt. Die Inhalte des Programmes umfassten: die visuelle Differenzierungsfähigkeit, das räumliche Vorstellen, die Mengenerfassung, den Zahlbegriff, einfache Rechenoptionen, den Umgang mit Symbolen, das Erfassen von abstrakt-logischen Zusammenhängen und das Erkennen von Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Die Erfolge der Förderung wurden unmittelbar nach dem Abschluss der Maßnahme (= kurzfristige Effekte) und in der zweiten Hälfte der 1. Klasse erfasst (= mittelfristige Effekte). Es konnten zwar nur kurzfristige Effekte in dieser Studie bestätigt werden, dennoch erscheint das Vorschulalter die Lebensspanne zu sein, in der man bei einer Förderung ansetzen muss.

Literatur Daseking, M. & Petermann, F. (2011). Der Einfluss von Vorläuferfähigkeiten auf die Rechtschreib-, Lese- und Rechenleistung in der Grundschule. Gesundheitswesen, 73, 644 – 649. Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 1–4


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F. Petermann, Umschriebene Entwicklungsstörungen

Elhert, A., Schroeders, U. & Fritz-Stratmann, A. (2012). Kritik am Diskrepanzkriterium in der Diagnostik von Legasthenie und Dyskalkulie. Lernen und Lernstörungen, 1, 169 – 184. Ennemoser, M., Marx, P., Weber, J. & Schneider, W. (2012). Spezifische Vorläuferfertigkeiten der Lesegeschwindigkeit, des Leseverständnisses und des Rechtschreibens. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 44, 53 – 67. Fischer, M. Y. & Pfost, M. (2015). Wie effektiv sind Maßnahmen zur Förderung der phonologischen Bewusstheit? Eine meta-analytische Untersuchung der Auswirkungen deutschsprachiger Trainingsprogramme auf den Schriftspracherwerb. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 47, 35 – 51. Fischer, U., Roesch, S. & Moeller, K. (2017). Diagnostik und Förderung bei Rechenschwäche. Lernen und Lernstörungen, 6, 25 – 38. Galuschka, K. & Schulte-Körne, G. (2015). Evidenzbasierte Interventionsansätze und forschungsbasierte Programme zur Förderung der Leseleistung bei Kindern und Jugendlichen mit Lesestörung. Ein systematischer Review. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 18, 473 – 487. Ise, E., Engel, R. R. & Schulte-Körne, G. (2012). Was hilft bei der Lese-Rechtschreibstörung? Ergebnisse einer Metaanalyse zur Wirksamkeit deutschsprachiger Förderansätze. Kindheit und Entwicklung, 21, 122 – 136. Jaščenoka, J. & Petermann, F. (2018). Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF). Weisen betroffene Kinder spezifische Intelligenzprofile auf ? Kindheit und Entwicklung, 27, 14-30. Jenni, O. & Caflisch, J. (2012). Das motorisch ungeschickte Kind. Therapeutische Umschau, 69, 459 – 465. Kastner, J., Lipsius, M., Hecking, M., Petermann, F., Petermann, U., Meyer, H. & Springer, S. (2011). Kognitive Leistungsprofile motorisch- und sprachentwicklungsverzögerter Kinder. Kindheit und Entwicklung, 20, 173 – 185. Kastner, J. & Petermann, F. (2009). Entwicklungsbedingte Koordinationsstörung. Psychologische Rundschau, 60, 73 – 81. Kastner, J. & Petermann, F. (2010). Entwicklungsbedingte Koordinationsstörungen und Lernverhalten. Zeigen Kinder mit entwicklungsbedingten Koordinationsstörungen auch auffälliges Lernverhalten? Monatsschrift Kinderheilkunde, 158, 455 – 462. Knievel, J. & Petermann, F. (2008). Nichtsprachliche Lernstörungen: Eine unspezifische oder richtungsweisende Klassifikation? Kindheit und Entwicklung, 17, 126 – 136.

Knievel, J., Petermann, F. & Daseking, M. (2011). Welche Vorläuferdefizite weisen Kinder mit einer kombinierten Rechtschreibund Rechenstörung auf ? Diagnostica, 57, 212 – 224. Kohn, J., Wyschkon, A. & Esser, G. (2013). Psychische Auffälligkeiten bei umschriebenen Entwicklungsstörungen: Gibt es Unterschiede zwischen Lese-Rechtschreib- und Rechenstörungen? Lernen und Lernstörungen, 2, 7 – 20. Landerl, K. & Moll, K. (2010). Comorbidity of learning disorders: Prevalence and familial transmission. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 53, 287 – 294. Moraske, S., Penrose, A., Wyschkon, A., Kohn, J., Rauscher, L., Aster, M. v. & Esser, G. (2018). Prävention von Rechenstörungen. Kurz- und mittelfristige Effekte einer Förderung der mathematischen Kompetenzen bei Risikokindern im Vorschulalter. Kindheit und Entwicklung, 27, 31-42. Nagler, T., Lindberg, S. & Hasselhorn, M. (2018). Leseentwicklung in der Kindheit. Einflussfaktoren und Fördermöglichkeiten. Kindheit und Entwicklung, 27, 5-13. Petermann, F. (2006). Intelligenzdiagnostik. Kindheit und Entwicklung, 15, 71 – 75. Petermann, F. (2016). Sprachentwicklungsstörungen. Kindheit und Entwicklung, 25, 131 – 134. Rißling, J. K., Ronniger, P., Petermann, F. & Melzer, J. (2016). Psychosoziale Belastungen bei Sprachentwicklungsstörungen. Kindheit und Entwicklung, 25, 145 – 152. Suchodoletz, W. v. (2011). Früherkennung von umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 39, 377 – 385. Thomas, K., Schulte-Körne, G. & Hasselhorn, M. (2015). Stichwort – Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 18, 431 – 451. Werpup, L. & Petermann, F. (2016). Kognitive Leistungen bei rechenschwachen Grundschülern. Kindheit und Entwicklung, 25, 238 – 249. Werpup-Stüwe, L. & Petermann, F. (2015). Visuelle Wahrnehmungsleistungen bei Kindern mit Lese-Rechtschreibstörung. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 43, 207 – 219. Prof. Dr. Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Grazer Straße 6 28359 Bremen fpeterm@uni-bremen.de

Marcus Hasselhorn / Wolfgang Schneider (Hrsg.) Förderprogramme für Vor- und Grundschule

Marcus Hasselhorn Wolfgang Schneider (Hrsg.)

Förderprogramme für Vor- und Grundschule

(Reihe: „Jahrbuch der pädagogischpsychologischen Diagnostik. Test und Trends“) 2016, IIIV/251 Seiten, € 36,95 / CHF 45.90 ISBN 978-3-8017-2772-7 Auch als eBook erhältlich

Der Band beschreibt eine Reihe von Verfahren, die für die Förderung in Vorschule und Schule konzipiert wurden und sich entweder zur Verbesserung relevanter Vorläufermerkmale (etwa der phonologischen Bewusstheit bzw. der frühen Mengen-Zahlen-Kompetenz) im Kindergarten oder aber zur Förderung schriftsprachlicher und mathematischer Kompetenzen in der Schule anbieten.

Tests und Trends – Jahrbuch der pädagogischpsychologischen Diagnostik

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Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 1–4

© 2018 Hogrefe Verlag


Übersicht

Leseentwicklung in der Kindheit Einflussfaktoren und Fördermöglichkeiten Telse Nagler1, 2, Sven Lindberg2, 4 und Marcus Hasselhorn1, 2, 3 1

Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), Frankfurt am Main

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Center for Individual Development and Adaptive Education of Children at Risk (IDeA), Frankfurt am Main Institut für Psychologie, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main

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Institut für Humanwissenschaften, Fach Psychologie, Universität Paderborn, Paderborn Zusammenfassung: Der Leseerwerb ist ein hoch komplexer Prozess, der durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden kann. Bestimmte kognitive (internale) Fertigkeiten und Funktionen konnten bereits als individuelle Voraussetzungen zur effektiven (schrift)sprachlichen Informationsverarbeitung identifiziert werden. In dieser narrativen Überblicksarbeit wird der Einfluss von weiteren (externalen) Einflussfaktoren anhand von Informationen aus Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen dargestellt. Dabei werden ausgewählte Faktoren (z. B. sozioökonomischer Status, häusliche Lernumgebung, Schule, urbaner Lärm) hervorgehoben. Weiterhin werden erfolgversprechende Absätze zur Prävention und Intervention skizziert. Es werden Präventionsprogramme beschrieben, die sich auf die individuelle Förderung von trainierbaren kognitiven Voraussetzungen fokussieren. Ebenfalls werden störungsspezifische und allgemeinwirksame Interventionsprogramme dargestellt, die für eine langfristige Leseförderung eingesetzt werden können. Schlüsselwörter: Leseentwicklung, familiäre und umweltbezogene Einflussfaktoren, Prävention, Intervention

Children’s Reading Development: Influencing Factors and Training Programs Abstract: The highly complex process of reading relies on a variety of factors that influence reading development. Initially, reading acquisition requires the understanding of the relationship between letters (graphemes) and sounds (phonemes). If grapheme–phoneme correspondences are successfully established, the process of reading can be accelerated and automatized. The manifestation of phonological awareness is thereby considered to be the central cognitive component for successful reading acquisition and the best predictor of later reading performance. Furthermore, other cognitive skills, such as processing speed, phonological working memory, visual and auditory processing, as well as orthographic knowledge are assumed to also substantially affect reading development. Besides these (internal) cognitive preconditions, other (external) factors are additionally influential for the successful – or problematic – acquisition of reading expertise. The goal of this narrative summary is to give an overview of relevant meta-analytic results and insights from recent reviews considering the identification of significant family- and environment-based variables as well as information about effective German prevention and intervention approaches on the individual level. Relating to the influence of family conditions, the socioeconomic status and the home learning environment are outlined to be of specific relevance. More precisely, low socioeconomic status and an uninspiring learning environment have been associated with poor reading achievement. Further influential environment-based factors are related to the school setting and noise exposure. For example, the quality of instruction, the teacher’s competency, as well as the pupil–teacher interaction are closely related to learning and reading success. Further, chronic exposure to urban noise reportedly results in lower reading performance for children, as their cognitive skills are generally still in the process of automatization and more prone to disturbances. To prevent school and reading failure, meta-analytic results suggest early fostering of (internal) cognitive skills, especially if the external preconditions are detrimental. A number of prevention programs have therefore focused on improving the central reading-related cognitive components (i. e., phonological awareness). Furthermore, reviews recommend engaging in intervention programs, which focus on symptomrelated problems (e. g., reading training at phoneme or syllable level) to reduce any existing reading deficiencies. Fostering general reading competence (e. g., grapheme–phoneme correspondences) is emphasized to support children at risk as well as normal achievers. Keywords: reading development, influencing factors, prevention, intervention

Die schulische Fertigkeit des Lesens bildet die Grundlage des selbstständigen Wissenserwerbs und ist ein zentraler Bestandteil der akademischen Bildung. Als Voraussetzung für den erfolgreichen Leseerwerb wird zunächst die Ausbildung eines Verständnisses von Buchstaben (Grapheme) und Lauten (Phoneme) und deren Verbindung benötigt. Gelingt die korrekte Zuordnung, können Gra© 2018 Hogrefe Verlag Veröffentlicht unter der Hogrefe OpenMind-Lizenz http://doi.org/10.1026/a000002

phem-Phonem-Korrespondenzen erlernt und verfestigt werden (Frith, 1986). Im Verlaufe der erfolgreichen Leseentwicklung stellt sich dann in der Regel ein Grad an Genauigkeit und Schnelligkeit der Übersetzung von Graphemen in Phoneme ein, der es ermöglicht, Schrift relativ mühelos zu entziffern und die Aufmerksamkeit auf den semantischen Inhalt zu lenken (Wolf & Katzir-Cohen, Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 5–13 https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000240


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2001). Durch diese Automatisierung werden kognitive Ressourcen frei, die für komplexe Prozesse, wie dem Leseverständnis, zur Verfügung stehen (Perfetti, 1985). Die Entwicklung und Festigung der lesebezogenen kognitiven Fertigkeiten gelingt jedoch nicht immer gleich gut. Neben dem nachweislichen Einfluss genetischer Prädispositionen (Schulte-Körne, Warnke & Remschmidt, 2006), wird besonders der Ausprägung der phonologischen Bewusstheit (die Fähigkeit auf die Lautstruktur von Wörternzuzugreifen und diese zu manipulieren; Castles & Coltheart, 2004) eine entscheidende Rolle für die Leseentwicklung zugeschrieben (Gorecki & Landerl, 2015). So gilt die phonologische Bewusstheit sprachübergreifend als zentraler Prädiktor für die spätere Leseleistung (z. B. Vellutino, Fletcher, Snowling & Scanlon, 2004). Als weitere einflussreiche kognitive Faktoren werden beispielsweise die Benenngeschwindigkeit (z. B. Araújo, Reis, Petersson & Faísca, 2015), das phonologische Arbeitsgedächtnis (z. B. Melby-Lervåg, Lyster & Hulme, 2012), visuelle und auditive Verarbeitungsprozesse (z. B. Boets, Wouters, van Wieringen, De Smedt & Ghesquière, 2008) oder das orthographische Wissen beschrieben (für eine Zusammenfassung siehe auch Moll, Wallner & Landerl, 2012; Schulte-Körne, 2011). Neben diesen kognitiven (internalen) Voraussetzungen für den erfolgreichen – oder problematischen – Leseerwerb gibt es auch externale Faktoren, die mit der Entwicklung der Lesekompetenz in Zusammenhang stehen. Auch wenn der nachgewiesene Einfluss geringer ausfällt als der für die genetischen Prädispositionen oder die phonologische Bewusstheit, unterscheiden sich doch beispielsweise die Anregungsbedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, beträchtlich und können bei ungünstiger Ausprägung den Leseerwerb beeinträchtigen (Hattie, 2009). So konnte aufgezeigt werden, dass auch externale Faktoren, wie der sozioökonomische Status oder die häusliche und schulische Lernumgebung mit mittleren Effekten bzw. Lärmbelastung mit kleinen Effekten einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Lernvoraussetzungen und die resultierenden Leseleistungen haben können. Aktuelle Forschungsbemühungen konzentrieren sich daher einerseits auf die Identifizierung von relevanten externalen Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit für eine problematische Leseentwicklung erhöhen, und andererseits auf die Entwicklung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen, die potentiellen Leseschwierigkeiten entgegenwirken können. Diese narrative Überblicksarbeit hat zum Ziel, ausgewählte externale (familiäre und umweltbezogene) Einflussfaktoren, die im Zusammenhang mit der Leseentwicklung stehen, näher zu beleuchten und darauf aufbauend einen Überblick über aktuelle erfolgversprechende Präventions- und Interventionsprogramme zu liefern. Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 5–13

T. Nagler et al., Einflussfaktoren und Förderung der Leseentwicklung

In einer umfangreichen Literaturrecherche wurde dafür nach aktuellen Meta-Analysen, Übersichtsarbeiten und repräsentativen Längsschnittstudien in einschlägigen Datenbanken (z. B. PsycINFO, PsychARTICLES, Medline) gesucht und eine Zusammenfassung der aktuellen Erkenntnisse bezüglich der hier im Fokus stehenden Einflussfaktoren erstellt. Übergeordnete Schlagwörter waren beispielsweise: Leseentwicklung, Umwelt, Einflussfaktoren, Lese-Rechtschreibstörung, Meta-Analyse, Review. Spezifische Schlagwörter waren beispielsweise: Soziökonomischer Status, Häusliche Lernumgebung, Schule, Lärm, Intervention, Prävention. Kriterien, nach denen die Artikel ausgewählt wurden, waren: 1) Artikelform: Meta-Analyse, Übersichtsarbeit/Review oder repräsentative Längsschnittstudie, 2) Aktualität: Veröffentlichung zwischen den Jahren 2000 und 2016, 3) Qualität: Veröffentlichung in einem Journal mit Peer-Review Verfahren, 4) Informationsaufbereitung: Theoriegeleitete Arbeiten und Bereitstellung von Angaben zu objektiven Gütekriterien (z. B. statistische Kennwerte, Effektstärken). Die Auswahl der im Folgenden dargestellten Faktoren hat zum Ziel eine selektive Zusammenstellung besonders für Anwenderinnen und Anwender in der Praxis zu bieten und die Zusammenhänge mit der Leseentwicklung zu verdeutlichen. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Einflussfaktoren bezüglich ihrer Relevanz mit Bezug auf Effektstärken berichtet werden.

Ausgewählte familiäre und umweltbezogene Einflussfaktoren Sozioökonomischer Status Der sozioökonomische Status wird unter anderem durch Informationen zum Einkommen, Bildungsstand und dem Beruf der Eltern erschlossen (Lindo, 2014). Sowohl in internationalen als auch nationalen Studien zeigt sich ein recht einheitliches Bild: Die generellen Schulleistungen von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher sozialer Herkunft unterscheiden sich sowohl in der Grundschule als auch in der Sekundarstufe I deutlich voneinander (Neumann, Becker & Maaz, 2014). Weiterhin besteht ein enger statistischer Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Migrationshintergrund. Insbesondere in Deutschland weisen Familien mit Migrationshintergrund häufig auch einen vergleichsweise niedrigen sozioökonomischen Status auf (Stanat, Rauch & Segeritz, 2010). Die Unterschiede im sozioökonomischen Status, die sich im Verlauf spezifisch auf die Lese- und Recht© 2018 Hogrefe Verlag Veröffentlicht unter der Hogrefe OpenMind-Lizenz http://doi.org/10.1026/a000002


T. Nagler et al., Einflussfaktoren und Förderung der Leseentwicklung

schreibentwicklung auswirken können, zeigen sich schon in frühen Stadien des Spracherwerbs. Je nach familiärem Hintergrund hören Kinder im Alter von neun Monaten bis zweieinhalb Jahren zwischen 62,000 und 215,000 Wörter pro Woche, wobei das Sprachangebot in Familien mit höherem sozioökonomischen Status zusätzlich mehr verschiedene Wörter enthält als in Familien mit niedrigerem sozialen Status (Hart & Risley, 1999). Diese Unterschiede spiegeln sich ebenfalls im Ausmaß des Wortschatzes der Kinder wider: Eine qualitativ hochwertige sprachliche Umgebung in Familien mit höherem sozialen Status wirkt sich positiv auf den Wortschatzerwerb aus (Vasilyeva & Waterfall, 2011). Des Weiteren zeigten Weinert und Ebert (2013), dass Vorschulkinder aus sozial schwächeren Schichten nicht nur über einen eingeschränkteren Wortschatz verfügen, sondern auch in den grammatikalischen Fähigkeiten weniger gut abschneiden. Diese Unterschiede blieben über den Verlauf der Kindergartenzeit unverändert. In einem von Foster, Lambert, Abbott-Shim, McCarty und Franze (2005) vorgeschlagenen Modell (investment model) werden Entwicklungsunterschiede zwischen verschiedenen sozialen Schichten durch unterschiedliche Verfügbarkeit und Verteilung bestehender Ressourcen (z. B. Geld, Zeit, Energie) erklärt. Es wird davon ausgegangen, dass der Umfang an Geld, das für ein Kind ausgegeben wird (z. B. für Bücher), und die Zeit, die Eltern mit ihrem Kind verbringen, einen Effekt auf die kognitive und sprachliche Entwicklung des Kindes haben (Hartas, 2011). So zeigen Untersuchungsergebnisse, dass Kinder aus niedrigeren sozialen Schichten und weniger verfügbaren Ressourcen schlechter in der Lesegenauigkeit und dem Leseverständnis abschneiden, als Kinder aus Familien mit höherem sozioökonomischen Status (Tischler, Daseking & Petermann, 2015). Metaanalytisch werden mittlere Effekte (d = 0.57; Hattie, 2009; r = .27; Sirin, 2005) des sozioökonomischen Status auf die schulischen Leistungen berichtet. Bei der Betrachtung des sozioökonomischen Status ist jedoch auch die Kausalitätsfrage zu beachten, da Schichteinflüsse sowohl Ursache als auch Folge verminderter Lesekompetenzen sein können (siehe z. B. Baumert, Watermann & Schümer, 2003).

Häusliche Lernumgebung Die häusliche Lernumgebung zeichnet sich durch das Maß an verfügbarer Lernstimulation und durch die Bereitstellung zusätzlicher Lerngelegenheiten aus (z. B. in Form vom gemeinsamen Lesen und Üben; Helmke & Weinert, 1997). Die häusliche Lernumgebung wird in vielen Studien über eine Befragung der Eltern erfasst, in dem u. a. nach der Anzahl der Bücher im Haushalt oder dem © 2018 Hogrefe Verlag Veröffentlicht unter der Hogrefe OpenMind-Lizenz http://doi.org/10.1026/a000002

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Fernsehkonsum gefragt wird (Niklas & Schneider, 2013). Längsschnittliche Studien belegen, dass die häusliche Lernumgebung die frühen sprachlichen Entwicklungsverläufe (z. B. des aktiven und passiven Wortschatzes), aber auch die spätere Lesekompetenz einigermaßen gut vorhersagen kann (Molfese, Modglin & Molfese, 2003; Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford & Taggart, 2008). Dabei wirkt die häusliche Lernumgebung als Mediator zwischen Einflussfaktoren wie dem sozioökonomischen Status und dem Migrationshintergrund: Es konnte gezeigt werden, dass Eltern mit weniger angesehenen und schlechter bezahlten Jobs auch seltener eine anregende häusliche Lernumgebung schaffen, weniger gemeinsam mit ihren Kindern lesen und mehr Fernsehen schauen, was zu schlechteren sprachlichen Ausgangsbedingungen führt (Niklas, Schmiedeler, Pröstler & Schneider, 2011). In früheren Meta-Analysen (Bus, van IJzendoorn & Pellegrini, 1995; Scarborough & Dobrich, 1994), in denen der Einfluss der häuslichen Lernumgebung auf den Leseerwerb untersucht wurde, zeigte sich, dass das Vorlesen 8 % der Varianz der spezifischen linguistischen Kompetenzen (Leseentwicklung, Sprachschatzerwerb, Schreibfähigkeit) von Kindern erklären kann. Auch wenn dieser Anteil nicht groß erscheint, zeigt er doch, dass die häusliche Lernumgebung als Faktor berücksichtigt werden sollte, da er prinzipiell veränderbar ist. Insgesamt wird der Einfluss der stimulierenden häuslichen Lernumgebung auf die generellen schulischen Leistungen in Meta-Analysen mit mittelhohen Effekten beschrieben (d = 0.57; Hattie, 2009). Anhand der Daten einer in Baden-Württemberg realisierten Studie haben Niklas und Schneider (2013) gezielt untersucht, welchen Einfluss die häusliche Lernumgebung auf die Leseentwicklung von Kindern hat. Es zeigte sich, dass die häusliche Lernumgebung ein wichtiger Prädiktor für den Wortschatz und die phonologische Bewusstheit im Kindergarten ist. Zusätzlich hatte die häusliche Lernumgebung einen direkten positiven Einfluss auf die phonologische Bewusstheit zu Beginn der Grundschule. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die häusliche Lernumgebung bei Kindern in Deutschland nicht nur ein spezifischer Vorläufer für die Leseentwicklung (z. B. Wortkenntnis, phonologische Bewusstheit, Vokabular), sondern auch von Bedeutung für die allgemeinen schulischen Leistungen ist.

Schulfaktoren Neben individuellen Lernvoraussetzungen beeinflussen auch der Unterricht und Kontextfaktoren die Leseentwicklung (vgl. Hasselhorn & Gold, 2013). Die Qualität des Unterrichts zeichnet sich besonders durch die eingesetzKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 5–13


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ten Unterrichtsmethoden (Vorgehensweisen, die im Unterricht zum Einsatz kommen) sowie durch die Organisation, Planung und Steuerung des Unterrichts durch den Lehrer aus (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1995). Ebenfalls hängt die Unterrichtsqualität von den Kompetenzen und den Fertigkeiten des Lehrers ab (Hattie, 2009). Vor allem scheinen Verhaltensweisen der Lehrkraft beim unterrichtlichen Handeln die Qualität des Unterrichts und damit allgemeine Lernvoraussetzungen positiv zu beeinflussen: Der Umgang mit dem Lernstoff und die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schülerinnen und Schülern während des Lernens stehen in einem systematischen positiven Zusammenhang mit der Kompetenzentwicklung der Kinder in einer Klasse (Kunter & Voss, 2011). Einen großen Effekt auf die schulische Leistung wird dabei der Lehrer-Schüler-Beziehung zugeschrieben (d = 0.72; Hattie, 2009). Dabei scheinen vor allem Aspekte der kognitiven Aktivierung (z. B. aktive Auseinandersetzung der Schüler mit dem Lernstoff), das Maß an konstruktiver Unterstützung der Lehrkraft und eine effektive Klassenführung von Bedeutung zu sein (vgl. Hasselhorn & Gold, 2013). Zusätzlich zeigt sich, dass die Unterrichtsqualität und die Verhaltensweisen der Lehrkräfte einen größeren Einfluss auf die spezifische Leseentwicklung und die generelle Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler haben, als strukturelle Qualitätsmerkmale der Schule (Klieme, Steinert & Hochweber, 2010). So konnten beispielsweise größere Effekte durch die von der Lehrkraft angewendeten Strategien (d = 0.60) und durch das Klassenmanagement (d = 0.52) als durch finanzielle Möglichkeiten der Schule (d = 0.23) auf die schulischen Leistungen berichtet werden (Hattie, 2009). Unter Kontextfaktoren werden schulinterne und -externe Kompositionsmerkmale verstanden, die insbesondere Einfluss auf die Lernentwicklung haben können (z. B. die Zusammensetzung der Klasse nach Sozialschicht oder die Klassengröße). Es gibt Hinweise darauf, dass es bei einer sehr homogenen Schulklasse (z. B. in Bezug auf das Leistungsniveau oder die Herkunft) bei einigen Kindern zu Nachteilen in der Lern- und Leistungsentwicklung kommen kann. Besonders betroffen von solchen Kompositionseffekten sind Hauptschulen, die sich in schwierigen Stadtteilen befinden und bei denen sich familiäre Risikound Belastungsfaktoren häufen (Stanat, Schwippert & Göhlich, 2010). Untersuchungen zum Einfluss der Klassengröße ergaben bisher keine einheitlichen Ergebnisse. Während einige Studien davon berichten, dass kleinere Klassen mit besseren schulischen Leistungen einhergehen (z. B. Shin & Raudenbush, 2011), zeigen sich in anderen Untersuchungen keine vergleichbaren Ergebnisse (z. B. Treutlein, Roos & Schöler, 2012). Nach Hattie (2009) hat die Klassengröße nur einen kleinen Effekt auf die schulische Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 5–13

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Leistung (d = 0.21) und eine Verringerung der Klassengröße von 25 auf 15 bewirkt nur minimale Effekte auf die Leistungsentwicklung, die in einem unausgewogenen Verhältnis zu den damit verbundenen Kosten stehen. Eine Erklärung für vermeidlich bessere Leistungen in kleineren Klassen ist, dass sich die Kinder aus großen bzw. kleinen Klassen noch durch weitere, nicht erfasste, Variablen unterscheiden. So könnten Eltern, die besonders großen Wert auf günstige Lernvoraussetzungen und kleine Klassen legen, ihre Kinder auch in einem größeren Maß bei schulischen Aufgaben unterstützen (Cho, Glewwe & Whitler, 2012).

Urbaner Lärm Besonders in urbanen Gegenden sind Menschen häufig Lärmquellen ausgesetzt, die die generelle kognitive Leistung beeinflussen können. Die meisten Studien zum Einfluss von Lärm wurden bislang mit Erwachsenen durchgeführt und ergaben, dass schon Lärm von geringer bis mittlerer Intensität kognitive Leistungseinbußen mit sich bringen kann (z. B. Szalma & Hancock, 2011). Es wird davon ausgegangen, dass Kinder noch stärker als Erwachsene von Umweltlärm beeinflusst werden können, da kognitive Funktionen bei ihnen noch nicht so automatisiert ablaufen und deshalb anfälliger für Unterbrechungen sind (Klatte, Bergström & Lachmann, 2013). Besonders bei der Sprachwahrnehmung und beim Hörverständnis werden Kinder durch Lärm gestört (Klatte, Lachmann & Meis, 2010), so dass Kinder bessere Voraussetzungen als Erwachsene brauchen, um verbal vermittelte Informationen dekodieren und verstehen zu können (Söderlund, Sikström, Loftesnes & Sonuga-Barke, 2010). Dies wird darauf zurückgeführt, dass Kinder noch nicht so geübt darin sind, phonologisches Wissen zu nutzen, um schwer verständliche, verbale Informationen zu rekonstruieren (Hazan & Barrett, 2000). Außerdem verfügen Kinder noch nicht über eine hinreichend ausdifferenzierte Kontrolle ihrer Aufmerksamkeitslenkung, was ebenfalls bei Lärm zu Beeinträchtigung der Informationsverarbeitung führen kann (Klatte, Lachmann, Schlittmeier & Hellbrück, 2010). Für chronischen Lärm, wie z. B. Fluglärm, zeigen sich unterschiedliche Schätzungen des Ausmaßes der Beeinträchtigung von Aufmerksamkeits- (Belojevic, Evans, Paunovic & Jakovljevic, 2012) und Gedächtnisleistungen (Matheson et al., 2010) von Kindern. In vielen Studien war die Exposition von Fluglärm konsistent mit niedriger Leseleistung verbunden (Clark & Sörqvist, 2012), der in Studien berichtete Effekt von Fluglärm auf die Leseleistung ist generell jedoch eher klein (Klatte, Steinbrink, Bergström & Lachmann, 2013). © 2018 Hogrefe Verlag Veröffentlicht unter der Hogrefe OpenMind-Lizenz http://doi.org/10.1026/a000002


T. Nagler et al., Einflussfaktoren und Förderung der Leseentwicklung

Prävention Das Ziel von Prävention ist es, spätere Leseschwierigkeiten durch gezielte frühzeitige Förderung vorzubeugen. Im Folgenden wird der Fokus auf Präventionsprogramme gelegt, die eine Förderung auf individueller Ebene anstreben. Wie zuvor beschrieben gilt die phonologische Bewusstheit als eine der wichtigsten kognitiven Grundlagen für den Leseerwerb, die hoch mit der Leseentwicklung korreliert (Schulte-Körne, 2001). Zusätzlich weisen verschiedene Untersuchungen darauf hin, dass phonologische Verarbeitungsfertigkeiten trainierbar sind (Klatte, Steinbrink, et al., 2013) und dass ein Training der phonologischen Bewusstheit auch zu Verbesserungen in der Leseleistung führen kann (Metz, Fröhlich, Rißling & Petermann, 2011). Für den Zeitpunkt der phonologischen Förderung scheint ein früher Interventionsbeginn (Vorschulbereich, frühe Grundschulzeit) wichtig zu sein. So konnte gezeigt werden, dass der Förderbeginn im Kindergarten höhere Effekte mit sich bringt als ein Interventionsbeginn in der ersten Klasse (Fischer & Pfost, 2015). Dies wird darauf zurückgeführt, dass sich die phonologische Bewusstheit mit zunehmendem Alter weiter ausdifferenziert und es im Verlauf der Grundschulzeit einen starken Anstieg der phonologischen Fertigkeiten gibt, wodurch mögliche Trainingseffekte abgeschwächt werden (Einsiedler, Frank, Kirschhock, Martschinke & Treinies, 2002). Zu den Programmen, die im deutschen Sprachraum verbreitet sind, gehören z. B. Hören, Lauschen, Lernen (Küspert & Schneider, 2008), Hören, Lauschen, Lernen 2 (Plume & Schneider, 2004), Lobo vom Globo (Fröhlich, Metz & Petermann, 2010; Metz, Fröhlich & Petermann, 2010) und Eltern-Kind-Trainings wie Lass uns Lesen! (Rückert, Kunze & Schulte-Körne, 2010). Diese Programme wurden in verschiedenen Studien evaluiert und auf ihre Wirksamkeit geprüft. So konnte z. B. festgestellt werden, dass das Programm Hören, Lauschen, Lernen bereichsspezifisch wirksam ist (positiver Effekt auf die phonologische Bewusstheit: Schneider, Küspert, Roth, Visé & Marx, 1997) und in Kombination mit der Einführung von Buchstaben (etwa in dem Programm Hören, Lauschen, Lernen 2) zusätzlich einen positiven Effekt auf das Erkennen von Graphem-Phonem-Korrespondenzen zeigt (Roth & Schneider, 2002). Belegt sind auch positive Transfereffekte der Programme auf die späteren Lese- und Rechtschreibleistungen bis in die zweite Klasse (Souvignier, 2008). Die Wirksamkeit der Lobo vom Globo Programme ist ebenfalls dokumentiert (Metz et al., 2011). Evaluationsstudien zur Wirksamkeit von Lass uns lesen! konnten positive Effekte auf die phonologische Bewusstheit und teilweise auf das Textverständnis nachweisen. Weiterge© 2018 Hogrefe Verlag Veröffentlicht unter der Hogrefe OpenMind-Lizenz http://doi.org/10.1026/a000002

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hende Transfereffekte wurden jedoch nicht geprüft (Rückert, Kunze, Schillert & Schulte-Körne, 2010). Meta-Analysen, die sich hauptsächlich auf Studien des englischen Sprachraums konzentrieren, zeigen, dass die untersuchten phonologischen Förderprogramme im Mittel große Effekte (d = 1.04; Bus & van Ijzendoorn, 1999; d = 0.86; Ehri et al., 2001) auf die phonologische Bewusstheit haben. Suggate (2016) berichtete in seiner Meta-Analyse von kurzfristigen moderaten Effekten der phonologischen Trainings (d = 0.43), die mittelfristig nur geringfügig abnehmen (auf d = 0.36). Auch nach durchschnittlich 11 Monaten waren noch kleine Effekte (d = 0.22) zu verzeichnen. Aufgrund der sprachlichen Unterschiede ist die durch Meta-Analysen ermittelte Bedeutsamkeit englischsprachiger phonologischer Trainings jedoch nicht direkt auf den deutschen Sprachraum übertragbar. So werden in der Meta-Analyse von Fischer und Pfost (2015), in der ausschließlich deutsche Programme einbezogen wurden, deutlich kleinere Effektgrößen phonologischer Förderprogramme im Vergleich zu englischsprachigen Studien berichtet. Dennoch zeigte sich auch in dieser Meta-Analyse, dass Kinder am Ende der Förderung im Mittel über eine signifikant höhere phonologische Bewusstheit verfügten als untrainierte Kinder (d = 0.36) und dass sich ein kleiner, aber bedeutsamer Transfereffekt auf die Lese- und Rechtschreibleistung einstellt (d = 0.21).

Intervention Interventionsprogramme fokussieren in der Regel die individuelle Förderung der Lesekompetenz bei Kindern mit problematischer Leseentwicklung und werden meist im Verlauf der Grundschulzeit eingesetzt. Einige Interventionsprogramme widmen sich jedoch auch der allgemeinen Förderung der Leseleistung.

Störungsspezifische Interventionsprogramme Studienergebnisse zeigen, dass eine unbehandelte LeseRechtschreibstörung (LRS) eine hohe Persistenz aufweist (Groth, Hasko, Bruder, Kunze & Schulte-Körne, 2013). Daher ist eine effektive Förderung besonders wichtig. Mittlerweile liegen viele Interventionsprogrammen für die Behandlung von LRS vor, die unterschiedliche Ansätze verfolgen (für einen Überblick, siehe Steinbrink & Lachmann, 2014). Dabei werden Programme unterschieden, die am Symptom direkt ansetzen oder die Förderung von Wahrnehmung oder der zugrundeliegenden (z. B. kognitive oder neurologische) Funktionen fokussieren (MannKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 5–13


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haupt, 2002). Eine Meta-Analyse von Galuschka, Ise, Krick und Schulte-Körne (2014) belegt, dass Förderprogramme, die ein systematisches Training auf Phonemund Silbenbasis integrieren, am meisten untersucht wurden und die Leseleistungen mit einem zwar kleinen, aber statistisch signifikanten Effekt wirksam steigern konnten (g = 0.32). Andere Trainingsverfahren (z. B. Ganzwortlesetrainings, auditive Wahrnehmungstrainings, medikamentöse Behandlung) zeigten keinen signifikanten Effekt und können somit die Leseleistung bei Kindern mit problematischer Leseentwicklung nicht nachweislich verbessern. In einer Meta-Analyse, die ausschließlich Förderprogramme aus dem deutschen Sprachbereich einbezog (Ise, Engel & Schulte-Körne, 2012), stellte sich heraus, dass symptomspezifische Leseprogramme wirksamer sind (g = 0.64) als Funktions- und Wahrnehmungstrainings (g = 0.23). Zusätzlich scheinen Interventionen, in denen sowohl die Lese- als auch die Rechtschreibung trainiert werden, die Rechtschreibleistung (g = 0.61) deutlicher als die Leseleistung (g = 0.33) zu steigern. Weitere von den Autoren bestimmte Moderatorvariablen, die die Wirksamkeit der Trainings beeinflussen, sind die Dauer und der Umfang der Förderung. So erzielten Programme, die mehr als 20 Wochen durchgeführt wurden, eine mittlere Effektgröße (g = 0.70), während kürzere Interventionen nur minimale, statistisch nicht signifikante, Effekte erreichten. Programme mit einer höheren Anzahl und Dauer der Trainingseinheiten konnten ebenfalls einen mittleren Effekt erreichen (g = 0.54 bei ≥ 30 Stunden). Die besuchte Klassenstufe oder der Schweregrad der Betroffenheit hatten keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Interventionsprogramme. Die Ergebnisse der beschriebenen Meta-Analysen weisen darauf hin, dass eine wirksame Förderung der Leseleistung direkt am Problembereich ansetzen sollte. Besonders wirksam scheinen dafür Bausteine zu sein, die sich auf die Phonem-Graphem bzw. Graphem-PhonemKorrespondenz sowie auf die Wortteilanalyse und -synthese konzentrieren (Galuschka & Schulte-Körne, 2015). Deutsche Förderprogramme, die diese vier Bausteine systematisch mit einbeziehen und mittels kontrollierter Studien auf ihre Wirksamkeit überprüft wurden, sind beispielsweise Flüssig lesen lernen (Tacke, 2001, 2005), Kieler Leseaufbau (Dummer-Smoch & Hackethal, 2008; Groth et al., 2013) und die Lautgetreue Lese-Rechtschreibförderung (Reuter-Liehr, 2008, 2010).

Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 5–13

T. Nagler et al., Einflussfaktoren und Förderung der Leseentwicklung

Allgemeinwirksame Interventionsprogramme Unter allgemein wirksamen Interventionsprogrammen sind Programme zu verstehen, die zwar für die Förderung leseschwacher Kinder konzipiert wurden, sich jedoch auch für die Förderung normallesender Kinder bewährt haben. Zwei neuere Ansätze dieser Art sind die Programme Lautarium (Klatte et al., 2014) und Phonit (Stock & Schneider, 2011). Lautarium (Klatte et al., 2014) ist ein adaptives computerbasiertes Trainingsprogramm für die Grundschule. Es werden sowohl Komponenten der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne (z. B. Phonemwahrnehmung, Lautanalyse, -synthese, Lautklassifikation) trainiert, als auch die Graphem-Phonem-Korrespondenzen zum lautgetreuen Lesen und Schreiben gefördert. In einer Evaluationsstudie von Klatte, Steinbrink, Bergström und Lachmann (2016) zeigte sich, dass sich Kinder mit einer LRS durch das Training im Vergleich zu einer Kontrollgruppe in den Bereichen Phonemwahrnehmung, phonologische Bewusstheit und lautgetreues Lesen und Schreiben verbesserten. Ebenfalls konnten langfristige mittlere bis große Effekte des Trainings auf die schriftsprachlichen und phonologischen Leistungen ermittelt werden. Dies galt sowohl für Kinder mit Leseschwierigkeiten als auch für Kinder ohne Leseprobleme. Phonit (Stock & Schneider, 2011) ist ein Interventionsprogramm, das die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne (d. h. die Erkennung der kleinsten lautlichen Einheiten) trainiert und eine Verbindung zum LeseRechtschreibunterricht herstellt. Das Programm wurde für den gesamten Grundschulbereich konzipiert und erlaubt den Einsatz im regulären Grundschulunterricht. Das Programm umfasst Übungen, die sich auf die Stärkung der Graphem-Phonem-Korrespondenz fokussieren, die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne fördern, das alphabetische Schreiben und Rechtschreibregeln trainieren und die Verbindungen zwischen Buchstaben und Lauten beim Lesen stärken sollen. In einer Evaluationsstudie konnten Stock und Schneider (2011) zeigen, dass Kinder mit schwacher Lese- und/oder Rechtschreibleistung nach Beendigung des Trainings ihre Leistungen in Bezug auf die phonologischen Bewusstheit und die Rechtschreibung signifikant verbessern und an eine nicht beeinträchtigte Kontrollgruppe annähern konnten. Das Programm ist damit bereichsspezifisch wirksam und kann ebenfalls für Kinder ohne ausgeprägte Leseschwierigkeiten eingesetzt werden.

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T. Nagler et al., Einflussfaktoren und Förderung der Leseentwicklung

Kritische Anmerkungen Der in dieser Arbeit gelieferte Überblick ist als spezifische Auswahl von familiären und umweltbezogenen Einflussfaktoren sowie Präventions- und Interventionsprogrammen zu verstehen, die nicht erschöpfend sein kann. So ist zu beachten, dass eine Vielzahl von Faktoren nicht berücksichtigt werden konnten. So wurde beispielsweise nicht auf Geschlechts- oder Intelligenzunterschiede, Aufmerksamkeitsprozesse, weiterführende visuelle Aspekte oder orthographische Kompetenzen eingegangen, die ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Leseentwicklung einnehmen. Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass sich protektive Faktoren (z. B. schnelle Benenngeschwindigkeit, geringe Ablenkbarkeit; Eklund, Torppa & Lyytinen, 2013; Snowling & Melby-Lervåg, 2016) positiv auf sonst ungünstige Voraussetzungen auswirken und ungleiche familiäre Voraussetzungen durch institutionelle Rahmenbedingungen (z. B. Umfang der Beschulung/Ganztagsbetreuung, Förderprogramme für benachteiligte Gruppen) zum Teil ausgeglichen werden können (Jungbauer-Gans, 2004). Zusätzlich gibt es weitere Präventions- und Interventionsbemühungen, die sich nicht auf die individuelle Förderung einzelner Kinder spezialisieren, sondern generelle Verbesserungen der Lernvoraussetzungen anstreben. So gibt es beispielsweise Maßnahmen zur Schul- und Unterrichtsgestaltung (z. B. Schallisolierung, inklusiver Unterricht; Huber, Grosche, & Schütterle, 2013; Hygge, Evans & Bullinger, 2002), die Erfolge in Bezug auf Leistungsverbesserungen erzielen können.

Fazit Der Leseerwerb ist ein hoch komplexer Prozess, der durch eine Vielzahl an kognitiven, familiären und anderen umweltbezogenen Faktoren beeinflusst werden kann. In dieser Übersichtsarbeit wurde ein selektiver Ausschnitt familiärer und weiterer umweltbezogener Einflussfaktoren betrachtet sowie erfolgversprechende Präventionsund Interventionsmaßnahmen skizziert. In Bezug auf die generelle Lernentwicklung wird in aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten die Lehrer-Schüler-Beziehung, mit großen Effekten als besonders bedeutsam herausgestellt. Andere schulische Faktoren, wie die Qualität des Unterrichts und die Kompetenz der Lehrkraft, die Klassengröße oder finanziellen Möglichkeiten, zeigen mittlere bis kleine Effekte auf die schulischen Leistungen der Kinder. Spezifisch auf die Leseentwicklung bezogen, werden mittlere Effekte für den sozioökonomischen Status und die häusliche Lernumgebung, sowie kleine Effekte durch den © 2018 Hogrefe Verlag Veröffentlicht unter der Hogrefe OpenMind-Lizenz http://doi.org/10.1026/a000002

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Einfluss von Lärm auf die Leseleistungen berichtet. Um möglichen Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb vorzubeugen, empfiehlt es sich auf individueller Ebene Präventionsprogramme einzusetzen, die sich auf die Förderung der phonologischen Bewusstheit fokussieren. Zusätzlich können störungsspezifische (direkt an der Leseleistung ansetzende) und zusätzlich allgemein wirksame Interventionsprogramme helfen, langfristig den erfolgreichen Leseerwerb auch unter ungünstigen Voraussetzungen zu ermöglichen.

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Übersicht

Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF) Weisen betroffene Kinder spezifische Intelligenzprofile auf ? Julia Jaščenoka und Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Zusammenfassung: Die umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen (UEMF) zählt zu den häufigsten Entwicklungsabweichungen des Kindesalters. Charakteristisch sind Defizite der Fein- und Grobmotorik, denen ursächlich keine sensorischen, neurologischen oder kognitiven Einschränkungen zugrunde liegen. Verschiedene Studien belegen, dass Kinder mit einer UEMF auch kognitive Defizite in der visuellen Wahrnehmung, in ihren Aufmerksamkeits- und Arbeitsgedächtnisleistungen aufweisen. Das Ziel ist es daher, den Einfluss dieser kognitiven Teilleistungsdefizite auf die Intelligenzleistungen von Kindern mit UEMF zu untersuchen und zu überprüfen, ob Kinder mit UEMF ein spezifisches Intelligenzprofil aufweisen. Die Datenbanken Web of Science und PubMed wurden entsprechend nach deutsch- und englischsprachigen Beiträ gen für den Zeitraum 2007 bis 2017 durchsucht. Lediglich fünf Studien erfüllten die Auswahlkriterien. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder mit einer UEMF geringere Testleistungen im Gesamt-IQ aufweisen. Auf Skalenebene konnten insbesondere geringere Testleistungen in der Handlungsskala der WPPSI-III bzw. dem Wahrnehmungsgebundenen Logischen Denken der WISC-IV sowie in der Verarbeitungsgeschwindigkeit nachgewiesen werden. Die sprachlichen Leistungen der Kinder mit UEMF scheinen zumindest ab dem Grundschulalter unbeeinträchtigt. Testverfahren, die auf den Wechsler-Skalen basieren, stellen ein ökonomisches Instrument dar, um kognitive Leistungsdefizite orientierend im Zusammenhang mit einer UEMF abzubilden. Schlüsselwörter: umschriebene Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen, UEMF, Intelligenzprofile, WISC-IV, WPPSI-III

Developmental Coordination Disorders: Do Children Have Specific Intelligence Profiles? Abstract: Developmental coordination disorders (DCD) are among the most common disorders in childhood. They are characterized by deficits in fine and gross motor skills without any sensory, neurological, or cognitive causation. Different studies confirm that children with DCD also have cognitive deficits in visual perception, attention, and working memory. These cognitive deficits often have a negative impact on later performance at school. The guidelines of the European Childhood Academy (EACD) and Criterion D of the classification systems DSM-5 and ICD-10 underline the importance of measuring the intelligence quotient (IQ) in order to detect comorbid cognitive deficits in DCD precociously and to eliminate a general intelligence deficit (IQ<70) as a cause of the movement difficulties. The objective of this review was to investigate the influence of these cognitive deficits on intellectual abilities and whether or not children suffering from DCD have specific performance profiles in intelligence tests. Furthermore, DCD is frequently accompanied by comorbid disorders such as ADHD, developmental language disorders, and dyslexia. Therefore, it is also of interest to know if children with combined disorders show special intelligence profiles. The Web of Science and PubMed databases were searched for German and English language articles from 2007 through 2017 inclusive. The systematic literature search was based on the keywords developmental coordination disorders or DCD and cognition or academic or intellectual or intelligence or WISC-IV or WPPSI-III. Only five studies fulfilled the selection criteria; another four studies not meeting all the conditions were reported additionally. The results of this review indicate that children with DCD score below average in general IQ and performance IQ (WPPSI-III) as well as perception reasoning (WISC-IV). Contrary to expectations, the DCD group also presented weaknesses in verbal comprehension in preschool age (WPPSI-III). In contrast to these results, no group differences were found in verbal comprehension in school age (WISC-IV). Both in preschool and in school age, children with DCD had lower IQ scores in the processing speed index of WPPSI-III and WISC-IV. It is unclear whether only motor demands in manual dexterity are responsible for the worse results in the processing speed index or whether children suffering from DCD have a general problem with processing speed performances. The confounding results in this area may highlight the need for further exploration of these phenomena. The control group had better results in working memory (WISC-IV) than the clinical group. In comparison with children showing isolated DCD, children with a combined diagnosis of DCD and ADHD and/or dyslexia show no performance differences in the WISC-IV or the WPPSI-III. Within-group analyses depict a heterogeneous cognitive profile in the DCD group. Children with DCD cannot be differentiated from their peers solely on a cognitive profile Therefore, in clinical practice the Wechsler Scales are an orienting instrument for detecting cognitive deficits in DCD. Keywords: developmental coordination disorder, DCD, intelligence profiles, WISC-IV, WPPSI-III

Die umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen (UEMF) stellt mit einer Prävalenz von etwa fünf bis sechs Prozent eine häufige Störung des KindesalKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30 https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000241

ters dar. Während das Störungsbild in den vergangenen Jahrzehnten wenig Aufmerksamkeit fand, führten Studien über den ungünstigen Entwicklungsverlauf unbehandel© 2018 Hogrefe Verlag


J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF)

ter motorischer Auffälligkeiten zu einer neuen Aktivierung des Interesses. Die UEMF ist idiopathischer Natur und zeichnet sich durch Einschränkungen im motorischen Leistungsbereich aus, denen ursächlich keine sensorischen, kognitiven oder neurologischen Defizite zugrunde liegen und die die Ausführung alltäglicher Aktivitäten behindern. Häufig wird das Störungsbild zusätzlich durch Auffälligkeiten in verschiedenen kognitiven Domänen sowie komorbide Verhaltens- und Entwicklungsstörungen, wie z. B. AHDS, Gedächtnisleistungen, LeseRechtschreibstörungen oder Sprachentwicklungsstörungen begleitet (Blank, Smits-Engelsman, Polatajko & Wilson, 2012; Kastner & Petermann, 2009; Michel, Kauer & Roebers, 2011; Petermann & Toussaint, 2009).

Kognitive Leistungseinschränkungen im Rahmen der UEMF Aktuelle Studien belegen, dass motorische Entwicklungsstörungen oftmals mit unterschiedlichen kognitiven Defiziten assoziiert sind. Dazu zählen insbesondere unterschiedliche Auffälligkeiten in der visuellen Wahrnehmung, Aufmerksamkeitsprobleme sowie geringere Arbeitsgedächtnisleistungen. Auffälligkeiten in der visuellen Wahrnehmung scheinen eng mit motorischen Entwicklungsauffälligkeiten verknüpft zu sein und zeigen sich im alltäglichen Erleben eines Kindes insbesondere durch Probleme in der AugeHand-Koordination. Meta-Analysen von Wilson und McKenzie aus dem Jahre 1998 sowie Wilson, Ruddock, Smits-Engelsman, Polatajko und Blank (2013) brachten hervor, dass Kinder mit einer UEMF in allen Bereichen der visuellen Informationsverarbeitung schlechtere Leistungen erbringen als entwicklungsunauffällige Kinder, wobei dies besonders für visuell-perzeptive Leistungen und die visuell motorische Integration gilt. Verschiedene Studien konnten übereinstimmend Defizite in den visuellen Wahrnehmungsleistungen · Gestaltschließen, · Figur-Grund-Unterscheidung, · visuelle Diskrimination, · visuelles Gedächtnis, · räumliche Beziehungen und · Formkonstanz nachweisen (z. B. Cheng et al., 2014; Tsai, Wilson & Wu, 2008; Tsai & Wu, 2008). Defizitäre Aufmerksamkeitsleistungen wurden in der Vergangenheit vielfach mit der motorischen Entwicklungsstörung in Zusammenhang gebracht (Dewey, Kaplan, Crawford & Wilson, 2002; Gillberg, 1998; Kadesjö & © 2018 Hogrefe Verlag

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Gillberg, 1998). Es konnte belegt werden, dass Kinder mit ADHS häufig auch Symptome einer UEMF zeigen (z. B. Dewey et al., 2002). Kadesjö und Gillberg (1998) schlussfolgern, dass in etwa bei der Hälfte aller koordinationsgestörten Kinder leichte bis schwerwiegende Symptome einer Aufmerksamkeitsstörung vorliegen. Diese Annahme lässt sich auch durch neuere Studien stützen: So konnten Asonitou, Koutsouki, Kourtessis und Charitou (2012) diese Ergebnisse anhand ihrer Befunde von 108 Kindern im Alter von 55 bis 76 Monaten aufzeigen, dass Kinder mit einer UEMF auffällige Abweichungen in ihren selektiven Aufmerksamkeitsleistungen und der Aufmerksamkeitskontrolle im Vergleich zu einer Kontrollgruppe aufwiesen. Verbale und nonverbale Arbeitsgedächtnisleistungen wurden in jüngerer Vergangenheit im Zusammenhang mit UEMF untersucht; die Ergebnisse der Studie von Leonard, Bernardi, Hill und Henry (2015) an 61 Kindern im Alter von sieben bis elf Jahren sprechen für geringere nonverbale Arbeitsgedächtnisleistungen von Kindern mit UEMF im Unterschied zu einer entwicklungsunauffälligen Kontrollgruppe. Weiterhin untersuchten Alloway und Archibald (2008) sowie Alloway und Temple (2007) insgesamt 20 Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren mit einer UEMF und stellten fest, dass motorisch auffällige Kinder spezifische Leistungsprofile in verschiedenen Gedächtnisdomänen (sprachliches Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis sowie visuell-räumliches Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis) aufweisen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass in allen überprüften Bereichen des Gedächtnisses Defizite wahrscheinlich sind, wobei das visuell-räumliche Kurzzeitgedächtnis und das Arbeitsgedächtnis deutlicher betroffen sind als das sprachliche Kurzzeitgedächtnis. Alloway und Temple (2007) stellten zusätzlich fest, dass sich diese Defizite negativ auf die Lese- und Rechtschreibfähigkeiten sowie die rechnerischen Leistungen der Kinder mit UEMF auswirken. Bleiben die oben berichteten kognitiven Komorbiditäten der UEMF im Rahmen des diagnostischen und therapeutischen Prozesses unentdeckt und unbehandelt, verschlechtert sich die Entwicklungsprognose der betroffenen Kinder deutlich; Schulleistungsprobleme oder gar Lernstörungen sind dann eine häufige Folge (Alloway & Temple, 2007; Cheng, Chen, Tsai, Shen & Cherng, 2011; Gomez et al., 2015). Die European Child Academy veröffentlichte 2012 internationale Versorgungsleitlinien zur Definition, Diagnostik und Therapie des Störungsbildes UEMF (Blank et al., 2012). Ein primäres Ziel des Expertengremiums war die Entwicklung von Diagnosestrategien, die auf klinischen Entscheidungsregeln und evidenzbasiertem Wissen gründen, um so die Entwicklungsprognose von Kindern mit einer UEMF nachhaltig zu verbessern. Neben den umfassenden Empfehlungen zu einer differenzierten EinKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30


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schätzung des motorischen Entwicklungsstandes wird im Rahmen des diagnostischen Prozesses zusätzlich auch eine sorgfältige Diagnostik möglicher Komorbiditäten gefordert. Eine Diagnostik der kognitiven Leistungen sollte vor dem Hintergrund eines nachgewiesenen ungünstigeren Entwicklungsverlaufs von UEMF und komorbider kognitiver Auffälligkeiten für alle Kinder mit einer UEMF vorgenommen werden. Der Einsatz eines standardisierten Intelligenztests soll auf jeden Fall dann erfolgen, wenn aus der Anamnese Schulleistungsprobleme bekannt sind. Die Einschätzung des kognitiven Entwicklungsstandes spielt zudem generell im Rahmen des diagnostischen Prozesses des motorischen Entwicklungsstandes eine bedeutsame Rolle: So gilt es einerseits zu klären, ob es sich eher um ein umschriebenes motorisches oder globales Entwicklungsdefizit handelt, zum anderen um festzustellen, inwieweit die beobachtbare motorische Entwicklungsverzögerung vielmehr im Rahmen einer generellen Intelligenzminderung besteht (Castles, Kohnen, Nickels & Brock, 2014). Entsprechend fordern die diagnostischen Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-5 im Rahmen der Diagnosestellung einer UEMF neben der schwerpunktmäßigen Abklärung des motorischen Entwicklungsrückstandes (Diagnosekriterium A) und der Alltagsrelevanz der Störung (Diagnosekriterium B) gleichermaßen den Ausschluss einer massiven intellektuellen Beeinträchtigung (Diagnosekriterium D). Während das DSM-5 lediglich verlangt, dass die motorischen Schwierigkeiten nicht besser durch eine intellektuelle Beeinträchtigung (intellektuelle Entwicklungsstörung) erklärbar sind, schließt das ICD-10 die Diagnose der UEMF bei einem nonverbalen IQ unter 70 aus und fordert somit zumindest indirekt den Einsatz eines Intelligenztests. Neben der aufgezeigten Relevanz der Intelligenzdiagnostik für die Diagnosestellung einer UEMF ist die Beschreibung kognitiver Stärken und Schwächen eines motorisch entwicklungsverzögerten Kindes jedoch auch hinsichtlich der Planung passgenauer Interventionsstrategien unerlässlich (vgl. Petermann, 2006). Eine Übersicht aus dem Jahr 2015 von Smits-Engelsman, Schoemaker, Delabastita, Hoskens und Geuze (2015) legt jedoch offen, dass entgegen der diagnostischen Empfehlungen der EACD und des DSM-5 lediglich ca. 30 % aller Kinder mit Verdacht auf UEMF tatsächlich bezüglich ihres kognitiven Leistungsniveaus untersucht werden und verdeutlicht damit den Bedarf an einer Intelligenzdiagnostik insbesondere für den praktischen Kontext. Der vorliegende Beitrag zielt deshalb darauf ab, zu beleuchten, ob sich die im Kontext der UEMF häufig beschriebenen kognitiven Beeinträchtigungen in den Bereichen visuelle Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis im Rahmen einer standardisierten Intelligenzdiagnostik darstellen lassen. Sollte es möglich sein, Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30

die im Kontext der UEMF möglichen kognitiven Komorbiditäten mittels eines einzigen Intelligenztestverfahrens abzubilden, stünde für die klinische Praxis eine ökonomische diagnostische Strategie zur Beschreibung kognitiver Schwächen und Ressourcen zur Verfügung. Auf diese Weise könnte einerseits das in den Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-5 beschriebene Diagnosekriterium D der UEMF zuverlässig überprüft werden, zum anderen könnte gleichzeitig eine Einschätzung möglicher kognitiver Teildefizite erfolgen bzw. gezielt ermittelt werden, ob der zusätzliche Einsatz spezifischer kognitiver Leistungstests notwendig ist. Weiterhin besitzt die Frage nach einem spezifischen Intelligenzprofil von Kindern mit motorischer Entwicklungsstörung für die klinische Praxis eine Relevanz. So könnte ein bestimmtes Intelligenzprofil im Rahmen des diagnostischen Prozesses anderer Verhaltens- oder Entwicklungsstörungen (z. B. ADHS oder Lese-Rechtschreibstörung) dazu anregen, eine ergänzende Überprüfung des motorischen Funktionsniveaus vorzunehmen. Diesbezüglich wäre es weiterhin von Interesse, ob das komorbide Auftreten der UEMF mit einer anderen Verhaltens- oder Entwicklungsstörung zu einer Veränderung der Intelligenzprofile führt. Abschließend soll die Diskussion der Veränderungen kognitiver Leistungsdefizite im Entwicklungsverlauf aufgegriffen werden, um so Entwicklungsprognosen im Langzeitverlauf vornehmen zu können. Die folgende Übersichtsarbeit beabsichtigt, jene Studien zu identifizieren, die die kognitiven Leistungen von Kindern mit UEMF mittels eines standardisierten Intelligenztestverfahrens überprüfen, um gezielt folgende Fragestellungen zu untersuchen: · Weichen die kognitiven Leistungen in einem standardisierten Intelligenztest von Kindern mit einer UEMF signifikant von einer entwicklungsunauffälligen Kontrollgruppe ab? · Zeigen Kinder mit einer UEMF spezifische Intelligenzprofile? · Beeinflussen komorbide Störungen die Intelligenzprofile? · Verändern sich die Intelligenzprofile im Entwicklungsverlauf ?

Methode Es sollen relevante Studien identifiziert werden, die einen Beitrag zur Analyse der Intelligenzleistungen von Kindern mit umschriebenen motorischen Entwicklungsstörungen beitragen. Diesbezüglich wurde eine ausführliche Literaturrecherche in den Datenbanken Web of Science sowie © 2018 Hogrefe Verlag


J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF)

PubMed durchgeführt. Für die Suche wurde dabei eine Kombination folgender Termini verwendet: · Developmental Coordination Disorder. · Cognition (OR cogniti* OR academic OR intellectual OR intelligence OR WISC-IV OR K-ABC OR working memory OR attention OR executive function OR language). Die Suche wurde auf Zeitschriftenbeiträge aus dem Publikationszeitraum von Januar 2007 bis April 2017 begrenzt, um die Aktualität der Ergebnisse zu gewährleisten und um eine möglichst einheitliche Klassifikation des Störungsbildes UEMF sowie den Einsatz vergleichbarer Erhebungsinstrumente sicher zu stellen.

Einschlusskriterien Die ermittelten Beiträge wurden dann in diese Übersichtsarbeit aufgenommen, wenn die im folgenden Kasten aufgeführten Einschlusskriterien erfüllt wurden:

Kasten 1. Einschlusskriterien des Reviews.

1. Publikationssprache Deutsch oder Englisch. 2. Kinder mit UEMF zwischen drei bis 16 Jahren. 3. Die Kinder mit UEMF weisen ein motorisches Testergebnis in einem aktuellen, normreferenzierten, standardisierten Testverfahren < PR 15 auf. 4. Die kognitiven Fähigkeiten werden mittels eines normreferenzierten, standardisierten Intelligenztests operationalisiert. 5. Die Studie sollte mindestens ein Kontrollgruppendesign aufweisen.

Ausschlusskriterien Folgende Gesichtspunkte führten zum Ausschluss einer Publikation: · Übersichtsarbeiten, Fallstudien, Kongressbeiträge, Studien, die nicht im Original vorlagen, Arbeiten, die nicht peer-reviewed sind und/oder über dieselben Daten berichten (Ausschlusskriterium 1). · Studien, die über frühgeborene Kinder berichten, Kinder mit Epilepsie oder Autismus-Spektrum-Störung (Ausschlusskriterium 2). · Interventionsstudien bzw. Studien mit dem Schwerpunkt „Test- und Fragebogenvalidierung“ (Ausschlusskriterium 3). © 2018 Hogrefe Verlag

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· Studien, die Intelligenzparameter lediglich als Kontrollvariablen benutzen bzw. deren Ziel primär auf die Untersuchung anderer Zusammenhänge im Rahmen von UEMF fokussiert (Ausschlusskriterium 4).

Ergebnisse Die elektronische Literatursuche ergab insgesamt 528 Beiträge. Der Ablauf der systematischen Literaturrecherche kann Abbildung 1 entnommen werden. Die Literaturrecherche ergab für den zu berücksichtigenden Zeitraum lediglich fünf Studien, die sich mit Intelligenzleistungen von Kindern mit UEMF beschäftigten und den aufgestellten Ein- und Ausschlusskriterien genügten (siehe Tab. 1 und 2). Es handelte sich um drei deutsche Forschungsarbeiten (Jaščenoka, Korsch, Petermann & Petermann, 2015; Kastner et al., 2011; Kastner & Petermann, 2010) sowie zwei internationale Publikationen aus Australien (Loh, Piek & Barett, 2011) und Großbritannien (Sumner, Pratt & Hill, 2016). Die Intelligenzleistungen der Kinder wurden in allen fünf Studien mittels eines Wechsler-Verfahrens operationalisiert. Aufgrund der geringen Studienanzahl werden vergleichend vier weitere Forschungsarbeiten berichtet, die ebenfalls Intelligenzprofile von Kindern mit UEMF berichten, jedoch nicht alle geforderten Ein- und Ausschlusskriterien erfüllten (Tab. 3). Neben Validierungsstudien zu den originalen Versionen der WISC-IV (Wechsler, 2002) und WPSSI-III (Wechsler, 2003) konnte jeweils eine französische sowie eine kanadische Forschungsarbeit identifiziert werden (Biotteau, Albaret, Lelong & Chaix, 2017; Pratt, Leonard, Adeyinka & Hill, 2014); beide Studien beschreiben ebenfalls kognitive Leistungsprofile von Kindern mit UEMF in der WISC-IV. Kognitive Leistungen im Vorschulalter wurden von zwei der fünf identifizierten Studien untersucht; die beiden deutschen Arbeiten verwendeten dazu die Wechsler Preschool and Primary Scale-III (Petermann et al., 2014; Tab. 1). Jaščenoka et al. (2015) verglichen Kinder mit isolierter UEMF, kombinierter UEMF/ADHS und eine Kontrollgruppe bezüglich ihrer Intelligenzleistungen. Alle Kinder wurden mit der M-ABC-2 (Petermann, 2015) untersucht und entsprechend ihres Testergebnisses der Kontroll- bzw. den klinischen Subgruppen zugewiesen (Cut-off-Wert UEMF: PR<15). Die Autoren zeigten, dass sowohl Kinder mit UEMF als auch kombinierter UEMF/ ADHS signifikant schlechtere Testleistungen in allen Skalen der WPPSI-III erzielten als die Kinder der Kontrollgruppe. Der durchschnittliche Gesamt-IQ beider klinischen Gruppen wich wiederum nahezu eine Standardabweichung (15 IQ-Punkte) von der Kontrollstichprobe Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30


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Abbildung 1. Ablauf der systematischen Literaturrecherche.

ab. Die beiden klinischen Gruppen UEMF bzw. UEMF/ ADHS unterschieden sich nicht signifikant in ihren Testleistungen; lediglich auf deskriptiver Ebene konnte eine Leistungsdifferenz zu Ungunsten derjenigen Kinder mit kombinierter Störung beobachtet werden. Kastner et al. (2011) prüften ebenfalls an einer Gruppe von Vorschulkindern, ob Kinder mit kombinierten motorischen und sprachlichen Entwicklungsstörungen ein spezifisches Intelligenzprofil in der WPPSI-III aufweisen. Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30

Dazu wurden paarweise die Ergebnisse des Intelligenztests für die Störungsgruppen isolierte UEMF, kombinierte motorische und Sprachentwicklungsstörung sowie entwicklungsunauffällige Kinder gegenübergestellt. Die testdiagnostische Einschätzung des motorischen Entwicklungsstandes erfolgte mit Hilfe des ET 6 – 6 (Petermann, Stein & Macha, 2008), welcher aktuell bereits in einer revidierten Fassung vorliegt (ET 6 – 6-R, Petermann & Macha, 2013). Die Kinder mit isolierter UEMF als auch © 2018 Hogrefe Verlag


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kombinierter UEMF und Sprachstörung unterscheiden sich im Verbal-, Handlungs- und Gesamt-IQ bedeutsam von der Kontrollgruppe (UEMF-Kinder erzielen schlechtere Testergebnisse). Zusätzlich können signifikante Gruppenunterschiede zwischen den Kindern mit isolierter motorischer Störung und kombinierter Sprach- und Motorikstörung nachgewiesen werden; Kinder mit kombinierter Störung weisen deutlichere Defizite in der Verbalund Handlungsskala als auch im Gesamt-IQ auf. Drei weitere Studien beschreiben die Intelligenzprofile von Kindern mit UEMF in der WISC-IV (Wechsler, 2003; Tab. 2). So untersuchten Kastner und Petermann (2010) insgesamt jeweils 40 Kinder mit und ohne motorische Entwicklungsstörung im Alter von sechs bis elf Jahren mit der deutschen Version der Wechsler Intelligence Scale for Children-IV (Petermann & Petermann, 2011). Die Zuweisung zur klinischen Gruppe und Kontrollgruppe erfolgte anhand der Testleistungen der Kinder in der M-ABC-2 (Cut-Off-Kriterium: PR<15) (Petermann, 2015). Kinder mit einer UEMF erzielten in allen vier WISC-IV-Indizes Sprachverständnis, Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken, Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie im Gesamt-IQ niedrigere Testwerte als die Kontrollkinder. Die durchschnittliche Abweichung von der Norm beträgt ca. eine Standardabweichung. Es konnten keine Leistungsunterschiede zwischen stärker und leichter motorisch beeinträchtigten Kindern festgestellt werden. Loh et al. (2011) vergleichen sowohl Kinder mit isolierter UEMF als auch kombinierter UEMF und ADHS sowie eine entwicklungsunauffällige Gruppe bezüglich ihrer Leistungen in den WISC-IV-Indizes Sprachverständnis, Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken und Verarbeitungsgeschwindigkeit. Die Zuweisung zur motorisch auffälligen Gruppe erfolgte anhand des MAND (McCarron, 1997). Es konnte festgestellt werden, dass Kinder mit isolierter UEMF und kombinierter UEMF/ADHS schlechtere Testleistungen im Wahrnehmungsgebundenen Logischen Denken erzielen als die Kontrollgruppe; zwischen den beiden Subgruppen UEMF und UEMF/ADHS bestanden hingegen keine Leistungsunterschiede. Kinder mit kombinierter UEMF/ADHS zeigten zusätzlich Defizite in der Verarbeitungsgeschwindigkeit; dies galt jedoch nicht für die Kinder mit isolierter UEMF. Im Sprachverständnis konnten keine Leistungsdifferenzen zwischen den einzelnen Subgruppen beobachtet werden. Auch Sumner et al. (2016) untersuchten motorisch entwicklungsauffällige Kinder mit der WISC-IV (Wechsler, 2003). Die 52 Kinder der klinischen und Kontrollgruppe waren durchschnittlich sieben bis 14 Jahre alt und erzielten im Motoriktest M-ABC-2 (Henderson, Sudgen & Barnett, 2007) einen Prozentrang kleiner zehn (UEMF) bzw. größer oder gleich 25. Die Kinder mit einer UEMF © 2018 Hogrefe Verlag

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erzielten signifikant niedrigere Testwerte in den Indizes Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie im Gesamt-IQ; diese weichen jedoch mit durchschnittlich fünf IQ-Punkten im Bereich des Arbeitsgedächtnisses bzw. 10 IQ-Punkten in der Verarbeitungsgeschwindigkeit weniger deutlich von der Norm ab als in der Studie von Kastner und Petermann (2010). Das Wahrnehmungsgebundene Logische Denken stellt im Mittel den besten IndexWert dar. Einzelfallanalysen zeigten zusätzlich eine deutliche Heterogenität für die individuellen Leistungsprofile der UEMF-Kinder. Aufgrund der geringen Studienanzahl zur Beurteilung der kognitiven Leistungen von Kindern mit UEMF werden ergänzend zu jenen fünf Studien, die alle vor der systematischen Literaturrecherche aufgestellten Qualitätsstandards erfüllten, vier zusätzliche Arbeiten berichtet, die ebenfalls eine Beschreibung der Intelligenzleistungen mittels eines Verfahrens nach Wechsler vornehmen, ohne jedoch allen festgelegten methodischen Standards zu genügen. Mit der französischen Studie von Biotteau et al. (2017) liegt eine aktuelle Arbeit vor, die die Intelligenzleistungen von Kindern mit isolierter UEMF, isolierter Dyslexie und einer Kombination beider Störungsbilder vergleicht, wobei diese Ergebnisse nicht mit einer entwicklungsunauffälligen Kontrollgruppe in Beziehung gesetzt werden (Einschlusskriterium 6). Die insgesamt 65 Kinder (UEMF: n=22; Dyslexie: n=20; UEMF/Dyslexie: n=23) waren zwischen sieben und zwölf Jahre alt. Die Zuweisung zur Diagnosegruppe UEMF erfolgte auf Basis eines auffälligen Testergebnis (PR<5) in der französischen Version zur MABC (Soppelsa & Albaret, 2004). Das kognitive Leistungsprofil wurde mittels der französischsprachigen Version der WISC-IV (Wechsler, 2005) beschrieben. Der Vergleich der drei Diagnosegruppen zeigt, dass Kinder mit isolierter UEMF signifikant schlechtere Testleistungen im WISC-IV-Index Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken und in dem WISC-IV-Index Verarbeitungsgeschwindigkeit erzielten (p<.001). Im Vergleich mit jenen Kindern, die sowohl von einer UEMF als auch einer Dyslexie betroffen sind, zeigen sich weder auf Indexnoch im Gesamt-IQ statistisch bedeutsame Unterschiede in den Intelligenzleistungen. Es ist festzustellen, dass die Kinder mit isolierter UEMF ihre schlechteste Testleistung im Index Verarbeitungsgeschwindigkeit erzielten (M=82.4; SD=11.4). Der Index Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken stellt mit einer durchschnittlichen Leistung von 95.0 IQ-Punkten (SD=12.3) den zweit schlechtesten Index dar. Die Leistungen im Gesamt-IQ sowie im Index Arbeitsgedächtnis können als durchschnittlich bezeichnet werden (Gesamt-IQ: M=110.2; SD=16.6; Arbeitsgedächtnis: M=102.1; SD=18.3). Im Index Sprachverständnis werden die besten Testleistungen erKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30


N=88 (UEMF: n=26; UEMF/ AHDS.: n=25; Kontrolle: n=37)

N=94 (UEMF: n=21; UEMF/ Sprache: n=20; Kontrolle: 53)

Jaščenoka, Korsch, Petermann und Petermann (2015), Deutschland

Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30

Kastner et al. (2010), Deutschland

M-ABC-2

Motoriktest

UEMF bzw. UEMF/Sprache: Testergebnis ET 6 – 6 min. 2 SD von der Norm

Kontrolle: PR> 15

UEMF bzw. UEMF/ADHS: PR<15

Motorisches Testergebnis

Kontrolle: M=98.48; SD=11.03

UEMF/ Sprache: M=76.41; SD=10.83

UEMF: M=90.05; SD=11.38

Kontrolle: M=103.76; SD=10.70)

UEMF/Sprache vs. UEMF auf Skalenebene: Kinder mit kombinierter UEMF/Sprache schneiden in beiden Subskalen wie im Gesamt-IQ schlechter ab als Kinder mit isolierter UEMF (V-IQ: p=.000; H-IQ: p=.023; Gesamt-IQ: p=.001).

Gruppenvergleiche UEMF vs. Kontrolle: UEMF-Kinder erzielen signifikant schlechtere Ergebnisse in beiden Subskalen (V-IQ: p=.030; H-IQ: p=.033) und dem Gesamt- IQ (p=.015).

UEMF/ADHS vs. UEMF auf Skalenebene: Kinder mit kombinierter UEMF/ADHS schneiden in keiner Skala schlechter ab als Kinder mit isolierter UEMF (p<.05).

Gruppenvergleiche UEMF- bzw. UEMF/ADHS-Kinder erzielen signifikant schlechtere Ergebnisse in den drei Subskalen und dem Gesamt- IQ (p<.05)

Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse

Ergebnisse Gesamt-IQ

Verbal-IQ UEMF: Handlungs-IQ M=86.31; Verarbeitungsgeschwindigkeit SD=12.08 Gesamt-IQ UEMF/ ADHS: M=86.12; SD=11.44

· Verbal-IQ · Handlungs-IQ · Gesamt-IQ

· · · ·

Erfasste Indizes

Anmerkungen: ADHS: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung; ET 6 – 6: Entwicklungstest 6 Monate bis 6 Jahre; H-IQ: Handlungs-IQ; M-ABC-2: Movement Assessment Battery for Children-2; PR: Prozentrang; SV: Sprachverständnis; UEMF: Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen; V-IQ: Verbal-IQ; WPPSI-III: Wechsler Preschool and Primary Scale-III

Motorikskalen (Hand- und (Gesamtstichprobe: Körpermotorik) M=67.25; SD=7.07) des ET 6 – 6

48 bis 83 Monate

Kontrolle: M=74.97; SD=5.04

UEMF/ADHS: M=75.84; SD=3.60

UEMF: M=76.38; SD=4.52

Alter angegeben in Monaten

Stichprobe Alter

Studie (Autoren, Jahr, Land)

Tabelle 1. Intelligenzleistungen in der WPPSI-III von Kindern mit UEMF

20 J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF)

© 2018 Hogrefe Verlag


© 2018 Hogrefe Verlag

Kontrolle: n=9.33; SD=1.50

UEMF: M=9.16; SD=2.69

7 bis 14 Jahre

Kontrolle: M=11.03; SD=.81)

UEMF/ADHS: M=11.31; SD=.74

UEMF: M=10.89; SD=.97

9 bis 12 Jahre

Kontrolle: M=7.72 Jahre; SD=1.66

UEMF: M=7.60; SD=1.60

6 bis 11 Jahre

M-ABC-2

MAND

M-ABC-2

Kontrolle: PR> 25 (M=58.38; SD=20.65)

UEMF: PR<10 (M=2.94; SD=3.15)

Kontrolle: MAND >85 (M=104.54; SD=13.21)

UEMF bzw. UEMF/ADHS: MAND<85 (M=74.91; SD=11.73)

Kontrolle: PR> 15 (M=55.0; SD=24.2)

UEMF: PR<15 (M=4.8; SD=4.9)

Motoriktest Motorisches Testergebnis

· Sprachverständnis · Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken · Arbeitsgedächtnis · Verarbeitungsgeschwindigkeit · Gesamt-IQ

· Sprachverständnis · Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken · Verarbeitungsgeschwindigkeit

UEMF: M=84.10; SD=11.73

· Sprachverständnis · Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken · Arbeitsgedächtnis · Verarbeitungsgeschwindigkeit · Gesamt-IQ

Kontrolle: M=100.65; SD=10.54)

UEMF: M=95.71; SD=12.13

keine Gesamt-IQWerte vorhanden

Kontrolle: M=97.28; SD=10.35

Gesamt-IQ

Erfasste Indizes

Gruppenvergleiche UEMF vs. Kontrolle: UEMF-Kinder erzielen signifikant schlechtere Ergebnisse in den WISC-IV-Indizes AG (p=.02) und VG (p<.001) sowie im Gesamt-IQ (p=.02).

Es bestehen keine signifikanten Gruppenunterschiede für das Sprachverständnis (p>.05).

UEMF/ADHS vs. UEMF: Kinder mit kombinierter UEMF/ADHS schneiden im WLD nicht schlechter ab als Kinder mit isolierter UEMF (p>.05).

UEMF/ADHS vs. Kontrolle: Kinder mit kombinierter Störung erzielen signifikant schlechtere Testleistungen im WLD und in der VG als die Kontrolle (p<.05)

Gruppenvergleiche UEMF vs. Kontrolle: UEMF-Kinder erzielen signifikant schlechtere Ergebnisse im Index WLD (p<.05).

signifikante Korrelationen HG und WLD (r=.33; p=.039); HG und VG (r=.33; p=.034); HG und Gesamt-IQ (r=.341; p=.034); MABC-2-Gesamt und Gesamt-IQ (r=.517; p=.000)

Gruppenvergleiche UEMF vs. Kontrolle: UEMF-Kinder erzielen signifikant schlechtere Ergebnisse in allen vier WISC-IVIndizes SV (p=.010), WLD (p=.000), AG (p=.000) und VG (p=.000) sowie im Gesamt-IQ (p=.000); diese liegen durchschnittlich ca. 1 SD von der Norm (M=100; SD=15).

Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse

Ergebnisse

Anmerkungen: ADHS: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung; AG: Arbeitsgedächtnis; HG=Handgeschicklichkeit; M-ABC-2: Movement Assessment Battery for Children-2; MAND: McCarron Assessment of Neuromuscular Development ; PR: Prozentrang; SV: Sprachverständnis; UEMF: Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen; VG: Verarbeitungsgeschwindigkeit; WLD: Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken; WISC-IV: Wechsler Intelligence Scale for Children – IV

N=104 (UEMF: n=52; Kontrolle: n=52)

N= 48 (UEMF: n=11; UEMF/ AHDS: n=11; Kontrolle: n=26)

Loh, Piek & Barrett (2011), Australien

Sumner, Pratt & Hill (2016), Großbritannien

N=80 (UEMF: n=40; Kontrolle: n=40)

Stichprobe Alter

Kastner und Petermann (2010), Deutschland

Studie (Autoren, Jahr, Land)

Tabelle 2. Intelligenzleistungen in der WISC-IV von Kindern mit UEMF

J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF) 21

Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30


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J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF)

zielt (M=117.2; SD=20.5). Auf Subtestebene wurden insbesondere im Mosaik-Test (M=8.5; SD=3.2), Zahlen-Symbol-Test (M=6.0; SD=2.4) sowie in der Symbol-Suche (M=7.4; SD=2.7) niedrige Testwerte nachgewiesen. Pratt et al. (2014) überprüften in ihrer Studie, inwieweit Kinder mit UEMF Defizite in den exekutiven Funktionen Planen und Inhibition aufweisen. Ergänzend setzten sie in ihrer Untersuchung jedoch auch den WISC-IV (Wechsler, 2003) ein und ermittelten an einer Stichprobe von insgesamt 50 Kindern im Alter von neun und zwölf Jahren (UEMF: n=26; Kontrolle: n=24) die durchschnittlichen Leistungen beider Subgruppen in den WISC-IV-Indizes Sprachverständnis und Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken. Der Vergleich der motorisch auffälligen Kinder (auffälliges Testergebnis in der M-ABC-2; Henderson et al., 2007) mit den Kindern der Kontrollgruppe zeigte verminderte Testleistungen im Index Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken zu Ungunsten der Kinder mit einer UEMF. Im Bereich des Sprachverständnisses konnten keine Differenzen zwischen den Gruppen identifiziert werden. Entsprechend stellt das Sprachverständnis bei den Kindern mit UEMF den besseren der beiden überprüften Indizes dar (Sprachverständnis: M=92.7. SD=9.98; Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken: M=89.96; SV=16.63). Das Manual zur US-amerikanischen Version der WPPSI-III (Wechsler, 2002) berichtet eine klinische Validierungsstudie zu Kindern mit motorischen Entwicklungsstörungen. Eine genaue Beschreibung der Diagnosestrategie erfolgte nicht; des Weiteren handelt es sich um einen nicht peer-reviewten Beitrag (Einschlusskriterien 1 und 4; sowie Ausschlusskriterien 1 und 3). Insgesamt 16 Kinder mit motorischer Entwicklungsstörung zwischen drei und sechs Jahren wurden mit der WPPSI-III untersucht. Im Vergleich mit einer nach Alter und Geschlecht gematchten Kontrollgruppe konnten signifikante Unterschiede im Handlungs-IQ sowie im Gesamt-IQ nachgewiesen werden (Handlungsteil: p=.0012; Gesamt-IQ: p=.0153), jedoch nicht für den Verbal-IQ sowie die allgemeine Sprachskala (Verbal-IQ: p=.5417; Allgemeine Sprachskala: p=.4953). In der Verarbeitungsgeschwindigkeit ließen sich tendenziell signifkante Mittelwertunterschiede erkennen (p=.0596). Die schlechtesten Untertestleistungen konnten für den Subtest Mosaik-Test (M=8.4; SD=2.7) sowie die Symbol-Suche (M=8.3; SD=3.7) nachgewiesen werden. Auch im US-amerikanischen Original zur WISC-IV (Wechsler, 2003) werden Daten zur klinischen Validierung an Kindern mit UEMF berichtet, wobei die oben berichteten Mängel zur Validierungsstudie der WPPSI-III auch hier zutreffen. Die 21 Kinder mit motorischer Entwicklungsstörung erzielten signifikant schlechtere Testleistungen in den WISC-IV-Indizes WahrnehmungsgeKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30

bundenes Logisches Denken (p=.05) und Verarbeitungsgeschwindigkeit (p<.01). Auch im Gesamt-IQ erzielten die Kinder der klinischen Gruppe durchschnittlich geringere Testleitungen als die Kontrollgruppe (p=.08). Der Gesamt-IQ weicht dabei mit einem durchschnittlichen Wert von 85.7 IQ-Punkten (SD=14.9) knapp eine Standardabweichung vom Mittel 100 ab. Die besten Testleistungen konnten im Index Sprachverständnis beobachtet werden (M=95.5; SD=11.2). Auf Untertestebene erbrachten die Kinder die schlechtesten Testleistungen im Mosaik-Test (M=6.9; SD=3.5) sowie im Zahlen-Symbol-Test (M=5.9; SD=3.1) und der Symbol-Suche (M=6.2; SD=3.6).

Diskussion Die vorliegende Arbeit sollte klären, ob Kinder mit umschriebenen motorischen Entwicklungsstörungen (UEMF) neben ihrer motorischen Symptomatik spezifische Intelligenzprofile aufweisen und eine standardmäßige Abklärung kognitiver Funktionen im Rahmen einer UEMF mit standardisierten Intelligenztestverfahren sinnvoll erscheint. Eine zusammenfassende Bewertung der wichtigsten Studienergebnisse kann Tabelle 4 entnommen werden. Im Weiteren sollen die zentralen Fragestellungen dieser Übersichtsarbeit sukzessiv diskutiert werden. Weichen die kognitiven Leistungen in einem standardisierten Intelligenztest von Kindern mit einer UEMF signifikant von einer entwicklungsunauffälligen Kontrollgruppe ab? Die umfassende Auswertung der zentralen Studienergebnisse lässt im ersten Schritt darauf schließen, dass Kinder mit einer UEMF im Vergleich zu motorisch unauffälligen Kindern signifikante Leistungsabweichungen in verschiedenen Subskalen der Wechsler-Testverfahren sowie im Gesamt-IQ aufweisen. Aufgrund der dargestellten Ergebnisse zum Zusammenhang von UEMF und visuellen Wahrnehmungsdefiziten, ist davon auszugehen, dass sich die berichteten Auffälligkeiten in der visuellen Wahrnehmung negativ auf die handlungsbezogenen Leistungen von WPPSI-III und WISC-IV auswirken. Dies liegt entscheidend daran, dass alle zur Handlungsskala gehörenden Untertests der WPPSI-III bzw. die zum Index Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken gehörigen Aufgaben der WISC-IV den Umgang mit visuellen Stimuli erfordern. Diese Hypothese konnte sowohl durch die Studien von Jaščenoka et al. (2015) und Kastner et al. (2011) als auch die klinische Validierungsstudie von Wechsler (2002) bestätigt werden; es zeigten sich signifikante Leistungsabweichungen in der Handlungsskala der WPPSI-III zwischen den klinischen Gruppen der UEMFKinder sowie den nach Alter und Geschlecht paralleli© 2018 Hogrefe Verlag


© 2018 Hogrefe Verlag

Stichprobe

Pratt, Leonard, Adey- N=50 inka & Hill (2014), (UEMF: n=26; Großbritannien Kontrolle: n=24) · Vordergründig werden exekutive Funktionen untersucht

Biotteau, Albaret, Le- N=65 long & Chaix (2017), (UEMF: n=22; Frankreich Dyslexie: n=20; UEMF/ Ausschlussgrund: Dyslexie: · fehlende Kontrolln=23) gruppe

Studie (Autoren, Jahr, Land)

Kontrolle: M=9;7; SD=2;0)

UEMF: M=9;11; SD=2;6

6 bis 14 Jahre

UEMF/ Dyslexie: M=9.9; SD=1.2

Dyslexie: M=10.2; SD=1.3

UEMF: M=9.7; SD=1.6

7 bis 12 Jahre

Alter

M-ABC-2

M-ABC

Kontrolle: PR >15 (M=58.25; SD=25.13)

UEMF: PR<15 (M=3.12; SD=4.20)

UEMF/Dyslexie: (TIS: M=25.3; SD=6.3)

Dyslexie: PR>15 (TIS: M=4.4; SD=3.6)

UEMF: PR<5 (TIS: M=26.4; SD=6.0)

Motoriktest Motorisches Testergebnis

Tabelle 3. Intelligenzleistungen von Kindern mit UEMF: Ausgeschlossene Studien

· Sprachverständnis · Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken

WISC-IV

keine Gesamt-IQWerte vorhanden

Deskriptive Ergebnisse UEMF-Kinder erzielten im SV (M=92.7; SD=9.98), bessere Leistungen als im WLD (M=89.96; SD=16.63).

Gruppenvergleich UEMF vs. Kontrolle: UEMF-Kinder zeigen signifikant schlechtere Leistungen im WLD (p<.05) als die Kontrollgruppe.

Deskriptive Ergebnisse UEMF-Kinder erzielten ihre beste Testleistung im SV (M=117.2; SD=20.5), gefolgt vom AG (M=102.1; SD=18.3), WLD (M=95.0; SD=12.3) und der VG (M=82.4; SD=11.4).

UEMF vs. UEMF/Dyslexie: Es bestehen weder auf Indexebene noch im Gesamt-IQ signifikante Leistungsunterschiede zwischen den Gruppen.

Gruppenvergleiche UEMF vs. Dyslexie: UEMF-Kinder erzielen signifikant schlechtere Ergebnisse in den WISC-IV-Indizes WLD und VG (p<.001) als die Kinder mit isolierter Dyslexie.

Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse

Ergebnisse

UEMF: M=100.2; SD=16.6

GesamtIQ

· Sprachverständnis · Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken Dyslexie: · Arbeitsgedächtnis M=107.4; · Verarbeitungsgeschwindigkeit SD=14.0 · Gesamt-IQ UEMF/ Dyslexie: M=98.7; SD=16.9

WISC-IV

Erfasste Indizes

J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF) 23

Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30


Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30 6;0 bis nicht be16;11 Jahre kannt

nicht bekannt

3;0 bis 6;11 Jahre

nicht bekannt

nicht bekannt

Motoriktest Motorisches Testergebnis

Alter

UEMF: M=94.2; SD=8.8

GesamtIQ

· Sprachverständnis · Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken Kontrolle: · Arbeitsgedächtnis M=96.7; · Verarbeitungsgeschwindigkeit SD=15.1 · Gesamt-IQ

UEMF: M=85.7; SD=14.9

Deskriptive Ergebnisse UEMF-Kinder erzielten ihre beste Testleistung im SV (M=95.5; SD=11.2), gefolgt vom AG (M=92.09; SD=13.1) und WLD (M=83.8; SD=16.0) sowie der VG (M=78.2; SD=14.9).

Gruppenvergleiche UEMF vs. Kontrollgruppe: UEMF-Kinder erzielen signifikant schlechtere Ergebnisse in den Indizes WLD (p=.005) und VG (p<.01) sowie im Gesamt-IQ (p=.008).

Deskriptive Ergebnisse UEMF-Kinder erzielten ihre beste Testleistung in der AS (M=105.8; SD=12.9) und im VT (M=102.2; SD=8.8), gefolgt von der VG (M=102.1; SD=18.3), und dem HT (M=87.7; SD=11.7).

Es lassen sich tendenziell signifikante Mittelwertunterschiede in der Verarbeitungsgeschwindigkeit erkennen (p=.0596).

Gruppenvergleiche UEMF vs.Kontrollgruppe: UEMF-Kinder erzielen signifikant schlechtere Ergebnisse im Handlungsteil (p=.0012) sowie im Gesamt-IQ (p=.0153).

Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse

Ergebnisse

Verbal-IQ Handlungs-IQ Verarbeitungsgeschwindigkeit Kontrolle: Allgemeine Sprachskala M=106.4; Gesamt-IQ SD=15.1

WISC-IV

· · · · ·

WPPSI-III

Erfasste Indizes

Anmerkungen: ADHS: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung; AG: Arbeitsgedächtnis; AS: Allgemeine Sprachskala; HT: Handlungsteil; M-ABC: Movement Assessment Battery for Children; M-ABC-2: Movement Assessment Battery for Children-2; PR: Prozentrang; SV: Sprachverständnis; TIS: Total Impairment Score (aus M-ABC); UEMF: Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen; VG: Verarbeitungsgeschwindigkeit; VT: Verbal-Teil; WLD: Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken; WISC-IV: Wechsler Intelligence Scale for Children-IV; WPPSI-III: Wechsler Preschool and Primary Scale-III

Ausschlussgrund: · keine differenzierte Beschreibung der Diagnosegruppe · nicht peer-reviewed · Validierungsstudie

Wechsler (2003) USA

N=42 (UEMF: n=21; Kontrolle: n=21)

N=32 (UEMF: n=16; Kontrolle: n=16)

Wechsler (2002) USA

Ausschlussgrund: · keine differenzierte Beschreibung der Diagnosegruppe · nicht peer-reviewed · Validierungsstudie

Stichprobe

Studie (Autoren, Jahr, Land)

Tabelle 3. Intelligenzleistungen von Kindern mit UEMF: Ausgeschlossene Studien (Fortsetzung)

24 J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF)

© 2018 Hogrefe Verlag


J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF)

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Tabelle 4. Zusammenfassung der Studien: Signifikant geringere Testleistungen von Kindern mit UEMF im Vergleich mit Kontrollgruppen Eingesetztes Verfahren

Studie

Signifikantes Ergebnis

Gesamt-IQ

Jaščenoka et al. (2015) Kastner et al. (2011) Wechsler (2002)

Ja Ja Ja

Verbal-IQ

Jaščenoka et al. (2015) Kastner et al. (2011) Wechsler (2002)

Ja Ja Nein

Handlungs-IQ

Jaščenoka et al. (2015) Kastner et al. (2011) Wechsler (2002)

Ja Ja Ja

Jaščenoka et al. (2015) Wechsler (2002)

Ja Nein, aber mit Tendenz zur Signifikanz

Gesamt-IQ

Kastner & Petermann (2010) Sumner et al. (2016) Wechsler (2003)

Ja Ja Ja

Sprachverständnis

Kastner & Petermann (2010) Loh et al. (2011) Sumner et al. (2016) Pratt et al. (2014) Wechsler (2003)

Ja Nein Nein Nein Nein

Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken

Kastner & Petermann (2010) Loh et al. (2011) Sumner et al. (2016) Pratt et al. (2014) Wechsler (2003)

Ja Ja Nein Ja Ja

Arbeitsgedächtnis

Kastner & Petermann (2010) Sumner et al. (2016) Wechsler (2003)

Ja Ja Nein

Kastner & Petermann (2010) Sumner et al. (2016) Loh et al. (2011)

Ja Ja Ja: Kinder mit UEMF/ADHS Nein: Kinder mit isolierter UEMF Ja

Intelligenzleistungen – WPPSI-III

Verarbeitungsgeschwindigkeit

Intelligenzleistungen – WISC-IV

Verarbeitungsgeschwindigkeit

Wechsler (2003) Anmerkung: Die kursiv dargestellten Studien erfüllen nicht alle aufgestellten Qualitätskriterien.

sierten Kontrollgruppen. Ähnliche Tendenzen können auch für das Grundschulalter nachgewiesen werden (Kastner & Petermann, 2010; Loh et al., 2011; Pratt et al., 2014; Wechsler, 2003). Die Testleistungen der Kinder im Index Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken unterscheiden sich mit Ausnahme der Arbeit von Sumner et al. (2016) ebenfalls signifikant von der Kontrollgruppe. Die Analyse der Daten auf Untertestniveau brachte zusätzlich hervor, dass die Kinder mit motorischen Defiziten ihre schlechtesten Testleistungen sowohl im Vorschulalter als auch Grundschulalter überwiegend im Mosaik-Test erbrachten. Dies scheint plausibel, da der Mosaik-Test eine Reihe visueller Wahrnehmungsleistungen (Analyse und Synthetisieren abstrakter visueller Stimuli, nonverbale Konzeptbildung, Figur-Grund-Unterscheidung) sowie ein hohes Maß an visuo-motorischer Koordination erfordert. Neben einem negativen Einfluss visueller Wahrnehmungsdefizite auf die Intelligenzleistungen von Kindern © 2018 Hogrefe Verlag

mit einer UEMF ist weiterhin zu vermuten, dass sich geringere Aufmerksamkeits- und Arbeitsgedächtnisleistungen negativ auf die Ergebnisse der beiden Untertests der Wechsler-IQ-Tests Symbol-Suche und Symbole kodieren sowie den aus diesen beiden Untertests gebildeten Index Verarbeitungsgeschwindigkeit auswirken. Die Annahme geringerer Testleistungen von UEMF-Kindern in diesen Untertests des Index Verarbeitungsgeschwindigkeit kann zumindest in der Tendenz sowohl für das Vorschulalter als auch das Grundschulalter bestätigt werden, wobei dieser Effekt mit Ausnahmen der Arbeiten von Loh et al. (2011) und Wechsler et al. (2002) signifikant ausfällt. Ob es sich an dieser Stelle um tatsächliche Defizite der Aufmerksamkeitsleistungen sowie im visuellen Arbeitsgedächtnis handelt oder dieser Effekt ausschließlich auf die verlangsamte motorische Ausführung dieser Paper-Pencil-Aufgabe zurückzuführen ist, kann nicht eindeutig geklärt werden. So konnten Sumner et al. (2016) in ihrer Studie nach Kontrolle des Merkmals HandgeschicklichKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30


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J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF)

keit des Motoriktests M-ABC keine Unterschiede im Index Verarbeitungsgeschwindigkeit zwischen Kindern mit motorischer Störung und der Kontrollgruppe feststellen. Zusätzlich belegten Kastner und Petermann (2010), dass die Testergebnisse der Kinder im Index Verarbeitungsgeschwindigkeit signifikant mit deren Handgeschicklichkeit korrelieren. Die WISC-IV gibt die bisherige Trennung in Handlungs- und Verbal-IQ auf und gibt zusätzlich zu den stattdessen eingeführten Indizes Sprachverständnis, Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken und Verarbeitungsgeschwindigkeit auch einen Index zum Arbeitsgedächtnis an, welcher aus den Untertests Zahlen nachsprechen und Buchstaben-Zahlen-Folgen gebildet wird. Beide Subtests der WISC-IV stellen besondere Anforderungen an das verbale Arbeitsgedächtnis, da beide Aufgaben mündlich zu bearbeiten sind. Die Ergebnisse von Kastner und Petermann (2010) sowie Sumner et al. (2016) widersprechen an dieser Stelle anderen Befunden wie beispielweise aus den Arbeiten von Leonard et al. (2015) sowie Piek, Dyck, Francis und Conwell (2007), die für das Grundschulalter keine Einschränkungen im verbalen Arbeitsgedächtnis von UEMF-Kindern belegen konnten. Da die beiden Untertests Zahlen nachsprechen und Buchstaben-Zahlen-Folgen neben Arbeitsgedächtnisauch Aufmerksamkeitsleistungen beanspruchen, wäre es zusätzlich denkbar, dass die geringen Testleistungen in den Studien von Kastner und Petermann (2010) sowie Sumner et al. (2016) auf defizitäre Aufmerksamkeitsfunktionen der Kinder zurückführbar sind. Abschließend ist davon auszugehen, dass die sprachlichen Leistungen von Kindern mit UEMF unbeeinträchtigt sind. Dafür sprechen z. B. die Ergebnisse von Archibald und Alloway (2008), die die sprachlichen Leistungen von UEMF-Kindern untersuchten. Der Vergleich von motorisch auffälligen und unauffälligen Kindern zeigte lediglich statistisch bedeutsame Leistungsunterschiede für das Nachsprechen von Nicht-Wörtern und die Nacherzählfertigkeiten der Kinder, wobei beide Untertests auch in hohem Maße Gedächtnisleistungen erfordern. Entgegen dieser Erwartungen schneiden die Kinder im Vorschulalter in den Untersuchungen von Jaščenoka et al. (2015) sowie Kastner et al. (2011) in den verbalen Untertests der WPPSI-III schlechter ab als die Kinder der Kontrollgruppe. In der Untersuchung von Kastner et al. (2011) übersteigt der Verbal-IQ zumindest den Handlungs-IQ der Kinder, in der Studie von Jaščenoka et al. (2015) ist der Verbal-IQ (wenn auch nur geringfügig) geringer als der Handlungs-IQ. Für das Grundschulalter wird erwartungskonform jedoch überwiegend ein unbeeinträchtigtes Sprachverständnis berichtet (Loh et al., 2011; Pratt et al., 2014; Sumner et al., 2016; Wechsler, 2003). Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Kastner und Petermann Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30

(2010), wobei dieser Effekt größtenteils auf das schlechte Abschneiden der Kinder im Untertest Gemeinsamkeiten finden in der WPPSI-III zurückführbar ist. Ein negativer Einfluss umschriebener motorischer Entwicklungsstörungen auf den Gesamt-IQ konnte sowohl für das Vorschul- als auch für das Grundschulalter beschrieben werden (Jaščenoka et al., 2015; Kastner & Petermann, 2010; Kastner et al., 2011; Sumner et al., 2016; Wechsler, 2002, 2003). Da sich der Gesamt-IQ aus jenen Untertests errechnet, die auch den einzelnen Indizes zugeordnet sind, ist dies aufgrund der oben dargestellten Ergebnisse naheliegend. Weisen Kinder mit einer UEMF ein spezifisches Intelligenzprofil auf ? Für die klinische Praxis ist die Frage nach spezifischen Intelligenzprofilen von Kindern mit motorischer Entwicklungsstörung von besonderer Relevanz. So wäre es einerseits ökonomisch, wenn sich die im Rahmen einer UEMF möglichen kognitiven Defizite mittels eines Intelligenztestverfahrens aufdecken ließen, andererseits könnte ein bestimmtes kognitives Leistungsprofil im Rahmen des diagnostischen Prozesses anderer Verhaltens- oder Entwicklungsstörungen dazu anregen, eine zusätzliche Überprüfung des motorischen Funktionsniveaus vorzunehmen. Die Frage nach einem spezifischen Intelligenzprofil von Kindern mit einer UEMF lässt sich zusammenfassend wie folgt beantworten, wobei aufgrund der geringen Studienanzahl eine Verallgemeinerung der Ergebnisse mit Vorsicht zu betrachten ist: · Kinder mit einer UEMF erzielen geringere Testleistungen im Handlungs-IQ der WPPSI-III bzw. im Index Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken der WISC-IV. · UEMF-Kinder schneiden im Vorschulalter entgegen der Erwartungen auch im Verbal-IQ der WPPSI-III schlechter ab als entwicklungsunauffällige Kinder. · Im Grundschulalter scheint der Index Sprachverständnis der WISC-IV weitestgehend unbeeinträchtigt. · Kinder mit einer UEMF zeigen sowohl im Vorschul- als auch im Grundschulalter signifikant geringere Testleistungen im Index Verarbeitungsgeschwindigkeit. · Die WISC-IV-Leistungsprofile für den Index Arbeitsgedächtnis unterscheiden sich signifikant von einer Kontrollgruppe zu Ungunsten der UEMF-Kinder. · Der Gesamt-IQ in WPPSI-III und WISC-IV fällt signifikant geringer aus als bei entwicklungsunauffälligen Kindern. Verändern sich die Intelligenzprofile im Entwicklungsverlauf ? Drei der berichteten Studien fokussieren ihre Analysen auf das Vorschulalter (Jaščenoka et al., 2015; Kastner et al., 2011; Wechsler, 2002), sechs Studien untersuchten Kinder ab dem Grundschulalter (Bioutteau, 2017; © 2018 Hogrefe Verlag


J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF)

Kastner & Petermann, 2010; Loh et al., 2011; Pratt et al., 2014; Sumner et al., 2016; Wechsler, 2003). Da alle Arbeiten ausschließlich querschnittliche Daten analysieren, kann die Frage nach Veränderungen der Intelligenzprofile im Entwicklungsverlauf begrenzt bzw. nur spekulativ beantworten werden. Auffällig ist jedoch, dass die Vorschulkinder im Vergleich mit den Studien mit Grundschulkindern deutlichere Abweichungen in ihren sprachlichen Leistungen zeigen. Während der Index Sprachverständnis im Grundschulalter der verlässlichste Prädiktor zur Einschätzung des „tatsächlichen“ kognitiven Leistungsniveaus von UEMF-Kindern darzustellen scheint, unterschreitet der Verbal-IQ in der Arbeit von Jaščenoka et al. (2015) sogar den Handlungs-IQ. Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Im Kindergartenalter scheinen Motorikprobleme häufig mit Sprach- und Kommunikationsproblemen einherzugehen (Gaines & Missiuna, 2007). Die sprachliche Entwicklung und deren Förderung nimmt im Kindergartenund Vorschulalter im Vergleich eine besondere Stellung ein; so ist eine Sprachstandserhebung ein Jahr vor Einschulung mittlerweile in vielen Bundesländern obligatorisch. Bei auffälligen Ergebnissen erhalten die Kinder entsprechende Förderung ihrer sprachlichen Kompetenzen, um der Ausbildung von Lernstörungen präventiv entgegenzuwirken und den Kindern einen positiven Schulstart zu ermöglichen (vgl. Petermann, 2016). Eventuell profitieren die Kinder positiv von den entsprechenden Förderangeboten und es gelingt ihnen, ihre sprachlichen Kompetenzen im Entwicklungsverlauf zu verbessern. Im Gegensatz dazu werden Auffälligkeiten in der motorischen Entwicklung häufig lange als untere Normvariante eingestuft und den Eltern versichert, dass die Kinder der motorischen Störung ohne weitere Fördermaßen entwachsen (Kastner & Petermann, 2009). Erhebliche motorische Defizite werden häufig erst zu Beginn des Grundschulalters festgestellt, weil insbesondere feinmotorische Probleme die handschriftlichen Leistungen der Kinder stark beeinflussen. Eine umfassende Diagnostik sowie eine Einleitung entsprechender therapeutischer Maßnahmen erfolgt somit häufig erst nach dem Eintritt in die Schule. Auffälligkeiten in den handlungsbezogenen Leistungen scheinen sich vom Vorschulalter zum Grundschulalter hin nicht zu reduzieren. So konnten sowohl für das Vorschulalter defizitäre Leistungen im Handlungs-IQ der WPPSI-III (Jaščenoka et al., 2015; Kastner et al., 2011) als auch im Index Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken der WISCIV beobachtet werden (Kastner & Petermann, 2010; Loh et al., 2011; Sumner et al., 2016; Pratt et al., 2014; Wechsler, 2003). Ähnliche Tendenzen sind auch für den Index Verarbeitungsgeschwindigkeit nachweisbar (Jaščenoka et al., 2015; Kastner & Petermann, 2010; Sumner et al., 2016). © 2018 Hogrefe Verlag

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Zuverlässige Aussagen über den Entwicklungsverlauf kognitiver Defizite lassen sich anhand dieser querschnittlichen Daten nicht vornehmen. Längsschnittstudien aus den Anfängen der 90er Jahre deuten aber darauf hin, dass insbesondere Schulleistungsprobleme (Losse et al., 1991) und Konzentrationsschwierigkeiten persistieren (Geuze & Börger, 1993). Es existieren einige Studien, die den Verlauf der UEMF untersuchen. Es liegen ausreichend Hinweise vor, dass die motorische Entwicklungsstörung bei ca. 50 bis 70 % der Kinder bis in das Erwachsenenalter hinein fortbesteht (Cantell, Smyth & Ahonen, 1994; Losse et al., 1991; Visser, Geuze & Kalverboer, 1998). Bereits 1999 fanden Kadesjö und Gillberg bei 7-jährigen Kindern mit der Diagnose UEMF eine Persistenz der UEMF im Alter von 8 Jahren und in der Folge im Alter von 10 Jahren ein eingeschränktes Leseverständnis. Kinder mit UEMF scheinen im späteren Schulalter schlechtere Ergebnisse bei schulischen Leistungen zu zeigen (Cantell, Smyth & Ahonen, 2003) als gesunde Gleichaltrige, dies gilt besonders für den Bereich der Arithmetik (Tseng, Howe, Chuang & Hsieh, 2007). Ein solcher Befund könnte mit den bekannten visuell-räumlichen Schwierigkeiten mancher UEMF-Kinder zusammenhängen. Beeinflussen komorbide Störungen die Intelligenzprofile? Insgesamt vier Studien betrachten den Einfluss komorbider Störungen auf die Intelligenzprofile von Kindern mit einer UEMF. Jaščenoka et al. (2015) und Loh et al. (2011) überprüften, inwieweit eine zusätzliche ADHS-Diagnose die Testergebnisse in der WISC-IV (Loh et al., 2015) bzw. in der WPPSI-III (Jaščenoka et al., 2015) beeinflusst. Kinder mit der Kombinationsdiagnose UEMF/ADHS schneiden nach Loh et al. (2011) in der Verarbeitungsgeschwindigkeit signifikant schlechter ab als Kinder mit isolierter UEMF; nach Jaščenoka et al. (2015) unterscheiden sich Kinder mit kombinierter UEMF/ADHS und isolierter UEMF hingegen nicht signifikant in ihren Intelligenzleistungen. Kinder mit kombinierter Diagnose aus UEMF/Sprache wurden von Kastner et al. (2011) untersucht. Es konnte nachgewiesen werden, dass Kinder, die an einer kombinierten Entwicklungsstörung der Sprache und Motorik litten, signifikant schlechter in den beiden Subskalen Verbal- und Handlungs-IQ der WPPSI-III sowie im Gesamt-IQ abschnitten als Kinder mit isolierter UEMF. Biotteau et al. (2017) verglichen die WISC-IV-Intelligenzprofile von Kindern mit einer isolierten UEMF, einer isolierten Dyslexie sowie Kinder mit der Kombinationsdiagnose UEMF/Dyslexie. Es konnte nachgewiesen werden, dass Kinder mit isolierter UEMF zwar signifikant schlechtere Leistungen im Index Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken erbrachten als Kinder mit isolierter Dyslexie, jedoch besteht kein Unterschied im Vergleich der beiden Diagnosegruppen isolierte UEMF mit kombinierter UEMF/Dyslexie. Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30


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J. Jaščenoka und F. Petermann, Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (UEMF)

Insgesamt existieren aktuell nur wenige Studien, die den Zusammenhang von UEMF und Intelligenzleistungen betrachten. Die aktuelle Forschungslage deutet jedoch darauf hin, dass ein komorbides Auftreten von UEMF und weiteren kognitiven Defiziten eher die Regel als die Ausnahme darstellt (Blank et al., 2012; Kastner & Petermann, 2009), weshalb an dieser Stelle weitere Forschung benötigt wird, um neue Standards in Diagnostik und Therapie im Kindesalter zu etablieren.

Schlussfolgerungen für die klinische Praxis Für den Entwicklungsverlauf der UEMF ist zentral, dass kognitive Defizite frühzeitig erkannt werden, um schulischem Versagen effektiv entgegen zu wirken. Weitere Längsschnittstudien sind jedoch erforderlich, um die Veränderung der Symptomatik vom Kindergarten bis in die Pubertät zu beobachten. Als Gruppe zeigen Kinder mit UEMF ein erheblich heterogeneres Intelligenzprofil als entwicklungsunauffällige Kinder. Einzelfallanalysen zeigen weiterhin, dass Kinder mit einer UEMF kein typisches Intelligenzprofil aufweisen. Dies bedeutet, dass die Identifikation einer UEMF auf Basis eines typischen IQ-Profils nicht möglich ist und im Verdachtsfalle einer UEMF auf das nach DSM-5 empfohlene Standardprozedere zurückzugreifen ist. Abschließend können deshalb folgende Empfehlungen ausgesprochen werden: · Bei Kindern mit UEMF ist es im Rahmen des diagnostischen Prozesses unerlässlich, eine Mehrbereichsdiagnostik vorzunehmen, um den allgemeinen kognitiven Leistungsstand sowie visuelle Wahrnehmungsleistungen, Arbeitsgedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistungen zu untersuchen. · Verfahren, die auf den Wechsler-Skalen basieren (wie der WISC-IV oder die WPPSI-III), können orientierend eingesetzt werden, da diese Intelligenztests ökonomisch in einem Verfahren verschiedene kognitive Leistungen abbilden. · Im Vorschulalter könnte eine zusätzliche Abklärung von Arbeitsgedächtnisleistungen sinnvoll sein, da die WPPSI-III diese nicht als eigenständigen Index ausweist. · Aufmerksamkeitsleistungen können mit den WechslerSkalen nur äußerst begrenzt erfasst werden, weshalb bei entsprechenden Hinweisen aus der Anamnese eine zusätzliche Überprüfung der Aufmerksamkeitsfunktionen sinnvoll erscheint. Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30

· Sehr geringe Leistungen im Index Verarbeitungsgeschwindigkeit der WPPSI-III bzw. der WISC-IV sollten den Praktiker im Rahmen der Diagnostik anderer Entwicklungs- und Verhaltensstörungen zu einer genaueren Betrachtung des motorischen Entwicklungsstandes veranlassen. · Im Schulalter könnte der Index Sprachverständnis den zuverlässigsten Indikator zur Einschätzung des tatsächlichen kognitiven Leistungsstandes eines UEMFKindes darstellen. · Sind komorbide Störungen vorhanden, ist es standardmäßig sinnvoll, eine Intelligenzdiagnostik durchzuführen, da die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen kognitiver Defizite erhöht scheint.

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Dr. Julia Jaščenoka Prof. Dr. Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Grazer Straße 6 28359 Bremen jascenoka@uni-bremen.de

Arnold Lohaus / Michael Glüer (Hrsg.)

Entwicklungsförderung im Kindesalter Arnold Lohaus · Michael Glüer (Hrsg.)

Entwicklungsförderung im Kindesalter Grundlagen, Diagnostik und Intervention

Grundlagen, Diagnostik und Intervention 2014, 326 Seiten, € 32,95 / CHF 44.90 ISBN 978-3-8017-2543-3 Auch als E-Book erhältlich Das Buch stellt den gegenwärtigen Forschungsstand zur Entwicklungsförderung im Kindesalter dar und stellt Möglichkeiten der Diagnostik und Intervention vor.

Der einleitende Teil führt in die Grundlagen der Entwicklungsförderung ein. Im zweiten Teil wird auf spezifische Funktionsbereiche der kindlichen Entwicklung eingegangen, wie Motorik, Sprache, intellektuelle, soziale und emotionale Fähigkeiten sowie auf spezifische Kompetenzen. Der dritte Teil des Buches befasst sich mit umgebungsspezifischer Förderung in Familie und Kindergarten.

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Franz Petermann / Silvia Wiedebusch (Hrsg.)

Praxishandbuch Kindergarten Entwicklung von Kindern verstehen und fördern

Franz Petermann Silvia Wiedebusch (Hrsg.)

Praxishandbuch Kindergarten Entwicklung von Kindern verstehen und fördern

2017, 543 Seiten, geb., € 49,95 / CHF 65.00 ISBN 978-3-8017-2714-7 Auch als eBook erhältlich

Das Praxishandbuch Kindergarten vermittelt die wichtigsten entwicklungspsychologischen Grundlagen. Es werden Verfahren zur Entwicklungsbegleitung sowie Förderansätze in den verschiedenen Bildungsbereichen vorgestellt. Außerdem werden Fokusthemen (z.B. Inklusion) und interdisziplinäre Arbeitsbereiche (z.B. Übergang zur Grundschule) in Kindertageseinrichtungen thematisiert. Frühpädagogische Fachkräfte erhalten somit aktuelles und praxisorientiertes Wissen sowie Anregungen für die Gestaltung von Entwicklungs- und Bildungsprozessen für Kinder bis zum Alter von sechs Jahren.

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Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 14–30

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Studie

Prävention von Rechenstörungen Kurz- und mittelfristige Effekte einer Förderung der mathematischen Kompetenzen bei Risikokindern im Vorschulalter Svenja Moraske1, Anna Penrose1, Anne Wyschkon1, Juliane Kohn1, Larissa Rauscher1, Michael von Aster2 und Günter Esser3 1

Universität Potsdam

2

DRK Kliniken Berlin Westend

3

Akademie für Psychotherapie und Interventionsforschung Potsdam Zusammenfassung: Ziel ist die Überprüfung der kurz- und mittelfristigen Wirksamkeit einer vorschulischen Förderung des Mengen- und Zahlenverständnisses bei Kindern mit einem Risiko für die Entwicklung einer Rechenstörung. Es wurden 32 Risikokinder mit einer Kombination aus den Förderprogrammen Mathematik im Vorschulalter und Mengen, zählen, Zahlen im letzten Kindergartenjahr von den Erzieherinnen trainiert und mit 38 untrainierten Risikokindern verglichen. Hinsichtlich der kurzfristigen Wirksamkeit zeigten sich positive Trainingseffekte auf die numerischen Leistungen im letzten Kindergartenjahr. Es ließen sich keine signifikanten mittelfristigen Trainingseffekte auf die Rechenleistungen im zweiten Halbjahr der 1. Klasse finden. Das eingesetzte vorschulische Präventionsprogramm leistete danach einen wichtigen Beitrag zur kurzfristigen Verbesserung der mathematischen Basiskompetenzen. Schlüsselwörter: Rechenstörung, Zahlen- und Mengenverständnis, Prävention, Risiko, Umschriebene Entwicklungsstörung

Prevention of Dyscalculia: Short-Term and Intermediate Effects of Stimulating Numerical Competencies for Children at Risk in Preschool Abstract: A slew of studies has shown that training programs teaching numerical competencies have positive short-term effects on mathematical performance. The results for the intermediate effects are not consistent and there are only a few studies on this issue. The aim of this investigation was to evaluate the short-term and intermediate effects of a preschool training program stimulating numerical competencies for children at risk of developing dyscalculia (≤ 10th percentile). During the last kindergarten year, 32 children at risk were trained with a combination of the intervention Mathematik im Vorschulalter and Mengen, zählen, Zahlen by their kindergarten teachers, who were trained and supervised. Contents of the preschool training were: counting, number knowledge up to 10, comprehension of quantity concept, visual differentiation, spatial ability, simple arithmetic operation, handling of symbols, realizing abstract–logical correlations, and identifying cause–effect relations. The training lasted 11 weeks and took place twice a week (session duration = 30 – 40 min). Children who participated in at least 50 % of the sessions were included. The control group consisted of 38 untrained children at risk. For measuring numerical competencies in kindergarten, a subtest of the instrument Basisdiagnostik Umschriebener Entwicklungsstörungen im Vorschulalter – Version III (BUEVA-III) was used, and for measuring mathematical performance the test Deutsche Mathematiktest für erste Klassen (DEMAT 1+) was used. Before the training there were no group differences between the training and control group regarding mathematical performance and overall intelligence. The training showed positive short-term effects for numerical competencies in the last kindergarten year (medium effect size). While trained children could significantly improve their mathematical competencies to an average level (from 34 to 41 t-value points), the performances of the untrained children stayed below average. Unfortunately, there were no significant intermediate effects for mathematical performance in the second half of the first grade. Regarding the diagnosis of dyscalculia as defined by the ICD-10, it was not possible to gather a sufficiently large sample in the first grade fulfilling the criteria to test differences between training and control groups. Methodological limitations of this study were the missing random allocation to treatment conditions, a large drop-out rate, and long testing periods. The preschool training that was used to stimulate numerical competencies contributed significantly toward improving numerical competencies in the short term. Further investigations will determine the long-term effects of the training in the second and third grade. This is particularly important because dyscalculia occurring from the second grade on is a stable phenomenon. Keywords: developmental dyscalculia, numerical competence, prevention, risk, specific developmental disorder

SCHUES (Schulbezogene Umschriebene Entwicklungsstörungen – Prävention und Therapie unter Einbezug neuronaler Korrelate und des Entwicklungsverlaufs), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen: 01 GJ 1011). © 2018 Hogrefe Verlag

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In den letzten Jahren wurde konsistent gezeigt, dass die Rechenleistungen von Grundschulkindern aus bereits im Kindergartenalter diagnostizierten Vorläuferfertigkeiten prädiziert werden können (Aunola, Leskinen, Lerkkanen & Nurmi, 2004; Daseking & Petermann, 2011; Jordan, Glutting & Ramineni, 2010; Krajewski & Schneider, 2009). Zu solchen wichtigen Vorläuferfertigkeiten des schulischen Rechenerwerbs gehören Ziffernkenntnis und -identifikation, Zählfertigkeiten, Mengenerfassung sowie erste Mengenzerlegungen. Neben diesen fertigkeitsbezogenen Fähigkeiten wurde der Einfluss unspezifischer Faktoren bestätigt. Dazu zählen neben linguistischen Kompetenzen (v. a. phonologische Bewusstheit, Sprachverständnis für räumliche Begriffe und Wortschatz), die visuell-räumliche Aufmerksamkeit und die Zugriffsgeschwindigkeit auf Zahlenfakten aus dem Langzeitgedächtnis, aber auch das Arbeitsgedächtnis (Geary, Hamson & Hoard, 2000; Krajewski & Schneider, 2006; Krajewski & Schneider, 2009; LeFevre et al., 2010). Die Kenntnis von Vorläuferfertigkeiten für das spätere Rechnen ermöglicht zum einen eine Früherkennung von Risiken und zum anderen einen Erfolg versprechenden Ausgangspunkt für Präventionsbemühungen, um drohenden Rechenschwierigkeiten entgegenzuwirken. Es wird davon ausgegangen, dass Rechenstörungen bei 1.8 % (Esser, Wyschkon & Ballaschk, 2008) bis 2.5 % (Wyschkon, Kohn, Ballaschk & Esser, 2009) der Schulkinder auftreten. Als psychische Begleiterscheinungen werden neben hyperkinetischen, und hier insbesondere den Aufmerksamkeitsstörungen (z. B. Auerbach, Gross-Tsur, Manor & Shalev, 2008; Gadeyne, Ghesquiére & Onghena, 2004; Fischbach, Schuchardt, Mähler & Hasselhorn, 2010; Kohn, Wyschkon & Esser, 2013b; Monuteaux, Faraone, Herzig, Navasaria & Biedermann, 2005; Shalev, Manor & Gross-Tsur, 2005; Zentall, 2007), auch internailisierende Auffälligkeiten (Fischbach et al., 2010; Jacobs & Petermann, 2003; Shalev et al., 2000; von Aster, 1996) diskutiert.

Trainingsstudien zur Förderung mathematischer Basiskompetenzen In jüngster Zeit mehren sich Evaluationsstudien mit Augenmerk auf Potenzialen von Präventionsprogrammen, welche sich entwicklungsorientierten Kompetenzrückständen zuwenden. Im deutschsprachigen Raum existieren Programme wie Ganzheitliche mathematische Frühförderung (Umland & Ott, 2008), Zahlenzauber (ClausenSuhr, 2008) und Komm mit ins Zahlenland (Friedrich & de Galgòczy, 2004), deren Evaluationsergebnisse zusammengefasst bei Schneider, Küspert und Krajewski (2016) zu finden sind. Eine Übersicht zu einem weiteren deutKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 31–42

S. Moraske et al., Prävention von Rechenstörungen

schen Förderprogramm (Mina und der Maulwurf von Gerlach & Fritz, 2011) und internationalen Konzepten zur Förderung mathematischer Kompetenzen findet sich bei Lambert (2015). Die hier genannten deutschsprachigen Präventionsprogramme wiesen zumeist kurzfristige, positive Effekte auf, während die Überprüfung von mittelund langfristigen Trainingseffekten noch aussteht. Eine Ausnahme stellt dabei Zahlenzauber dar, das positive mittelfristige Effekte zeigte. Im Folgenden werden Trainingsstudien, welche auf eine Förderung mathematischer Basiskompetenzen abzielen, vorgestellt. Die dargestellten Untersuchungen befassen sich mit der Frage, ob die Teilnahme an einem Training mathematischer Vorläuferfertigkeiten eine positive Wirksamkeit auf die spätere Leistungsentwicklung in Mathematik hat. Es stellt sich in diesem Zusammenhang v. a. die Frage, ob auch Risikokinder, also Kinder mit einem Defizit in diesem Bereich, von solchen Präventionsprogrammen profitieren. In den Niederlanden überprüften Van De Rijt und Van Luit (1998) die Wirksamkeit des Additional Early Mathematics Programs an Vier- bis Siebenjährigen, die im Vortest weniger als 45 % der Rechenaufgaben korrekt gelöst hatten. Die Inhalte des Trainings bestehen in der Vermittlung von Vergleichskonzepten, der Klassifikation, der Seriation, der Relation, des Zahlwortgebrauchs sowie des Zählens und des allgemeinen Zahlwissens. Die trainierten Kinder (n = 53) verbesserten sich hinsichtlich ihrer rechnerischen Kompetenzen signifikant, was sowohl unmittelbar (d = 1.28, großer Effekt) als auch sieben Monate nach dem Training (d = 0.63, mittlerer Effekt) relativ zu einer rechenschwachen Kontrollgruppe, die regulären Matheunterricht bekommen hatte (n = 53), nachweisbar war. 18 % der teilnehmenden Kinder konnten jedoch aufgrund von Krankheit oder Umzug nicht nachuntersucht werden. Van Luit und Schopman (2000) untersuchten fünf- bis siebenjährige Kindergartenkinder mit schwachen rechnerischen Fähigkeiten (PR ≤ 25), die das Early Numeracy Program (Anleitung zum Zählenlernen) erhielten. Eine Woche nach Beendigung des Trainings zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Trainingsgruppe gegenüber der untrainierten Risikogruppe in den folgenden Aspekten mathematischer Vorläuferfertigkeiten: Vergleichskonzepte, Zahlwortgebrauch, Zählfertigkeiten sowie allgemeines Zahlwissen. Dabei waren die Risikokinder der Trainingsgruppe der untrainierten Risikogruppe mit einer Effektstärke von d = 1.44 (großer Effekt) deutlich überlegen. Allerdings konnte kein Transfer auf neuartige Aufgaben in den Bereichen Zählen, Vergleich, Seriation, Teilen, Vervollständigen, Addition und Subtraktion nachgewiesen werden. Nach Angaben der Autoren könnte der Grund hierfür darin liegen, dass der Transfer der gelernten Strategien expliziter trainiert werden muss. Außerdem wer© 2018 Hogrefe Verlag


S. Moraske et al., Prävention von Rechenstörungen

den in dieser Untersuchung keine Aussagen zu längerfristigen Trainingswirkungen auf die schulische Mathematikleistung getroffen. Im deutschsprachigen Raum wurde das Programm Mengen, zählen, Zahlen (kurz: MZZ; Krajewski, Nieding & Schneider, 2007) zur Frühförderung der Mengen-ZahlenKompetenz, welches auf dem Modell der Zahl-Größenverknüpfung (z. B. Krajewski, 2013) aufbaut, entwickelt. Die Wirksamkeit der ersten Version des Programms wurde in einem Trainings-Kontrollgruppen-Design an 260 Kindern ohne Risikostatus überprüft (Krajewski, Nieding & Schneider, 2008). Unmittelbar nach dem Training und am Ende der Kindergartenzeit (sieben Monate nach Trainingsende) zeigte die MZZ-Gruppe eine signifikant höhere Mengen-Zahlen-Kompetenz als die Kontrollgruppe und die Gruppe, die das Denktraining I von Klauer (1989) absolviert hatte. Hierbei zeigten sich kleine Effektstärken, welche um Vortestunterschiede hinsichtlich mathematischer Vorläuferfertigkeiten bereinigt wurden, für die kurz(d = 0.25 relativ zur Kontrollgruppe bzw. d = 0.34 im Vergleich zur Gruppe mit Denktraining) und mittelfristige Wirksamkeit (d = 0.31 bzw. d = 0.42). Allerdings fanden sich keine Transfereffekte der MZZ-Förderung auf die Mathematikleistung am Ende der ersten Klasse im Vergleich zur Kontroll- und Denktrainingsgruppe. Weil die verschiedenen Bedingungen nicht zufällig auf die Kindergärten verteilt werden konnten, zeigten sich in den unspezifischen Ausgangsbedingungen tendenziell Vorteile der Kontrollgruppe gegenüber der Trainingsgruppe. Die kleinen Effektstärken führen die Autoren darauf zurück, dass es möglicherweise einen raschen Zuwachs an Mengen-Zahlen-Kompetenzen im Kindergarten gegeben hat. Eine weitere Wirksamkeitsstudie zum MZZ-Training (Ennemoser, Sinner & Krajewski, 2015) untersuchte 64 Erstklässler mit einem Risiko für die Entwicklung einer Rechenschwäche (PR < 25 im Test zu Zahl-Größen-Kompetenzen). Die Hälfte dieser Risikokinder wurde mit dem MZZ (Ebene 2 und 3) trainiert, die andere Hälfte bekam schulischen Förderunterricht. Es zeigten sich signifikante, kurzfristige Trainingseffekte (Interaktion Versuchsbedingung x Testzeitpunkt) auf die Zahl-Größen-Kompetenzen. Die um Vortestunterschiede korrigierte Effektstärke fiel für den Vergleich der beiden Gruppen mittelhoch aus (d = 0.64). Es konnte jedoch auch hier kein unmittelbarer Transfereffekt auf die vom Training nicht geförderten Rechenleistungen gefunden werden. Die Follow-up-Erhebung nach drei Monaten zeigte, dass der Trainingseffekt auf die Zahl-Größen-Kompetenz stabil geblieben ist (d = 0.69, mittlere Effektstärke). Im Transfertest auf die gesteigerten Rechenleistungen ergab sich bei mittlerer Effektgröße (d = 0.52) eine Überlegenheit für die Trainingsgruppe mit zeitlicher Verzögerung („Sleeper-Ef© 2018 Hogrefe Verlag

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fekt“). Eine Limitation dieser Studie ist die fehlende systematische Kontrolle von Fördermaßnahmen der Kontrollgruppe. Das Programm Mathematik im Vorschulalter (Rademacher, Lehmann, Quaiser-Pohl, Günther & Trautewig, 2009) hat zum Ziel, unterschiedliche kognitive Fähigkeitsbereiche zu fördern, die für das Verständnis mathematischer und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge relevant sind. Die Evaluationsstudie von Rademacher, Trautewig, Günther, Lehmann und Quaiser-Pohl (2005) schloss 52 geförderte Vorschulkinder ein, die sich hinsichtlich des Räumlichen Vorstellens (d = 0.48), der Mengenauffassung (d = 0.75) und Einfacher Rechenoperationen (d = 0.49) bei mittlerer Effektgröße stärker verbesserten als die nicht geförderten Kinder (n = 45). Innerhalb beider Versuchsgruppen bestand ein heterogenes Leistungsprofil hinsichtlich mathematischer Vorläuferfertigkeiten. Die fehlenden Trainingseffekte auf die Visuelle Differenzierungsfähigkeit, den Zahlbegriff, den Umgang mit Symbolen sowie das Erfassen abstrakt-logischer Zusammenhänge könnten nach Angaben der Autoren auf den kurzen Förderzeitraum von acht Wochen sowie auf einer reduzierten Förderungsintensität der Kinder aufgrund von Krankheit oder Urlaub zurückzuführen sein. Ein Kind galt als trainiert, wenn es an mindestens 10 von 16 Sitzungen (62.5 %) teilnahm. Da sich im Kindergartenalltag Fehlzeiten der Kinder nur schwer vermeiden lassen, erscheint solch ein liberal gewähltes Einschlusskriterium als sehr sinnvoll. Die Durchführung der Fördereinheiten wurde von verschiedenen Versuchsleitern, welche vor jeder Fördereinheit eine Schulung in der Anwendung des Programms absolvierten und probeweise Übungen durchführten, realisiert. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob eine Umsetzung des Trainings unter alltagspraktischen Bedingungen durch ErzieherInnen mit einer weniger betreuungsintensiven Begleitung ähnliche Effekte erzielt. Außerdem bleibt offen, ob auch Risikokinder, also Kinder mit schwachen rechnerischen Vorläuferfertigkeiten, von diesem Training profitieren. Das Training Spielend Mathe (Quaiser-Pohl, 2008) ist auf dem Programm Mathematik im Vorschulalter aufgebaut und dient der Förderung von mathematischen sowie intellektuellen Fähigkeiten. Die Überprüfung der Wirksamkeit erfolgte mittels eines Prä-Post-Designs an 180 Kindern ohne Risikostatus des letzten Kindergartenjahres. Signifikante Fördereffekte konnten im Hinblick auf die Zahlbegriffsentwicklung (η2 = .15, große Effektstärke) und die Visuelle Differenzierungsfähigkeit (η2 = .09, kleine Effektstärke) gefunden werden. Keine Wirksamkeit zeigte sich in den Bereichen Mengenauffassung, räumliches Vorstellen und einfache Rechenoperationen. Beim Follow-up, in der Mitte des ersten Schuljahres, zeigte die Trainingsgruppe (n = 45) relativ zu den untrainierten KontrollkinKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 31–42


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dern (n = 57) bessere Ergebnisse in Tests zur Addition und Raumvorstellung1. Bezüglich der Untertests Zahlenfolgen, Einfaches Zählen und Subtraktion konnten jedoch keine Trainingseffekte gesichert werden. Kritisch zu sehen sind die fehlenden Angaben zu Vorgruppenunterschieden und der hohe Drop-Out zur Follow-up-Untersuchung. Eine Reihe von Untersuchungen zeigt somit übereinstimmend, dass sowohl unselektierte Vorschulkinder mit heterogenem Leistungsprofil hinsichtlich mathematischer Basiskompetenzen als auch solche, die gefährdet für die Entwicklung einer Rechenstörung sind, von Programmen zur Förderung mathematischer Basiskompetenzen kurzfristig profitieren. Die Befundlage zu den mittel- bzw. langfristigen Effekten auf die Rechenleistungen und insbesondere zum Transfer auf nicht direkt trainierte mathematische Kompetenzen fällt hingegen nicht einheitlich zugunsten klarer Effekte der Förderung aus. Diesbezüglich sind bisher auch nur wenige Studien verfügbar. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage der Wirksamkeit eines unter alltagsnahen Bedingungen im letzten Kindergartenjahr durch die Erzieherinnen durchgeführten elfwöchigen Präventionsprogramms zur Verbesserung der mathematischen Basiskompetenzen. Hierbei wurden bei Risikokindern für die Entwicklung einer Rechenstörung die Effekte auf die Rechenleistungen direkt nach der Intervention und im zweiten Halbjahr der ersten Klasse untersucht. Zudem wurde geprüft, ob sich durch die Förderung die Zahl betroffener Kinder mit einer Rechenschwäche bedeutsam vermindern lässt.

Methodik Untersuchungsablauf und Stichprobe Die verwendeten Daten entstammen der großen epidemiologischen Längsschnittstudie SCHUES (Schulbezogene Umschriebene Entwicklungsstörungen – Prävention und Therapie unter Einbezug neuronaler Korrelate und des Entwicklungsverlaufs), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde (Förderkennzeichen: 01 GJ 1011) und zu Beginn knapp 1900 Kinder umfasste. Im Rahmen des gesamten SCHUES-Projektes waren fünf Untersuchungszeitpunkte vorgesehen, die einmal jährlich stattfanden, um die Kinder vom vorletzten Kindergartenjahr bis in das dritte Grundschuljahr zu be-

1 2

gleiten. Um mittel- und langfristige Aussagen zu den Trainingseffekten treffen zu können, wurden diejenigen Kinder, die im Kindergarten einen Risikostatus aufwiesen und entweder vom Schulbesuch zurückgestellt wurden und/oder Klassen wiederholt haben, zu einem zusätzlichen Messzeitpunkt untersucht und durchliefen dementsprechend insgesamt sechs Untersuchungszeitpunkte. Die vorliegende Fragestellung wurde mit einem Prätest-Posttest-Follow-up-Design untersucht. Es handelte sich um ein quasi-experimentelles Design mit einer Trainings- und einer Kontrollgruppe, wobei die Zuordnung der Kinder zu den Versuchsgruppen nicht-randomisiert erfolgte. Zwischen dem ersten (t1: vorletztes bzw. letztes Kindergartenjahr, Erhebungszeitraum: April bis Dezember 2011) und dem zweiten Messzeitpunkt (t2: letztes Kindergartenjahr, Erhebungszeitraum: März bis August 2012) wurde mit Risikokindern für die Entwicklung einer Rechenstörung (RS) in den Kindergärten der Trainingsgruppe eine elfwöchige Förderung des Mengen- und Zahlenverständnisses durchgeführt, die im letzten halben Kindergartenjahr (Januar bis Juni 2012) stattfand2. Der dritte Untersuchungszeitpunkt (t3: Follow-up, Erhebungszeitraum: März bis September 2013) erfolgte für die meisten Kinder im zweiten Halbjahr des ersten Schuljahres. Die Ergebnisse derjenigen Kinder, die vom Schulbesuch zurückgestellt wurden und sich erst zum vierten regulären Messzeitpunkt (t4: zweiter Follow-up, Erhebungszeitraum: Februar bis Juli 2014) in der ersten Klasse befanden, wurden mit denen der regulär eingeschulten Kinder von t3 getrennt nach Trainings- und Kontrollgruppe zusammengeführt. Als Kriterium für die Risikodefinition wurde das Ergebnis im Test zum Zahlen- und Mengenverständnis der Normierungsversion der Basisdiagnostik Umschriebener Entwicklungsstörungen im Vorschulalter – Version III (BUEVA-III; Esser & Wyschkon, 2016) zu t1 herangezogen. Dabei sind Kinder, die einen PR ≤ 10 (T-Wert < 38) erzielten, als Risikokinder definiert worden. Dieses Kriterium wurde zum einem gewählt, da Umschriebene Entwicklungsstörungen der schulischen Funktionen in der deutschen Forschungspraxis häufig mit diesem Diskrepanzkriterium von 1.2 SD zum Mittelwert der Klassenstufe definiert werden (vgl. Fischbach et al., 2013). Zum anderen sollte ein vergleichsweise strenges Kriterium herangezogen werden (nicht etwa nur ein PR ≤ 25), um nicht nur Spontanheilungen bei geringfügigen Defiziten, son-

Effektgrößen können aufgrund fehlender Angaben nicht berechnet werden. Die Prävention begann in allen Kindergärten im Januar/Februar 2012. Ein Teil der Kinder, die ein Risiko für die Entwicklung einer Lese-Rechtschreibstörung (LRS) aufwiesen, erhielten ein Training zur phonologischen Bewusstheit in Anlehnung an Hören, Lauschen, Lernen (Küspert & Schneider, 2008) und Hören, Lauschen, Lernen 2 (Plume & Schneider, 2004), auf das in den folgenden Ausführungen nur im Zusammenhang mit dem Ausschluss eines Kindes aus der Trainingsgruppe eingegangen wird.

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Tabelle 1. Gruppenzusammensetzung der teilnehmenden Risikokinder für die Entwicklung einer RS über die verschiedenen Messzeitpunkte

Prätest t1 (Kindergarten)

Posttest t2 (Kindergarten)

Follow-up t3/t4 (1. Klasse)

Trainingsgruppe

Kontrollgruppe

Ausgangsgruppe: n = 44

Ausgangsgruppe: n = 44

Ausschluss: Phonologisches Training: n = 1 Trainingsabbruch: n = 9 Trainingsgruppe gültig t1: n = 34

Kontrollgruppe gültig t1: n = 44

gültige Ausgangsgruppe t1: n = 34

gültige Ausgangsgruppe t1: n = 44

Ausschluss: keine Testung: n = 2

Ausschluss: keine Testung: n = 6

Trainingsgruppe gültig t2: n = 32

Kontrollgruppe gültig t2: n = 38

gültige Ausgangsgruppe t1: n = 34

gültige Ausgangsgruppe t1: n = 44

Ausschluss: keine Testung: n = 19

Ausschluss: keine Testung: n = 20

Trainingsgruppe gültig t3/4: n = 15 davon: 12 regulär Eingeschulte (t3: 1. Klasse) 3 Rücksteller (t4: 1. Klasse)

Kontrollgruppe gültig t3/4: n = 24 davon: 19 regulär Eingeschulte (t3: 1. Klasse) 5 Rücksteller (t4: 1. Klasse)

dern tatsächliche Präventionserfolge zu erfassen. Von den 1897 zu t1 untersuchten Kindern zeigten 88 ein Risiko für die Entwicklung einer RS, ohne zugleich auch ein Risiko für eine Lese-Rechtschreibstörung (ermittelt über den Untertest zur phonologischen Bewusstheit aus der BUEVA-III) oder eine Intelligenzminderung (IQ < 70) aufzuweisen. Die Zuordnung der Kindertagesstätten zur Trainings- und Kontrollgruppe erfolgte nicht zufällig, weil es für die Untersuchung unabdingbar war, dass die an der Prävention teilnehmenden Kindergärten zum einen Räumlichkeiten bereitstellten und zum anderen eine Erzieherin mit der Präventionsarbeit beauftragten. 44 Risikokinder für eine RS hatten das Training begonnen, neun davon haben das Training abgebrochen (20.5 %), ein Kind wurde aufgrund einer parallel stattfindenden Förderung der phonologischen Bewusstheit ausgeschlossen (2.3 %)3 und zwei Kinder nahmen am Posttest (t2) nicht teil (4.5 %). Die Kontrollgruppe setzte sich ebenfalls aus ursprünglich 44 Risikokindern zusammen, wobei sechs Kinder nicht am Posttest (t2) teilnahmen (13.6 %). Zur Analyse der kurzfristigen Wirksamkeit bildeten somit 32

3

4

Risikokinder für die Entwicklung einer RS die Trainingsgruppe und 38 Kinder mit einem Risiko für eine spätere RS die Kontrollgruppe. Für die Analyse der mittelfristigen Trainingseffekte in der ersten Klasse wurden die regulär Eingeschulten (zu t3 in Klasse 1: Trainingsgruppe: n = 12, Kontrollgruppe: n = 19) mit den Kindern, die vom Schulbesuch zurückgestellt worden waren (zu t4 in Klasse 1: Trainingsgruppe: n = 3, Kontrollgruppe: n = 54) getrennt nach Trainings- und Kontrollgruppe zusammengeführt. Es verblieben also noch 15 Kinder in der Trainingsgruppe und 24 Kinder in der Kontrollgruppe, die in der ersten Klasse nachuntersucht werden konnten. Die übrigen Familien waren entweder verzogen oder beendeten die Studienteilnahme vor Schuleintritt (Trainingsgruppe: n = 19; Kontrollgruppe: n = 20). In Tabelle 1 sind die Gruppenzusammensetzungen für die einzelnen Messzeitpunkte detailliert beschrieben. Die Dropout-Analysen zur Trainingsgruppe für den Posttest (t2) zeigten, dass zwischen den dabeigebliebenen und den ausgeschiedenen Trainingskindern eingangs keine relevanten Ausgangsunterschiede hinsichtlich der

Die Erzieherin wählte dieses Kind zum „Auffüllen“ einer LRS-Präventionsgruppe aus, ohne dass es zu t1 schwache Leistungen in der Phonologischen Bewusstheit der BUEVA-III erbracht hatte. Da mögliche Präventionserfolge bezüglich der Rechenentwicklung bei diesem Kind nicht ausschließlich auf das anvisierte Programm zum Zahlen- und Mengenverständnis rückführbar wären, wurde es von den Analysen ausgeschlossen. Ein Kind der Kontrollgruppe war kein „Rücksteller“ im eigentlichen Sinne, sondern eines, das wegen seines späten Geburtstermins regulär im Jahr 2013 eingeschult wurde. Dieses befand sich daher zur t4-Erhebung regulär in der ersten Klasse. Da der zeitliche Abstand zwischen t1 und der Follow-up-Erhebung dieses Kindes dem der zurückgestellten Kinder entsprach, wurde es nicht aus der Datenanalyse ausgeschlossen.

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Rechenfertigkeiten (t(32) = -0.47, p = .64) und der Gesamtintelligenz der Kinder (t(32) = -1.07, p = .29) bestanden. Die Trainingskinder, die zum Follow-up (t3) teilnahmen bzw. diesen verweigerten unterschieden sich zu t1 nicht bezüglich des Zahlen- und Mengenverständnisses (t(32) = -0.09, p = .93). Allerdings zeigten die trainierten Teilnehmer der ersten Klasse zu t1 bei großer Effektstärke eine signifikant höhere Gesamtintelligenz als die Verweigerer der Follow-up-Untersuchung (t(32) = -2.29, p = .03, d = 0.79). In der Kontrollgruppe gab es zum Posttest zwischen den Teilnehmern und Verweigerern keine relevanten t1-Unterschiede mit Blick auf die Gesamtintelligenz (t(42) = 0.03, p = .98) und die Rechenfertigkeiten (t(42) = -0.60, p = .55). In der ersten Klasse waren die teilnehmenden und ausgeschiedenen Kinder der Kontrollgruppe hinsichtlich der Gesamtintelligenz (t(42) = -1.97, p = .11) sowie des Zahlen- und Mengenverständnisses (U = 170.50, z = -1.66, p = .10) zu t1 ebenfalls vergleichbar. Hier wurde der Mann-Whitney-U-Test angewandt, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines t-Tests nicht erfüllt waren.

Durchführung des Förderprogrammes Das hier durchgeführte Training zur Förderung des Zahlen- und Mengenverständnisses basierte auf den Programmen Mathematik im Vorschulalter (Rademacher et al., 2009) und MZZ (Krajewski et al., 2007), wobei der Schwerpunkt auf ersterem (etwa 75 % aller Übungen) lag. Aufgrund der besseren Ergebnisse zur mittelfristigen Wirksamkeit wurde schwerpunktmäßig das Programm Mathematik im Vorschulalter gewählt. Einzelne Lektionen aus dem MZZ wurden ergänzend hinzugefügt, da die sichere Verwendung von Zahlwörtern und Anzahlkonzepten entscheidende mathematische Vorläuferkompetenzen für die Durchführung einfacher Rechenoperationen darstellen (Krajewski et al., 2008). Aus dem MZZ wurden Übungsaufgaben zu numerischen Basiskompetenzen (Zählen und Ziffernkenntnis bis 10) sowie zum Verständnis des Anzahlkonzepts verwendet. Die trainierten Fähigkeitsbereiche aus Mathematik im Vorschulalter umfassten die Visuelle Differenzierungsfähigkeit, das Räumliche Vorstellen, die Mengenauffassung, den Zahlbegriff, Einfache Rechenoperationen, den Umgang mit Symbolen, das Erfassen abstrakt-logischer Zusammenhänge und das Erkennen von Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Eine Übungseinheit dauerte, wie in den Originalprogrammen vorgesehen, etwa 30 bis 40 Minuten. Das Training wurde im Kindergarten von den Erzieherinnen durchgeführt, welche zuvor in einer zweitägigen Schulung mit dem Programm vertraut gemacht worden waren und probeweise Übungen durchgeführt hatten. Nachdem etwa die Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 31–42

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Hälfte des Programmes durchlaufen war, erfolgte eine Supervision durch einen Mitarbeiter direkt vor Ort. Die Erzieherinnen hatten zudem die Möglichkeit, jederzeit telefonische Beratung in Anspruch zu nehmen, was aber wenig genutzt worden ist. Das Training wurde in Kleingruppen, bestehend aus drei bis sechs Kindern, durchgeführt.

Diagnostische Erhebungsverfahren Das Zahlen- und Mengenverständnis wurde zu t1 und t2 mit der Normierungsversion der BUEVA-III erfasst. In diesem Untertest werden folgende Bereiche untersucht: Zählfertigkeiten (vorwärts und rückwärts), Größen- und Mengenerfassung, Zahlenlesen sowie einfache Additionen und Subtraktionen. Letztgenannte Aufgaben können zum Teil durch Abzählen auf den Bildvorlagen gelöst werden, in Teilen ist aber eine Lösung im Kopf bzw. durch Fingerzählen erforderlich. Die zu t1 berechnete interne Konsistenz beträgt α = .87 (n = 1865, Itemzahl: 27). Die Ergebnisse im Zahlen- und Mengenverständnis zu t1 dienten der Überprüfung von Vortestunterschieden im Hinblick auf mathematische Basiskompetenzen zwischen den Versuchsgruppen sowie als Kriterium für die Risikodefinition. Die Ergebnisse im Posttest (t2) wurden zur Prüfung von kurzfristigen Trainingseffekten herangezogen. Zur Ermittlung der Gesamtintelligenz werden in der BUEVA-III die T-Werte aus den Untertests zur nonverbalen und verbalen Intelligenz genutzt. Im Untertest Nonverbale Intelligenz soll ein Kind aus mehreren Alternativen jenes Bild auswählen, welches nicht zu den anderen passt. Der Test Verbale Intelligenz fordert vom Kind, einen Satz zu ergänzen, in dem eine Analogie gebildet werden muss. Die interne Konsistenz der Normierungsversion der BUEVA-III lag für die Gesamtintelligenz zu t1 bei α = .88 (n = 1864, Itemzahl: 53) auf. Die Erfassung der Gesamtintelligenz ermöglichte den Ausschluss intelligenzgeminderter Kinder und eine Überprüfung relevanter Vortestunterschiede zwischen den Versuchsgruppen. Zur Untersuchung längerfristiger Trainingseffekte auf die schulische Mathematikleistung in der ersten Klasse kam zu t3 bzw. t4 der Deutsche Mathematiktest für erste Klassen (DEMAT 1+; Krajewski, Küspert & Schneider, 2002) zum Einsatz, der folgende Untertests enthält: Mengen-Zahlen, Zahlenraum, Addition und Subtraktion, Zahlenzerlegung-Zahlenergänzung, Teil-Ganzes, Kettenaufgaben, Ungleichungen und Sachaufgaben. Die Retestreliabilität wird mit r = .65 angegeben, die interne Konsistenz für den Gesamttest liegt bei α = .89 (Krajewski et al., 2002). Es erfolgte eine eigene Normierung in Schulhalbjahresschritten anhand von 1119 Erstklässlern, da die Originalnormen erst ab dem Ende der ersten Klasse gelten, die © 2018 Hogrefe Verlag


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Tabelle 2. Beschreibung der Trainings- und Kontrollgruppe für die Auswertung der kurzfristigen Wirksamkeit des Präventionsprogrammes (zweiseitige Testung) Trainingsgruppe (n = 32)

Kontrollgruppe (n = 38)

Teststatistik

Alter zu t1 (in Monaten)

M = 60.94 (SD = 3.59)

M = 63.66 (SD = 4.88)

U = 406.50a p = .02

Alter zu t2 (in Monaten)

M = 71.50 (SD = 4.17)

M = 72.84 (SD = 4.72)

t(68) = 1.25 p = .22

Gesamtintelligenz zu t1 (in T-Werten)

M = 42.13 (SD = 5.98)

M = 41.26 (SD = 6.18)

t(68) = -0.59 p = .58

Geschlecht (Anzahl)

15 m (47 %) 17 w (53 %)

21 m (55 %) 17 w (45 %)

χ²(1) = 0.49 p = .48

Anmerkungen: aVoraussetzungen für die Durchführung eines t-Tests nicht erfüllt.

Tabelle 3. Leistungen im Zahlen- und Mengenverständnis (ZMV) im Prä- und Posttest bei den trainierten und untrainierten Risikokindern für die Entwicklung einer RS (Angaben in T-Wert-Punkten) Trainingsgruppe (n = 32)

Kontrollgruppe (n = 38)

Teststatistik

ZMV t1

M = 33.88 (SD = 2.54)

M = 33.68 (SD = 2.60)

t(68) = -0.31 p = .76 a

ZMV t2

M = 40.84 (SD = 6.23)

M = 36.29 (SD = 6.96)

t(68) = -2.86 p = .003 b

t(31) = -5.92 p < .001 a

t(37) = -2.12 p = .04 a

Anmerkungen: ZMV = Zahlen- und Mengenverständnis. azweiseitige Testung. beinseitige Testung.

eigene Stichprobe zu t3 aber im Zeitraum zwischen März und September untersucht wurde. Die Normierungsstichprobe setzte sich dabei aus allen Kindern der SCHUESStudie, die zu t3 die erste Klassenstufe besuchten, zusammen, unabhängig von der Risikodefinition und der Trainingsteilnahme.

Ergebnisse Kurzfristige Wirksamkeit Die Ergebnisse zur kurzfristigen Wirksamkeit der Förderung des Zahlen- und Mengenverständnisses (knapp fünf Wochen nach Abschluss des Trainings) schließen 32 trainierte Kinder mit vollständigen Daten zu t1 und t2 ein. Diese wiesen zwar ein Risiko für die Entwicklung einer RS, nicht jedoch für eine LRS, auf. Aufgrund von Krankheit, Urlaub o. ä. konnte eine Teilnahme aller Kinder der Trainingsgruppe an allen Fördereinheiten nicht realisiert werden. Um eine alltagsnahe Auswertung der Ergebnisse zu ermöglichen, wurden die Kinder, die an mindestens 12 der 22 Fördereinheiten teilnahmen, in die Auswertung einbezogen. Die Anzahl der Fehltage betrug durch© 2018 Hogrefe Verlag

schnittlich 3.4 Tage (SD = 3.5, Min = 0, Max = 10). Der Posttest der Trainingsgruppe fand im Mittel 45 Wochen (Min = 33, Max = 60) nach der t1-Erhebung statt. Die Kontrollgruppe umfasste 38 untrainierte Risikokinder für eine RS, jedoch ohne LRS-Risiko. Der zeitliche Abstand zwischen dem Prä- und Posttest betrug bei den untrainierten Kindern durchschnittlich 39 Wochen (Min = 26, Max = 54). Die Unterschiede zwischen beiden Gruppen hinsichtlich des Alters zu t1 sind durch die Anwendung von altersbezogenen Normwerten für die folgenden Resultate unerheblich. Es gab vor dem Training keine Unterschiede bezüglich der Intelligenz oder des Geschlechterverhältnisses zwischen beiden Gruppen (siehe Tab. 2). In der Trainingsgruppe sprachen 84.4 % ausschließlich Deutsch zu Hause, 12.5 % sprachen neben Deutsch noch eine andere Sprache und 3.1 % sprachen mit den Eltern ausschließlich eine andere Sprache (Kontrollgruppe: 76.3 % ausschließlich Deutsch, 13.2 % bilingual mit Deutsch, 10.5 % keine Angaben). Die Trainings- und Kontrollgruppe unterschieden sich hinsichtlich der mathematischen Leistungen vor dem Training nicht (siehe Tab. 3). Eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit der Gruppenzugehörigkeit (Training/kein Training) als unabhängigem Faktor und dem Erhebungszeitpunkt (prä/post) als Messwiederholungsfaktor wurde Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 31–42


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Tabelle 4. Beschreibung der Trainings- und Kontrollgruppe für die Auswertung der mittelfristigen Wirksamkeit des Präventionsprogrammes (zweiseitige Testung) Trainingsgruppe (n = 15)

Kontrollgruppe (n = 24)

Teststatistik

Alter zu t1 (in Monaten)

M = 60.80 (SD = 3.67)

M = 63.21 (SD = 4.52)

t(37) = 1.74 p = .09

Alter in Klasse 1 (in Monaten)

M = 84.60 (SD = 5.83)

M = 87.04 (SD = 5.50)

t(37) = 1.32 p = .20

Gesamtintelligenz zu t1 (in T-Werten)

M = 44.33 (SD = 5.82)

M = 42.67 (SD = 6.47)

t(37) = -0.81 p = .42

Geschlecht (Anzahl)

7 m (47 %) 8 w (53 %)

12 m (50 %) 12 w (50 %)

χ²(1) = 0.04 p = .84

Tabelle 5. Vergleich der Trainings- und Kontrollgruppe hinsichtlich der mathematischen Fertigkeiten zu t1 und in der ersten Klasse (Angaben in TWert-Punkten) Trainingsgruppe (n = 15)

Kontrollgruppe (n = 24)

Teststatistik

ZMV t1

M = 33.87 (SD = 2.33)

M = 32.92 (SD = 2.88)

t(37) = -1.07 p = .29a

Rechnen 1. Klasse

M = 41.60 (SD = 7.35)

M = 37.79 (SD = 9.30)

t(37) = -1.34 p = .09b

t(14) = -3.94 p = .001a

t(23) = -2.62 p = .02a

Anmerkungen: ZMV = Zahlen- und Mengenverständnis. azweiseitige Testung. beinseitige Testung.

angewendet. Sie ergab einen signifikanten Haupteffekt der Zeit (F(1, 68) = 30.95, p < .001), einen signifikanten Haupteffekt der Gruppe (F(1, 68) = 7.85, p = .007) und einen signifikanten Interaktionseffekt Gruppe x Zeit (F(1, 68) = 6.43, p = .014) für die Leistungen im Zahlenund Mengenverständnis. Die Kinder der Trainingsgruppe konnten sich diesbezüglich von einem unterdurchschnittlichen auf ein durchschnittliches Niveau verbessern (von 34 auf 41 T-Wert-Punkte); die mathematischen Fertigkeiten der Kontrollgruppe hingegen blieben trotz signifikanter Leistungssteigerung im unterdurchschnittlichen Bereich. Die Analysen mittels t-Tests zeigten einen signifikanten Unterschied zwischen Trainings- und Kontrollgruppe hinsichtlich des Zahlen- und Mengenverständnisses im Posttest (siehe Tab. 3). Die um Vortestunterschiede korrigierte Effektstärke betrug d = 0.61, was als mittlerer Effekt zu interpretieren ist.

Mittelfristige Wirksamkeit Für die Berechnungen zur mittelfristigen Wirksamkeit der Zahlen- und Mengenförderung liegen vollständige Daten des DEMAT 1+ von 15 geförderten Risikokindern für die Entwicklung einer RS und 24 ungeförderten Risikokindern vor. Die Follow-up-Erhebung fand für die regulär Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 31–42

eingeschulten Trainingskinder durchschnittlich 51 Wochen (Min = 38, Max = 70), für die Rücksteller 98 Wochen (Min = 92, Max = 108) nach dem Posttest statt. Die regulär eingeschulten Kinder der Kontrollgruppe nahmen am Follow-up durchschnittlich 55 Wochen (Min = 47, Max = 70), die zu t4 getesteten Erstklässler 94 Wochen (Min = 81, Max 106) nach der t2-Erhebung teil. Für die Gesamtintelligenz zu t1, das Alter der Kinder in der ersten Klasse und das Geschlechterverhältnis waren beide Gruppen vergleichbar. Die tendenziellen Unterschiede zwischen beiden Gruppen hinsichtlich des Alters zu t1 sind durch die Anwendung von altersbezogenen Normwerten für die folgenden Resultate unerheblich (siehe Tab. 4). Die verbleibenden Teilnehmer in der Trainingsgruppe und in der Kontrollgruppe wiesen vor dem Training vergleichbare Werte in den mathematischen Kompetenzen auf. Die Trainingsgruppe konnte sich von einem unterdurchschnittlichen auf ein durchschnittliches Niveau verbessern (von 34 auf 42 T-Wert-Punkte); die Kinder der Kontrollgruppe blieben weiterhin im unterdurchschnittlichen Leistungsbereich (siehe Tab. 5). Zur Überprüfung der Wirksamkeit des Trainings kam eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit der Gruppenzugehörigkeit (Training/ kein Training) als unabhängigen Faktor und dem Erhebungszeitpunkt (prä/follow-up) als Messwiederholungsfak© 2018 Hogrefe Verlag


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tor zur Anwendung. Der Vergleich der geförderten und nicht-geförderten RS-Risikokinder ergab einen signifikanten Haupteffekt der Zeit (F(1, 37) = 19.89, p < .001), einen nicht signifikanten Haupteffekt Gruppe (F(1, 37) = 2.35, p = .13) sowie einen nicht signifikanten Interaktionseffekt Gruppe x Zeit (F(1, 37) = 1.02, p = .32) für die mathematischen Leistungen. Die Folgeanalysen (t-Tests) deckten auf, dass sich Trainings- und Kontrollgruppe im Follow-up nicht signifikant voneinander unterschieden und beide Versuchsgruppen einen signifikanten Anstieg der Rechenleistung von t1 zur ersten Klasse verzeichneten. Abschließend wurde die Häufigkeit der Rechenschwächen zum Follow-up-Zeitpunkt analysiert. In der Trainingsgruppe zeigten 7 von 15 Kindern eine Rechenschwäche (T-Wert < 40 im DEMAT 1+), während in der Kontrollgruppe 14 von 24 Kinder eine Rechenschwäche aufwiesen (46.7 % vs. 58.3 %). Das relative Risiko betrug 1.25, d. h. das Risiko eine Rechenschwäche zu entwickeln, war in beiden Versuchsgruppen etwa gleich groß. Bei der Berechnung des eindimensionalen Chi-Quadrat-Tests wurde die Verteilung in der Kontrollgruppe als Referenz für jene in der Trainingsgruppe herangezogen. Der Unterschied in der Verteilung war nicht signifikant (χ²(1) = 0.84, p = .18, einseitige Testung). Hinsichtlich der „echten“ umschriebenen Rechenstörungen im Sinne der ICD-10 (T-Wert im Rechnen ≤ 35 und Diskrepanz von 1.5 SD zur Gesamtintelligenz) waren in der vorliegenden Stichprobe zu wenige Kinder enthalten, um aus den Unterschieden zwischen Trainings- und Kontrollgruppen weitreichende Schlussfolgerungen zur Trainingswirksamkeit zu ziehen. In der Trainingsgruppe wurde im zweiten Halbjahr der ersten Klasse ein Kind mit einer Rechenstörung diagnostiziert, wohingegen in der Kontrollgruppe vier Betroffene die Kriterien erfüllten.

Diskussion Kurzfristige Trainingseffekte Kinder mit einem Risiko für die Entwicklung einer RS, die im letzten Kindergartenjahr spezifisch gefördert worden waren, profitierten bei mittlerer Effektstärke kurzfristig von der vorschulischen Präventionsmaßnahme. Die mittleren Leistungen der geförderten Risikokinder verbesserten sich im direkt nach dem Training durchgeführten Test zum Zahlen- und Mengenverständnis um sieben T-WertPunkte und lagen somit im Normbereich, während die Resultate der ungeförderten Risikokinder unterhalb der Norm blieben. Dieser Befund ist konsistent mit Studien, die Kindergartenkinder ohne anfängliche mathematische Defizite untersuchten (Krajewski et al., 2008; Radema© 2018 Hogrefe Verlag

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cher et al., 2005; Quaiser-Pohl, 2008), als auch mit solchen, die ebenfalls Risikokinder evaluierten (Ennemoser et al., 2015; Van de Rijt & Van Luit, 1998; Van Luit & Schopman, 2000). Bei Van Luit und Schopman (2000) wurde nur ein Trainingseffekt auf die basisnumerischen Fertigkeiten gefunden, allerdings nicht bezüglich des Transfers auf Rechenleistungen. Die Autoren verwendeten eine Risikodefinition von PR ≤ 25 (statt wie hier PR ≤ 10), der Schwerpunkt des eingesetzten Programmes lag auf dem Zählenlernen und die Nachtestungen wurden eine Woche nach Trainingsende durchgeführt. In Einklang mit der Studie von Ennemoser und Kollegen (2015) deckten die vorliegenden Daten eine mittlere Effektstärke für den kurzfristigen Trainingseffekt bei Risikokindern für die Entwicklung einer Rechenstörung auf.

Mittelfristige Trainingseffekte In der zweiten Hälfte des ersten Schuljahres konnte kein signifikanter mittelfristiger Trainingseffekt der vorschulischen Präventionsmaßnahme nachgewiesen werden. Die für die Entwicklung einer Rechenstörung gefährdeten trainierten Kinder zeigten im ersten Schuljahr keine besseren Rechenleistungen als die Kontrollgruppe. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit der Studie von Krajewski und Mitarbeitern (2008), die keinen mittelfristigen Fördereffekt des MZZ auf die rechnerischen Kompetenzen bei Kindern ohne Risikostatus finden konnten. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie widersprechen den Untersuchungen von Quaiser-Pohl (2008), die mit einer Nichtrisikostichprobe arbeitete, und denen von Ennemoser und Kollegen (2015) sowie von Van de Rijt und Van Luit (1998), welche Risikostichproben analysierten und mittelfristige Trainingseffekte bis zu 12 Monate nach Trainingsende nachwiesen. Ein möglicher Grund für den ausbleibenden mittelfristigen Trainingseffekt könnte darin liegen, dass das Präventionsprogramm in der vorliegenden Studie zwar einfache Additions- und Subtraktionsaufgaben beinhaltete, allerdings waren diese nicht der Hauptschwerpunkt der Förderung. In der ersten Klasse wurden jedoch mit dem DEMAT 1+ vorwiegend Fertigkeiten beim Addieren und Subtrahieren getestet. Zudem handelte es sich in der vorliegenden Studie um eine kleine Stichprobe von Erstklässlern. Erfolgversprechend erscheint in diesem Zusammenhang die Verbesserung der Rechenleistungen der trainierten Risikokinder von einem unterdurchschnittlichen auf ein durchschnittliches Niveau; die mathematischen Fertigkeiten der Kontrollgruppe hingegen blieben trotz signifikanter Leistungssteigerung im unterdurchschnittlichen Bereich. In Bezug auf die Untersuchung von Rechenschwächen (T-Wert < 40) fand sich im zweiten Halbjahr des ersten Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 31–42


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Schuljahres kein Unterschied in der Verteilung zwischen Trainings- und Kontrollgruppe.

Methodische Limitationen Trotz der positiven Ergebnisse bezüglich der kurzfristigen Wirksamkeit des Trainingsprogrammes zur Förderung des Zahlen- und Mengenverständnisses muss auf folgende kritische Punkte hingewiesen werden: a) Die Zuordnung zur Experimental- und Kontrollgruppe konnte nicht zufällig erfolgen, da für die Durchführung der Trainingsmaßnahme ein hohes Engagement der Kindergärten erforderlich war. b) Bedingung für den Einschluss in die Trainingsgruppe war, dass die Kinder mindestens an der Hälfte der Präventionssitzungen teilnahmen. Diese vergleichsweise niedrig angesetzte Grenze war notwendig, um möglichst wenige Kinder aus der Analyse auszuschließen. Möglicherweise würde der Effekt des Trainings höher ausfallen, wenn strengere Kriterien für die Teilnahmequote angesetzt worden wären. Als einziger Vergleich kann hier die Teilnahmequote von Rademacher und Kollegen (2005) herangezogen werden, die bei 62.5 % lag. c) Es wurde nicht überprüft, ob und welche konkreten Fördermaßnahmen die Kinder der Kontrollgruppe erhielten. Genaue Informationen zu den eingesetzten Maßnahmen würden differenziertere Aussagen zur Wirksamkeit bzw. Wirkungslosigkeit ermöglichen. Die Eltern aller Teilnehmer sind nach jeder Testung ausführlich über die persönlichen Ergebnisse ihrer Kinder, wie auch über Möglichkeiten zur weiterführenden Diagnostik und Behandlung informiert worden. Relativ zum natürlichen Setting, in dem Eltern ohne eine aktive Vorstellung ihres Kindes in Behandlungseinrichtungen keine testpsychologischen Rückmeldungen über deren Leistungsstand bekommen, handelt es sich daher möglicherweise um eine optimistischere Verlaufseinschätzung für die unbehandelte Kontrollgruppe. d) Der Stichprobenumfang der untersuchten Gruppen war sehr gering. Selbst unter Berücksichtigung der vom Schulbesuch der zurückgestellten Kinder war die DropOut-Rate sehr hoch (Trainingsgruppe: 55.9 %, Kontrollgruppe: 45.5 %). Die Drop-Out-Analyse für die Follow-up-Untersuchung hatte ergeben, dass die dabeigebliebenen Trainingskinder zu t1 eine bessere Gesamtintelligenz aufwiesen als die ausgeschiedenen Trainingskinder. Somit ist möglich, dass die Trainingseffekte über- oder unterschätzt wurden. Eine Überschätzung ist denkbar, da die höhere Auffassungsgabe im Regelfall auch mit besserer Merkfähigkeit und gesteigerten Arbeitsgedächtnisleistungen einher geht, Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 31–42

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was eine bessere Übertragung des Gelernten auf den Alltag erwarten lässt. Auf der anderen Seite zeigten die weiter teilnehmenden Kinder trotz ihrer besseren intellektuellen Fähigkeiten genauso schlechte Leistungen im Zahlen- und Mengenverständnis, wie die ausgeschiedenen Trainingsteilnehmer. Es könnte sich also bei den Dabeigebliebenen um Kinder mit einer tiefgreifenderen Störung der basisnumerischen Funktionen handeln, die möglicherweise durch eine kurze Gruppenintervention vergleichsweise geringere Fortschritte zeigen. Die Gründe für die Nichtteilnahme an der Testung in der ersten Klasse waren für die Trainingskinder die folgenden: 42 % der Eltern gaben keine Informationen zur besuchten Schule (KG: 25 %), 26 % konnten aufgrund von Krankheit, Urlaub o. ä nicht am Follow-up teilnehmen (KG: 30 %), weitere 26 % der Eltern hatten das Einverständnis entzogen (KG: 35 %) und 6 % waren verzogen (KG: 10 %). e) Da die Trainingsgruppe lediglich mit einer Gruppe untrainierter Kinder verglichen wurde, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei den Fördereffekten um Zuwendungseffekte handelte. f) Ein wichtiger Kritikpunkt der vorliegenden Untersuchung sind die langen Erhebungszeiträume von t1. Die Präventionsstudie war eingebettet in eine große epidemiologische Studie, die zu Beginn knapp 1900 Kinder umfasste. Damit ließen sich angesichts umfangreicher Individualtestungen pro Kind Untersuchungszeiträume von mehreren Monaten nicht vermeiden. Die Vortestung der Trainingsgruppe erstreckte sich von April bis Oktober 2011 (wobei 72 % davon im vorletzten Kindergartenjahr, also vor dem 14. August 2011, getestet wurden). Die Kontrollgruppe wurde zwischen April und Dezember 2011 (davon 50 % im vorletzten Kindergartenjahr) getestet. Der Großteil der Kinder wurde somit im vorletzten Kindergartenjahr untersucht. Der Abstand zwischen dem Vortest und dem Beginn der Trainings betrug zwischen 14 und 39 Wochen (M = 27.3, SD = 7.5). Alle Präventionsmaßnahmen haben zeitgleich im Januar/Februar 2012 begonnen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Kinder, die zu Beginn der Vortests im Frühling 2011 untersucht wurden, sich allein durch die natürliche Entwicklung in ihren mathematischen Basiskompetenzen verbesserten. Aus diesem Grund wurde die Analyse zur kurzfristigen Wirksamkeit mit Kindern, die ausschließlich im letzten Kindergartenjahr im Vortest untersucht worden waren, erneut durchgeführt (Testung zwischen 14. August und Dezember 2011). Hierbei blieben neun geförderte und 19 ungeförderte Risikokinder übrig. Es zeigten sich keine Vorgruppenunterschiede hinsichtlich der mathematischen Kompetenzen (t(26) = -0.37, p = .72). Die zweifaktorielle Varianzanalyse (mit dem Messwiederho© 2018 Hogrefe Verlag


S. Moraske et al., Prävention von Rechenstörungen

lungsfaktor prä/post) ergab einen signifikanten Haupteffekt der Zeit (F(1, 26) = 14.67, p = .001), einen nicht signifikanter Haupteffekt der Gruppe (F(1, 26) = 3.64, p = .07) und einen nicht signifikanten Interaktionseffekt Gruppe x Zeit (F(1, 26) = 2.89, p = .10) für die Leistungen im Zahlen- und Mengenverständnis. Allerdings wies die Trainingsgruppe nach dem Training signifikant bessere Leistungen im Zahlen- und Mengenverständnis auf als die Kontrollgruppe (t(26) = -1.90, p = .03, d = 0.62), wobei die Effektstärke im mittleren Bereich lag. Die trainierten Kinder konnten sich in den Leistungen des Zahlen- und Mengenverständnisses signifikant von einem unterdurchschnittlichen auf ein durchschnittliches Niveau verbessern (von 34 auf 41 T‐Wertpunkte, t(8) = -4.03, p < .01). Die Leistungen der untrainierten Kinder hingegen blieben bei einer Entwicklung von 34 auf 37 T-Wert-Punkte im unterdurchschnittlichen Bereich (t(18) = -1.76, p = .10). Somit wurde auch bei den zu t1 im letzten Kindergartenjahr untersuchten Kindern ein kurzfristiger Fördereffekt nachgewiesen. Die Verbesserungen beider Versuchsgruppen aus dem letzten Kindergartenjahr entsprachen also – gemessen an den Mittelwerten – etwa denen der Gesamtstichprobe.

Ist die Anwendung einer Präventionsmaßnahme zur Förderung des Zahlen- und Mengenverständnisses sinnvoll, um Rechenstörungen zu verhindern? Insgesamt lässt sich konstatieren, dass das Präventionsprogramm zur Förderung des Zahlen- und Mengenverständnisses bei den untersuchten Risikokindern zu positiven kurzfristigen Effekten führte. Es wurde jedoch kein signifikanter mittelfristiger Trainingseffekt bis in die ersten Klasse gefunden. Aufgrund der geringen Stichprobenumfänge und der hohen Drop-out-Raten sind die eigenen Resultate jedoch mit Vorsicht zu betrachten. Mögliche Ursachen für die fehlenden mittelfristigen Effekte könnten die zu kurze Dauer der Programme, das Fehlen wichtiger zu fördernder Kompetenzbereiche und die Überlagerung von Präventionseffekten mit Unterschieden in der schulischen Förderung, die oft gerade in der Schuleingangsphase besonders groß ausfallen, sein. Es soll in weiterführenden Untersuchungen ermittelt werden, ob sich in der zweiten und dritten Klasse langfristige Trainingseffekte für die Risikokinder aufzeigen lassen. Dies ist insbesondere auch deshalb von hoher Bedeutung, weil Rechenstörungen, die ab der zweiten Klasse auftreten, als besonders stabil gelten (z. B. Kohn et al., 2013a).

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Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 31–42

S. Moraske et al., Prävention von Rechenstörungen

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Die Balance zwischen online und offline

Isabel Willemse

Onlinesucht Ein Ratgeber für Eltern, Betroffene und ihr Umfeld 2016. 160 S., 11 Abb., 7 Tab., Kt € 19,95 / CHF 26.90 ISBN 978-3-456-85542-4 Auch als eBook erhältlich

Smartphones, Tablets und Laptops sind zu unseren ständigen Begleitern geworden, wir verbringen unsere Freizeit in Sozialen Netzwerken wie Instagram oder Facebook, mit dem Verschicken von Bildern oder Textnachrichten und mit Videogames. Ein Großteil der Jugendlichen und Erwachsenen beweist einen kompetenten und vernünftigen Umgang mit diesen Gadgets und kann sich problemlos zwischen digitaler und analoger Welt hin und her bewegen. Aber es gibt auch einen kleinen Teil, dem das nicht gelingt. Wenn die exzessive Mediennutzung negative Auswirkungen hat auf das Sozialleben und Hobbys, den Beruf oder die Ausbildung und allenfalls auch die Gesundheit, dann könnte es sich um eine Onlinesucht

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handeln. Hierbei handelt es sich um eine sehr neue Diagnose, die noch nicht in den offiziellen Diagnoseinstrumenten vorhanden ist. Nichtsdestotrotz wird sie von Eltern, Betroffenen und ihrem Umfeld erkannt und in der Beratungspraxis regelmäßig angetroffen. Der Ratgeber wird in einem theoretischen Teil eine allgemeine Einführung in die Mediennutzung geben, aber vor allem das Störungsbild genau beschreiben. Hierzu gehören die Diagnosekriterien, Verbreitung, Ursachen und auch Begleiterkrankungen. Der praktische Teil enthält viele konkrete Vorschläge für Bezugspersonen und Betroffene im Umgang mit Onlinesucht.


DRT 4

Lautarium

Diagnostischer Rechtschreibtest für 4. Klassen

Ein computerbasiertes Trainingsprogramm für Grundschulkinder mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten

3., aktualisierte und neu normierte Auflage M. Grund / R. Leonhart / C. L. Naumann

M. Klatte / C. Steinbrink / K. Bergström / T. Lachmann

Reihe: Hogrefe Schultests herausgegeben von: M. Hasselhorn / W. Schneider / U. Trautwein

Reihe: Hogrefe Förderprogramme

Einsatzbereich: Der DRT 4 ist für die Monate Oktober bis Januar der 4. Klasse normiert. Das Verfahren kann als Gruppentest in der Schule und als Einzeltest in der therapeutischen Beratung eingesetzt werden. Das Verfahren: Der DRT 4 hat eine doppelte Zielsetzung: 1. Er misst objektiv die Rechtschreibleistung eines Schülers. Aufgrund der guten Differenzierung im unteren Leistungsbereich ist der Test insbesondere für die Diagnose von Rechtschreibschwierigkeiten geeignet. 2. Der DRT 4 ermittelt spezifische Fehlerschwerpunkte in folgenden Bereichen: Lautunterscheidung und Lautfolge, Buchstabenverbindungen (st/sp, pf, qu), Dopplung/Dehnung, Morphemkonstanz in verschiedenen Wortformen, Ableitung des ä von a und des Endbuchstabens durch Verlängern, das Präfix ver-, Groß- und Kleinschreibung. Auf diesen Grundlagen kann über die Notwendigkeit und die Art einer Förderung entschieden und ihr Erfolg kontrolliert werden. Der DRT 4 liegt in zwei Parallelformen mit je 42 Wörtern vor, die nach Diktat in Lückensätze eingetragen werden. Für die 3., aktualisierte und neu normierte Auflage wurde das Verfahren an einer Stichprobe von 2.055 Schülern aus 12 Bundesländern neu normiert.

Das Verfahren: Lautarium ist ein computerbasiertes Trainingsprogramm zur Förderung von Grundschulkindern mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Das Programm umfasst insgesamt 58 aufeinander aufbauende Übungen zur Phonemwahrnehmung (Diskrimination und Identifikation von Konsonanten und Vokallängen), phonologischen Bewusstheit (Laute in Wörtern erkennen, Laute zu Wörtern verbinden, Wörter in Laute zerlegen), Graphem-Phonem-Zuordnung sowie zum lautgetreuen Lesen und Schreiben und zur schnellen Worterkennung („Blitzlesen“). Interaktive Instruktionen und eine adaptive Aufgabenabfolge erleichtern die selbstständige Durchführung. Zur Motivation werden richtige Antworten mit virtuellen Talern belohnt, sodass Objekte für ein animiertes Aquarium „eingekauft“ werden können. Trainingsstand und -verlauf des Kindes können anhand übersichtlich aufbereiteter Ergebnisstatistiken eingesehen werden. Die Wirksamkeit des Lautarium-Trainings wurde in mehreren empirischen Studien bestätigt. Drittklässler mit Lese-Rechtschreibstörung sowie Erst- und Zweitklässler mit und ohne Lese-Rechtschreibschwierigkeiten zeigten nach dem Training im Vergleich zu Kontrollgruppen signifikant stärkere Verbesserungen phonologischer und schriftsprachlicher Leistungen (inkl. USBStick).

Bearbeitungsdauer: Im Durchschnitt ca. 15 Minuten. 50 857 01 Test komplett 04 156 01 Test komplett

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Freier Beitrag

Wirksamkeitsüberprüfung einer kinderpsychiatrischen Eltern-Kind-Station unter klinischen Routinebedingungen Stefanie Krause, Ulrike Röttger, Kerstin Krauel und Hans-Henning Flechtner Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Kindes- und Jugendalters, Otto-von-Guericke Universität Magdeburg Zusammenfassung: Vor dem Hintergrund der komplexen Wechselwirkung zwischen der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen im Kindesalter einerseits und familiären Kontextbedingungen andererseits, bieten Eltern-Kind-Stationen die vielversprechende Möglichkeit das familiäre Umfeld intensiv in die kinderpsychiatrische Behandlung mit einzubeziehen. Um die Wirksamkeit dieser speziellen Therapieform zu untersuchen, wurden im Rahmen einer monozentrischen Fragebogenstudie unter klinischen Routinebedingungen im EinGruppen-Prä-Post-Design anhand einer Stichprobe von 60 Familien die kindliche Symptombelastung (CBCL) und das elterliche Stresserleben (ESF) zu drei Zeitpunkten (Diagnostikblock, Beginn Therapieblock, Therapieende) erhoben. Während sich in der Wartezeit bis Therapiebeginn keine bedeutsamen Veränderungen zeigten, reduzierten sich im Verlauf der Behandlung sowohl die kindlichen Verhaltensauffälligkeiten als auch das elterliche Stresserleben signifikant. Damit liefern die vorliegenden Ergebnisse nicht nur einen Hinweis auf die therapeutische Effektivität kinderpsychiatrischer Eltern-Kind-Stationen, sondern untermauern bisherige Untersuchungen zur engen Verzahnung von kindlichen Verhaltensauffälligkeiten und elterlichen Stresserleben. Schlüsselwörter: Eltern-Kind-Behandlung, Eltern-Kind-Station, Therapieeffekte, klinische Implementationsforschung

Efficacy of a Parent–Child Psychiatric Unit Under Clinical Routine Conditions Abstract: Owing to the complex interaction between children’s mental health and the family context, parent–child units offer the promising opportunity of deeply involving the family environment in child psychiatric treatment. In clinical practice, parent–child units normally entail increased expenditure and higher costs, thus raising questions about the efficacy and effectiveness of this special form of therapy. The parent–child psychiatric unit in Magdeburg offers diagnostic and treatment blocks for seven children (age range 1½–8 years) and their parents, who accompany their children for the duration of the stay. Admission to the ward can be realized on an in-patient or day-patient basis. The concept includes a multiprofessional treatment setting with an intensive and dynamic focus on the quality of the child–parent relationship and interaction and not solely concentrating on the children’s illness. The aim is to change children’s behavioral problems and significantly reduce parental stress levels. Treatment consists of a 3-week diagnostic phase, after which families are discharged to their home environment followed by a 5-week therapy block, for which the families are readmitted to the ward. The integrative, multimodal treatment concept of this model-like ward with its interdisciplinary team employs different therapeutic elements from depth psychology, systemic, behavioral, behavioral-oriented, and mentalization-based therapy approaches. An interdisciplinary interaction and relation-based technique is used, which includes primarily interventions directed toward a positive change of dysfunctional intrafamilial behavioral and interaction patterns. To investigate treatment effects, children’s symptoms were assessed with the CBCL (Child Behavior Checklist) and symptoms of parental stress with the PSQ (Parental Stress Questionnaire) at three different time points. The study was run under routine clinical conditions in a group pretest–posttest design (diagnostic block, start of therapy, and end of therapy) with a total sample of 60 families. Control variables were the subjectively reported duration of children’s symptoms as well as the waiting period between the diagnostic and therapy phases. During the waiting time between the diagnostic and therapy block, for which the families were discharged to their home environment, no significant effects were observed, as expected. In accordance with the a priori hypothesis, children’s behavioral problems decreased in the course of the parent–child treatment, which is in accordance with previous findings from similar model wards. For the first time, however, a significant change in parental stress experience was demonstrated, showing the greatest effect size compared with changes in children’s behavioral problems. Overall, these results support the currently available research on the efficacy of parent– child treatment approaches and provide important information for the therapeutic efficacy of child psychiatric parent–child units. Furthermore, they underline the findings from existing studies on the close interaction of children’s symptoms and parental stress. Keywords: parent–child interaction therapy, parent–child unit, treatment outcome, clinical implementation research

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Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 43–53 https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000243


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S. Krause et al., Wirksamkeitsüberprüfung einer kinderpsychiatrischen Eltern-Kind-Station unter klinischen Routinebedingungen

Die zentrale Bedeutung von familiären Bedingungen für die kindliche Entwicklung bildet sich in zahlreichen Studien ab (Achtergarde et al., 2015; Klöpper, 2005; Postert et al., 2012; Plass et al., 2016; Dumas & LaFreniere, 1993). Insbesondere Erkenntnisse aus der Säuglings- und Kleinkindforschung zeigten der psychotherapeutischen Behandlung von frühen psychischen Störungen neue Perspektiven auf und fokussierten einen interaktions- und beziehungszentrierten Ansatz (Klöpper, 2005; Papousek & Wollwerth de Chuquisengo, 2006; Romer, 2011; Stern, 2004). Vor allem psychische Auffälligkeiten der Eltern, ein erhöhtes elterliches Stresserleben infolge abnormer psychosozialer Lebensumstände sowie dysfunktionale Erziehungsmethoden können dazu führen, dass die Eltern-Kind-Interaktion nicht mehr in angemessener Weise stattfindet und ein „Teufelskreislauf“ von elterlicher Überforderung, Hilflosigkeit, Beziehungsproblematik und kindlicher Symptomatik entsteht (Cina & Bodenmann, 2009; Crnic & Low, 2002; Stadelmann et al., 2010; Stein et al., 1991). Bereits Kinder im Säuglings- und Kleinkindalter reagieren hochgradig sensibel auf ihr zwischenmenschliches Umfeld und können die negativen Verhaltens- und Interaktionsmuster ihrer Eltern übernehmen (Bowlby, 1982; Field et al., 1990; Meltzoff & Moore, 1983; Murray, 1988), was das Risiko einer Fehlanpassung kindlicher Entwicklungsprozesse birgt und im Zusammenhang mit der Entwicklung und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen im Kindesalter steht (Avan et al., 2010; Cox et al., 1987; Laucht, Esser & Schmidt, 1994; Stein et al., 1991; Murray & Cooper, 1997). Interaktions- und Beziehungsstörungen auf der ElternKind-Ebene sind jedoch nicht nur mit psychischen Störungen der Kinder verbunden, sondern gehen häufig auch mit einem erhöhten Stresserleben auf Seiten der Eltern einher (Dumas et al., 1991; Gabriel & Bodenmann, 2006; Morgan, Robinson & Aldrige, 2002; Podolski & Nigg, 2001). Bei der Entstehung und Aufrechterhaltung wird dabei von einem multifaktoriellen Bedingungsgefüge mit sich wechselseitig bedingenden dysfunktionalen Interaktions- und Kommunikationsprozessen ausgegangen (Achtergarde et al., 2015; Hall, 1996; Mash & Johnston, 1990). Ein erhöhtes elterliches Stresserleben wird sowohl mit negativen Auswirkungen auf die Elternfunktion als auch mit der Entwicklung von kindlichen Verhaltensstörungen infolge einer Entgleisung der Eltern-Kind-Interaktion in Zusammenhang gebracht (Deater-Deckard, 1998; Crnic, Gaze & Hoffmann, 2005). In den vergangenen Jahren wurden daher voll- und teilstationäre Eltern-Kind-Therapiekonzepte entwickelt, die sowohl im Fachgebiet der Erwachsenpsychiatrie als auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie angesiedelt sind und gemeinsam den Schwerpunkt der Eltern-Kind-Interaktion verfolgen (Abroms, Fellner & Whitaker, 1971; Asen et al., 1982; Furniss et al., Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 43–53

2013; Grunebaum et al., 1963; Lynch, Steinberg & Ounsted, 1975; Postert et al., 2014; Scholz et al., 2002; Wortmann-Fleischer, von Einsiedel & Downing, 2012). In der klinischen Praxis können Eltern-Kind-Stationen jedoch mit einem erhöhten wirtschaftlichen Aufwand verbunden sein, sodass sich die Frage nach der Effektivität und Effizienz dieser speziellen Behandlungsform stellt. Bereits familientherapeutischen Behandlungsansätzen wurde für Störungen im Kindes- und Jugendalter eine therapeutische Effektivität nachgewiesen (Cottrell, 2003; Dunst & Trivette, 2009; McDonell & Dyck, 2004; Scholz et al., 2005; Retzlaff, Brazil & Goll-Kopka, 2008). Darüber hinaus wurde auch die Wirksamkeit von ambulanten interaktionszentrierten Eltern-Kind-Therapieprogrammen (Dishion et al., 2008; Eisenstadt et al., 1993; McIntyre, 2008; Neander & Engström, 2009; Phillips et al., 2008; Thomas & Zimmer-Gembeck, 2007) sowie die Effektivität der gemeinsamen stationären Behandlung von psychisch erkrankten Müttern unter Einbezug ihrer Säuglinge (Cohen et al., 2002; Murray et al., 2003) aufgezeigt. Demgegenüber liegen vergleichsweise wenige wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit kinderpsychiatrischer Eltern-Kind-Stationen vor, bei denen primär die psychische Erkrankung des Kindes im Behandlungsfokus steht und die Eltern als Begleitperson während der gesamten Behandlung mit einbezogen werden. Die vorliegende Studie versucht an die bereits veröffentlichten Arbeiten zum aktuellen Forschungsgegenstand anzuknüpfen. Beispielsweise wiesen Müller et al. (2015) für Klein- und Vorschulkinder eine signifikante Verbesserung der kindlichen Symptombelastung durch die Eltern-Kind-Behandlung in der Familientagesklinik Münster anhand der CBCL 1½-5 im Prä-Post-Vergleich nach. In einer Folgestudie (Liwinski, Romer & Müller, 2015) wurde ein positiver Effekt auf die mütterliche Symptombelastung (SCL-90-R) nach gemeinsamer ElternKind-Behandlung aufgezeigt. Ise et al. (2015) berichteten bedeutsame Veränderungen im elterlichen Erziehungsverhalten und Belastungserleben nach einer vierwöchigen stationären Kurzzeittherapie auf der kinderpsychiatrischen Eltern-Kind-Station in Köln. Die Effekte zeigten sich dabei in der Follow-up-Messung vier Wochen nach Entlassung als stabil. Hingegen ließen sich in der Wartezeit (4 Wochen vor Aufnahme) keine bedeutsamen Veränderungen feststellen. Ferner konnten Besier et al. (2011) kurz- und mittelfristige Therapieeffekte einer stationären, interaktionszentrierten Eltern-Kind-Rehabilitationsbehandlung für die Altersbereiche 0 bis 17 Jahre nachweisen. Im Vergleich zur Wartezeit (4 Wochen vor Behandlungsbeginn) zeigten sich zum Zeitpunkt der Entlassung signifikante Veränderungen in der psychischen Symptombelastung und Lebensqualität von Eltern und Kindern, wobei die Effekte über den Katamnesezeitraum © 2018 Hogrefe Verlag


S. Krause et al., Wirksamkeitsüberprüfung einer kinderpsychiatrischen Eltern-Kind-Station unter klinischen Routinebedingungen

von drei Monaten nach Beendigung der Behandlung persistierten.

Fragestellung Das Konzept der kinderpsychiatrischen Eltern-Kind-Station in Magdeburg bietet psychisch erkrankten Kindern und deren Familien ein multiprofessionelles Behandlungssetting, welches intensiv und dynamisch an die Qualität der Eltern-Kind-Interaktion und nicht isoliert an die kindliche Störung angepasst ist, um hierüber eine Verminderung der kindlichen Verhaltensauffälligkeiten und elterlichen Stressbelastung zu erzielen. Für die Wirksamkeitsüberprüfung der Eltern-Kind-Behandlung ergibt sich daraus die Kernfragestellung, inwieweit sich durch die kinderpsychiatrische Eltern-Kind-Behandlung positive Veränderungen auf Kind- und Elternebene erzielen lassen. Im Vergleich zu bisherigen Arbeiten sollte, zusätzlich zur kindlichen Symptomatik, erstmalig das subjektive elterliche Stresserleben Gegenstand der Untersuchung sein, da laut aktuellem Forschungsstand eine enge Verzahnung zwischen kindlichen Verhaltensauffälligkeiten und elterlichem Stresserleben anzunehmen ist. Wir erwarteten, dass im Zeitraum ohne Behandlung keine signifikanten Veränderungen auftreten, wohingegen sich im Verlauf der interaktionszentrierten Eltern-Kind-Therapie die kindlichen Verhaltensauffälligkeiten und das elterliche Stresserleben signifikant reduzieren sollten.

Beschreibung der Eltern-Kind-Behandlung Die kinderpsychiatrische Eltern-Kind-Station in Magdeburg bietet Behandlungsplätze für sieben Kinder im Alter von 1 ½ bis 8 Jahren und deren Eltern, die ihre Kinder während des gesamten Klinikaufenthaltes begleiten. Die Behandlung unterteilt sich in eine dreiwöchige Diagnostikphase, nach der die Familien wieder in das häusliche Umfeld entlassen werden, sowie eine fünfwöchige Therapiephase, für die die Familien neu aufgenommen werden. Das integrative, multimodale Behandlungskonzept der Modellstation mit seinem interdisziplinären Team vereint unterschiedliche Therapieelemente aus der tiefenpsychologischen, systemischen, verhaltensorientierten, bindungsorientierten und mentalisierungsbasierten Psychotherapie. Verfolgt wird ein interdisziplinärer interaktions- und beziehungsfokussierter Ansatz, der primär Interventionen einschließt, die auf eine positive Veränderung dysfunktionaler intrafamiliärer Verhaltens- und Interaktionsmuster ausgerichtet sind. Kernbausteine der Eltern-Kind-Behandlung sind therapeutische Einzel-, El© 2018 Hogrefe Verlag

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tern- und Familiengespräche, Eltern-Kind-Spieltraining, Eltern-Kind-Yoga, entwicklungsorientierte Eltern-KindGruppen (Multifamilientherapie) mit videogestützten Interaktionsübungen, Eltern-Kind-Snoezelen, Alltagstraining sowie pädagogisch-therapeutische Kinder- und Elterngruppen. Die Therapien finden täglich in der Zeit von 8.00 bis 15.30 Uhr statt und von Freitagnachmittag bis Sonntagabend werden die Familien in die therapeutische Belastungserprobung nach Hause entlassen. Die Unterbringung auf der Eltern-Kind-Station kann sowohl vollstationär als auch teilstationär erfolgen. Die Unterbringungsform orientiert sich sowohl am Bedarf der Familie (z. B. Versorgung von Geschwisterkindern) als auch an der Schwere der vorliegenden Interaktionsstörung und wird gemeinsam mit dem Therapeuten und der Familie individuell festgelegt. Kontraindikationen für eine Behandlung auf der kinderpsychiatrischen Eltern-Kind-Station sind akute Kindeswohlgefährdung, intellektuelle Behinderung der primären Begleitperson sowie schwerwiegende Psychopathologien auf Seiten der Eltern (z. B. schwere depressive Episoden, akute Psychosen, Suchterkrankungen oder akute Belastungsreaktionen).

Methodik Studiendesign und Datenerhebung Die Datenerhebung erfolgte in Form einer monozentrischen Fragebogenstudie unter klinischen Routinebedingungen im Ein-Gruppen-Prä-Post-Design mit zweifacher Prä-Messung ohne Kontrollgruppe, wobei je eine Messung während der dreiwöchigen Diagnostikphase (t0), zu Therapiebeginn (t1) und zu Therapieende (t2) stattfand. Die Datenerhebung erfolgte im Zeitraum Januar 2011 bis Mai 2015 auf der Eltern-Kind-Station in Magdeburg. Alle Familien, die in diesem Zeitraum an einer Behandlung teilnahmen, wurden um Studienteilnahme gebeten. Die Daten wurden anonymisiert und nicht personengebunden quantitativ ausgewertet. In die Studie eingeschlossen wurden nur Familien, die eine schriftliche Einverständniserklärung abgaben, sowohl am dreiwöchigen Diagnostikblock als auch am fünfwöchigen Therapieblock teilnahmen und das vorgelegte Fragebogenset zu allen Messzeitpunkten vollständig ausfüllten. Nahmen beide Eltern als Begleitperson an der ElternKind-Behandlung teil, wurden in der vorliegenden Studie ausschließlich die Daten eines (und fortlaufend desselben) primären Begleitelternteils verwendet, und zwar des Elternteils mit dem höheren subjektiven Stresserleben. Geschwisterkinder wurden nicht eingeschlossen. AufKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 43–53


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grund der eingesetzten Erhebungsinstrumente wurden Kinder mit einem Alter unter 1 ½ Jahren ausgeschlossen.

Stichprobe Die Aufnahmeindikation wurde im Rahmen der ambulanten Vorkontakte gestellt und ergibt sich primär aus der im Vordergrund stehenden Interaktions- und Beziehungsstörung zwischen Eltern und Kind sowie dem Vorliegen einer kinderpsychiatrischen Symptomatik, insbesondere Regulationsstörungen, Bindungsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens und emotionale Störungen. Die kinderpsychiatrische Diagnosestellung erfolgte nach ICD-10 (Dilling et al., 2011) im Kontext eines multiprofessionellen Diagnoseprozesses unter klinischen Routinebedingungen mit wöchentlich stattfindenden Visiten und Fallkonferenzen. Zur Erhebung der klinisch relevanten Diagnosekriterien dienten vorrangig das Psychopathologische Befund-System für Kinder und Jugendliche (CASCAP-D) von Döpfner et al. (1999) sowie das DiagnostikSystem für psychische Störungen nach ICD-10 und DSMIV für Kinder und Jugendliche (DISYPS-II; Döpfner, Görtz-Dorten & Lehmkuhl, 2008). Zur Klassifikation der Eltern-Kind-Beziehungsstörung wurde die Globale Einschätzungs-Skala der Eltern-Kind-Beziehung (GES-EKB; National Center for Clinical Infant Programms, 1999) eingesetzt. Von den 82 zur Teilnahme eingeladenen Familien wurden 60 Kinder (73.2 %) in die Studie eingeschlossen. Bei den verbliebenen 22 Familien (26.8 %) waren die Datensätze unvollständig, wobei in fünf Fällen klinikinterne Gründe vorlagen, während weitere fünf Familien keine Einverständniserklärung abgaben und bei 12 Familien während der Messzeitpunkte t1 (n = 8) und t2 (n = 4) keine Rückgabe der Fragebögen durch die Eltern erfolgte. Therapieabbrüche wurden nicht verzeichnet. Für die Auswertung konnten insgesamt 60 CBCL-Bögen (73.2 %) und 57 ESF-Bögen (69.5 %) verwendet werden. 33 Familien (55 %) entschlossen sich zu einer teilstationären Therapie wohingegen 27 Familien (45 %) stationär behandelt wurden. Die Zeitspanne zwischen subjektiv berichtetem Symptombeginn des Kindes und Aufnahme in den Diagnostikblock, hier als Symptomdauer bezeichnet, lag durchschnittlich bei 38.5 Monaten (SD = 21.19). Die Wartezeit zwischen Diagnostikblock und Wiederaufnahme der Familie für den Therapieblock betrug im Durchschnitt 18.7 Wochen (SD = 28.19). Kinder Insgesamt wurden Daten von 44 Jungen und 16 Mädchen erhoben. Die Kinder waren im Durchschnitt 5.9 Jahre alt (SD = 2.45). Das Alter der Kinder bei Symptombeginn beKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 43–53

trug durchschnittlich 3.1 Jahre (SD = 1.39). Der IQ lag im Durchschnitt bei 91.8 (SD = 13.89). In der Kohorte ließ sich eine Vielfalt unterschiedlicher Störungsbilder finden (vgl. Abb. 1), vorrangig emotionale Probleme (F93: 18.3 %), soziale Auffälligkeiten (F91: 16.6 %) und hyperkinetische Störungen (F90: 15 %). 34 Kinder (58.3 %) lebten in einer Zwei-Elternfamilie, während 26 Kinder (41.7 %) mit nur einem Elternteil aufwuchsen. Einen differenzierten Überblick über den Familienstatus verschafft Abbildung 2. Eltern Das Alter der Mütter (n = 58) lag im Durchschnitt bei 32.5 Jahren (SD = 6.45), die Väter (n = 2) waren 22 und 53 Jahre alt. Knapp die Hälfte der Mütter (46.7 %) und Väter (50 %) war nicht erwerbstätig. In 33 Fällen (55 %) litt ein Elternteil an einer psychischen Störung. Bei weiteren 14 Familien (23.3 %) lag eine psychische Erkrankung beider Elternteile vor. Abbildung 3 gibt die Verteilung der klinischen Störungsbilder der primären Begleitperson wieder.

Variablen und Erhebungsinstrumente Die Erhebung der abhängigen Variablen „kindliche Verhaltensauffälligkeiten“ und „elterliches Stresserleben“ erfolgte durch die primäre Begleitperson des Kindes. Zur Messung der abhängigen Variable „kindliche Symptombelastung“ wurden die deutschen Versionen der Child Behavior Checklist (CBCL) für die Altersgruppen 1,5 bis 5 Jahre (Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 2002) und 4 bis 18 Jahre (Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998) eingesetzt. Die Beurteilung erfolgte durch Einschätzung der Eltern anhand einer dreistufigen Skala (von 0 = „nicht zutreffend“, über 1 = „etwas oder manchmal zutreffend“ bis 2 = „genau oder häufig zutreffend“). Zur Berechnung der Skalen-Rohwerte wurden die Items der jeweiligen Skala summiert. Zur Beurteilung der klinischen Relevanz erfolgte eine Umrechnung der Skalen-Rohwerte in Normwerte (T-Werte), welche in die statistischen Analysen eingingen. Den Manualen entsprechend wurde der klinische Grenzwert für die übergeordneten Skalen bei T ≥ 63 festgelegt (vgl. Achenbach, 1991, 2000). Die abhängige Variable „elterliches Stresserleben“ wurde anhand des Elternstressfragebogens (ESF) von Domsch und Lohaus (2010) erfasst. Es lag eine Version für Kindergarten- und Vorschulkinder sowie eine Version für Schulkinder (Klasse 1 bis 6) vor. Die Items umfassten Fragen zur wahrgenommenen elterlichen Erziehungskompetenz, Stress in der Interaktion mit dem Kind sowie alltägliche Probleme durch die Elternschaft (z. B. „Im Vergleich zu anderen Eltern fällt mir die Erziehung mei© 2018 Hogrefe Verlag


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Abbildung 1. Diagnosen der Kinder (N = 60) nach ICD-10.

zwischen Diagnostikblock und Wiederaufnahme zu Therapiebeginn mit einbezogen.

Statistische Analysen

Abbildung 2. Familienstatus (N = 60).

nes Kindes leicht.“). Die Beurteilung erfolgte durch Einschätzung der Eltern anhand einer vierstufigen Skala (0 = „trifft nicht zu“, 1 = „trifft kaum zu“, 2 = „trifft etwas zu“, 3 = „trifft genau zu“). Zur Berechnung der Skalen-Rohwerte wurden die Items der jeweiligen Skala summiert. Zur Beurteilung der klinischen Relevanz erfolgte eine Umrechnung der Skalen-Rohwerte in Normwerte (TWerte), die in die statistischen Analysen mit eingingen. Dem Manual entsprechend wurde der klinische Grenzwert bei T ≥ 60 festgelegt (vgl. Domsch & Lohaus, 2010). Die Messzeitpunkte t0 (Diagnostikblock), t1 (Therapiebeginn) und t2 (Therapieende) bildeten die unabhängige Variable Zeit. Als Kontrollvariablen wurden die subjektiv berichtete Symptomdauer des Kindes sowie die Wartezeit

Zur Beurteilung der Therapieeffekte wurden einfaktorielle Varianzanalysen mit Messwiederholung mit drei Stufen für den unabhängigen Faktor Zeit (t0, t1, t2) durchgeführt. In den nachfolgenden Schritten wurden die möglichen Störvariablen Symptomdauer und Wartezeit (Abstand zwischen Diagnostikblock und Therapieblock) als Kontrollvariablen mit in die Modellrechnung aufgenommen. Um zu überprüfen, zwischen welchen Messzeitpunkten signifikante Veränderungen vorliegen, wurden Post-hoc-Einzelvergleiche mittels t-Tests für abhängige Stichproben eingesetzt. Zur Bestimmung der Netto-Therapieeffekte, das heißt unter Berücksichtigung der Wartezeit, wurden Einzelvergleiche der Differenzen von t1-t2 bzw. t0 – 1 mittels t-Tests für abhängige Stichproben durchgeführt. Zur Beurteilung des Ausmaßes der Veränderung dienten die Prüfgrößen partielles Eta-Quadrat (ƞ²) und Hedgesʹg. Die statistische Auswertung der erhobenen Daten erfolgte mit dem Programm IBM® SPSS® Statistics22.

Abbildung 3. Diagnosen der primären Begleitperson (N = 60) nach ICD-10. © 2018 Hogrefe Verlag

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Tabelle 1. Mittelwerte und Standardabweichungen sowie Varianzanalyse des Therapieeffekts auf die kindliche Symptombelastung (CBCL, N = 60) und elterliche Stressbelastung (ESF, N = 57) und im Erhebungszeitraum t0 bis t2 t0

t1

t2

M (SD)

M (SD)

M (SD)

F (df)

p

ƞ²

Gesamtauffälligkeiten

68.20 (9.61)

67.20 (9.59)

62.07 (9.93)

20.87 (1.85)

< .001

0.26

Externalisierende Auffälligkeiten

67.53 (10.12)

66.92 (10.03)

62.20 (9.99)

15.75 (1.84)

< .001

0.21

Internalisierende Auffälligkeiten

62.72 (10.45)

61.58 (10.17)

57.72 (10.22)

11.63 (2.12)

< .001

0.17

Elternstress

65.77 (8.08)

64.54 (7.63)

58.47 (9.29)

31.32 (1.77)

< .001

0.36

Anmerkungen: t0 = Diagnostikblock; t1 = Beginn Therapieblock; t2 = Therapieende

Abbildung 4. Mittlere T-Werte für die übergeordneten CBCL-Skalen (N = 60) und den Elternstressfragebogen (N = 57) im Erhebungszeitraum t0 bis t2. Anmerkungen: CBCLges = Gesamtauffälligkeiten; CBCLext = Externalisierende Auffälligkeiten; CBCLint = Internalisierende Auffälligkeiten; ESF = Elternstress.

Ergebnisse Mittels Varianzanalyse ließ sich eine hoch signifikante Reduktion der kindlichen Verhaltensauffälligkeiten im Bereich der Gesamtauffälligkeiten (F[1,85] = 20.87, ƞ² = 0.26, p < .001), externalisierenden Auffälligkeiten (F [1,84] = 15.75, ƞ² = 0.21, p < .001) und internalisierenden Auffälligkeiten (F[2,118] = 11.63, ƞ² = 0.17, p < .001) nachweisen. Auch für das elterliche Stresserleben zeigt sich ein hoch signifikanter Effekt des unabhängigen Faktors Zeit (F[1,77] = 31.32, ƞ² = 0.36, p < .001). Die einzelnen Ergebnisse der Varianzanalyse sowie Mittelwerte und Standardabweichungen für die Messzeitpunkt t0 (Diagnostikblock) bis t2 (Therapieende) sind Tabelle 1 zu entnehmen. Abbildung 4 zeigt die Veränderungen der kindlichen Verhaltensauffälligkeiten und elterlichen Stressbelastung im grafischen Verlauf. Demnach lag die durchschnittliche kindliche Symptombelastung am Ende der Behandlung unterhalb der klinischen Grenze von T = 63. Auch das Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 43–53

durchschnittliche elterliche Stresserleben befand sich am Ende der Behandlung unterhalb der klinischen Grenze von T = 60. Unter Berücksichtigung der individuellen Therapieverläufe aller Familien (Abb. 5 und 6) zeigt sich, dass 76.7 % aller Kinder zu Beginn der Therapie hinsichtlich der Gesamtauffälligkeiten den klinischen Cut-off von T ≥ 63 überschreiten, zu Therapieende 43.3 %. Hinsichtlich der externalisierenden Verhaltensweisen ergab sich im Behandlungsverlauf eine Reduktion von 66.7 % auf 41.7 %. Für die internalisierenden Störungen ließ sich eine Abnahme von 53.3 % auf 31.7 % verzeichnen. Das elterliche Stresserleben erreichte zu Beginn der Therapie bei 83.3 % der Begleitpersonen den klinischen Cut-off von T ≥ 60, während zu Therapieende noch 38.3 % der Eltern von einem klinisch relevanten Elternstress berichteten. Die Post-hoc-Analysen und Effektstärken der Veränderungen von kindlicher Symptombelastung und Elternstress im Behandlungsverlauf sind in Tabelle 2 aufgeführt. Demnach traten in dem Zeitraum ohne Therapie © 2018 Hogrefe Verlag


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Abbildung 5. Häufigkeit der Fälle mit einem T-Wert über dem Cut-off von T ≥ 63 (CBCL) bzw. T ≥ 60 (ESF) in Prozent. Anmerkung: Abkürzungen s. Abbildung 4.

Abbildung 6. Häufigkeit der Fälle mit einem T-Wert über dem Cut-off von T ≥ 70 (CBCL, ESF) in Prozent. Anmerkung: Abkürzungen s. Abbildung 4.

(t0 bis t1) keine signifikanten Veränderungen auf, während sich signifikante Mittelwertdifferenzen der Messzeitpunkte t1 (Therapiebeginn) und t2 (Therapieende) für alle Skalen zeigten. Auch der Vergleich zwischen dem Diagnostikblock (t0) und Therapieende (t2) erbrachte eine signifikante Reduktion auf Eltern- und Kindebene. Die Effektstärke für die Gesamtveränderung im Behandlungsverlauf (t0 bis t2) betrug für die kindlichen Gesamtauffälligkeiten g = -.63, für die externalisierenden Auffälligkeiten g = -.53, für die internalisierenden Auffälligkeiten g = -.48 und für das elterliche Stresserleben g = -.84. Die Effektstärke für den eigentlichen Therapiezeitraum (t1 – t2) betrug für die Gesamtauffälligkeiten g = -.53, die externalisierenden Auffälligkeiten g = -.47, die internalisierende Auffälligkeiten g = -.38 und den Elternstress g = -.70. Zur Bestimmung der Netto-Therapieeffekte, unter Berücksichtigung der Wartezeit, wurden Einzelvergleiche der Differenzen von t1-t2 bzw. t0-t1 mittels t-Tests für abhängige Stichproben durchgeführt. Hierbei zeigten sich signifikante Mittelwertdifferenzen für die CBCL-Skalen „Gesamtauffälligkeiten“ (t[59] = 3.02, p = .004) und „externalisierende Auffälligkeiten“ (t[59] = 2.72, p = .009) © 2018 Hogrefe Verlag

sowie dem elterlichen Stresserleben (t[59] = 3.08, p = .003). Für die CBCL-Skala „internalisierende Auffälligkeiten“ (t[59] = 1.70, p = .094) ließ sich kein signifikanter Netto-Therapieeffekt aufzeigen. Die Effektstärke für den Netto-Therapieeffekt betrug für die Gesamtauffälligkeiten g = -.59, die externalisierenden Auffälligkeiten g = -.55 und den Elternstress g = -.68 (vgl. Tab. 2). Auch wenn die Variablen Symptomdauer und Wartezeit als Kovariaten in die Auswertung miteinbezogen werden, verändern sich die Ergebnisse nicht, weder für das elterliche Stresserleben (F[1,72] = 10.31, ƞ² = 0.16, p = .001) noch für die kindlichen Gesamtauffälligkeiten (F[1,85] = 18.41, ƞ² = 0.24, p < .001), die externalisierenden Auffälligkeiten (F[1,82] = 10.78, ƞ² = 0.159, p < .001) und die internalisierenden Auffälligkeiten (F[2,114] = 14.17, ƞ² = 0.20, p < .001).

Diskussion und Ausblick Eltern-Kind-Stationen bieten die vielversprechende Möglichkeit, das familiäre Umfeld des Kindes intensiv in die BeKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 43–53


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Tabelle 2. Mittelwertdifferenzen (T-Werte), Standardfehler und Effektstärken für die elterliche Stressbelastung (N = 57) und kindliche Symptombelastung (N = 60) im Erhebungszeitraum t0 bis t2 MΔ

SD

p

Hedgesʹg g

CI (99 %)

Gesamtauffälligkeiten 0 t1 t0 t2 t1 t2 t1 t2Δ t0 t1Δ

1.00 6.13 5.13 4.13

4.90 9.34 8.70 10.59

.358 < .001 < .001 .004

-.10 -.63 -.53 -.59

-.57; .38 -1.1; -.14 -1.01; -.40 -.95; -.22

0.62 5.33 4.72 4.10

4.85 9.17 9.32 11.70

.986 < .001 .001 .009

-.06 -.53 -.47 -.55

-.53; .40 -1.01; -.04 -.95; .01 -.92; -.19

1.13 5.00 3.87 2.73

7.75 9.50 7.89 12.43

.787 < .001 .001 .094

-.11 -.48 -.38 -.35

-.59; .37 -.96; .01 -.86; .10 -.71; .01

1.23 7.30 6.07 4.84

4.42 8.00 9.12 11.89

.122 < .001 < .001 .003

-.16 -.83 -.70 -.68

-.65; .33 -1.33; -.32 -1.20; -.19 -1.04; -.31

Externalisierende Auffälligkeiten 0 t1 t0 t2 t1 t2 t1 t2Δ t0 t1Δ Internalisierende Auffälligkeiten 0 t1 t0 t2 t1 t2 t1 t2Δ t0 t1Δ Elternstress 0 t1 t0 t2 t1 t2 t1 t2Δ t0 t1Δ

Anmerkungen: t0 = Diagnostikblock; t1 = Beginn Therapieblock; t2 = Therapieende

handlung mit einzubeziehen. Ziel der vorliegenden Studie war die Wirksamkeitsüberprüfung einer kinderpsychiatrischen Eltern-Kind-Behandlung unter klinischen Routinebedingungen. Hierbei wurden zu drei Messzeitpunkten (Diagnostikblock, Aufnahme Therapieblock, Therapieende) die kindlichen Verhaltensauffälligkeiten sowie das elterliche Stresserleben der primären Begleitperson im Behandlungsverlauf beurteilt. Der Hypothese entsprechend reduzierten sich die kindlichen Verhaltensauffälligkeiten im Verlauf der Eltern-Kind-Behandlung, was mit den bisherigen Wirksamkeitsüberprüfungen ähnlicher Modellstationen konform geht (Ise et al., 2015; Liwinski, Romer & Müller, 2015; Müller et al., 2015). Darüber hinaus ließen sich in der vorliegenden Studie erstmals signifikante Veränderungen für das elterliche Stresserleben nachweisen, wobei sich im direkten Vergleich zu den kindlichen Verhaltensauffälligkeiten hierbei die größte Effektstärke zeigte. Damit liefern die Ergebnisse nicht nur einen Hinweis auf die Veränderung der elterlichen Stressbelastung im Laufe der Eltern-Kind-Behandlung, sondern untermauern bisherige Untersuchungen zur engen Verzahnung von kindlichen Verhaltensauffälligkeiten und elterlichem Stresserleben (Dumas et al., 1991; Gabriel & Bodenmann, 2006; Mash & Johnston, 1990; Podolski & Nigg, 2001). Betrachtet man die beiden abhängigen Variablen hinsichtlich ihrer klinischen Relevanz, dann ist festzuhalten, Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 43–53

dass die kindliche Symptombelastung und das elterliche Stresserleben bei Entlassung nach Therapieende unterhalb der klinischen Grenze lagen. Die individuellen Therapieverläufe aller Familien zeigten, dass zu Therapieende rund 30 % weniger Kinder und 44 % weniger Eltern den klinischen Cut-off erreichen als zu Beginn der Therapie. Diese Ergebnisse sind jedoch in Relation zu der Initialbelastung zu setzen. Demnach lagen zu Beginn der Therapie bei circa 40 % der Kinder die T-Werte im CBCL bei einem Wert von T ≥ 70 (vgl. Abb. 6) und knapp die Hälfte der Eltern berichteten von einem stark erhöhten elterlichen Stresserleben (T ≥ 70). Offen bleibt, um welche Wirkfaktoren es sich hierbei genau handelt. Das Therapiekonzept der Eltern-KindStation ist bausteinorientiert und wurde zunächst in seiner Gesamtheit evaluiert. Daher lassen sich differentielle Aussagen über die Effektivität spezieller Therapieelemente zunächst nicht treffen. Zudem waren die Datensätze von zwölf zur Teilnahme eingeladenen Familien aufgrund von Nichtrückgabe der Fragebögen unvollständig und wurden nicht mit in die Datenanalyse aufgenommen. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit es sich bei diesen Familien um weniger erfolgreich verlaufende Behandlungen handelt. Inwiefern sich die beobachteten Veränderungen spezifisch auf die Eltern-Kind-Behandlung zurückführen las© 2018 Hogrefe Verlag


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sen, bleibt offen, da es sich hierbei um eine Studie mit einer klinischen Inanspruchnahmepopulation ohne Kontrollgruppe handelt. Bedingt durch die konzeptionelle Festlegung von Indikation und Kontraindikation, ist eine Selektivität der Stichprobe nicht auszuschließen. Weiterhin ist zu bedenken, dass der wiederholte Einsatz derselben Fragebögen zu „Testmüdigkeitseffekten“ seitens der Eltern führen kann (z. B. weniger sorgfältig ausgefüllte Fragebögen) und studienunabhängige Faktoren, wie beispielsweise Reifung, Spontanremission oder äußere Ereignisse, die Ergebnisse beeinflussen und somit die interne Validität gefährden. An dieser Stelle wird die Relevanz einer Kontrollgruppe für fortlaufende Untersuchungen deutlich. Eine Wartelistenkontrollgruppe war aufgrund der klinischen Routinebedingungen nicht umsetzbar. Alternativ sollte die Wartezeit zwischen Diagnostikblock und Therapiebeginn als Kontrollzeitraum dienen. In der Wartezeit zwischen Diagnostik- und Therapieblock, für die die Familien zurück in das häusliche Umfeld entlassen wurden, ließen sich erwartungsgemäß keine signifikanten Effekte beobachten. Dieser Befund steht im Einklang mit den Untersuchungen von Ise et al. (2015), wo sich in der vierwöchigen Wartezeit ebenfalls keine bedeutsamen Veränderungen im elterlichen Erziehungsverhalten oder den kindlichen Verhaltensauffälligkeiten zeigten. Hingegen ließen sich erwartungsgemäß bei der Bestimmung der Netto-Therapieeffekte (t-Tests der Differenzen von t1-t2 bzw. t0 – 1) signifikante Mittelwertdifferenzen für die kindlichen Gesamtauffälligkeiten und externalisierenden Auffälligkeiten sowie dem elterlichen Stresserleben nachweisen. Auch hierbei zeigte sich für das elterliche Stresserleben die größte Effektstärke. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist die fehlende Standardisierung des Therapieprogrammes zu berücksichtigen, da das bausteinorientierte Behandlungskonzept individuell an den Bedarf der Familien angepasst wird. Zudem beruht die Beurteilung der kindlichen Symptomatik auf Einschätzungen der belasteten und nach Therapie entlasteten Eltern. Dadurch kann es, infolge kognitiver Verzerrungen, zu „unzuverlässigen“ Beurteilungen der kindlichen Symptombelastung kommen, insbesondere zu Beginn der Behandlung (Müller, Achtergarde & Furniss, 2011). Obgleich Müller und Furniss (2013) mit ihrer eigens entwickelten Korrekturformel einen innovativen Ansatz im Umgang mit verzerrten Beurteilungen aufzeigen konnten, sollten Folgestudien zusätzliche Außenkriterien (z. B. Erzieherurteil) zur Verbesserung der Validität mit einbeziehen. Fortlaufend werden Follow-up-Untersuchungen angestrebt, um Aussagen über die Stabilität der Therapieeffekte treffen zu können. Ergänzend dazu scheint die Erforschung möglicher Einflussfaktoren auf den Therapieverlauf (z. B. Alter des Kindes, Symptomdauer, Art der © 2018 Hogrefe Verlag

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Störung) vielversprechend, um Aussagen über differentielle Indikationen und Prognosen zu ermöglichen. Da es in der Forschungsliteratur deutliche Hinweise darauf gibt, dass die psychische Gesundheit von Kindern weniger von der Exposition des Kindes gegenüber den Elternsymptomen abhängig ist, sondern vielmehr von der Qualität der Interaktion (Murray et al., 1993), wäre zusätzlich der Einsatz von qualitativen Elementen, beispielsweise in Form von standardisierten Interaktionsanalysen, indiziert. An dieser Stelle könnte die Kombination aus quantitativen und qualitativen Verfahren relevante Aufschlüsse über spezifische Wirkmechanismen der Eltern-Kind-Behandlung erbringen. Insgesamt bekräftigen die vorliegenden Ergebnisse bisherige Untersuchungen zur Wirksamkeit von ElternKind-Behandlungen und liefern wichtige Hinweise auf eine therapeutische Effektivität kinderpsychiatrischer Eltern-Kind-Stationen. Der hohe Anteil an psychisch belasteten Eltern in der vorliegenden Stichprobe verdeutlicht dabei nicht nur die Relevanz einer gründlichen psychiatrischen Diagnostik auf Seiten der Eltern, ergänzend zum kindertherapeutischen Ansatz, sondern untermauert vielmehr die Notwendigkeit einer engen Vernetzung zwischen beiden psychiatrischen Disziplinen bei der Planung und Durchführung der Eltern-Kind-Behandlung.

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S. Krause et al., Wirksamkeitsüberprüfung einer kinderpsychiatrischen Eltern-Kind-Station unter klinischen Routinebedingungen

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S. Krause et al., Wirksamkeitsüberprüfung einer kinderpsychiatrischen Eltern-Kind-Station unter klinischen Routinebedingungen

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Dipl. Psych. Stefanie Krause Prof. Dr. med. Hans-Henning Flechtner PD Dr. phil. Kerstin Krauel Dr. med. Ulrike Röttger Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin des Kindes- und Jugendalters Otto-von-Guericke Universität Magdeburg Leipziger Straße 44 – Haus 15 39120 Magdeburg stefanie.krause@med.ovgu.de

Bethel baut Zukunft

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Freier Beitrag

Geschlechts- und situationsspezifische Stressverarbeitung und Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen Petra Hampel1 und Franz Petermann2 1

Institut für Gesundheits-, Ernährungs- und Sportwissenschaften, Europa-Universität Flensburg

2

Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation, Universität Bremen Zusammenfassung: In der vorliegenden Studie sollten insbesondere die wenigen Befunde zum alleinigen Einfluss der Art der Belastungssituation und dessen kombinierte Einflüsse mit dem Geschlecht auf die Stressverarbeitung erweitert werden. Hierfür bearbeiteten N = 1 087 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 7 und 16 Jahren den Stressverarbeitungsfragebogen für Kinder und Jugendliche (SVF-KJ). Darüber hinaus wurde die Vorhersagekraft der situationsspezifischen Stressverarbeitung auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität an einer Teilstichprobe von N = 442 Kindern und Jugendlichen zwischen 9 und 16 Jahren untersucht. Die alleinigen Situationseinflüsse sprechen für erhöhte Ausprägungen in der Ablenkung, Situationskontrolle und Aggression für soziale Belastungssituationen. Mädchen verarbeiteten vor allem soziale Belastungssituationen ungünstig. Die Stressverarbeitung konnte die gesundheitsbezogene Lebensqualität unter Kontrolle des Alters, Geschlechts, chronischer Erkrankungen und der psychischen Stressreaktivität signifikant vorhersagen. Die Befunde unterstützen erneut, geschlechtssensible, altersangepasste Gesundheitsförderprogramme im Kindes- und Jugendalter zu implementieren, die insbesondere die Bagatellisierung, positiven Selbstinstruktionen, Vermeidung und Resignation modifizieren sollten. Schlüsselwörter: Stressverarbeitung, Lebensqualität, Geschlechts- und Situationseffekte, Kinder und Jugendliche

Gender and Situation-Specific Coping and Its Prediction of Quality of Life Among Children and Adolescents Abstract: Prior research has shown that the increasing stressful experiences across childhood and adolescence are associated with impaired psychosocial adjustment. Thereby, girls in particular are faced with a higher number of stressful events in the transition to adolescence. Thus, evidence has been provided for an adverse, cost-intense coping pattern and decreased self-reported health-related quality of life (HrQoL) among girls. However, coping abilities have been found to moderate this demand–strain relationship, and increased maladaptive and decreased adaptive coping were related to the development of psychological symptoms. By contrast, there is little research on the effects of the type of stressful situation on coping and on the predictive effects of coping on HrQoL. The present study aimed at investigating the effects of gender and stress domain (interpersonal and academic stressors) on coping. In total, 1,087 children and adolescents aged 7 – 16 years were asked to complete the German Coping Questionnaire for Children and Adolescents in the classroom setting. This questionnaire assesses two adaptive coping styles represented by emotion-focused coping (minimization and distraction/ recreation) and problem-focused coping (situation control, positive self-instructions, and social support) and a maladaptive coping style consisting of passive avoidance, rumination, resignation, and aggression. Moreover, the predictive effects of coping on HrQoL measured by the KIDSCREEN-27 were examined among a subsample of 442 pupils aged 9 – 16 years. In line with prior results, girls were characterized by a maladaptive coping pattern, showing decreased emotion-regulating strategies and positive self-instructions combined with increased maladaptive coping strategies. However, support-seeking was enhanced compared with boys. The main effects of the stress domain were ascertained in distraction, situation control, and aggression with an increased employment of coping strategies in response to interpersonal stressors. These results on situation-specific coping indicate the high relevance of interpersonal stressors for children and adolescents, who tend to apply a higher effort on interpersonal coping than on academic coping. The interaction effect on rumination indicated that girls employed more rumination in response to social stressors, supporting the notion that girls in particular are affected by interpersonal stressors and invest a higher effort to cope with these social stressors. Additionally, unfavorable influences of an increasing age on HrQoL were replicated, and physical and mental HrQoL was predicted by coping controlled for age, gender, chronic conditions, and mental stress reactivity. The results support the application of gender- and age-adjusted health-promoting interventions among children and adolescents. To improve HrQoL, modification of the coping strategies minimization, positive self-instructions, avoidance, and resignation is suggested. Keywords: coping, quality of life, effects of gender and stress domain, children and adolescents

Die Entwicklungsphase des Kindes- und Jugendalters ist gekennzeichnet durch eine deutliche Zunahme der BeKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 54–63 https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000244

lastungen und des Stresserlebens (Hilt, McLaughlin & Nolen-Hoeksema, 2010; vertiefend s. Skinner & Zimmer© 2018 Hogrefe Verlag


P. Hampel und F. Petermann, Situationsspezifische Stressverarbeitung bei Kindern und Jugendlichen

Gembeck, 2016; zusammenfassend s. Compas et al., 2014; Seiffge-Krenke, 2011). Weitere Studien sprechen dafür, dass diese erhöhten Belastungen und die stressbegleitenden ungünstigen Emotionen mit der Entwicklung physischer und psychischer Beeinträchtigungen und Störungen in Beziehung stehen (z. B. Calvete, Orue & Hankin, 2015; Zimmer-Gembeck, van Petegem & Skinner, 2016; zusammenfassend s. Compas et al., 2014; Seiffge-Krenke, 2000; Zimmer-Gembeck & Skinner, 2011). Hierbei erwies sich die Stressverarbeitung als wesentliche moderierende Variable. So kristallisierte sich die günstige Stressverarbeitung (im eigentlichen Sinne die Bewältigung) als Schutzfaktor und die ungünstige Stressverarbeitung als Risikofaktor in der Entwicklung psychosozialer Anpassungsprobleme heraus (z. B. Evans et al., 2015; Syed & Seiffge-Krenke, 2015). Studien belegen weiterhin, dass dieser Zusammenhang durch Variablen wie das Geschlecht aber auch durch Kennzeichen der Belastungssituation wie die Verarbeitung von sozialen oder schulischen Belastungssituationen moderiert wird. In der vorliegenden Studie sollten weitere Erkenntnisse zu den wesentlichen Einflussgrößen Geschlecht und Art der Belastungssituation gewonnen werden. Zusätzlich wurde die Vorhersagekraft der situationsspezifischen Stressverarbeitung auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität beleuchtet. Die Stressverarbeitung wurde in früheren Studien sehr unterschiedlich operationalisiert (vgl. Compas, ConnorSmith, Saltzman, Thomsen & Wadsworth, 2001; Compas et al., 2014). Übereinstimmend mit dem Stressverarbeitungsfragebogen für Kinder und Jugendliche (SVF-KJ; Hampel & Petermann, 2016) wurden jedoch häufig drei Stressverarbeitungsstile unterschieden: zwei adaptive Stile, wie die problemlösende vs. emotionsregulierende oder aktive vs. internale Bewältigung, und ein maladaptiver Stil (z. B. Connor-Smith, Compas, Wadsworth, Harding Thomsen & Saltzman, 2000; Seiffge-Krenke, 2000, 2011; Zimmer-Gembeck & Skinner, 2011). Evidenz besteht dahingehend, dass die problemlösenden Strategien Kognitive Umstrukturierung, Soziale Unterstützung und Positive Selbstinstruktionen sowie die emotionsregulierende Strategie Ablenkung als Schutzfaktoren in der psychosozialen Anpassung gelten. Die ungünstigen Strategien Gedankliche Weiterbeschäftigung, Resignation, (soziale) Vermeidung und Aggression konnten dagegen als Risikofaktoren in der psychosozialen Entwicklung identifiziert werden (zusammenfassend s. Aldao, Nolen-Hoeksema & Schweizer, 2010). Bereits Lazarus betonte jedoch, dass für die Effektivität der Stressverarbeitung eine Passung zwischen der Art der Belastungssituation und der eingesetzten Stressverarbeitungsstrategie gegeben sein muss (Lazarus & Folkman, 1984). So ging auch im Kindes- und Jugendalter der Einsatz problemlösender Strategien in kontrol© 2018 Hogrefe Verlag

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lierbaren Situationen, jedoch die Anwendung emotionsregulierender Strategien in unkontrollierbaren Situationen mit einer günstigen psychosozialen Anpassung einher (Compas, Malcarne & Fondacaro, 1988). Weitere Studien ließen vermuten, dass schulische Belastungssituationen eher als kontrollierbar, dagegen soziale Belastungssituationen eher als unkontrollierbar von den Kindern und Jugendlichen eingeschätzt werden (Compas et al., 1988). Aufgrund inkonsistenter Befunde sollten in der vorliegenden Studie Unterschiede des Geschlechts und der Art der Belastungssituation (sozial vs. schulisch) auf die Stressverarbeitung weiter untersucht werden.

Geschlechts- und situationsspezifische Effekte Geschlechtsunterschiede zugunsten der Mädchen zeigten sich einheitlich für die problemlösende Stressverarbeitungsstrategie Suche nach sozialer Unterstützung (Beck, Lange & Tröster, 2016; Donaldson, Prinstein, Danovsky & Spirito, 2000; Hampel & Pössel, 2012; Vierhaus, Lohaus & Ball, 2007). Zudem unterstützen viele Befunde eine ungünstige Stress- und Emotionsregulation der Mädchen mit erhöhten Ausprägungen in der Resignation, gedanklichen Weiterbeschäftigung, passiven Vermeidung und Perseveration (Calvete, Camara, Estevez & Villardón, 2011; Donaldson et al., 2000; Hampel & Petermann, 2006; Hilt et al., 2010; Lange & Tröster, 2015). Für die Problemlösung an sich, die emotionsregulierenden Strategien und die Aggression liegen jedoch noch widersprüchliche Befunde vor, die vor allem auf unterschiedliche Operationalisierungen der Konstrukte zurückzuführen sind (vgl. Beck et al., 2016; Hampel & Petermann, 2005, 2016). Studien zum Einfluss der Art der Belastungssituation wurden deutlich weniger durchgeführt und wiesen eine große Heterogenität hinsichtlich der untersuchten Situationen auf. Der Vergleich von sozialen und schulischen Belastungssituationen ergab in deutschsprachigen Studien eher erhöhte Ausprägungen in den Strategien in Bezug auf die sozialen Belastungssituationen (Beck et al., 2016; Eschenbeck, Kohlmann & Lohaus, 2007). Dies führen Eschenbeck et al. (2007) darauf zurück, dass soziale Stressoren bedeutsamer für die Kinder und Jugendlichen sind und hierdurch mehr Anstrengungen unternommen werden, diese sozialen Konflikte zu verarbeiten. Wenige Befunde fanden sich jedoch auch dahingehend, dass ein situationsangemessener Einsatz der Stressverarbeitungsstrategien erfolgt. So setzten die Kinder und Jugendlichen in Hampel und Petermann (2005) mehr die problemlösende Strategie Soziales Unterstützungsbedürfnis in der schulischen Belastungssituation ein. Übergeordnete EinKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 54–63


56

P. Hampel und F. Petermann, Situationsspezifische Stressverarbeitung bei Kindern und Jugendlichen

flüsse von Alter und Geschlecht konnten dagegen weniger abgesichert werden (Beck et al., 2016; Hampel & Petermann, 2005; Vierhaus et al., 2007), was mit früheren Befunden internationaler Studien übereinstimmt (Griffith, Dubow & Ippolito, 2000; Roecker, Dubow & Donaldson, 1996). In Hampel und Petermann (2005) deutete sich an, dass die Jugendlichen erwartungskonform soziale Unterstützung vermehrt in der schulischen Belastungssituation einsetzten, jedoch nicht die Kinder. Eschenbeck et al. (2007) konnten aber feststellen, dass Geschlechtseffekte in der sozialen Belastungssituation insgesamt größer ausgeprägt waren verglichen zu der schulischen Belastungssituation. So wandten die Mädchen mehr soziale Unterstützung und die Jungen mehr Vermeidung in der sozialen Belastungssituation verglichen mit dem anderen Geschlecht an.

Prädiktionskraft der Stressverarbeitung Frühere Studien konnten den Einfluss der Belastungssituationen und des Stresserlebens auf die Gesundheit im Kindes- und Jugendalter belegen. So konnten Lohaus, Beyer und Klein-Heßling (2004) in einer Querschnittstudie anhand von Selbstbeurteilungsverfahren zeigen, dass das Ausmaß des Stresserlebens die physische und psychische Symptomatik unter Kontrolle von den weiteren Einflussgrößen Alter, Geschlecht und Krankheiten vorhersagt. Außerdem konnte die Evidenz für einen moderierenden Einfluss der Stressverarbeitung auf die Entwicklung von psychischen Störungen in weiteren Studien erbracht werden, jedoch liegen noch wenige Befunde zur Vorhersage der gesundheitsbezogenen Lebensqualität durch die Stressverarbeitung vor. In einer weiteren Auswertung des berichteten Datensatzes wurde der Einfluss zunächst untermauert, indem Kinder und Jugendliche mit einem adaptiven Stressverarbeitungsstil verglichen mit einem maladaptiven Stil eine erhöhte körperliche und psychische Lebensqualität aufwiesen (Hampel & Petermann, 2017). Dementsprechend sollten in der vorliegenden Auswertung erste Befunde für die Prädiktionskraft der situationsspezifischen Stressverarbeitung ermittelt werden.

Situationsspezifische Stressverarbeitung Methode Stichprobe Im Rahmen einer aktuellen Normierungsstudie des SVFKJ wurden N = 1 087 (n = 558 (51.3 %) weiblich; Altersverteilung: M = 11.81 Jahre, SD = 1.97 Jahre) im Alter zwischen sieben und 16 Jahren der dritten bis neunten Klasse untersucht (vgl. Hampel & Petermann, 2016). Hierfür wurden 23 Schulen mit insgesamt 125 Klassen der deutschen Bundesländer Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie des österreichischen Bundeslandes Steiermark einbezogen. Insgesamt 832 Eltern der 1 087 eingeschlossenen Fälle (77 %) bearbeiteten einen Fragebogen zu sozioökonomischen Daten. Die Eltern hatten mehrheitlich einen Hauptund Realschulabschluss bzw. Abitur: ohne Schulabschluss (Mütter (M): 0.4 %, Väter (V): 0.6 %), Hauptschulabschluss (M: 20 %, V: 28 %), Realschulabschluss (M: 30 %, V:21 %), Fachhochschulreife/Fachabitur (M: 12 %, V: 10 %), Abitur/ Allgemeine Hochschulreife (M: 33 %, V: 30 %), keine Angaben (M: 4 %, V: 7 %). Messinstrumente SVF-KJ. Die neun Subtests des SVF-KJ wurden durch je vier Items repräsentiert, sodass für die soziale und schulische Situationsvorgabe je 36 Items resultierten. Zunächst wurde eine soziale Konfliktsituation beschrieben („Wenn mich andere Kinder/Jugendliche unter Druck setzen und ich ganz aufgeregt bin…“) und zwei Beispiele angeführt (Streit mit Freunden und die üble Nachrede durch andere Kinder und Jugendliche). Daraufhin wurde eine schulische Leistungssituation skizziert („Wenn mich etwas in der Schule unter Druck setzt und ich ganz aufgeregt bin…“) und beispielhaft erläutert (Schreiben einer schwierigen Klassenarbeit und die übermäßigen Hausaufgaben). Die Items sollten hinsichtlich ihrer Auftrittswahrscheinlichkeit eingeschätzt werden, wozu eine fünfstufige Antwortskalierung vorgegeben wurde. Die Antworten waren verbal verankert und umfassten auf keinen Fall (0), eher nein (1), vielleicht (2), eher ja (3) und auf jeden Fall (4). Die internen Konsistenzen der Subtests der sozialen Belastungssituation betrugen von α = .66 bis α = .86; für die schulische Belastungssituation ergaben sich interne Konsistenzen von α = .69 bis α = .89. Statistische Auswertung Die Hauptfragestellung zur situationsspezifischen Stressverarbeitung wurde anhand einer einfaktoriellen multivariaten Varianzanalyse mit Messwiederholung mit dem

Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 54–63

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P. Hampel und F. Petermann, Situationsspezifische Stressverarbeitung bei Kindern und Jugendlichen

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Tabelle 1. Mittelwerte (M), Standardfehler (SE) und Ergebnisse der univariaten Varianzanalysen mit der F-Statistik für die Haupteffekte „Geschlecht“ und „Art der Belastungssituation“ und deren Wechselwirkung für die Stressverarbeitung des SVF-KJ (N = 1 087) Faktor Männlich Subtest

Weiblich

sozial

schulisch

sozial

schulisch

Geschlecht (A)

Situation (B)

AxB

F(1,1085)

F(1,1085)

F(1,1085)

BAG

M SE

2.01 0.04

1.95 0.04

1.76 0.03

1.76 0.04

F η2

25.30*** .023

1.42 .001

2.05 .002

ABL

M SE

2.07 0.04

2.02 0.05

1.79 0.04

1.68 0.04

F η2

37.57*** .033

12.87*** .012

1.71 .002

STK

M SE

2.56 0.04

2.45 0.04

2.66 0.03

2.47 0.04

F η2

51.40*** .045

3.69 .003

POS

M SE

2.52 0.04

2.56 0.04

2.35 0.04

2.41 0.04

F η2

10.82*** .010

4.95* .005

0.05 .000

SUB

M SE

2.11 0.04

2.13 0.05

2.34 0.04

2.40 0.04

F η2

18.17*** .016

3.65 .003

0.70 .000

VER

M SE

1.68 0.04

1.61 0.04

2.02 0.04

1.98 0.04

F η2

44.78*** .040

3.90* .004

0.37 .000

GED

M SE

1.95a,c 0.04

1.83b 0.05

2.64d 0.04

2.33 0.04

F η2

116.72*** .097

85.69*** .073

16.29*** .015

RES

M SE

1.19 0.04

1.16 0.04

1.48 0.03

1.46 0.04

F η2

42.30*** .038

1.28 .001

0.03 .000

AGG

M SE

1.61 0.04

1.41 0.04

1.84 0.04

1.63 0.04

F η2

22.06*** .020

92.65*** .079

0.01 .000

1.42 .001

Anmerkungen: BAG = Bagatellisierung, ABL = Ablenkung/Erholung, STK = Situationskontrolle, POS = Positive Selbstinstruktionen, SUB = Soziales Unterstützungsbedürfnis, VER = Passive Vermeidung, GED = Gedankliche Weiterbeschäftigung, RES = Resignation, AGG = Aggression. F = Prüfgröße, η² = EtaQuadrat. Paarweise Vergleiche für die gedankliche Weiterbeschäftigung mit p < .05: sozial a = männlich vs. weiblich, schulisch b = männlich vs. weiblich, männlich c = sozial vs. schulisch, weiblich d = sozial vs. schulisch. * p < .05; ** p < .01; *** p < .001

Zwischen-Subjekt-Faktor „Geschlecht“ (männlich vs. weiblich) und mit dem Innerhalb-Subjekt-Faktor „Situation“ (sozial vs. schulisch) überprüft. Das Signifikanzniveau für die multivariate Testung und die angeschlossenen univariaten Testungen wurde auf pʹ < .01 festgesetzt. Weiterhin wurden Bonferroni-adjustierte t-tests angeschlossen. Klinische Effektstärken wurden anhand von Cohens d berechnet mit d = .20 als kleine, d = .50 als mittlere und d = .80 als große Effektstärke (Cohen, 1988). Eine Varianzaufklärung von über η²=.01 wurde als kleine, über η²=.06 als mittlere und über η²=.14 als große Effektstärke bewertet (Bühner & Ziegler, 2009, S. 364).

Ergebnisse In der multivariaten einfaktoriellen Varianzanalyse mit Messwiederholung über die neun Subtests der Stressverarbeitung zeigten sich beide Haupteffekte und die Interaktion signifikant (FGeschlecht(9,1077) = 20.21, p < .001, pʹ < .01, η² =.144; FSituation(9,1077) = 26.88, p < .001, pʹ < .01, η² =.183; FGeschlecht x Situation(9,1077) = 2.96, p = .002, pʹ < .01, η² =.024). Hierbei wiesen der Geschlechts- und Situationshaupteffekt eine große Effektstärke auf. Univariat waren signifikante Geschlechtseffekte mit pʹ < .01 © 2018 Hogrefe Verlag

außer für die Situationskontrolle für alle Subtests nachweisbar (Tab. 1). Die Mädchen hatten signifikant niedrigere Ausprägungen in der Bagatellisierung, Ablenkung/Erholung und den positiven Selbstinstruktionen. Höhere Werte ergaben sich für die günstige Strategie Soziales Unterstützungsbedürfnis. Zudem hatten die Mädchen insgesamt eine höhere ungünstige Stressverarbeitung. Der Situationshaupteffekt war für die Ablenkung/Erholung, Situationskontrolle, gedankliche Weiterbeschäftigung und Aggression signifikant; alle vier Subtests waren in der sozialen Belastungssituation höher ausgeprägt als in der schulischen Belastungssituation. Mittlere klinische Effektstärken ergaben sich allerdings lediglich für das Geschlecht bei der gedanklichen Weiterbeschäftigung und für die Situation in der gedanklichen Weiterbeschäftigung und der Aggression. Die beiden Haupteffekte waren für die gedankliche Weiterbeschäftigung durch eine einfache Interaktion überlagert; lediglich die klinischen Effektstärken legen nahe, dass die Mädchen mehr zwischen den beiden Situationen differenzierten als die Jungen (s. Tab. 1; Situationsvergleich für männlich ( c): p <. 001, d = .12; weiblich (d): p <. 001, d = .34).

Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 54–63


58

P. Hampel und F. Petermann, Situationsspezifische Stressverarbeitung bei Kindern und Jugendlichen

Prädiktion der gesundheitsbezogenen Lebensqualität durch die situationsspezifische Stressverarbeitung

Teilstichprobe Zur Bestimmung der Vorhersagekraft der situationsspezifischen Stressverarbeitung für die gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde eine Teilstichprobe aus der Gesamtstichprobe untersucht, für die komplette Datensätze vorlagen: Die Erkrankungen der Kinder und Jugendlichen wurden von den Eltern erfragt. Bei den vorliegenden 832 Eltern-Fragebogen lagen 296 fehlende Werte für die Frage zur Erkrankung ihres Kindes vor. Darüber hinaus mussten 36 Fälle ausgeschlossen werden, die fehlende Werte im Kindurteil der Stressreaktivität aufwiesen; 26 Kinder und Jugendliche hatten zudem einzelne fehlende Werte in der physischen Lebensqualität und 32 in der psychischen Lebensqualität. Somit konnten insgesamt 442 Kinder und Jugendliche der dritten bis neunten Klasse im Alter zwischen neun und 16 Jahren einbezogen werden (n = 228 (51.6 %) weiblich; Altersverteilung: M = 11.93 Jahre, SD = 1.99 Jahre; n = 94 (21.3 %) 3./4. Klasse, n = 92 (20.8 %) 5./6. Klasse, n = 126 (28.5 %) 7./8. Klasse, n = 130 (29.4 %) 9. Klasse). Außerdem war die Verteilung über die untersuchten Schultypen der Grund-, Haupt-, Gemeinschaftsschule sowie des Gymnasiums gleich.

sehr stark (4) erfragt. Die interne Konsistenz betrug α = .72 in der vorliegenden Teilstichprobe. Lebensqualität. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde anhand des KIDSCREEN-27 (KIDSCREEN Group Europe, 2006) erfasst. Dieser Fragebogen erhebt folgende fünf Dimensionen in Bezug auf die letzte Woche über insgesamt 27 Items: Körperliches Wohlbefinden, Psychisches Wohlbefinden, Beziehung zu Eltern & Autonomie, Gleichaltrige & Soziale Unterstützung und Schulisches Umfeld. Die Itemrohwerte wurden in raschskalierte T-Werte von 20 bis 80 transformiert. Hohe Werte sprechen für eine hohe gesundheitsbezogene Lebensqualität. Die Reliabilität und Validität wurde in verschiedenen Studien belegt (Ravens-Sieberer et al., 2013, 2014). In der vorliegenden Auswertung wurden lediglich die beiden Dimensionen „Körperliches Wohlbefinden“ und „Psychisches Wohlbefinden“ berücksichtigt. Hierbei wurde die Dimension Körperliches Wohlbefinden über 5 Items („Hast du dich fit und wohl gefühlt?“) und die Dimension Psychisches Wohlbefinden über 7 Items („Hast du Spaß gehabt?“) erfasst. Eltern-Fragebogen. Die Eltern wurden gebeten, in einem Fragebogen Angaben über den sozioökonomischen Hintergrund der Familie und den Krankheitsstatus ihres Kindes zu machen. Hierbei konnten sie in einem freien Textfeld die Art der Erkrankung notieren. Insgesamt gaben die Eltern an, dass 90 (20.4 %) Kinder an einer chronisch körperlichen oder psychischen Erkrankung litten. Lediglich neun Kinder wiesen eine psychische oder umschriebene Entwicklungsstörung auf. Am häufigsten wurden Asthma, Allergien, Neurodermitis und Migräne benannt.

Messinstrumente Psychische Stressreaktivität. Die psychische Stressreaktivität wurde über acht Belastungssituationen erfasst, wobei sich die Kinder und Jugendlichen in die jeweilige Situation hineinversetzen und einschätzen mussten, wie stark sie durch diese Situation unter Druck gesetzt werden. Der Itemstamm lautete: „Diese Situation… setzt mich unter Druck…“. Die Items bildeten jeweils Mikrostressoren aus dem schulischen leistungsthematischen oder sozialen Kontext ab. Für die schulbezogenen Alltagsbelastungen wurde die psychische Stressreaktivität durch vier Items erfragt (zu viele Hausaufgaben aufhaben, eine schwierige Klassenarbeit schreiben müssen, eine gute Note schreiben wollen, im Unterricht nicht mitkommen). Im sozialen Bereich wurden ebenfalls vier Items vorgegeben (Streit mit Freunden, Lehrern, Eltern; andere Kinder/Jugendliche reden schlecht über mich). Die Items wurden über eine fünfstufige Ratingskalierung von überhaupt nicht (0), kaum (1), ziemlich (2), stark (3) bis

Statistische Auswertung Die Fragestellung wurde anhand von acht multiplen hierarchischen Regressionsanalysen (Methode: Einschluss) untersucht, wobei jeweils vier Regressionsanalysen für die physische bzw. psychische Lebensqualität als Kriterium berechnet wurden. In einem ersten Schritt wurden das Geschlecht (1=männlich, 2=weiblich) und die Klassenstufe, in einem zweiten Schritt der Krankheitsstatus (0=gesund, 1=krank) und in einem dritten Schritt die psychische Stressreaktivität als mögliche Einflussvariablen eingeschlossen. In einem vierten Schritt wurde zusätzlich noch die günstige Stressverarbeitung (Schritt 4a) oder die ungünstige Stressverarbeitung (Schritt 4b) in das Modell aufgenommen. Hierbei wurden alle Regressionen sowohl für die soziale als auch für die schulische Belastungssituation berechnet. Aufgrund der multiplen Testung werden lediglich Befunde mit p für β und kumuliertem R² < .01 berichtet. Zusätzlich werden die Effektstärken der β-Gewichte nach

Methode

Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 54–63

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P. Hampel und F. Petermann, Situationsspezifische Stressverarbeitung bei Kindern und Jugendlichen

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Tabelle 2. Ergebnisse hierarchischer multipler Regressionsanalysen mit Geschlecht, Alter, Krankheit, Stresserleben und Stressverarbeitung als Prädiktoren sowie die physische Lebensqualität als Kriteriumsmaß Modell

Soziale Situation

Schulische Situation

p für β

ΔR²

kum. R²

β

-.144

.002

.062

.062*

-.206

<.001

β

p für β

ΔR²

kum. R²

-.144

.002

.062

.062*

-.206

<.001 .003

.065

.036

.101*

.053

.154*

.060

.161*

Kriterium: Physische Lebensqualität Schritt 1: Geschlecht Stufe Schritt 2: Geschlecht

-.147

.002

Stufe

-.209

<.001

Krankheit

-.051

.267

-.099

.034

Stufe

-.171

Krankheit

-.070

Stressreaktivität

Schritt 3: Geschlecht

Schritt 4a: Geschlecht Stufe

.003

-.147

.002

-.209

<.001

-.051

.267

-.099

.034

<.001

-.171

<.001

.124

-.070

.124

-.201

<.001

-.201

<.001

-.088

.053

-.083

.068

-.133

.004

-.130

.005

.036

.048

.065

.101*

.149*

Krankheit

-.071

.112

-.076

.087

Stressreaktivität

-.169

<.001

-.172

<.001

.227

<.001

.237

<.001

Günstige Stressverarbeitung Schritt 4b: Geschlecht Stufe

-.052

.264

-.178

<.001

.044

.145*

-.052

.260

-.166

<.001

Krankheit

-.074

.098

-.078

.077

Stressreaktivität

-.110

.029

-.097

.051

Ungünstige Stressverarbeitung

-.238

<.001

-.276

<.001

Anmerkungen: Effektstärken der β-Gewichte nach Cohen: .10 = klein, .30 = mittel, .50 = groß. * = p <.01

Cohen (1988) als kleine (.10), mittlere (.30) und große (.50) Effekte interpretiert.

Ergebnisse Physische Lebensqualität. In den vier multiplen hierarchischen Regressionsanalysen konnten die Prädiktoren insgesamt zwischen 15 und 16 % Varianz aufklären (Tab. 2). Die Berechnungen für die soziale und schulische Stressverarbeitung erzielten sehr ähnliche Ergebnisse. Die chronischen Erkrankungen wiesen hierbei keinen signifikanten Prädiktorwert auf. Allerdings wurde eine hohe physische Lebensqualität durch eine geringere Klassenstufe und eine höhere günstige bzw. geringere ungünstige Stressverarbeitung vorhergesagt. Die signifikante Vorhersagekraft des männlichen Geschlechts konnte lediglich ohne Berücksichtigung der Stressverarbeitung festgestellt werden. Unter Berücksichtigung der günstigen, jedoch nicht der ungünstigen Stressverarbeitung konnte die Stressreaktivität signifikant die physische Lebensqualität vorhersagen. Insgesamt konnten 4.8 % der Gesamtvari© 2018 Hogrefe Verlag

anz durch die günstige Stressverarbeitung in sozialen Belastungssituationen und 5.3 % in schulischen Belastungssituationen aufgeklärt werden. Für die ungünstige Stressverarbeitung ergaben sich 4.4 % Gesamtvarianzaufklärung für die sozialen Belastungssituationen und 6 % in schulischen Belastungssituationen. Alle signifikanten Prädiktoren waren durch kleine Effektstärken gekennzeichnet. Psychische Lebensqualität. Die Prädiktoren konnten in den vier multiplen hierarchischen Regressionsanalysen zwischen 21 und 25 % der Gesamtvarianz aufklären (Tab. 3). Die Berechnungen für die soziale und schulische Stressverarbeitung erzielten wiederum sehr ähnliche Ergebnisse. Gleichfalls konnten die chronischen Erkrankungen nicht substantiell zur Gesamtvarianzaufklärung beitragen. Allerdings konnte weder das Geschlecht noch die psychische Stressreaktivität die psychische Lebensqualität vorhersagen. Somit wurde die psychische Lebensqualität durch eine geringere Klassenstufe und eine erhöhte günstige bzw. eine niedrigere ungünstige Stressverarbeitung vorhergesagt. Hierbei konnte die günstige Stressverarbeitung 5.1 % in sozialen Belastungssituationen und Kindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 54–63


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P. Hampel und F. Petermann, Situationsspezifische Stressverarbeitung bei Kindern und Jugendlichen

Tabelle 3. Ergebnisse hierarchischer multipler Regressionsanalysen mit Geschlecht, Alter, Krankheit, Stresserleben und Stressverarbeitung als Prädiktoren sowie die psychische Lebensqualität als Kriteriumsmaß Soziale Situation

Modell

Schulische Situation

p für β

ΔR²

kum. R²

.019

.667

.186

.186*

-.430

<.001

β

p für β

ΔR²

kum. R²

.019

.667

.186

.186*

-.430

<.001 .009

.195

.003

.198

.054

.252*

.027

.224*

β

Kriterium: Psychische Lebensqualität Schritt 1: Geschlecht Stufe Schritt 2: Geschlecht

.014

.751

Stufe

-.436

<.001

Krankheit

-.096

.026

.027

.544

Stufe

-.426

Krankheit

-.101

Stressreaktivität

-.056

Schritt 3: Geschlecht

Schritt 4a: Geschlecht

.009

.014

.751

-.436

<.001

-.096

.026

.027

.544

<.001

-.426

<.001

.019

-.101

.019

.215

-.056

.215

.003

.198

.038

.374

.043

.313

Stufe

-.387

<.001

-.384

<.001

Krankheit

-.102

.015

-.107

.011

Stressreaktivität

-.023

.597

-.026

.555

.233

<.001

.241

<.001

Günstige Stressverarbeitung Schritt 4b: Geschlecht

.051

.195

.056

.213

.058

.188

Stufe

-.430

<.001

-.423

<.001

Krankheit

-.104

.016

-.107

.013

.000

.996

.013

.790

-.146

.002

-.183

<.001

Stressreaktivität Ungünstige Stressverarbeitung

.017

.249*

.214*

Anmerkungen: Effektstärken der β-Gewichte nach Cohen: .10 = klein, .30 = mittel, .50 = groß. * = p <.01

5.4 % in schulischen Belastungssituationen der Gesamtvarianz aufklären. Wurde dagegen die ungünstige Stressverarbeitung berücksichtigt, erhöhten sich die Varianzanteile um 1.7 % für die sozialen Belastungssituationen und um 2.7 % für die schulischen Belastungssituationen. Die Klassenstufe war durch moderate Effektstärken gekennzeichnet, alle anderen signifikanten Prädiktoren wiesen jedoch kleine Effektstärken auf.

Diskussion Im Verlauf des Kindes- und Jugendalters steigen die alltäglichen Belastungen deutlich an und stehen im Zusammenhang mit der Entwicklung psychischer wie physischer Beeinträchtigungen (zusammenfassend s. Compas et al., 2014; Zimmer-Gembeck & Skinner, 2011). Weitere Befunde konnten den moderierenden Einfluss der Stressbewältigungskompetenz belegen. So zeigte sich ein ungünstiges Stressverarbeitungsprofil insbesondere mit der Entwicklung psychischer Beeinträchtigungen und AuffälligKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 54–63

keiten assoziiert (zusammenfassend s. Aldao et al., 2010), aber auch mit einem geringeren körperlichen Wohlbefinden (Hampel & Petermann, 2017). Zudem weisen Altersunterschiede auf einen ungünstigen Verlauf in der psychosozialen Gesundheit hin (Ellert, Brettschneider, Ravens-Sieberer & KiGGS Study Group, 2014). Außerdem legen Geschlechtsunterschiede nahe, dass Mädchen sich weniger von den Belastungssituationen distanzieren können und über stärkere gesundheitliche Beeinträchtigungen berichten, was sich im Verlauf der Adoleszenz noch verstärkt (Beck et al., 2016; Hampel & Kallus, 2016; Hampel & Petermann, 2005; Lohaus et al., 2004). Deutlich weniger wurde der Einfluss der Art der Belastungssituation erforscht, der nicht abschließend geklärt ist. In der vorliegenden Arbeit sollten weitere Befunde zu den Geschlechtseffekten auf die habituelle Verarbeitung in Bezug auf soziale und schulische Belastungssituationen bei 1 087 Kindern und Jugendlichen erhoben werden. In einer Nebenfragestellung wurde ferner die Prädiktionskraft der situationsspezifischen Stressverarbeitung auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei einer Teilstichprobe von 442 Kindern und Jugendlichen untersucht. © 2018 Hogrefe Verlag


P. Hampel und F. Petermann, Situationsspezifische Stressverarbeitung bei Kindern und Jugendlichen

Geschlechts- und Situationseffekte Weitere Evidenz konnte für die Geschlechtseffekte auf die habituelle Stressverarbeitung erhalten werden. Übereinstimmend mit Hampel und Petermann (2006) wiesen die Mädchen geringer ausgeprägte emotionsregulierende Strategien auf. Beck et al. (2016) diskutieren, dass die Vermeidung gemessen durch den Fragebogen zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter (SSKJ 3 – 8; Lohaus, Eschenbeck, Kohlmann, & Klein-Heßling, 2006) hoch korreliert mit den beiden emotionsregulierenden Strategien des SVF-KJ. Somit schlussfolgern sie: „Offenbar sind Mädchen weniger als Jungen in der Lage, sich von ihren Problemen abzuwenden und emotionsregulierende Strategien wie z. B. Bagatellisierung einzusetzen.“ (Beck et al., 2016, S. 153). Weiterhin ergab sich erneut eine erhöhte Suche nach sozialer Unterstützung bei den Mädchen im Vergleich zu den gleichaltrigen Jungen (Beck et al., 2016; Donaldson et al., 2000; Hampel & Petermann, 2006; Hampel & Pössel, 2012; Vierhaus et al., 2007). Gleichzeitig waren wie in bisherigen Studien auch die ungünstigen Verarbeitungsstrategien passive Vermeidung, Resignation und Aggression bei den Mädchen höher ausgeprägt (Calvete et al., 2011; Hampel & Petermann, 2006; Hilt et al., 2010; Lange & Tröster, 2015). Konsistent zu anderen Befunden konnten mehr alleinige Situationseinflüsse als gemeinsame Einflüsse von Geschlecht und Art der Belastungssituation statistisch abgesichert werden (Beck et al., 2016; Griffith et al., 2000; Hampel & Petermann, 2005; Roecker et al., 1996; Vierhaus et al., 2007): So waren in beiden Analysen die Ablenkung, Situationskontrolle und Aggression in Bezug auf die soziale Belastungssituation verglichen mit der schulischen Belastungssituation erhöht. Bereits Eschenbeck et al. (2007) zogen das Fazit, dass die erhöhten Anstrengungen, die sozialen Belastungssituationen zu verarbeiten, auf die hohe Bedeutung der sozialen Belastungssituation für Kinder und Jugendliche schließen lassen. Ein gemeinsamer Einfluss von Geschlecht und Situation konnte lediglich für die gedankliche Weiterbeschäftigung belegt werden, die deutlich ausgeprägter bei den Mädchen in der sozialen Belastungssituation war. Frühere Befunde konnten zeigen, dass Mädchen sich mehr durch soziale Stressoren beansprucht fühlen (Calvete et al., 2011; Hampel & Petermann, 2006; Rudolph & Hammen, 1999) und hohe Anstrengungen unternehmen, die sozialen Konflikte zu verarbeiten (Nummer & Seiffge-Krenke, 2001). Hierdurch scheinen sie ein erhöhtes Risiko aufzuweisen, internalisierende Störungen insbesondere im Verlauf der Adoleszenz zu entwickeln (Hampel & Petermann, 2005; Hampel & Pössel, 2012; José & Brown, 2008; Seiffge-Krenke, 2000). Abweichend zu früheren © 2018 Hogrefe Verlag

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Studien von Eschenbeck et al. (2007) ergaben sich keine größeren Geschlechtseffekte in der Suche nach sozialer Unterstützung, Situationskontrolle und Vermeidung in der sozialen Belastungssituation als in der schulischen Belastungssituation. Auch wenn dies im Einklang mit Befunden von Hampel und Petermann (2005) steht, müssen weitere Studien zu den Situationseinflüssen und zur Rolle der Kontrollierbarkeit der Belastungssituationen Klarheit bringen.

Prädiktionskraft der Stressverarbeitung Insgesamt konnte bestätigt werden, dass die Altersstufe einen bedeutsamen Einfluss auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität aufweist. So konnte auch ein negativer Trend in der körperlichen und psychischen Lebensqualität anhand von varianzanalytischen Auswertungen gezeigt werden (Bisegger et al., 2005). Der Geschlechtseffekt war in der vorliegenden Studie nur bei der Vorhersage der körperlichen Lebensqualität signifikant. Allerdings war ein männliches Geschlecht nicht mehr mit einer erhöhten körperlichen Lebensqualität assoziiert, wenn als Einflussvariable die Stressreaktivität allein und gemeinsam mit der Stressverarbeitung einbezogen wurde. Dieser Suppressionseffekt deutet daraufhin, dass die durch das Geschlecht aufgeklärte Varianz durch Einflüsse psychischer Stresskennwerte bedingt ist. Bisherige Befunde sprechen auch eher für einen signifikanten Geschlechtseinfluss auf die emotions-, selbstwert- und schulbezogene Lebensqualität zuungunsten der Mädchen (Bisegger et al., 2005). Darüber hinaus konnte die vorliegende Studie erste Befunde liefern, dass die habituelle Stressverarbeitung situationsübergreifend die gesundheitsbezogene Lebensqualität bedeutsam vorhersagen kann. So konnte kontrolliert durch Alter, Geschlecht, chronische Krankheiten und die psychische Stressreaktivität die günstige Stressverarbeitung substantiell eine höhere körperliche und psychische Lebensqualität vorhersagen. Des Weiteren sagte die ungünstige Stressverarbeitung eine niedrigere körperliche Lebensqualität voraus, allerdings erhöhten sich die Varianzanteile durch die Berücksichtigung der ungünstigen Stressverarbeitung in der Vorhersage der psychischen Lebensqualität deutlich geringer (1.7 % bei der sozialen und 2.7 % bei der schulischen Belastungssituation). Dementsprechend untermauern diese Befunde den moderierenden Einfluss der Stressverarbeitung auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Weitere post hoc durchgeführte Regressionsanalysen zum Einfluss der neun Stressverarbeitungsstrategien sprechen dafür, dass den beiden günstigen Strategien Bagatellisierung und Positive Selbstinstruktionen ein bedeutsamer Beitrag zur VorherKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 54–63


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P. Hampel und F. Petermann, Situationsspezifische Stressverarbeitung bei Kindern und Jugendlichen

sage einer erhöhten psychischen Lebensqualität zukommt und die positiven Selbstinstruktionen eine erhöhte körperliche Lebensqualität maßgeblich vorhersagen. Zudem zeichnete sich ab, dass die Vermeidung und Resignation eine bedeutsame Prädiktionskraft für die körperliche Lebensqualität aufweisen.

Methodische Einschränkungen Obwohl wesentliche bisherige Befunde zu den Geschlechtsunterschieden durch die vorliegende Studie bestätigt werden konnten, unterliegt die Aussagekraft der Befunde einigen methodischen Einschränkungen. Zunächst schränkt sich die Generalisierbarkeit durch Stichprobencharakteristiken zur Nationalität und Altersspanne ein. Allerdings konnten Lohaus et al. (2004) keinen bedeutsamen Beitrag der Nationalität auf die Stresssymptomatik zeigen. Weiterhin wurden die Unterschiede und Zusammenhänge in selbstberichteten Kennwerten untersucht. Allerdings bildet die Stressverarbeitung internale Prozesse ab, die valider mit dem Selbsturteil als durch eine Fremdeinschätzung erfasst werden können (ConnorSmith et al., 2000; Seiffge-Krenke, 2000). Um die Störgröße einer Erkrankung in der Vorhersage der Lebensqualität kontrollieren zu können, wurden die Krankheiten durch das Elternurteil erfasst, da angenommen wurde, dass die Eltern darüber besser Auskunft geben können. Ferner muss angeführt werden, dass Geschlechtsunterschiede durch Antworttendenzen verursacht worden sein könnten. Allerdings stellen Befunde zu Geschlechtsstereotypen (Schmitz, Vierhaus & Lohaus, 2012) und methodische Berechnungen von Verhältniswerten (Hampel & Petermann, 2005) den störenden Einfluss auf die Geschlechtsunterschiede eher in Frage.

Schlussfolgerungen für die klinische Praxis Erneut bestätigen die Altersbefunde zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität den ungünstigen Trend vom Grundschul- zum Jugendalter. Dies untermauert weitere Befunde zur altersabhängigen Abnahme der schulbezogenen Lebensqualität (Barkmann et al., 2016) und unterstreicht, dass bereits im Grundschulalter und in der frühen Adoleszenz Gesundheitsförderprogramme indiziert sind. Obwohl die regressionsanalytischen Befunde zunächst in zukünftigen Studien repliziert werden müssen, legen sie dennoch nahe, dass derartige StressbewältiKindheit und Entwicklung (2018), 27 (1), 54–63

gungsprogramme für Kinder und Jugendliche die emotionsregulierende Strategie Bagatellisierung und die problemlösende Strategie Positive Selbstinstruktionen aufbauen und die ungünstigen Strategien Resignation und Vermeidung abbauen sollten. Ferner konnte wiederum ein ungünstiges Stressverarbeitungsprofil bei den Mädchen belegt werden, sodass die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen durch altersgerechte, geschlechtssensible primärpräventive Programme verbessert werden sollte (vgl. Hampel, Jahr & Backhaus, 2008).

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P. Hampel und F. Petermann, Situationsspezifische Stressverarbeitung bei Kindern und Jugendlichen

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pressiven Symptombelastung bei Jugendlichen erklären? Zeitschrift für Kinder‐ und Jugendpsychiatrie, 29, 89 – 97. Ravens-Sieberer, U., Herdman, M., Devine, J., Otto, C., Bullinger, M., Rose, M. et al. (2014). The European KIDSCREEN approach to measure quality of life and well-being in children: Development, current application, and future advances. Quality of Life Research, 23, 791 – 803. Ravens-Sieberer, U., Klasen, F., Bichmann, H., Otto, C., Quitmann, J. & Bullinger, M. (2013). Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen. Das Gesundheitswesen, 75, 667 – 678. Roecker, C. E., Dubow, E. F. & Donaldson, D. (1996). Cross‐situational patterns in childrenʹs coping with observed interpersonal conflict. Journal of Clinical Child Psychology, 25, 288 – 299. Rudolph, K. D. & Hammen, C. (1999). Age and gender as determinants of stress exposure, generation, and reactions in youngsters: A transactional perspective. Child Development, 70, 660 – 677. Schmitz, A.-K., Vierhaus, M. & Lohaus, A. (2012). Geschlechtstypische Unterschiede und geschlechtstypische Erwartungen beim Einsatz von Bewältigungsstrategien und ihre Zusammenhänge zum Problemverhalten von Jugendlichen. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 20, 13 – 21. Seiffge‐Krenke, I. (2000). Causal links between stressful events, coping style, and adolescent symptomatology. Journal of Adolescence, 23, 675 – 691. Seiffge-Krenke, I. (2011). Coping with relationship stressors: A decade review. Journal of Research on Adolescence, 21, 196 – 210. Skinner, E. A. & Zimmer-Gembeck, M. J. (2016). The development of coping. Stress, neurophysiology, social relationships, and resilience during childhood and adolescence. Cham, CH: Springer. Syed, M. & Seiffge-Krenke, I. (2015). Change in ego development, coping, and symptomatology from adolescence to emerging adulthood. Journal of Applied Developmental Psychology, 41, 110 – 119. Vierhaus, M., Lohaus, A. & Ball, J. (2007). Developmental changes in coping: Situational and methodological influences. Anxiety, Stress, and Coping, 20, 267 – 282. Zimmer-Gembeck, M. J. & Skinner, E. A. (2011). The development of coping across childhood and adolescence: An integrative review and critique of research. International Journal of Behavioral Development, 35, 1 – 17. Zimmer-Gembeck, M. J., Petegem, S. van & Skinner, E. A. (2016). Emotion, controllability and orientation towards stress as correlates of children’s coping with interpersonal stress. Motivation and Emotion, 40, 178 – 191.

Prof. Dr. Petra Hampel Europa-Universität Flensburg Institut für Gesundheits-, Ernährungs- und Sportwissenschaften Auf dem Campus 1 24943 Flensburg petra.hampel@uni-flensburg.de

Prof. Dr. Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Grazer Straße 6 28359 Bremen fpeterm@uni-bremen.de

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Mitteilungen Kongresskalender 25.01.-26. 01. 2018. Fachtagung Kinderkrankenpflege, in St. Pölten, Austria. Thema: Familien mit (chronisch) kranken Kindern und Jugendlichen. Auskünfte: Berufsverband Kinderkrankenpflege Österreich, Postfach 35, 1097 Wien, Austria, Tel. +43 4702233, office@kinderkrankenpflege.at, www.kinderkrankenpflege.at 26.01.-27. 01. 2018. 4. Kinder- und Jugendpsychiatriekongress Innsbruck, in Innsbruck, Germany. Thema: Bindung und Persönlichkeit bei Kindern und Jugendlichen: Ursachen, Therapie und Prävention. Auskünfte: Anichstraße 35, 6020 Innsbruck, Austria, Tel. +43 512 50423679, lki.ps.kjp-kongress@tirol-kliniken.at, https:// psychiatrie.tirol-kliniken.at/page.cfm?vpath=kinder–undjugendpsychiatrie/kongress-kjp 15.02.-17. 02. 2018. Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung-Tagung 2018, in Basel, Switzerland. Thema: Professionelles Handeln als Herausforderung für die Bildungsforschung. Auskunft: gebf2018.ph@fhnw.ch, http://www.gebf2018.ch/ 28.02.-04. 03. 2018. DGVT-Kongress: 50-jähriges Jubiläum der DGTV, in Berlin, Germany. Thema: Free Your Mind: Psychotherapie im Wandel. Auskünfte: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e.V., Correnstraße 44 – 46, 72076 Tübingen, Tel. +49 7071 94340, kongress@dgtv.de, http://www.dgvt-kongress.de/ 18.03.-21. 03. 2018. 26. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften (DGfE), in Essen, Germany. Auskünfte: Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaften e.V., Warschauer Straße 36, 10243 Berlin, Tel. +49 30 30343444, Fax. +49 30 34391853, buero@dgfe.de, http://www.dgfe.de/dgfe-kongresse.html 12.04.-14. 04. 2018. 13. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie (ÖGP), in Linz, Austria. Auskünfte: Johannes-Kepler-Universität Linz, Altenberger Str. 69, 4040 Linz, Austria, Tel. +43 732 24687270, Fax. +43 732 24687280, oegp2018@jku.at, www.oegp2018.at 21.04.-22. 04. 2018. 70. Kindertherapietage an der Universität Bremen, in Bremen, Germany. Thema: Kinder-

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verhaltenstherapie, Prävention, psychologische Diagnostik. Auskünfte: Eva Todisco, Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen, Grazer Straße 6, 28359 Bremen, Tel. +49 421 21868603, Fax. +49 421 21868629, todisco@uni-bremen.de, https:// www.zkpr.uni-bremen.de 28.06.-29. 06. 2018. 6. Zürcher Diagnostik-Kongress, in Zürich, Switzerland. Thema: Diagnostik – zwischen Ganzheitlichkeit und Reduktion. Auskünfte: Simon Hardegger, ZHAW – IAP Institut für Angewandte Psychologie, Pfingstweidstr. 96, 8005 Zürich, Switzerland, Tel. +41 58 9348340, kongress.iap@zhaw.ch, https://www.zhaw. ch/de/psychologie/institute/iap/veranstaltungen/fachveranstaltungen/zuercher-diagnostik-kongress/ 15.09.-20. 09. 2018. 51. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, in Frankfurt am Main, Germany. Thema: Psychologie gestaltet. Auskünfte: Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Marienstraße 30, 10117 Berlin, referentin@dgps.de, www.dgpskongress.de 02.11.-04. 11. 2018. 37. Jahrestagung der Fachgruppe Klinische Psychologie in der Rehabilitation, in Erkner, Germany. Auskünfte: BDP Sektion Klinische Psychologie, Kirchstr. 3b, 56203 Höhr-Grenzhausen, Tel. +49 262 49427740, info@bdp-klinische-psychologie.de, http:// bdp-klinische-psychologie.de/fachgruppen/gruppe2. shtml HOGREFE Tagungsplaner© (HTP). http://www.hogrefe.de/veranstaltungen/tagungen-und-kongresse/ Der HOGREFE Tagungsplaner© (HTP) bietet Ihnen darüber hinaus ein umfassendes Verzeichnis von Tagungen, Kongressen und Symposien im Bereich der Psychologie und Psychiatrie. Sie können sich nach verschiedenen Suchkriterien die passende Tagung oder den passenden Kongress anzeigen lassen.

https://doi.org/10.1026/0942 – 5403/a000245

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Hinweise für Autorinnen und Autoren Die Zeitschrift Kindheit und Entwicklung versteht sich als interdisziplinäre Fachzeitschrift, in der Klinische Kinderpsychologen, Kinder- und Jugendpsychiater sowie Kinderärzte zu Wort kommen. Ergebnisse aus der Entwicklungspsychopathologie, der Kinderverhaltenstherapie und Kinderneuropsychologie sollen einem weiten Leserkreis bekanntgemacht werden. Die „Kindheit und Entwicklung“ möchte zudem einen Beitrag für die klinische und pädagogische Praxis leisten, was sich in den Rubriken „Aktuelle Kontroverse“, „Prävention“, „Therapie“, „Materialien“ und „Kasuistiken“ niederschlägt. Veröffentlicht werden in der Kindheit und Entwicklung folgende Beitragsarten (in Klammern der Richtwert für die obere Grenze des Manuskriptumfanges inkl. Tabellen, Abbildungen, Literatur, deutsche und englische Zusammenfassung, Titelblatt, Leerzeichen und Absätze): Überblicksarbeiten (45.000 Zeichen), Originalbeiträge (36.000 Zeichen), Kasuistiken (27.000 Zeichen), Materialien für die Praxis (21.600 Zeichen). Einsendung von Manuskripten. Alle Manuskripte sind in elektronischer Form als Word-Datei (nicht als pdf) per E-Mail an Prof. Dr. Ulrike Petermann zu senden: upeterm@uni-bremen.de Detaillierte Hinweise für Autoren finden Sie unter www.hogrefe. com/j/kie Urheber- und Nutzungsrechte. Der Autor bestätigt und garantiert, dass er uneingeschränkt über sämtliche Urheberrechte an seinem Beitrag einschließlich eventueller Bildvorlagen, Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen und Tabellen verfügt, und dass der Beitrag keine Rechte Dritter verletzt. Der Autor räumt – und zwar auch zur Verwertung seines Beitrages außerhalb der ihn enthaltenen Zeitschrift und unabhängig von deren Veröffentlichung – dem Verlag räumlich und mengenmäßig unbeschränkt für die Dauer des gesetzlichen Urheberrechts das ausschließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung bzw. der unkörperlichen Wiedergabe des Beitrags ein. Der Autor räumt dem Verlag ferner die folgenden ausschließlichen Nutzungsrechte am Beitrag ein:

a) Das Recht zum ganzen oder teilweisen Vorabdruck oder Nachdruck – auch in Form eines Sonderdrucks, zur Übersetzung in andere Sprachen, zu sonstiger Bearbeitung und zur Erstellung von Zusammenfassungen (Abstracts); b) das Recht zur Veröffentlichung einer Mikrokopie-, Mikroficheund Mikroformausgabe, zur Nutzung im Weg von Bildschirmtext, Videotext und ähnlichen Verfahren, zur Aufzeichnung auf Bildund/oder Tonträger und zu deren öffentlicher Wiedergabe – auch multimedial – sowie zur öffentlichen Wiedergabe durch Radiound Fernsehsendungen; c) das Recht zur maschinenlesbaren Erfassung und elektronischen Speicherung auf einem Datenträger (z. B. Diskette, CD-Rom, Magnetband) und in einer eigenen oder fremden Online-Datenbank, zum Download in einem eigenen oder fremden Rechner, zur Wiedergabe am Bildschirm – sei es unmittelbar oder im Wege der Datenfernübertragung – sowie zur Bereithaltung in einer eigenen oder fremden Online-Datenbank zur Nutzung durch Dritte; d) das Recht zu sonstiger Vervielfältigung, insbesondere durch fotomechanische und ähnliche Verfahren (z. B. Fotokopie, Fernkopie) und zur Nutzung im Rahmen eines sogenannten Kopienversands auf Bestellung; e) das Recht zur Vergabe der vorgenannten Nutzungsrechte an Dritte in In- und Ausland sowie die von der Verwertungsgesellschaft WORT wahrgenommenen Rechte einschließlich der entsprechenden Vergütungsansprüche. Nutzungsrichtlinien für Hogrefe Zeitschriftenartikel. Hinweise für Autoren zur Online-Archivierung einer elektronischen Version Ihres Manuskriptes finden Sie auf unserer Homepage unter http://hgf.io/nutzungsrichtlinien. September 2016

Kindheit und Entwicklung Zeitschrift für Klinische Kinderpsychologie g

Jahrgang 26 / Heft 1 / 2017 Herausgeber Ulrike Petermann Franz Petermann Martin H. Schmidt Ulrich Stephani

Kindheit und Entwicklung Zeitschrift für Klinische Kinderpsychologie Schwerpunkt Sozial-Emotionale und Kognitive Kompetenz als Bewältigungsressourcen

Wir freuen uns über die Einreichung von Beiträgen für unsere Zeitschrift. Weitere Informationen zur Zeitschrift sowie alle notwendigen Hinweise für die Einreichung von Manuskripten (Autorenhinweise) finden Sie auf unserer Homepage.

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The multiaxial diagnostic system based on psychodynamic principles, now for children and adolescents OPD-CA-2 Task Force / Franz Resch / Georg Romer / Klaus Schmeck / Inge Seiffge-Krenke (Editors)

OPD-CA-2 Operationalized Psychodynamic Diagnosis in Childhood and Adolescence Theoretical Basis and User Manual 2017, xvi + 334 pp. US $69.00 / â‚Ź 54.95 ISBN 978-0-88937-489-8 Following the success of the Operationalized Psychodynamic Diagnosis for Adults (OPD-2), this multiaxial diagnostic and classification system based on psychodynamic principles has now been adapted for children and adolescents by combining psychodynamic, developmental, and clinical psychiatric perspectives. The OPD-CA-2 is based on four axes that are aligned with the new dimensional approach in the DSM-5: I = interpersonal relations, II = conflict,

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III = structure, and IV = prerequisites for treatment. After an initial interview, the clinician (or researcher) can evaluate the patient’s psychodynamics according to these axes to get a comprehensive psychodynamic view of the patient. Easy-to-use checklists and evaluation forms are provided. The set of tools and procedures the OPD-CA-2 manual provides have been widely used for assessing indications for therapy, treatment planning, and measuring change, as well as providing information for parental work.


ZLT-II

Zürcher Lesetest II Weiterentwicklung des Zürcher Lesetests (ZLT) von Maria Linder und Hans Grissemann

Franz Petermann / Monika Daseking 3., überarbeitete Auflage mit erweiterten Normen Der ZLT-II dient der Überprüfung des schulischen Leistungsstandes im Lesen. Er entdeckt zuverlässig Schüler/-innen mit Schwierigkeiten in diesem Bereich und bietet ebenso Hinweise zur Bestimmung von Fördermaßnahmen. Bereits ab Ende der ersten Klasse können Aussagen über den Leistungsstand eines Kindes im Vergleich zu Kindern der gleichen Klassenstufe gemacht werden. Diese frühe Einschätzung von Leseleistungen ermöglicht das Einleiten von Interventionen, bevor gravierende Auswirkungen auf sämtliche schulischen Leistungen auftreten können. Der Einsatz in höheren Klassenstufen kann einerseits der Förderdiagnostik, andererseits als Verlaufskontrolle bei Lesetrainings dienen.

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Zuverlässigkeit Für die einzelnen Klassenstufen betragen die internen Konsistenzen für die Untertests α = .83 (8. Klasse) und α = .93 (Ende 2./Anfang 3. Klasse). Die Retest-Reliabilität fallen für die Lesegeschwindigkeiten mit Werten zwischen r = .93 und r = .99 sehr hoch aus. Für die Lesefehler liegen die Koeffizienten zwischen r = .41 und r = .93.

Analyse der Lesefehler, 10 Arbeitsblätter Silbentrennung schriftlich A, 10 Arbeitsblätter Silbentrennung schriftlich B, 6 Wortlesekarten, 6 Textlesekarten,

Normen Es werden Prozentränge bzw. Prozentrangbänder und T-Werte (N = 1367) ab Ende der 1. bis zur 8. Klasse angegeben.

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Einsatzbereich: Das LoMo 3-6 unterstützt Ärzte und Therapeuten bei der Beurteilung des motorischen Entwicklungsstandes von Kindergarten- und Vorschulkindern. Er kann insbesondere dann eingesetzt werden, wenn der Verdacht auf eine umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen (UEMF) besteht. Leitliniengetreu (nach AWMF) können mit Ausnahme der medizinischen Beurteilung alle Diagnosekriterien einer UEMF überprüft werden. Das Verfahren: Es liegen zwei Testversionen für die Altersgruppe 3;0 bis 4;5 Jahre (Version A) und für die Altersgruppe 4;6 bis 6;11 Jahre (Version B) vor. Version A stellt mit 22 Aufgaben eine verkürzte und leicht modifizierte Variante der Testversion B (32 Aufgaben) dar. Es werden Aufgaben aus den Bereichen der „Hand- und Körpermotorik“ überprüft, die gemeinsam die Gesamtskala „Gesamtmotorik“ bilden. Anhand von Beobachtungen aus der Testsituation kann weiterhin ein Lateralitätsquotient zur Bestimmung der Handpräferenz gebildet werden. Mittels Fragebogen kann ein Gesamtwert zu „Alltäglichen motorischen Aktivitäten“ ermittelt werden. Normen: Es wurden insgesamt 963 Kinder untersucht. Für alle Skalen liegen geschlechtsspezifische und Gesamtaltersnormen in Sechs-Monatsintervallen vor. Bearbeitungsdauer: Testversion A lässt sich in etwa 25 bis 30 Minuten durchführen; für Testversion B werden etwa 35 bis 45 Minuten benötigt.

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