Leseprobe LLS 2019

Page 1

Jahrgang 7 / Heft 1 / 2018

Lernen und Lernstörungen

Jahrgang 7 / Heft 1 / 2018

Lernen und Lernstörungen

Geschäftsführende Herausgeber Michael von Aster Marlies Lipka Herausgeber Irene Corvacho del Toro Karin Kucian Jens Holger Lorenz Cordula Löffl er Marianne Nolte Gerd Schulte-Körne

In Zusammenarbeit mit

Fachverband für integrative Lerntherapie e.V.


Funktionsbeurteilung bei Kindern und Jugendlichen

WHO – World Health Organization

ICF-CY

Internationale Klassif kation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen Deutsche Ausgabe herausgegeben von Judith Hollenweger / Olaf Kraus de Camargo. Übersetzt von Judith Hollenweger / Olaf Kraus de Camargo. 2., korrigierte Auf age 2017. 320 S., Kt € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-456-85812-8

Mit der Internationalen Klassif kation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) hat die Weltgesundheitsorganisation die betroffene Person und nicht ihre Symptome ins Zentrum gestellt. Sie hat damit eine länder- und fächerübergreifende einheitliche Sprache geschaffen, die aus Komponenten der Körperfunktionen und -strukturen, der möglichen Aktivitäten und sozialen Teilhabe sowie der relevanten Umgebungsfaktoren besteht. Die ICF-CY berücksichtigt die Besonderheiten in Entwicklung bef ndlicher Funktionen und die besonderen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen. Sie ermöglicht eine differenzierte und multiaxiale Beschreibung von

www.hogrefe.com

Schädigungen, Verzögerungen oder ungewöhnlichen Entwicklungswegen, die für die spätere körperliche Funktionsfähigkeit, Aktivität und soziale Teilhabe prägend sind. Die ICF-CY bietet deshalb die Grundlage für eine interdisziplinäre Planung und Durchführung von Interventionen durch unterschiedliche Gesundheitsund pädagogische Berufe und für die Steuerung von Angeboten und Ressourcen durch die Gesundheits- und Bildungspolitik. Neu in der 2., korrigierten Auf age: Übersichtliche und didaktisch optimierte, farbige Darstellung der kompletten Klassif kationen.


Lernen und Lernstörungen

7. Jahrgang / Heft 1 / Januar 2018 Geschäftsführende Herausgeber Michael von Aster Marlies Lipka Herausgeber Irene Corvacho del Toro Karin Kucian Jens Holger Lorenz Cordula Löf er Marianne Nolte Gerd Schulte-Körne

Fachverband für integrative Lerntherapie e.V.


Geschäftsführende Herausgeber

Prof. Dr. Michael von Aster Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik DRK Kliniken Berlin | Westend Spandauer Damm 130 14050 Berlin Deutschland m.aster@drk-kliniken-berlin.de Marlies Lipka Fachverband für integrative Lerntherapie e. V. (FiL) Rathausstr. 3b 14669 Ketzin Deutschland gfuehrung@lernfi .de

Herausgeber

Dr. Irene Corvacho del Toro, Frankfurt a.M. PD Dr. Karin Kucian, Zürich Prof. Dr. Jens Holger Lorenz, Heidelberg Prof. Dr. Cordula Löf er, Weingarten Prof. Dr. Marianne Nolte, Hamburg Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne, München

Editorial Consultant

PD Dr. Liane Kaufmann, Hall in Tirol

Redaktion

Mag. Jasmin Leitner, Hall in Tirol

Beirat

Daniel Ansari, London, Ontario Günter Esser, Potsdam Silke Göbel, York Thomas Günther, Aachen Judith Hollenweger, Zürich Lutz Jäncke, Zürich Kristin Krajewski, Frankfurt a. M. Petra Küspert, Würzburg Karin Landerl, Graz Bea Latal, Zürich Elisabeth Moser Opitz, Zürich

Verlag

Hogrefe AG, Länggass-Str. 76, Postfach, 3000 Bern 9, Schweiz Tel. +41 (0)31 300 45 00, Fax +41 (0)31 300 45 93 verlag@hogrefe.ch, www.hogrefe.com

Anzeigenleitung

Josef Nietlispach, Hogrefe AG, Länggass-Str. 76, Postfach, 3000 Bern 9, Schweiz Tel. +41 (0)31 300 45 69, Fax +41 (0)31 300 45 91 inserate@hogrefe.ch

Herstellung

Stefan Schüpbach, Tel. +41 (0)31 300 45 77, stefan.schuepbach@hogrefe.ch

Satz & Druck

AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten im Allgäu

ISSN

ISSN-L 2235-0977, ISSN (Print) 2235-0977, ISSN (Online) 2235-0985

Erscheinungsweise

4 Hefte jährlich

Bezugsbedingungen

Jahresabonnement Institute: € 142.− / CHF 183.−; Private: € 71.− / CHF 95.– plus Porto und Versandgebühren: Schweiz CHF 14.− / Europa € 15.− / übrige Länder CHF 26.− Einzelheft € 34.− / CHF 46.− zzgl. Porto und Versandgebühren zeitschriften@hogrefe.ch

Indexierung

PsycINFO und PSYNDEX

Elektronischer Volltext

http://econtent.hogrefe.com/toc/lls/current

Korbinian Möller, Tübingen Hans-Christoph Nürk, Tübingen Franz Petermann, Bremen Silvia Pixner, Hall in Tirol Ralph Radach, Wuppertal Marcel Romanos, München Hubert Schaupp, Graz Elsbeth Stern, Zürich Günther Thomé, Frankfurt Susanne Walitza, Zürich Sabine Walper, München

Lernen und Lernstörungen ist Mitgliederzeitschrift des Fachverbands für integrative ­Lerntherapie e. V. (FiL) und des Legasthenie-Zentrums Berlin e. V.


Inhalt Editorial

5

Übergänge Michael von Aster und Marlies Lipka

Fokus Forschung

Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen in der ­Sekundarstufe – Empirische Befunde und didaktische Vorschläge

7

Melanie Döring, Gabriele Strobel-Eisele, Albrecht Wacker, Elke Heizmann und Jochen Kramer Leseentwicklung im Grundschulalter. Kognitive Grundlagen und Risikofaktoren

33

Telse Nagler, Sven Lindberg und Marcus Hasselhorn Der Einfluss der morphem tischen Bewusstheit auf die ­Rechtschreibleistung

45

Reinhard Kargl, Andrea Wendtner, Christian Purgstaller und Andreas Fink Fokus Anwendung

Lesen als Sinnsuche - Auch Lesenlernen ist mehr als der Erwerb von ­Techniken

21

Hans Brügelmann Rezensionen

MARKO-D 1+ Mathematik- und Rechenkonzepte bei Kindern der ­ersten Klassenstufe – Diagnose

55

Anne Maria Kaduk, Heinz Rosin und Maria Weise Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie – Grundlagen, Diagnostik und Förderung

57

Marlies Lipka Wissen – kurz notiert

Leseförderung: Je früher, desto besser? – Ergebnisse einer Metaanalyse zu Langzeiteffekten

59

Ursula Fischer Händigkeit und mathematische Fähigkeiten

60

Isabelle Zuber und Karin Kucian

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 3


Eine neue Sichtweise der Therapiewirksamkeit

Bruce E. Wampold / Zac E. Imel / Christoph Flückiger

Die Psychotherapie-Debatte Was Psychotherapie wirksam macht Deutsche Ausgabe herausgegeben von Christoph Flückiger. Übersetzt von Michael Ackert / Christoph Flückiger. Unter Mitarbeit von Judith Held / Christine Wolfer / Jan Westenfelder. 2018. 400 S., 28 Abb., 13 Tab., Kt € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-456-85681-0 Auch als eBook erhältlich

08.09.17 10:00

www.hogrefe.com

Die zweite Auflage des Titels „The Great Psychotherapy Debate“ von Bruce E. Wampold und Zac E. Imel liegt nun in der deutschsprachigen Adaption von Christoph Flückiger vor. Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über die psychologische Therapieforschung, ihre Geschichte und über die verschiedenen Ansätze, die zur Untersuchung der Wirksamkeit verwendet werden. Zentrale therapeutische Methoden und Interventionen werden verständlich dargestellt und anhand aktueller Forschungsliteratur kritisch hinterfragt. Die Autoren vergleichen die herkömmlichen Untersuchungsansätze, die nur die Betrachtung spezifischer Wirkfaktoren berücksichtigen, mit

dem eigens von ihnen entwickelten Kontextmodell, das von methodenübergreifenden Einflüssen ausgeht. Dafür stellen sie beide Modelle dar, leiten Hypothesen zur Therapiewirksamkeit ab und überprüfen anschließend ihre Annahmen anhand der aktuellen empirischen Literatur. Nach diesem Vergleich kommen sie zu dem Fazit, dass übergreifende Faktoren, wie etwa die Therapeuteneigenschaften, für die Wirksamkeit der Psychotherapie eine wichtige Rolle spielen. Damit versöhnen sie nicht nur unterschiedliche Ansätze, sondern sie ermutigen auch Kliniker dazu, pragmatisch-integrativ und methodenübergreifend zu arbeiten.


Editorial

Übergänge

Z

um Jahreswechsel möchten wir Sie zunächst über interne Übergänge und Veränderungen im Gremium der Herausgeber informieren, die durch das persönlich begründete Ausscheiden von Liane Kaufmann notwendig wurden. Neu übernehmen Michael von Aster und Marlies Lipka die geschäftsführende Herausgeberschaft. Mit Jens Holger Lorenz, Irene Corvacho del Toro und ­Karin Kucian begrüßen wir außerdem drei ausgewiesene und praxisnahe Wissenschaftler / -innen aus den didaktischen, pädagogisch-psychologischen und neurowissenschaftlichen Disziplinen im Gremium der Herausgeber. Neben Liane Kaufmann verabschieden wir auch Silvia Pixner, die von Beginn an engagiert am Aufb u der Zeitschrift beteiligt war. Beide bleiben der Zeitschrift als Beiräte aktiv verbunden, wobei Liane Kaufmann die Herausgeber zudem zukünftig als „Editorial Consultant“ beratend unterstützen wird. Wir danken den beiden Kolleginnen von ganzem Herzen für ihren Einsatz und ihre „gründerischen“ Impulse, ohne die es die Zeitschrift Lernen und Lernstörungen heute nicht gäbe. Insbesondere Liane Kaufmann hat das Profil der Zeitschrift mit ihrem weiten, Forschung und Anwendung verbindenden Horizont maßgeblich geprägt. Dieser personelle Übergang soll aber gleichzeitig die Stabilität des inhaltlichen Alleinstellungsmerkmals unserer Zeitschrift gewährleisten: Dies sind die vielfältigen Übergänge zwischen Forschung und Anwendung. Übergänge, die auch zwischen den verschiedenen Disziplinen und ihren unterschiedlichen Perspektiven auf den Gegenstand des Lernens und seiner Gelingens- bzw. Misslingens-Bedingungen in Zeiten tiefgreifender Umbrüche im Bildungssystem notwendiger sind als je zuvor. Würde man in der medizinischen Versorgung mit Häufig eiten von „unerwünschten Nebenwirkungen“ rechnen müssen, die denen des Schulscheiterns von Kindern und Jugendlichen in unserem heutigen Bildungsbetrieb entsprechen, so würde wohl niemand mehr ohne begründete existenzielle Ängste zum Arzt gehen. Auch wenn allerorten Interdisziplinarität gefordert wird, so fin et sich doch noch vielfach in Forschung und Praxis eine eher verständigungsarme Multidisziplinarität, in der die einzelnen Disziplinen oft im Bemühen um Identität und Abgrenzung kontradisziplinäre Haltungen entwickeln. Ohne das mutige sich Öffnen gegenüber Erkenntnissen und Praktiken benachbarter Fachdisziplinen, das Infragestellen althergebrachter Denkmuster und das evaluative Überprüfen eigener Konzepte und © 2018 Hogrefe

Vorgehensweisen wird man den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen im Bildungssystem nicht ausreichend gerecht werden können. Bleibt die Rate der „unerwünschten Nebenwirkungen“ so hoch, so wird wohl auch der Bedarf an Lern- und Psychotherapien weiter wachsen. Zentrale zukünftige Anliegen betreffen zum einen die Qualität von Individualisierung im Unterricht, die der zunehmenden Heterogenität von Lernvoraussetzungen, aber auch kulturellen Prägungen der Schüler Rechnung tragen muss. Zum anderen besteht die Notwendigkeit, die schulische Aufgabe explizit auf den Bereich des sozialen Lernens auszudehnen, das kooperatives Verhalten und Einfühlungsvermögen fördert und humanistische ethische Grundwerte im Alltag verankern hilft. Vom erlebten Erfolg beim schulischen Lernen und im sozialen Miteinander hängt die Entwicklung eines positiven und stabilen Selbst- und Fähigkeitskonzepts ab – entscheidende Werkzeuge für eine gelingende Bildungsund Persönlichkeitsentwicklung. Unsere Zeitschrift wird sich auch weiterhin mit Enthu­ siasmus der Förderung des interdisziplinären Dialogs zwischen Forschung und Anwendung widmen. Dabei vertrauen wir mit Dankbarkeit und Zuversicht darauf, dass uns Andrea Alferi und Stefan Schüpbach von Seiten des Verlags weiterhin so engagiert und geduldig unterstützen wie bisher, und dass Jasmin Leitner auch zukünftig die Manuskripte so zuverlässig und souverän redaktionell betreut wie von Beginn an.

Inhalte der aktuellen Ausgabe Die Ausgabe enthält drei Beiträge im „Fokus Forschung“. Döring, Strobel-Eisele, Wacker, Heizmann und Kramer (2018) setzen sich mit dem Thema Prüfungen auseinander, insbesondere damit, ob und wie soziale Kompetenzen gefördert und als Bestandteil von Abschlussprüfungen in kooperativen Lernarrangements bewertet werden können. In der vorgestellten Studie wurden die Einflüsse von Merkmalen der sozialen Kompetenz auf die Prüfungsleistung untersucht und der Frage nachgegangen, ob soziale Kompetenzen durch ein Training im Rahmen der Prüfungsvorbereitung gefördert werden können. Der Beitrag von Nagler, Lindberg und Hasselhorn (2018) vermittelt einen prägnanten Überblick über den aktuellen Kenntnisstand zur Lese­ Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 5 – 6 https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000203


Editorial

6

entwicklung im Grundschulalter, ihre kognitiven Voraussetzungen und Risikofaktoren auf der Grundlage aktueller Meta-Analysen, Längsschnittstudien und Forschungsreviews. Kargl, Wendtner, Purgstaller und Fink (2018) belegen anhand einer Querschittsstudie eine starke Beziehung zwischen morphematischer Bewusstheit und Rechtschreib­ leistung und weisen damit auf die Bedeutung der morphematischen Bewusstheit für den Schriftspracherwerb hin. Brügelmann (2018) widmet seinen Beitrag im „Fokus Anwendung“ dem Thema Lesenlernen und Leseförderung. Er knüpft damit an seinen Vortrag im Rahmen der FiL-Fachtagung 2017 an und vertieft entlang von Beispielen wesentliche Aspekte der Leseförderung. Der Autor hebt die Bedeutung der kontextbezogenen Sinnsuche sowie der vielfachen Verknüpfungen kognitiver Strategien hervor. Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern ein erfolgreiches, friedliches und bereicherndes neues Jahr und eine anregende Lektüre der Beiträge der vorliegenden Ausgabe.

Literatur Brügelmann, H. (2018). Lesen als Sinnsuche. Auch Lesenlernen ist mehr als der Erwerb von Techniken. Lernen und Lernstörungen, 7, 21 – 31. Döring, M., Strobel-Eisele, G., Wacker, A., Heinzmann, E. & Kramer, J. (2018). Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen in der Sekundarstufe. Lernen und Lernstörungen, 7, 7 – 20. Kargl, R., Wendtner, A., Purgstaller, C. & Fink, A., (2018). Der Einfluss der morphematischen Bewusstheit auf die Rechtschreibleistung. Lernen und Lernstörungen, 7, 45 – 54. Nagler, T., Lindberg, S. & Hasselhorn, M. (2018). Leseentwicklung im Grundschulalter. Kognitive Grundlagen und Risikofaktoren. Lernen und Lernstörungen, 7, 33 – 44.

Prof. Dr. Michael von Aster Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik DRK Kliniken Berlin | Westend Spandauer Damm 130 14050 Berlin Deutschland m.aster@drk-kliniken-berlin.de Marlies Lipka Fachverband für integrative Lerntherapie e. V. (FiL) Rathausstr. 3b 14669 Ketzin Deutschland gfuehrung@lernfi .de

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 5 – 6

© 2018 Hogrefe


Empirische Arbeit

Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen in der Sekundarstufe Empirische Befunde und didaktische Vorschläge Melanie Döring1, Gabriele Strobel-Eisele1, Albrecht Wacker2, Elke Heizmann1 und Jochen Kramer3 1

Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung Schulpädagogik, Ludwigsburg Pädagogische Hochschule Heidelberg, Heidelberg 3 Eberhardt-Karls-Universität, Tübingen

Zusammenfassung: Der Förderung sozialer Kompetenzen wird in den Bildungsplänen ein hoher Stellenwert eingeräumt und in den letzten Jahren zunehmend auch in Prüfungsprozesse integriert. Ziel neu implementierter Abschlussprüfungen ist es, neben fachlich-inhaltlichen Kenntnissen auch soziale Kompetenzen in der Leistungsbeurteilung zu berücksichtigen. Prüfungen, die als projektartige Gruppenprüfungen konzipiert sind, verlangen eine kooperative Arbeitsweise der Lernenden, für die soziale Kompetenzen als wichtige Voraussetzung gelten. Bislang ist jedoch nicht empirisch geklärt, welchen Einfluss soziale Kompetenzen tatsächlich auf den Leistungserfolg in diesen kooperativen Prüfungsarrangements aufweisen. Die vorliegende Studie setzt an diesem Forschungsdefizit an und untersucht am Beispiel der Fächerübergreifenden Kompetenzprüfung an Realschulen in Baden-Württemberg, inwieweit soziale Kompetenzen die Prüfungsleistung beeinflussen Zudem wurde in einem quasi-experimentellen Interventions- und Kontrollgruppendesign verglichen, ob sich die sozialen Kompetenzen der Lernenden anhand gezielter Trainingseinheiten zum kooperativen Arbeiten steigern lassen und sich Effekte auf die Prüfungsleistung zeigen. Als Ergebnis der Studie ergab sich ein substanzieller Effekt für situationsspezifis he soziale Kompetenzen auf die Leistung. Signifi ante Veränderungen der sozialen Kompetenzen konnten jedoch nach Durchführung der Intervention nicht nachgewiesen werden. Schlüsselwörter: Soziale Kompetenzen, Leistung, Leistungsbeurteilung, Prüfung, Intervention Social competencies and their assessment in final examinations Abstract: The development and promotion of social competencies is given high priority in curriculums and has also been integrated into the examination process. The scope of new implemented final examinations in Germany is to take into account social competencies in the performance assessment additionally to the subject-related knowledge. Examinations, which are designed as group-based students’ projects, require a cooperation in teams, as wells as social skills which are necessary for collaborating in working groups. However, it has not been empirically tested yet, how social competencies actually affect performance in these cooperative learning arrangements. With regard to this research defici , the present study examines the influence of social competencies on performance using the example of the “Fächerübergreifende Kompetenzprüfung” (examination of cross-curricula-competencies) at high schools in Baden-Württemberg. In addition, a quasi-experimental intervention study was used to fi ure out, whether a training program focused on cooperative learning helps to develop social competencies and effects on the examination performance. As a result of the study, specific social competencies had a substantial effect on performance. Conversely, significant hanges in social competencies could not be achieved. Keywords: social competence, assessment, performance, examination, intervention study

Einleitung Soziale Kompetenzen

S

oziale Kompetenzen zählen zu den Schlüsselkompetenzen, die als Voraussetzung für eine erfolgreiche Lebensbewältigung und eine gut funktionie-

© 2017 Hogrefe

rende Gesellschaft gelten (vgl. Rychen, 2004). Eine weltweite Wissensgesellschaft fordert neben der Vermittlung fach­lichen Wissens verstärkt auch eine schulische Förderung überfachlicher Kompetenzen, wie die der sozialen Kompetenzen und des lernstrategischen Wissens und Könnens. Aus diesem Grund haben sie Einzug in die Bildungspläne bzw. die Schulgesetzgebung erLernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20 https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000196

Fokus Forschung

2


Fokus Forschung

8

M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen

halten und stellen seit einigen Jahren auch ein Element von Schulabschlussprüfungen dar. Für den Begriff der sozialen Kompetenz liegt derzeit keine einheitliche Definition vor. Vielmehr wird soziale Kompetenz als multidimensionales Konstrukt verstanden unter dem verschiedene menschliche Fähigkeiten und Fertigkeiten gefasst werden. Soziale Kompetenzen gelten als facettenreiche Handlungskompetenz, „die durch verschiedene Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissensstrukturen, motivationale Tendenzen, Einstellungen, Werthaltungen usw. bestimmt wird“ (Stanat & Kunter, 2001, S. 2 99). Es wird zwischen kognitiven, emotionalen und motivationalen Aspekten sozialer Kompetenz unterschieden. Hinsch und Pfin sten (2007, S.  82f) definie en soziale Kompetenz als die „Verfügbarkeit und Anwendung von kognitiven, emotionalen und motorischen Verhaltensweisen, die in bestimmten sozialen Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen für den Handelnden führen“. Nach Kanning (2009a) gibt es soziale Kompetenzen, die unabhängig vom sozialen Kontext bedeutsam sind sowie spezifi che soziale Kompetenzen, die in einer bestimmten Situation als sozial kompetent gelten. In Anknüpfung an Euler (1997) heben auch Schumann, Eberle und Blum (2009) die Situationsabhängigkeit sozialer Kompetenzen hervor und definie en sie als das Potenzial eines Menschen, „innerhalb seiner Lebensbereiche in spezifi chen Typen von kommunikativen Situationen angemessen und zielgerichtet handeln zu können“. Dabei fokussiert sich eine Anwendung sozialer Kompetenzen auf eine Ausbalancierung und Integration von eigenen Ansprüchen und den Ansprüchen der Kommunikationspartner. Ob ein Verhalten als sozial kompetent zu beurteilen ist, ergibt sich demnach aus den Zielen des Handelnden und der Akzeptanz durch den betroffenen sozialen Kontext. Mit dieser Definition wird auf folgende wichtige Aspekte aufmerksam gemacht: Soziale Kompetenzen werden als Verhaltensdispositionen verstanden und grenzen sich damit von Performanzvorstellungen ab (vgl. Erpenbeck und Rosenstiel, 2003; Kanning, 2009a; Schumann et al. , 2009). Zudem sind soziale Kompetenzen von Kontextbedingungen beeinflusst und damit in ihrer Anwendung bereichs- und situationsspezifi ch verankert. Für die vorliegende Arbeit ist der Kontext besonders hervorzuheben, der sich in einer kooperativen Arbeitsweise in einer schulischen Lernumgebung manifestiert und in dem die Lernenden kooperative und kommunikative Fähigkeiten benötigen, um in dieser speziellen Handlungssituation erfolgreich sein zu können.

Soziale Kompetenzen als Bestandteil von ­Leistungsbeurteilungen Im Kontext der schulischen Leistungsbeurteilung wurden in den letzten Jahren Maßnahmen entwickelt und InstruLernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

mente eingesetzt, um soziale und kommunikative Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern diagnostizieren und bewerten zu können. In Deutschland werden dabei besonders alternative Leistungsbeurteilungen wie Portfolios und Lerntagebücher in der erziehungswissenschaftlichen Literatur diskutiert. Die Herausforderung für die Erfassung und Beurteilung überfachlicher Kompetenzen liegt vor allem darin, dass die Kompetenzen nur im Zusammenhang mit Handlungssituationen sichtbar werden (vgl. Kaufh ld, 2006, S. 2 2). In vielen Bundesländern sind inzwischen neue Abschlussprüfungen in Form von Projekt-, Präsentationsund Kompetenzprüfungen eingeführt worden, mit dem Ziel, neben fachlich-inhaltlichen Kenntnissen auch weitere Kompetenzen, wie die der sozialen Kompetenzen zu fördern und zu bewerten. In den Realschulen in BadenWürttemberg, auf die sich die hier vorgestellte empirische Studie bezieht, wurden die Abschlussprüfungen seit dem Schuljahr 2007/08 durch die Fächerübergreifende Kompetenzprüfung (FüK) erweitert. Diese Prüfung räumt den sozialen, methodischen und personalen Kompetenzen einen hohen Stellenwert in der Leistungsmessung ein (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, 2006). Ziel ist es, „dass Schülerinnen und Schüler im Team eine komplexe Fragestellung projektorientiert bearbeiten und ihre Ergebnisse dokumentieren, präsentieren und reflektieren“ (ebd., 2 7). Ein solches kooperatives Lernarrangement zielt neben der Prüfung der individuellen kognitiven Lernleistung, auch auf eine Förderung und Überprüfung der kooperativen Fähigkeiten. Intendiert ist, dass die beteiligten Personen ihre kooperativen Kompetenzen einsetzen, um gemeinsam und im wechselseitigen Austausch Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben (vgl. Huber, 2007). Der Lernende soll zum Experten für einen Teil des Lernstoffes werden und diesen der Gruppe vermitteln. Für die FüK wählen die Schülerinnen und Schüler interessengeleitet ein Thema aus, das sich auf die Kompetenzen und Inhalte mindestens zweier Fächer oder Fächerverbünde aus den Klassen 9 und 10 beziehen muss und bearbeiten dieses in einer Gruppe (3 – 5 Lernende) über das 10. Schuljahr hinweg. Die tatsächliche Prüfung besteht aus der Präsentation der Ergebnisse als Gruppe sowie einem anschließenden Prüfungsgespräch, wobei jeder Schüler eine Prüfungszeit von ca. 15 Minuten erhält. Leistungsrelevant sind die vier curricular festgelegten Kompetenzbereiche der fachlichen, methodischen, sozialen und personalen Kompetenzen, für die ein Kompetenzraster, herausgegeben vom Kultusministerium BadenWürttemberg, zur Bewertung der Prüfung vorliegt. Hierin werden soziale Kompetenzen mit den Schlagworten „Teamfähigkeit“ und „Interaktion in der Gruppe“ beschrieben (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, 2006, S.  43). Die Operationalisierung der Kompetenzen © 2017 Hogrefe


bleibt jedoch weitgehend offen, ebenso wie ihre Gewichtung bei der Notenvergabe. In einer empirischen Studie, in der 3 50 Lehrkräfte zur Fächerübergreifenden Kompetenzprüfung befragt wurden, zeigte sich, dass für die Notenvergabe hauptsächlich die Fachkompetenz der Schülerinnen und Schüler relevant ist (vgl. Döring, Strobel-Eisele, Wacker, Heizmann & Kramer, 2016). Zudem verweisen empirische Studien auf Schwierigkeiten für die Lehrkräfte bei der Erfassung und Bewertung sozialer Kompetenzen in Prüfungssituationen (vgl. Döring et al. , 2016; Schleske, 2005; Traub, 2012). Welchen Einfluss die sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler tatsächlich auf die Leistung in der Abschlussprüfungen aufweisen, stellt gegenwärtig noch ein Forschungsdefizit ar.

Zusammenhänge zwischen sozialen Kompetenzen und Leistung Soziale Kompetenzen gelten als individuelle Lernvoraussetzungen, die den schulischen Lernerfolg positiv beeinflussen (vgl. Baumert et al., 2001). Die empirische Befundlage, die diesen Zusammenhang bestätigt, ist jedoch bislang unzureichend. Hinzu kommt, dass unterschied­ liche Indikatoren für die Erfassung sozialer Kompetenzen herangezogen werden, die unterschiedliche Effekte mit sich bringen. Die Akzeptanz durch Peers gilt beispielsweise als ein wichtiges Merkmal für sozial kompetentes Verhalten. In einer dreijährigen Langzeitstudie mit Viert-, Fünfund Sechstklässlern (N = 248) von Flook, Repetti und Ullman (2005 ) erwies sich die Peer-Akzeptanz als Prädiktor für den späteren Lernerfolg (R2 = 46, p < . 01). Wentzel (1991) konnte in ihrer Untersuchung mit 12- und 13-Jährigen (N = 423) einen Zusammenhang zwischen drei Aspekten sozialer Kompetenz – sozialverantwortliches Verhalten, soziometrischer Status und Selbstregulation – und deren Schulnoten fin en. Andere Befunde zeigen jedoch auch negative Zusammenhänge von schulischen Leistungen mit dem sozialen Status unter Gleichaltrigen (vgl. zusammenfassend Jerusalem & Klein-Heßling, 2002). Nun implizieren die oben erläuterten Prüfungsformate keine direkten Zusammenhänge zwischen sozialen Kompetenzen und Lernleistung, sondern gehen davon aus, dass durch die kooperative Arbeitsweise der Lernenden zur Vorbereitung auf die Prüfungen, soziale Kompetenzen notwendig sind, eine effektive Gruppenarbeit fördern und somit die Leistung beeinflussen. Anknüpfend an die Theorie und Forschungen zum kooperativen Lernen wird von einem wechselseitigen Austausch der Lernenden in ihren Gruppen, ein positiver Einfluss sowohl auf die Lernleistung als auch auf die sozialen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler angenommen. Inwieweit kooperative Lernsettings tatsächlich zu einer Steigerung des Lernens und der Leistung führen, ist jedoch bislang nicht hinrei© 2017 Hogrefe

9

chend geklärt. Eine lernpsychologische Begründung wird meist in der besonderen kognitiven und motivationalen Qualität kooperativer Lernsituationen (vgl. Pauli & Reusser, 2000, S. 42 2) gesehen. Aus konstruktivistischer Sicht von Lernprozessen bietet die gemeinsame Auseinandersetzung von Schülerinnen und Schülern mit den Lerninhalten die Chance, kognitive Prozesse auszulösen, die zu einer vertieften Verarbeitung des Lernstoffes führen (vgl. z. B. Slavin, 1995). Empirische Befunde, die positive Effekte kooperativer Lernsettings auf die Lernleistung nachweisen können, stammen überwiegend aus dem anglo-amerikanischen Raum und wurden in Metaanalysen ermittelt (vgl. Slavin, 1995; Lou et al., 1996). Dabei variieren die Effekte für die kooperativen Methoden stark. In der Erziehungswissenschaft gibt es eine Vielzahl an Autoren, die sich mit der effektiven Gestaltung kooperativer Lernsettings befassen (vgl. u.  a. Konrad & Traub, 2005; Nürnberger Projektgruppe, 2001; Klippert, 2007; Rabenstein & Reh, 2007; Huber, 2007). Es wird davon ausgegangen, dass soziale Kompetenzen durch die Gestaltung des Lernarrangements gefördert werden können. Als eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine gelungene Kooperation gilt die gegenseitige positive Abhängigkeit der Lernenden in der Gruppe bei gleichzeitiger individueller Verantwortlichkeit (Johnson & Johnson, 1992; Slavin, 1995). Positive Abhängigkeit liegt dann vor, wenn den Lernenden klar ist, dass die Anstrengungen eines jeden Gruppenmitglieds für den Gruppenerfolg notwendig ist und jedes Mitglied aufgrund seiner Fähigkeiten einen entscheidenden Beitrag zum gemeinsamen Erfolg leisten kann (vgl. Green & Green, 2005 ). Unter diesen Voraussetzungen fördert nach Johnson und Johnson (2000) kooperatives Lernen die Selbstwirksamkeit, die soziale Unterstützung sowie die sozialen Kompetenzen. Für eine erfolgreiche Gruppenarbeit werden häufig Fähigkeiten wie beispielsweise Perspektivenübernahme, Empathie, Kooperations-, Konflik - und Kommunikationsfähigkeiten als relevante Aspekte sozialer Kompetenz angeführt (vgl. u.  a. Seyfried, 1995; Euler, 1997). Während hohe allgemeine kognitive Voraussetzungen von Gruppenmitgliedern sich positiv auf das Gruppenergebnis auswirken, ist die Bedeutung der sozialen Fähigkeiten auf eine effektive Zusammenarbeit und das Leistungsergebnis bislang nicht hinreichend geklärt (vgl. Kunter, Stanat & Klieme, 2005 ). Neue Prüfungsformate, wie die Fächerübergreifende Kompetenzprüfung, greifen auf die Methode des kooperativen Lernens zurück und versprechen sich von der Teamarbeit der Schülerinnen und Schüler, eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Lerninhalten sowie eine Förderung kommunikativer und sozialer Fähigkeiten. Die Besonderheit dieser Prüfungen liegt dabei in der selbstständigen Arbeitsweise der Lernenden, was damit verbunden ist, Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

Fokus Forschung

M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen


10

M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen

dass die Erarbeitung der Themen nicht in der Schulzeit, sondern sowohl zeitlich als auch räumlich in privaten Bereichen der Schülerinnen und Schüler stattfin et. Lehrende haben somit keine direkten Möglichkeiten für Instruktionen. Dies stellt Schülerinnen und Schüler vor besondere Herausforderungen. Ob die sozialen, und dabei besonders die kooperativen Fähigkeiten der Lernenden tatsächlich das Leistungsergebnis positiv beeinflussen, ist bislang nicht empirisch untersucht worden. Zu fragen gilt auch, ob eine Prozessbegleitung und eine didaktische Unterstützung der Kooperation, positive Effekte auf die sozialen Fähigkeiten und die Zusammenarbeit der Schülerinnen und Schüler mit sich bringen könnten.

Fokus Forschung

Förderung sozialer Kompetenzen und ­Forschungsstand Allgemein spielt die Schule als Institution eine bedeutende Rolle für die Entwicklung sozialer Kompetenzen (vgl. Stanat & Kunter, 2001). Sie stellt für Schülerinnen und Schüler einen Lebensraum dar, in dem vielfältige soziale Erfahrungen, wie der Aufb u von Freundschaften und anderer, dauerhafter sozialer Beziehungen gemacht werden (vgl. Jerusalem & Klein-Heßlich, 2002; Stanat & Kunter, 2001). Speziell für den Unterricht gelten selbstständige und kooperative Lehr-Lernsettings für eine Förderung und Erprobung sozialer Fähigkeiten als bedeutsam. Sie werden dabei sowohl als Voraussetzung effektiver Zusammenarbeit gesehen (vgl. Johnson, Johnson & Smith, 2007) als auch zum Lernziel kooperativer Arbeitsformen erklärt. Soziale Kompetenzen entwickeln sich dabei nicht einfach nur durch die Tatsache, dass Lernende in Gruppen eingeteilt werden, mit dem Auftrag zusammen zu arbeiten, sondern es wird gefordert diese bereits im Vorfeld von Gruppenarbeiten gezielt zu fördern und einzuüben (Green & Green, 2005 ). Zu der Frage, inwieweit gezielte Interventionen zur Förderung sozialer Kompetenzen mittels kooperativer Lernformen zu einer Steigerung unterschiedlicher sozialer Kompetenzbereiche führt, liegen im deutschsprachigen Raum bislang nur wenige Untersuchungen vor. Die Ergebnisse aus aktuellen Interventionsstudien zeigen geringe positive Effekte. Jurkowski und Hänze (2012) untersuchten anhand von Schülerbefragungen (N = 386) den Zusammenhang sozialer Kompetenzen mit dem Lernerfolg in verschiedenen kooperativen Lernumgebungen und kamen zu dem Ergebnis, dass die Kooperationsfähigkeit in beiden getesteten Gruppenunterrichtsbedingungen (stärkerer positiver Ressourcen-Interdependenz und geringere Interdependenz der geteilten Wissensbasis) einen signifikanten Vorhersagebeitrag für den Lernerfolg liefern. Drössler, Jerusalem und Mittag (2007) führten ein Lehrerfortbildungsprojekt zur Förderung sozialer Kompetenzen im Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

Unterricht durch. An der Studie waren 42 1 Schüler sowie 99 Lehrkräfte beteiligt. Hierbei zeigten sich durch den Einsatz kooperativer Lernformen im Unterricht keine interventionsspezifi chen Fördereffekte. Es zeigte sich jedoch, dass in Schulen, wo Lehrkräfte über eine deutlich zunehmende Nutzung kooperativer Strategien berichteten, die sozialen Kompetenzen und die erlebte Hilfsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler zum zweiten Messzeitpunkt der Studie günstiger ausgeprägt waren. Brohm (2009) führte ein 60-stündiges Sozialkompetenztraining in 9. Klassen an Hauptschulen und Gymnasien (N = 3 55) durch. Die sozialen Kompetenzen wurden anhand des Fragebogens allgemeiner sozialen Kompetenz von Kanning (2009b) erhoben. Für die Hauptschule zeigten sich keine signifi anten Veränderungen zwischen Pre- und Posttest. Am Gymnasium ließen sich sehr geringfügige Effekte im ersten Posttest direkt nach dem Training fin en, jedoch konnten auch hier keine nachhaltigen Effekte erzielt werden. Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass in den Studien ein eher geringer Einfluss der sozialen Kompetenz auf die Lernleistung nachgewiesen werden konnte und eine Steigerung sozialer Kompetenzen mittels kooperativer Arbeitsformen nur in sehr geringem Ausmaß erzielt werden konnte. Trotz der Bedeutsamkeit, die den sozialen Kompetenzen in kooperativen Prüfungsformten zugesprochen wird, ist bislang nicht empirisch untersucht, inwiefern Zusammenhänge zwischen sozialer Kompetenz und der individuellen Lernleistung der Schülerinnen und Schüler bestehen. Demnach gilt es zu klären, inwieweit Prüfungssituationen mit dem Ziel einer Förderung und ­Bewertung sozialer Kompetenzen, auch mit daraus ­resultierenden Effekten auf das Leistungsergebnis einhergehen. Eine vorab durchgeführte Evaluationsstudie ­lieferte zudem Hinweise darauf, dass eine stärkere ­Prozessbegleitung die selbstgesteuerten, kooperativen Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler unterstützen und positive Effekte auf die sozialen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler mit sich bringen könnte (vgl. Döring et al., 2016). Nach den angeführten Argumenten ist theoretisch begründet davon auszugehen, dass soziale Kompetenzen eine effektive Kooperation der Lernenden begünstigen und diese auch das Leistungsergebnis beeinflussen. Auf die Bedeutsamkeit der Vermittlung kooperativer Fähigkeit wird in der Literatur zu kooperativen Lernformen vielfach verwiesen (vgl. u. a. Johnson & Johnson, 2000; Green & Green, 2005 ). Die Vermittlung kooperativer Fähigkeiten durch ein gezieltes Training könnte demnach als eine didaktisch wichtige Maßnahme angesehen werden, woraus auch künftig Wege zur Optimierungen des kooperativen Arbeitsprozesses der Lernenden zur Prüfungsvorbereitung abgeleitet werden könnten. © 2017 Hogrefe


M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen

Aus den benannten Forschungsdesideraten und aus dem dargelegten Forschungsstand ergeben sich folgende Fragestellungen: 1. Welchen Einfluss haben soziale Kompetenzen auf die Leistung in der Prüfung? Soziale Kompetenzen gelten als Leistungsdeterminante in kooperativ angelegten Abschlussprüfungen. Es wird daher davon ausgegangen, dass die individuellen sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler das Leistungsergebnis innerhalb der kooperativen Prüfungssituation beeinflussen. 2. Ist eine Steigerung sozialer Kompetenzen mittels gezielter Trainingseinheiten zu den sozialen Anforderungen der Gruppenarbeit während der Prüfungsvorbereitungsphase zu erwirken und zeigen sich interventionsbedingte Effekte auf die Leistung? Erwartet werden positive Veränderung der sozialen Kompetenzen durch die Intervention sowie eine höhere Qualität der Teamarbeit. Darüber hinaus wird ein positiver Effekt des Trainings auf die Leistung angenommen.

Methode Stichprobe, Datenerhebung und Vorgehen Die Studie ermöglichte es erstmals in der Forschung, eine Interventionsstudie in einer Abschlussklasse zum Mittleren Schulabschluss durchzuführen. Insgesamt nahmen 340 Schülerinnen und Schüler aus vier Realschulen (3 × 3-zügig, 1 × 6-zügig) in Baden-Württemberg teil. Dabei waren 15 7 weiblich und 182 männlich (1 Angabe fehlend). Das Alter der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler betrug M = 15,8 Jahre, SD=.76 Jahre (Altersspanne: 15 bis 18 Jahre). Die Durchführung der Intervention fand während des 10. Schuljahres 2013 statt. Die Randomisierung erfolgte per Losverfahren, indem in jeder der 15 teilnehmenden Klassen die Schülerinnen und Schüler gruppenweise den unterschiedlichen Interventionsbedingungen (Soziales Kompetenztraining oder Methodentraining) zugewiesen wurden. Aus ethisch-moralischen und auch aus rechtlichen Gründen konnte es innerhalb der Klasse keine Kon­trollgruppe geben, die gar kein Trainingsangebot erhielt, da dies eventuell einen bedeutenden Nachteil für die Lernenden in Bezug auf die Prüfung bedeutet hätte. Somit wurden zwei Interventionsprogramme erarbeitet, die unterschiedliche Schwerpunkte (soziale Kompetenzen und Methodenkompetenzen) fokussierten. Die Interventionen erfolgten prozessbegleitend zu drei Zeitpunkten während des zehnten Schuljahres. Beide Interventionsbedingungen waren am Ablauf der Prüfung und an ihren Anforderungen ausgerichtet. Es wurden Daten © 2017 Hogrefe

zu vier Messzeitpunkten erhoben. Vor Beginn der Intervention fand eine Eingangserhebung in den beteiligten Schulklassen statt, um die sozialen und methodischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler im Vorfeld der Intervention zu erfassen. Es folgten drei Messwiederholungen, jeweils ein bis zwei Wochen nach der durchgeführten Trainingseinheit. Die Noten wurde im Anschluss an die erfolgten Abschlussprüfungen von der Schulleitung erfragt und anonymisiert über eine verschlüsselte ID den Schülerinnen und Schülern zugordnet.

Zum Design der Interventionsstudie Bei der Intervention handelt es sich um eine gezielte Minimalintervention, die als Ergänzung zu einem stufenweisen Aufb u sozialer Kompetenzen über einzelne Klassenstufen hinweg, zum Beispiel in Form eines Sozialcurriculums, anzusehen ist. Die Vergleichsgruppe erhielt ebenfalls ein Training, das nicht auf eine Förderung sozialer Kompetenzen und eine effektive Gestaltung von Gruppenarbeit abzielte, wohl aber in den übrigen Belangen, die als relevant für die Prüfung gelten können, so ähnlich wie möglich gestaltet war. Das entwickelte Training sozialer Kompetenzen greift auf bereits bestehende Konzepte zur Förderung der Kooperationsfähigkeit und zur effektiven Gestaltung von Gruppenarbeiten zurück (vgl. Brüning & Saum, 2009; Brüning & Saum, 2007; Green & Green, 2005; Weidner, 2008; Traub, 2012 ; Klein, 2008). Diese Konzepte und Methoden wurden im Hinblick auf die Zielstellung der FüK modifizie t und an den Ablauf und die Vorgaben des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport (2006) ausgerichtet. Der zeitliche Rahmen der Intervention konnte allerdings in Anbetracht der Tatsache, dass die Prüfung im zehnten Abschlussschuljahr stattfin et, nur einen begrenzten Zeitrahmen in Anspruch annehmen. Es wurden insgesamt drei Module erarbeitet und in Trainingseinheiten zu je 90 Minuten durchgeführt. Im sozialen Kompetenztraining wurden entlang der bekannten Projektphasen (Vorbereitungsphase, Durchführungs- und Realisierungsphase), welche die Schülerinnen und Schüler für die Vorbereitung der Prüfung durchlaufen, gezielt Methoden und Arbeitsmaterialien zur Unterstützung der jeweils relevanten Prozesse der Teamarbeit eingesetzt. Das erste Modul zielte insbesondere auf teambildende Maßnahmen, die das Bewusstsein schaffen sollten, dass jedes Gruppenmitglied für die eigenen und für die Gruppenlernprozesse verantwortlich ist. Im zweiten Modul stand der effektive Austausch in der Gruppe im Fokus. Das Ziel in dieser Phase der Zusammenarbeit ist es, dass die Gruppenmitglieder ihr jeweiliges Wissen weitergeben und voneinander und miteinander lernen. Dazu wurden entsprechend unterstützende Methoden in Form von „Redekärtchen“ und Mindmaps eingeführt, welche die Lernenden inhaltlich zu Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

Fokus Forschung

Fragestellungen und Hypothesen

11


M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen

12

ihren Prüfungsthemen erproben konnten. Gegenstand der dritten Trainingseinheit war schließlich das Präsentieren im Team und die Reflexion der Gruppenprozesse. Auszüge des Trainings sowie verwendete Arbeitsmaterialien sind veröffentlicht (vgl. Heizmann, Döring & Wacker, 2016). Das Training ist als Anleitung für eine selbstständige Bearbeitung des Prüfungsprojekts zu sehen. Das Alternativtraining bestand aus einem Methodentraining. Die Schülerinnen und Schüler erhielten Hilfestellung zur Projektplanung, zur Strukturierung ge­sammelter Informationen und zur Literaturreche sowie abschließend zu Präsentationstechniken. Anleitung oder Hilfestellungen in Bezug auf eine kooperative Arbeitsweise und eine effektive Gestaltung von Teamprozessen wurden der Kontrollgruppe nicht gegeben. Um die Implementationsqualität der Interventionen zu sichern, wurden verschiedene Faktoren in einem Begleitfragebogen nach jeder Trainingseinheit von den Lernenden erfragt. Hierzu zählten der erkennbare Nutzen des

Trainings (6 Items), die Bewertung des Trainings allgemein („Welche Note würdest du dem Training geben?“) sowie die Sympathie der Lehrperson, die das Training durchführte („Wie sympathisch fin est du die Lehrerin, die das Training durchgeführt hat?“). Der Nutzen aus beiden Trainingsprogrammen wurde durchweg hoch eingeschätzt, ebenso wurden beide Trainingsprogrammen zu allen drei Modulen im Durchschnitt mit „gut“ bewertet (Median = Note 2). T-Tests für unabhängige Stichproben ergaben keine signifi anten Unterschiede zwischen den Lehrpersonen sowie in der Benotung der Trainingseinheiten allgemein. Das dritte Modul wurde in Bezug auf den erkennbaren Nutzen von der Kontrollgruppe signifi ant besser eingeschätzt. Sie erhielten ein Training zu den Präsentationstechniken, die wohl im Hinblick auf die bevorstehende Prüfung als besonders nützlich angesehen wurden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Qualität beider Trainingsprogramme von den Lernenden als hoch eingeschätzt wurde.

Tabelle 1. Konstrukte und dazugehörige Kennwerte M

SD

α

Items

Beispielitem

Soziale Selbstwirksamkeit

2.91

.46

.75

8

Auch mit Jugendlichen, die ich noch nicht kenne, kann ich schnell ins Gespräch kommen.

Selbstwirksamkeitserwartung „Teamfähigkeit“

2.80

.59

.72

5

Bei Gruppenarbeiten in der Schule schaffe ich es, mich auch dann richtig anzustrengen, wenn einzelne andere Gruppenmitglieder gar nicht richtig mitmachen.

Soziale Orientierung

3.47

.40

.66

10

Auch wenn meine Zeit äußerst knapp bemessen ist, habe ich immer ein offenes Ohr für andere.

Offensivität

2.94

.41

.53

8

Für gewöhnlich bestimme ich, wo es lang gehen soll.

Selbststeuerung

3.47

.54

.76

8

Oft platzen Ärger oder Freude einfach so aus mir heraus, ohne dass ich viel dagegen tun könnte (-).

Re exibilität

2.95

.42

.49

7

Ich bemühe mich fast jederzeit, anderen ein positives Bild von mir zu vermitteln.

Konstrukt

Fokus Forschung

Prädiktoren (4-stufi e Likertskalen)

Allgemeine soziale Kompetenzen

Situationsspez. soziale Kompetenzen

Wenn ich mit meinen Mitschülern Gruppenarbeit mache,

Konsensfähigkeit

2.98

.54

.79

6

… versuche ich bei Schwierigkeiten die gemeinsamen Ziele der Gruppe zu betonen und setze mich für deren Umsetzung ein.

Soziale Verantwortungsfähigkeit

2.92

.67

.83

4

… achte ich darauf, dass bei Entscheidungen einzelne Schüler der Gruppe nicht benachteiligt werden.

Konflikt ähigkeit

2.90

.56

.79

6

… akzeptiere ich berechtigte Argumente der anderen, auch wenn sie meinen Argumenten widersprechen.

Artikulationsfähigkeit

3.12

.52

.72

4

… gelingt es mir, meine Ideen und Meinungen den anderen ­gegenüber begründet zu vertreten.

Interpretationsfähigkeit

2.75

.62

.82

5

Bei Meinungsverschiedenheiten in der Gruppe versuche ich, die Sache aus der Sicht aller Beteiligten zu betrachten, bevor ich mich entscheide.

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

© 2017 Hogrefe


M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen

Als Kriterium für die Leistung diente die erzielte Note (M = 2.5 1; SD = 1.2 8) der Schülerinnen und Schüler in der FüK. Skalen zur Erfassung sozialer Kompetenzen Verschiedene Aspekte sozialer Kompetenzen, die zur Vorhersage des Lernergebnisses in die Analysen eingingen, wurden mittels Fragebogenverfahren (Selbsteinschätzung) erfasst. Bei den verwendeten Skalen handelt es sich um bereits veröffentlichte und getestete Skalen, die in anderen Studien genutzt wurden. Die erfassten Konstrukte sind jeweils mit Beispielitem und Skalenreliabilität mit den Werten in der vorliegenden Studie in Tabelle 1 aufgeführt und werden nachfolgend kurz beschrieben: Soziale Selbstwirksamkeitserwartung Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung beruht auf der sozial-kognitiven Theorie von Bandura (1997) und bezeichnet die subjektive Überzeugung einer Person neue oder schwierige Anforderungssituationen auf Grund eigener Kompetenz bewältigen zu können (vgl. Schwarzer & Jerusalem, 2002, S.  3 5). Mit der Skala Soziale Selbstwirk­ samkeitserwartung (Jerusalem & Klein-Heßling, 2002; α = .76) sollen Selbstwirksamkeitserwartungen im Umt1 gang mit sozialen Anforderungen und Konflik en erfasst werden. Sie umfasst Items zu drei wesentlichen situationalen Anforderungsbereichen des Jugendalters: (1) Kontakt zu anderen Jugendlichen aufb uen bzw. aufrechterhalten, (2) mit Konflik en mit Mitschülern und anderen Gleichaltrigen umgehen sowie (3) andere von der eigenen Meinung überzeugen (vgl. Jerusalem et al., 2009, S. 19). Selbstwirksamkeitserwartung „Teamfähigkeit“ Die Selbstwirksamkeitserwartung „Teamfähigkeit“ (KleinHeßling & Drössler, 2007) thematisiert die Kompetenzerwartungen von Schülerinnen und Schülern, mit spezifischen Anforderungen kooperativer Lernsituationen umgehen zu können (vgl. Jerusalem et al., 2009, S. 24). Die eingesetzte Skala (α t1 = .71) besteht aus fünf Items, in der typische Anforderungen kooperativen Lernens als Schwierigkeiten formuliert werden. Grundlegende soziale Kompetenzen Für die Erfassung allgemeiner sozialer Kompetenzen, die sich auf keinen spezifi chen Kontext beziehen, wurde die Kurzversion des Inventars sozialer Kompetenzen (ISK) von Kanning (2009b) verwendet. Das ISK_K besteht aus 17 sozialen Kompetenzfacetten, die sich zu vier abstrakten sozialen Kompetenzen gruppieren: Soziale Orientierung, Offensivität, Selbststeuerung sowie Refle© 2017 Hogrefe

xibilität. Die Konsistenzkoeffizie en des Testmanuals variieren zwischen .69 und .75. Situationsspezifische soziale Kompetenzen Für die Erfassung sozialer Kompetenzen, die sich stärker auf den Kontext kooperativer, schulischer Lernarrangements konzentrieren, wurden Skalen des Schweizer Projekts „Anwendungs- und Problemorientierten Unterricht (APU)“ von Schumann et al. (2009) genutzt. Die sozialen und kommunikativen Kompetenzen umfassen dabei folgende Skalen: Konsensfähigkeit (αt1 = 0.79), Sozialverantwortungsfähigkeit (αt1 =.81), Konflik fähigkeit (αt1 = . 75), Artikulationsfähigkeit (αt1 = . 77) und Interpretationsfähigkeit (αt1 =. 82) (vgl. Eberle et al. , 2009). Diese Aspekte sozialer Kompetenz sind auch im Zusammenhang mit der kooperativen Prüfungsform, die als Rahmen für die vorliegende Studie diente, als bedeutsam anzusehen. Im Rahmen der durchgeführten Interventionsstudie wurde zudem die Qualität der Gruppenarbeit der Schülerinnen und Schüler zu drei Messzeitpunkten erhoben. Die erste Messung erfolgte hierbei nach der ersten Trainingseinheit der Intervention. Als Testinstrument wurde ein Fragebogen zur Qualität schulischer Gruppenarbeiten in Anlehnung an Helmke et al. (2011) eingesetzt. Das Instrument besteht aus fünf Skalen. Diese hatten in der vorliegenden Studie folgende Reliabilitäten: Zeitmanagement in der Gruppe (αt2 = .86), Absprachen in der Gruppe treffen (αt2 = . 81), Kooperation in der Gruppe (αt2 = . 92), Arbeitsklima in der Gruppe (αt2 = . 82) und Bilanz der Gruppenarbeit (αt2 = .89).

Datenanalysen Der Einfluss der sozialen Kompetenzen auf die Prüfungsleistung wurde anhand multivariater Analysen geprüft. Hierzu wurde mittels des Statistikprogramms Mplus, Version 7 (Muthen und Muthen 1998 – 2 012) eine multiple lineare Regressionsanalyse gerechnet, in der die erzielte Prüfungsnote als abhängige Variable einging und als unabhängige Variablen die verschiedenen Skalen der sozialen Kompetenztests aus der Eingangserhebung (T0 = im Vorfeld der Intervention) herangezogen wurden. In der Analyse ist die Klumpenstruktur der Daten (Zugehörigkeit zu einer Schule und Klasse) berücksichtigt worden, da sich Schülerinnen und Schüler einer Schule oder einer Klasse ähnlicher sein können als Personen aus unterschiedlichen Schulen und Klassen. Das Statistikprogramm MPlus ermöglicht es, durch die Adjustierung der Standardfehler die Mehrebenenstruktur der Daten einzubeziehen. Um die Frage zu beantworten, inwieweit soziale Kompetenzen anhand einer Minimalintervention gesteigert werden können und inwieweit sich ein soziales Kom­ Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

Fokus Forschung

Instrumente

13


M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen

14

Tabelle 2. Einfluss s zialer Kompetenzen auf die Prüfungsnote (unabhängige und abhängige Variablen sind standardisiert) Abhängige Variable: Prüfungsleistung (individuelle Note) Modell 1 Prädiktoren

β

p

Modell 2 SE

β

p

Modell 3 SE

β

p

SE

Selbstwirksamkeit Soziale Selbstwirksamkeit

–.05

.293

0.05

–.08

.217

0.06

–.19

.000

0.05

.27

.000

0.06

.24

.000

0.07

.10

.091

0.06

.08

.161

0.06

–.01

.881

0.06

–.01

.884

0.08

–.03

.716

0.07

Selbststeuerung

.11

.019

0.05

.09

.053

0.04

Re exibilität

.09

.178

0.07

.05

.497

0.07

Konsensfähigkeit

.12

.276

0.11

Soziale Verantwortungsfähigkeit

.10

.065

0.10

Konflikt ähigkeit

.03

.572

0.03

Artikulationsfähigkeit

.22

.000

0.21

Interpretationsfähigkeit

.01

.870

0.01

Selbstwirksamkeitserwartung „Teamfähigkeit“ Generelle soz. Kompetenzen Soziale Orientierung Offensivität

Fokus Forschung

Situationsspezif. soz. Kompetenzen

R2

R2 = .070 p = .019

petenztraining auf die wahrgenommene Qualität der ­Gruppenarbeit auswirkt, wurden die Paneldaten zu den verschiedenen Messzeitpunkten, zwischen und im Anschluss an die erfolgten Trainingseinheiten der Interventionen, analysiert. Hierzu wurde in MPlus7 ein Strukturgleichungsmodell berechnet. Es handelt es sich dabei um eine besondere Form eines „Change“-Modells, das neighbormodel von Steyer, Eid & Schwenkmezger, 1997 und Steyer, Partchev & Shanahan, 2000, nachzulesen bei Mayer et al. (2012). Dies geschah für beide Treatmentgruppen (Experimentalgruppe und Kontrollgruppe). In dem berechneten Modell wurde eine multiple group analalysis via mixture (Muthen & Muthen, 1998 – 2 012) durchgeführt, um die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zu ermitteln. Fehlende Werte sind durch FIML berücksichtigt worden (z. B. Enders, 2001). Die genestete Datenstruktur (Schüler genestet in Klassen) wurde durch die MPlus Option „type = complex“ berücksichtigt, dadurch werden robuste Standardfehler geschätzt (z. B. Satorra & Muthen, 1995). Für einen Vergleich von Experimental- und Kontrollgruppe in Bezug auf die erzielte Prüfungsnote wurde ein tTest für unabhängige Stichproben mit der Statistiksoftware SPSS Version 2 2 berechnet. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

R2 = .096 p = .005

R2 = 0.179 p=> .000

Ergebnisse Zusammenhänge zwischen Prüfungsnote und ­sozialen Kompetenzen Die Ergebnisse der multiplen Regressionsanalysen, welche die relative Bedeutsamkeit der sozialen Kompetenzen für die Leistung in der kooperativ angelegten Prüfung zeigen sollen, werden in Tabelle 2 dargestellt. Berichtet werden die standardisierten Regressionsgewichte. Im ersten Modell wurden zunächst die soziale Selbstwirksamkeit sowie die Selbstwirksamkeitserwartung zur Teamfähigkeit zur Vorhersage der Prüfungsnote herangezogen. Es bestätigt sich ein positiver Zusammenhang der Selbstwirksamkeitserwartung „Teamfähigkeit“. Für die soziale Selbstwirksamkeit zeigt sich dagegen kein Zusammenhang. Die Varianzaufk ärung dieses Modells liegt bei 7 %. Ein etwas höherer Varianzanteil (10 %) kann erklärt werden, wenn die allgemeinen sozialen Kompetenzen nach Kanning (2009) hinzugezogen werden (Modell 2). Hier zeigt sich ein signifi anter Einfluss der Selbststeuerung auf die Prüfungs­note. Das dritte Modell, in das die situationsspezifischen Kompetenzen für Gruppenarbeiten eingin© 2017 Hogrefe


M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen

Abbildung 1. Veränderung der sozialen Kompetenzen über die vier Messzeitpunkte

gen, hat eine Varianzaufk ärung von 18 %. Die Artikulationsfähigkeit zeigt sich als hoch signifi ant (p => . 000). Ihr kommt das größte Gewicht für die Vorhersage der Prüfungsnote zu (β = .2 2). Die Selbststeuerung als allgemeine Sozialkompetenz hat im dritten Modell eine geringe Vorhersagekraft für die Note (β = .09, p = .05 3). Die soziale Selbstwirksamkeit erweist sich als ein negativer Prädiktor (β = –.19, p = > .000).

Ergebnisse der Intervention Das berechnete neighbor-model gibt jeweils für beide Gruppen (Soziales Kompetenztraining = SK und Methodentraining = MK) Aufschluss über den Ausgangswert zum ersten Messzeitpunkt (MZP1) und die Differenzvariablen, © 2017 Hogrefe

welche jeweils die Differenz zum vorherigen Messzeitpunkt sowie deren Signifi anzniveau angeben. Zusätzlich sind die Mittelwerte beider Gruppen zu den Messzeitpunkten sowie die jeweilige messzeitpunkt-spezifi che Differenz zwischen den Gruppen dem Modell zu entnehmen.

Veränderungen sozialer Kompetenzen – ­Interventionsspezifische Effekte Getestet wurden Veränderungen im Hinblick auf fünf situationsspezifische soziale Kompetenzen in schulischen Gruppenarbeiten (vgl. Schumann et al., 2009). Die Ergebnisse werden grafi ch in Abbildung 1 dargestellt. Für die Interpretationsfähigkeit zeigte sich ein signifi anter Anstieg Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

Fokus Forschung

15


16

M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen

Fokus Forschung

Abbildung 2. Veränderungen in der Qualität der Gruppenarbeit über die Messzeitpunkte

zugunsten der Experimentalgruppe von MZP3 zu MZP4 (p = .001) sowie für die Kontrollgruppe von MZP1 zu MZP2 (p = .010). Des Weiteren ergaben sich bei beiden Interventionsbedingungen hoch signifi ante, positive Veränderungen für die soziale Verantwortungsfähigkeit von MZP1 zu MZP2 (SK: p => .001/ MK: p = .045). Für die Konflik fähigkeit lässt sich ein signifi anter Anstieg zwischen MZP1 und MZP2 für das Kontrolltraining (p = .009) konstatieren. Für die Konsensfähigkeit und die Artikulationsfähigkeit hingegen können keine signifi anten Veränderungen bei beiden Interventionsbedingungen ausgemacht werden. Festzustellen ist, dass zwar partiell signifi ante, positive Veränderungen sozialer Kompetenzen zwischen verschiedenen Messzeitpunkten bei der Experimentalgruppe erwirkt werden konnten, jedoch der deskriptive Verlauf der Mittelwerte teilweise gegenläufig ( + − + ) ist. Insgesamt betrachtet zeigt sich als Ergebnis kein homogenes Bild. Ein steter Anstieg der erhobenen sozialen Kompetenzen ist nicht festzustellen. Signifi ante Unterschiede zwischen den beiden Treatments können nicht ausgemacht werden. Für die Interventionsbedingung ergeben sich damit zu keinem Messzeitpunkt signifi ant höhere Werte in Bezug auf die erhobenen sozialen Kompetenzen. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

Veränderungen in der Qualität der Gruppenarbeit über die Messzeitpunkte Mit Hilfe des Modells wurde ebenfalls geprüft, ob sich die von den Schülerinnen und Schülern eingeschätzte Qualität ihrer Gruppenarbeit im Hinblick auf verschiedene Aspekte, wie beispielsweise ihr Zeitmanagement, Absprachen in der Gruppe zu treffen oder das Gruppenklima verändert hat. Hier ergeben sich zwischen den drei Messzeitpunkten Veränderungen bei beiden Treatments in Bezug auf die Qualität der Gruppenarbeit (s. Abb.  2). Der deskriptive Verlauf der Mittelwerte zeigt für beide Gruppen eine Steigerung der Qualität ihrer Gruppenarbeit an. Im berechneten Strukturgleichungsmodell wird der Anstieg des Mittelwerts für das Zeitmanagement der Gruppenarbeit in der Experimentalbedingung vom zweiten zum dritten Messzeitpunkt signifi ant (p = > .000), ebenso wie für die Kontrollgruppe (p = .001). Die Mittelwerte zur Einschätzung der Lernenden darüber, ob mit der Gruppe verlässliche Absprachen getroffen wurden, stieg ebenfalls signifi ant in beiden Trainingsbedingungen von MZP2 zu MZP3 an (SK: p = .026/ MK: p = .02 2). Außerdem ergab sich eine signifi ante positive Veränderung der Bilanz der Gruppenar© 2017 Hogrefe


beit für die Experimentalgruppe von MZP2 zu MZP3 (p=.045). Die anderen beiden Aspekte, die als Indikatoren für eine effektive Zusammenarbeit erhoben wurden, weisen für das soziale Kompetenztraining keine signifi anten Veränderungen auf. Für die Kontrollgruppe ist eine posi­ tive Veränderung des Gruppenarbeitsklimas von MZP2 zu MZP3 festzustellen (p = .015 ). Signifi ante Gruppenunterschiede zwischen beiden Trainingsbedingungen gibt es nicht.

Unterschiede in Bezug auf die Leistung Bereits die Mittelwerte der Prüfungsnoten zeigen, dass sich die Experimental- (M = 2.49) und die Kontrollgruppe (M = 2 . 52) kaum unterscheiden. Ein t-Test liefert ­keinen signifi anten Unterschied zwischen den beiden Gruppen.

Diskussion Die Studie untersuchte zunächst den Einfluss verschiedener Aspekte sozialer Kompetenz auf die Prüfungsleistung in einem kooperativ angelegten Lernarrangement am Beispiel der FüK als Teil der Realschulabschlussprüfung in Baden-Württemberg. Als Prädiktoren wurden die Selbstwirksamkeitserwartung in Bezug auf allgemeine soziale Anforderungen und die Teamfähigkeit in kooperativen Lernsituationen herangezogen sowie der Einfluss allgemeiner sozialer Kompetenzen und sozialer Kompetenzen im Kontext von schulischen Gruppenarbeiten auf die Prüfungsleistung geprüft. Als Ergebnis zeigte sich, dass die­ jenigen sozialen Kompetenzen, die den situationalen An­ forderungen des kooperativen Lernarrangements am nächsten stehen, den größten Vorhersagewert aller erhobenen sozialen Kompetenzen zu den Prüfungsnoten liefern können. Im Hinblick auf die allgemeinen sozialen Kompetenzen, die als persönlichkeitsnahe und stabile Eigenschaften von Personen gelten, konnte sich hingegen nur ein geringer Einfluss auf das Leistungsergebnis der Prüfung konstatieren lassen. Dies wurde durch das berechnete multiple Regressionsmodell belegt, in das alle in der Studie herangezogenen Aspekte sozialer Kompetenzen eingingen und das 18 % der Varianz der Prüfungsnote erklären konnte. Unter den relevanten Prädiktoren fällt auf, dass die Artikulationsfähigkeit als eine situationsspezifi che Komponente sozialer Kompetenz in Gruppenarbeiten, den größten positiven Vorhersagewert für die Prüfungsnote besitzt. Schülerinnen und Schüler, die sich gut darin einschätzen, in Gruppenarbeiten ihre Meinung und Ideen einzubringen und ihren Standpunkt begründet vertreten zu können, erzielten die besseren Leistungsergeb© 2017 Hogrefe

17

nisse. Die soziale Selbstwirksamkeit hingegen erwies sich erwartungskonträr als negativer Prädiktor für die Prüfungsleistung. Lernende, die ihre sozialen Kompetenzen allgemein in sozialen Situationen als eher stark ausgeprägt einschätzten, erzielten schlechtere Noten. In einem weiteren Schritt untersuchte die Studie, ob sich die sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und ­Schüler über das letzte Schuljahr hinweg mittels einer ­Minimalintervention zur Förderung kooperativer Fähigkeiten positiv verändern ließen. Diesem Vorgehen lag die Annahme zugrunde, dass es für eine gelungene Gruppenarbeit aus didaktischer Sicht wichtig ist, gezielt koopera­tive Fähigkeiten zu vermitteln (vgl. z. B. Green & Green, 2005; Johnson et al., 2007). Prozessbegleitend zur Prüfungsvorbereitung der Schülerinnen und Schüler wurde daher über das zehnte Schuljahr hinweg eine Intervention in 15 Abschlussklassen durchgeführt. Fokussiert wurden dabei situationsspezifi che Sozialkompetenzen wie Artikulation-, Konflik - und Kooperationsfähigkeit, von denen eine schulische Förderbarkeit angenommen werden kann. Mittels eines quasi-experimentellen Ansatzes wurde die Wirkung eines sozialen Kompetenztrainings geprüft. Dabei stellten sich über den Zeitverlauf nur partiell positive Veränderungen in der Einschätzung der sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler ein. Diese bildeten jedoch kein ­ nstiegs der Komhomogenes Bild im Sinne eines stetigen A petenzen. Zusammenfassend bleibt ­fest­zuhalten, dass mit der über einen kurzen Zeitraum durchgeführten Fördermaßnahme keine signifi anten Veränderungen der sozialen Kompetenzen erzielt werden konnten. Anzunehmen ist, dass die Intensität des Trainings nicht hoch genug war, um eine bessere Wirkung erzielen zu können. Des Weiteren erwies sich der Einfluss der sozialen Kompetenzen auf das Leistungsergebnis in der Prüfung, wie im Regressionsmodell nachgewiesen, insgesamt als eher gering. Geprüft wurde zudem, ob sich über den Zeitverlauf der Prüfungsvorbereitung Veränderungen in der Qualität der Gruppenarbeit der Schülerinnen und Schüler ergeben ­haben. Hierbei zeigten sich im deskriptiven Verlauf der Mittelwerte durchweg positive Veränderungen bei der Experimentalbedingung. Das berechnete Strukturgleichungsmodell zeigt partiell signifi ante positive Veränderungen für beide Treatments. Gruppenunterschiede werden nicht signifi ant. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass vermutlich beide Gruppen von den jeweiligen Trainingsbedingungen profitie t haben und sich über den Verlauf der Zusammenarbeit der Lernenden Verbesserungen in der Qualität ihrer Teamarbeit einstellten. Das soziale Kompetenztraining brachte jedoch im Vergleich mit der Kontrollgruppe, die ein Methodentraining erhielt, keine signifi ant positiveren Effekte mit sich. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass die eingesetzten Fragebogeninstrumente Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

Fokus Forschung

M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen


18

M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen

Implikationen für die Praxis In der vorliegenden Studie zeigte sich, dass soziale Kompetenzen, die als allgemeine und persönlichkeitsnahe Merkmale gelten, nur einen geringen Einfluss auf das Prüfungsergebnis aufweisen, obwohl es das erklärte Ziel von Kompetenzprüfungen, wie in diesem Beispiel der FüK an Realschulen in Baden-Württemberg ist, auch soziale Kompetenzen bei der Leistungsbeurteilung zu berücksichtigen. Für die Praxis bleibt also fraglich, ob es mittels kooperativ angelegter Prüfungsformate gelingt, soziale Kompetenzen tatsächlich zu messen und zu beurteilen. Die Studie lieferte jedoch einen Hinweis darauf, dass situationsspezifis he soziale Kompetenzen, denen im Rahmen von schulischen Gruppenarbeiten eine wichtige Bedeutung zugesprochen wird, einen Prädiktor für

das Prüfungsergebnis darstellen. Diese Kompetenzen gezielt anhand einer kurzfristigen Intervention im Laufe eines Schuljahres zu fördern und zu trainieren, erwies sich in der vorgestellten Studie insofern als schwierig, als dass keine signifi anten positiven Veränderungen der sozialen Kompetenzen erwirkt werden konnten. Dies zeigt, wie schwierig die gezielte Entwicklung von Kompetenzen in komplexen pädagogischen Prozessen, wie innerhalb des vorgestellten Prüfungsformats, sein kann. Für die schulische Praxis bleibt festzuhalten, dass längerfristige und intensivere didaktische Maßnahmen notwendig sind, um positive Veränderungen in der sozialen Kompetenzeinschätzung der Schülerinnen und Schüler erreichen zu können.

Fokus Forschung

Forschungsmethoden Das Design der Studie stellt ein quasi-experimentelles Interventions- und Kontrollgruppendesign dar. Geprüft werden sollte, ob eine systematische Förderung effektiver Gruppenarbeit, die sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler verbessern und einen Effekt auf die Prüfungsnote in der FüK erwirken kann. Dazu wurden 340 Realschülerinnen und Realschüler aus vier Schulen per Losverfahren den unterschiedlichen Interventionsbedingungen (soziales Kompetenztraining und Methodentraining) zugewiesen. Beide Programme waren an den Anforderungen und dem Ablauf der Prüfung orientiert. Es konnte keine Kontrollgruppe innerhalb derselben Klasse geben, die an keinerlei Training teilnahm, da dies eventuell einen Nachteil für diese Gruppe in der Prüfung bedeutet hätte. Eine Kontrollgruppe heranzuziehen, die nicht in derselben Klasse und Schule angesiedelt ist, hätte jedoch zu weiteren, unkontrollierbaren Einflus faktoren geführt. Als Erhebungsinstrumente wurde die Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler zu verschiedenen Kompetenzen mittels Fragebögen zu vier Messzeitpunkten erfragt. Zur Erhebung der sozialen Kompetenzen sind bewährte Messinstru-

ausschließlich auf der Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung der befragten Personen beruhen und daher Verzerrungen aufweisen können. „Neutrale“ Beobachter für die Messung sozialer Kompetenzen konnten leider nicht zusätzlich herangezogen werden. Da die Gruppenarbeit der Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Prüfungsvorbereitung nicht in der Schule, sondern an privaten Orten stattfin et, war es dem Forschungsteam unmöglich Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

mente eingesetzt worden (vgl. Instrumente), die sowohl allgemeine soziale Kompetenzen, als auch situationsspezifis he Kompetenzen in schulischen Gruppenarbeiten erfassten. Ein „neutraler“ Rater konnte auf Grund der außerschulischen Lernorte der Schülerinnen und Schüler nicht herangezogen werden. Auch war es nicht möglich eine „neutrale“ Person des Forschungsteams in die Abschlussprüfung mit hineinzusetzen und Beobachtungen hinsichtlich der sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in einem Raster zu notieren. Die Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihrer sozialen Kompetenzen können, auf Grund der Neigung sich anderen gegenüber positiver darzustellen, verzerrt sein. Die Zusammenhänge zwischen Leistung (FüK-Note) und sozialen Kompetenzen wurde mit Hilfe von multiplen Regressionsanalysen in MPlus7 geprüft. Zur Analyse von Veränderungen über den Zeitverlauf und zwischen den beiden Interventionsbedingungen wurde in MPlus7 ein Strukturgleichungsmodell berechnet. Dabei handelt es sich um das neighbor-model von Steyer et al., 1997 und Steyer et al., 2000.

eine Beobachtung der sozialen Kompetenzen in den Handlungssituationen, sprich der tatsächlichen Zusammenarbeit der Lernenden, durchzuführen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine Minimalintervention als kein hinreichend adäquates Mittel erscheint, um soziale Kompetenzen innerhalb eines Schuljahres positiv zu verändern und Effekte auf die Leistung zu erwirken. Die durchgeführte Intervention konnte im Hin© 2017 Hogrefe


blick auf die fokussierten sozialen Kompetenzen und die Qualität der Gruppenarbeiten nur partiell positive Veränderungen erwirken. Die Befunde schließen weitgehend an den bisherigen Forschungsstand an und lassen sich in ihn einordnen. Wenngleich darin, mit Ausnahme der Artikulationsfähigkeit, kein nennenswerter Einfluss sozialer Kompetenzen auf den Leistungserfolg in kooperativen Prüfungsarrangements nachgewiesen werden konnte, ist die Bedeutung der Studie darin zu sehen, dies erstmals in der Vorbereitung auf konkrete Prüfungssituationen nachgewiesen zu haben. In diesem kaum von der Forschung beachteten Gebiet mit schwierigem Feldzugang sind weitere Forschungen erforderlich, wie beispielweise die gezielte Förderung der Artikulationsfähigkeit in über Minimalinterventionen hinausgehenden Interventionsstudien. Zudem könnte die Frage, inwieweit die Prüfungsnote von Klassenvariablen, Schuleffekten und Gruppenzugehörigkeit beeinflusst wird, eine Folgestudie markieren.

Autorenhinweis Die Studie ist Teil des kooperativen Promotionskollegs „Effektive Lehr-Lernarrangements“ der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und der Universität Tübingen, das vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert wurde.

Literatur Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. New York: Freeman. Baumert, J., Klieme, E., Neubrand, M., Prenzel, M., Schiefele, U., Schneider, W. et al. (2001): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen. Brohm, M. (2009). Sozialkompetenz und Schule: Theoretische Grundlagen und empirische Befunde zu Gelingensbedingungen sozialbezogener Interventionen. Weinheim: Juventa. Brüning, L. & Saum, T. (2007). Erfolgreich unterrichten durch Visualisieren. Grafisches Strukturieren mit Strategien des Kooperativen Lernens. Essen. Brüning, L. & Saum, T. (2009). Erfolgreich unterrichten durch Kooperatives Lernen, Bd. 1 + 2. Essen: Neue deutsche Schule. Döring, M., Strobel-Eisele, G., Wacker, A., Heizmann, E. & Kramer, J. (2016). Kompetenzorientiert Prüfen in der Sekundarstufe. Eine empirische Studie zur Fächerübergreifenden Kompetenzprüfung an Realschulen in Baden-Württemberg. In: Schulpädagogik heute, 13, 2016, 1 – 15. Drössler, S., Jerusalem, M. & Mittag, W. (2007). Förderung sozialer Kompetenzen im Unterricht. Implementation eines Lehrerfortbildungsprojekts. In: Zeitschrift für pädagogische Psychologie, 21 (2), 2007, 157 – 168. Eberle, F., Schumann, S., Oepke, M., Müller, C., Barske, N., Pflü er, M. et al. (2009). Instrumenten- und Skalendokumentation zum © 2017 Hogrefe

19

Forschungsprojekt „Anwendungs- und problemorientierter Unterricht in gymnasialen Lehr-/Lernumgebungen (APU)“. Universität Zürich. Enders, C. K. (2001). The impact of nonnormality on full information maximum-likelihood estimation for structural equation models with missing data. Psychological methods, 6(4), 352 – 370. Erpenbeck, J. & von Rosenstiel, L. (2003). Handbuch Kompetenzmessung. Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und psychologischen Praxis. Stuttgart: Schäffer-Poeschell. Euler, D. (1997). Sozialkompetenz als didaktische Kategorie – vom „didaktischen Impressionsmanagement“ zu einem Forschungsprogramm. In R. Dubs & R. Luzi (Hrsg.), 25 Jahre IWP: Tagungsbeiträge: Schule in Wissenschaft, Politik und Praxis (S. 279 – 318). Flook, L., Repetti, R.L. & Ullman, J.B. (2005). Classroom social experiences as predictors of academic performance. Developmental Psychology, 41, 319 – 327. Green, N. & Green, K. (2005). Kooperatives Lernen im Klassenraum und im Kollegium: Das Trainingsbuch. Seelze: Kallmeyer. Helmke, A., Helmke, T., Lenske, G., Pham, G., Praetorius,A.-K., Schrader, F.-W. et al. (2011). EMU – Unterrichtsdiagnostik. Kultus­ministerkonferenz. Landau: Universität Koblenz-Landau, Campus Landau. Heizmann, E., Döring, M. & Wacker, A. (2016). Teamkompetenz – fördern, entwickeln, trainieren. Gezielte Unterstützung von Gruppenarbeitsprozessen. Schulmagazin 5 – 10, 5/2016, S. 11 – 14. Hinsch, R. & Pfing ten, U. (2007). Gruppentraining sozialer Kompetenzen GSK. Grundlagen, Durchführung, Anwendungsbeispiele. Weinheim: Beltz. Huber, A. (2007). Wechselseitiges Lehren und Lernen (WELL) als spezielle Form des Kooperativen Lernens. Berlin: Logos. Jerusalem, M. & Klein-Heßling, J. (2002). Soziale Kompetenz. Entwicklungstrends und Förderung in der Schule. Zeitschrift für Psychologie, 210 (4), 164 – 174. Jerusalem, M., Drössler, S., Kleine, D., Klein-Heßling, J., Mittag, W. & Röder, B. (2009). Förderung von Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung im Unterricht. Skalen zur Erfassung von Lehrerund Schülermerkmalen. Humboldt-Universität Berlin. Johnson, D.W. & Johnson, R.T. (1992). Positive interdependence: Key to effective cooperation. In Hertz-Lazarowitz R./ Miller N. (Hrsg.). Interaction in cooperative groups. The theoretical anatomy of group learning. (S. 174 – 199). Cambridge: Cambridge Univesity Press. Johnson, D.W. & Johnson, R.T. (2000). Joining together: Group theory and group skill. (7th ed.). Boston, MA: Allyn & Bacon. Johnson, D.W., Johnson, R.T. & Smith, K. (2007). The State of Cooperative Learning in Postsecondary and Professional Settings. Educational Psychology Review, 19, 15 – 29. Jurkowski, S. & Hänze, M. (2012). Kooperatives Lernen aus dem Blickwinkel sozialer Kompetenzen. Eine Untersuchung des Zusammenhangs sozialer Kompetenzen mit dem Lernerfolg, dem Unterrichtserleben und dem Gruppenarbeitsergebnis in verschiedenen kooperativen Lernumgebungen. Unterrichtswissenschaft, 40, 259 – 276. Kanning, U. (2009a). Diagnostik sozialer Kompetenzen (2. Aktualisierte Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Kanning, U. (2009b). Inventar sozialer Kompetenzen. Göttingen: Hogrefe. Kaufhold, M. (2006). Kompetenz und Kompetenzerfassung. Analyse und Beurteilung von Verfahren der Kompetenzerfassung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Klein, K. (2008). Lernen mit Projekten. In der Gruppe planen, durchführen, präsentieren. Verlag an der Ruhr. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

Fokus Forschung

M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen


Fokus Forschung

20

M. Döring et al.: Soziale Kompetenzen als Bestandteil von Abschlussprüfungen

Klein-Heßling & Drössler (2007). Selbstwirksamkeitserwartung Teamfähigkeit. In M. Jerusalem, S. Drössler, D. Kleine, J. KleinHeßling, W. Mittag, B. Röder (2009). Förderung von Selbst­ wirksamkeit und Selbstbestimmung im Unterricht. Skalen zur Erfassung von Lehrer- und Schülermerkmalen. (S. 24). Humboldt-Universität Berlin. Klippert, H. (2007). Kommunikationstraining. Übungsbausteine für den Unterricht. Weinheim und Basel: Beltz. Konrad, K. & Traub, S. (2005). Kooperatives Lernen. Baltmannsweiler: Schneider Kunter, M., Stanat, P. & Klieme, E. (2005). Die Rolle von individuellen Eingangsvoraussetzungen und Gruppenmerkmalen beim kooperativen Lösen eines Problems. In E. Klieme, D. Leutner & J. Wirth (Hrsg.), Problemlösekompetenz von Schülerinnen und Schülern. Diagnostische Ansätze, theoretische Grundlagen und empirische Befunde der deutschen PISA-2000-Studie. (S. 99 -115). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Lou, Y.P., Abrami, P.C., Spence, J.C., Poulsen, C., Chambers, B. & ­dApollonia, S. (1996). Within-class grouping: A meta-analysis. Review of Educational Research, 66, 423 – 458. Mayer, A., Steyer, R. & Mueller, H. (2012). A General Approach to Defining Latent Growth Components. Structural Equation Modeling: A Multidisciplinary Journal, 19, 513 – 533. Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.) (2006): Handreichung zur neuen Realschulabschlussprüfung. Leitfaden für Schülerinnen und Schüler zur Fächerübergreifenden Kompetenzprüfung. Stuttgart. Muthén, L. K. & Muthén, B. O. (1998 – 2012). Mplus User’s Guide. Seventh Edition. Los Angeles, CA: Muthén & Muthén. Nürnberger Projektgruppe (Hrsg.) (2001). Erfolgreicher Gruppenunterricht. Praktische Anregungen für den Schulalltag. Stuttgart: Klett. Pauli, C. & Reusser, K. (2000). Zur Rolle der Lehrperson beim kooperativen Lernen. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 22, 421 – 442. Rabenstein, K.& Reh, S. (Hrsg.) (2007): Kooperatives und selbstständiges Arbeiten von Schülern. Zur Qualitätsentwicklung von Unterricht. Wiesbaden. Rychen, D. S. (2004). Key Competencies for all: An Overarching conceptual Frame of Reference. In D. S. Rychen & A. Tiana (Hrsg.), Developing Key Competencies in Education: Some Lessons From International and National Experience. (S. 5 – 34). Paris: UNESCO – International Bureau of Education. Satorra, A. & Muthén, B. O. (1995). Complex sample data in structural equation modeling. Sociological methodology, 25, 267 – 316. Schleske, M. (2005). Die Projektprüfung und ihre Umsetzung. Eine empirische Studie an den Hauptschulen Baden-Württembergs. Hohengehren. Schumann, S., Eberle, F. & Blum, R. (2009). Kooperatives Lernen als Ansatz zur Förderung von Sozialkompetenzen im Unterricht? Befunde aus dem Projekt APU. In D. Münk, T. Deißinger & R. Ten-

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 7 – 20

berg (Hrsg.), Forschungserträge aus der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Probleme, Perspektiven, Handlungsfelder und Desiderata der berufli hen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, in Europa und im internationalen Raum. (S. 10 – 19). Opladen: Budrich. Schwarzer, R. & Jerusalem, M. (2002). Das Konzept der Selbstwirksamkeit. In M. Jerusalem & D. Hopf (Hrsg.). Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen. Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 44, (S. 28 – 53). Weinheim: Beltz. Seyfried, B. (Hrsg.) (1995): „Stolperstein“ Sozialkompetenz. Bielefeld: Bertelsmann. Slavin, R. E. (1995). Cooperative learning: Theory, Research, and Practice. 2. Auflg. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall. Stanat, P. & Kunter, M. (2001). Kooperation und Kommunikation. In Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.). PISA 2000: Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. (S. 299 – 322). Opladen: Leske + Budrich. Steyer, R., Eid, M. & Schwenkmezger, P. (1997). Modeling true intraindividual change: True change as a latent variable. Methods of Psychological Research Online, 2, 21 – 33. Steyer, R., Partchev, I. & Shanahan, M. J. (2000). Modeling true intra-individual change in structural equations models: The case of poverty and children's psychosocial adjustment. In: T. D. Little & K. U. Schnabel (eds.), Modeling longitudinal and multilevel data. Mahwah, (S. 109 – 126). NJ: Lawrence Erlbaum. Traub, S. (2012). Projektarbeit erfolgreich gestalten. Bad Heilbrunn: UTB. Weidner, M. (2008). Kooperatives Lernen im Unterricht. Das Arbeitsbuch. Seelze-Velber. Wentzel, K. R. (1991). Relations between social competence and academic achievement in early adolescence. Child Development, 62, 1066 – 1078.

Manuskript eingereicht: 13.11.2016 Manuskript nach Revision angenommen: 10.04.2017 Veröffentlicht online: 06.10.2017

Melanie Döring, Dipl. Päd. Pädagogische Hochschule Ludwigsburg Institut für Erziehungswissenschaft Abteilung Schulpädagogik Reuteallee 46 71634 Ludwigsburg Deutschland doering@ph-ludwigsburg.de

© 2017 Hogrefe


Lesen als Sinnsuche Auch Lesenlernen ist mehr als der Erwerb von Techniken Hans Brügelmann

Zusammenfassung: Konzepte der Förderung orientieren sich an sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Lernen und zu Ursachen für Lernschwierigkeiten. Der Beitrag macht deutlich, dass sie – wie Brillen – jeweils wesentliche Aspekte in den Blick rücken, aber damit andere auch ausblenden. Speziell für das Lesen wird deutlich, dass der Umgang mit Schriftsprache schon in den Anfängen eine sozio-kulturelle Handlung ist und dass auch ein fokussiertes Training von Teilleistungen diese Einbettung nicht aus dem Auge verlieren darf. Wenn Kinder Lesen als sinnvolle Handlung erleben, steigert dies ihre Lernmotivation, fördert aber auch ein angemessenes Verständnis der sachlogischen Anforderungen und die Entwicklung kognitiver Zugriffe, sie zu bewältigen. Beispiele konkreter Schwierigkeiten machen deutlich, dass jeder Erwerb neuer Strategien auch das Risiko enthält, durch ihre Vereinseitigung in Sackgassen zu führen. Anhand konkreter methodischer Ideen wird gezeigt, wie in der Förderung mit dieser Gefahr jeweils konstruktiv umgegangen werden kann, um verschiedene Zugriffe zu koordinieren. Schlüsselwörter: Leseschwierigkeiten, Förderung, Literacy, Sinnverstehen, Teilleistungen Reading is search for meaning – and learning to read demands more than mere training of skills Abstract: Concepts of instruction are based on quite different concepts of learning and of competing explanations of problems. This article shows that each of them focusses important aspects – at the cost of others that are neglected. As far as literacy is concerned it becomes ob­ vious that reading from the start has to be seen a socio-cultural activity and that focussed training of skills should not disregard this context. The experience of reading as a personally and socially relevant activity increases not only learning motivation, but also fosters the understanding of the logic of print and the development of strategies to cope with its challenges. Examples of specific difficulties show that progress in certain dimensions may lead to losses in others. Concrete methods are proposed to evade such a deadlock and to foster the integration of different strategies. Keywords: reading difficultie , literacy, reading instruction, text comprehension, skill training

Einleitung

F

örderung setzt oft an den Defizi en einer Leistung an. Die Idee ist, durch gezielte methodische Intervention zu „reparieren“, was als „Schwäche“ erkannt ist. Dabei gerät leicht aus dem Blick, dass Kinder Sinnsucher sind (Donaldson, 1998). Auch Lesen ist für sie von Anfang an eine Suche nach Bedeutung (vgl. Moje & Ellison, 2016). In dieser Perspektive ist Förderung zu verstehen als Entfaltung vorhandener Kompetenzen und Herausforderung, aber auch Unterstützung des jeweils möglichen nächsten Schrittes. Vor 40, 50 Jahren dominierte in Forschung und Didaktik folgende Formel des Psychologen Franz Biglmaier (1968): „Lesekompetenz = Geschwindigkeit + Genauigkeit“ – gemessen beim lauten Vorlesen. Also – so seine These – müsse man das rasche Erkennen von Wörtern trainieren, um die Lesefähigkeit zu fördern. Aber darf man die beobachtete Korrelation – erfolgreiche Leser*innen lesen schneller und sie machen weniger Fehler – so einfach als Kausalität interpretieren? Schnell © 2018 Hogrefe

und genau lesen zu können erleichtert zwar das Textverständnis, aber diese Leistungsmerkmale lassen sich nicht zwingend als Voraussetzung interpretieren, sondern können auch als Folge oder als bloßes Symptom von Lesekompetenz gedeutet werden. Jede Sichtweise hat aber andere Folgen dafür, wie wir Kinder mit Schwierigkeiten fördern. Lediglich Symptomleistungen zu trainieren kann jedenfalls auch kontraproduktiv sein (vgl. Scheerer-Neumann, 2015 , S. 91, 93). Deshalb zwei Botschaften vorweg, die im Alltag des Sprachunterrichts, aber auch in der außerschulischen Förderung leicht verloren gehen: yy Lesen ist immer kontextbezogene Sinnsuche – Lesen ist ein aktiver Prozess, es funktioniert nicht mechanisch „von unten nach oben“, sozusagen als Einbahnstraße von den Buchstaben über die Laute zur Bedeutung. yy Lesenlernen bedeutet einen (oft tiefgreifenden) Umbau kognitiver Strategien – es erschöpft sich nicht in der Addi­tion von Teilleistungen wie Buchstabenkenntnis, Lautsynthese oder Worterkennen, wenn diese nur isoliert geübt werden. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31 https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000201

Fokus Anwendung

Bremen


22

Darstellung Was dieses Verständnis von Lesen(lernen) für die Förderung bedeutet, will ich an einem fikt ven Beispiel verdeutlichen (der folgende Abschnitt ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung von Teilen aus Brügelmann, 2012).

Fokus Anwendung

Zum Einstieg: vier konkurrierende Sichtweisen auf Fördern Ende 1. Klasse: Julia kann einige Wörter aus dem Lehrgang benennen, verwechselt aber visuell ähnliche Wörter wie <Hund> und <Hand>. Bei unbekannten Wörtern lautiert sie die ersten Buchstaben und bleibt dann stecken. Diktierte Wörter verschriftet sie nur rudimentär, z.  B. „FT“ (für Pferd), „KAS“ (für Katze), „KOM“ (für kommen) oder „SU“ (für Schule). Die anderen Kinder der Klasse schreiben zu dieser Zeit meist lautgerecht. Viele verwenden sogar erste Rechtschreibmuster wie <sch>, <pf> oder <tz>, einige beachten auch schon Regelhaftigkeiten wie die Auslautverhärtung in <Pferd> oder die Markierung der Vokalkürze in <kommen>. Im Rahmen einer Förderkonferenz werden Julias Schwierigkeiten und ihre Ursachen kontrovers diskutiert. Julias Deutschlehrerin schlägt vor, Teilleistungen zu üben wie die Buchstabenkenntnis, die Analyse von Wörtern in Einzellaute und ihre Synthese, dazu auch das Klatschen von Silben, „denn Julia kann die Lautfolge nicht in handhabbare Bausteine gliedern und vollständig in die passenden Buchstaben übersetzen – und umgekehrt“. Die Förderlehrerin setzt noch einen Schritt vorher an, „denn Julia hört die Laute in den Wörtern nicht richtig“. Sie fordert, erst einmal die grundlegenden senso-motorischen Voraussetzungen zu sichern, z. B. durch Sprachspiele, aber auch durch Hörübungen zum Erkennen von Geräuschen oder durch den Vergleich von Bildern, die sich in nur wenigen Details unterscheiden. Julias Nachhilfelehrer meint, dass Julia „keinen Sinn darin sieht, zu lesen und zu schreiben, da die Lese- und Schreibaufgaben in der Schule nur der Übung dienen“. Er schlägt vor, ihr Interesse für Pferde zu nutzen, gemeinsam mit ihr in entsprechenden Sachbüchern zu lesen und sie selbst kleine Geschichten schreiben oder diktieren zu lassen, die dann auch auf der Homepage der Schule veröffentlicht werden könnten. Nur so könne sie die Erfahrung machen, dass sich die Anstrengungen auf der „technischen“ Ebene lohnen. Die Mutter schließlich sieht die Ursachen auf der Beziehungsebene; sie verweist darauf, dass Julia sich von ihren LehrerInnen nicht anerkannt fühlt, vor allem weil ihre Lese- und Schreibfehler immer wieder Anlass für abwertende Bemerkungen seien. „Julia traut sich nichts zu, weil sie Angst hat, etwas falsch zu machen.“ Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31

H. Brügelmann: Lesen als Sinnsuche

Alle vier Personen wollen Julia helfen. Aber sie gehen von sehr unterschiedlichen Annahmen über die Gründe für ihre Misserfolge und über die Bedingungen für gelingende Lernprozesse aus. Das hat Konsequenzen für die Wahrnehmung von „Abweichungen“ und für die Entwicklung von Fördermaßnahmen. Fördern als Nachholen fehlender „Voraussetzungen“ In manchen psychologischen Theorien werden Kompetenzen als eine Hierarchie von Fähigkeiten interpretiert, die nur nacheinander erworben werden können (vgl. Ayres, 1992; Affolter, 1990). Wenn zum Beispiel bestimmte Sinnesfunktionen nicht altersgemäß entwickelt sind, mache es (so diese Theorien) wenig Sinn, höhere Leistungen wie Lesen, Schreiben oder Rechnen zu fördern. Am Schulanfang werden vor allem schon motorische und Wahrnehmungsleistungen als „Voraussetzung“ für das Lesen- und Schreibenlernen unterstellt (vgl. Frostig & Horne, 1977). Allerdings zeigen Studien, dass zur Entwicklung der Symbolsysteme gegenstandsbezogene Aufgaben erforderlich sind (vgl. Scheerer-Neumann, 2015, S. 68 f.). So kommt es beim Erkennen und Unterscheiden von „Q“ und „O“ in verschiedenen Schriftarten eben nicht auf eine möglichst fein differenzierte visuelle Unterscheidungsfähigkeit an. Vielmehr muss man um die defini renden Merkmale der Buchstaben wissen und diese beachten, typografi che oder durch die Handschrift bedingte Abweichungen vom Standard dagegen als unwesentlich ausblenden. Es gilt eher umgekehrt: Der Umgang mit der Schrift wirkt sich auch positiv auf die Entwicklung der Sinnesfunktionen aus. Beispielsweise führt das anfangs ungelenke Schreiben mit der Hand dazu, dass sich die Feinmotorik allgemein verbessert. Dabei werden in deren Entwicklung Fehler als Durchgangsstadium akzeptiert. So ist ein vorgängiges Training der Motorik, z. B. durch Nachmalen von vorgegebenen Mustern oder durch Schwungübungen, nicht nötig, wenn man die Entwicklung der Handschrift – und entsprechend auch anderer Leistungen – als allmähliche Differenzierung grober Vorformen versteht. Fördern als Training schwacher Teilleistungen Andere Modelle interpretieren (altersbezogen) schwächere Leistungen als die Folge nicht zureichend entwickelter Teilkompetenzen. Anders als bei den „Voraussetzungen“ beziehen sie diese allerdings auf den Umgang mit einem konkreten Gegenstand, hier also der Schriftsprache. Beim Lesen wären das etwa Buchstabenkenntnis, Lautsynthese, automatisierte Verfügbarkeit von Häufig eitswörtern, Sinnverstehen usw. (vgl. die didaktische Landkarte in Brügelmann & Brinkmann, 2016). Förderung wird dann als fokussiertes, oft aber auch isoliertes Training dieser einzelnen Leistungen verstanden (vgl. Schmalohr & Fehrmann, 1972). Wie beim „Voraussetzungs“-Ansatz werden Defizi e in spezifi© 2018 Hogrefe


schen Modulen der angezielten Kompetenz unterstellt. Diese – so die Annahme – sind vorweg zu „reparieren“, ehe dem Kind zugetraut wird, sich erfolgversprechend mit Texten inhaltlich auseinanderzusetzen. Studien zeigen, dass die gezielte Übung schwach entwickelter Teilleistungen durchaus förderlich sein kann (vgl. National Reading Panel, 2006). Wenn sie aber dominiert und die inhaltliche Dimension des Lesens ausgeblendet wird, bleibt die Fähigkeit zur Sinnsuche und zum Umgang mit Ambivalenzen (schon auf der Schriftebene) unterentwickelt (vgl. etwa zum Programm IntraActPlus von Jansen & Streit, 2006 die Kritik bei Brügelmann, 2009). Das gilt ebenso für die Arbeit mit Silbenteppichen, die schon die Anforderung der Lautvariation (etwa Kurz- vs. Langvokal) ganz ausblenden, vor allem aber nicht den Sprung von der Kunstlautung zum Wort einfordern (s. „Buchstabensammler“ S. 2 8). Um die Sinnerwartung parallel zum Erlesen zu aktivieren, sind deshalb Aufgaben, bei denen Bildern Schriftwörter oder Sätze zugeordnet werden müssen, schon früh einzubeziehen. Fördern als Unterstützung einer Kompetenz im Gebrauch Eine Alternative zu dieser Sichtweise ist die Annahme, dass Kinder Lesen durch Lesen und Schreiben durch Schreiben lernen. Im Vordergrund dieser kompetenzorientierten Förderung steht die durch individuelle Ziele motivierte Handlung schriftlicher Kommunikation in einem sozialen Kontext. Vom Kritzeln der Kinder angefangen über erste Buchstabenreihungen bis hin zu lautorientierten Schreibungen werden die Versuche der Kinder als – auf ihrem jeweiligen Entwicklungsstand – sinnvolle Aktivitäten gedeutet. Förderung bedeutet dann Anregung, Modellierung und Unterstützung solcher Aktivitäten – bis hin zur erforderlichen Fehlertoleranz. Abweichungen von der Norm werden nicht als Ausdruck einer Schwäche, sondern als phasenweise Vereinfachung der zu bewältigenden Aufgabe durch das Kind selbst gesehen. Fortschritte werden nicht als quantitativer Zuwachs beschrieben, sondern als qualitative Veränderung von Strategien (s. zur Entwicklung des Lesens S. 24 ff). Förderung besteht dann darin, dem Kind den schriftsprachlichen Umgang mit interessanten Inhalten zu ermöglichen und es bei seinen Lese- bzw. Schreibversuchen zu unterstützen, z. B. durch ein halblautes Mitlesen beim „Paired Reading“ (vgl. Niemann, 1990), durch das Aufschreiben vom Kind diktierter Texte oder durch die Übersetzung lautorientierter Schreibversuche in „Buchschrift“ (vgl. Spitta, 2015 ). Fördern als Stärkung der Person Ebenfalls kompetenz- statt defizi orientiert sind Ansätze, die die Person als ganze in den Blick nehmen und fachli© 2018 Hogrefe

23

che Lernschwierigkeiten – zumindest teilweise – auf Versuche der Kinder zurückführen, Probleme in ihrer Lebenswelt zu bewältigen (vgl. zur Deutung von Fehlern und Verweigerungen als „Notsignal“ Grüttner, 1980). Der Konvention widersprechende Lese- und Schreibversuche können Symp­tome für solche Probleme, aber auch Ausdruck persönlich befriedigender Lösungsversuche einer Überforderungssituation sein. Vor allem aber können anfängliche, durchaus normale Schwierigkeiten mit dem neuen Medium Schriftsprache bei entsprechend negativen Reaktionen der Umwelt zu Problemen mit der Motivation oder dem Selbstkonzept führen, die dann zu einer eigenständigen Ursache für zukünftige Schwierigkeiten bei fachlichen Anforderungen werden (vgl. den „Teufelskreis Lernstörungen“ bei Betz & Breuninger, 1998). Förderung bedeutet in dieser systemischen Sicht zunächst einmal Abstand zum negativ besetzten Inhalt und Stabilisierung der Person und ihrer sozialen Beziehungen. Vor allem aber sind deren eigene Erklärungsversuche und Lösungsvorschläge bei der Förderplanung ernst zu nehmen (vgl. die „Lesegespräche“ bei Schmalohr, 1997). Schriftsprachliche Aufgaben sind so zu gestalten, dass sie möglichst selbstständig bewältigt werden können (vgl. zur Vereinfachung von Textanforderungen S. 30). So werden Erfolgserlebnisse wahrscheinlicher, die das Selbstkonzept und die Lesemotivation stärken. Was kann man aus diesem kleinen Beispiel lernen? Theorien als komplementäre Brillen nutzen Je nach den eigenen theoretischen Präferenzen liegt es nahe, die vier Sichtweisen nach dem Kriterium „falsch vs. richtig“ zu bewerten. Betrachtet man ihre in der Praxis jeweils zu beobachtenden Erfolge und Misserfolge, erscheint es sinnvoller, sie als parallel mögliche Zugänge zu Lernproblemen von Kindern zu nutzen, aber auch jede in ihrem Anspruch zu relativieren. Durch verschiedene Brillen sieht man die Welt unterschiedlich – und jede Brille (v)erschließt andere Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten (s. differenzierter Scheerer-Neumann, 2015 , Kap. 7 – 10). Insofern schließen sich die Förderkonzepte – trotz aller Unterschiede im theoretischen Ansatz – in der praktischen Anwendung nicht aus. Je nachdem, wie sie miteinander verbunden werden, kann sich aber ihre Bedeutung verändern, z.  B. bekommt die Handlungsorientierung im Rahmen des personenorientierten Konzepts eine andere Funktion als in Verbindung mit dem Teilleistungsansatz. Pädagogisch gesehen muss die Akzeptanz der Person die Basis aller Förderbemühungen sein. Und das schließt ein: Lesen und Schreiben als sinnvolle Handlung ermöglichen, indem die Kinder vorhandene Kompetenzen nutzen – mit Fehlertoleranz, weil sie die Handlung noch nicht normgerecht ausführen können, z.  B. ihre Gedanken zunächst nur lautgerecht verschriften. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31

Fokus Anwendung

H. Brügelmann: Lesen als Sinnsuche


Fokus Anwendung

24

Akzeptanz der Person und Unterstützung sinnvoller Handlungen bilden sozusagen den Rahmen, innerhalb dessen die anderen beiden Ansätze konkret auszulegen sind. Wenn zwei LehrerInnen „dieselbe“ Aufgabe oder Übung einsetzen, bedeutet sie für die Kinder und damit auch für deren Förderung eben doch nicht dasselbe. So kann man die Buchstaben-Laut-Beziehung üben, indem man auf Arbeitsblättern isolierte Buchstaben den entsprechenden Anlautbildern zuordnen lässt. Diese Fähigkeit wird aber auch entwickelt, wenn die Kinder zu selbst gezeichneten Bildern einzelne Wörter mit Hilfe einer Anlauttabelle verschriften. Ein Grundwortschatz, der besonders häufi e Wörter und Modellwörter für die gängigen Rechtschreibmuster enthält, kann durch Übungen mit einem Arbeitsheft gefestigt werden. Denkbar ist aber auch, dass Kinder aus ihren eigenen Texten jeweils „wichtige Wörter“ in einer 5 -Fächer-Kartei sammeln (Fenske, 2002; Leitner, 2011), die sie dann für Wendediktate oder für gegenseitige Partnerdiktate nutzen (vgl. Lernfeld S in Brinkmann & Brügelmann, 2010). Förderung ist also keine Technik, die man wie ein Verkaufsprogramm trainieren kann. Wie das Potenzial einzelner Ansätze wirksam wird, hängt von der Haltung der Pä­ dagogin gegenüber den Kindern ab – aber auch davon, wie kompetent sie die Schwierigkeiten der Kinder fachlich deuten und ob sie ihr methodisches Repertoire situationsgerecht nutzen kann. Dafür braucht sie ein Modell der Kompetenzentwicklung.

Lesenlernen als Strategieentwicklung Mein Ausgangspunkt ist ein Verständnis von Lesen als interaktivem Prozess. Dieser gelingt nur, wenn einerseits die Schriftzeichenfolge genau beachtet wird und andererseits der Leser sein Weltwissen und seine Spracherfahrung nutzt, um aktiv den Sinn eines Wortes bzw. Textes zu rekonstruieren. Wie diese beiden Zugriffe beim kompetenten Leser zusammenwirken, zeigen Experimente, die Leseforscher vor vielen Jahren durchgeführt haben. In einem Versuch von McConkie und Zola Anfang der 1980er Jahre wurde den Probanden zum lauten Vorlesen kurzzeitig ein Text mit einem unauffälligen Druckfehler (ähnlich dem im Kasten) präsentiert (vgl. ausführlicher die Zusammenfassung in Brügelmann, 2014, Kap. 14). Martin wollte seinen Freund besuchen. Um von Köln nach Frankfurt zu fahren, wo sein Freund wohnt, kaufte er deshalb eine Fahrkarte für die ­Eisenhahn, und zwar für die zweite Klasse.

Viele der Leser korrigierten den Druckfehler, ohne ihn bewusst zu bemerken, d. h. sie nutzten ihre durch den KonLernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31

H. Brügelmann: Lesen als Sinnsuche text eng geführte Sinnerwartung, um die Bedeutung des Textes im Sinne des Autors zu entschlüsseln. Zu den Hochzeiten der Ganzheitsmethode glaubten viele, derartige Befunde der empirischen Leseforschung würden belegen, dass kompetente Leser Wörter gar nicht Buchstabe für Buchstabe entziffern, sondern dass sie „Wortbilder“ an wenigen Formmerkmalen auf einen Blick erfassen. Gegen diese Interpretation spricht aber eine weitere Beobachtung, die im oben genannten Experiment dadurch gewonnen werden konnte, dass die Augenbewegungen der Proband*innen beim Lesen gefilmt wurden. Dabei zeigt sich, dass auch diejenigen, die den Druckfehler unbewusst korrigierten und oft sogar hinterher darauf beharrten, der Text sei korrekt gewesen, bei dem falschen Buchstaben für einen Sekundenbruchteil ­länger verharrten, als diejenigen, denen man eine korrekte Textvorlage präsentierte. Kompetenzentwicklung bedeutet für das Lesen also nicht Wechsel der Wahrnehmungseinheit oder Verarbeitungsebene („Wortbilder“ statt Buchstaben[gruppen]), sondern Automatisierung und Integration von verschiedenen Teilprozessen in einem koordinierten System. Die für die Didaktik interessante Frage ist nun: Über welche Schritte kommen die Kinder dahin – und wie kann man sie an diesen kritischen Stellen unterstützen?

Warum lesen diese Kinder so – und wie kann man ihnen bei ihren spezifischen Schwierigkeiten helfen? Tom verliest sich oft: Er sagt KABA statt KAKAO, WOLF statt HUND und BLUME statt ROSE. Eva verliest sich auch – aber auf andere Weise als Tom: HAND statt HUND, MUTTER statt BUTTER, APFEL statt AMPEL Kim lautiert den Wortanfang und springt dann zu einem ihr vertrauten Wort: LLL-EITER statt LAMPE. Marc lautiert die Buchstabenfolge beim Lesen korrekt; oft kommt er aber nicht auf das gemeinte Wort: ”HAA-MEER„, „SSS-T-RRR-AAA-NNN-T. Anja liest Sätze verständlich, wenn auch etwas leiernd vor; sie kann hinterher nicht auf inhaltliche Fragen zum vorgelesenen Text antworten.

Um die Leseversuche der fünf Kinder interpretieren zu können, braucht man ein empirisch fundiertes Modell, wie Kinder sich die Schriftsprache aneignen. Weithin bekannt sind sog. Stufenmodelle für den Bereich des Rechtschreiblernens: von willkürlichen Buchstabenfolgen über Anlautschreibungen und lautgerechte Umschrift bis hin zur Übernahme orthographischer Besonderheiten und der Beachtung morphematischer Regeln (vgl. die fünf Einsichten bei Brinkmann & Brügelmann, 2010, S. 11 – 1 6). Allerdings © 2018 Hogrefe


H. Brügelmann: Lesen als Sinnsuche

25

ten wie „Tiptoi“ oder „Ting“ können Kinder auch selbst aktiv werden: Sie können sich Sätze oder einzelne Wörter vorlesen lassen, indem sie in entsprechend programmierten Büchern das fragliche Schriftelement mit dem Stift berühren (vgl. Brinkmann, 2017, S. 12). In dieser Phase entwickeln die Kinder auch in ihrer Umwelt eine zunehmende Aufmerksamkeit für Schrift. „Kontextspekulanten“ Wenn die Kinder sich an der Schrift orientieren, beginnen sie auch einzelne Wörter auf Schildern oder Warenetiketten zu benennen – aber nur so lange zutreffend, wie diese im vertrauten, zumindest in einem erschließbaren Kontext auftauchen. Der Fortschritt ist die selbstständige Suche nach der Bedeutung von Schrift(zeichen) und die Aktivierung der eigenen Welt- und Spracherfahrung bei ihrer Benennung – wichtige Voraussetzungen für den Leseerfolg auch des kompetenten Lesers. Auch hier gibt es zwei Strategien: Über die eine assoziieren Kinder die Bedeutung der Schrift zu Merkmalen des Umfelds. So sagen vor der Schule zu <Esso> oder <Aral> dann „Benzin“ oder „Tankstelle“. In der Schule können sie nur aus dem Unterricht bekannte Geschichten lesen oder indem sie ihr Weltwissen und ihre Spracherfahrung aktivieren, um den Text zu rekonstruieren. Wie Tom ersetzen sie dann manche Wörter durch bedeutungsähnliche Begriffe, ohne auf die Buchstaben zu achten. Für diese Kinder kann es eine hilfreiche Herausforderung sein, wenn man Räume, Möbel und andere Gegenstände (gemeinsam mit ihnen) beschriftet, diese aber über Nacht vertauscht und im Gespräch dann nach Begründungen für die richtige Zuordnung fragt. Andere Kinder übertragen die Logik von Zeichnungen analog auf das Symbolsystem Schrift: viele Zeichen für einen großen Gegenstand (z. B. eine Kuh), wenige für einen kleinen (z. B. eine Maus) – oder 1 : 1 so viele Buchstaben wie Gegenstände gemeint sind (drei Buchstaben für drei Katzen). Hier bietet sich folgende Aufgabe an: Man zeigt den Kindern Wort- und Bildkarten wie in Abb.  1a – und fragt sie: „Was passt zusammen? Auf welcher Karte steht wohl <Schmetterling> und auf welcher <Bär>?“ oder analog: „Auf welcher Karte steht <Lokomotive> und auf welcher <Zug>?“ An den Lösungsversuch des Kindes schließt sich dann der Hinweis an: „Wenn du dir das langsam vorsprichst, merkst du: ‚Lo-ko-mo-ti-ve‘ klingt länger – und darum sind da auch mehr Buchstaben“. Dabei sollen die Kinder noch

Vom „Nacherzählen“ zum „Als-ob-Lesen“ Kleine Kinder benennen in Bilderbüchern Gegenstände („ein Mann“, „ein Hund“) oder Aktivitäten („die Tiere laufen weg“), wie sie es von anderen gehört haben. Ohne eigenständigen Bezug auf den Text assoziieren sie Bedeutung zu den Bildern – indem sie nacherzählen, was sie erinnern, oft noch in eigenen Worten. Das ändert sich mit dem häufi en Vorlesen von Geschichten, vor allem wenn die Erwachsenen dabei mit dem Finger im Text entlang fahren und damit die Aufmerksamkeit auf die Schrift lenken. Viele Kinder fangen dann an, selbst so zu tun, als ob sie vorlesen. Dabei verwenden sie typisch schriftsprachliche Wendungen („es war einmal“), und auch ihre Intonation verändert sich. Manchmal gehen sie auch selbst mit dem Finger im Text entlang und schauen nicht mehr auf die Bilder. Diese Veränderungen signalisieren eine wichtige Einsicht: Schrift hält nicht nur BedeuBÄR BÄR tung, sondern Sprache fest – und zwar wortwörtlich. Diese Einsicht kann durch digitale Bücher gefördert werden, in SCHMETTERLING denen parallel zum gesprochenen Text die entsprechen- SCHMETTERLING Abbildung 1a. Länge des Wortes vs. Größe des Gegenstands. den Schriftwörter aufleuchten. Mit der Hilfe von HörstifAbb. 1a

© 2018 Hogrefe

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31

Fokus Anwendung

handelt es sich nicht um Stufen im strengen Verständnis einer vollständigen Ablösung einer Strategie durch eine andere. Vielmehr lässt sich eine Erweiterung des Repertoires an Zugriffen beobachten und eine sich verändernde wechselnde Dominanz einzelner Strategien innerhalb des Strategieprofi s. In diesem Sinne lässt sich auch das Lesenlernen als schrittweise Aneignung von Besonderheiten der Schriftsprache beschreiben, die in der Leseforschung den drei Phasen yy logographisches Worterkennen yy alphabetisches Erlesen yy Nutzung orthographischer Strukturen zugeordnet werden (s. Scheerer-Neumann, 2015 , Kap. 8). Dabei bedeutet jeder Fortschritt einen Kompetenzgewinn, den es zu erkennen und anzuerkennen gilt, der aber zugleich auch das Risiko enthält, durch Vereinseitigung in eine Sackgasse zu münden (vgl. zum Folgenden Brinkmann & Brügelmann, 2010, S.  16 – 2 2). Auch wenn diese Strategien im Folgenden als Idealtypen vereinfacht werden, ist zu beachten, dass Kinder oft verschiedene Zugänge parallel nutzen – sei es, dass sie zwei Strategien für das Erlesen eines Wortes kombinieren, sei es, dass sie bekannte oder einfache Wörter anders lesen als unbekannte bzw. schwierige Wörter. Wichtig ist aber die Einsicht, dass wir es nicht nur am Schulanfang mit Entwicklungsunterschieden von drei bis vier Jahren zu tun haben, sondern auch noch in den höheren Klassen und in Fördergruppen (bis hin zum Alphabetisierungskurs für Erwachsene) immer mit einem breiten Spektrum an verschiedenen (dominanten) Strategien rechnen müssen.


H. Brügelmann: Lesen als Sinnsuche

26

Fokus Anwendung

nicht konkrete Buchstaben-Laut-Beziehungen lernen und behalten, sondern ihren Blick auf Schrift verändern. Denn ehe Kinder den Lautbezug konkret für das Erlesen von Wörtern nutzen, achten sie auf graphische Besonderheiten von Wörtern – eine Strategie, die oft verbunden mit der Orientierung am Kontext auftritt. „Wortbildjäger“ Beginnen die Kinder, sich stärker an einzelnen Merkmalen der Schrift zu orientieren, konzentrieren sie sich zunächst auf leicht zu merkende Auffälligkeiten. Sie werden damit – wie Eva – zu „Wortbildjägern“, die sich an Besonderheiten wie Wortlänge oder auffallende Buchstaben(gruppen) halten. In dieser (logographischen) Phase identifizie en Kinder Wörter oft an nebensächlichen Merkmalen wie Farbe oder typographischen Besonderheiten (vgl. etwa den Unterstrich von <Coca-Cola>). Schon dass derselbe Buchstabe je nach Drucktype oder Handschrift unterschiedlich ausfallen kann, ist für Kinder irritierend. Wie oben im Abschnitt „Fördern als Nachholen fehlender ‚Voraussetzungen‘“ bereits kurz angedeutet verändert eine Schleife oben

am Oval die Identität des <O> nicht, ein gleich großer Schlängel unten macht aber aus dem <O> ein <Q>. Aufmerksam auf die definie enden Merkmale von Wörtern und Buchstaben werden Kinder durch Spiele, in denen dieselben Wörter einmal als Emblem und einmal ohne Logo Paare bilden und einander zugeordnet werden müssen – bzw. analog Wörter in verschiedenen Schriftarten. Später können Buchstabenhefte diese Bildung von Prototypen unterstützen, in denen die Kinder auf jeder Seite möglichst viele Varianten des betreffenden Schriftzeichens sammeln (Abb. 1b). Unabhängig davon gibt es unter den Wortbildjägern zwei verschiedene Typen, die sich auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen befin en. Typ I sind die „Signal-Hascher“: Diese Kinder „erkennen“ ein Wort rein graphisch an prägnanten Buchstaben (z. B. dem Anfangsbuchstaben oder dem <tt> in der Mitte) – und verwechseln dann <POST> mit <POLIZEI> bzw. <Butter> mit <Mutter>. Schon im Kindergarten oder am Schulanfang kann in diesen Fällen ein „gezinktes Memory“ hilfreich sein (vgl. Brinkmann & Brügelmann, 2010, Karte S.  2 2, wo sich auch Varianten für spätere Entwicklungsstufen fin en): Die Bilder (möglichst in der Form von Minimalpaaren wie <Wal>/<Wald> oder <Kirche>/<Kirsche>) liegen – wie üblich – verdeckt unten, auf der sichtbaren Oberfläche steht das entsprechende Schriftwort (s. Abb. 1c). Schriftunkundige Kinder betrachten die Schrift als bloßes Ornament, sie spielen dieses Memory, ohne die Schrift als Hilfe zu nutzen. Wenn sie merken, dass es sich lohnt, auf die Schrift zu achten, fallen sie zunächst oft auf ähnliche Wörter herein – und lernen dadurch, die Buchstabenfolge genau und vollständig abzutasten. Es geht nicht darum, dass sie lernen, Wörter wie <Wald> oder <Kirsche> in anderen Kontexten zu erkennen oder gar selbstständig zu erlesen. Das

Abbildung 1b. Individuelles Buchstabenheft (aus Bartnitzky,

Abbildung 1c. „Gezinktes Memory“ zur genauen Beachtung der

Brüdelmann, Hecker & Schönknecht, 2005).

Buchstabenfolge.

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31

© 2018 Hogrefe


Spiel soll nur die grundlegende Einsicht vermitteln: Für die Identität eines Wortes kommt es auf alle Buchstaben an. Auf den ersten Blick ähnlich wie Eva scheint Kim zu lesen. Aber sie lautiert den Anfang des Wortes und springt dann zu einem (aus dem Lehrmaterial) vertrauten Wort: „Lllll-eiter“ (statt <Lampe>). Solche „Früh-Rater“ sind deutlich weiter als Typ I, weil sie den Lautbezug der Schrift erkannt haben und nutzen. Sie lassen sich aber von ihrer Sinnerwartung verführen – sei es durch den Kontext oder weil der Wortschatz eines Lehrgangs so stark begrenzt ist, dass nur wenige Wörter in den Texten auftauchen, so dass schon der erste Laut ein bestimmtes Wort „auslöst“. Oberflächlich ähnliche Lesefehler lassen also die zugrundeliegende Strategie nicht immer eindeutig erkennen. Anders als die noch zu behandelnden „Buchstabensammler“ verharren „Früh-Rater“ nicht auf der Ebene des Entzifferns einzelner Schriftzeichen, sondern sie suchen nach einem passenden Wort. Trotz der Fehler, die sie dabei machen, ist auch dies eine wichtige Teilkompetenz, ohne die wir z.  B. Mehrdeutigkeiten auf der Schriftebene nicht auflösen könnten, wie die Beispiele im folgenden Kasten zeigen:

27

Sinnerwartung.

oder „Wörtersack“ (vgl. Abb. 1d und Brinkmann & Brügelmann, 2010, Karte A.11). Traditionell wurden sie als sogenannte „Synthese“-Aufgabe eingesetzt, indem das Wort stückweise herausgezogen wurde – verbunden mit der Aufforderung: „Lautiere die Buchstaben und ziehe die Laute zusammen!“ Damit werden die Kinder aber in die Falle der Kunstlautung eines linearen Erlesens „von unten nach oben“ gelockt (s. Abschnitt „Wortbildjäger“). Sie entwickeln eine einseitige und damit fehlerträchtige Lesestrategie. Erfolgreich kann Lesen nur werden, wenn es die Entschlüsselung der Buchstabenkette mit einer aktiven Sinnerwartung verknüpft. Eine kleine Umformulierung der Aufgabe wird dieser fachdidaktischen Pointierung gerecht (vgl. Brinkmann, 2016, S.  11): Nach dem Herausziehen eines jeden (weiteren) Graphems werden die Kinder gefragt: „Welches Wort kann das (jetzt noch) werden?“ Andere Aufgaben (s. „Leseheft“ und „Lesekartei“ von Bode-Kirchhoff & Brinkmann, 2014. ) wären u.  a. die Zuordnung der passenden Abbildung aus drei Bildern, deren Bezeichnungen ähnlich klingen (Hammer, Hand, Haken, Hase), zu einem vorgegebenen Schriftwort (<Hammer>). Den Kindern muss deutlich werden, dass die „Synthese“ kein technischer Akt ist, sondern einen „kreativen Sprung zum Wort“ erfordert – allerdings geleitet durch die genaue Beachtung der Buchstabenfolge, die den „Wortbildjägern“ abgefordert wird, indem das Wort nur Stück für Stück präsentiert wird (und zwar graphem- und nicht buchstabenweise, also: Sp-ie-l, Sch-i-ch-t, St-üh-l-e usw., s. unten Abschnitt „Buchstabensammler“). Damit Kinder den Lautbezug unserer alphabetischen Schrift begreifen und seine Umsetzung konsequent üben, ist oft der Wechsel von der Leser- in die Schreiber-Perspektive förderlich: das freie Schreiben mit der Anlauttabelle zwingt sie dazu, die Lautfolge differenziert abzuhören (bzw. beim Artikulieren abzufühlen) und passende Schriftzeichen zu fin en (Brinkmann, 2015, S. 44 ff., 164 ff.). „Sprechende Anlauttabellen“ auf dem PC, die zudem zu jedem Buchstaben verschiedene Anlautbilder zur Auswahl anbieten, ermöglichen Kindern, sich individuell gut zu merkende Begriffe auszusuchen (vgl. Brinkmann, 2017). Wenn das Programm den Kindern zusätzlich die Möglichkeit bietet, sich den eigenen Schreibversuch vorsprechen zu lassen, haben sie einen „akustischen Spiegel“, der ihnen eine selbstständige Verfeinerung der Laut-Buchstaben-Zuordnung ermöglicht (vgl. etwa die CD „Buchstaben-Werkstatt“ in Bode-Kirchhoff & Brinkmann, 2014). Ob Kinder die alphabetische Strategie auch für das Erlesen unbekannter Wörter nutzen können, lässt sich auch später noch mit sogenannten Pseudo- oder Kunstwörtern überprüfen, also Buchstabenfolgen, die zwar entsprechend den Regeln der deutschen Orthographie gebaut sind, aber keine Bedeutung tragen. Auf diese Weise lässt

© 2018 Hogrefe

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31

yy yy yy yy yy yy

Wachstube vs. Wachstube Bade-insel vs. Badeingang vergesse vs. verblose Stiefel-absatz vs Stief-eltern Kónstanz vs. Konstánz babyhaft vs. babylonisch

Sinnerwartung und Kontextnutzung sind also schon für das „Erlesen“ einzelner Wörter unverzichtbar. Denn Lesen folgt nicht dem Dreischritt „Schrift – Laut – Sinn“, sondern erfordert eine Koordination verschiedener Zugriffe. Damit steht die Förderung vor einer schwierigen Herausforderung: einerseits dem Kind zu signalisieren, dass es mit dem Lautieren der Schriftzeichen einen wichtigen Schritt getan hat, andererseits zu verhindern, dass dessen Dominanz in eine Sackgasse führt. Hilfreich sind hier – evtl. neben den im Abschnitt „Buchstabensammler“ genannten Aufgaben – „Lesekrokodil“

Abbildung 1d. Lesekrokodil: Verknüpfung von Erlesen und

Fokus Anwendung

H. Brügelmann: Lesen als Sinnsuche


H. Brügelmann: Lesen als Sinnsuche

Fokus Anwendung

28

Abbildung 2. Fragebogen zur Klärung der eigenen Leseinteressen aus (aus Bode-Kirchhoff & Brinkmann, 2016).

sich auch gezielt überprüfen, ob die Kinder bestimmte Schwierigkeiten wie lange Wörter (z. B. <Oramigo>) oder Konsonantenhäufungen (z.  B. <Stronk>) bewältigen können. Als punktuell eingesetztes Übungsmaterial erlauben sie es zudem, die im Fachunterricht immer wieder anzutreffende Anforderung zu simulieren, neue Begriffe zu erlesen, z.  B. im Sachunterricht Städte- oder Tiernamen. Eine Förderung darf sich aber nie in solchen Übungen erschöpfen, Kinder müssen Lesen immer auch als eine bedeutsame sozio-kulturelle Handlung erleben: anfangs über ein dialogisches Vorlesen, bei dem sie ihre Sinnerfahrung bzw. ihr Weltwissen einbringen und erweitern können, später durch eine Textangebot, das ihnen schon früh ein selbstständiges Lesen persönlich relevanter Texte erlaubt (s. Seite 2 9 f).

„Riiin-geee“. In der Vereinseitigung dieser Strategie sind „Buchstabensammler“ das Gegenstück zu den „Wortbildjägern“ (Typ II). Sie müssen also (wieder) auf die Bedeutung des Wortes hin orientiert werden, um den „Sprung zum Wort“ zu riskieren. Auch für sie sind deshalb „Wörtersack“ bzw. „Lesekrokodil“ (s. Abschnitt „Wortbildjäger“) geeignete Aufgaben. Aber auch die Auswahl des passenden von mehreren Schriftwörtern zu einem vorgegebenen Bild kann die Sinnerwartung beim Erlesen aktivieren. Manche Kinder scheitern beim Erlesen unbekannter Wörter an zwei besonderen Anforderungen: yy mehrgliedrige Grapheme wie <sch> oder <ck> werden nicht als Einheit erkannt, yy lange Wörter können nicht in lesbare Einheiten (z.  B. Silben) gegliedert werden.

„Buchstabensammler“ Sobald Leseanfänger die zentrale Einsicht gewonnen haben, dass es nicht nur auf jeden Buchstaben ankommt, sondern dass sich die Buchstabenkette auf die Lautfolge des Wortes bezieht, blenden sie oft alle anderen Zugänge aus und beschränken sich – wie Marc – allein auf die „technische“ Anforderung, Buchstabenfolgen lautierend zu synthetisieren:

Hier können grafi che Markierungen wie Einkreisen oder eine farbige Gliederung von Wörtern in Silben hilfreich sein (vgl. Lehrgänge wie das „ABC der Tiere“ – klar zu unterscheiden von silbenanalytischen Ansätzen!). Diese Hilfe können Kinder später auch selber nutzen, um unbekannte, vor allem längere Wörter „handhabbar“ zu gliedern (vgl. Scheerer-Neumann, 2015, S. 85 f.). Eine vorgege-

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31

© 2018 Hogrefe


H. Brügelmann: Lesen als Sinnsuche

mit einem sorgfältigen Lesen der einzelnen Wörter zu verbinden, bieten sich zudem Aufgaben an, bei denen ein verfremdeter Text zu „reparieren“ ist, z. B. das Füllen von Lückensätzen oder das Rekonstruieren zerschnittener Geschichten. Manchmal aber liegt das Problem tiefer: Wenn Kinder für sich keinen Sinn im Lesen sehen, weil sie es nur als schulische Aufgabe kennengelernt haben, die sozusagen „technisch sauber“ zu bewältigen ist, muss erst einmal ihr inhaltliches Interesse geweckt werden. Dafür ist die Erfahrung wichtig, dass man über Lektüre etwas Neues erfahren kann, dass Geschichten spannend und unterhaltsam sein können. Insofern ist es hilfreich, sich die eigenen Sachinteressen und Lesevorlieben bewusst zu machen (s. Abb.  2) – und die Wahl zwischen Texten, d.  h. zwischen Themen, Genres, Schwierigkeitsgraden zu bekommen. Förderung bedeutet dann, die Leseanforderungen in inhaltlich interessanten Texten so zu vereinfachen, dass auch Anfänger schon Erfolg bei der Lektüre haben – und die Kinder anschließend über ihre Erfahrungen und Bewertungen (s. die frei formulierte Einschätzung in einem Lesetagebuch Abb. 3) ins Gespräch untereinander zu bringen.

Abbildung 3. Buchbesprechung: Kommentierung der eigenen Lektüre (aus Bartnitzky et al., 2005 f).

bene Gliederung von Wörtern in Silben sollte allerdings nur befristet, d. h. in der Phase eingesetzt werden, in der Kinder sich mit dem Sprung vom Buchstaben zum Wort noch schwer tun (vgl. Brinkmann, 2014). Denn sie versperrt den Blick auf die morphematische Struktur von Wörtern (laufen statt lau-fen), die nach der Anfangsphase den direkten Zugang zur Bedeutung erleichtern kann und auch für die Rechtschreibung wichtig ist. Bei rein formalen Übungen („Silbenteppich“) besteht überdies die Gefahr, dass Kinder Lautsynthese und Silbenanalyse als bloße Techniken missverstehen und die Suche nach der Wort- bzw. Textbedeutung aus dem Blick verlieren. Vorleseautomaten Sind Kinder beim Worterlesen erfolgreich, können sie wie Anja zu technisch perfekten „Vor-Lesern“ werden, ohne dass es ihnen aber gelingt die Bedeutung der Einzelwörter zu größeren Sinneinheiten zu verarbeiten. Gefordert ist in dieser Phase die Integration der verschiedenen Zugriffe und ihre Automatisierung (s. zu den folgenden Beispielen das „Leseheft ab Klasse 2“ aus Bode-Kirchhoff & Brinkmann, 2016). Zu deren Förderung eignen sich inhaltliche Fragen oder Handlungsaufträge zu einem Text. Um die Sinnerwartung auf Textebene zu aktivieren, aber zugleich © 2018 Hogrefe

Leseleichte Texte als Ermöglichung selbstständigen Lesens von Anfang an Leseschwierigkeiten sind immer die Folge einer Interaktion von Textanforderung und Lesekompetenz. In vielen Lehrgängen und Fördermaterialien führt das Bemühen, die technischen Anforderungen zu reduzieren, dazu, dass die Texte jeden inhaltlichen Reiz verlieren. Damit kann Lesen aber nicht mehr als Sinnsuche erfahren werden, was zu Motivationsverlust (s. Abschnitt „Vorleseautomaten“), aber auch zur Ausbildung einseitiger Lesestrategien führt (s. Abschnitte „Wortbildjäger“ und „Buchstabensammler“). Die hohe didaktische Anforderung ist also, inhaltlich reizvolle Texte zu arrangieren, deren technische Anforderungen so vereinfacht werden, dass die Hindernisse für ein selbstständiges Erlesen möglichst niedrig gehalten werden. Wie die Leseforschung zeigt, sind dafür oft schon sehr einfache Veränderungen hilfreich (vgl. auch Balhorn, Brinkmann, Brügelmann, Kretschmann & Scheerer-Neumann, 2010b, 1 – 2): yy große und fett gesetzte Schrift, anfangs ohne Serifen, zum Einstieg sogar BLOCKSCHRIFT yy geringer Textumfang (zu Beginn können es auch Bilderrätsel mit einzelne Wörtern sein) und einfache Erzählformen, mit Wiederholung von Satzmustern yy knappe Sätze mit klarer grammatischer Struktur yy kurze, häufi e und einfach gebaute Wörter mit geringem Anteil an mehrgliedrigen Graphemen und an seltenen Buchstaben. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31

Fokus Anwendung

29


H. Brügelmann: Lesen als Sinnsuche

30

Daneben sind aber die Inhalte zentral: dass sie Anschluss an persönliche Erfahrungen / Interessen ermöglichen und den Kindern die Wahl der Lektüre frei gegeben ist.

Ein Beispiel für eine solche „Bibliothek leseleichter Büchlein“ ist die „Regenbogen-Lesekiste“ (Balhorn, Brinkmann, Brügelmann, Kretschmann & Scheerer-Neumann, 2010a). Die folgenden Abbildungen 4a, 4b und 4c von Texten zunehmender Schwierigkeit zeigen, wie sich schon mit einem Satz, ja einem Wort pro Seite inhaltlich interessante Zusammenhänge darstellen lassen, die ein Lesen als Sinnsuche erlauben.

Fokus Anwendung

Fazit Lesen und Lesenlernen sind komplexe Prozesse. Auch wenn es aus didaktischen Gründen sinnvoll sein kann, Förderung punktuell auf Teilleistungen hin zu orientieren, sollten Kinder die Schriftsprache von Anfang an und durchgängig als eine sozio-kulturell bedeutsame Handlung erleben. Die Forschung zu „Literacy“ stützt diese Sicht speziell für das Lesen- und Schreibenlernen (vgl. zum Lernen in anderen Bereichen Bransford, Brown & Cocking, 2000): Kinder sind Sinnsucher und entwickeln unabhängig von didaktischen Interventionen eigenständige Vorstellungen und Strategien, die es für die Erweiterung ihrer Kompetenzen zu nutzen und zu entwickeln gilt.

Literatur

Abbildung 4a – c. Leseleichte Texte der Schwierigkeitsstufen 1 – 3

Affolter, F. (1990). Wahrnehmung, Wirklichkeit und Sprache. Villingen-Schwenningen: Neckar Verlag. Ayres, J. (1992). Bausteine kindlicher Entwicklung. Die Bedeutung der Integration der Sinne für die Entwicklung des Kindes. Heidelberg: Springer. Balhorn, H., Brinkmann, E., Brügelmann, H., Kretschmann, R. & Scheerer-Neumann, G. (2010a). Regenbogen-Lesekiste I. Stuttgart: Klett. Balhorn, H., Brinkmann, E., Brügelmann, H., Kretschmann, R. & Scheerer-Neumann, G. (2010b). Regenbogen-Lesekiste I (Lehrerkommentar). Stuttgart: Klett. Bartnitzky, H., Brügelmann, H., Hecker, U. & Schönknecht, G. (Hrsg.) (2006). Pädagogische Leistungskultur. Materialien für Klasse 3 / 4 (Deutsch, Mathematik, Sachunterricht) (Beiträge zur Reform der Grundschule). Bde. 119 & 121. Frankfurt: Grundschulverband. Bartnitzky, H., Hecker, U. & Lassek, M. (Hrsg.) (2012). Individuell fördern – Kompetenzen stärken in der Eingangsstufe (Kl. 1 und 2). Beiträge zur Reform der Grundschule Bd. 134. Frankfurt: Grundschulverband. Betz, D. & Breuninger, H. (1998). Teufelskreis Lernstörungen. Theoretische Grundlegung und Standardprogramm. München / Weinheim: Psychologie Union. Biglmaier, F. (1968). Lesestörungen. Diagnose und Behandlung. München: Reinhardt. Bode-Kirchhoff, N. & Brinkmann, E. (2008 ff.). ABC-Lernlandschaft. Stuttgart: Klett.

(aus Balhorn et al., 2010a). Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31

© 2018 Hogrefe


H. Brügelmann: Lesen als Sinnsuche

Leitner, S. (2011). So lernt man lernen: Der Weg zum Erfolg. Hamburg: Nikol Verlag. Moje, E. B. & Ellison, T. L. (2016). Extended – and extending – literacies. Journal of Education, 196, 27 – 34. National Reading Panel (2000). Teaching children to read: An evidence-based assessment of the scientific research literature on reading and its implications for reading instruction. Washington, D.C.: NICHD. Niemann, H. (1990). „Paired Reading“ – Lesen zu zweit. In Brügelmann & Balhorn (Hrsg.) Das Gehirn, sein Alfabet und andere Geschichten (S. 125 – 127). Konstanz: Ekkehard Faude. Scheerer-Neumann, G. (2015). Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie. Grundlagen, Diagnostik und Förderung. Stuttgart: Kohlhammer. Schmalohr, E. (1997). Das Erlebnis des Lesens. Grundlagen einer erzählenden Lesepsychologie. Stuttgart: Klett-Cotta. Schmalohr, E. & Fehrmann, H. (1972). Lese-Angebot. Hannover: Schroedel. Spitta, G. (2001). 12 Tipps zum Verbinden von freiem Schreiben und Rechtschreibenlernen. Die Grundschulzeitschrift, 2001 (144), 9 – 13.

Manuskript eingereicht: 04.08.2017 Manuskript nach Revision angenommen: 15.09.2017

Prof. (em.) Dr. Hans Brügelmann Admiralstraße 14 28215 Bremen Deutschland hans.bruegelmann@uni-siegen.de

Anzeige

(K)eine Frage der Vernunft Lutz Jäncke

Ist das Hirn vernünftig? Erkenntnisse eines Neuropsychologen

2., unveränd. Aufl. 2016. 328 S., 26 Abb., 1 Tab., Kt € 24,95 / CHF 32.50 ISBN 978-3-456-85653-7 Auch als eBook erhältlich

www.hogrefe.com

© 2018 Hogrefe

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 21 – 31

Fokus Anwendung

Bransford, J. D., Brown, A. L. & Cocking, R. (eds.) (2000). How people learn: brain, mind, experience, and school. Washington, D. C.: National Academy Press. Brinkmann, E. (2014). Zur Bedeutung der Silbe für das Lesen- und Schreibenlernen. Grundschule aktuell, 27, 40 – 41. Brinkmann, E. (Hrsg.) (2015). Rechtschreiben in der Diskussion – Schriftspracherwerb und Rechtschreibunterricht. Beiträge zur Reform der Grundschule, Bd. 140. Frankfurt: Grundschulverband. Brinkmann, E. (2016). Lesestufen. 4 bis 8, 2016, 10 – 11. Brinkmann, E. (2017). Schreiben mit der (An-)Laut-Tabelle – auch für mehrsprachige Kinder? Grundschule aktuell, 30, 9 – 13. Brinkmann, E. & Brügelmann, H. (2010). Ideen-Kiste Schriftsprache 1 (mit didaktischer Einführung „Offenheit mit Sicherheit“). Stuttgart: Klett. Brügelmann, H. (2009). Warnung vor didaktischen Allaussagen und pädagogischen Heilsversprechen! Gutachten zum Leselehrprogramm IntraActPlus. Die Grundschulzeitschrift, 2009 (225/226), 26 – 27. Brügelmann, H. (2012). Viermal „Fördern“: Aber wer hat Recht? Grundschule aktuell, 25, 37 – 41. Brügelmann, H. (2014). Kinder auf dem Weg zur Schrift – eine Fibel für Lehrer und Laien. Lengwil, Schweiz: Libelle. Brügelmann, H. & Balhorn, H. (Hrsg.) (1990). Das Gehirn, sein Alfabet und andere Geschichten. Konstanz: Ekkehard Faude. Brügelmann, H. & Brinkmann, E. (2016). Die Schrift erfinden – Beobachtungshilfen und methodische Ideen für einen offenen Anfangsunterricht im Lesen und Schreiben. Lengwil, Schweiz: Libelle. Donaldson, M. (1998). Wie Kinder denken. München: Piper. Fenske, P. (2002). Das kleine Buch vom Lernen Bio-logisch lernen mit der 5-Fächer-Lernkartei. Lichtenau: AOL-Verlag. Frostig, M. & Horne, D. (1977). Visuelle Wahrnehmungsförderung. Dt. Bearbeitung von A. Reinartz & E. Reinartz. Hannover: Schroedel. Grüttner, T. (1980). Legasthenie ist ein Notsignal. Reinbek: Rororo. Jansen, F. & Streit, U. (2006). Positiv lernen. Das IntraActPlus-Konzept. Heidelberg: Springer Medizin Verlag.

31


ZLT-II

Zürcher Lesetest II Weiterentwicklung des Zürcher Lesetests (ZLT) von Maria Linder und Hans Grissemann

Franz Petermann / Monika Daseking 3., überarbeitete Auflage mit erweiterten Normen Der ZLT-II dient der Überprüfung des schulischen Leistungsstandes im Lesen. Er entdeckt zuverlässig Schüler/-innen mit Schwierigkeiten in diesem Bereich und bietet ebenso Hinweise zur Bestimmung von Fördermaßnahmen. Bereits ab Ende der ersten Klasse können Aussagen über den Leistungsstand eines Kindes im Vergleich zu Kindern der gleichen Klassenstufe gemacht werden. Diese frühe Einschätzung von Leseleistungen ermöglicht das Einleiten von Interventionen, bevor gravierende Auswirkungen auf sämtliche schulischen Leistungen auftreten können. Der Einsatz in höheren Klassenstufen kann einerseits der Förderdiagnostik, andererseits als Verlaufskontrolle bei Lesetrainings dienen.

Test komplett bestehend aus: Manual, 10 Protokollbogen, 10 Bogen

Zuverlässigkeit Für die einzelnen Klassenstufen betragen die internen Konsistenzen für die Untertests α = .83 (8. Klasse) und α = .93 (Ende 2./Anfang 3. Klasse). Die Retest-Reliabilität fallen für die Lesegeschwindigkeiten mit Werten zwischen r = .93 und r = .99 sehr hoch aus. Für die Lesefehler liegen die Koeffizienten zwischen r = .41 und r = .93.

Analyse der Lesefehler, 10 Arbeitsblätter Silbentrennung schriftlich A, 10 Arbeitsblätter Silbentrennung schriftlich B, 6 Wortlesekarten, 6 Textlesekarten,

Normen Es werden Prozentränge bzw. Prozentrangbänder und T-Werte (N = 1367) ab Ende der 1. bis zur 8. Klasse angegeben.

Stimuluskarte Schnelles Benennen 1, Stimuluskarte Schnelles Benennen 2 und Box € 103,00 / CHF 128.00

www.hogrefe.com

Bearbeitungsdauer Die Durchführungsdauer beträgt je nach besuchter Klassenstufe zwischen 15 und 35 Minuten.


Übersichtsarbeit

Leseentwicklung im Grundschul­ alter. Kognitive Grundlagen und Risikofaktoren Telse Nagler1,2, Sven Lindberg2,4 und Marcus Hasselhorn1,2,3 Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), Frankfurt am Main Center for Individual Development and Adaptive Education of Children at Risk (IDeA), Frankfurt am Main 3 Institut für Psychologie, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 4 Institut für Humanwissenschaften, Fach Psychologie, Universität Paderborn, Paderborn 1 2

Zusammenfassung: In dieser narrativen Übersichtsarbeit werden die zentralen Faktoren des Leseerwerbs beschrieben und empirische Forschungsergebnisse aus aktuellen Meta-Analysen, Reviews und Längsschnittstudien zusammengetragen. Dabei wird zunächst die frühe Leseentwicklung mit Bezug zum Phasenmodell von Frith (1985, 1986) fokussiert und der Leseprozess anhand des Dual-Route Modells von Coltheart (1978) erläutert. Des Weiteren wird auf die problematische Leseentwicklung eingegangen und Risikofaktoren auf genetischer sowie neurokognitiver Ebene beschrieben. Weiterhin werden Ergebnisse zu Risikofaktoren bezüglich der kognitiven Verarbeitung, der Sprachentwicklung sowie prä- und postnatale Umwelteinflüsse p äsentiert. Abschließend werden kritische Anmerkungen und weiterführende Ausblicke diskutiert.

Reading development in children. ­Cognitive ­preconditions and risk factors Abstract: This narrative review addresses the complex operation of reading acquisition. Focusing on empirical research and meta-analytic insights, early reading development is depicted. Furthermore, the reading process is illustrated referring to the dual-route model and difficulties in reading acquisition are described and explained. Empirical data concerning reading relevant genetic and neurocognitive risk factors are presented. Risk factors regarding individual cognitive processing as well as developmental language disorders and pre- and postnatal complications are out­lined. Shortcomings and perspectives are discussed. Keywords: reading development, reading process, dyslexia, individual cognitive preconditions, risk factors

Einleitung

D

ie erfolgreiche Leseentwicklung vollzieht sich über den Erwerb verschiedener Fertigkeiten, die von basalen kognitiven Aktivitäten, wie beispielsweise das Entziffern von Wörtern (Compton et al., 2005 ), bis hin zu hoch komplexen Prozessen, wie dem Leseverständnis (Wolf & Katzir-Cohen, 2001), reichen. Zu Beginn der Leseentwicklung sind Kinder zunächst mit dem mühevollen Vorgang konfrontiert, Buchstaben richtig zu erkennen, Laute den entsprechenden Buchstaben zuzuordnen und die Wortbedeutung durch Entschlüsselung der Lautfolge zu meistern. Erst durch Übung und Automatisierung wird der Leseprozess weniger aufwändig und das genaue und schnelle Erfassen der Bedeutung von Text möglich. Lesen ist eine zentrale Kulturtechnik und ist unerlässlich für den selbstständigen Erwerb von Wissen. Eine problematische Leseentwicklung kann daher schwerwiegende © 2017 Hogrefe Veröffentlicht unter der Hogrefe OpenMind-Lizenz (http://doi.org/10.1026/a000002)

Folgen für den allgemeinen akademischen Bildungsverlauf haben. In dieser narrativen Überblicksarbeit werden wir die zugrundeliegenden Entwicklungsphasen, Leseprozesse sowie kognitive Voraussetzungen und Risikofaktoren, die mit der Leseentwicklung in Zusammenhang stehen, genauer beleuchten. Eine Zusammenstellung von aktuellen, repräsentativen Studien (Metaanalysen, Überblicksarbeiten und Längsschnittstudien), die sich mit relevanten lesebezogenen Faktoren auseinandergesetzt haben, sollen besonders für Anwenderinnen und Anwender in der Praxis einen Überblick über den unbeeinträchtigten und den problematischen Leseerwerb liefern.

Leseentwicklung Um verstehen zu können, wie es zu Schwierigkeiten beim Aufb u der Lesekompetenz kommen kann ist es wichtig den Ablauf des unbeeinträchtigten Leseerwerbs nachzuLernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44 https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000185

Fokus Forschung

Schlüsselwörter: Leseentwicklung, Leseprozess, Lesestörung, kognitive Grundlagen, Risikofaktoren


T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter

34

vollziehen. Dabei möchten wir uns hier auf das entwicklungspsychologische Modell von Frith (1985; 1986) beziehen, da es in der deutschen Schriftsprachforschung eine zentrale Rolle eingenommen hat (Scheerer-Neumann, 2006) und eine überschaubare Darstellung der Leseentwicklung ermöglicht. Wie in Abbildung 1 dargestellt, kann die Leseentwicklung nach Frith (1985; 1986) in drei Phasen unterteilt werden, in die logographische, alphabetische und orthographische Phase. In der logographischen Phase werden bekannte Wörter zunächst anhand markanter graphischer Eigenschaften identifizie t. Phonologische Eigenschaften des Wortes werden in dieser Phase noch nicht berücksichtigt. Häufig ist das hervorstechende Merkmal, aufgrund dessen ein Wort erkannt wird, der erste Buchstabe des Wortes. Dabei werden die weiteren Buch-

staben zunächst ignoriert, was dazu führt, dass ein Wort (z. B. Mama) richtig erkannt werden kann, ein anderes Wort mit dem gleichen Anfangsbuchstaben (z.  B. Milch) jedoch möglicherweise falsch gedeutet wird (z. B. ebenfalls als Mama). Als nächstes erfolgt in der alphabetischen Phase (Frith, 1985; 1986) die Übersetzung von Symbolen in Laute. Visuelle Symbole müssen als Buchstaben (Grapheme) erkannt und als Buchstabenrepräsentationen im orthographischen Lexikon des Langzeitgedächtnisses gespeichert werden. Diese Buchstabenrepräsentationen müssen zusätzlich den passenden Lauten (Phoneme) zugeordnet werden, deren Aussprache im phonologischen Lexikon gespeichert wird. So muss z. B. der Buchstabe 〈a〉 mit dem Laut /a/ in Verbindung gebracht und diese Zuordnung gespeichert wer-

Entwicklungspsychologisches Phasenmodell der Leseentwicklung (Frith, 1985) Logographische Phase • Bekannte Wörter werden anhand hervorstechender Merkmale erkannt und direkt ausgesprochen

Fokus Forschung

• Die Buchstabenreihenfolge wird ignoriert • Phonologische Eigenschaften werden nicht berücksichtigt

Alphabetische Phase • Systematische Entschlüsselung und Übersetzung von Graphemen und Phonemen • Die Graphem-Phonem-Korrespondenz wird erkannt • Unbekannte Wörter und Pseudowörter können entziffert werden

Orthographische Phase • Mentale Wortrepräsentationen ermöglichen einen direkt Abruf von Wörtern • Orthographische Einheiten werden verarbeitet ohne auf visuelle oder phonologische Informationen angewiesen zu sein Abbildung 1. Phasen der Leseentwicklung nach Frith, U. (1985). Beneath the surface of developmental dyslexia. In K. Patterson, J. Marshall & M. Coltheart (Hrsg.), Surface dyslexia (S. 301 – 330). London: Erlbaum. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

© 2017 Hogrefe


T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter

© 2017 Hogrefe

Leseflüssigkeit und das Leseverständnis stehen daher in einem engen Zusammengang (Huemer, Landerl, Aro & Lyytinen, 2008), da die schnelle und flüssige Verarbeitung von Informationen als Voraussetzung für das Leseverständnis gilt (Leinonen et al., 2001). So zeigen sich mittlere bis hohe positive Zusammenhänge zwischen dem Leseverständnis und der Leseflüssigkeit (Klauda & Guthrie, 2008).

Leseprozess Wie beschrieben können geübte Leserinnen und Leser mit fortschreitender Leseentwicklung Wörter direkt erkennen und sind nicht mehr darauf angewiesen jedes Graphem in das entsprechende Phonem zu übersetzen. Der direkte Abruf mentaler Wortrepräsentationen gelingt jedoch nur, wenn das Wort auch bekannt ist. Ist ein Wort nicht bekannt oder wurde es erst selten gelesen müssen andere Strategien angewendet werden. Zur Beschreibung der zugrundeliegenden Prozesse beim Lesen wurden in der Vergangenheit verschiedene Modelle entwickelt (z. B. Hoover & Gough, 1990; Seidenberg & McClelland, 1989). Wir möchten aufgrund seiner zentralen Bedeutung hier das Dual-Route-Modell von Coltheart (1978) näher erläutern. In diesem Modell werden zwei Routen unterschieden, die beim Lesen angewendet werden können: eine lexikalische und eine nicht-lexikalische Verarbeitungsroute. Beim Leseprozess werden dem Dual-Route-Modell zufolge zuerst die visuellen Eigenschaften der Grapheme in einer Texteinheit analysiert und die Buchstabenrepräsentationen in Clustern zusammengefasst. Wird ein Wort über die nichtlexikalische (phonologische) Route entziffert, bestehen die wahrgenommenen Cluster aus einzelnen Graphemen, die anhand der erlernten Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln gelesen und in Phoneme übersetzt werden. Ein Wort würde über die nicht-lexikalische Route also beispielsweise Buchstabe für Buchstabe gelesen werden. Wird ein Wort über die lexikalische (direkte) Route gelesen, werden durch die Buchstaben-Cluster Wortrepräsentationen aktiviert, die im orthographischen Lexikon gespeichert sind und direkt als Wort erkannt werden können. So kann über die lexikalische Route ein Wort als Ganzes verarbeitet und die Bedeutung direkt aus dem Lexikon abgerufen werden. Die unterschiedliche Aktivierung der lexikalischen bzw. nicht-lexikalischen Route hängt stark von der Lesekompetenz der Person und den Eigenschaften des Lesematerials ab. Leseanfänger benutzten demnach zunächst die nichtlexikalische Route, um Wörter entschlüsseln zu können. Mit zunehmender Automatisierung und steigender Lesekompetenz kann vermehrt auch die lexikalische Route genutzt und Wörter direkt aus dem mentalen Lexikon abgerufen werden (Ennemoser, Marx, Weber & Schneider, 2012). Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

Fokus Forschung

den. In dieser Phase werden einzelne Grapheme eines Wortes zunächst systematisch in die richtigen Phoneme umgewandelt und dann zusammengeführt (siehe Abbildung 1). Wenn die Zuordnung von Graphem und Phonem stabil gelingt, können auch unbekannte Wörter dekodiert werden (Ehri, 1992). Durch Festigung dieser sogenannten Graphem-Phonem-Korrespondenzen kommt es zu einer Automatisierung des Leseprozesses und es wird möglich immer größere Sequenzen von Buchstaben auf einmal zu verarbeiten. Dadurch werden erste Informationen zu orthographischen Strukturen der gelesenen Wörter als Wortrepräsentationen in das orthographische Lexikon eingetragen, spezifische Buchstabenkombinationen werden als Wortrepräsentation gespeichert wodurch eine direkte Worterkennung möglich ist (Shaywitz & Shaywitz, 2005 ). Die Lesegenauigkeit wird durch die erfolgreiche Zuordnung der Grapheme und Phoneme erhöht und die Verarbeitung der Informationen kann schneller ablaufen (Share, 1995). Im Laufe der Leseentwicklung werden immer weitere orthographische und phonologische Informationen im mentalen Lexikon gespeichert, wobei auch das orthographische Wissen (Rechtschreibung; grammatikalische Regeln) und der semantische Inhalt für spezifi che Repräsentationen verknüpft wird (Corcos & Willows, 1993). So können die Bahnen zu Einträgen über phonologische, orthographische und semantische Informationen im mentalen Lexikon gestärkt und der Zugang erleichtert werden. Wie in Abbildung 1 beschrieben, werden in dieser orthographischen Phase (Frith, 1985; 1986) bekannte Wörter durch den Abruf der Wortrepräsentationen direkt erkannt oder durch verschiedene orthographische Einheiten (z.  B. Fuß + ball ergibt Fußball) zusammengesetzt. Im Gegensatz zur logographischen Phase erfolgt der direkte Abruf in dieser Phase nicht mehr über visuelle Eigenschaften sondern über die mentalen Wortrepräsentationen. Der Unterschied zur alphabetischen Phase besteht darin, dass das Lesen nun in orthographische Einheiten zerlegt werden kann und nicht mehr auf phonologischen Informationen basiert (Frith, 1985). Sobald ein Grad an Genauigkeit und Schnelligkeit erlangt ist, bei dem das Entziffern von Schrift relativ mühelos gelingt, orthographische Einheiten direkt abgerufen werden können und die Aufmerksamkeit auf den semantischen Inhalt gelenkt werden kann, spricht man von Leseflü sigkeit (Wolf & Katzir-Cohen, 2001). Es wird davon ausgegangen, dass die basalen Prozesse des Dekodierens durch gut etablierte Bahnen zu den mentalen Wortrepräsentationen schneller und effizie er ablaufen und der semantische Inhalt direkt aus dem mentalen Lexikon abgerufen werden kann. Dadurch werden kognitive Ressourcen frei, die wiederum für komplexe Prozesse, wie dem Leseverständnis, zur Verfügung stehen (Perfetti, 1985). Die

35


36

In Bezug auf die Eigenschaften des Lesematerials zeigt sich, dass beispielsweise Wörter schneller als Pseudowörter gelesen werden. Dieses Phänomen wird durch das Dual-RouteModell dadurch erklärt, dass bekannte Wörter über die schnellere lexikalische Route eine direkte Aktivierung im Lexikon erzeugen können, während Pseudowörter über die langsamere nicht-lexikalische Route Graphem für Graphem entschlüsselt werden müssen (Coltheart, 2007). Auch häufi e Wörter werden schneller und genauer gelesen als seltene Wörter, da die Aktivierungsleichtigkeit ihrer mentalen Repräsentationen stärker ist (Gollan, Slattery, Van Assche, Duyck & Rayner, 2011). Seltene oder unregelmäßige Wörter müssen dagegen gegebenenfalls, wenn keine ausreichend starken Bahnen zu Wortrepräsentationen vorhanden sind, über die nicht-lexikalische Route verarbeitet werden.

Fokus Forschung

Lesen in verschiedenen Orthographien Bei der Leseentwicklung spielt zusätzlich die spezifi che Orthographie einer Sprache eine zentrale Rolle. Orthographien unterscheiden sich im Grad ihrer Transparenz, die sich durch Unterschiede in Bezug auf die Graphem-Phonem-Korrespondenzen und ihrer Konsistenz ausdrücken (Frost, Katz & Bentin, 198 7). In transparenten Sprachen (z. B. Deutsch, Italienisch) ist die Konsistenz der GraphemPhonem-Korrespondenzen hoch, d.  h. ein Buchstabe wird einem spezifi chen Laut direkt zugeordnet. In intransparenten Sprachen (z. B. Englisch, Französisch) ist die GraphemPhonem-Korrespondenz weniger konsistent, da es mehrere Laute gibt die potentiell dem gleichen Buchstaben zugeordnet werden können (Goswami, Porpodas & Wheelwright, 1997). So existieren z. B. die Wörter Ball, Park und Hand sowohl in der transparenten deutschen Sprache als auch in der intransparenten englischen Sprache und werden in beiden Sprachen gleich geschrieben. Während jedoch im Deutschen das Graphem /a/ in allen drei Wörtern gleich artikuliert wird, wird das Graphem /a/ im Englischen auf drei unterschiedliche Weise ausgesprochen (Ziegler & Goswami, 2005 ). Es ist gut belegt, dass es in intransparenten Sprachen schwieriger ist die Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln zu erlernen als in transparenten Sprachen. Besonders deutlich zeigt sich dieser Unterschied in der Lesegenauigkeit: Während die meisten Kinder in transparenten Sprachen schon am Ende der ersten Klasse in der Lage sind eine Vielzahl von Wörtern mit hoher Lesegenauigkeit zu entziffern, brauchen Kinder in intransparenten Sprachen deutlich länger, um ein vergleichbares Maß an Lesegenauigkeit zu erreichen (Frith, Wimmer & Landerl, 1998).

Schwierigkeiten beim Leseerwerb Den meisten Kindern gelingt es den Leseerwerb problemlos zu meistern, den Leseprozess zu optimieren und im Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter Verlauf der Grundschulzeit ihre Leseflüssigkeit und Lesekompetenz immer weiter zu steigern. Ungefähr 8 – 12  % der Kinder eines Jahrganges zeigen jedoch eine problematische Leseentwicklung, die zu langfristigen massiven Lesedefizi en und der Diagnose einer entsprechende Ent­ wicklungsstörung schulischer Fertigkeiten führen kann (Thomas, Schulte-Körne & Hasselhorn, 2015 ). Die Lesestörung gehört damit zu der häufi sten Entwicklungsstörung im Kindes- und Jugendalter (Fischbach et al., 2013). Individuen mit einer Lesestörung zeigen besonders starke Schwierigkeiten beim Aufb u der Graphem-Phonem-Korrespondenzen (Ziegler, Perry, Ma-Wyatt, Ladner & Schulte-Körne, 2003). Defizi e in der phonologischen Verar­ beitung werden daher als wahrscheinliche Ursache für Lesestörungen angenommen (Vellutino, Fletcher, Snowling & Scanlon, 2004). Schwierigkeiten mit der GraphemPhonem-Korrespondenz spiegeln sich wiederum in einer niedrigen Lesegenauigkeit wider, die sich durch hohe Fehlerzahlen und fehlerhafte Aussprache von Graphem-Sequenzen ausdrücken (Thaler, Ebner, Wimmer & Landerl, 2004). Wie bereits erwähnt sind diese Schwierigkeiten besonders in intransparenten und weniger stark in transparenten Sprachen ausgeprägt (de Jong & van der Leij, 2003). In transparenten Sprachen zeigen sich Leseprobleme besonders deutlich auf der Ebene der Lesegeschwindigkeit: Kinder mit Lesestörung zeichnen sich durch einen langsamen und mühsamen Leseprozess aus (Wimmer, Mayringer & Landerl, 1998). Dies ist darauf zurückzuführen, dass Kinder mit Lesestörung Schwierigkeiten haben größere orthographische Einheiten zu verarbeiten, wodurch sie beim Leseprozess auf zeitaufwendigere Lesestrategien (z. B. Buchstabe für Buchstabe lesen) angewiesen sind und ein direkter Abruf von Informationen aus dem mentalen Lexikon erschwert ist (Huemer et al. , 2008). Da die Lesegeschwindigkeit wiederum eng mit der Leseverständnisleistung zusammenhängt, führt die verlangsamte Lesegeschwindigkeit zu einem verringerten Leseverständnis und damit zu unterdurchschnittlichen Leseleistungen (Jenkins, Fuchs, van den Broek, Espin & Deno, 2003).

Methode und Ergebnisse Wie in den vergangen Abschnitten verdeutlicht bedarf es für eine erfolgreiche Leseentwicklung des Zusammenspiels vieler Prozesse, die mit steigender Leseerfahrung immer weiter optimiert werden. Die Effizien der benötigten Prozesse hängt wiederum von verschiedenen kognitiven Voraussetzungen ab, die den Erfolg bzw. Misserfolg und die Qualität des Leseerwerbs beeinflussen. Um einen Überblick über die in der Literatur für das Lesen © 2017 Hogrefe


T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter

Diskussion Als Ergebnis der Literaturrecherche konnten genetische Voraussetzungen, (neuro)kognitive Merkmale und Risikofaktoren mit Bezug auf die Sprachentwicklung sowie präund postnatale Umwelteinflüsse identifizie t werden, die in den ausgewählten Meta-Analysen, Übersichtsarbeiten und repräsentativen Längsschnittstudien als relevant für die Leseentwicklung berichtet werden. Im Folgenden wer© 2017 Hogrefe

den die einzelnen Faktoren detailliert besprochen und diskutiert.

Genetische und (neuro)kognitive Risikofaktoren Genetik Da sich der Leseprozess evolutionsgenetisch gesehen erst vor kurzer Zeit (wenige tausend Jahre) entwickelt hat, gibt es keine Gene, die direkt mit dem Lesen in Verbindung stehen (Steinbrink & Lachmann, 2014). Die individuelle kognitive Funktionstüchtigkeit, die für die Qualität der Leseleistung entscheidend ist, kann jedoch durchaus eine starke genetische Komponente aufweisen (Pennington & Olson, 2007). Ergebnisse aus verhaltensgenetischen Untersuchungen konnten zeigen, dass 50 – 60 % der Varianz der Wortleseleistung durch genetische Faktoren erklärt werden kann (Schulte-Körne, Warnke & Remschmidt, 2006). Entsprechend haben Kinder, die einen direkten Verwandten (Geschwister oder Eltern) mit Lesestörung haben, ein um drei- bis fünffach erhöhtes Risiko selbst auch eine Lesestörung zu entwickeln (Carroll, Mundy & Cunningham, 2014). Es gibt kein einzelnes Gen, das für die Entwicklung einer Lesestörung verantwortlich ist, sondern es gibt verschiedene Regionen auf verschiedenen Chromosomen, die Gene enthalten, die wiederum mit Lesestörungen assoziiert sind (Schulte-Körne et al. , 2006). Bislang konnten neun Kandidatengenregionen identifiziert werden (DYX1-DYX9), die mit Lesestörungen in Verbindung stehen (Carrion-Castillo, Franke & Fisher, 2013). Aktuell ist es jedoch noch nicht möglich, individuelle genetische Risikofaktoren oder das individuelle Risiko für die Entwicklung einer Lesestörung genetisch zu bestimmten (Becker et al., 2014). Neurokognitive Korrelate Wie in Steinbrink und Lachmann (2014) detailliert beschrieben (siehe Kapitel 2.4 und 4.2), konnte in der jüngeren Vergangenheit die uneingeschränkte und problematische Leseentwicklung durch bildgebende Verfahren, wie z. B. die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) oder die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), weitergehend erforscht werden (siehe z.  B. Sandak, Mencl, Frost & Pugh, 2004; Sarkari et al., 2002). Durch diese Erkenntnisse konnte ermittelt werden, dass zu Beginn der Leseentwicklung beim Lesen sowohl Regionen in der linken als auch in der rechten Hirnhälfte aktiv sind. Mit zunehmender Leseerfahrung nimmt die Aktivität in der rechten Hirnhälfte jedoch ab und wird immer mehr auf die linke Hirnhälfte verlagert (Booth et al., 2001; Turkeltaub, Gareau, Flowers, Zeffiro & Eden, 2003). Bei geübten (erwachsenen) Lesern sind beim Wortlesen vor allem drei, in der linken Hirnhälfte lokalisierte, Lesesysteme aktiv: Das Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

Fokus Forschung

als relevant beschriebene Voraussetzungen und Risikofaktoren liefern zu können, sollen in dieser narrativen Zusammenstellung aktuelle Studien herangezogen und Studienergebnisse berichtet werden. Dafür wurde eine umfassende Literaturrecherche durchgeführt, bei der nach neuen Meta-Analysen, Übersichtsarbeiten und repräsentativen Längsschnittstudien in einschlägigen Datenbanken (z.  B. PsycINFO, PsychARTICLES, Medline) gesucht wurde. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Literatur­recherche nicht den Anspruch und den Umfang eines Systematic Reviews (siehe Boyle, Connolly & MacKay, 2016) hatte. Das zugrundeliegende Ziel war ausschließlich die Beschreibung aktueller Erkenntnisse aus der Leseforschung, um Anwenderinnen und Anwendern in der Praxis eine narrative Zusammenfassung liefern zu können. Die für die Suche genutzten Schlagwörter wurden dabei gezielt an die in gängigen Lehrbüchern verwendeten übergeordnete Begriffe angelehnt (z.  B. Hasselhorn & Gold, 2013; Steinbrink & Lachmann, 2014). Von den überge­ ordneten Begriffen wurden weitere spezifi che Begriffe aus den gefundenen Artikeln abgeleitet. Übergeordnete Schlagwörter waren beispielsweise: Leseentwicklung, Leseprozess, kognitive Voraussetzungen, Risikofaktoren, MetaAnalyse, Review. Spezifi che Schlagwörter waren beispielsweise: Phonologische Bewusstheit, Genetik, neurokognitive Korrelate, Verarbeitungsgeschwindigkeit. Kriterien, die für die Berücksichtigung eines Artikels in dieser Übersichtsarbeit erfüllt sein mussten, waren folgende: 1) Artikelform: Meta-Analyse, Übersichtsarbeit / Review oder repräsentative Längsschnittstudie, 2) Aktualität: Veröffentlichung zwischen 2000 und 2016, 3) Qualität: Veröffentlichung in einem Journal mit Peer-Review Verfahren, 4) Informationsaufbereitung: Theoriegeleitete Arbeiten und Bereitstellung von Angaben zu objektiven Gütekriterien (z.  B. statistische Kennwerte, Effektstärken). Die Studienergebnisse der aus dem Literatur-Pool ausfindig gemachten Artikel zu genetischen, (neuro)kognitiven, entwicklungs- und umweltbezogenen Risikofaktoren für den erfolgreichen Leseerwerb wurden ausgewertet und als narrativer Überblick zusammengefasst.

37


Fokus Forschung

38

anteriore Lesesystem ist für Artikulationsprozesse und die Analyse phonologischer Elemente relevant. Das dorsale Lesesystem wird für die Verbindung von Phonologie, Orthographie und Semantik benötigt und ist für die PhonemGraphem-Korrespondenz zuständig. Das ventrale Lesesystem leistet die schnelle, automatische Worterkennung beim Lesen (Schlaggar & McCandliss, 2007). Zu Beginn der Leseentwicklung spielen zunächst die anterioren und dorsalen Lesesysteme eine größere Rolle, da Wörter zunächst über die Identifizierung von phonologischen und orthographischen Merkmalen entziffert werden. Mit zunehmender Leseerfahrung und Festigung lexikalischer Bahnen wird dann vornehmlich das ventrale Lesesystem genutzt, da Wörter direkt aus dem mentalen Lexikon ­abgerufen werden können (Sandak et al. , 2004). Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass die meisten neurokognitiven Untersuchungen zur Entwicklung der Lesesysteme aus dem englischsprachigen Raum kommen. Zwar wird angenommen, dass auch in transparenten Sprachen die gleichen Lesesysteme aktiv sind, jedoch scheint es Unterschiede bezüglich der Aktivierung zu geben. So konnte in einer Studie von Paulesu et al. (2000) mit italienischen und englischen Erwachsenen gezeigt werden, dass bei Leseaufgaben zwar die gleichen Lesesysteme genutzt wurden, die italienischen Probanden jedoch das dorsale Lesesystem stärker aktivierten als die englischen Probanden. Die Autoren erklärten den Befund durch die unterschiedliche Transparenz der Sprachen: Während Wörter in transparenten Sprachen gut durch GraphemPhonem-Korrespondenzen erlesen werden können (wobei vorrangig das dorsale Lesesystem aktiv ist), müssen in intransparenten Sprachen vermehrt Abrufstrategien ganzer Wörter aus dem Langzeitgedächtnis eingesetzt werden (wobei eher das ventrale Lesesystem aktiv ist). In Bezug auf eine problematische Leseentwicklung zeigen sich ebenfalls Unterschiede auf Ebene der Aktivierung der Lesesysteme. Richlan, Kronbichler und Wimmer (2009) beschreiben, dass Personen mit Lesestörungen im Vergleich zu normallesenden Personen Unteraktivierungen in den dorsalen und ventralen Lesesystemen zeigen. Probleme bei der Zuordnung von Buchstaben und Lauten führen offenbar zu einer Unteraktivierung im dorsalen Lesesystem, das mit der Graphem-Phonem-Korrespondenzleistung assoziiert ist. Schwierigkeiten mit der automatischen Verarbeitung geschriebener Wörter spiegeln sich wiederum durch eine Unteraktivierung des ventralen Lesesystems wider, was als Zeichen für Störungen der visuellen Worterkennung aufgefasst wird. Neben der beschriebenen Unteraktivierung kommt es bei Personen mit Lesestörung zusätzlich zu Überaktivierungen vorderer und hinterer Regionen der rechten Hirnhälfte (Shaywitz & Shaywitz, 2005 ) und des anterioren Lesesystems (Richlan et al. , 2009). Diese Überaktivierungen werden als komLernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter

pensatorischer Versuch für den Ausgleich der Defizi e im dorsalen und ventralen Lesesystem interpretiert. Phonologische Bewusstheit Um phonologische Informationen verarbeiten zu können, bedarf es zunächst der Fähigkeit Phoneme voneinander unterscheiden und richtig identifizie en zu können. Dabei muss auch eine klare Unterscheidung zwischen ähnlich klingenden Phonemen (z. B. /b/ und /p/) gelingen damit die Bedeutung von Wörtern voneinander abgegrenzt werden kann (z. B. /Bein/ vs. /Pein/). Die Wahrnehmung der einzelnen Phoneme ist besonders beim Einstieg in die Schriftsprache, wenn die Phonem-Graphem-Korrespondenzen erlernt werden, relevant und bildet die Basis für die sogenannte phonologische Bewusstheit. Unter den Begriff der phonologischen Bewusstheit werden verschiedene Fertigkeiten subsummiert, wie das Zerlegen (Analyse) und Zusammensetzen (Synthese) lautlicher Einheiten (Schulte-Körne, 2011). Es wird weiterhin zwischen der phonologischen Bewusstheit im engeren und weiteren Sinne unterschieden. Die Erkennung der kleinsten lautlichen Einheiten, d. h. der Phoneme, wird unter der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne verstanden (Steinbrink, 2006). Unter der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinne wird die Identifizierung von größeren lautlichen Einheiten gefasst, wie Silben oder Reime. Die einzelnen Komponenten der phonologischen Bewusstheit wiederum beziehen sich also auf verschiedene Kompetenzen, wie z.  B. Phoneme hören, erkennen und manipulieren zu können (Phonembewusstheit), Reime zu erkennen (Reimverständnis) oder phonologische Informationen für die Verarbeitung bereit zu halten (phonologisches Arbeitsgedächtnis). Die phonologische Bewusstheit wurde sprachübergreifend als der zentrale Prädiktor für die spätere Leseleistung ermittelt (Vellutino et al. , 2004). Es gibt zwar Hinweise, dass die phonologische Bewusstheit ein besserer Prädiktor der Lesefähigkeit für intransparente Sprachen ist (Georgiou, Parrila & Papadopoulos, 2008), in einer sprachvergleichenden Studie konnten Ziegler et al. (2010) jedoch zeigen, dass die phonologische Bewusstheit in fünf Sprachen mit unterschiedlicher Orthographie die erklärungskräftigste individuelle Voraussetzung der Leseleistung darstellt. Die Effekte waren für die transparenten Sprachen niedriger als für die intransparenten Sprachen, die phonologische Bewusstheit zeigte jedoch in allen Sprachen bessere Prädiktionswerte als andere untersuchte kognitive individuelle Voraussetzungen (z.  B. Benenngeschwindigkeit). In einer Meta-Analyse von Melby-Lervåg, Lyster und Hulme (2012) wurden die Effektgrößen verschiedener Aspekte der phonologischen Bewusstheit (Phonembewusstheit, Reimverständnis, phonologisches Arbeitsgedächtnis) © 2017 Hogrefe


auf die Leseleistung verglichen. Mit Hilfe der drei untersuchten Aspekte konnte gemeinsam 43. 2 % der Gesamt­ varianz der Leseleistung erklärt werden. Die Phonem­ bewusstheit erwies sich mit einer Varianzaufk ärung von 16. 1 % (nachdem die Effekte von Reimverständnis und phonologischem Arbeitsgedächtnis statistisch rausgerechnet waren) als stärkster Einzelprädiktor. Weiterhin deuten empirische Befunde darauf hin, dass Kinder mit Lesestörungen ein substanzielles Defizit in der Phonembewusstheit sowohl im Vergleich zu normallesenden gleichaltrigen Kindern (d = –1.3 7), als auch im Vergleich zu jüngeren Kindern, die das gleiche Leseniveau erreicht hatten wie die Kinder mit Lesestörung (d = –0. 57) zeigen. Die Leistungen des Reimverständnisses (im Vergleich zu den Gleichaltrigen: d = –0.93; im Vergleich mit den Jüngeren: d = –0.3 7) und des phonologischen Arbeitsgedächtnisses (d = –0.71 und d = –0.09) fi len bei den Kindern mit Lesestörung ebenfalls schlechter aus, jedoch in geringerem Maße als die der Phonembewusstheit. Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse dahingehen, dass die Maße der phonologischen Bewusstheit den größten Prädiktionswert für die Leseleistung haben. Die Phonembewusstheit erwies sich dabei als stärkster Einzelprädiktor individueller Unterschiede der Leseleistung und eignet sich dadurch noch besser als das Reimverständnis oder das phonologische Arbeitsgedächtnis für die Vorhersage von Unterschieden in der Leseentwicklung (Melby-Lervåg, 2012). In Bezug auf das phonologische Arbeitsgedächtnis scheinen Kinder mit Lesestörung jedoch ebenfalls deutliche Schwierigkeiten aufzuweisen. Swanson, Zheng und Jerman (2009) konnten in ihrer Meta-Analyse bei Kindern mit Leseproblemen besonders große Defizi e bei Auf­gaben zum phonologischen Arbeitsgedächtnis (z.  B. phonologische Aufgaben: d = –0.39; Reime: d = –0.61; Abruf von Buchstaben: d = –1. 10) und zum visuell-räum­ lichen Arbeitsgedächtnis (z.  B. visuell-räumlich Strategien: d = –0. 48; visuelle Matrixaufgabe: d = –0. 80) nachweisen. In Moderatoranalysen zeigte sich, dass die ermittelten Defizi e mit Problemen beim Zugang zu gespeicherten sprachlichen Informationen und / oder mit Schwierigkeiten der Aufmerksamkeitslenkung bei der Verarbeitung sprachlichen Materials in Zusammenhang standen. Carretti, Borella, Cornoldi und De Beni (2009) ziehen auf der Basis metaanalytischer Befunde das Fazit, dass phonologische Arbeitsgedächtnisleistungen bei der Verarbeitung verbaler Informationen gut zwischen Kindern mit guten vs. schlechten Leseverständnisleistungen differenzieren können. Verarbeitungsgeschwindigkeit In Studien, bei denen der lexikalische Abruf untersucht wird, wird meist die sogenannte Benenngeschwindigkeit (Englisch: Rapid Automatized Naming; Denckla & Rudel, © 2017 Hogrefe

39

1976) gemessen. Die Benenngeschwindigkeit bezieht sich auf die Zeit die eine Person braucht, um bekannte visuelle Reize (z.  B. Buchstaben, Zahlen, Objekte, Farben) zu benennen (Wolf, Bowers & Biddle, 2000). Es wird davon ausgegangen, dass die Benenngeschwindigkeit mit dem Grad der Automatisierung des lexikalischen Abrufs in Verbindung steht (Wolf, 1991). Die Benenngeschwindigkeit scheint vom Anfang der Leseentwicklung an ein guter Indikator für die basalen kognitiven Prozesse zu sein, die für den Erfolg des Lese­ erwerbs relevant sind (Landerl & Wimmer, 2008). Auch wenn sich die phonologische Bewusstheit noch besser für Voraussagungen eignen, gilt die Benenngeschwindigkeit als weiterer Prädiktor für die spätere Leseleistung (Hudson, Torgesen, Lane & Turner, 2012). So konnte in vielen Studien gezeigt werden, dass die Benenngeschwindigkeit in einem engen Zusammenhang mit der Leseleistung steht (siehe z. B. Kirby, Parrila & Pfeiffer, 2003). Die Effekte variieren jedoch in Bezug auf die Reize, die benannt werden sollen. So konnte beispielsweise aufgezeigt werden, dass die Benennung von Buchstaben oder Zahlen in einem engeren Zusammenhang mit der Leseleistung steht als das Benennen von Objekten oder Farben (Lervåg & Hulme, 2009). Dieser Befund spiegelt sich auch in der Meta-Analyse von Araújo, Reis, Petersson und Faísca (2015 ) wider, in der die Effektgrößen für die Benennung von alphanumerischen Stimuli (Buchstaben: r = . 5 1; Zahlen: r = . 48) bedeutsam höher ausfi len als für Objekte (r = . 3 5) oder Farben (r = . 33 ). Die Autoren vermuten, dass die Benennung von alphanumerischen Stimuli besonders gut die zugrundeliegenden Prozesse abbilden, die für den Leseprozess von Bedeutung sind. Die Größenordnung der empirischen Zusammenhänge variiert recht stark von Studie zu Studie. Bisweilen werden vergleichsweise hohe Korrelationen zwischen der Benenngeschwindigkeit und der Leseleistung berichtet (z.  B. Babayiǧit & Stainthorp, 2010), während andere Studien nur niedrige Zusammenhänge fin en (z.  B. Cunningham, 2006). Es verwundert daher nicht, dass die Meta-Analyse von Araújo et al. (2015 ) über alle Studien hinweg einen moderaten signifi anten Einfluss (r = .43) der Benenngeschwindigkeit auf die Leseleistung identifizie t. Weiterhin wird in der Meta-Analyse berichtet, dass Zusammenhänge zwischen der Benenngeschwindigkeit und einer Vielzahl von Teilkomponenten des Lesens bestehen. So zeigten sich mittlere Effekte der Benenngeschwindigkeit sowohl auf das Wortlesen (r = .45), Textlesen (r = .45), Pseudowort­ lesen (r = .40) als auch das Leseverständnis (r = .39). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Benenngeschwindigkeit generell mit der Leseleistung in Zusammenhang steht, unabhängig davon ob die Maße eher von phonologischen oder orthographischen Verarbeitungsprozessen bestimmt werden. Ennemoser et al. (2012) konnten in zwei Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

Fokus Forschung

T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter


40

Längsschnittstudien zeigen, dass im deutschen Sprachraum die Benenngeschwindigkeit besonders gut die spätere Lesegeschwindigkeit und das Satzverständnis vorhersagen kann. Weiterhin kommen Kirby et al. (2010) zu dem Schluss, dass die Benenngeschwindigkeit eine wertvolle Informationsquelle für die Vorhersage der späteren Leseleistung und Identifi ation von Kindern mit Risiko für eine Entwicklung von Lesestörungen ist, die bereits vor Schul­ eintritt gemessen werden kann.

Entwicklungs- und umweltbezogene Risikofaktoren

Fokus Forschung

Neben zugrundeliegenden (neuro)kognitiven Voraussetzungen, gibt es noch weitere entwicklungs- und umweltbezogene Risikofaktoren, die einen Einfluss auf die Leseentwicklung haben. So gelten beispielsweise ein verzögerter Sprachbeginn, aber auch prä- und postnatale Komplikationen als Faktoren, die den Leseerwerb langfristig beeinflussen können. Sprachentwicklungsauffälligkeiten Sprachentwicklungsauffälligkeiten sind durch Schwierigkeiten beim Spracherwerb mit verzögertem Sprachbeginn und schwer verständlicher, dysgrammatischer Sprache (Schwierigkeiten die Sprache entsprechend der Grammatik zu produzieren; Oláh, 1998) gekennzeichnet (Petermann & von Suchodoletz, 2009). Die Prävalenz solcher spezifi chen Sprachentwicklungsstörungen liegt bei ca. 5 – 8  % (Law, Boyle, Harris, Harkness & Nye, 2000). Eine am Wortschatz festgemachte Sprachentwicklungsverzögerung am Ende des zweiten Lebensjahres gilt als Risiko für die Ausbildung einer Sprachentwicklungsstörung: Bei 60 % dieser Kinder ist mit Entwicklungsauffälligkeiten zu rechnen (von Suchodoletz, 2011). Aus längsschnittlichen Untersuchungen wird deutlich, dass diese Auffälligkeiten oft zu anhaltenden Beeinträchtigungen führen, verbunden mit Defizi en in der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung des Kindes (von Suchodoletz, 2011). So zeigen z.  B. viele Kinder, bei denen im Kindergarten eine Sprachentwicklungsstörung festgestellt wurde, im Schulalter schlechtere Leseleistungen als unauffällige Kinder (Tischler, Daseking & Petermann, 2015 ). Zusätzlich sind diese Kinder vermehrt von Schulversagen, frühzeitigem Schulabbruch und eingeschränkten Ausbildungs- und Berufschancen betroffen (von Suchodoletz, 2004). Um die Entwicklungschancen betroffener Kinder zu fördern sollten Sprachentwicklungsstörungen möglichst frühzeitig erkannt und behandelt werden. Es ist jedoch zu beachten, dass aufgrund der hohen Variabilität beim frühen Spracherwerb eine Früherkennung erst ab einem Alter von 1 ½ Jahren sinnvoll ist (von Suchodoletz, 2011). Früherkennungsprogramme, durch die der SprachLernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter entwicklungsstand eines Kindes recht genau beurteilt werden kann (z. B. Grimm & Doil, 2007; von Suchodoletz & Sachse, 2008) und Frühinterventionsprogramme zur Sprachförderung (z.  B. Buschmann & Jooss, 2007; Centini, 2004) werden ab Ende des zweiten Lebensjahres eingesetzt. Frühgeburt und Geburtsgewicht Frühgeborene Kinder und ein niedriges Geburtsgewicht gelten als Risikofaktor für Auffälligkeiten bei der Hirnreifung (Guarini et al., 2010). Frühgeborene Kinder kommen häufi er mit Hirnschäden zur Welt, die in Folge auch zu einer problematischen Entwicklung des Schriftspracherwerbs führen können. In einer Meta-Analyse von de ­Kieviet, Zoetebier, van Elburg, Vermeulen und Oosterlaan (2012) konnte gezeigt werden, dass frühgeborene Kinder im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ein signifi ant kleineres Gesamthirnvolumen aufzeigen (d = –0. 58). Kleineres Volumen zeigt sich ebenfalls bei der weißen und grauen Substanz (d = –0.53; d = –0.62), sowie beim Cerebellum (d = –0.74) und Hippocampus (d = –0.47). Die Daten zeigen eine Persistenz der verringerten Größe der Hirnareale bis ins Kinder- und Jugendalter. Zusätzlich zeigen frühgeborene Kinder häufig Beeinträchtigungen in leserelevanten Fertigkeiten (z. B. phonologische Bewusstheit, grammatikalisches Verständnis, Benenngeschwindigkeit, Leseflüssigkeit; Wocadlo & Rieger, 2007; Zhang, Mahoney & Pinto-Martin, 2013). Tischler et al. (2015 ) berichten dass für Kinder, die vor der 3 7. Schwangerschaftswoche und mit einem Geburtsgewicht von unter 2 500 Gramm geboren wurden, ein dreifach erhöhtes Risiko besteht Schwierigkeiten im Lesen zu entwickeln. Die Defizi e beziehen sich dabei besonders auf die Lesegeschwindigkeit. Eine MetaAnalyse von Kovachy, Adams, Tamaresis und Feldman (2015 ) verdeutlicht, dass sich frühgeborene Kinder signifikant von den nicht verfrüht geborenen Gleichaltrigen unterscheiden. Die Autoren berichten sowohl bedeutsam schlechtere Leseverständnisleistung (d = –0. 5 7) als auch schlechtere Dekodierleistungen (d = –0.42) der frühgeborenen Kinder. Diese Befunde haben auch nach der Kontrolle von Intelligenz, körperlicher Behinderung und des sozioökonomischen Status Bestand. Zusätzlich zeigen die Daten, dass es den betroffenen Kindern kaum gelingt, die Defizi e im Laufe der Entwicklung auszugleichen. Alkohol-/Tabak-Konsum während der Schwangerschaft Eine pränatale Alkoholexposition beeinträchtigt ebenfalls die Gehirnentwicklung in einer Weise, die auch das Risiko für unzureichenden Erwerb von Lesekompetenzen erhöht. Betroffen ist besonders das Cerebellum, das eine wichtige Rolle bei komplexen kognitiven Funktionen und Lernprozessen einnimmt (Steinlin, 2008). Als © 2017 Hogrefe


T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter Folge von pränatalem Alkoholkonsum der Mutter können ein verringertes Volumen oder Verletzungen des Cerebellum auftreten (Autti-Rämö et al. , 2002; O'Hare et al., 2005 ). Diese Anomalien stehen in Zusammenhang mit erhöhten Lesefehlern (Moretti, Bava, Torre, Antonello & Cazzato, 2002) und generell schlechteren Leseleistungen (Coffin, Baroody, Schneider & O'Neill, 2005 ). Alkoholexposition im ersten und zweiten Drittel der Schwangerschaft wird weiterhin mit schlechteren Leseleistungen (Texterkennung, Leseverständnis) und generell schlechteren Schulleistungen in Zusammenhang gebracht (Goldschmidt, Richardson, Cornelius & Day, 2004). Das Risiko nachhaltiger Beeinträchtigungen des Leseerwerbs ist für Kinder, die pränataler Alkoholexposition ausgesetzt waren, um das zweifache erhöht (Tischler et al., 2015 ). Tabakkonsum während der Schwangerschaft hat ebenfalls einen negativen Einfluss auf die Sprachverarbeitung der Kinder. In einer Studie von Cho, Frijters, Zhang, Miller und Gruen (2014) zeigten Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft stark geraucht haben, im Alter von 7 bis 9 Jahren signifi ant schlechtere Ergebnisse in den

41

Bereichen Lesegeschwindigkeit, Lesegenauigkeit und Leseverständnis als eine Gruppe von Kindern, die keinem Nikotin ausgesetzt war.

Kritische Anmerkungen Obwohl in dieser Arbeit versucht wurde einen breiten Überblick über genetische, (neuro)kognitive, entwicklungs- und umweltbezogene Risikofaktoren zu geben, ist uns bewusst, dass die Zusammenstellung nicht erschöpfend sein kann und ausschließlich eine Auswahl relevanter Faktoren darstellt. Eine Vielzahl von weiteren Einflussfaktoren und Erklärungsansätze konnte in diesem Überblick nicht berücksichtig werden. So können beispielsweise auch andere Modelle für die Entstehung von Lesestörungen herangezogen (z.  B. simple view of reading, triangle model) oder weitere kognitive Prozessvariablen betrachtet werden (z. B. Paarassoziationslernen). Weiterhin kann davon ausgegangen werden, dass die Lesekompetenz maßgeblich von individuellen Unterschieden auf visueller und auditiver Verarbeitungsebene beeinfluss wird (z.  B. magnozellulare oder auditive Wahrnehmungsdefizi e). Eben-

Der Leseerwerb ist ein hoch komplexer Prozess, der durch eine Vielzahl an Risikofaktoren erschwert werden kann. Genetische Anlagen bestimmen genauso wie neurokognitive Korrelate die Möglichkeiten für einen erfolgreichen oder problematischen Leseerwerb. Kognitive Fähigkeiten, wie beispielsweise die phonologische Bewusstheit und die Benenngeschwindigkeit beeinflussen weiterhin inwieweit die Verarbeitung von schriftsprachlichem Material gelingt. Für die Praxis sind Informationen über den Einfluss diese grundle-

genden genetischen und (neuro)kognitiven Einflus ­ faktoren sowie über entwicklungs- und umweltbezogene Risikofaktoren (z. B. Sprachentwicklungsstörungen, Frühgeburt, Alkohol- oder Tabak-Exposition) eine wichtige Quelle um frühzeitig auf individuelle Bedürfnisse eingehen und Fördermaßnahmen anbieten zu können. Die Identifi ation von besonders relevanten, den Leseerwerb beeinflussenden Faktoren kann daher helfen Förderung gezielt einzusetzen und schulischen Misserfolg zu vermeiden.

Forschungsmethoden Die vorliegende narrative Übersichtsarbeit verfolgt den Anspruch leserelevante Faktoren zu beschreiben und Hinweise auf Risikofaktoren zu geben. Dafür wurden in einschlägigen Datenbanken nach neuen Meta-Analysen, Übersichtsarbeiten / Reviews und repräsentativen Längsschnittstudien gesucht. Vor dem Hintergrund einen ­fundierten Überblick geben zu wollen eignen sich Meta-Analysen und Reviews besonders, da bei dieser Publika­tionsform bereits nach zuvor klar definie ten Kriterien möglichst alle verfügbaren empirischen Arbeiten zu einem bestimmten Thema analysiert wurden. Dies ermöglicht es, einen umfassenden Überblick über ein Thema zu erlangen. Im Gegensatz zu systemati-

© 2017 Hogrefe

schen Überblicksarbeiten (systematic reviews) erhebt eine narrative Übersichtsarbeit jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Replizierbarkeit. Dennoch ist auch bei einer narrativen Zusammenfassung das Einbeziehen von berichteten Effektgrößen sinnvoll, um eine quantitative Einschätzung des Einflusses auf das interessierende Verhaltensmerkmal zu ermöglichen. Bei der Interpretation von Effektgrößen werden bei Cohen's d und Hedges g Werte von .20 als klein, Werte von .50 als mittel und Werte von .80 als groß gewertet. Bei Pearson's r wird bei einem Wert von .10 von einem kleinen, bei .30 von einem mittleren und bei .50 von einem großen Effekt gesprochen.

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

Fokus Forschung

Implikationen für die Praxis


42

falls gilt es in einer umfassenden Betrachtung des Leseerwerbs zusätzlich soziale Faktoren (z. B. sozioökonomischer Status, Migrationshintergrund), weitere Umwelteinflüsse (z.  B. Lernumgebung, Lärmeinfluss) und Komorbiditäten (z.  B. psychische Belastungen, Aufmerksamkeitsschwierigkeiten) mit einzubeziehen.

Fokus Forschung

Schlussfolgerung Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Leseerwerb von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden kann und Risikofaktoren sowohl auf genetischer, (neuro) kognitiver als auch entwicklungs- und umweltbezogenen Ebene zu fin en sind. Neben einer erblichen Vorbelastung für Kinder mit direkten Verwandten mit einer Lesestörung gilt vor allem die phonologische Bewusstheit als besonders einflussreich in Bezug auf den Aufb u der erfolgreichen – oder nicht erfolgreichen – Lesekompetenz. Die Benenngeschwindigkeit, die mit dem Grad der Automatisierung des lexikalischen Abrufs in Verbindung steht, zeigt sich als ein weiterer relevanter Prädiktor der Leseleistung. Weiterführende Auffälligkeiten in der Gehirnentwicklung, die auch durch Alkohol- und Nikotinkonsum während der Schwangerschaft entstehen können, sowie eine verzögerte Sprachentwicklung, Frühgeburt und niedriges Geburtsgewicht können sich negativ auf die Leseleistung auswirken. Weitere Einfluss- und Risikofaktoren, über die in dieser Zusammenfassung nicht berichtet werden konnte, sollten für einen erschöpfenden Überblick der relevanten lesebezogenen Faktoren unbedingt berücksichtigt werden.

Danksagung Der Beitrag ist mit finanzi ller Unterstützung durch die Fraport AG entstanden.

Literatur Araújo, S., Reis, A., Petersson, K. M. & Faísca, L. (2015). Rapid automatized naming and reading performance: A meta-analysis. Journal of Educational Psychology, 107, 868 – 883. Autti-Rämö, I., Autti, T., Korkman, M., Kettunen, S., Salonen, O. & Valanne, L. (2002). MRI findings in children with school problems who had been exposed prenatally to alcohol. Developmental Medicine and Child Neurology, 44, 98 – 106. Babayiǧit, S. & Stainthorp, R. (2010). Component processes of early reading, spelling, and narrative writing skills in Turkish: A longitudinal study. Reading and Writing, 23, 539 – 568. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter

Becker, J., Czamara, D., Scerri, T. S., Ramus, F., Csépe, V., Talcott, J. B. et al. (2014). Genetic analysis of dyslexia candidate genes in the European cross-linguistic NeuroDys cohort. European Journal of Human Genetics, 22, 675 – 80. Booth, J. R., Burman, D. D.,Van Santen, F.W, Harasaki,Y., Gitelman, D.R., Parrish, T. B., et al. (2001). The development of specialized brain systems in reading and oral language. Child Neuropsychology, 7, 119 – 141. Boyle, J., Connolly, M. & MacKay, T. (2016). Systematic review and meta-analysis. Educational & Child Psychology, 33, 76 – 91. Buschmann, A. & Jooss, B. (2007). Frühintervention bei verzögerter Sprachentwicklung: «Heidelberger Elterntraining zur frühen Sprachförderung». Forum Logopädie, 21, 6 – 11. Carretti, B., Borella, E., Cornoldi, C. & De Beni, R. (2009). Role of working memory in explaining the performance of individuals with specific reading comprehension difficulties A meta-analysis. Learning and Individual Differences, 19, 246 – 251. Carrion-Castillo, A., Franke, B. & Fisher, S. E. (2013). Molecular genetics of dyslexia: An overview. Dyslexia, 19, 214 – 240. Carroll, J. M., Mundy, I. R. & Cunningham, A. J. (2014). The roles of family history of dyslexia, language, speech production and phonological processing in predicting literacy progress. Devel­ opmental Science, 17, 727 – 742. Centini, U. (2004). Elterntraining – eine Möglichkeit der frühen Intervention. Forum Logopädie, 5, 18 – 23 Cho, K., Frijters, J. C., Zhang, H., Miller, L. L. & Gruen, J. R. (2014). Prenatal exposure to nicotine and impaired reading performance. Journal of Pediatrics, 162, 713 – 718. Coffin J. M., Baroody, S., Schneider, K. & O'Neill, J. (2005). Impaired cerebellar learning in children with prenatal alcohol exposure: A comparative study of eyeblink conditioning in children with ADHD and dyslexia. Cortex, 41, 389 – 398. Coltheart, M. (1978). Lexical accesss in simple reading tasks. In G. Underwood (Ed.), Strategies of information processing (pp. 151 – 216). London, UK: Academic Press. Coltheart, M. (2007). Modeling reading: The Dual-Route approach. In M. J. Snowling & C. Hulme (Eds.), The science of reading (pp. 6 – 23). Oxford, UK: Blackwell. Compton, D. L., Olinghouse, N. G., Elleman, A., Vining, J., Appleton, A. C., Vail, J. et al. (2005). Putting transfer back on trial: Modeling individual differences in the transfer of decoding-skill gains to other aspects of reading acquisition. Journal of Educational Psychology, 97, 55– 69. Corcos, E. & Willows, D. M. (1993). The processing of orthographic information. In D. N. Willows, R. S. Kruk & E. Corcos (Eds.), Visual processing in reading and reading disabilities (pp. 163 – 190). Hillsdale, NJ: Lawrence Earlbaum. Cunningham, A. E. (2006). Accounting for children’s orthographic learning while reading text: Do children self-teach? Journal of Experimental Child Psychology, 95, 56 – 77. de Jong, P. F. & van der Leij, A. (2003). Developmental changes in the manifestation of a phonological deficit in dyslexic children learn­ing to read a regular orthography. Journal of Educational Psychology, 95, 22 – 40. de Kieviet, J. F., Zoetebier, L., van Elburg, R. M., Vermeulen, R. J. & Oosterlaan, J. (2012). Brain development of very preterm and very low-birthweight children in childhood and adolescence: A meta-analysis. Developmental Medicine & Child Neurology, 54, 313 – 323. Denckla, M. B. & Rudel, R. G. (1976). Rapid “Automatized” Naming (R.A.N.): Dyslexia differentiated from other learning disabilities. Neuropsychologia, 14, 471 – 479. Ehri, L. C. (1992). Reconceptualizing the development of sight word reading and its relationship to recoding. In P. B. Gough, L. E. Ehri & R. Treiman (Eds.), Reading acquisition (pp. 105 – 143). Hills­ dale, NJ: Erlbaum. © 2017 Hogrefe


Ennemoser, M., Marx, P., Weber, J. & Schneider, W. (2012). Spezi sche Vorläuferfertigkeiten der Lesegeschwindigkeit, des Leseverständnisses und des Rechtschreibens. Evidenz aus zwei Längsschnittstudien vom Kindergarten bis zur 4. Klasse. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 44, 53 – 67. Fischbach, A., Schuchardt, K., Brandenburg, J., Klesczewski, J., Balke-Melcher, C., Schmidt, C. et al. (2013). Prävalenz von Lernschwächen und Lernstörungen: Zur Bedeutung der Diagnose­ kriterien. Lernen und Lernstörungen, 2, 65 – 76. Frith, U. (1985). Beneath the surface of developmental dyslexia. In K. Patterson, J. Marshall & M. Coltheart (Hrsg.), Surface dyslexia (S. 301 – 330). London: Erlbaum Frith, U. (1986). A developmental framework for developmental dyslexia. Annals of Dyslexia, 36, 69 – 81. Frith, U., Wimmer, H. & Landerl, K. (1998). Differences in phonological recoding in German- and English-speaking children. Scientific Studies of Reading, 2, 31 – 54. Frost, R., Katz, L. & Bentin, S. (1987). Strategies for visual word recognition and orthographical depth: A multilingual comparison. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 13, 104 – 115. Georgiou, G. K., Parrila, R. & Papadopoulos, T. C. (2008). Predictors of word decoding and reading fluen y across languages varying in orthographic consistency. Journal of Educational Psychology, 100, 566 – 580. Goldschmidt, L., Richardson, G. a., Cornelius, M. D. & Day, N. L. (2004). Prenatal marijuana and alcohol exposure and academic achievement at age 10. Neurotoxicology and Teratology, 26, 521 – 532. Gollan, T. H., Slattery, T. J., Van Assche, E., Duyck, W. & Rayner, K. (2011). Frequency drives lexical access in reading but not in speaking: The frequency-lag hypothesis. Journal of Experimental Psychology: General, 140, 186 –209. Goswami, U., Porpodas, C. & Wheelwright, S. (1997). Children' s orthographic representations in English and Greek. European Journal of Psychology and Education, 12, 273 – 292. Grimm, H. & Doil, H. (2006). ELFRA: Elternfragebögen für die Früherkennung von Risikokindern. Göttingen: Hogrefe. Guarini, A., Sansavini, A., Fabbri, C., Savini, S., Alessandroni, R., Faldella, G., et al. (2010). Long-term effects of preterm birth on language and literacy at eight years. Journal of Child Language, 37, 865 – 885. Hasselhorn, M. & Gold, A. (2013). Pädagogische Psychologie. Erfolgreiches Lernen und Lehren. Stuttgart: Kohlhammer. Hudson, R. F., Torgesen, J. K., Lane, H. B. & Turner, S. J. (2012). Relations among reading skills and sub-skills and text-level reading proficien y in developing readers. Reading and Writing, 25, 483 – 507. Hoover, W. A. & Gough, P. B. (1990). The simple view of reading. Reading and Writing, 2, 127 – 160. Huemer, S., Landerl, K., Aro, M. & Lyytinen, H. (2008). Training reading fluen y among poor readers of German: Many ways to the goal. Annals of Dyslexia, 58, 115 – 137. Jenkins, J. R., Fuchs, L. S., van den Broek, P., Espin, C. & Deno, S. L. (2003). Sources of individual differences in reading comprehension and reading fluen y. Journal of Educational Psychology, 95, 719 –729. Kirby, J. R., Georgiou, G. K., Martinussen, R., Parrila, R., Bowers, P. & Landerl, K. (2010). Naming speed and reading: From prediction to instruction. Reading Research Quarterly, 45, 341 – 362. Kirby, J. R., Parrila, R. K. & Pfeiffer, S. L. (2003). Naming speed and phonological awareness as predictors of reading development. Journal of Educational Psychology, 95, 453 – 464. Klauda, S. L. & Guthrie, J. T. (2008). Relationships of three components of reading fluen y to reading comprehension. Journal of Educational Psychology, 100, 310 – 321. © 2017 Hogrefe

43

Kovachy, V. N., Adams, J. N., Tamaresis, J. S. & Feldman, H. M. (2015). Reading abilities in school-aged preterm children: A review and meta-analysis. Developmental Medicine & Child Neurology, 57, 410 – 419. Landerl, K. & Wimmer, H. (2008). Development of word reading fl ency and spelling in a consistent orthography: An 8-year followup. Journal of Educational Psychology, 100, 150 – 161. Law, J., Boyle, J., Harris, F., Harkness, A. & Nye, C. (2000). Prevalence and natural history of primary speech and language delay: Findings from a systematic review of the literature. International Journal of Language & Communication Disorder, 35, 165 – 188. Leinonen, S., Müller, K., Leppänen, P. H. T., Aro, M., Ahonen, T. & ­Lyytinen, H. (2001). Heterogeneity in adult dyslexic readers: Relat­ing processing skills to the speed and accuracy of oral text reading. Reading and Writing: An Interdisciplinary Journal, 14, 265 – 296. Lervåg, A. & Hulme, C. (2009). Rapid naming (RAN) taps a basic constraint on the development of reading fluen y. Psychological Science, 20, 1040 – 1049. Melby-Lervåg, M. (2012). The relative predictive contribution and causal role of phoneme awareness, rhyme awareness, and verbal short-term memory in reading skills: A review. Scandinavian Journal of Educational Research, 56, 363 – 380. Melby-Lervåg, M., Lyster, S.-A. & Hulme, C. (2012). Phonological skills and their role in learning to read: A meta-analytic review. Psychological Bulletin, 138, 322 – 352. Moretti, R., Bava, A., Torre, P., Antonello, R. M. & Cazzato, G. (2002). Reading errors in patients with cerebellar vermis lesions. Journal of Neurology, 249, 461 – 468. O'Hare, E. D., Kan, E., Yoshii, J., Mattson, S. N., Riley, E. P., Thompson, P. M., et al. (2005). Mapping cerebellar vermal morphology and cognitive correlates in prenatal alcohol exposure. Developmental Neuroscience, 16, 1285 – 1290. Oláh, A. E. (1998). Neurolinguistische Aspekte der dysgrammatischen Sprachstörung bei Kindern. Tübingen: Gunter Narr Verlag. Paulesu, E., McCrory, E., Fazio, F., Menoncello, L., Brunswick, N., Cappa, S. F., et al. (2000). A cultural effect on brain function. Nature Neuroscience, 3, 91 – 96. Pennington, B. F. & Olson, R. K. (2007). Genetics of dyslexia. In M. J. Snowling & C. Hulme (Eds.), The science of reading: A handbook (pp. 453 – 472). Malden, MA: Blackwell Publishing. Perfetti, C. (1985). Reading ability. New York: Oxford University Press. Petermann, F. & von Suchodoletz, W. (2009). Themenschwerpunkt Sprachdiagnostik und Sprachtherapie. Kindheit und Entwicklung, 18, 191 – 193. Richlan, F., Kronbichler, M. & Wimmer, H. (2009). Functional abnormalities in the dyslexic brain: A quantitative meta-analysis of neuroimaging studies. Human Brain Mapping, 30, 3299 – 3308. Sandak, R., Mencl, W. E., Frost, S. J. & Pugh, K. R. (2004). The neurobiological basis of skilled and impaired reading: Recent fi dings and new directions. Scientific Studies of Reading, 8, 273 – 292. Sarkari, S., Simos, P. G., Fletcher, J. M., Castillo, E. M., Breier, J. I. & Papanicolaou, A. C. (2002). The emergence and treatment of developmental reading disability: Contributions of functional brain imaging. Seminars in Pediatric Neurology, 9, 227 – 236. Scheerer-Neumann, G. (2006). Entwicklung der basalen Lesefähigkeit. In U. Bredel et al. (Hrsg.), Didaktik der deutschen Sprache, Band 1 (S. 513 – 524). Paderborn: Schöningh UTB. Schlaggar, B. L. & McCandliss, B. D. (2007). Development of neural systems for reading. Annual Review of Neuroscience, 30, 475 – 503. Schulte-Körne, G. (2011). Lese- und Rechtschreibstörung im Schulalter. Neuropsychologische Aspekte. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 59, 47 – 55. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

Fokus Forschung

T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter


Fokus Forschung

44

Schulte-Körne, G., Warnke, A. & Remschmidt, H. (2006). Zur Genetik der Lese-Rechtschreibschwäche. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 34, 435 – 444. Seidenberg, M. S. & McClelland, J. L. (1989). A distributed, developmental model of word recognition and naming. Psychological Review, 96, 523 – 68. Share, D. L. (1995). Phonological recording and self-teaching: Sine qua non of reading acquisition. Cognition, 55, 151 – 218. Shaywitz, S. E. & Shaywitz, B. A. (2005). Dyslexia (Specific reading disability). Biological Psychiatry, 57, 1301 – 1309. Steinbrink, C. (2006). Was reimt sich auf Maus? – Phonologische Bewusstheit: Eine Grundlage für richtiges Lesen und Schreiben. Grundschule, 5, 51 – 53. Steinbrink, C. & Lachmann, T. (2014). Lese-Rechtschreibstörung. Berlin Heidelberg: Springer Verlag. Steinlin, M. (2008). Cerebellar disorders in childhood: Cognitive problems. Cerebellum, 7, 607 – 610. Swanson, H. L., Zheng, X. & Jerman, O. (2009). Working memory, short-term memory, and reading disabilities: A selective metaanalysis of the literature. Journal of Learning Disabilities, 3, 260 – 287. Thaler, V., Ebner, E. M., Wimmer, H. & Landerl, K. (2004). Training reading fluen y in dysfluent readers with high reading accuracy: Word specific effects but low transfer to untrained words. Annals of Dyslexia, 54, 89 – 113. Thomas, K., Schulte-Körne, G. & Hasselhorn, M. (2015). Stichwort – Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 18, 431 – 451. Tischler, T., Daseking, M. & Petermann, F. (2015). Einschätzung von Risikofaktoren bei der Entstehung von Leseschwierigkeiten. Monatsschrift Kinderheilkunde, 163, 365 – 374. Turkeltaub, P. E., Gareau, L., Flowers, D. L., Zeffi o, T. A. & Eden, G. F. (2003). Development of neural mechanisms for reading. Nature Neuroscience, 6, 767 – 773. Vellutino, F. R., Fletcher, J. M., Snowling, M. J. & Scanlon, D. M. (2004). Specific reading disability (dyslexia): What have we learn­ed in the past four decades? Journal of Child Psychology and Psychiatry, and Allied Disciplines, 45, 2 – 40. von Suchodoletz, W. (2004). Zur Prognose von Kindern mit umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen. In W. von Suchodoletz (Ed.), Welche Chancen haben Kinder mit Entwicklungsstörungen? (pp. 155 – 199). Göttingen: Hogrefe. von Suchodoletz, W. (2011). Früherkennung von umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 39, 377 – 385. von Suchodoletz, W. & Sachse, S. (2008). SBE-2-KT: Sprachbeurteilung durch Eltern – Kurztest für die U7. Verfügbar unter http:// www.kjp.med.uni-muenchen.de/sprachstoerungen/SB E-2-KT. php

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 33 – 44

T. Nagler et al.: Leseentwicklung im Grundschulalter

Wimmer, H., Mayringer, H. & Landerl, K. (1998). Poor reading: A deficit in skill-automatization or a phonological deficit Scientific Studies of Reading, 2, 321 – 340. Wocadlo, C. & Rieger, I. (2007). Phonology, rapid naming and academic achievement in very preterm children at eight years of age. Early Human Development, 83, 367 – 377. Wolf, M. (1991). Naming speed and reading: The contribution of the cognitive neurosciences. Reading Research Quaterly, 26, 123 – 141. Wolf, M., Bowers, P. G. & Biddle, K. (2000). Naming-speed processes, timing, and reading: A conceptual review. Journal of Learning Disabilities, 33, 387 – 407. Wolf, M. & Katzir-Cohen, T. (2001). Reading fluen y and its intervention. Scientific Studies of Reading, 5, 211 – 239. Zhang, J., Mahoney, A. D. & Pinto-Martin, J. A. (2013). Perinatal brain injury, visual motor function and poor school outcome of regional low birth weight survivors at age nine. Journal of Clinical Nursing, 22, 2225 – 2232. Ziegler, J. C., Bertrand, D., Tóth, D., Csépe, V., Reis, A., Faísca, L., et al. (2010). Orthographic depth and its impact on universal predictors of reading: A cross-language investigation. Psychological Science, 21, 551 – 559. Ziegler, J. C. & Goswami, U. (2005). Reading acquisition, developmental dyslexia, and skilled reading across languages: A psycholinguistic grain size theory. Psychological Bulletin, 131, 3 – 29. Ziegler, J. C., Perry, C., Ma-Wyatt, A., Ladner, D. & Schulte-Körne, G. (2003). Developmental dyslexia in different languages: Language-specific or universal? Journal of Experimental Child Psychology, 86, 169 – 193.

Manuskript eingereicht: 25.08.2016 Manuskript nach Revision angenommen: 21.04.2017 Veröffentlicht online: 08.09.2017

Dr. Telse Nagler Deutsches Institut für Pädagogische Forschung (DIPF) Schloßstraße 29 60486 Frankfurt am Main nagler@dipf.de

© 2017 Hogrefe


Emotionsregulationstraining (ERT) für Kinder im Grundschulalter

Nina Heinrichs Arnold Lohaus Johanna Maxwill

Nina Heinrichs / Arnold Lohaus / Johanna Maxwill

Emotionsregulationstraining (ERT) für Kinder im Grundschulalter (Reihe: „Therapeutische Praxis“). 2017, 84 Seiten, Großformat, inkl. CD-ROM, € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-8017-2766-6 Auch als eBook erhältlich

Therapeutische Praxis

Das Manual beschreibt die Durchführung eines Emotionsregulationstrainings (ERT) für Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren. Das ERT enthält Übungen zur Wissensvermittlung über Emotionen sowie Übungen zu den Teilprozessen der Emotionsregulation. Auf spielerische Weise werden Strategien zur Situationsselektion, Situationsmodifikation, Aufmerksamkeitslenkung, kognitiven Veränderung und Reaktionsmodulation vermittelt. Zahlreiche Arbeitsblätter liegen auf CD-ROM vor. Zusätzlich zum Manual sind Materialien zur Durchführung des Trainings über die Testzentrale (www.testzentrale.de) erhältlich.

Franz Petermann / Nicole Gust

Emotionale Kompetenzen im Vorschulalter fördern Das EMK-Förderprogramm Franz Petermann Nicole Gust

Emotionale Kompetenzen im Vorschulalter fördern Das EMK-Förderprogramm

2016, 74 Seiten, Großformat, inkl. CD-ROM, € 59,95 / CHF 75.00 ISBN 978-3-8017-2794-9 Auch als eBook erhältlich

Das Gruppenprogramm dient der gezielten Förderung emotionaler Kompetenzen bei Vorschulkindern. Unter Anleitung der pädagogischen Fachkraft lernen die Kinder spielerisch, Emotionen zu erkennen und zu benennen, Emotionen mimisch auszudrücken und die Ursachen von Emotionen zu verstehen. Darüber hinaus werden auch Spiele zum Umgang mit Emotionen und zur Förderung des prosozialen Verhaltens, der Empathie und der Selbstregulation durchgeführt.

www.hogrefe.com

GraWo Grazer Wortschatztest S. Seifert / L. Paleczek / S. Schwab / B. Gasteiger-Klicpera Hogrefe Schultests herausgegeben von M. Hasselhorn / W. Schneider / U. Trautwein Einsatzbereich: Der GraWo kann in sprachlich heterogenen Schulklassen zu Beginn und am Ende der ersten, zweiten und dritten Grundschulklasse (jeweils erste und letzte sechs Wochen) eingesetzt werden. Das Verfahren: Der GraWo ist ein Leistungstest zur Erfassung des rezeptiven Wortschatzes. Das Verfahren wurde als Screeningverfahren zur Identifizierung von Kindern mit wahrscheinlichen Wortschatzdefiziten bzw. wahrscheinlich unterdurchschnittlichen rezeptiven Wortschatzleistungen konzipiert. Der Test besteht aus 30 Wort-Bild-Zuordnungsaufgaben mit jeweils vier Antwortalternativen (ein Zielitem und drei Distraktoren). Bei jedem Item wird ein Wort vom Untersuchungsleiter laut vorgelesen und die Kinder sollen das dazu passende Bild ankreuzen. Bei der Auswertung wird ein Gesamtwert gebildet (Summe korrekt gelöster Items). Der Gesamtwert stellt das Hauptergebnis des GraWo dar. Für eine weiterführende Auswertung stehen zwei weitere optionale Möglichkeiten zur Verfügung: (1) Differenzierte Analyse der korrekt gelösten Wortschatzaufgaben mithilfe von sechs Itemsubkategorien. (2) Differenzierte Analyse falsch gelöster Wortschatzaufgaben mithilfe von drei Distraktortypen. Bearbeitungsdauer: Die Durchführungszeit beträgt etwa 15 bis 30 Minuten.

01 512 01 Test komplett

www.hogrefe.com

98,00 €


SVF-KJ

AFS Angstfragebogen für Schüler 7., überarbeitete und neu normierte Auflage W. Wieczerkowski / H. Nickel / A. Janowski / B. Fittkau / W. Rauer / F. Petermann Einsatzbereich: 9 bis 18 Jahre (4. bis 12. Schulklasse). Einzelund Gruppensetting. Verwendung zur Erfassung des Ausmaßes der Angstatmosphäre in Schulklassen und als Material für Selbsterfahrungsgruppen, zur individuellen Diagnostik, Therapiekontrolle sowie als Forschungsinstrument zur Erfassung der Angstkomponenten in psychologischen, soziologischen und pädagogischen Untersuchungen. Das Verfahren: Der AFS ist ein mehrfaktorieller Fragebogen, der die ängstlichen und unlustvollen Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern unter drei Aspekten erfasst: Prüfungsangst (PA), allgemeine (manifeste) Angst (MA) und Schulunlust (SU). Ferner enthält der AFS eine Skala zur Erfassung der Tendenz von Schülerinnen und Schülern, sich angepasst und sozial erwünscht darzustellen (SE). Der AFS ist seit vielen Jahren in der schulpsychologischen und klinischen Praxis fest etabliert. Das Verfahren wurde im Jahre 2015 neu normiert. Dabei wurde der Einsatzbereich verändert. Er reicht nun von der 4. bis zur 12. Schulklasse (statt von der 3. bis zur 10. Schulklasse). Der Altersbereich wurde erweitert und reicht nun von 9 bis 18 Jahren (statt von 9 bis 16/17 Jahren). Im Unterschied zur sechsten Auflage entfallen die Einschätzskalen zur Fremdbeurteilung durch Lehrkräfte. Bearbeitungsdauer: Je nach Altersstufe 10 bis 25 Minuten.

02 002 01 Test komplett

www.hogrefe.com

128,00 €

Stressverarbeitungsfragebogen nach Janke und Erdmann angepasst für Kinder und Jugendliche 2., vollständig überarbeitete und neu normierte Auflage P. Hampel / F. Petermann Unter Mitarbeit von B. Dickow Einsatzbereich: Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 16 Jahren. Zustands- und Verlaufsdiagnostik. Das Verfahren: Mit neun Subtests erfasst der SVF-KJ Aspekte der dispositionellen Stressverarbeitung. Es wird zwischen stressreduzierenden (günstigen) und stressvermehrenden (ungünstigen) Strategien unterschieden, die jeweils durch vier Items erhoben werden. Die Items werden in Bezug auf eine fiktive soziale und schulische Belastungssituation erfragt. Insgesamt resultieren 72 Items. Folgende stressreduzierende Strategien werden erfasst: „Bagatellisierung“, „Ablenkung/Erholung“, „Situationskontrolle“, „Positive Selbstinstruktionen“ und „Soziales Unterstützungsbedürfnis“. Als stressvermehrende Strategien werden „Passive Vermeidung“, „Gedankliche Weiterbeschäftigung“, „Resignation“ und „Aggression“ erhoben. Die neun Subtests lassen sich zu drei Sekundärtests verdichten, die als „Emotionsregulierende Bewältigung“, „Problemlösende Bewältigung“ und „Negative Stressverarbeitung“ interpretiert werden können. Diese Sekundärtests lassen sich theoretisch von der Einteilung der Bewältigungsfunktionen von R.S. Lazarus ableiten. Die Stressverarbeitungstendenzen können situationsspezifisch und situationsübergreifend bestimmt werden. Bearbeitungsdauer: Es werden etwa 10 bis 25 Minuten benötigt.

01 513 01

Test komplett

www.hogrefe.com

99,00 €


Empirische Arbeit

Der Einfluss der morphematischen Bewusstheit auf die Rechtschreibleistung Reinhard Kargl1, Andrea Wendtner1, Christian Purgstaller1 und Andreas Fink2 2

Lese-Rechtschreib-Institut, Graz Institut für Psychologie, Karl-Franzens-Universität Graz

Zusammenfassung: Obwohl internationale Studien belegen, dass morphematisches Wissen eine Basiskompetenz im Schriftspracherwerb darstellt, liegen für den deutschsprachigen Raum kaum Befunde dazu vor. Da unter dem Terminus „morphematische Bewusstheit“ oft sehr unterschiedliche Kompetenzen subsumiert werden, herrscht hier noch große Unklarheit. In der Arbeit wird klar zwischen einer morphematischen Rechtschreibstrategie und der morphematischen Bewusstheit unterschieden. An der Querschnittstudie nahmen 1125 Kinder aus Österreich und Deutschland im Alter von 9 bis 13 Jahren (Schulstufe 4 bis 7) teil. Ein eigens entwickelter Satzergänzungstest erhebt die Leistungen in der morphematischen Bewusstheit durch Abwandlung von Pseudowörtern. Dies schließt einen Rückgriff auf lexikalisches Wissen aus. Anschließend wurde mit Hilfe einer zweifaktoriellen Kovarianzanalyse der Einfluss der morphematischen Bewusstheit auf die Rechtschreibleistung untersucht. Ein Vergleich der Leistungen in der morphematischen Bewusstheit zeigte, dass sich diese von der 4. bis zur 6. Schulstufe signifi ant erhöhen, lediglich zwischen der 6. und 7. Schulstufe gab es keine bedeutsamen Unterschiede. Ebenso zeigen sich hohe Zusammenhänge der morphematischen Bewusstheit mit allgemeinen Rechtschreibkennwerten wie der Summe der richtig verschriftlichten Grapheme (r = .61) und der richtig verschriftlichten Wörter (r = .65) sowie mit der morphematischen Rechtschreibstrategie (r = .61) und der orthografis hen Rechtschreibstrategie (r=.58). Schlüsselwörter: morphematische Bewusstheit, morphematische Rechtschreibstrategie, Rechtschreibung, Rechtschreibschwäche, Morphem Abstract: Although previous studies revealed evidence about the relationship between morphological competences and spelling abilities, only few studies investigated the specific role of morphological knowledge in spelling words in German-speaking samples so far. In view of the great variety of different morphological skills, it is important to define and adequately operationalize the specific kind of morphological competences that are related to spelling ability. In this study two important aspects of morphological competences were assessed, viz. morphological awareness and morphological spelling skills. 1125 children aged between 9 and 13, attending to 4th grade primary school and to 5th to 7th grade secondary school in Austria and Germany participated in this study. The newly developed inventory comprises a task to examine morphological awareness by using pseudowords. To solve this task, children can only apply morphological regularities without using lexical knowledge. The two-factorial ANOVA showed a significant influence of morphological awareness on general spelling ability. Additionally, morphological spelling strategy and different aspects of spelling ability were assessed. The findings of the study suggest a strong relationship between morphological awareness and spelling skills, as evident by high correlations between morphological awareness and morphological spelling strategy (r = .61) and spelling ability in general (r = .65). Furthermore, it was shown that, as children progress in their education, their morphological awareness increases. Keywords: morphological awareness, morphological spelling strategy, spelling, dyslexia, spelling impairment

Einleitung

I

n einer Wissensgesellschaft hat die Beherrschung der Schriftsprache naturgemäß einen sehr hohen Stellenwert. Für alle jene, denen die Aneignung schriftsprachlicher ­Fähigkeiten Probleme bereitet (Stichwort: LeseRechtschreibstörung), ergeben sich aber massive

© 2018 Hogrefe

Beeinträchtigungen in vielerlei Hinsicht. Vor allem was die schulische Laufbahn und die berufli he Ausbildung angeht, bleiben Betroffene oft weit hinter dem Niveau zurück, das aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten möglich wäre (Schulte-Körne & Remschmidt, 2003). So konnten z. B. Haffner et al. (1998) in einer Studie zeigen, dass der Besuch weiterführender Schulen bei lese-rechtschreibLernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 45 – 54 https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000202

Fokus Forschung

1


Fokus Forschung

46

R. Kargl et al.: Morphematische Bewusstheit & Rechtschreibleistung

schwachen Schülerinnen und Schülern trotz zureichender Intelligenz eine Seltenheit darstellt und deshalb nur zwei Prozent der Betroffenen ein Abitur ablegen. Umso wichtiger erscheint in diesem Bereich die Entwicklung geeigneter förderdiagnostischer Maßnahmen, um diesen Problemen entgegenzuwirken. Einen vielversprechenden Ansatz stellt in diesem Zusammenhang die Förderung morphematischer Kompetenz dar. In zahlreichen Studien konnte bereits der enge Zusammenhang zwischen morphematischen Fähigkeiten und dem Erwerb schriftsprachlicher Kompetenzen aufgezeigt werden. Zunächst kommt morphematischem Wissen die Rolle eines Prädiktors für den weiteren Schriftspracherwerb zu (Carlisle, 1995; Casalis, Colé & Sopo, 2004; Nagy, Berninger, Abbott, Vaughan & Vermeulen, 2003). Brunner konnte an deutschsprachigen Schülerinnen und Schülern zeigen, dass morphematische Kenntnisse vor Schuleintritt eine gleich hohe Prädiktorfunktion für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb haben wie Kenntnisse, die üblicherweise der phonologischen Bewusstheit zugeordnet werden (Brunner, 2007). Zusätzlich belegen mehrere Studien, dass Trainingsprogramme, die auf der Segmentierung von Wörtern in Morpheme basieren, zu Kompetenzsteigerungen bei schriftsprachlichen Aufgaben führen (Carlisle, 2000; Scheerer-Neumann, 1979; Singson, Mahony & Mann, 2000; Kargl, Purgstaller, Weiss & Fink, 2008; Kargl, Purgstaller, Mrazek, Ertl & Fink, 2011; Schneeberger et al. , 2011, Goodwin & Ahn 2010; Goodwin & Ahn 2013). Insgesamt spricht also einiges für eine genauere Auseinandersetzung mit der morphematischen Kompetenz, wenn es um Fragen des Schriftspracherwerbs geht.

Morphematische Bewusstheit Für den Begriff Morphem hat sich eine Definition durchgesetzt, in der Morpheme meist als kleinste Bedeutung tragende Einheiten einer Sprache (Elsen, 2011) angesehen werden. So gesehen handelt es sich bei Morphemen um Einheiten, die lexikalisch definie t sind und die sich von den Sprechsilben unterscheiden lassen. Casalis et al. (2004) definie en folglich den Begriff morphematische Bewusstheit als die Fähigkeit, diese Morpheme zu erkennen und mit ihnen umgehen zu können. Personen mit einer gut ausgeprägten morphematischen Bewusstheit sind also in der Lage, sowohl ein Wort strukturell in seine einzelnen Morpheme zu gliedern, als auch über den Gebrauch eben dieser Morpheme zu reflektieren. Morphematische Teilbereiche werden in einigen normierten Rechtschreibtests meist mehr oder weniger implizit miterhoben. Mit der Hamburger Schreibprobe (HSP 1 – 10; May, 2012) existiert auch ein Verfahren, das den Anspruch erhebt, die morphematische RechtschreibstraLernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 45 – 54

tegie zu messen. Bislang existiert jedoch bedauerlicherweise noch kein Testverfahren zur Erfassung unterschiedlicher Facetten des Konstrukts der morphematischen Bewusstheit, welches es ermöglichen würde, die Rolle dieser metalinguistischen Fähigkeit für den Schriftspracherwerb näher zu beleuchten. In der Forschung existieren unterschiedlichste Zugänge zu diesem Thema. Unter dem Begriff „morphematische Flüssigkeit“ (Casalis et al., 2004) wird z.  B. die Fähigkeit, von einem Wortstamm möglichst viele stammverwandte Wörter ableiten zu können, subsumiert. Vom Wort „stellen“ lassen sich beispielsweise „aufstellen“, „abstellen“, „Stelle“ und „Aufstellung“ als mögliche Lösungen ableiten. Andere Autoren verwenden Tests, in denen Kinder feststellen sollen, ob zwischen Wörtern eine semantische Verwandtschaft besteht (z. B. Derwing, Smith & Wiebe, 1995; Mahony, Singson & Mann, 2000). So weisen z. B. die Wörter „builder“ und „build“ eine solche semantische Verwandtschaft auf, während dies für „mother“ und „moth“ nicht der Fall ist. Als vielversprechend erwies sich vor allem das Konzept der impliziten morphematischen Bewusstheit. Dieses Konstrukt wird meist mit Hilfe von Satzergänzungstests erhoben (Berko, 1958; Carlisle, 1995; Casalis et al., 2004; Nagy et al. , 2003). Hier müssen jeweils Pseudowörter morphematisch so verändert werden, dass sie in eine Satzlücke passen (z. B. Georg kann gut bruben. Er ist ein guter … [Lösung: Bruber]). Die Verwendung von Pseudowörtern bietet den großen Vorteil, dass die Wörter für die Kinder unbekannt sind und Merkstrategien, wie sie bei bekannten Wörtern angewendet werden können, keine Rolle spielen. Vielmehr ist eine Lösung nur durch die Anwendung impliziter morphematischer Regularitäten möglich. In einer Pilotstudie (Fink, Pucher, Reicher, Purgstaller & Kargl, 2012) wurden diese Testaufgaben in einer Stichprobe von insgesamt 2 91 Kindern und Jugendlichen (142 ­Jungen, 149 Mädchen) aus der Sekundarstufe im Alter zwischen 10 und 14 Jahren überprüft. Fasst man die Ergebnisse zusammen, fällt auf, dass die Übungen zum impliziten morphematischen Verständnis vergleichsweise hohe Korrelationen mit den Rechtschreibkennwerten der HSP aufweisen und mit der allgemeinen Rechtschreibleistung in enger Beziehung zu stehen scheinen (Fink et al., 2012). Insgesamt spielt also vor allem die implizite morphematische Bewusstheit eine große Rolle im Hinblick auf die generelle Rechtschreibleistung. Aus diesem Grund wurde in der vorliegenden Studie das Konzept der Satzergänzungstests mit Pseudowörtern als Maß für die morphematische Bewusstheit herangezogen. Dabei wurden die Items so konstruiert, dass morphematisches Wissen möglichst umfassend abgebildet wird, indem sowohl das Prinzip der Derivation (Bedeutungs­ veränderung, die häufig mit einem Kategorienwechsel © 2018 Hogrefe


R. Kargl et al.: Morphematische Bewusstheit & Rechtschreibleistung

können, die Morphemkonstanz zu nutzen oder auf Grundformen zurückgreifen zu können (Winkes, 2014), ist ein entwickeltes Sprachwissen notwendig und deshalb handelt es sich hierbei auch um eine weitreichende und umfassende Rechtschreibstrategie. Es wird schnell klar, dass die Nutzung dieses Baukastenprinzips das Gedächtnis erheblich entlastet und dass ein Rechtschreibtraining basierend auf der Förderung der morphematischen Kompetenz demnach sehr ökonomisch ist. Laut Scheerer-Neumann (1979, S. 2 5) decken bereits „die 3 5 häufi sten Morpheme 50 % allen fließen en Textes ab“.

Morphematische Rechtschreibstrategie

Die Rolle morphematischer Bewusstheit und morphematischer Rechtschreib­ strategie im Schriftspracherwerb

Die oben geschilderte morphematische Bewusstheit weist zunächst einen signifi anten Zusammenhang mit der allgemeinen Rechtschreibleistung auf. Außerdem konnte auch mit jenen morphematisch bedingten Schreibungen, die unter dem Terminus morphematische Rechtschreibstrategie zusammengefasst werden können, ein Zusammenhang nachgewiesen werden (Fink et al. , 2012). Auch die Tatsache, dass diese Art von Wissen am deutlichsten bei der Schreibung von morphematisch komplexen Wörtern Vorteile bringt (Leong, 2000), erhärtet die Hypothese, dass der morphematischen Bewusstheit sowohl im Hinblick auf die Rechtschreibleistung als auch im Hinblick auf die morphematische Rechtschreibstrategie eine große Bedeutung zukommt. Dennoch ist es wichtig zwischen der morphematischen Bewusstheit im Sinne der Definition von Casalis (Casalis et al., 2004) und einer konkreten morphematischen Rechtschreibstrategie zu unterscheiden. Um eine ausgeprägte morphematische Rechtschreibstrategie zu entwickeln, müssen Lernende erkennen, dass alle zu schreibenden Wörter aus Morphemen, also stets gleich bleibenden Wortbausteinen (Präfi e, Suffixe und Wortstämme) bestehen. Beispielweise werden alle Wörter der Wortfamilie „fahren“ mit Dehnungs-h geschrieben: Gefährte, Einfahrt usw. (Kargl, Purgstaller & Fink, 2014). Um morphematisch richtig schreiben zu können, müssen orthografi che Elemente im Rückgriff auf die morphematische Struktur eines Wortes verwendet werden. Dadurch kann die Schreibung mithilfe stammbezogener Regeln (Morphemkonstanz) und der Kenntnis von Wortbildungsmorphemen (Präfi e, Suffixe) abgeleitet werden (May, 2012). Die Strategie lautet hierbei: „Gliedere die Wörter in ihre Bausteine, suche nach verwandten Wortstämmen und leite die Schreibung von diesen ab“ (May, 2012 , S. 26). Einige konkrete Rechtschreibphänomene des Deutschen wie z.  B. die Schreibung mit dem Umlaut „ä“ lassen sich nur durch den Rückgriff auf Grundwörter mit „a“ (z.  B. ­backen – Bäcker) erklären. Um Wortfamilien erkennen zu

In den unterschiedlichen Stufenmodellen zum Schriftspracherwerb werden morphematische Kompetenzen, so sie Erwähnung fin en, eher späteren Entwicklungsphasen des Schriftspracherwerbs zugeordnet (May, 2012 ; Scheerer-Neumann, 1979). Dies steht in scheinbarem Widerspruch zu Befunden, die morphematisches Wissen schon viel früher verorten (für eine Zusammenfassung siehe ­Berninger, Abbott, Nagy & Carlisle, 2010). Eine klare Trennung zwischen morphematischer Bewusstheit und morphematischer Rechtschreibstrategie könnte einen wesentlichen Beitrag zur Auflösung dieses Widerspruches leisten. Unter einer morphematischen Phase im Sinne eines Stufenmodells wird meist eine gut entwickelte morphematische Rechtschreibstrategie verstanden (z. B. May, 2012). Für eine Nutzung einer derartigen Strategie gibt es bei jüngeren Kindern (5 – 7 Jahre) noch kaum Hinweise (Larkin & Snowling, 2008). So gesehen zählt diese Phase zu den späteren Stadien im Schriftspracherwerb. Umgekehrt entwickeln sich morphematische Kompetenzen im Sinne einer morphematischen Bewusstheit schon sehr früh, umfassen aber gleichzeitig eine sehr lange Entwicklungsspanne (Berninger et al. , 2010). Nun liegt es nahe, dass der Einfluss der morphematischen Bewusstheit auf die Rechtschreibleistung im Verlauf der Entwicklung nicht immer gleich bzw. vor allem nicht gleich stark ist. Das Wissen über morphematische Zusammenhänge im Sinne der morphematischen Bewusstheit wird nicht in jeder Entwicklungsphase beim Rechtschreiben angewandt (Winkes, 2014). Hoffmann Erz konnte in einer Studie nach­ weisen, dass regelhafte Strukturen der deutschen Rechtschreibung implizit durch Generalisierung erschlossen werden. Unter dem Terminus Generalisierungskompetenz fasst sie jene Kompetenzen zusammen, die im ­Entwicklungsverlauf kontinuierlich durch den Zuwachs wortspezifi cher Kenntnisse aufgebaut werden (Hoffmann-Erz, 2015 ). Orthografi ches Können baut überwiegend auf implizitem Wissen auf und es fin et eine Ent-

© 2018 Hogrefe

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 45 – 54

Fokus Forschung

verbunden ist: z. B. zählen – Erzählung) als auch das der Flexion (rein grammatikalische Funktion: z.  B. zählen – zählte) berücksichtigt wurde. Um die Aufgaben richtig zu lösen, müssen die beiden morphologischen Grundprinzipien auf die drei Grundwortarten des Deutschen (Nomen, Verb, Adjektiv) angewandt werden. Auf diese Weise müssen Ableitungen zu allen drei Wortarten (z. B. Georg kann gut bruben. Er ist ein guter … [Lösung: Bruber]), aber auch flektierte Formen (z.  B. Gestern habe ich ge­ wornt. Es wäre gut, wenn du heute … [Lösung: wornst]) richtig gebildet werden. Dadurch wird garantiert, dass implizite morphematische Kompetenzen möglichst breit abgedeckt werden.

47


48

R. Kargl et al.: Morphematische Bewusstheit & Rechtschreibleistung

wicklung vom lexikalischen Lernen hin zur Generalisierung statt (Hoffmann Erz, 2015 ). Auch für die Entwicklung der morphematischen Bewusstheit und der Ausbildung einer morphematischen Rechtschreibstrategie sind höchstwahrscheinlich analoge Prozesse des impliziten Lernens zentral.

Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit

Fokus Forschung

Abgesehen von den referierten Befunden gibt es vor allem im deutschsprachigen Raum kaum Untersuchungen, die die Beziehung der morphematischen Bewusstheit zur Rechtschreibleistung näher betrachten. Dies soll in der vorliegenden Studie erfolgen, wobei hier zwei zentrale Forschungsfragen aufgegriffen werden: 1. In der Studie soll der Frage nachgegangen werden, ob die Leistungen in der morphematischen Bewusstheit in den untersuchten Schulstufen noch zunehmen oder ob es sich hier um einen bereits abgeschlossenen Entwicklungsprozess handelt. 2. Außerdem soll in der vorliegenden Arbeit überprüft werden, ob ein enger Zusammenhang zwischen impliziter morphematischer Bewusstheit und Rechtschreib­ leistung in den untersuchten Schulstufen nachgewiesen werden kann.

Methode Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Querschnittstudie, bei der Schülerinnen und Schüler von der 4. bis zur 7. Schulstufe mit einem eigens konstruierten Lückentest zur Erfassung der allgemeinen Rechtschreibleistung sowie einem Satzergänzungstest zur Erfassung der impliziten morphematischen Bewusstheit untersucht wurden.

Beschreibung der Stichprobe Insgesamt nahmen 112 5 Schülerinnen und Schüler der 4. bis 7. Schulstufe (55 1 Mädchen und 5 74 Jungen) aus unterschiedlichen Schulformen (Volks- bzw. Grundschule, Haupt- und Realschule (Deutschland) bzw. Neue Mittelschule (vormals Hauptschule Österreich) und Gymnasium) teil. Dabei handelte es sich um Schulen aus den Bundesländern Niedersachsen und Hessen (Deutschland) sowie Steiermark und Kärnten (Österreich). Bei der Auswahl der Stichproben wurde so vorgegangen, dass ein möglichst breites Spektrum abgedeckt wird und somit von einer repräsentativen Stichprobe ausgegangen werden kann. Dazu zählt neben den unterschiedlichen Schulstufen, Schulformen und Regionen die Auswahl von Schulen mit städtischem Umfeld genauso wie jene von Schulen mit Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 45 – 54

ländlichem Umfeld, um den demographischen Hintergrund möglichst heterogen zu halten. Alle untersuchten Schülerinnen und Schüler besuchen den regulären Unterricht und es waren keine Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf involviert. Die Stichprobe teilte sich in 206 Schülerinnen und Schüler der 4. Stufe, 42 9 Schülerinnen und Schüler der 5. Stufe, 2 24 Schülerinnen und Schüler der 6. Stufe und 266 Schülerinnen und Schüler der 7. Stufe auf.

Untersuchungsmaterialien Lückentest Rechtschreibleistung Die allgemeine Rechtschreibleistung der Schülerinnen und Schüler wird mit Hilfe eines Lückentests gemessen, wobei die jeweils richtig geschriebenen Wörter und die korrekt verschriftlichten Grapheme als Maß dienen. In einer differenzierteren Auswertung liegt der Schwerpunkt schließlich auf der Beherrschung der unterschiedlichen Rechtschreibstrategien (alphabetische, orthografi che und morphematische Rechtschreibstrategie). Der Lückentest zur Rechtschreibleistung besteht aus insgesamt 64 Wörtern, die nach Diktat in Lückensätze eingetragen werden (Beispielitem: Mama _­ _____ keine scharf gewürzten Speisen [verträgt]). Die Bearbeitungsdauer beträgt dabei insgesamt 30 – 4 0 Minuten, je nach Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler. Allgemeine Rechtschreibleistung Anhand dieser Aufgabe können schließlich unterschiedliche Kennwerte bzw. Scores ermittelt werden. Der Kennwert Summe der richtig geschriebenen Wörter kann dabei als das einfachste und grundlegendste Maß für eine globale Rechtschreibleistung angesehen werden. Ebenfalls auf die generelle Rechtschreibleistung zielt der Kennwert Summe der korrekt verschriftlichten Grapheme. Grapheme stellen nicht nur einzelne Buchstaben dar, sondern können auch aus Buchstabenkombinationen (z. B. „sch“) bestehen. Auf Grund der Tatsache, dass vor allem schwache Rechtschreiber / innen in einem Wort oft mehr als eine Falschschreibung produzieren, kann dieser Wert im Vergleich zur ­reinen Zählung von falsch geschriebenen Wörtern als sensitiver eingestuft werden. Rechtschreibstrategien Während sich der Score Summe der korrekt verschriftlichten Grapheme auf die Verschriftlichung der Standardlautung mit all ihren orthografi chen Besonderheiten bezieht, gibt der Score Verstoß gegen die lautorientierte Schreibung an, ob die Probanden in der Lage sind, Wörter ihrer Aussprache gemäß zu verschriftlichen (z.  B. : verratscht statt verrutscht). Dabei ist es notwendig die Bezeichnung „lautorientierte Schreibung“ genauer zu spezifizie en, denn Begriffl hkeiten im Bereich der lauttreuen Schreibungen © 2018 Hogrefe


R. Kargl et al.: Morphematische Bewusstheit & Rechtschreibleistung

© 2018 Hogrefe

Tabelle 1. Orthografis he und morphematische Rechtschreibstrategien Schlüssel­ positionen

Beispielwort aus Test

evtl. Falschschreibung

Doppelk. tz / ck

Platzierung

Plazierung

ss / ß

Flüssigkeit

Flüsigkeit

ie

liebster

libster

Dehnungs-h

Vorfahrt

Vorfart

ver

verträgt

ferträgt

vor

vorrennen

forrennen

ä

Gebäude

Gebeude

z-Laut

bereits

bereiz

ieren

spazieren

spaziren

igkeit

Neuigkeit

Neuichkeit

Doppelk. Morphemgrenze

errät

erät

er

Uhrzeiger

Uhrzeiga

en

abbrechen

abbrechn

sonstiges

Verkäuferinnen

Verkäuferinen

orthografis h

morphematisch

Satzergänzung Pseudowörter Das Konstrukt der impliziten morphematischen Bewusstheit wird mit Hilfe eines Pseudowort-Lückentestes in Form eines Satzergänzungstextes überprüft. Die vorgegebenen Wörter müssen von ihrer grammatikalischen Struktur her so verändert werden, dass sie die vorgegebenen Sätze grammatikalisch richtig ergänzen (Beispielitem: Georg kann gut bruben. Er ist ein guter _­ _____. [Lösung: Bruber]). Da diese Wörter in der deutschen Sprache nicht vorkommen, kann die richtige Lösung nicht mithilfe des lexikalischen Gedächtnisses ermittelt werden, sondern muss über morphematische Regeln erschlossen werden. Dabei wurden in morphematischer Hinsicht sowohl die Flexion als auch die Derivation der angegebenen Pseudowörter berücksichtigt. Da es sich hier um Pseudowörter handelt, sind natürlich in vielen Fällen auch Mehrfachlö­ sungen möglich. Als Beispiel kann hier das oben angeführte Beispielitem mit dem Grundwort „bruben“ dienen. Im Satz „Das war eine tolle ­______.“ wurden unterschiedliche Lösungen wie z. B. „Brubung“ oder „Bruberei“ als richtig akzeptiert. Für die Bearbeitung der 2 1 Pseudowörter, die in insgesamt 39 Sätzen verändert werden müssen, benötigen die Schülerinnen und Schüler ca. 20 Minuten, ein Zeitlimit ist Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 45 – 54

Fokus Forschung

können erheblich variieren (Corvacho del Toro & Hoffmann-Erz, 2014). Ein Verstoß gegen die lautorientierte Schreibung liegt vor, wenn die Schreibung nicht dem Wortklang entspricht. Landerl und Moll (2010) haben in diesem Zusammenhang schon darauf hingewiesen, dass dabei selbst umgangssprachliche Versionen der Testwörter berücksichtigt werden müssen. Ein Wort ist demnach richtig im Sinne des lautorientierten Schreibens verschriftlicht worden, wenn es die Aussprache des Kindes korrekt in Buchstaben oder Buchstabenkombinationen (Grapheme) übersetzt. Erst wenn mindestens ein Laut falsch oder gar nicht verschriftlicht wurde, oder ein Buchstabe geschrieben wurde, dem im Testwort kein Laut entspricht, handelt es sich um einen Verstoß gegen die lautorientierte Schreibung (Landerl & Moll, 2010). Die Auswertung der einzelnen Testwörter folgt genau diesem Prinzip. Unter dem Terminus orthografi che Rechtschreibstrategie wird die Fähigkeit beschrieben, die einfache LautBuchstaben-Zuordnung unter Beachtung bestimmter orthografi cher Prinzipien und Regeln zu modifizie en (May, 2012). Dabei stellt einerseits die Fähigkeit Rechtschreibregeln richtig anwenden zu können (z.  B. bei der Konsonantenverdoppelung) eine Grundvoraussetzung dar. Andererseits müssen bestimmte orthografi che Elemente wie z.  B. das Dehnungs-h von Lernenden als von der Verschriftlichung der eigenen Artikulation abweichend (May, 2012) gemerkt werden. Für die Auswertung stehen hier vier Schlüsselpositionen (Doppelk.  / tz / ck; ss / ß; ie; Dehnungs-h) zur Verfügung. Sie bilden den Kennwert Summe der richtig verschriftlichten orthografischen Schlüsselpositionen. Die Leistungen in der morphematischen Rechtschreibstrategie werden schließlich in 10 Schlüsselpositionen (z.  B. : Präfi e ver / vor, Suffixe er / en / igkeit, Doppelung an der Morphemgrenze, Umlautbildung etc. ) erhoben. Der Kennwert Summe der richtig verschriftlichten morphematischen Schlüsselpositionen errechnet sich aus der Summe der richtig geschriebenen Schlüsselpositionen (siehe Tab. 1). Auf diese Weise wird abgebildet, wie gut die Schülerinnen und Schüler morphematisch bedingte Rechtschreibregeln und Operationen anwenden können. Insgesamt muss bei der Unterscheidung einzelner Rechtschreibstrategien aber angemerkt werden, dass sich die einzelnen Teilstrategien in gewissen Bereichen auch überschneiden können. So ist nicht immer klar unterscheidbar, ob ein Wort richtig verschriftlicht wurde, weil eine korrekte Regel angewandt, eine Ableitung von einem anderen Wort der Wortfamilie durchgeführt oder das Wort einfach als Merkwort im Gedächtnis gespeichert wurde. Um komplexere Wörter richtig zu schreiben, ist außerdem oftmals ein Zusammenspiel mehrerer Strategien notwendig.

49


R. Kargl et al.: Morphematische Bewusstheit & Rechtschreibleistung

50

Tabelle 2. Deskriptive Statistiken der korrekt verschriftlichten Grapheme aus dem Lückentest Rechtschreibleistung (Graphemtreffer, maximaler Wert = 603) und des Scores zur impliziten morphematischen Bewusstheit aus dem Satzergänzungstest Pseudowörter (maximaler Wert = 35), separat für die Schulstufen 4 bis 7

Rechtschreibleistung (Lückentest; ­Graphemtreffer)

Implizite morphematische Bewusstheit (Satzergänzungstest mit Pseudowörtern)

Schulstufe

N

M

SD

Schiefe(SE)

Exzess(SE)

4.

206

495.60

31.54

–1.34 (.17)

6.84 (.34)

5.

429

510.14

30.36

–2.51 (.12)

11.59 (.24)

6.

224

522.35

16.38

–1.55 (.16)

3.02 (.32)

7.

266

539.08

37.64

–0.03 (.15)

0.13 (.30)

4.

206

21.67

7.10

–0.65 (.17)

–0.09 (.34)

5.

429

23.31

6.46

–0.97 (.12)

0.61 (.24)

6.

224

26.57

5.67

–1.26 (.16)

1.30 (.32)

7.

266

27.24

5.54

–1.42 (.15)

2.15 (.30)

Fokus Forschung

hier nicht vorgesehen. Der Kennwert für die implizite morphematische Bewusstheit ergibt sich aus der Summe der richtig eingesetzten Wörter. Der Grundintelligenztest Skala 2/Culture Fair Test (CFT- 20-R) Der CFT-20-R (Weiß & Weiß, 2006) ist eine Weiterentwicklung des CFT 2 und dient der Erfassung des Konstrukts der „General Fluid Ability“ (fluiden Intelligenz) nach dem Modell von Cattell. Die sprachfreien Testaufgaben ermöglichen auch Personen mit schlechten Kenntnissen der deutschen Sprache oder aus anderen Kulturkreisen, den Test ohne Nachteil zu bearbeiten. In der vorliegenden Untersuchung wurde zur Abschätzung der fluiden Intelligenz der Subtest 3 (Matrizen) eingesetzt. Dieser hat eine Zeitbeschränkung von 4 Minuten. Für die Auswertung wurden die Rohwerte (Anzahl der richtig gelösten Aufgaben) herangezogen.

tung wurde mit einer zweifaktoriellen Kovarianzanalyse mit der Schulstufe (4.-7. Schulstufe) sowie der kontinuierlich verteilten impliziten morphematischen Bewusstheit als Faktoren durchgeführt. Die Analyse ergab signifi ante Haupteffekte für die Schulstufe (F 3,1117 = 8.54, p < .01, ƞ2 p = .02) und die implizite morphematische Bewusstheit (F 1,1117 = 495.18, p < .01, ƞ2 p = .31). Auch die Interaktion zwischen den beiden Faktoren erreichte statistische Signifi anz, F 3,1117 = 14.05, p < .01, ƞ2 p = .04. Wie in Abbildung 1 ersichtlich ist, zeichneten sich Schülerinnen und Schüler höherer Schulstufen erwartungs-

Ergebnisse Tabelle 2 zeigt die deskriptiven Statistiken zur allgemeinen Rechtschreibleistung (Lückentest Rechtschreibleistung) und zur impliziten morphematischen Bewusstheit (Satzergänzung Pseudowörter). Beide Variablen weisen rechtssteile und spitzwinkelige Verteilungen auf, was darauf hindeutet, dass die untersuchten Schülerinnen und Schüler zum überwiegenden Teil eher im oberen Bereich des Merkmalsspektrums anzusiedeln sind. Die Überprüfung des Einflusses der impliziten morphematischen Bewusstheit auf die allgemeine RechtschreibleisLernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 45 – 54

Abbildung 1. Vorhergesagte (auf Basis von Regressionsanalysen) Rechtschreibleistungen (Graphemtreffer aus dem Lückentest Rechtschreibleistung) separat für die einzelnen Schulstufen sowie SchülerInnen mit niedrigeren (M – β*SD) vs. höheren (M + β*SD) Ausprägungen in der impliziten morphematischen Bewusstheit (Satzergänzungstest mit Pseudowörtern). © 2018 Hogrefe


R. Kargl et al.: Morphematische Bewusstheit & Rechtschreibleistung

weit geringer (r = . 46), ebenso der Zusammenhang mit der fluiden Intelligenz (r = .30). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der morphematischen Rechtschreibstrategie. Diese korreliert mit der allgemeinen Rechtschreibleistung (Summe der korrekt verschriftlichten Grapheme: r = . 92, Summe der richtig geschrie­ benen Wörter: r = . 91) noch höher als die implizite morphematische Bewusstheit, wobei angemerkt werden muss, dass diese Scores aus demselben Wortmaterial abgeleitet wurden.

Diskussion Die empirische Forschung zum Schriftspracherwerb ist geprägt durch eine Fokussierung auf phonologische Verarbeitungsprozesse (Goodwin & Ahn, 2010), während vor allem im deutschsprachigen Raum Studien zu morphematischen Kompetenzen nur vereinzelt durchgeführt wurden (Vgl. Scheerer-Neumann, 1979; Kargl et al. , 2008; Kargl et al. , 2011; Schneeberger et al. , 2011; Fink et al. , 2012). In der vorliegenden Untersuchung zu den morphematischen Kompetenzen wurde zunächst zwischen impliziter morphematischer Bewusstheit und morphematischer Rechtschreibstrategie unterschieden. Die implizite morphematische Bewusstheit zielt darauf ab, implizite morphematische Regeln zur Flexion und Derivation ohne Rückgriff auf ein semantisches Lexikon bei Pseudowörtern anzuwenden. Die morphematische Rechtschreibstrategie ermöglicht es durch Wissen über morphematische Regularitäten Wörter morphematisch richtig schreiben zu können. Die Hauptstrategie zielt dabei darauf ab, die Wörter in ihre Bestandteile zu zerlegen, nach verwandten Wortstämmen zu

Tabelle 3. Interkorrelation der Kennwerte des Lückentests Rechtschreibleistung sowie Korrelationen derselben mit der fluiden Intelligenz und der impliziten morphematischen Bewusstheit (Satzergänzungstest)

Grapheme richtig Wörter richtig alphab. Fehler Orthograph. RS morph. RS Fluide ­Intelligenz i.morph.BW

Grapheme richtig

Wörter richtig

alphab. Fehler

orthograph. RS

morph. RS

Fluide ­Intelligenz

i.morph.BW

1

,897**

–,597**

,869**

,922**

,314**

,613**

1

–,543**

,876**

,909**

,311**

,650**

–,580**

–,544**

–,225**

–,459**

,865**

,292**

,577**

1

,307**

,609**

1

,304**

1

1

1

Anmerkungen: Wörter richtig = Summe der richtig geschriebenen Wörter, Grapheme richtig = Summe der korrekt verschriftlichten Grapheme, alphab. ­Fehler = Verstoß gegen die lautorientierte Schreibung, orthograph. RS = Summe der richtig verschriftlichten orthografis hen Schlüsselpositionen, morph. RS = Summe der richtig verschriftlichten morphematischen Schlüsselpositionen, i.morph.BW = implizite morphematische Bewusstheit, Fluide Intelligenz = Subtest 3 Matrizen CFT 20-R. ** p < .01

© 2018 Hogrefe

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 45 – 54

Fokus Forschung

gemäß durch bessere Rechtschreibleistungen aus (mit Ausnahme des Vergleichs der 5. mit der 6. Schulstufe erreichten in Bonferroni korrigierten Posttests alle Mittelwertsvergleiche statistische Signifi anz, p < . 05). Ferner weisen die Ergebnisse mit einer Effektstärke von ƞ2 p = .31 generell auf einen sehr starken Einfluss der impliziten morphematischen Bewusstheit auf die allgemeine Rechtschreibleistung hin, wenn auch eine schwache Interaktion zwischen der Schulstufe und der impliziten morphematischen Bewusstheit (ƞ2 p = .04) nahelegt, dass der Einfluss der impliziten morphema­tischen Bewusstheit auf die Rechtschreibleistung in der 6. Schulstufe geringer ausgeprägt ist als in den übrigen Schulstufen (siehe Abbildung 1). In Tabelle 3 sind schließlich die Korrelationen der Kennwerte aus dem Lückentest Rechtschreibleistung mit der impliziten morphematischen Bewusstheit (Satzergänzungstest) und der fluiden Intelligenz dargestellt. Diese wurden durchgeführt um ein differenziertes Bild über die Zusammenhänge der unterschiedlichen Facetten der Rechtschreibleistung (richtig geschriebene Wörter, korrekt verschriftlichte Grapheme, Verstoße gegen die lautorientierte Schreibung, richtig verschriftlichte orthografische Schlüsselpositionen, richtig verschriftlichte morphematische Schlüsselpositionen) mit der impliziten morphematischen Bewusstheit sowie der fluiden Intelligenz zu erhalten. Es zeigen sich hier hohe Zusammenhänge der impliziten morphematischen Bewusstheit mit den allgemeinen Rechtschreibkennwerten Summe der korrekt verschriftlichten Grapheme (r = . 61) und Summe der richtig geschriebenen Wörter (r = .65) sowie mit der Summe der richtig verschriftlichten morphematischen Schlüsselpositionen (r = . 61) und der Summe der richtig verschriftlichten orthografischen Schlüsselpositionen (r = .58). Der Zusammenhang mit dem Kennwert Verstoß gegen die lautorientierte Schreibung ist

51


Fokus Forschung

52

R. Kargl et al.: Morphematische Bewusstheit & Rechtschreibleistung

suchen und letztlich die Schreibung von diesen abzuleiten (May, 2012). Die deskriptiven Statistiken zur impliziten morphematischen Bewusstheit belegen für die muttersprachlichen Schüler und Schülerinnen der untersuchten Schulstufen eine gut ausgeprägte morphematische Bewusstheit, die über die Schulstufen hinweg im Ansteigen begriffen ist (siehe Tab.  2). In diesem Sinne stützen die Ergebnisse eine Sichtweise, die morphematische Kompetenzen als eine sich über einen längeren Zeitraum entwickelte Ressource betrachten (Winkes, 2014). Ferner weisen die durchgeführten Analysen auf eine sehr starke Beziehung zwischen der morphematischen Bewusstheit und der allgemeinen Rechtschreibleistung hin. Dieser enge Zusammenhang belegt den erheblichen Einfluss der morphematischen Bewusstheit auf die Rechtschreibleistung. Dieser Befund lässt sich vor dem Hintergrund linguistischer Daten plausibel erklären. Schon in der amtlichen Regelung der Rechtschreibung wird das Stammprinzip neben dem Lautprinzip als Grundlage für die Wortschreibung herausgestellt (Ebner, 2006). Die große Gewichtung des morphematischen Prinzips im deutschen Schriftsystem wird auch von Corvacho del Toro (2017) herausgearbeitet. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass vor allem die Kennwerte Summe der richtig verschriftlichten morphematischen Schlüsselpositionen aber auch die Summe der richtig verschriftlichten orthografischen Schlüsselpositionen einen substanziellen Zusammenhang mit der impliziten morphematischen Bewusstheit aufweisen (siehe Tab.  3). Umgekehrt fällt die Korrelation mit der fluiden Intelligenz deutlich geringer aus, was einen weiteren Beleg für die konvergente und diskriminante Validität des Verfahrens darstellt. Bei der morphematischen Bewusstheit, die hier ohne Rückgriff auf semantische Strategien in Form von Pseudowörtern erhoben wurde, handelt es sich also um eine relevante metalinguistische Fähigkeit, die eine wichtige Grundvoraussetzung für den Schriftspracherwerb im Allgemeinen und die Rechtschreibleistung im Besonderen darstellt. Was die Summe der richtig verschriftlichten morphematischen Schlüsselpositionen betriff , so fällt der Zusammenhang mit der allgemeinen Rechtschreibleistung noch höher aus als jener der impliziten morphematischen Bewusstheit, wobei noch einmal eingeräumt werden muss, dass diese Scores aus demselben Wortmate­rial abgeleitet wurden. Davon abgesehen ähnelt das Korrelationsmuster jenem der morphematischen Bewusstheit, auch was den Zusammenhang mit der fluiden Intelligenz betriff , der deutlich geringer ausfällt. Vor allem die sehr hohen Korrelationen der Summe der richtig verschriftlichten morphematischen Schlüsselpositionen mit der allgemeinen Rechtschreibleistung belegen die Wichtigkeit und Bedeutung morphematischer Kompetenzen im Schriftspracherwerb. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 45 – 54

Im Hinblick auf eine zielgerichtete Förderung von Kindern mit Problemen beim Erlernen des Lesens und Schreibens existiert bislang kein normiertes Testverfahren, das morphematische Kompetenzen im Sinne einer Unterscheidung von morphematischer Bewusstheit und morphema­ tischer Rechtschreibstrategie differenziert erfasst. Eine möglichst präzise Bestimmung morphematischer Kompetenzen stellt aber mit Sicherheit eine wichtige Grundlage für den adäquaten Einsatz bestehender bzw. bereits auf dem Markt existierender morphematisch orientierter Förderprogramme dar. Obwohl mehrere Studien belegen, dass morphematische Trainingsprogramme zu Kompetenzsteigerungen bei schriftsprachlichen Aufgaben führen (Carlisle, 2000; Scheerer-Neumann, 1979; Singson et al., 2000; Kargl et al. , 2008; Kargl et al. , 2011; Schneeberger et al. , 2011), bleibt die Diagnostik in diesem Bereich unterbelichtet. Untersuchungen wie die vorliegende könnten diese Forschungslücke schließen und bieten die Möglichkeit Defizi e im morphematischen Bereich genauer zu spezifizi ren und in weiterer Folge auch zu bearbeiten. Auf jeden Fall sollte es das Ziel eines umfassenden Rechtschreibtrainings sein, eine morphematische Rechtschreibstrategie und eine morphematische Bewusstheit aufzubauen. Vor allem was ein Training der morphematischen Bewusstheit angeht, so gibt es noch sehr viel Forschungsbedarf. Erste Befunde im Norwegischen belegen z.  B. die Wirksamkeit eines Trainings der morphologischen Bewusstheit im Vorschulbereich auf die Lesefähigkeit in der 6. Schulstufe; also durchaus auf ein Alter, das in der vorliegenden Arbeit untersucht wurde (Lyster, Lervag & Hulme, 2016). Ob sich derartige Ergebnisse auch auf andere Sprachen bzw. Bereiche wie die Rechtschreibung übertragen lassen, muss in Zukunft noch näher untersucht werden. Praktische Konsequenzen ergeben sich aus der Arbeit aber auch für den Rechtschreibunterricht. Insgesamt wäre eine größere Gewichtung im Hinblick auf mor­phematisches Wissen (im Sinne einer ausgeprägten morphematischen Bewusstheit sowie einer umfassenden morphematischen Rechtschreibstrategie) im Rechtschreibunterricht wünschenswert. Eine umfassende Implementierung von Übungen zum Umgang mit morphematischen Regularitäten wäre im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Rechtschreibleistung sicherlich bedenkenswert.

Danksagung Unser besonderer Dank gilt allen Kindern, Lehrern und Lehrerinnen, Direktoren und Direktorinnen sowie den Eltern für die engagierte Mitarbeit und die Teilnahme an der Untersuchung, Dieses Projekt wurde mit Fördermitteln der Stadt Graz finanzie t. © 2018 Hogrefe


R. Kargl et al.: Morphematische Bewusstheit & Rechtschreibleistung

53

Implikationen für die Praxis in größerem Umfang in den Regelunterricht wünschenswert. Neben Übungen zu den orthografis hen Rechtschreibbereichen, sollten vermehrt auch Übungen zur Segmentierung in Morpheme und zum Aufbau einer ausgeprägten morphematischen Rechtschreibstrategie implementiert werden. Dabei sollten nicht nur die häufig ten Prä- und Suffi e im Mittelpunkt stehen, sondern vor allem auch produktive Wortstämme, von denen sich (Rechtschreib-) Wortfamilien ableiten lassen. Für Lernende mit Defizi en im Schriftspracherwerb (Stichwort „Rechtschreibschwäche“) wäre eine genauere Bestimmung des Entwicklungsstandes im morphematischen Bereich möglich, so dass eine präzisere Planung von (morphematischen) Interventionsmaßnahmen möglich wird. Auch hier sollte das Ziel der Aufbau einer morphematischen Rechtschreibstrategie und einer aus­ geprägten morphematischen Bewusstheit sein. Kinder sollten in der Lage sein, das morphematische System zu durchschauen, Wörter in Morpheme zu zerlegen und bewusst damit umzugehen. Für Kinder, die Defizi e in der impliziten morphematischen Bewusstheit aufweisen, wären auch Übungsformen denkbar, die eben diesen Bereich trainieren. Gerade hier ist aber weitere Forschungsarbeit vonnöten.

Forschungsmethoden Die vorliegende Studie untersuchte eine Stichprobe von 1125 Kindern der 4. – 7. Schulstufe aus Österreich ­(Steiermark, Kärnten) und Deutschland (Niedersachsen, Hessen) hinsichtlich ihrer Rechtschreibleistungen und ihrer morphematischen Kompetenzen. Abgesehen von der großen Anzahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde Wert auf eine möglichst repräsentative Auswahl gelegt. So nahmen ProbandInnen aus jeweils zwei Bundesländern in Österreich und zwei Bundesländern aus Deutschland teil. Dadurch wird sichergestellt, dass Faktoren wie unterschiedliche Lehrpläne oder bestimmte didaktische Methoden das Ergebnis nicht beeinflussen Darüber hinaus wurden die teilnehmenden Schulen bewusst so ausgewählt, dass der demographische Hintergrund möglichst heterogen war. Die Bandbreite reichte dabei von Schulen im Stadtgebiet mit einem hohen Anteil an nicht muttersprachlichen Kindern bis hin zu Schulen in ländlichen Gebieten, die kaum von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache besucht werden. Außerdem sind in der untersuchten Stichprobe unterschiedliche Schulformen (Volks- und Grundschule, Hauptschule, Neue Mittelschule, Realschule und Gym-

© 2018 Hogrefe

nasium) vertreten. In der vorliegenden Studie wurden nur die Daten von Schülerinnen und Schülern mit Muttersprache Deutsch verwendet. Die Daten von Kindern nichtdeutscher Muttersprache werden noch gesondert untersucht. Die Testungen wurden klassenweise durchgeführt und nahmen maximal zwei Schulstunden in Anspruch. Den Schülerinnen und Schülern wurden ein eigens konstruierter Lückentest zur Erfassung der allgemeinen Rechtschreibleistung sowie ein Satzergänzungstest zur Erfassung der impliziten morphematischen Bewusstheit zur Bearbeitung vorgelegt. Die Ergebnisse belegen für die Schülerinnen und Schüler eine gut ausgeprägte morphematische Bewusstheit, die über die Schulstufen hinweg im Ansteigen begriffen ist. Ferner weisen die durchgeführte zweifaktorielle Kovarianzanalyse sowie die Korrelationen über alle Schulstufen hinweg auf eine sehr starke Beziehung zwischen der morphematischen Bewusstheit und der allgemeinen Rechtschreibleistung hin. Dieser enge Zusammenhang belegt den erheblichen Einfluss der morphematischen Bewusstheit auf die Rechtschreibleistung.

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 45 – 54

Fokus Forschung

Schon seit einiger Zeit gilt der morphematische Ansatz als vielversprechend und mehrere internationale Studien belegen die wichtige Rolle morphematischer Kompetenzen im Schriftspracherwerb. Dennoch wissen wir im deutschsprachigen Raum noch wenig über die genauen Zusammenhänge. Erstens werden die unterschiedlichsten (zum Teil vorschulischen) Fertigkeiten unter dem Begriff „morphematische Kompetenzen“ subsumiert, zweitens herrscht noch Unklarheit darüber, wann und in welcher Form diese Kompetenzen den Schriftspracherwerb beeinflussen und drittens existieren noch keine standardisierten diagnostischen Tests für diesen Bereich. Zunächst wird in dieser Arbeit zwischen morphema­ tischer Bewusstheit und Rechtschreibstrategie unterschieden. Während die morphematische Bewusstheit das Wissen über und den Umgang mit Morphemen betrifft, handelt es sich bei der morphematischen Rechtschreibstrategie um die konkrete Umsetzung dieses Wissens für die richtige Schreibung einzelner Wörter (z. B. „Bäcker“ kommt von „backen“, deshalb die Schreibung mit „ä“). Macht man diese unterschiedlichen Komponenten morphematischer Kompetenz messbar, so ergeben sich wichtige Konsequenzen für die Praxis. Auf jeden Fall wäre die Einbeziehung morphematischer Kompetenzen


54

R. Kargl et al.: Morphematische Bewusstheit & Rechtschreibleistung

Fokus Forschung

Literatur Berninger, V. W., Abbott, R. D., Nagy, W. & Carlisle, J. (2010). Growth in Phonological, Orthographic, and Morphological Awareness in Grades 1 to 6. Journal of Psycholinguist Research, 39, 141 – 163. Berko, J. (1958). The Child’s Learning of English Morphology. Word, 14, 150 – 177. Brunner, M. (2007). Gibt es Zusammenhänge zwischen den sprachanalytischen Leistungen im Heidelberger Vorschulscreening (HVS) und den Lese-Rechtschreibleistungen zwei Jahre später? In G. Schulte-Körne (Hrsg.), Legasthenie und Dyskalkulie: Aktu­elle Entwicklungen in Wissenschaft, Schule und Gesellschaft (S. 13 – 21). Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler. Carlisle, J. F. (1995). Morphological awareness and early reading achievement. In L. Feldman (Hrsg.), Morphological aspects of language processing (S. 189 – 209). Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum Associates Inc. Carlisle, J. F. (2000). Awareness of the structure and meaning of morphologically complex words: Impact on Reading. Reading and Writing: An Interdisciplinary Journal, 12, 169 – 190. Casalis, S., Cole, P. & Sopo, D. (2004). Morphological Awareness in Developmental Dyslexia. Annals of Dyslexia, 54, 114 – 138. Corvacho del Toro, I. (2017). Orthographische Prinzipien aus graphematischer Sicht. Eine neue Betrachtung. In K. Siekmann, I. Corvacho del Toro & R. Hoffmann-Erz (Hrsg.), Schriftsprachliche Kompetenzen in Theorie und Praxis (S. 61 – 70). Tübingen: Stauffenburg. Corvacho del Toro, I. & Hoffmann-Erz, R. (2014). Was ist lautgetreu? Zur Notwendigkeit einer begriffli hen Differenzierung. In: K. Siekmann (Hrsg.), Theorie, Empirie und Praxis effektiver Rechtschreibdiagnostik (S. 29 – 40). Tübingen: Stauffenburg. Derwing, B. L., Smith, M. L. & Wiebe, G. E. (1995). On the role of spelling in morpheme recognition: Experimental studies with children and adults. In L. Feldman (Hrsg.), Morphological aspects of language processing (S. 3 – 27). Hillsdale, NJ: Erlbaum. Ebner, J. (2006). Wie schreibt man recht? Die aktuelle Rechtschreibung 2006 – kurz gefasst. Wien: öbv & hpt. Elsen, H. (2011). Grundzüge der Morphologie des Deutschen. Berlin: Walter de Gruyter. Fink, A., Pucher, S., Reicher, A., Purgstaller, C. & Kargl, R. (2012). Entwicklung eines Tests zur Erfassung der morphematischen Bewusstheit: Erste Daten. Empirische Pädagogik, 26, 423 – 451. Goodwin, A. P. & Ahn, S. (2010). A meta-analysis of morphological interventions: Effects on literacy achievement of children with literacy difficultie . Annals of Dyslexia, 60, 183 – 208. Goodwin, A. P. & Ahn, S. (2013). A meta-analysis of morphological interventions in English: Effects on literacy outcomes for schoolage children. Scientific Studies of Reading, 17, 257 – 285. Haffner, J., Zerahn-Hartung, C., Pfüller, U., Parzer, P., Strehlow, U. & Resch, F. (1998): Auswirkungen und Bedeutung spezifis her Rechtschreibprobleme bei jungen Erwachsenen- empirische Befunde in einer epidemiologischen Stichprobe. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 26, 124 – 135. Hoffmann-Erz, R. (2015). Lernprozesse im Orthographieerwerb. Eine empirische Studie zur Entwicklung der Generalisierungskompetenz. Berlin: wvb. Kargl, R., Purgstaller, C. & Fink, A. (2014). Morphembasiertes Rechtschreibtraining mit MORPHEUS – Möglichkeiten eines besonders effizien en Förderansatzes. In G. Schulte-Körne (Hrsg.), Legasthenie und Dyskalkulie: Neue Methoden zur Dia­gnostik und Förderung (S. 167 – 179). Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler. Kargl, R., Purgstaller, C., Mrazek, C., Ertl, K. & Fink, A. (2011). Förderung der Lese- und Rechtschreibkompetenz auf Basis des morphematischen Prinzips. Zeitschrift für Heilpädagogik, 2, 61 – 68.

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 45 – 54

Kargl, R., Purgstaller, C., Weiss, S. & Fink, A. (2008): Effektivitätsüberprüfung eines morphemorientierten Grundwortschatz-Segmentierungstrainings (MORPHEUS) bei Kindern und Jugendlichen. Heilpädagogische Forschung, 34, 147 – 156. Landerl, K. & Moll, K. (2010). Lese- und Rechtschreibtest (SLRT II). Bern: Huber. Larkin, R. F. & Snowling, M. J. (2008). Morphological spelling development. Reading and Writing Quarterly, 24, 363 – 376. Leong, C. K. (2000). Rapid processing of base and derived forms of words and grades 4, 5 and 6 children's spelling. Reading and Writing: An Interdisciplinary Journal, 12, 277 – 302. Lyster, S. A. H., Lervåg, A. O. & Hulme, C. (2016). Preschool morphological training produces long-term improvements in reading comprehension. Reading and Writing: An Interdisciplinary Journal, 29, 1269 – 1288. May, P. (2012). Hamburger Schreibprobe. Diagnose orthographischer Kompetenz (HSP 1- 10). Hamburg: vpm. Mahony, D., Singson, M. & Mann, V. (2000). Reading ability and sensitivity to morphological relations. Reading and Writing: An Interdisciplinary Journal, 12, 191 – 218. Nagy, W., Berninger, V., Abbott, R., Vaughan, K. & Vermeulen, K. (2003). Relationship of Morphology and Other Language Skills to Literacy Skills in At-Risk Second-Grade Readers and At-Risk Fourth-Grade Writers. Journal of Educational Psychology, 95, 730 – 742. Scheerer-Neumann, G. (1979). Intervention bei Lese-Rechtschreibschwäche. Überblick über Theorien, Methoden und Ergebnisse. Bochum: Kamp. Schneeberger, B., Kargl, R., Purgstaller, C., Kozel, N., Gebauer, D., Vogl, J. et al. (2011). Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Problemen im Schriftspracherwerb. Zeitschrift für Heilpädagogik, 12, 476 – 483. Schulte-Körne, G. & Remschmidt, H. (2003): Legasthenie – Symptomatik, Diagnostik, Ursachen, Verlauf und Behandlung. Deutsches Ärzteblatt, 100(7), 396 – 406. Singson, M., Mahony, D. & Mann V. A. (2000). The relation between reading ability and morphological skills: Evidence from derivational suffi es. Reading and Writing: An Interdisciplinary Journal, 12, 219 – 252. Weiß, R. H. & Weiß, B. (2006). CFT 20-R – Grundintelligenztest Skala 2 – Revision. Göttingen: Hogrefe. Winkes, J. (2014). Isolierte Rechtschreibstörung: Eigenständiges Störungsbild oder leichte Form der Lese-Rechtschreibstörung? Eine Untersuchung der kognitiv-linguistischen Informationsverarbeitungskompetenzen von Kindern mit Schriftspracherwerbsstörungen. Unveröffentlichte Dissertation, Universität Freiburg, Schweiz. Manuskript eingereicht: 11.04.2017 Manuskript nach Revision angenommen: 11.09.2017

Reinhard Kargl Lese-Rechtschreib-Institut St. Veiter Straße 20a 8046 Graz Österreich legasthenie@aon.at

© 2018 Hogrefe


ERT JE Holzer / Lenart / Schaupp

Eggenberger Rechentest für Jugendliche und Erwachsene

ERT JE

Manual

Eggenberger Rechentest für Jugendliche und Erwachsene

Diagnostikum für Dyskalkulie für Beginn der 7. Schulstufe bis Ende der 8. Schulstufe und nach Schulabschluss Norbert Holzer / Friederike Lenart / Hubert Schaupp Unter Mitarbeit von Ursula Grasser und Rosina Haider

ERT JE

Einsatzbereich Jugendliche in den letzten Pflichtschuljahren und Erwachsene; Gruppen- und Einzeltestung.

Norbert Holzer Friederike Lenart Hubert Schaupp

Diagnostikum für Dyskalkulie für Beginn der 7. Schulstufe bis Ende der 8. Schulstufe und nach Schulabschluss

unter Mitarbeit von Ursula Grasser Rosina Haider

Zusätzlich erhältlich ERT 0+ Best.-Nr. 03 190 01 € 115,00 / CHF 142.00 ERT 1+ Best.-Nr. 03 136 01 € 91,00 / CHF 113.00 ERT 2+ Best.-Nr. 03 141 01 € 93,00 / CHF 114.00 ERT 3+ Best.-Nr. 03 142 01 € 107,00 / CHF 131.00 ERT 4+ Best.-Nr. 03 143 01 € 107,00 / CHF 131.00

www.hogrefe.com

Verfahren Der ERT JE erfasst die Rechenkompetenz mit einer Feindifferenzierung im unteren Leistungsbereich (Rechenschwäche / Dyskalkulie). Anhand der Bearbeitungszeit wird zusätzlich das Ausmaß an Automatisierung oder ineffizienten Lösungsstrategien erfasst. Der Test besteht aus zwei Teilen, um bei der Durchführung eine Pause zu ermöglichen. Mittels 16 Skalen werden Fähigkeiten und Fertigkeiten in wesentlichen Dimensionen der Mathematik überprüft. Diese lassen sich zu den vier Faktoren Mathematische Ordnungsstrukturen, Arithmetische Fertigkeiten, Größenbeziehungen und Angewandte Mathematik zusammenfassen, die Aufschluss geben über individuelle Stärken und Schwächen sowie über den Stand der Entwicklung mathematischer Kompetenzen. Aufgrund der erreichten Werte können direkt Förderschwerpunkte abgeleitet werden. Die Summe der vier Faktoren ergibt den Gesamtwert Mathematische Leistung. Prozessdiagnostisch können anhand des ERT JE Veränderungen durch gezielte Förderung überprüft und nachgewiesen werden. Normen Ca. 2 400 Schülerinnen und Schüler der entsprechenden Altersgruppe. Bearbeitungsdauer Gruppentest: z. B. zwei Einheiten à 50 Minuten oder zwei Schulstunden. Einzeldurchführung: 20 bis 80 Minuten. Auswertung: ca. 5 bis 7 Minuten. Test komplett Bestehend aus: Manual, je 10 Testheften Teil A und B, je 10 Auswertungsbogen 7. und 8. Schulstufe, je 5 Klassenprofilen 7. und 8. Schulstufe, Auswertungsvorlage und Box. Best.-Nr. 03 472 01, € 115,00 / CHF 132.00


Aktuelle Sachbücher und Ratgeber Pasqualina Perrig-Chiello

Wenn die Liebe nicht mehr jung ist Warum viele langjährige Partnerschaften zerbrechen und andere nicht 2017. 232 S., 20 Abb., Gb € 24,95 / CHF 32.50 ISBN 978-3-456-85587-5 Auch als eBook erhältlich HOG_Perrig_Liebe_155_225.indd 1

Die Kraft aus dem Selbst

Sieben PsychoGyms für das Unbewusste 3., unveränd. Aufl. 2017. 304 S., Gb € 24,95 / CHF 32.50 ISBN 978-3-456-85775-6 Auch als eBook erhältlich

08.05.17 11:11

Gibt es ein Rezept für eine lebenslange glückliche Partnerschaft? Warum zerbrechen viele langjährige Partnerschaften, andere jedoch nicht? Wie überwindet man eine Scheidung nach vielen Ehejahren? Das Buch gibt Antworten auf häufig gestellte, bislang aber kaum beantwortete Fragen, regt zum Denken an und eröffnet neue und ermutigende Perspektiven.

Michael Rufer / Heike Alsleben / Angela Weiss

Stärker als die Angst

Ein Ratgeber für Menschen mit Angst- und Panikstörungen und deren Angehörige 2., erg. und korr. Aufl. 2016. 160 S., 18 Abb., 5 Tab., Kt € 19,95 / CHF 26.90 ISBN 978-3-456-85610-0 Auch als eBook erhältlich

Durch ihre langjährige Erfahrung in der Beratung und Therapie von Menschen mit Angsterkrankungen und deren Angehörigen sind die Autoren bestens mit deren Problemen vertraut. In diesem Buch haben sie ihr Wissen in allgemein verständlicher Form anschaulich zusammengefasst. Der Ratgeber eignet sich optimal zur Selbsthilfe oder begleitend zu einer laufenden Behandlung.

www.hogrefe.com

Maja Storch / Julius Kuhl

Dieses Buch behandelt anhand der PSI-Theorie von Julius Kuhl die Eigenschaften des Selbst und vermittelt einen fundierten Einblick in die Funktionsweise unbewusster psychischer Vorgänge. Mit den sieben PsychoGyms lässt sich üben, das eigene Selbst anzusteuern und zu entwickeln, um zuverlässigen Zugang zu der Kraft aus dem Selbst zu bekommen.

Donald W. Pfaff

Das altruistische Hirn Sind wir von Natur aus gut? Übersetzt von Cathrine Hornung. 2016. 320 S., Kt € 26,95 / CHF 35.90 ISBN 978-3-456-85586-8

Sind wir Menschen aufgrund natürlicher Evolution gute und sozial kompetente Wesen? Welche Rolle spielen Gesetz und Religion für „gutes Verhalten“? Was verleitet einen Menschen zu einer Handlung, deren einziger Zweck darin besteht, „gut“ zu sein?


Rezensionen

Anne Maria Kaduk, Dr. habil. Heinz Rosin und Maria Weise über

MARKO-D 1+ Mathematik- und Rechenkonzepte bei Kindern der ersten Klassenstufe – Diagnose A. Fritz, A. Ehlert, G. Ricken & L. Balzer (2017). Göttin­ gen: Hogrefe. Bestell-Nr. 0144001. Test komplett € 278.– Der Test baut auf den MARKO-D (Mathematik- und Rechenkonzepte im Vorschulalter – Diagnose, 1. Auflage 2013) von Ricken, Fritz und Balzer auf und bietet ein theoretisch fundiertes Verfahren zur Diagnostik früher mathematischer Kompetenzen. In diesem wurde ein Entwicklungsmodell zur Zahlenverarbeitung und numerischen Entwicklung für den schrittweisen Aufb u von fünf Konzepten (Niveaus) theoretisch und empirisch belegt und nun im MARKO-D1+ um das Konzept „Zahlen zu Einheiten bündeln“ erweitert. Beide Verfahren sind nicht nur über den gemeinsamen theoretischen Ansatz miteinander verbunden, sondern auch über eine Reihe identischer „Ankeritems“. Wie die Autoren im „Manual“ (S. 13) ausführen, gingen sie bei der Modellbildung von der nachgewiesenen Annahme aus, dass „zentrale arithmetische Konzepte sukzessiv erworben werden und hierarchisch aufeinander aufb uen“. Laut Vorwort der Herausgeber ist das Verfahren sowohl als Gruppentest als auch als Einzeltest bereits kurz nach der Einschulung durchführbar, wobei es aber wohl eher als ein Einzeltest für Erstklässler und Kinder zu Beginn der zweiten Klassenstufe verwendet werden sollte, wie von den Autoren formuliert. Es liegen Altersnormen für zwei Messzeitpunkte vor: (1) für die letzten sechs Wochen des ersten Schulhalbjahres der ersten Klasse sowie (2) für die letzten sechs Wochen der ersten Klasse bzw. für die ersten sechs Wochen der zweiten Klasse. Die Ergebnisse können dann zur Erfassung des Entwicklungsstandes und zum Vergleich mit Gleichaltrigen genutzt werden. Die Aufgaben werden durch die kindgerechte Geschichte von den zwei Eichhörnchen Ben und Lisa umrahmt, die vorgelesen wird. Dadurch wechseln sich Bearbeitungsund Zuhörphasen ab. Das Kind kann sich zwischen den Anforderungen entspannen. Die Mitarbeit und Konzentration wird begünstigt. Die Handlung um die Eichhörnchen Ben und Lisa und deren Freunde wurde aus dem MARKO-D übernommen. Das dekorativ gestaltete Aufgabenbuch mit den verschie© 2018 Hogrefe

denen Abbildungen, das beim Test zwischen Testleiter und Kind aufgestellt wird, kann dabei helfen, einen Zugang vor allem bei ängstlichen Mädchen und Jungen zu bekommen. Der im MAKRO-D gewählte kompetenzorientierte ­Ansatz geht von einer gewissen Ordnung beim Aufb u des mathematischen Wissens im Vorschulalter aus und impliziert, dass Konzepte mathematischen Tuns eine entscheidende Rolle spielen, um entsprechende mathematische Sachverhalte und Zusammenhänge zu verstehen. Die Reihenfolge der Konzepte wurde über theoretische Überlegungen und Erkenntnisse auf empirischer Art gewonnen. Letztlich, so schreiben die Autoren, konnte das Modell in seinem Aufb u mittels empirischer Überprüfung repliziert werden. (vgl. Ricken, Fritz, Balzer, 2011). Die Niveaustufen werden akzentuiert beschrieben: Niveaustufe I: Zählzahl Niveaustufe II: Ordinaler Zahlenstrahl Niveaustufe III: Kardinalität und Zerlegbarkeit Niveaustufe IV: Klasseninklusion und Enthaltensein Niveaustufe V: Relationalität Niveaustufe VI: Zahlen zu Einheiten bündeln (vgl. Manual S. 13) Trotz der Annahme, dass ein sukzessiver Erwerb und hierarchischer Aufb u der arithmetischen Konzepte und Niveaustufen erfolgt, verläuft dieser nicht vollkommen linear. Die Autoren sprechen hierbei eher von einem „Prozess überlappender Wellen in der Entwicklung von Konzepten“, bei dem neues und altes Wissen durchaus über einen gewissen Zeitraum hinweg gleichzeitig existieren. Der Test MARKO-D 1+ setzt sich aus 48 Items zusammen. Die Niveaus I und II werden durch insgesamt acht Items operationalisiert. Zum Niveau I werden drei Items gezählt, deren Anforderung darin besteht, Mengen schätzend zu vergleichen. Das Niveau II umfasst fünf Items, die gewissermaßen voraussetzen, dass Zahlen in einer festliegenden Reihenfolge stehen, so etwa auf einem mentalen ordinalen Zahlenstrahl (Vorgänger, Nachfolger, liegt zwischen). Auch werden Anforderungen gestellt, die ohne bzw. mit Hilfsmitteln (rote und blaue Plättchen) über Auszählen bzw. Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 55 – 56 https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000199


Rezensionen

56

handelnd über das Auslegen entsprechender Plättchen gelöst werden können. Beide Niveaus werden in der Auswertung zusammengefasst. Auf der dritten Niveaustufe sind sechs Items zu Kardinalität und Zerlegbarkeit durch Auszählen bzw. durch Legen von Plättchen zu bearbeiten. Mittels zehn Items wird auf Niveaustufe IV geprüft, ob die entsprechenden Kompetenzen verstanden wurden. Dazu zählt Wissen über das Teil-Teil-Ganze-Konzept. Also ob begriffen wurde, dass eine Gesamtmenge in Teilmengen aufgeteilt werden kann oder umgekehrt sich die Gesamtmenge aus den beiden Teilmengen erschließt. Es wird so angenommen, dass wenn zwei der Mengen bekannt sind, auf die dritte geschlossen werden kann. Diese Annahme wird an Text- und Platzhalteraufgaben getestet, wobei das Lösen wieder im Kopf oder mittels Plättchen erfolgen soll. Niveau V umfasst insgesamt elf Items, bei denen vor allem das Verständnis der Relationalität von Zahlen thematisiert wird, wobei hier neben einer formalen Rechenaufgabe zehn in Text gekleidete Instruktionen auszuführen sind. Bei den Items auf dem Niveau VI handelt es sich um neunzehn Teilaufgaben, die dann als insgesamt dreizehn vollwertige Items gezählt werden. Diese Items beinhalten Aufgaben zum Zerlegen, Bilden und Ergänzen von Mengen / Zahlen und erfordern Verständnis für die Struktur von Zehnerzahlen (Stellenwertsystem, z. B. Angabe von Nachbarzehnern). Die Anordnung der Items wurde im Test nicht stringent nach den Niveaustufen vorgenommen, sondern variiert aufgrund des Inhaltes. Dies kann eine erfolgreiche Absolvierung des Tests unterstützen und zum anderen die Anstrengungsbereitschaft und Konzentration stärken. Auch gibt es kein Abbruchkriterium im Test. Im Normierungsdatensatz des Marko-D1+ wurden insgesamt 1672 Kinder im Alter zwischen 71 und 119 Monaten, aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und aus den Stadtstaaten Berlin und Hamburg einbezogen. Das Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen entsprach der Zusammensetzung von Grundschulklassen laut Statistischem Bundesamt für das Schuljahr 2013 / 2 014. Die Angaben zur Größe der Städte, aus der die Kinder stammen (vgl. Manual S. 41) sind so nicht eindeutig, wobei zu fragen wäre, ob Städte mit weniger als 10 000 Einwohnern nicht einbezogen wurden. Zur Überprüfung der Güte des Tests können mehrere Kriterien zurate gezogen werden. Die Objektivität wird in drei Bereiche gegliedert: Durchführungs-, Auswertungs- und Interpretationsobjektivität. Die Durchführungsobjektivität wird insofern gewährleistet, da es klare Vorgaben für die Testbedingungen und die vorzulesenden Instruktionen gibt. Befolgt man diese, können die Einflüsse des Testleiters minimiert werden. In Bezug auf die Auswertungsobjektivität kann auf das Testprotokoll Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 55 – 56

verwiesen werden. Hier werden Angaben zu richtigen oder falschen Antworten gemacht und eine entsprechende Punktebewertung erleichtert die Auswertung. Durch die vorhandenen Normtabellen ist die Interpretationsobjektivität gewährleistet und die qualitative Zuordnung zu den angegebenen Entwicklungsniveaus gesichert. Die Testreliabilität beim MARKO-D 1+ liegt bei .90 und die Itemreliabilität bei 1.0 (siehe Manual S. 49). Für die Validität – insbesondere die Inhaltsvalidität – spricht die Theoriegebundenheit der Itemkonstruktionen. Mit dem Diagnostikum MARKO-D1+ wird ein sehr ausgefeiltes, operationalisiertes Konstrukt an Items angeboten, deren Bewältigung eine zweidimensionale Einordnung der frühen Kompetenzentwicklung von Schulkindern ermöglicht. Zum einen kann durch die quantitative Bestimmung der Testleistung und den Vergleich mit der Normtabelle für einen der zwei Messzeitpunkte der Prozentrang, der T-Wert und das T-Wert-Band abgelesen werden (Tabelle 10 und 11). Andererseits kann die qualitative Niveauzuordnung über die Zuordnung von Rohwerten zu Entwicklungsniveaus (Tabelle 12) erfolgen. Dies kann, wie die beschriebenen Beispiele im Manual verdeutlichen, zwangsläufig zu Unterschieden in der Bewertung der erreichten Entwicklungsniveaus zwischen Probanden trotz gleicher Punktzahl bei voneinander abweichenden Lösungsmustern führen. Die in diesem Testverfahren mögliche und aus statistischer Sicht notwendige quantitative und qualitative Auswertung ist sehr zu begrüßen, weil so Entwicklungsstände sichtbarer und Entwicklungsverzögerungen bezogen auf das verwendete theoretische Modell konkreter fassbar erscheinen. Testwiederholungen etwa in den oben genannten zeitlichen Rhythmen können durchaus individuelle Entwicklungsschritte erkennbar machen, werden aber sicher auch die bekannten Effekte nach sich ziehen. Verbessert werden könnte jedoch das Layout der gegebenen Protokollbögen, die keinen Platz für Notizen von Beobachtungen während der Testdurchführung bieten. Zudem sollte durch den Testleiter sichergestellt werden, dass das Kind nicht in der dargebotenen „Eichhörnchen Geschichte versinkt“ und diese weiter träumt, sondern auch in der Lage ist, den auditiv gestellten Aufgaben zu folgen.

Literatur Ifrah, G. (1998). Universalgeschichte der Zahlen (Sonderausgabe). Köln: Parkland Verlag. Langhorst, P. (2013). Tragfähige arithmetische Fähigkeiten beim Erwerb des Rechnen Lernens und Möglichkeiten der vorschulischen Förderung. Dissertation, Universität Duisburg-Essen. Ricken, G., Fritz, A. & Balzer, L. (2011). Mathematik und Rechnen – Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter (MARKO-D) – ein Beispiel für einen niveauorientierten Ansatz. Empirische Sonderpädagogik, Nr. 3, 256 – 271. © 2018 Hogrefe


Rezensionen

Marlies Lipka, Diplomlehrerin, M. A. Bildungsmanagement, Integrative Lerntherapeutin FiL, über

Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie Grundlagen, Diagnostik und Förderung Gerheid Scheerer-Neumann (2015). 1. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-028825-6, 172 S., € 27,00 Das Buch hält, was der Titel verspricht. Als Grundlagenund Lehrbuch und Nachschlagewerk zugleich bietet das Buch sowohl Deutsch- und Förderlehrer / innen wie auch Lerntherapeut / innen eine hervorragende Zusammen­ fassung des Themas LRS; der Schwerpunkt wird auf pädagogische und psychologische Komponenten gelegt. In den ersten vier der insgesamt zwölf Kapitel beschreibt die Autorin die Problematik der massiven Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Rechtschreibens. Sie erörtert aktuelle Forschungsansätze, die Verwendung der unterschiedlichen Begriffe, Definition ansätze, Faktoren der Verursachung sowie die soziale und psychische Situation der Betroffenen. In den Kapiteln fünf bis zwölf werden der Schriftspracherwerb, die Schwierigkeiten beim Erwerb, der Lerngegenstand Schriftsprache selbst, die Diagnostik der Kompetenzen im Lesen und Rechtschreiben sowie Möglichkeiten der Intervention thematisiert. Dabei widmen sich drei Kapitel dem Bereich Lesen / Leseförderung und räumen diesem mit der Untergliederung: Basales Lesen, Leseflüssigkeit und Leseverständnis / Leseverstehen einmal einen größerer Raum ein als dem Rechtschreiben. Im Kapitel 12 wird der Blick abschließend auf Möglichkeiten der Prävention im vorschulischen Bereich gelenkt. Zur Diagnose der Lese- und Rechtschreibkompetenzen werden ausgewählte Verfahren vorgestellt, zumeist auf die Ökonomie des Einsatzes verwiesen und zudem beschrieben, welche Kompetenzen gemessen werden.

© 2018 Hogrefe

Neben psychologischen und didaktischen Grundprinzipien werden auch spezifi che Förderprogramme vorgestellt und wo vorhanden auf die entsprechenden Wirksamkeitsstudien verwiesen. Es wird dabei deutlich herausgearbeitet, dass die Evaluationsstudien die Wirksamkeit der Programme nur unter identischen Trainingsbedingungen messen können, die notwendige individuelle Anpassung kann dabei jedoch nicht berücksichtigt werden. Auch wird wiederholt darauf hingewiesen und auch belegt, dass eine Förderung immer direkt mit dem Lerngegenstand Schrift verbunden sein muss, reine Wahrnehmungstrainings fördern die Leistungen im Lesen und Rechtschreiben nicht. Das Buch arbeitet insofern auch die Bedeutung der Kompe­tenzen der (Förder-)lehrer / innen und explizit Lerntherapeut / innen heraus. Es beinhaltet zudem eine Kurzdefinition der Lerntherapie. Neben den Bezügen zu Evaluationsstudien werden die Darstellungen durch Fallbeispiele illustriert. Logische Untergliederungen sowie Zusammenfassungen am Ende ­jedes Kapitels erhöhen die Lesbarkeit und erleichtern das Nachschlagen. Ein ausführliches Literatur- und Stichwortverzeichnis runden die inhaltliche Darstellung ab. Die gut lesbare und auf insgesamt nur 172 Seiten sehr ­prägnante und dennoch umfassende Darstellung der Grundlagen, Diagnostik und Förderung der LRS sollte in jeder Schule, jeder lerntherapeutischen Praxis und ganz besonders in den entsprechenden Aus- bzw. Weiter­ bildungseinrichtungen verfügbar sein.

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 57 https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000200


Helmut Lukesch (Hrsg.)

Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten von Kindern und Jugendlichen Handlungsmöglichkeiten für Lehrkräfte

Helmut Lukesch (Hrsg.)

Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten von Kindern und Jugendlichen

2016, 440 Seiten, € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-8017-2746-8 Auch als E-Book erhältlich

Handlungsmöglichkeiten für Lehrkräfte

Kinder und Jugendliche können verschiedenste Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten zeigen. Diese reichen von schulischen Problemen wie Lese-Rechtschreibschwierigkeiten oder Prüfungsangst über Mobbing und Drogenmissbrauch bis hin zu Essstörungen. Die Schule ist dabei neben der Familie der Ort, an dem solche Probleme bereits präventiv angegangen werden können. Lehrkräfte erfahren in diesem Band, wie sie Auffälligkeiten erkennen können, erhalten entsprechendes Hintergrundwissen und lernen effektive Maßnahmen kennen, mit denen sie vorbeugend oder unterstützend eingreifen können.

www.hogrefe.com

Noch nicht abonniert? Bestellen Sie jetzt Ihre gewünschte Zeitschrift bequem über unseren Webshop und profitieren Sie von einer lückenlosen Lieferung sowie vom Zugriff auf die Volltexte im Online-Archiv.

www.hogrefe.com


Wissen – kurz notiert

Leseförderung: Je früher, desto besser? Ergebnisse einer Metaanalyse zu Langzeiteffekten Ursula Fischer Universität Regensburg

V

iele Studien belegen die Wirksamkeit von Leseförderprogrammen, aber nur wenige befassen sich bislang mit den Langzeiteffekten verschiedener Formen von Leseförderung. In einer Metaanalyse verglich Sebastian Suggate (2016) nun erstmals, wie wirksam Programme zur Leseförderung auf lange Sicht wirklich sind. Dafür analysierte der Autor 71 Interventionen mit einer Gesamtteilnehmerzahl von 8161 Kindern, bei denen längere Zeit nach Ende der Förderung (im Durchschnitt nach 11,17 Monaten) eine Folgeuntersuchung stattfand. Die Interventionsinhalte umfassten dabei Vorläuferfertigkeiten des Lesens (z.  B. Phonembewusstheit oder Buchstabe-Laut-Zuordnung) ebenso wie konkrete Leseförderung (z.  B. Leseverständnis oder -flüssigkeit). Wie zu erwarten, verringerte sich die durchschnittliche Stärke des Effekts der Förderung (abgekürzt als dw) vom Ende der Intervention (dw = 0,3 7) bis zur Folgeuntersuchung (dw = 0,2 2). Wesentlich erstaunlicher war jedoch, dass Förderprogramme, die im Kindergarten- oder Vorschulalter durchgeführt wurden, eine wesentlich geringere Langzeitwirkung aufwiesen (dw = 0,12) als Förderungen, die in der ersten bis zweiten Klasse (dw = 0,26) oder in der dritten bis sechsten Klasse (dw = 0,43) stattfanden. Dieser Befund spricht dafür, dass die Effekte früher Leseförderung verblassen, wenn die Sprachentwicklung der Kinder noch nicht ausreichend fortgeschritten ist (für eine ausführliche Diskussion siehe Suggate, 2015 ).

© 2018 Hogrefe

Eine weitere wichtige Erkenntnis der Metaanalyse bestand in den Unterschieden zwischen verschiedenen Förderinhalten über alle Altersgruppen hinweg. So zeigten Förderprogramme, die Phonembewusstheit (diese definie t der Autor als die Bewusstheit für Laute, aus denen Worte zusammengesetzt sind, und grenzt sie damit von der phonologischen Bewusstheit auf der Wortebene ab) und Leseverständnis adressierten, größere Langzeiteffekte als Förderprogramme zur Verbesserung der Buchstabe-Laut-Zuordnung und der Leseflüssigkeit.

Literatur Suggate, S. P. (2015). The Parable of the Sower and the long-term effects of early reading. European Early Childhood Education Research Journal, 23, 524 – 533. Suggate, S. P. (2016). A Meta-analysis of the long-term effects of phonemic awareness, phonics, fluen y, and reading comprehension interventions. Journal of Learning Disabilities, 49, 77 – 96.

Dr. Ursula Fischer Akademische Rätin auf Zeit Lehrstuhl für Schulpädagogik Universität Regensburg Universitätsstraße 31 93053 Regensburg Deutschland ursula.fis her@ur.de

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 59 https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000198


Wissen – kurz notiert

Händigkeit und mathematische Fähigkeiten Isabelle Zuber und Karin Kucian Zentrum für MR-Forschung, Universitäts-Kinderspital Zürich, Schweiz

D

ie Zusammenhänge zwischen Händigkeit und mathematischen Fähigkeiten werden bis heute sehr kontrovers diskutiert. Einige Befunde proklamieren, dass Linkshänder besonders begabte Rechner seien wohingegen Rechtshänder und insbesondere Beidhänder die schlechteren mathematischen Fähigkeiten hätten. Andere Ergebnisse beanspruchen wiederum entsprechende Vorteile für mathematische Fähigkeiten bei Rechtshändern. Der Vergleich bisheriger Ergebnisse wird erschwert durch die methodologischen Unterschiede zwischen den Studien, wie beispielsweise die Art der Kategorisierung der Händigkeit oder das Alter der Versuchspersonen. Für ein einheitlicheres Verständnis der Zusammenhänge von Händigkeit und mathematischen Fähigkeiten führten Sala et al. (2017) fünf Studien in mehreren Schulen in Italien durch. Dabei wurde das Alter der Schüler und die Art der zu bearbeitenden Mathematikaufgabe variiert. Insgesamt nahmen 2314 Schüler an den Experimenten teil, wobei die Händigkeit über einen Fragebogen (Edinburgh Handedness Inventory) erfasst wurde und die mathematischen Fähigkeiten unterschiedlich erhoben wurden je nach Alterskategorie und zu lösender Aufgabe. Die Ergebnisse über die fünf Studien hinweg zeigen, dass sich die Händigkeit signifi ant auf die Mathematikfähigkeit auswirkt. Die Beziehung dieser beider Variablen ist jedoch sehr komplex und kann nicht anhand einfacher linearer oder quadratischer Funktion erklärt werden. Des Weiteren wird der Zusammenhang beeinflusst durch das Alter, Geschlecht und die Art der zu lösenden Mathematikaufgabe.

Lernen und Lernstörungen 2018; 7 (1): 60 https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000197

Die Hinzunahme kubischer und quartischer Funktionen ermöglicht bis zu 10 % Varianzerklärung der mathematischen Fähigkeit durch die Händigkeit, was eine deutliche Verbesserung darstellt zu dem bisherigen 1 %. Allgemein deuten die Experimente auf eine Tendenz der Benachtei­ ligung stark ausgeprägter Händigkeit, egal ob links oder rechts. Zusammenfassend belegen die fünf Studien, dass Händigkeit einen Einfluss auf mathematische Fähigkeiten hat, dass allerdings der Zusammenhang zwischen beiden nicht anhand eines einzigen Modells vorhergesagt werden kann, und insbesondere das Alter, Geschlecht und die Art der Mathematikaufgabe berücksichtigt werden sollte.

Literatur Sala, G., Signorelli, M., Barsuola, G., Bolognese, M., & Gobet, F. (2017). The Relationship between Handedness and Mathematics Is Nonlinear and Is Moderated by Gender, Age, and Type of Task. Frontiers in Psychology, 8, 948. doi: 10.3389/fpsyg.2017.00948

PD Dr. Karin Kucian Center for MR-Research University Children's Hospital Zurich Eleonore Foundation Steinwiesstrasse 75 8032 Zürich Schweiz karin.kucian@kispi.uzh.ch

© 2018 Hogrefe


Die bewährte Einführung in die Statistik

Rainer Leonhart

Lehrbuch Statistik Einstieg und Vertiefung 4., überarb. und erw. Aufl. 2017. 864 S., 148 Abb., 209 Tab., Gb € 52,95 / CHF 69.00 ISBN 978-3-456-85797-8 Auch als eBook erhältlich

Die vierte, überarbeitete und erweiterte Auflage stellt in klarer Form die relevanten Themen der Statistik vor. Nach einem einleitenden Kapitel zu häufig auftretenden Problemen der statistischen Auswertung werden nach der Definition von Messung die Deskriptive Statistik und die grafische Darstellung von Daten vorgestellt. Die Schließende Statistik wird mit einfachen parametrischen und nicht-parametrischen Verfahren eingeführt. Anschließend werden nach der Erläuterung verschiedener Korrelationskoeffizienten die einfache und multiple Regression sowie Mediator- und Moderatoranalysen besprochen. Die Varian-

www.hogrefe.com

zanalyse als eines der wichtigsten statistischen Verfahren in der psychologischen Forschung wird ausführlich dargestellt, und die Faktorenanalyse, die Clusteranalyse, die Analyse von Strukturgleichungsmodellen und andere multivariate Verfahren werden intensiv behandelt. Das Buch wird mit Kapiteln über Effektgrößen, die Auswertung am PC und zur Durchführung und Darstellung von Studien abgerundet. Rainer Leonhart lehrt seit 2008 als Akademischer Rat an der Universität Freiburg, Abteilung für Sozialpsychologie und Methodenlehre.


Jahrgang 7 / Heft 1 / 2018

Umfassend und aktuell – das komplette Wissen der Psychologie

Markus Antonius Wirtz (Hrsg.)

Dorsch – Lexikon der Psychologie

Der Dorsch in der 18. Auflage: mit über 2000 aktualisierten und überarbeiteten Stichwörtern – inklusive Dorsch Lexikon Online [www.hogrefe.com/dorsch]. Der Dorsch ist das Standardwerk, das eine umfassende Orientierung über Grundlagen, Konzepte und Begriffe der Psychologie ermöglicht. Das Lexikon der Psychologie wendet sich an Studierende der Psychologie sowie der Bezugsdisziplinen (z. B. Psychiatrie, Bildungs-, Gesundheits-, Neuro-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften), Wissenschaftler und praktizierende Fachpersonen dieser und verwandter Fächer sowie an interessierte Laien.

Der Dorsch bietet • rund 12 000 Stichwörter von über 600 Fachautoren aus allen Bereichen der Psychologie • eine strukturierte Aufbereitung der Inhalte in 19 Teilgebiete, die von renommierten Gebietsexperten betreut werden • 1200 Topstichwörter für vertieftes Wissen und schnellen Zugang zu allen Teilgebieten der Psychologie • den Zugang zum Dorsch Lexikon Online, das fortdauernd aktualisiert und erweitert wird • das aktuelle Wissen der Psychologie, kompakt und zitierfähig.

Sie können auch nur das Online-Lexikon nutzen. Unter www.hogrefe.com/dorsch stehen Ihnen verschiedene Online-Abo-Modelle zur Verfügung.

www.hogrefe.com

Lernen und Lernstörungen

Unter Mitarbeit von Janina Strohmer. 18., überarb. Aufl. 2017. 1952 S., Gb € 74,95 / CHF 95.00 ISBN 978-3-456-85643-8


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.