Leseprobe PADUA 2019

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Jahrgang 13 / Heft 1 / 2018

Herausgeber/innen Michael Bossle Doris Eberhardt Katrin S. Rohde Susanne Schewior-Popp Kordula Schneider Angelika Zegelin

PADUA

Fachzeitschrift für Pflegepädagogik, Patientenedukation und -bildung Personenzentrierte Pflege Lehren und Lernen Wie kann hermeneutische Fallkompetenz gelingen? Portfolioarbeit in der Lehrer/innenbildung für Gesundheit und Pflege Wissen und Forschen „Und jetzt soll ich waschen?…“ Pädagogische Herausforderungen der Arbeitsmigration von Pflegekräften Informiert sein und Handeln Rauchfrei – weil Gesundheit unsere Aufgabe ist! Raucherberatung als Handlungsfeld für professionell Pflegende


Pflegebedarf gekonnt und umfassend einschätzen

Marjory Gordon

Pflegeassessment Notes Pflegeassessment und klinische Entscheidungsfindung Deutsche Ausgabe herausgegeben von Jürgen Georg / Maria Müller Staub. Übersetzt von Elisabeth Brock. 2013. 288 S., 7 Abb., Gb € 24,95 / CHF 35.50 ISBN 978-3-456-84654-5

Das praktische Assessmenthandbuch für die tägliche Einschätzung des Pflegebedarfs mit Marjory Gordons Modell der funktionellen Gesundheitsverhaltensmuster. Die Notes erlauben es, präzise Fragen zu einzelnen Verhaltensmustern zu stellen sowie systematisch und akkurat Pflegediagnosen für Indi-

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viduen, Familien und Gemeinden zu erkennen und zu benennen. Spezifische Fokusassessments erlauben eine vertiefende Einschätzung einzelner Pflegephänomene. Ein praktisches Griffregister ermöglicht den raschen Zugriff auf wichtige Verhaltensmuster. Ideal für die Kitteltasche.


PADUA

Fachzeitschrift für Pflegepädagogik, Patientenedukation und -bildung

Jahrgang 13 / Heft 1 / 2018

Schwerpunkt Resonanz-Pädagogik Herausgeber Michael Bossle Doris Eberhardt Katrin S. Rohde Susanne Schewior-Popp Kordula Schneider Angelika Zegelin


Herausgeberinnen und Herausgeber

Prof. Dr. Michael Bossle, Deggendorf Doris Eberhardt, Neumarkt Katrin S. Rohde, Berlin Prof. Dr. phil. Susanne Schewior-Popp, Mainz u. Vallendar Prof. Dr. phil. Kordula Schneider, Münster Prof. Dr. rer. medic. Angelika Zegelin, Dortmund (Verantwortliche Patientenedukation)

Redaktorin

Edith Meyer, BScN, MScN, Nürnberg padua@hogrefe.ch

Verlag

Hogrefe AG, Länggass-Str. 76, CH-3000 Bern 9, Tel. +41 (0) 31 300 45 00, zeitschriften@hogrefe.ch, www.hogrefe.ch

Anzeigenleitung

Josef Nietlispach, Tel. +41 (0) 31 300 45 69, inserate@hogrefe.ch

Abonnemente

Zeitschriftenvertrieb, Tel. +41 (0) 31 300 45 13, zeitschriften@hogrefe.ch

Herstellung

Fabian Hofmann, Tel. +41 (0) 31 300 45 37, fabian.hofmann@hogrefe.ch

Satz und Druck

AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten im Allgäu

Titelbild

© BZ Pflege0

ISSN

1861-6186

Elektronische Version

econtent.hogrefe.com/loi/pad

Preise 2016

Jahresabonnement: Institute: CHF 403.– / € 313.– Private: CHF 116.– / € 87.– Studierende: CHF 67.– / € 50.– Porto und Versandgebühren: Schweiz: CHF 15.– Europa: € 15.– Übrige Länder: CHF 27.– Der Zugang zu den Volltexten ab 2006 ist im Abonnement inbegriffen und kann online aktiviert werden. Einzelheft: CHF 29.– / € 20.– (+ Porto und Versandgebühren)

Hinweise für Autoren

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Für die Einreichung Ihres Beitrags und für jegliche redaktionelle Fragen wenden Sie sich bitte an die Redaktion unter padua@hogrefe.ch. Mit der Einreichung Ihres Beitrags willigen Sie einer allfälligen redaktionellen Bearbeitung ein und bestätigen, dass das Manuskript weder im Inland noch im Ausland publiziert, und dass es nicht gleichzeitig bei anderen Publikationsorganen eingereicht wurde. Weiter bestätigen Sie, dass sämtliche Abdruckgenehmigungen von allfälligen Abbildungen vorliegen. Bitte befolgen Sie die Hinweise zur Manuskriptgestaltung, die auf www.padua-zeitschrift.com downloadbar sind. Jeder Autor erhält ein kostenloses Belegexemplar des Hefts, in dem der Artikel erschienen ist. Sonderdrucke können gegen Rechnung bestellt werden. Eine diesbezügliche Bestellung muss spätestens mit der Rücksendung der Korrekturfahnen an den Verlag erfolgen. Die Verantwortung für den redaktionellen Inhalt der einzelnen Beiträge liegt bei den Autoren.

©2018 Hogrefe


Inhalt Editorial

Personenzentrierung als gelebte Praxis

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Doris Eberhardt Schwerpunkt

Personenzentriert pflegen am Universitätsspital Basel

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Eine Annäherung an das Person-Centred Practice Modell Florian F. Grossmann, Ursi Barandun Schäfer, Famke van Lieshout und Irena Anna Frei Adherence und der personzentrierte Aufbau interner Evidence

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Patienten im langfristigen Krankheitsmanagement partnerschaftlich ­unterstützen Michael Schulz, Johann Behrens und Michael Löhr Genesungs- und Krankheitserfahrungswissen dem Fachwissen ebenbürtig­ vermitteln

21

Erfahrungen der partizipativen Zusammenarbeit mit Betroffenen aus der Praxis und Forschung auf die Bildung übertragen Eva Tola Wie ich Genesungsbegleiterin wurde

29

Das persönliche Erfahrungswissen mit psychischen Erschütterungen ­nutzbar machen für die Begleitung von Menschen in psychischen Krisen Helene Brändli Lehren und Lernen

Wie kann hermeneutische Fallkompetenz gelingen?

33

Portfolioarbeit in der Lehrer / innenbildung für Gesundheit und Pflege Roswitha Ertl-Schmuck und Sandra Altmeppen „Operation Team – Interprofessionelle Fortbildung“

41

Interprofessionelle Aus- und Weiterbildung am Karolinska Universitätsklinikum und anderen Ausbildungszentren in Stockholm - Bericht einer Studienreise nach Schweden Heike Penner und Rita Hofheinz Wissen und Forschen

Freiheitseinschränkende Maßnahmen im Kontext der Altenpflegeausbildung­

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Ergebnisse einer Analyse der Rahmenbedingungen und einer Befragung von Altenplegeschulen Thomas Nordhauser, Eva Kirchherr und Jens Abraham „Und jetzt soll ich waschen?…“

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Pädagogische Herausforderungen der Arbeitsmigration von Pflegekräften Bettina Boeder, Juliane Dieterich und Lukas Slotala

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Informiert sein und Handeln

65

Rauchfrei – weil Gesundheit unsere Aufgabe ist! Rauchberatung als Handlungsfeld für professionell Pflegende Christa Rustler und Dorothea Sautter

Service

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Service Meldungen, Neuheiten, Termine

Vorschau

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Anzeige

Alte Menschen wirkungsvoll vor Missbrauch schützen Barbara Baumeister / Trudi Beck (Hrsg.)

Schutz in der häuslichen Betreuung alter Menschen Misshandlungssituationen vorbeugen und erkennen – Betreute und Betreuende unterstützen 2017. 216 S., 30 Abb., 14 Tab., Kt € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-456-85664-3 Auch als eBook erhältlich Warum und wie werden alte Menschen in der häuslichen Betreuung misshandelt? Wie lassen sich diese Misshandlungen erkennen und vermeiden? Die Herausgeberinnen des forschungsbasierten Praxishandbuchs erklären, warum alte Menschen in der häuslichen Betreuung misshandelt werden,

differenzieren verschiedene Formen des Missbrauchs und zeigen, wie dieser erkannt werden kann. Sie nennen Interventionen und bieten Hilfsmittel, um Missbrauch vorzubeugen, zu erkennen und Betreute und Betreuende zu unterstützen und zu entlasten.

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Man wird schwer ein Leitbild in Gesundheitseinrichtungen finden, in dem nicht postuliert wird: Der Mensch steht im Mittelpunkt unserer Bemühungen. Auch gibt es vermutlich keine Pflegeperson, die nicht von sich behauptet, ihre Maßnahmen individuell auf ihre Patienten bzw. Bewohnerinnen auszurichten. Menschen sind Individuen. Nicht personenzentriert zu arbeiten, verbietet sich daher. Oder wie Johann Behrens es im Rahmen unserer Korrespondenz zu dieser Ausgabe treffend zuspitzt: „Eine Pflege, die nicht auf die Person zentriert ist, ist eigentlich etwas für die Staatsanwaltschaft, oder?“ Personenzentrierung stellt also in der Gesundheitsversorgung einen gemeinhin anerkannten Wert dar. Dass eine personenzentrierte Haltung nicht automatisch zu einer personenzentrierten Praxis führt, zeigt die Realität. So stellt sich z. B. die Frage, inwiefern unsere Informationsroutinen überhaupt darauf ausgerichtet sind, Patienten wirklich als Person kennen zu lernen? Wir wissen sehr viel über unsere Patientinnen: Laborwerte, Befunde, Herz-Kreislauf-Parameter, Diagnosen, Funktionseinschränkungen usw. Aber kennen wir ihre Welt? Kennen wir ihre Gewohnheiten und Routinen (­Kesselring 2013)? Erheben wir gezielt persönliche Werte, Überzeugungen, Einstellungen, Vorurteile, Erwartungen, Reaktionsmuster, Motivatoren oder Coping-Strategien und arbeiten wir systematisch mit diesem Wissen, wenn wir Pflegeangebote erstellen oder die Angemessenheit von Standardmaßnahmen überprüfen? Pflegerische Anamnesebögen, Übergaben und Berichte lassen (zumindest in der akutstationären Versorgung) eine solche Handlungspraxis eher nicht erkennen. Für eine konsequente personenzentrierte Praxis gilt es, vielfältige Komponenten auf mehreren Ebenen unter Einbindung unterschiedlicher Akteure zu integrieren. Kurzum, es handelt sich um eine komplexe Intervention. Auf Dissemination oder gar Diffusion zu setzen, erscheint daher wenig zielführend. Eine evidence-basierte Leitlinie der Registered Nurses Association Ontario zeigt, auf welchen Ebenen die Implementierung einer personenzentrierten Praxis angegangen werden muss (RNAO 2015). Neben der Ebene der einzelnen Pflegeperson sind hier die Ebene der Station bzw. Abteilung, die Ebene der Organisation, die Ebene des Gesundheitssystems und die Bildungsebene angeführt. Implikationen auf Bildungsebene bestehen darin, Pflegepersonen mit geeigneten Bildungsmaßnahmen und Lernangeboten zu einer personenzentrierten Handlungsweise zu befähigen. Laut besagter Leitlinie sollte in jedem Fall sichergestellt werden, dass Pflegende grundlegend in die Konzepte Empowerment und Partizipative Entscheidungsfindung eingeführt und mit den Prinzipien einer personenzentrierten Kommunikation vertraut gemacht werden. Curricula gegenwärtiger Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramme sind demnach vor dem Hintergrund dieser Prinzipien und Kon-

zepte zu überprüfen und anzupassen. Beispielsweise reicht es nicht aus, Lernenden zu vermitteln, dass Selbstbestimmung und Autonomie des Pflegeempfängers zentrale pflegerisch-professionelle Werte darstellen. Pflegende müssen auch systematisch ermitteln können, ob und wie stark sich dieser grundsätzlich an Pflegeentscheidungen und Maßnahmenplanungen beteiligen kann bzw. will. Und sie müssen in der Lage sein, Patientinnen bzw. Bewohner zur Beteiligung an Pflegeentscheidungen zu befähigen. Hierzu gehört es u. a., relevante Informationen auf dem aktuellen Wissensstand umfassend, verständlich, transparent, unverzerrt und objektiv darzustellen (Steckelberg 2016). Häufig werden organisatorische Zwänge, betriebsbedingte Abläufe und fehlende Ressourcen als Gründe für die mangelhafte personenzentrierte Gestaltung von Prozessen angeführt. Zum einen ist kritisch zu hinterfragen, ob wirklich alle Spielräume genutzt werden und echte Bereitschaft vorhanden ist, Prozesse konsequent unter Berücksichtigung der Patienten- bzw. Bewohnerinnenperspektive und nicht ausschließlich aus der Perspektive gewohnter (und vielleicht auch bequemer) Organisationsund Berufsroutinen umzusetzen. Und zum anderen sind neben dem Umdenken aller Akteurinnen auf Stationsbzw. Abteilungsebene Organisationsstrukturen zu schaffen, die personenzentriertes Pflegehandeln möglich machen. Auf Einrichtungsebene besteht die Forderung nach einer Vision und Entwicklungsstrategie, die explizit das Ziel einer personenzentrierten Pflegekultur integrieren und in die alle anderen Maßnahmen systematisch eingebettet werden können. Auch diese Implementierungsebenen werden in der RNAO-Leitlinie ausführlich adressiert. Die Schwerpunktartikel dieser Ausgabe der PADUA setzen sich mit Konzepten und Beispielen von Personenzentrierung auf unterschiedlichen Ebenen auseinander. Gemein ist ihnen, dass sie personenzentriertes Handeln aus dem Status einer allgemeingültigen und deshalb vermeintlich selbstverständlich umgesetzten Norm herausholen und aufzeigen, dass es sich bei der Realisierung einer gelebten personenzentrierten Praxis um einen aktiven und systematischen Prozess handelt, in dem vielfältige Bildungs-, Führungs- und Organisationstechniken zum Tragen kommen. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Ihre Doris Eberhardt

Literatur Registered Nurses' Association of Ontario (RNAO) (2015). Personand Family-Centred Care. Nursing best practice guideline. Toronto, ON: Registered Nurses' Association of Ontario. Kesselring, A. (2013). Die Menschen kennen, die wir pflegen. Krankenpflege 7, 14 – 17. Steckelberg, A. (2016). Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen und Decision Coaching: Neue Rolle für die Pflege. Pflege 29(5), 225 – 226.

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 5 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000408

Editorial

Personenzentrierung als gelebte Praxis


Aktuelle Sachbücher und Ratgeber Claudia Clos

Gesund im Job So stärken Sie Ihre körperliche und psychische Gesundheit am Arbeitsplatz 2016. 208 S., 21 Abb., 2 Tab., Kt € 19,95 / CHF 26.90 ISBN 978-3-456-85578-3 Auch als eBook erhältlich

Mit Fokus auf die Ressourcenaktivierung gibt Claudia Clos in diesem kompakten Ratgeber praktische und konkrete Tipps, wie Berufstätige ihren Arbeitsalltag bewusst aktiv gestalten können, um zu mehr körperlicher und psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz zu gelangen.

Die vergessene Klugheit Wie Normen uns am Denken hindern 2016. 272 S., Gb € 24,95 / CHF 32.50 ISBN 978-3-456-85239-3 Auch als eBook erhältlich

Trotz Ausbildung und Renommee leiden wir in gewissen Situationen unter einer eklatanten Denkschwäche. Allan Guggenbühl geht im vorliegenden Buch den Handlungen auf den Grund, die aus nüchterner Perspektive nicht nachvollziehbar sind – und unsere Intelligenz, Kompetenzen und unseren Ausbildungsgrad in Frage stellen.

Manfred Ruoss

Marti Olsen Laney

Die Psychologie des Bergsteigens

Der andere Weg zu Glück und Erfolg

2., überarb. u. erg. Aufl. 2017. 304 S., Gb € 24,95 / CHF 32.50 ISBN 978-3-456-85668-1 Auch als eBook erhältlich

Übersetzt von Karsten Petersen. 2., unveränd. Aufl. 2016. 304 S., Gb € 24,95 / CHF 32.50 ISBN 978-3-456-85602-5

Zwischen Flow und Narzissmus

Die psychologische Analyse der Bergsehnsucht – vom Freizeitwanderer bis zum Extremkletterer: Was treibt die Menschen wirklich an, auf hohe Berge zu steigen? Die zweite Auflage wurde überarbeitet und um ein Doppelporträt der polnischen Extrembergsteiger Wanda Rutkiewicz und Jerzy Kukuczka ergänzt.

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Allan Guggenbühl

Die Macht der Introvertierten

Marti Olsen Laney ist Psychologin und Expertin für Introversion. In diesem Ratgeber klärt sie darüber auf, was es heißt introvertiert zu sein, und zeigt mit vielen praktischen Tipps für alle Lebenslagen, wie Sie als introvertierter Mensch erfolgreicher und glücklicher leben können.


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Personenzentriert pflegen am Universitätsspital Basel Eine Annäherung an das Person-Centred Practice Modell Florian F. Grossmann, Ursi Barandun Schäfer, Famke van Lieshout und Irena Anna Frei

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C R O E B E N E M A SETZUNG R AU S EN VO

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Abbildung 1. PCP Modell (McCormack / McCance, 2017). Autorisierte Übersetzung und zum Abdruck frei gegeben PADUA (2018), 13 (1), 7–12 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000409

Schwerpunkt

Ende letzten Jahrhunderts galt es als innovativ, Angebote und Prozesse im Gesundheitswesen patientenzentriert zu gestalten. Dieser Begriff findet sich auch heute noch in Leitbildern und Strategien zahlreicher Institutionen des Gesundheitswesens. In den letzten Jahren wächst zunehmend die Erkenntnis, dass eine Patientenzentrierung zu kurz greift, um die Bedürfnisse der mit Gesundheit und Krankheit befassten Personen zu beschreiben. Der Begriff patientenzentriert reduziert einen kranken Menschen auf eine einzige Rolle, nämlich die der Patientin / des Patienten. Unterdessen ist in zahlreichen Publikationen und Initiativen häufig von Personenzentrierung die Rede. Dies mit der Idee, dass wir es im Gesundheitsbereich mit Menschen zu tun haben, deren Persönlichkeit sich nicht allein durch die Krankheit definiert. Hinzu kommt, dass nicht nur Patienten / -innen selbst von Krankheit betroffen sind, respektive sich mit dem Thema Gesundheit beschäftigen, sondern auch ihre Angehörigen und die Fachpersonen, die für sie sorgen. Beim Begriff personenzentrierte Gesundheitsversorgung handelt es sich demnach nicht um ein neues Schlagwort, sondern um ein normatives Wertesystem, das sich Fachpersonen, Teams oder ganze Organisationen zu Eigen machen können. Es basiert auf Grundwerten wie Verständnis, Respekt und Recht auf Selbstbestimmung. In diesem Artikel erläutern wir das „Person-Centred Practice Framework“ (im Folgenden PCP Modell) von McCormack / McCance (2017) und beschreiben anhand konkreter Beispiele, wie sich die Pflege am Universitätsspital Basel an dieses Wertesystem annähert.

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Einleitung

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mend Beachtung findet.

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tisch fundiertes Wertesystem, das weltweit zuneh-

delt. Tatsächlich bezeichnet der Begriff ein theore-

Die beiden Autoren des PCP-Modells, Brendan McCormack und Tanya McCance, begannen zunächst unabhängig voneinander, sich in ihrer empirischen Forschung, auf der Grundlage bestehender Theorien, mit personenzentrierter Pflegepraxis, respektive Caring in der Pflege zu beschäftigten. Später entwickelten sie auf der Basis ihrer Resultate gemeinsam das Person-Centred Nursing Framework (McCormack / McCance, 2006). Im Rahmen der Weiterentwicklung (McCormack / McCance, 2010, McCormack / McCance, 2017) wurde deutlich, dass dieses Modell nicht nur auf die Pflege begrenzt ist, sondern allgemein als Grundlage für eine personenzentrierte Gesundheitsversorgung dienen kann. Dies führte dazu, dass der Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen als solches stärker berücksichtigt wird. Außerdem wurde das Modell in Person-Centred Practice Framework umbenannt (s. Abb. 1).

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es sich dabei um ein modisches Schlagwort han-

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gung ist in aller Munde. Man könnte vermuten, dass

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Der Begriff personenzentrierte Gesundheitsversor-


8 Schwerpunkt

Makro Ebene (Macro-Context1) Im äußersten Kreis des PCP-Modells sind übergeordnete Faktoren aufgeführt, die die Umsetzung personenzentrierter Versorgung mitbeeinflussen. Dazu zählen die Ausrichtung der Gesundheitspolitik (health and social care policy) sowie die Personalentwicklung (workforce development) auf internationaler, nationaler und Institutionsebene, da diese die Beschäftigungs- und Arbeitsgestaltungsmodelle sowie Lern- und Unterstützungsmodelle mitbestimmen. Zudem ist ein strategisches Leadership (strategic leadership) wichtig, das Schlüsselpersonen befähigt, die Entwicklung einer personenzentrierten Kultur zu steuern sowie die Verankerung in der strategischen Ausrichtung (strategic frameworks) mit Mission, Vision, Zielen und Zeitplänen zu sichern.

Voraussetzungen (Prerequisites) für die personenzentrierte Gesundheitsversorgung Auf der Ebene Voraussetzungen werden Faktoren beschrieben, die Fachpersonen, die Patienten / -innen und deren Angehörige personenzentriert versorgen möchten, erfüllen müssen. Selbstkenntnis (knowing „self “) ist insbesondere deshalb wichtig, weil in einer personenzentrierten Versorgung mit den Wertvorstellungen und Überzeugungen der Patienten / -innen gearbeitet wird. Es ist für die Fachpersonen entscheidend zu wissen, was ihnen persönlich wichtig ist und was dies für ihre Art zu pflegen bedeutet. Die berufliche Kompetenz (professionally competent) umfasst das Wissen, die Fertigkeiten und die professionelle Haltung, die nötig sind, um eine umfassende Versorgung zu ermöglichen, sprich: die physischen, psychischen und sozialen Bedürfnissen der Patienten / -innen zu berücksichtigen. Entwickelte zwischenmenschliche Fähigkeiten (developed interpersonal skills) betreffen im Wesentlichen die Fähigkeit, effektiv auf verschiedenen Ebenen zu kommunizieren. Durch kompetente Kommunikation mit Patienten / -innen erfassen Pflegende durch personenzentrierte Pflegeanamnese und Assessment, was wirklich wichtig ist und unterstützen Patienten / -innen im Umgang mit den Auswirkungen von Krankheit und / oder Behandlung (Spichiger et al., 2006). Beim Engagement für die Aufgabe (commitment to the job) geht es darum, sich bewusst und verbindlich für eine evidenzbasierte und umfassende Pflege der Patienten / -innen und Angehörigen einzusetzen. Evidenz meint in diesem Kontext eine umfassende Vorstellung von Wissen sowie davon, wie es generiert wird – nämlich durch Erkenntnisse aus der Forschung, aus Erfahrung der Fachpersonen sowie dem Kontext und den Präferenzen der Patienten/-innen (Rycroft-Malone et al., 2004). Diese Verbindlichkeit der einzelnen Fachpersonen sollte der Haltung des Teams und der gesamten Organisation entsprechen, damit ihr persönliches Engagement nachhaltig erfolgreich ist. Eine weitere Voraus-

setzung ist die Klarheit über Werte und Überzeugungen (clarity of values and beliefs) und die Fähigkeit, diese auch in Worte zu fassen. In der Realität ist es häufig so, dass das Verhalten nicht den – z. B. in Leitbildern – formulierten Werten entspricht. Im Idealfall entwickeln die Fachpersonen eines Teams gemeinsame Werte und Überzeugungen, die von allen geteilt werden. Es geht also darum, dass alle Mitglieder eines Teams die Möglichkeit erhalten, ihre Werte und Überzeugungen in Richtung Personenzentriertheit weiterentwickeln und in konkrete Handlungen umzusetzen. Dies kann beispielsweise durch die Entwicklung einer von allen geteilten Vision geschehen, in deren Rahmen sich alle mit ihren Werten und Überzeugungen auseinandersetzen.

Umgebung der Pflege (The Care Environment) Der Kontext der Patientenversorgung beeinflusst die Effektivität eines Teams. Daher nimmt ein Teilbereich des PCP Modells die Einflussfaktoren Menschen, Prozesse und Strukturen auf. Um eine gute Patientenversorgung zu ermöglichen, braucht es in einem Team Fachpersonen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, also einen angemessenen Skill-Mix (appropriate skill mix). Personenzentrierung meint nicht, dass einzig die Patienten / -innen als Personen im Mittelpunkt stehen („Patientenzentrierung“), sondern dass alle beteiligten Personen als individuelle Persönlichkeiten bedeutsam sind; die Angehörigen ebenso wie die Fachpersonen, die sie versorgen. Daher sollte das Engagement der Fachpersonen in einer Institution, in der die Patientenversorgung personenzentriert sein soll, kollaborativ (an einem gemeinsamen Ziel arbeiten), inklusiv (andere Interessierte einladen und offen sein für Ideen) und partizipativ (konkret und aktiv zusammenarbeiten) (McCormack et al., 2013, van Lieshout / Cardiff, 2011) gestaltet werden, zum Beispiel indem gemeinsamen Entscheidungsfindungsprozesse (shared decision making sytems) in und unter den Teams etabliert werden. Die Art, wie Fachpersonen in einem personenzentrierten Team miteinander umgehen, soll vom selben Respekt und der gleichen Wertschätzung zeugen, die den Patienten / -innen entgegengebracht werden. Ist das der Fall, sind effektive Teambeziehungen (effective staff relationships) vorhanden. Dazu gehört, über Machtverhältnisse nachzudenken, auch in interprofessionellen Teams. Für effektive Teambeziehungen sind diejenigen Verbindungen zwischen den Beteiligten zentral, die eine personenzentrierte Versorgung ermöglichen. In einer personenzentrierten Praxis geht es darum, eine Arbeitsweise zu entwickeln, in der Fachpersonen ihre Macht teilen, indem sie gegenseitig Einfluss nehmen (power sharing). Eine unterstützende Organisation (supportive organisational systems), die Initiative, Kreativität, Freiheit und Sicherheit von Personen fördert, ist nicht nur auf Teamebene wichtig, sondern für die gesamte Institution. Die Autoren des PCP-Modells erwähnen in diesem Zusammenhang die

In Klammern sind jeweils die Begriffe der englischsprachigen Originalversion angegeben.

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Schwerpunkt 9

Erkenntnisse aus der Magnet Hospital-Forschung, die eindrücklich belegt, wie wichtig die Organisationsform für gute Resultate bei Patienten / -innen und Mitarbeitenden ist. Zu einer personenzentrierten Versorgung von Patienten / -innen gehört auch Potential für Innovation und Risikobereitschaft (potential for innovation and risk taking). Darunter wird eine Art der Entscheidungsfindung verstanden, in der Fachpersonen Verantwortung für ihr professionelles Handeln übernehmen, indem sie Erkenntnisse aus unterschiedlichen Quellen (Forschung, fachliche Erfahrung, Kontext, Patientenpräferenz) gegeneinander abwägen. Ein etwas profanerer aber ebenfalls wichtiger Aspekt ist die physische Umgebung (the physical environment), die selbstverständlich ebenfalls einen Einfluss auf die Versorgung von Patienten / -innen und deren Genesung hat. Entscheidend ist eine sorgsame Gewichtung von Ästhetik auf der einen und Funktionalität auf der anderen Seite. Auch für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Fachpersonen ist die Umgebung ein wesentlicher Einflussfaktor.

Patientenzentrierte Pflegeprozesse (person-centred processes) und personenzen­ trierte Resultate (person-centred outcomes) Im Zentrum des Modells umrahmen fünf Prozesse (care processes), die direkt die Patientenversorgung fokussieren, die Resultate einer personenzentrierten Gesundheitsversorgung (person-centred outcomes). Die Prozesse ergänzen sich gegenseitig und sind in der Praxis nicht klar voneinander zu trennen. Mit den Werten und Überzeugungen der Patienten arbeiten (working with the patient's beliefs and values) ist eines der elementaren Prinzipien personenzentrierter Versorgung. Es geht dabei darum herauszufinden, was für die Patienten / -innen wirklich wichtig ist, was sie schätzen und welchen Sinn sie in den Dingen, die geschehen, sehen. Der Schlüssel hierzu liegt in einem personenzentrierten Assessment, durch das ein Bild der Patientin, des Patienten als Person in ihrer / seiner eigenen Lebenswelt entsteht. Eng mit den persönlichen Werten verknüpft ist der Prozess gemeinsam Entscheidungen treffen (sharing decision making). Bei einer personenzentrierten Entscheidungsfindung fließen die Erfahrungen und das Wissen aller beteiligten Personen ein, die für diese Entscheidung wichtig sind. Das Akzeptieren der Werte und Überzeugungen einer Person bildet die Basis für eine gute professionelle Beziehung. Deren Ziel ist, vorübergehend die Perspektive der Beteiligten einnehmen und damit die Bedeutung unterschiedlicher Handlungsoptionen verstehen zu können. Engagiert im Kontakt sein (engaging authentically) kann eine Fachperson dann, wenn sie akzeptiert, dass jede Situation mit der einzelnen Patientin, dem einzelnen Patienten, einzigartig ist und unter anderem von den Werten und Überzeugungen der Beteiligten beeinflusst wird. Durch das Wahrnehmen und Kennenlernen der Patienten / -innen als Personen, die Kenntnis der eigenen Werte und das persönliche Sich-Einbringen der Fachperson entsteht eine ver-

trauensvolle Verbundenheit. Unter diesen Bedingungen können Fachpersonen Pflegesituationen auch bei hindernden Umgebungsfaktoren erfolgreich gestalten, beispielsweise indem sie bei Zeitknappheit Prioritäten personenzentriert setzen und diese Situationen reflektieren. Mitfühlend präsent sein (being sympathetically present) beschreibt eine geeignete Art der Präsenz, die es Menschen ermöglicht, mit unterschiedlichsten Situationen, zum Beispiel einem akuten oder permanenten Verlust von Fähigkeiten, umzugehen. Die Möglichkeit, mitfühlend präsent zu sein, ergibt sich im klinischen Alltag nicht ausschließlich in gezielten Gesprächen, sondern häufig auch – verbal und non-verbal – während Routinetätigkeiten. Während solcher Routinetätigkeiten werden generell wichtige Aspekte einer ganzheitlichen Versorgung abgedeckt. Um Patienten / -innen professionell umfassend zu pflegen (providing holistic care) ist es wichtig, neben den körperlichen Aspekten weitere Dimensionen der Persönlichkeit zu berücksichtigen: die psychologische, die soziokulturelle, die entwicklungsbedingte und die spirituelle Dimension. Personenzentrierte Resultate (person-centred outcomes) betreffen wiederum alle beteiligten Personen. Eine positive Pflegeerfahrung (good care experience) meint das tatsächliche Erleben dessen, was während eines Spitalaufenthaltes passiert. Die tatsächliche Erfahrung ist dabei mehr als die Patientenzufriedenheit, die häufig mit Fragebogen erhoben wird. Solchen Befragungen fehlt es an Tiefe, da sie den individuellen Erfahrungen zu wenig Platz bieten. Zudem ist die (positive) Erfahrung nicht auf die Patientenperspektive begrenzt. Schließlich möchten auch Angehörige und Fachpersonen die Betreuung positiv erleben können. Patienten / -innen sollen aktiv in ihrer Gesundheitsversorgung mitwirken können, somit ist das Einbezogen-Sein in die Versorgung (involvement in care) ein Fokus der Evaluation personenzentrierter Versorgung. Patienten / -innen und Fachpersonen haben unterschiedliche Rollen, Aufgaben und Verantwortungen, sie werden gleichermaßen als Personen wertgeschätzt. Wohlbefinden (feeling of well-being) ist die Grundlage verschiedener Caring-Theorien. Für das Wohlbefinden von Patienten / -innen und Angehörige wie für die Fachpersonen ist Wertschätzung von großer Bedeutung. Beispielsweise erleben Patienten / -innen und Angehörige es als sehr positiv, wenn ihre Arbeit bei der Bewältigung der Auswirkungen von Krankheit und Spitalaufenthalt von den Fachpersonen anerkannt wird. Und für Fachpersonen ist es wertvoll, Wertschätzung für ihre Kompetenz und ihre Fürsorge zu erfahren. Ein weiteres Ergebnis personenzentrierter Versorgung ist eine gesundheitsfördernde Kultur (existence of a healthful culture). Der Begriff „gesundheitsfördernd“ umfasst mehr als die herkömmliche ärztliche und pflegerische Behandlung, da darin explizit alle Aspekte des Lebens Platz finden. Dabei geht es also weniger um einzelne gesundheitsfördernde Handlungen, sondern vielmehr um eine Kultur, in der die Persönlichkeiten der beteiligten Menschen berücksichtigt, Beziehungen partnerschaftlich gelebt und Entscheidungen gemeinsam getroffen werden und in der

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10 Schwerpunkt

ein Leadershipstil gelebt wird, der Innovation und Veränderungsbereitschaft unterstützt. Nach dieser theoretischen Heranführung an das PCP Modell folgt eine Beschreibung von Aktivitäten am Universitätsspital Basel (USB) zur Annäherung an das Wertesystem Personenzentrierung. Der Bezug zu den Komponenten des PCP Modells wird durch einen → Querverweis deutlich gemacht. Wir möchten mit unseren Erfahrungen darstellen, dass eine personenzentrierte Gesundheitsversorgung nicht einfach „umgesetzt“ oder „eingeführt“ werden kann. Es braucht vielmehr eine breite Auseinandersetzung auf allen Ebenen, die idealerweise bereits in der Ausbildung zukünftiger Pflegefachpersonen beginnt.

Förderung einer personen­ zentrierten Pflegepraxis am Universitätsspital Basel Das USB ist eines der fünf Universitätsspitäler in der Schweiz und verfügt über circa 750 Betten. Im Jahr 2016 wurden 550'000 ambulante Kontakte und 36'000 stationäre Eintritte verzeichnet. Am USB arbeiten 7000 Personen (ca. 5500 Vollzeit-Äquivalenz-Stellen), davon rund 2500 Pflegefachpersonen mit unterschiedlichem Beschäftigungsgrad. Das USB hat einen Ausbildungsauftrag für Pflegende auf allen Stufen (sekundär und tertiär). In der Matrixorganisation des USB gibt es vier medizinische Bereiche sowie das bereichsübergreifende „Ressort Pflege / MTT2“. Die Leiterin dieses Ressort vertritt die Pflege in der Spitalleitung. Zum Ressort Pflege / MTT gehört unter anderem die „Abteilung Praxisentwicklung Pflege“, deren Leiterin die rund 50 Pflegeexperten / -innen mit Masterabschluss des gesamten USB fachlich führt (Frei et al., 2012). Die Kernaufgabe der Pflegeexperten / -innen ist die klinische Tätigkeit und die Förderung einer evidenzbasierten personenzentrierten Pflege. In Aktiven Lerngruppen, Praxisentwicklungsseminaren und Workshops werden sie systematisch für ihre Aufgaben in der klinischen Praxis befähigt (→ unterstützende Organisation). Sie unterstützen wiederum Pflegende bei der Arbeit mit den Patienten / -innen und Angehörigen im gesamten Pflegeprozess: Sie wirken mit bei der zielgerichteten Erhebung der Pflege- und Sozialanamnese, beim klinischen Assessment sowie bei der Planung, Durchführung und der Evaluation der Pflege (→ angemessener Skill-Mix). Angeregt durch Literatur zu Leadership und einer intensiven Auseinandersetzung mit den Merkmalen erfolgrei-

cher Führung entwickelten die sechs Mitglieder des oberstes Kaders der Pflege am USB im Jahr 2013 die „Vision Pflege USB“3, auf deren Basis strategische Ziele formuliert und regelmäßig evaluiert werden. Die „Vision Pflege USB“ dient somit dazu, die Richtung aufzuzeigen, in welche sich die Pflege am USB bewegen will (→ strategische Ausrichtung). Das erste der drei zentralen Postulate der „Vision Pflege USB“ lautet: „Wir stehen für eine personenzentrierte Gesundheitsversorgung4“. Der Begriff „personenzentrierte Gesundheitsversorgung“ macht deutlich, dass nicht ausschließlich die Patienten / -innen, sondern auch deren Angehörige und die Fachpersonen zentral sind. Zudem bringt er zum Ausdruck, dass sich das Modell nicht auf die pflegerische Versorgung beschränkt, sondern auf die gesamte Gesundheitsversorgung bezieht. Das PCP Modell steht in engem Zusammenhang zur Methodologie Praxisentwicklung (englisch: Practice Development) die von einer Gruppe von Wissenschaftlern, der auch die Autoren des PCP Modells angehören, entwickelt wurde. Praxisentwicklung ist ein kontinuierlicher Prozess mit dessen Hilfe personenzentrierte Kulturen entwickelt werden. Das PCP Modell dient den akademisch ausgebildeten Pflegeexpertinnen und -experten (skilled facilitators) zur Orientierung bei der Unterstützung von Pflegenden im klinischen Alltag und in Praxisentwicklungsprojekten (Frei et al., 2012, McCormack et al., 2009). Personenzentrierung ist eines von neun Prinzipien der Praxisentwicklung für die Herangehensweise an Veränderungsprozesse. Methoden der Praxisentwicklung wurden bereits bei der Entwicklung der „Vision Pflege USB“ genutzt: Der erste Schritt der Praxisentwicklung ist das Kennen und Artikulieren der eigenen Werte (→ Klarheit über Werte und Überzeugungen). Dies geschah mittels der Methode der wertschätzenden Erkundung (appreciative inquiry). Dabei handelte es sich um einen kreativen partizipativen Prozess, an dem sich Personen aller Ebenen des Pflegedienstes beteiligten (→ gemeinsame Entscheidungsfindungsprozesse) (Martin et al., 2016). Gemäß dem ersten Postulat der „Vision Pflege USB“ sind alle Mitarbeitenden des Pflegedienstes aufgefordert, ihre Arbeit personenzentriert zu gestalten. Das bedeutet konkret, die Patienten / -innen als Personen wahrzunehmen, ihren Anspruch auf Autonomie systematisch zu berücksichtigen sowie ihre eigene Fach-, Sozial- und Persönlichkeitskompetenz einzubringen und in diese Richtung weiterzuentwickeln (→ berufliche Kompetenz, engagiert im Kontakt sein). Pflegefachpersonen und Hebammen, die neu ihre Arbeit am USB aufnehmen, werden bei der Einführungsveranstaltung am ersten Arbeitstag mit der „Vision Pflege USB“ vertraut gemacht. Zwei Monate nach Arbeitsbeginn wird das Thema personenzentrierte Pflege im Rahmen eines ganztägigen Forums anhand von Erfahrungen mit ihnen reflektiert. Zur Bearbeitung nutzen wir die Werte-

MTT: Medizinisch-Technische und Therapeutische Berufe http://www.unispital-basel.ch/das-universitaetsspital/ressorts/pflege-mtt/angebot/vision/ 4 Die beiden weiteren Postulate lauten: 2. Wir unterstützen wirksame Modelle und initiieren innovative Entwicklungen. 3. Wir stärken unsere ­berufliche Souveränität und Autonomie und engagieren uns in Netzwerken" 2 3

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klärung, eine Methode der Praxisentwicklung (Warfield and Manley, 1990) und weitere Aktivitäten zur Reflexion von eigenen Haltungen und Überzeugungen (→ Selbstkenntnis). Die Teilnehmenden lernen so anhand von Beispielen, den Begriff personenzentrierte Gesundheitsversorgung mit konkreten Inhalten zu füllen. Als Beispiel für die Umsetzung im Alltag setzen sie sich unter anderem mit der Bedeutung und der Erfassung der Pflege- und Sozialanamnese am USB auseinander. Eine personenzentrierte Gestaltung der Pflege- und Sozialanamnese, also des ersten Schritts des Pflegeprozesses, ist eine gute Möglichkeit, eine personenzentrierte Praxis systematisch zu unterstützen: Zu wissen, was den Patienten / -innen wichtig ist, wie sie zuhause leben, wer ihre wichtigsten Bezugspersonen sind und welche Anliegen und Sorgen sie haben, ist Grundvoraussetzung für eine personenzentrierte Versorgung (→ Mit den Werten und Überzeugungen der Patienten arbeiten). Zudem trägt die Möglichkeit, die Patienten / -innen über die Diagnose- und Problemliste hinaus als Persönlichkeiten kennenzulernen sowie sich selbst weiterzuentwickeln, zur Arbeitszufriedenheit der Pflegenden bei. Als vor einigen Jahren am USB die Software für die neue elektronische Pflegedokumentation ausgewählt wurde, wurde zunächst ein System ausgewählt, mit dem sich die Pflege- und Sozialanamnese sowie die Patientenpräferenzen nicht gut abbilden ließen. Daher war es im Sinne personenzentrierter Pflege elementar wichtig, dieses System entsprechend zu ergänzen (→ Potential für Innovation und Risikobereitschaft). Ein anschauliches Beispiel für die Förderung personenzentrierter Pflege am USB stellt die Investition in die Arbeit mit dem Konzept Kinaesthetics zur Unterstützung der Bewegungskompetenz der Patienten / -innen und der Fachpersonen dar. Es geht dabei nicht um die Vermittlung von „Techniken und Tricks“, sondern darum, in Zusammenarbeit mit den Patienten / -innen herauszufinden, was in der individuellen Situation an Bewegungsunterstützung nötig und sinnvoll ist sowie wie diese vor sich gehen kann und soll. Zusätzlich wurden Praxistage etabliert, an denen ausgebildete Tutoren / -innen die Fachpersonen bei der praktischen Umsetzung vor Ort unterstützen. Die Pflegenden verbreitern ihr Handlungsspektrum und sie geben mehr Acht auf sich selbst, was beides zu größerer Arbeitszufriedenheit beiträgt (→ Wohlbefinden). Ein weiteres Beispiel ist die Achtsamkeit auf die Sprache. Wie wir Dinge benennen und miteinander sprechen ist Ausdruck der Arbeitsumgebungskultur. Deshalb achten Pflegeexperten / -innen und Führungsverantwortliche in mündlicher oder schriftlicher Sprache darauf, dass wertschätzend mit und über Personen gesprochen wird, dass Patienten / -innen, Angehörige und Mitarbeitende weder versachlicht, verniedlicht, noch auf ein Organ oder eine Krankheit reduziert werden (→ mitfühlend präsent sein, entwickelte zwischenmenschliche Fähigkeiten). Lernen im praktischen Alltag wirkt sich bekanntlich nachhaltiger aus als formale Wissensvermittlung in Unterricht und an Fortbildungsveranstaltungen. Deshalb setzt das Ressort Pflege zur Förderung der personenzentrierten Versorgung insbesondere auf die klinisch tätigen Pflegeex-

perten / -innen (Frei et al., 2012). In formalen und bei Adhoc-Coachings im Alltag sowie an regelmäßigen Fallbesprechungen regen sie zu systematischer Reflexion an. Dabei erkunden sie gemeinsam mit befähigenden Fragen, aktivem Zuhören und durch gegenseitiges Feedback personenzentrierte Praxis. Sie unterstützen so die Kollegen / Kolleginnen beim Theorie-Praxis- und beim PraxisTheorie-Transfer(→ gegenseitig Einfluss nehmen, umfassend pflegen). In konkreten Pflegesituationen unterstützen sie ihre Kollegen / Kolleginnen dabei, die geltenden Leit- und Richtlinien mit den persönlichen und situativen Bedürfnissen und Präferenzen der einzelnen Patienten / -innen in sinnvoller Weise zusammenzubringen und mit ihnen Handlungsoptionen auszuhandeln sowie letztlich zu deren Wohl anzuwenden (→ Engagement für die Aufgabe). Und bereits bei der Erstellung der Leit- und Richtlinien legen die Pflegeexperten darauf Wert, dass sie personenzentriert umgesetzt werden können (→ umfassend pflegen). Die partnerschaftliche Zusammenarbeit – hier zwischen Pflegeexperten / -innen und Pflegefachpersonen sowie zwischen Linien-, Bildungs- und Fachführungsverantwortlichen (genannt Leadership-Team) sowie interprofessionell – ist ein zentrales Merkmal der Methodologie Praxisentwicklung sowie Voraussetzung für eine personenzentrierte Gesundheitsversorgung (→ effektive Teambeziehungen). Es ist gut belegt, dass sie zu besserer Versorgungsqualität für die Patienten / -innen beiträgt. Zudem stärkt sie die Kompetenz und die Souveränität der Fachpersonen und damit die Personenzentriertheit bezogen auf die Mitarbeitenden (→ berufliche Kompetenz, gemeinsame Entscheidungsfindungsprozesse). Eine weitere Tätigkeit der Pflegeexperten/-innen ist die Leitung von themenspezifischen Projekt- und Arbeitsgruppen in Zusammenarbeit mit den Führungs- und Bildungsverantwortlichen und je nach Thema mit Angehörigen anderer Berufsgruppen (→ effektive Teambeziehungen) und Patienten/-innen (→ Einbezogen sein in die Pflege). Hier können interessierte Pflegende Veränderungen mitgestalten. Den Pflegeexperten/-innen kommt damit bei der Förderung der personenzentrierten Pflege am USB eine zentrale Rolle zu. Gleichzeitig ist zu betonen, dass sie diese Rolle nur dann wirksam ausführen können, wenn sich auch die Stationsleitungen mit der „Vision Pflege USB“ identifizieren und die Aktivitäten der Pflegeexperten/-innen aktiv unterstützen (→ unterstützende Organisation). So können die Leadershipteams gemeinsam dazu beitragen, die Kultur der Arbeitseinheiten in Richtung Personenzentriertheit voranzubringen.

Fazit Am USB wird seit rund fünf Jahren personenzentrierte Pflegepraxis postuliert. Unserer Erfahrung nach eignet sich das PCP-Modell sehr gut zur Auseinandersetzung mit den Werten einzelner Fachpersonen und ganzer Teams sowie mit der Kultur und dem Kontext. Dafür sind Methoden der Praxisentwicklung, insbesondere Coaching und Facilitation im

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Praxisalltag, moderierte Reflexion und Werteworkshops hilfreich. Die Investition in konkrete Praxiskonzepte wie beispielsweise Kinaesthetics lohnt sich. So wird Personenzentriertheit für alle Beteiligten konkret sicht- und spürbar. Neben den positiven Erfahrungen sind wir uns einiger Limitierungen bewusst: a) In den Leitwerten des ganzen Betriebes steht nach wie vor der Begriff „patientenorientierte Betreuung“, die Vision einer personenzentrierten Gesundheitsversorgung ist vorerst auf die Pflege beschränkt. Das hindert uns allerdings nicht daran, uns in der interprofessionellen Zusammenarbeit für eine personenzentrierte Versorgung zu engagieren. Aktuell haben sich die Führungsverantwortlichen der Therapieberufe dazu entschieden, ihre Aktivitäten auch am PCP Modell auszurichten. b) Seit vier Jahren nehmen alle neu angestellten Pflegefachpersonen und Hebammen am Forum zu personenzentrierter Pflege teil. Mit Pflegefachpersonen, die schon länger am USB arbeiten, ist diese Auseinandersetzung erst im Gang. c) Nicht alle Leadershipteams (Führungs-, Fach- und Bildungsverantwortliche) identifizieren sich in gleichem Maß mit der „Vision Pflege USB“ und der Methodologie Praxisentwicklung. d) In Institutionen wie dem USB erhalten Führungspersonen auch Aufträge der Spitalleitung, die umgesetzt werden müssen. Der Versuch, solche top-down Entscheidungen personenzentriert umzusetzen, ist eine besondere Herausforderung und benötigt viel Aufmerksamkeit. Die Pflegenden am USB werden sich weiterhin für die Gestaltung einer personenzentrierten Gesundheitsversorgung engagieren. Rückmeldungen von Patienten / -innen, Angehörigen und Fachpersonen bestätigen unsere Überzeugung, dass es sich lohnt. Wir können daher Führungs-, und Ausbildungsverantwortlichen sowie den Teams anderer Institutionen im Gesundheitswesen die Arbeit mit dem PCP-Modell wärmstens empfehlen.

Literatur Frei, I.A., Massarotto, P., Helberg, D. & Barandun Schäfer, U. (2012). Praxisentwicklung im Trend der Zeit – Pflegeexpertinnen als Praxisentwicklerinnen: Ein Beispiel aus dem Universitätsspital Basel. PADUA 7 (3), 110 – 115. Martin, J., Schärer, S., Sackmann Rageth, E., Ulrich, A., Wehrli, M. & Frei, I.A. (2016). Journey to a shared vision for nursing in a university hospital. International Practice Development Journal 6 (2), 1 – 13. McCormack, B., Manley, K., Garbett, R., German Editors: Frei, I.A. & Spirig, R. (2009). Praxisentwicklung in der Pflege. Bern: Huber. McCormack, B., Manley, K. & Titchen, A. (2013). Practice Development in Nursing and Healthcare. Oxford: Wiley-Blackwell. McCormack, B. & McCance, T. (2006). Development of a framework for person-centred nursing. Journal of Advanced Nursing 56 (5), 472 – 479. McCormack, B.& McCance, T. (2010). Person-Centred Nursing: Theory and Practice. Oxford: Wiley Blackwell. PADUA (2018), 13 (1), 7–12

McCormack, B. & McCance, T. (2017). Person-Centred Practice in Nursing and Healthcare: Theory and Practice. Oxford: Wiley Blackwell. Rycroft-Malone, J., Seers, K., Titchen, A., Harvey, G., Kitson, A. & McCormack, B. (2004). What counts as evidence in evidencebased practice? Journal of Advanced Nursing 47 (1), 81 – 90. Spichiger, E., Kesselring, A., Spirig, R. & De Geest, S. (2006). Professionelle Pflege – Entwicklung und Inhalte einer Definition. Pflege 19 (1), 45 – 51. van Lieshout, F. & Cardiff, S. (2011). Dancing outside the ballroom. In J. Higgs, A. Titchen, D. Horsfall & D. Bridges. (Hrsg.), Creative Spaces for Qualitative Researching: Living research. (S. 223 – 234) Rotterdam: Sense Publishers. Warfield, C. & Manley, K. (1990). Developing a new philosophy in the NDU. Nursing Standard 4 (41), 27 – 30.

Florian Grossmann MSc, ist fachverantwortlicher Pflegeexperte des Bereichs Medizin. Er ­arbeitet zudem als Pflegeexperte ANP im geriatrischen Konsilteam und im Notfallzentrum am Universitätsspital Basel. florian.grossmann@usb.ch Ursi Barandun Schäfer MNS, ist fachverantwortliche Pflegexpertin des Bereichs Medizinische Querschnittfunktionen. Sie arbeitet zudem als Pflegeexpertin CNS in der Operativen Intensivbehandlung am Universitätsspital Basel. Dr. Famke van Lieshout ist Gesundheitswissenschaftlerin. Sie ist Mitglied des „Knowledge Center Personcentered Practices“ und Dozentin an der Fontys Fachhochschule, Institut für Human- und Gesundheitswissenschaft in Eindhoven, Niederlande. ursi.barandunschaefer@usb.ch

Dr. Irena Anna Frei leitet die Abteilung Praxisentwicklung Pflege am Universitätsspital Basel und ist Lehrbeauftragte am Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel. irenaanna.frei@usb.ch Dr. Famke van Lieshout ist Gesundheitswissenschaftlerin. Sie ist Mitglied des “Knowledge Center Person-centered Practices” und Dozentin an der Fontys Fachhochschule, Institut für Human- und Gesundheitswissenschaft in Eindhoven, Niederlande. f.vanlieshout@fontys.nl ©2018 Hogrefe


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Adherence und der personzentrierte Aufbau interner Evidence Patienten im langfristigen Krankheitsmanagement partnerschaftlich unterstützen

In the 21st century, health care is increasingly about long-term condition management and thus about health behavior change – those things, people can do to improve their health Rollnick, S.; Miller, W. R.; Butler, C. (2012)

Das Konzept von Adherence stellt die Personenzentrierung und Selbstbestimmung der Betroffenen in den Mittelpunkt und unterstützt Pflegende somit dabei. Eine Pflege, die nicht die individuelle Selbstbestimmung und Teilhabe der jeweils einzigartigen Person zum Ziel hat, muss als gefährliche Pflege eingestuft werden. Schon sobald die Teilhabe fremdbestimmt ist, widerspricht sie dem SGB und ist gefährliche Pflege.

Was meint „Adherence“? Menschen mit chronischen Gesundheitsproblemen sehen sich im Rahmen des langfristigen Krankheitsmanagements mit der Aufgabe konfrontiert, komplexe Therapieregime im Alltag umzusetzen. Seitens der Professionellen – seien es Ärzte, Pflegende oder sonstige Professionelle im Gesundheitswesen – wird häufig erwartet, dass die therapeutischen Vorgaben vom Patienten gewollt und umgesetzt werden. Dieses Modell geht davon aus, dass Professionelle am besten wissen, was für den/die Patienten/Patientin gut ist, und der/die Patient/Patientin fügt sich in seine/ihre passive Patientenrolle. Diese Situation lässt sich am besten mit dem Begriff „Compliance“ beschreiben. Compliance meint Folgsamkeit. Adherence beschreibt hingegen die Einhaltung der von Pflegebedürftigen, Patienten / Patientinnen und Behandlungsteam gemeinsam erarbeiteten und je nach Situation

gemeinsam angepassten Therapiepläne. ‚Erarbeiten‘ meint dabei weit mehr, als Patienten / Patientinnen nach ihren Präferenzen zu fragen oder sie um eine Unterschrift zum Zeichen ihrer Zustimmung für eine Behandlung zu bitten. Denn in Krankheitskrisen haben viele Menschen noch gar keine Präferenzen ausgebildet. Sie haben ein Recht darauf, sich erst einmal über ihre Teilhabeziele, ihre Wahrnehmungen, ihre Ressourcen und ihre Optionen klar zu werden. Dabei lassen sich einige, keineswegs alle, gern von Professionsangehörigen unterstützen, weil sie deren Wissen über andere Personen in ähnlichen Situationen (= externe Evidence) und deren Ehrlichkeit vertrauen. Diese Arbeit der Selbstklärung bezeichnen wir als ‚Aufbau interner Evidence‘. Der Aufbau interner Evidence ist unverzichtbare Voraussetzung von Adherence. Patientinnen nur nach ihren Präferenzen und nach ihrer Zustimmung zu fragen ist dagegen im hohen Maße zynisch. Dies bezieht sich nicht nur, aber auch, auf die Pharmakotherapie. Der Begriff findet ebenso Anwendung im Hinblick auf Ernährungsprogramme, Sportprogramme oder auf verabredete Gesprächstermine mit einer Pflegeperson. Im Folgenden wird das Konzept der Adhärenz dargestellt, die gesundheitspolitische Bedeutung herausgearbeitet und beispielhaft eine Intervention zur Verbesserung der Adhärenz – die Adhärenztherapie – dargestellt.

Von Compliance zu Adherence Adhärenz geht mit dem Eingeständnis einher, dass in der Verständigung über Behandlungswege und -ziele neue Wege beschritten werden müssen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die beste Therapie nichts hilft, wenn sie nicht umgesetzt wird. Der Adherencebegriff grenzt sich ab vom paternalistischen Ansatz des Compliancekonzeptes und beschreibt eine Abkehr vom „normativen Paternalismus“. Entgegen dem Compliance-Begriff betont der Adherence-Begriff die freie Entscheidungsmöglichkeit des Patienten und fordert im Falle des Scheiterns von Therapieplänen, die Schuld dafür nicht

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 13–20 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000410

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Michael Schulz, Johann Behrens, Michael Löhr


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einseitig beim Patienten zu suchen, sondern auch den Verschreiber bzw. das Gesundheitssystem ebenfalls zu berücksichtigen. Der Prozess der Entscheidungsfindung im Hinblick auf einen therapeutischen Plan ist also ergebnisoffen. Adherence zielt im Kern auf das Umsetzen von Behandlungsplänen, die in einem gemeinsamen Aufbau interner Evidence erarbeitet (Behrens / Langer 2016) und dann vom Behandelten in Auftrag gegeben wurden. Adherence setzt partizipative Entscheidungsmodelle im Hinblick auf langfristige Therapieoptionen voraus und grenzt sich damit paradigmatisch von einem traditionell verstandenen Compliance Begriff ab. Während Compliance eher Expertenmodelle impliziert, fördern partizipative Modelle Elemente von Genesung und Empowerment. Der Aufbau interner Evidence, die zwischen Professionellen und pflege- und behandlungsbedürftigen Auftraggebern entsteht, kann so gelingen. Als weiteren Terminus in diesem Zusammenhang sei noch auf den Begriff der Konkordanz hingewiesen. Der Begriff ist in Deutschland nicht so geläufig, wird aber im internationalen Diskurs durchaus verwendet. Im deutschsprachigen Raum wird dem Adhärenzterminus häufig das Verständnis zugrunde gelegt, welches im internationalen Raum mit dem Konkordanz-Begriff in Verbindung gebracht wird. Das internationale Verständnis ist in Abbildung 1 dargestellt.

Intentionale und nicht intentionale Nonadhärenz Gelingt es den Patienten nicht, die abgesprochenen Therapiepläne umzusetzen, bezeichnet man dies als Non-Adhärenz. Dabei unterscheidet man zwischen intentionaler und nicht intentionaler Non-Adhärenz. Intentionale Non-Adhärenz meint, dass die betroffene Person bewusst entschieden hat, eine Therapie nicht fortzuführen, z. B. wegen auftretenden Nebenwirkungen, wegen Therapiekosten oder weil die dauerhafte Notwendigkeit in Frage gestellt wird. Beispielhaft sei auf die Therapie mit Antibiotika verwiesen, die häufig bereits dann von den Betroffenen eingestellt wird, wenn sie sich wieder gut fühlen und nicht erst zu einem ärztlicherseits empfohlenen späteren Zeitpunkt. Ein weiteres großes Problem in der langfristigen Umsetzung von therapeutischen Regimen besteht darin, dass diese nur teilweise zur Anwendung kommen. Formen intentionaler Non-Adhärenz sind z. B.: „a little bit each day“: Kontinuierliche Unterdosierung und damit einhergehender unzureichender Wirkungsentfaltung. „drug swinging“: z. B. Einnahme einer Dauer-Medikation in Abhängigkeit vom klinischen Zustand. „drugholidays: periodisches abruptes Absetzen der Medikation mit einem einhergehenden erhöhten Risiko eines Rezidivs. „White-coat Adherence“: Wiederaufnahme der regulären Medikation kurz vor Arztbesuch, eihergehend mit einem erhöhten Rezidivrisiko. PADUA (2018), 13 (1), 13–20

Abbildung 1. Von Compliance zu Konkordanz (Concordance). Der Konkordanzbegriff hat sich in Deutschland nicht wirklich durchgesetzt. Spätestens bei der Umsetzung komplexerer und langfristiger Therapieprogramme stellt man allerdings fest, dass es den Betroffenen häufig nicht gelingt, den Empfehlungen dauerhaft zu folgen.

Demgegenüber steht die Nicht-Intentionale (unwillentliche) Non-Adhärenz. Hier will die betreffende Person zwar den abgesprochenen Therapieplan umsetzen, schafft das aber nicht, z. B. weil die Medikamente vergessen werden, weil die Apotheke zu weit weg ist oder weil das Geld für das Rezept fehlt. Die Unterscheidung zwischen Intentionaler Non-Adhärenz und Nichtintentionale Non-Adhärenz ist für die Auswahl der Interventionen von großer Bedeutung. Sollte ein Patient zwar Willens aber nicht in der Lage sein, einen Therapieplan umzusetzen, dann kann z. B. die Einbeziehung Angehöriger sinnvoll sein. Sollte es sich um eine willentliche Entscheidung handeln, dann könnten Motivationsangebote oder auch psychosoziale Unterstützung zielführend sein.

Warum gewinnt der Aspekt der gemeinsamen Entscheidungs­ findung in Therapieprozessen an Bedeutung? Für die Wichtigkeit von Adherence gibt es zwei Gründe: einen sehr alten, so gut wie immer zutreffenden und ganz basalen Grund und einen oft, aber nicht immer zutreffenden Grund. Der immer zutreffende unter diesen beiden Gründen liegt in der Vermeidung einer schweren Straftat, umgangssprachlich eines Gewaltverbrechens. Viele Behandlungen in der Pflege und in der Medizin greifen nämlich in den Körper und damit – weil es keine Körper ohne Seele und keine Seelen ohne Körper gibt – in die Persönlichkeit der Gepflegten und Behandelten tief ein. Ohne einen ausdrücklichen, hinreichend infor©2018 Hogrefe


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mierten Auftrag des pflegerisch und medizinisch Behandelten handelt es sich bei den meisten Behandlungen um den Straftatbestand der – oft schweren – Körperverletzung. Ärzte und Pflegende sind nicht (mehr) Agenten der Volks-Gesundheit gegen die einzelne Person oder Agenten eines Organs, z. B. der Leber, gegen die Besitzerin des Organs, sondern Ausführende des Auftrags der Person. Niemand anderes kann den Behandelnden diesen Auftrag geben als die Person selbst. Das ist bei Tierärzten anders. Tiere haben einen Besitzer. Menschen nicht. Das ist noch nicht lange so. Noch im Absolutismus wurde der gute König gedacht nach dem Modell des guten Hirten: Der gute Hirte weidet seine Schafe und führt sie, sobald es in seinem Interesse liegt, zur Schlachtbank. Pflegende und Ärzte waren Agenten der Volksgesundheit bzw. des Willen Gottes. Schuldet nun die einzelne Person die Gesundheit, die sie früher dem Herrscher schuldete, dem Volk, seit das Volk souverän wurde? Kant sagte Nein. Eine Person diene niemandes Zwecken. In Kants Gefolge versuchten aber zahlreiche Lehrer, Philosophen, Pfarrer, Pflegende und Ärzte hinter Kant zurückzufallen und doch eine Pflicht zur Gesundheit zu etablieren und einen Schutz der Person vor sich selber (vgl. Behrens / Langer 2016). Doch als das letzte Mal in Deutschland Pflegende und Ärzte als Agenten der Volksgesundheit auftraten und über lebenswertes und -unwertes Leben entschieden, hatte sich die Rechtsordnung schon so eindeutig entwickelt, dass ihnen das Verbrecherische ihres Handelns klar sein musste. Seitdem gibt es für jede pflegerische oder ärztliche Behandlung einen von der informierten Person (oder ihrem ­Bevollmächtigtem) zwingend unterschriebenen ausdrücklichen Auftrag (Behandlungsplan). Es muss also interne Evidence aufgebaut worden sein. Selbst in der Notfallversorgung eines ohnmächtigen Unfallopfers geht ein Rettungssanitäter davon aus, einen Auftrag zu haben, wenn keine gegenteiligen Erklärungen vorliegen – und noch nie wurde diese Ansicht berichtigt, wenn der Behandelte wieder bei Sinnen war. Der zweite Grund für die Wichtigkeit von Adherence liegt darin, dass Pflege und Medizin in den meisten Fällen gar nicht ohne die entscheidende Mitwirkung der behandelten Person wirksam sein können. Pflege und Medizin können nämlich dann der Person nur bei ihrem eigenen Bemühen um Gesundheit assistieren, aber sie nicht allein heilen. Das ist nicht nur bei den chronischen Erkrankungen so, auch bei den meisten akuten. An dieser Mitwirkung (Adherence) mangelt es jedoch oft. Ist diese mangelnde Mitwirkung (Adherence) ein Beleg dafür, dass Pflegende und Mediziner sich zwar irgendwie eine Unterschrift unter den Behandlungsauftrag verschafften, aber diese Unterschrift gar nicht der tatsächlich aufgebauten internen Evidence über die Ziele und Ressourcen des Auftraggebers, also seinem informiert gegebenem Auftrag entspricht? Ja, leider wird man diese Frage häufig bejahen müssen. Besonders eindeutig ist es dann ein Beleg für nicht hinreichend sorgfältig aufgebaute interner Evidence in der Begegnung, wenn die Be-

handelten vorgeben, sie hätten den Behandlungsplan eingehalten, also z. B. die vereinbarten Pillen geschluckt,- während sie diese in Wirklichkeit nicht genommen hatten. Mit dieser falschen Vorspiegelung drücken die Behandelten aus, mit Pflegenden und Medizinern sei über die Gründe ihres Handelns nicht zu reden. Interne Evidence konnte so in der Begegnung nicht aufgebaut werden.

Wie groß ist das Problem? Als Faustregel gilt, dass 50 % der Patienten die Vorgaben nicht adäquat umsetzen oder bereits die Therapie abgebrochen haben (Sabate, 2003). Diese Zahlen sind im Bereich chronischer Erkrankungen diagnoseübergreifend stabil und gelten für Menschen mit Depressionen ebenso wir für Patienten mit Bluthochdruck. Jedes dritte Medikament wird so falsch eingenommen, dass ernste Gesundheitsschäden entstehen und jedes fünfte Rezept wird gar nicht eingelöst. Daraus ergibt sich die Frage, ob das dauerhafte Befolgen von Therapien überhaupt einen gesundheitlichen Nutzen mit sich bringt. Hier gilt, dass durchaus Fälle denkbar sind, in denen der Betroffene ein besseres Gesundheitsergebnis erzielt, wenn er eine angeordnete Therapie nicht fortführt. Auch hat die Medizin zum Beispiel erkannt, dass es nicht sinnvoll ist, so viele Antibiotika zu verschreiben, wie man das in früheren Jahren getan hat. Insgesamt zeigt sich aber, dass durch die langfristige Umsetzung therapeutischer Vorgaben positiver Einfluss auf die Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung genommen werden kann. So konnten DiMatteo et al bereits 2002 in einer Metaanalyse zeigen, dass die Umsetzung therapeutischer Programme das Risiko von schlechten Behandlungs­ ergebnissen um 26 % reduziert. Bei chronischen Erkrankungen fielen die Ergebnisse deutlicher aus als bei ­akuten Erkrankungen. Eingeschlossen wurden 63 Studien aus den Erkrankungsbereichen Krebs, Diabetes, Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Schlafapnoe, Otitis Media sowie Patienten nach Transplantation. Studien zu psychiatrischen Erkrankungen waren nicht eingeschlossen. Nonadhärentes Verhalten in der Gesundheitsversorgung kann in der Versorgung der Bevölkerung zu unerwünschten Folgen führen. Demnach wird nonadhärentes Verhalten verantwortlich für • Erhöhte Wiederaufnahmeraten • Höhere Gesundheitskosten • 50 % der sog. Therapieversager bei Hypertonie • 700 000 ungewollten Schwangerschaften pro Jahr (in den USA) infolge von Einnahmefehlern von oralen Kontrazeptiva • 80 % der Organabstöße bei Transplantationen • ca. 30 – 40 % der Therapieresistenz bei Depression • ca. 30 – 40 % der Rezidive bei Schizophrenie

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Welche Faktoren beeinflussen das langfristige korrekte Umsetzen von Therapieplänen?

Adherence Therapie als Beispiel für eine Intervention zur Steigerung des Adhärenzniveaus Aufbauend auf den theoretisch-konzeptionellen Arbeiten des Modells zur intentionalen Verhaltensänderung von DiClemente und Prochaska gilt es, im Hinblick auf die Gestaltung der Intervention die jeweiligen Stufe der Veränderungsbereitschaft in die Überlegungen einzubeziehen (Schulz, Kremer 2016). Die Stufen sind in Tabelle 2 dargestellt. In dieser Stufenfolge ist unserer Meinung nach die Stufe zwischen Preparation und Maintenance zu kurz und zu harmlos aufgeführt. Um eine Gewohnheit aufzugeben und eine neue zu habitualisieren bedarf es mindestens eines halben Jahres. In diesem halben Jahr gibt man häufig die Absicht auf, seine Gewohnheiten überhaupt zu ändern, fällt also auf die Stufen der „Precontemplation“, bestenfalls der „Contemplation“ zurück. Es handelt sich also keineswegs um eine Treppe, auf der man nur in eine Richtung geht. Wie das eingangs zitierte Beispiel Odysseus bei den

Ambivalenz Heraus- und bearbeiten

Problemlösung

Annehmen + Einstellungen besprechen

Assessment

Nach vorne blicken

Prozess Fähigkeiten

Interpersonelle Fähigkeiten

Wie aus dem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, 2003) deutlich wird, wird das Ausmaß adhärenten Verhaltens von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse zu der Thematik stammen vom Anfang dieses Jahrtausends. Vermeire et al. (2001) haben z. B. in einem Review drei Jahrzehnte Adherence Forschung untersucht. Demnach wurden seit 1975 mehr als 200 beeinflussende Faktoren identifiziert. Außer der Beziehungsqualität zwischen Behandeldem und Betroffenem konnte allerdings kein Faktor herausgearbeitet werden, der im Hinblick auf das Adhärenzverhalten prädiktiven Charakter hat.

Gemeinsamer Aufbau interner Evidence über Ziele, Ressourcen und Optionen des auftraggebenden Patienten

Rückblick

Evidence based – wissenschaftliches Fundament

Abbildung 2. Die Elemente der Adherence Therapie: Im Dach geschieht der Aufbau interner Evidence

Sirenen zeigt, kann man durchaus Helfer beauftragen, in erwartbaren Rückfällen einzugreifen. Adherence Therapie beruht auf der Erkenntnis, dass das Verhalten von Patienten im Hinblick auf die verabredete Umsetzung langfristiger Therapieregime durch deren persönliche Annahmen, Bedenken und Sorgen stark beeinflusst wird. Zudem liegt der Intervention ein partizipativer und ergebnisoffener Ansatz zu Grunde. Die hier untersuchte patientenzentrierte Intervention richtet sich an Einzelpersonen und wird in fünf bis acht aufeinander aufbauenden Einzelsitzungen durchgeführt. Wesentlicher Schwerpunkt ist die Planung der Zeit im Anschluss an den stationären Aufenthalt. Die Adherence Therapie beinhaltet Therapiebausteine aus der Motivierenden Gesprächsführung von Miller und Rollink (2015). Die Intervention wurde in England für den ambulanten Bereich entwickelt. Die im Manual dargelegten Elemente der Intervention lassen sich in Form eines Hauses darstellen (siehe Abbildung 2). Demnach liegt der Intervention eine breite Basis externer Evidenz im Hinblick auf vergangene Wirksamkeit der Intervention bei früheren Patienten, aber auch angrenzender Themengebiete wie z. B. wissenschaftliche Erkenntnisse zu verhaltenstherapeutischen Interventionen oder zur vergangenen durchschnittlichen Wirksamkeit von Medikamenten bei anderen Patienten zugrunde. Zur Durchführung benötigen die Therapeuten sowohl interpersonale Fähigkeiten (z. B. Kompetenzen zur Gesprächsführung) als auch Fähigkeiten im Hinblick auf den Prozess der Intervention (wie z. B. die Fähigkeit, Sitzungen miteinander zu verbinden).

Tabelle 1. Faktorgruppen mit Relevanz für gelingenden Aufbau interner Evidence und Adherence laut WHO (World Health Organization, 2003) Faktor

Beispiel

Patientenbezogene Faktoren

Ressourcen, Wissen über die Erkrankung, Einstellungen, ­Überzeugungen, Wahrnehmungen und Erwartungen des Patienten

Gesundheits- und krankheitsbezogene Faktoren

Symptomschwere, Stärke der krankheitsbedingten Funktionseinschränkungen

Therapiebedingte Faktoren

Ungewollte Nebenwirkungen, Komplexität der Medikamentenregime

Gesundheitssystem- und den jeweiligen Professionellen bedingte Faktoren

Therapeut-Patient-Beziehung, Behandlungsteam, Art der ­Kommunikation und Kooperation

Soziale und ökonomische Faktoren

Alter, Sozioökonomischer Status, Bildungsniveau

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Als Dach der Intervention stehen Elemente der internen Evidence (ebenfalls ein wissenschaftliches Element), wie z. B. die Einbeziehung des Patienten in der gemeinsamen Entwicklung zum Behandlungsplan sowie der Ansatz, Widerstand gering zu halten. Die Intervention entspricht damit dem Aufbau interner Evidence, wie sie von Behrens und Langer und Behrens beschrieben wurde (2016, Behrens, 2010). Demnach ist für das Verständnis eine strikte Trennung von interner und externer Evidence erforderlich. Externe Evidence bezeichnet alles „gesicherte“ Wissen, das wir überhaupt aus der Erfahrung Dritter ziehen können. Von besonderem Interesse sind hier kausal zuschreibbare Wirkungen von bestimmten Interventionen und deren Übertragbarkeit. Bei gegebener Komplexität der Frage, wie sie z. B. in Fragen der Adherence vorliegt, sind dazu sowohl quantitative als auch qualitative Forschungsmethoden erforderlich. Interne Evidence bezeichnet dagegen alles Wissen über unsere Klienten selbst, das in der Regel nur in der Begegnung zwischen je einzigartigem Klienten und Therapeuten geklärt werden kann. Nur in der Begegnung lässt sich die Validität, die Übertragbarkeit von Studienergebnissen, z. B. zur Wirksamkeit einer leitliniengestützten medikamentösen Therapieempfehlung für unseren individuellen Klienten erkennen (Behrens, 2010). Behrens weist darauf hin, dass sich das Verständnis im Hinblick auf die interne Evidence in den letzten 15 Jahren stark gewandelt hat. Demnach ist nicht mehr das Erfragen von „Präferenzen“ des Betroffenen durch den Professionellen Gegenstand im Zentrum der Überlegung. Es geht vielmehr um die Begegnung im Gespräch, in der man Bedürfnisse und Empfindungen klären kann. Interne Evidence meint also die in der Begegnung zwischen Patient und Therapeuten geklärten Wahrnehmungen, Bedürfnisse und Ziele der Patienten und stellt damit ein systemisches Ergebnis der Beziehung mit einzigartigen Klienten dar. Anknüpfungspunkte ergeben sich hier auch zur Durchführung der Intervention. Im

Hinblick auf die Motivierende Gesprächsführung, die ja elementarer Bestandteil der Intervention ist, beschreiben Miller und Rollnick (2015) Motivation als das Ergebnis eines zwischenmenschlichen Prozesses und als Resultat einer Interaktion zwischen Personen.

Grundlegende Fertigkeiten Grundlegende Fertigkeiten bilden die Basis der Adherence Therapie. Sie setzen sich zusammen aus folgenden kommunikativen Fertigkeiten im zwischenmenschlichen Prozess, sowie Fertigkeiten im Rahmen der Steuerung des therapeutischen Prozesses: • Kommunikative Fähigkeiten im therapeutischen Prozess, wie z. B. aktives Zuhören, Verwendung der Sprache des Patienten oder die Ermutigung zur Rückmeldung. • Fertigkeiten im Rahmen der Steuerung des therapeutischen Prozesses, wie z. B. die inhaltliche Verknüpfung von Sitzungen miteinander, Aufbau von Selbstwirksamkeit, Betonung von Wahlmöglichkeiten Vier Schlüsselfertigkeiten sollten immer dann zur Anwendung kommen, wenn Therapeuten mit Patienten über deren Behandlungsplan sprechen. Diese sind: • Beteiligung und Einbeziehung der Menschen im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsbündnisses • Widerstand umlenken, mit dem Widerstand fließen bzw. gleiten, anstatt ihn direkt anzugehen. Widerstand ist ein Signal, dass die Vorgehensweise geändert werden muss. • Informationen austauschen • Diskrepanzen entwickeln Hier wird deutlich, dass seitens der professionell Pflegenden gute Kompetenzen im Bereich der Gesprächsführung vorhanden sein sollten.

Interne Evidenz

Externe Evidence Datenbanken über erwiesene Wirksamkeit, z.B.:  Evidence-based Nursing  Cochrane Library  Qualität technischer Geräte und Prozesse (klinischepidemiologische Studien)  Qualitative und quantitative Soziologische Verlaufsstudien

(Kunst-)Lehre der Zielklärung, Anamnese und Pflegediagnose:  Individual-biographische Zielsetzung des Klienten  Impairment (medizinisch)  Disability (ärztlich/pflegerisch)  Participation (pflegerisch/ärztlich)  Verlaufsdokumentationen

Ökonomische Anreize und Vorschriften Vorschriften / Faustregeln / Leitlinien / Richtlinien / Gesetzliche Regelungen Abbildung 3. Evidence-basierte ärztliche und pflegerische professionelle Praxis: interne und externe Evidence, moralische und ökonomische Anreize bei ärztlichen, therapeutischen und pflegerischen Entscheidungen (Behrens, 2010) ©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 13–20


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Tabelle 2. Stufen der Veränderung (Cracken und Corrigan, 2008) Precontemplation Stadium der Absichtslosigkeit

Person hat keine Absicht, ein problematisches Verhalten zu ändern

Contemplation Stadium der Absichtsbildung

Person hat die Absicht, irgendwann das problematische Verhalten zu ä ­ ndern.

Preparation Stadium der Vorbereitung

Person plant konkret, ihr Verhalten zu ändern und entwickelt erste ­Schritte für eine Veränderung

Action Stadium der Handlung

Person vollzieht eine Verhaltensänderung

Maintenance Stadium der Aufrechterhaltung

Person hat seit längerer Zeit das problematische Verhalten aufgegeben, das neue Verhalten wird verinnerlicht

Termination Abschlussstadium

Person hat das alte Verhalten dauerhaft aufgegeben

Spezifische Elemente der Intervention Im Rahmen der Intervention sind folgende Phasen zu unterscheiden: Phase des Kennenlernens, Assessment (im Hinblick auf den Umgang und die Erfahrungen mit sowie die Einstellung zu Medikamenten), Therapeutische Phase und Evaluationsphase. Die einzelnen Gesprächseinheiten sollen nicht länger als 45 – 60 Minuten dauern. Sowohl im Hinblick auf die Räumlichkeiten als auch im Hinblick auf die Dauer der Einheiten ist Flexibilität wichtig, um sich den Bedürfnissen des Patienten anpassen zu können. Im Folgenden sollen die einzelnen Phasen kurz dargestellt werden.

Kennenlernphase Die erste Einheit wird genutzt, um sich gegenseitig kennen zu lernen. Ziel ist es, ein Klima für ein offenes Gespräch zu schaffen. Hierfür muss der Patient Vertrauen fassen und über den Ablauf der Intervention informiert werden.

Assessmentphase Die Assessmentphase dauert ein bis zwei Einheiten. Ziel ist es, etwas über die Medikamentengeschichte des Patienten sowie seine Einstellung zu bzw. Vertrauen in die Medikamente zu erfahren. Die Priorität, die die Pharmakotherapie für den Patienten hat, sowie das Vertrauen in die Medikamente sind wichtige Parameter, die es zunächst zu erheben und im Rahmen der Therapie, wenn nötig und vom Patienten gewünscht, zu beeinflussen gilt. Anhand eines strukturierten Assessments werden Informationen dazu erhoben. Im Assessment sollten die folgenden Punkte angesprochen werden: • Praktische Aspekte der Medikamenteneinnahme: Dazu gehört zum Beispiel: wo wird das Rezept besorgt, ist eine Apotheke in der Nähe, gibt es Probleme mit der PADUA (2018), 13 (1), 13–20

Rezeptgebühr, kommt der Patient mit der Verpackung zurecht? Interaktion zwischen Medikamenten und anderen Substanzen: Einige Substanzen – etwa Alkohol, illegale Drogen oder alternative Präparate – können mit den verordneten Medikamenten interagieren. Wirkung und ‚Nebenwirkung von Medikamenten: Im Hinblick auf die -oft unerwünschten ‚Nebenwirkungen sollten Betroffene aufgefordert werden, diese nach ihrer empfundenen Schwere zu ordnen, da die Menschen objektiv vorhandenen Wirkungen, wie etwa Gewichtszunahme oder Impotenz, unterschiedliche Bedeutung beimessen. Das belegt noch einmal, wie notwendig der individuelle (!) Aufbau interner Evidence ist, erarbeitet am Bedürfnis selbstbestimmter Teilhabe am Leben der Gesellschaft. Der Betroffene steht vor der Wahl zwischen zwei Übeln: Stimmen hören (oder andere psychotische Schübe) einerseits, Impotenz und Gewichtszunahme andererseits. Sie kann nur er selber gewichten; und zwischen ihnen kann er nur selber entscheiden. Überzeugungen und Bedenken zur Medikation: Manche Betroffene empfinden es zum Beispiel als unnatürlich, dass sie Medikamente benötigen, um „normal“ zu sein. Andere empfinden Medikamente als ein langsam wirkendes Gift oder sind der (durchaus nachvollziehbaren) Überzeugung, dass sie keine Medikamente mehr brauchen, wenn es ihnen wieder gut geht. Informationsbedarf: Hier sollte ermittelt werden, ob die Patienten Informationen über Erkrankung oder Medikamente wünschen oder benötigen. Informationen sollten im Rahmen dieser Intervention nicht ungefragt gegeben werden. Vielmehr sollte dafür ein Auftrag vom Patienten erteilt werden. Motivation und Ambivalenz: Hier stehen einige Kernfragen im Raum wie etwa: Wie ist die Motivation der Patienten im Hinblick auf die Einnahme der Medikamente oder welche Rolle spielt Ambivalenz?

Das Assessment sollte schriftlich zusammengefasst werden, wobei es wichtig ist, dass die Worte der Betroffenen ©2018 Hogrefe


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verwendet werden und die Betroffenen eine Version des Assessments erhalten. Ein entsprechendes Formular für das Assessment wurde entwickelt.

Therapeutische Phase Für diese Phase sind vier bis sechs Einheiten vorgesehen. Es steht ein Repertoire an Maßnahmen zur Verfügung, die in dieser Phase zur Anwendung kommen. Dazu gehört z. B., praktische Probleme der Medikamenteneinnahme zu besprechen, gemeinsam mit dem Patienten Ambivalenz heraus- und bearbeiten oder über Bedenken gegenüber den Medikamenten zu sprechen.

Praktische Aspekte der ­Medikamenten­einnahme bearbeiten Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Medikamente ordnungsgemäß einzunehmen, ist bei vielen Patienten von alltäglichen Problemen beeinflusst. Probleme im Bereich der praktischen Umsetzung sind – wie bereits ausgeführt – der unwillentlichen NonAdherence zuzuordnen und bedeuten z. B., dass Betroffene • vergessen, die Medikamente einzunehmen, • nicht in der Lage sind, sich ein Rezept (rechtzeitig) zu besorgen, • Probleme mit der Einnahme der Medikamente haben. Es ist wichtig, dass für einfache Probleme, welche die Adherence negativ beeinflussen möglichst praktische Lösungsstrategien entwickelt werden.

Rückblick Durch die Überprüfung bisher gemachter Erfahrungen mit der Behandlung kann der Patient erkennen, welche Behandlungsstrategien in der Vergangenheit gut bzw. nicht so gut geholfen haben. Dabei kann es aber auch passieren, dass der Rückblick auf wiederholte negative Erfahrungen das Selbstvertrauen des Patienten untergräbt, denn wiederholtes Scheitern kann die Motivation negativ beeinflussen. Von daher sollte nach positiven Elementen, egal wie klein oder unbedeutend diese erscheinen, gesucht werden. Der Therapeut sollte eine detaillierte Transkription anfertigen und gemeinsam mit dem Patienten möglichst klar dessen Erfahrungen aufführen.

Ambivalenz herausarbeiten Es ist völlig normal, dass die meisten Patienten ein gewisses Maß an Ambivalenz oder Unsicherheit im Hinblick auf die Einnahme von Medikamenten an den Tag legen. Für eine informierte und fundierte Entscheidungsfindung des Patienten dahingehend, ob er Medikamente einnehmen

möchte oder nicht, ist das Heraus- und Bearbeiten von Ambivalenzen von entscheidender Bedeutung. Es hat sich als hilfreich erwiesen, mit dem Patienten die folgenden Listen zu erarbeiten: • die guten und weniger guten Aspekte der Einnahme von Medikamenten • die guten und weniger guten Aspekte des Absetzens von Medikamenten Ziel ist es, den Patienten dabei zu unterstützen, seine persönlichen Gründe für oder gegen die Einnahme von Medikamenten herauszuarbeiten. Hierbei handelt es sich nicht um eine Belehrung, was in den Augen des Therapeuten rational wäre, Gegenstand ist vielmehr eine Reihe von individuellen Wahrnehmungen.

Das Gespräch über Überzeugungen und ­Sorgen hinsichtlich der Medikation Durch die Assessment-Phase und die Bearbeitung verschiedener Einheiten im Rahmen der Adherence Therapie sollte ein gutes Verständnis bezüglich Überzeugungen und Sorgen des Patienten im Hinblick auf Krankheit und Behandlung entstanden sein. Diese Ansichten haben einen großen Einfluss auf die Bedeutung, die der Patient der Einnahme von Medikamenten zubilligt. Einige der häufig genannten Überzeugungen im Hinblick auf antipsychotische Medikamente lauten: • Ich denke, dass Medikamente abhängig machen • Ich denke, dass Medikamente mich vergiften • Medikamente nehmen mir meine Persönlichkeit • Wenn es mir besser geht, kann ich die Medikamente absetzen • Ich fühle mich gesund

Nach vorne schauen Damit der Patient ein Verständnis für eine langfristige Medikamenteneinnahme entwickeln kann, sollte er gebeten werden, ein erreichbares bzw. lösbares Ziel zu benennen. Anschließend gilt es, alle auf dem Weg dahin liegenden potentiellen Hindernisse herauszuarbeiten. Ziele könnten z. B. sein, dass der Patient sich vornimmt, ohne stationäre Aufenthalte auszukommen oder zu seiner Arbeitsstelle zurückzukehren. Im Rahmen des Problemlösungsansatzes sollten dann entsprechende allgemeine und spezielle Aufgaben benannt werden, die zur Zielerreichung bearbeitet werden müssen. Mit Hilfe dieses Ansatzes lässt sich so die Bedeutung des Behandlungsplanes im Hinblick auf formulierte Ziele unterstreichen. Außerdem kann dieser Ansatz helfen, das Vertrauen des Patienten in die eigenen Fähigkeiten zu steigern. Dieser Zusammenhang zwischen dem Behandlungsplan und wünschenswerten Zielen weisen zudem darauf hin, dass die Einnahme von Medikamenten nicht nur den einschränkenden Charakter haben muss, den viele Patienten darin sehen.

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Evaluationsphase

Literatur

In der letzten Sitzung gilt es, gemeinsam mit dem Patienten den Prozess zu reflektieren und das Erreichte zu bewerten. Auf der Grundlage des zu Beginn durchgeführten Assessments lässt sich dann feststellen, welche Veränderungen erreicht werden konnten. Im Rahmen einer multizentrischen randomiserten Studie konnte bei an psychose erkrankten Menschen in der aktutstationären Versorgung gezeigt warden, dass die Intervenionsgruppe (Adherence Therapie inclusive drei Hausbesuchen nach Entlassung) ein besseres Krankheismanagement zur Folge hat, als dies bei der Kontrollgruppe der Fall war. Hier konnten Krankheitssymptome auch dann reduziert werden, wenn die Medikamenteneinnahme abgebrochen wurde (Schulz al, 2013). Über die Herausforderungen des Aufbaus interner Evidence auch bei Personen, die nicht an einer Psychose erkrankt sind, siehe Behrens / Langer 2016 und Hontschik et al. 2013.

Behrens, J. & Langer, G. (2016). Evidence based nursing and caring. Bern: Huber. Behrens, J. (2010). EbM ist die aktuelle Selbstreflexion der individualisierten Medizin als Handlungswissenschaft: (Zum wissenschaftstheoretischen Verständnis von EbM). Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 104 (8), 617 – 624. DiMatteo, M. R., Giordani, P. J., Lepper, H. S., & Croghan, T. W. (2002). Patient adherence and medical treatment outcomes a metaanalysis. Medical care, 794 – 811. Gray, R., White, J., Schulz, M., & Abderhalden, C. (2010). Enhancing medication adherence in people with schizophrenia: an international programme of research. International journal of mental health nursing, 19 (1), 36 – 44. Gray, R., Bressington, D., Ivanecka, A., Hardy, S., Jones, M., Schulz, M., & Chien, W. T. (2016). Is adherence therapy an effective adjunct treatment for patients with schizophrenia spectrum disorders? A systematic review and meta-analysis. BMC psychiatry, 16 (1), 90. Hontschik, B., Bertram, W., & Geigges, W. (2013). Auf der Suche nach der verlorenen Kunst des Heilens. Pneumologie, 67 (12), 682 – 682. Kremer, G., & Schulz, M. (2016). Basiswissen: Motivierende Gesprächsführung in der Psychiatrie. Köln: Psychiatrie Verlag. Rollnick, S., Miller, W. R., Butler, C. C., & Aloia, M. S. (2008). Motivational interviewing in health care: helping patients change behavior. New York: Guilford Press. Miller W R, Rollnick S (2015) Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing. 3. Aufl. Freiburg: Lambertusverlag. Sabaté, E. (Ed.). (2003). Adherence to long-term therapies: evidence for action. World Health Organization. Schulz, M., Gray, R., Spiekermann, A., Abderhalden, C., Behrens, J., & Driessen, M. (2013). Adherence therapy following an acute ­episode of schizophrenia: a multi-centre randomised controlled trial. Schizophrenia research, 146 (1), 59 – 63. Vermeire, E., Hearnshaw, H., Van Royen, P., & Denekens, J. (2001). Patient adherence to treatment: three decades of research. A comprehensive review. Journal of clinical pharmacy and therapeutics, 26 (5), 331 – 342.

Ausblick Zur wirkungsvollen Unterstützung von Menschen, die langfristiges Krankheitsmanagement leisten müssen, bedarf es Techniken und Intervenionen, die die Selbstbestimmung der Betroffenen fördern und gleichzeitig den Patienten mit notwendigen Informationen für Therapieentscheidungen versorgen. Gleichzeitig gilt es, die psychologischen Aspekte der Ambivalenz und der unterschiedlichen Phasen von Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen. Der Fokus auf Selbstbestimmung ist nicht nur ethisch geboten sondern führt auch zu besseren Behandlungsergebnissen. Vor diesem Hintergrund sollte die Thematik im Rahmen von Aus- und Weiterbildung entsprechend Berücksichtigung finden.

Prof. Dr. Michael Schulz ist Krankenpfleger und Professor für Psychiatrische Pflege in Bielefeld. Die Adherence Therapie hat er in England kennengelernt und mit weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf den deutschen Sprachraum übertragen und beforscht. Michael.schulz@fhdd.de

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Genesungs- und Krankheitserfahrungswissen dem Fachwissen ebenbürtig vermitteln Erfahrungen der partizipativen Zusammenarbeit mit Betroffenen aus der Praxis und Forschung auf die Bildung übertragen

Personenzentrierte Pflege bedingt von den Fachpersonen eine Haltungsänderung, welche ein sich Lösen von einem paternalistischen Betreuungsverständnis fordert. Die partizipative Integration von Menschen mit persönlicher Krankheits- / Genesungserfahrung in Schulungen fördert und / oder vertieft diese Haltungsänderung. Wichtig ist es, diese Partizipation umsichtig, zielgerichtet und reflektiert zu gestalten. Hierfür wird folgend ein Stufen-

Pflege gilt es aber eine partizipative Entscheidungsfindung anzustreben. Hierbei wird vorausgesetzt, dass Fachpersonen ihre fachlichen Überlegungen transparent und für alle Beteiligten verständlich darlegen. Andererseits wird von ihnen erwartet, dass sie Einstellungen und Präferenzen sowie das Erfahrungswissen der zu Betreuenden als ihrem Fachwissen „gleichwertig“ anerkennen (Abderhalden & Prins, 2011). Personenzentriertes Arbeiten verpflichtet, sich von dem paternalistischen Verständnis – „die Fachperson sagt was zu tun ist und die zu betreuende Person befolgt diese Anweisungen“ – abzuwenden.

modell der Grade der Partizipation beschrieben, pädagogisch verankert und mit bestehenden Erfahrungen aus einem Weiterbildungsgang untermalt.

Empowerment durch Peer-Support in der Praxis

Personenzentrierte Pflege und Zusammenarbeit

Eine in der psychiatrischen Praxis erprobte Intervention zur Förderung der Selbstbestimmung (Empowerment) und Partizipation Betroffener ist der Einbezug von Psychiatrie-Erfahrenen in die Betreuung, den sogenannten „Peer-Support“ (Pitt V. et al., 2013). „Peer-Support“ bedeutet in diesem Setting Unterstützung von Betroffenen durch Betroffene. „Zu den wichtigsten Elementen des Peer-Supports gehört die Möglichkeit sich mit anderen über gemeinsame Erfahrungen, Sichtweisen und Erklärungen austauschen zu können“ (Utschakowski J. et al, 2016, S. 21). Es steht also auch hier u. a. wieder das Erfahrungswissen und das Auflösen von paternalistischem Machtgefüge im Vordergrund.

Die Umsetzung einer personenzentrierten Pflege, welche das Empowerment im Sinne einer Befähigung / Ermächtigung ins Zentrum stellt, steht und fällt mit der gezielten und reflektierten Zusammenarbeit zwischen den Pflegenden und den zu Betreuenden. Im Lehrbuch Psychiatrische Pflege beschreiben Abderhalden und Prins (2011) „Formen der Zusammenarbeit mit Psychiatrie-Erfahrenen“ (s. Abb. 1). Sie stellen diese auf einem Kontinuum von „Informationen weitergeben“, über die „konsultative“- und „partnerschaftliche“ Zusammenarbeit bis zur „Nutzerkontrolle“ dar. Den Fokus der Zusammenarbeit setzen sie auf die Entscheidungsfindung und kategorisieren diese in die „paternalistische“- und „partizipative“ Entscheidung, sowie die „Informierte Wahl“ durch die zu Betreuenden. Welche Form der Zusammenarbeit adäquat ist, muss situativ entschieden werden. Für eine personenzentrierte ©2018 Hogrefe

Abbildung 1. Formen der Zusammenarbeit mit Psychiatrie-Erfahrenen. Abderhalden und Prins (2011) PADUA (2018), 13 (1), 21–28 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000411

Schwerpunkt

Eva Tola


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Peer-Support unter Betroffenen in der klinischen Praxis umfasst sowohl den informellen Austausch (z. B. unter Mitpatientinnen / en), semiformelle Angebote wie Selbsthilfegruppen sowie auch formelle Dienstleistungen innerhalb der psychiatrischen Versorgung wie Genesungsbegleitung und Fürsprache. Personen mit psychiatrischer Krankheits-/Genesungserfahrungen können sich in der Weiterbildung EX-IN („Experienced-Involvement“) zu formellen Peer-Arbeitenden, sogenannten Expertinnen / en aus Erfahrung, ausbilden lassen. In dieser 42-tägigen Weiterbildung mit mindestens 190 Stunden Praktika werden u. a. „Förderung von Gesundheit und Wohlbe­ finden“, „Recovery“ (s. Kastentext), „Selbsterforschung“ und „Lernen und Lehren“ behandelt (weitere Informationen unter: www.ex-in-bern.ch). Dem vorliegenden Artikel folgt ein Bericht einer EX-IN Absolventin zu Ihrem Werdegang, sowie ihrer Arbeit als Genesungsbegleiterin in einer Psychiatrischen Klinik (Brändli, Wie ich Genesungsbegleiterin wurde).

Krankheits- und Genesungs­ erfahrungswissen in die Bildung integrieren Auch die Bildung steht in der Verantwortung, partizipativ mit Menschen mit Expertentum durch persönliches (Krankheits- und Genesungs-) Erfahrungswissen (EEW) zusammenzuarbeiten und in Schulungen von Fachpersonen Wege zu finden, das Erfahrungswissen dem Fachwissen qualitativ ebenbürtig zu vermitteln. In einem Statement der WHO (2010) zum Empowerment von Menschen mit EEW im Bereich der Psychischen Gesundheit werden für die Bildung hierzu folgende Empfehlungen formuliert: Schulungen sollen systematisch und partnerschaftlich mit den Menschen mit EEW (inkl. Angehörigen) entwickelt und durchgeführt werden. Ebenso wird in einem wissenschaftlich untermalten Artikel zu „Was ist gute psychiatrische Pflege?“ für die Aus- und Weiterbildung festgehalten, dass Menschen mit EEW Inhalte mitgestalten sollen und eine Auseinandersetzung mit deren Erfahrungen auf Augenhöhe stattfinden muss (Richter et al., 2014). Und auch die Patientensicherheit Schweiz (2017) kommt in ihrem Aktionsplan für die Versorgung psychisch erkrankter Menschen zum Schluss, dass der Einbezug von Menschen mit EEW in den Behandlungsplan als fester Bestandteil der Bildung etabliert werden muss. Es existiert kaum verifiziertes Wissen darüber wie Menschen mit EEW in die Bildung integriert werden sollen. In den meisten Aus- und Weiterbildungen der Pflege werden punktuell (teilweise bereits seit vielen Jahren) Personen mit EEW einbezogen. Die wohl häufigste Form des Einbezuges, bei welchem die Personen mit EEW den klar abgegrenzten Auftrag erhalten, über ihre Krankheitserfahrungen Auskunft zu geben („Fallbeispiel“ zu sein), PADUA (2018), 13 (1), 21–28

Recovery Im psychiatrischen Setting steht das personenzentrierte Recovery für Behandlungskonzepte, welche die Individualität des Einzelnen in den Vordergrund rücken und auch bei langzeiterkrankten Menschen auf eine Genesung abzielen. Für den Begriff „Recovery“ im Sinne des personenzentrierten Recovery-Ansatzes konnte kein treffender deutschsprachiger Begriff gefunden werden. Je nach Person oder Situation können Begriffe wie „Genesung“ oder „Erholung“ als Übersetzung dienen, oder auch Umschreibungen wie „Wiedererlangung von Wohlbefinden“. Entstanden ist der Begriff durch eine (Betroffenen-) Bewegung in den USA, welche sich vehement gegen die Meinung „einmal psychisch krank, immer psychisch krank“ stellte. Beim Recovery-Ansatz handelt es sich nicht um ein einheitliches Konzept, sondern um eine Sammlung von Haltungs- und Handlungselementen (siehe auch Knuf, 2016). Ein zentrales Element ist die Personenzentrierte Arbeitsweise der Fachpersonen. Schmoke et al. (2016) kommen bei ihren Ausführungen zu Recovery, Empowerment und Personenzentrierung zum Schluss, dass zwischen dem RecoveryAnsatz mit Empowerment als eines der zentralen Elemente und dem personenzentrierten Ansatz mehr Konvergenzen als Abweichungen bestehen.

trägt der geforderten partizipativen Zusammenarbeit jedoch nicht vollumfänglich Rechnung. Vereinzelt werden bereits partizipativ vorbildliche Weiterbildungen angeboten, welche von der Entwicklung bis zur Durchführung partizipativ gestaltet sind und sich auf eine partizipativ aufgestelltes Forschungswissen stützen, siehe beispielsweise „Recovery Praktisch! – Schulungsunterlagen“ (Zuaboni, 2012).

Von der partizipativen Gesundheitsforschung lernen In der Forschung hat die Methode der partizipativen Zusammenarbeit mit den „Beforschten“ bereits eine lange Tradition. Die „International Collaboration for Participatory Health Reserach“ (ICPHR) hat es sich hierbei zur Aufgabe gemacht, die wachsenden internationalen Erkenntnisse über die Anwendung partizipativer Ansätze systematisch zusammenzuführen (Wright, 2013). Von diesem Wissensfundus kann die Bildung profitieren. Einerseits indem Bildungsanbieter darauf achten, gezielt partizipativ generiertes Wissen zu vermitteln, andererseits um die in der partizipativen Forschung erarbeiteten Vorgehen zur Anwendung, Beschreibung und Qualitäts©2018 Hogrefe


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Instrumentalisierung

Abbildung 2. Stufenmodell der Partizipation mit Personen mit EEW

sicherung der Partizipation von Menschen mit EEW für die Bildung, wo sinnvoll, zu adaptieren. Ein solches Instrument ist das Stufenmodell der Partizipation von Cornwall (2008).

Hier werden Personen aus der beforschten Zielgruppe in die Forschung einbezogen, ohne dass diese einen wirklichen Einfluss auf den Forschungsprozess haben. Es ist ein gehaltloser Einbezug, welcher nicht eine Partizipation anstrebt (Wright, 2013). Im Zuge der Forderung nach mehr Selbstbestimmung / Ermächtigung (Empowerment) der Betroffenen, besteht auch in der Bildung (und der Praxis) bei einem unreflektierten Einbezug von Menschen mit EEW die Gefahr der „Instrumentalisierung“. Beispielsweise indem Personen mit EEW zwecks Marketing konzeptlos und ohne die nötige partizipative Grundhaltung der beteiligten Personen mit EFW und der Institution, als „Quotenvertreter / innen“ bei Schulungen beigezogen werden.

Befolgung

Ein Stufenmodell der Partizipations­grade für die Bildung Ähnlich der Stufen des Kontinuums der Zusammenarbeit von Abderhalden und Prins (s. Abb. 1) nennt Cornwall (2008) folgende acht Ausprägungen der Grade der Partizipation oder Nicht-Parti­zipation: „Instrumentalisierung“, „Befolgung“, „Konsultation“, „Kooperation“, „Gemeinsames Lernen“ und „Kollektives Handeln“. Von der Instrumentalisierung bis zur Kooperation können die Begrifflichkeiten 1:1 für die Bildung übernommen werden. Für die Stufe „Gemeinsames Lernen“ ist die Bezeichnung „Gemeinsames Lernen und Lehren“ treffender, für das „Kollektive Handeln“ „Lernen und Lehren im Kollektiv“ (s. Abb. 2). Die Grade der Partizipation einzustufen und somit benennen zu können, ermöglicht eine differenzierte Auseinandersetzung über den gezielten Einsatz von Menschen mit EEW (mit oder ohne EX-IN Ausbildungsabschluss) sowie dessen Evaluation und Qualitätssicherung. Sie zeigen zudem auf, dass die beiden ersten und die letzte ­Stufe der Partizipationsgrade im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung als „nicht partizipativ“ bezeichnet werden (s. Abb. 3). Folgend werden die einzelnen Grade des Stufenmodells der Partizipation in der Forschung nach Cornwall (2008) erläutert, Adaptionsmöglichkeiten für die Gestaltung von Schulungseinheiten beschrieben und mit erprobten Beispielen untermauert. Die Bespiele ab der Stufe „Konsultation“ bis zur Stufe „Kollektives Lernen und Lehren“ stammen aus dem Nachdiplomkurs Psychiatrische Pflege und Betreuung (NDK PSY)1 des Berner Bildungszentrums Pflege und werden in dieser Form seit 2 Jahren angewendet.

In der Forschung haben hier Menschen außerhalb der beforschten Zielgruppe die unmittelbare Kontrolle über den Forschungsprozess. Menschen aus der Zielgruppe erhalten aber bestimmte Aufgaben und werden ggf. durch Anreize motiviert mitzumachen (Wright, 2013). Für die Bildung bedeutet dies, dass die Lehrpersonen mit EFW Thema, Ausrichtung und Gestaltung der Schulung bestimmen und Personen mit EEW klar abgegrenzte Aufgaben übertragen, welche den Schulungsablauf als Gesamtpaket nicht beeinflussen. Hier ist der sehr oft angewendete Einbezug von Betroffenen als „Fallbespiele“ anzusiedeln. ­Personen mit EEW erhalten hierbei den Auftrag, exem­ plarisch ihre Krankheits-/Genesungserfahrungen zu erläutern. Die Zusammenarbeit der Personen mit EEW und EFW ist nicht partizipativ, trotzdem kann natürlich auch ein solcher Einbezug eine wirkungsvolle Lern- und Lehrform sein.

Konsultation Die Meinung der Menschen aus der Zielgruppe zur geplanten Forschung wird eingeholt, die Menschen außerhalb der Zielgruppe entscheiden aber über alle Bestandteile des Forschungsprozesses (Wright, 2013). Für die Bildung ist dies die erste Stufe, welche im Sinne einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit von der Lehrperson mit EFW verlangt, ihre fachlichen Überlegungen zum Unterricht transparent und verständlich darzulegen. Diese holt dann konsultativ die Meinung einer Person mit EEW ein und bindet diese eventuell auch in die Schulung ein. Die Lehrperson mit EFW führt aber durch den Unterricht, entscheidet Lerninhalte und -ziele sowie die Form des Miteinbezuges.

Von den Insgesamt 30 Präsenztagen werden 10 Lektionen von Lehrpersonen mit EEW gehalten und acht Lektionen in Co-Moderation durch eine (Lehr-)Personen mit EEW und eine Lehrperson mit Expertentum durch erlerntes Fachwissen (EFW).

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Schwerpunkt

Abbildung 3. Grade der Partizipation und die Formen der Zusammenarbeit

Diese Form der Partizipation scheint in der Bildung sinnvoll um punktuell den theoretischen Unterricht mit subjektivem Erfahrungswissen von Personen mit EEW zu verknüpfen. Dies ist für die Kursteilnehmenden ähnlich der in der Stufe „Befolgung“ beschriebenen Form des Einbezuges als „Fallbeispiel“. Für die Expertin aus Erfahrung wie auch für die Lehrperson mit EFW ist die Zusammenarbeit aber gänzlich anders geprägt und wird gegenseitig beeinflusst, auch wenn die Endverantwortung bei der Lehrperson mit EFW liegt. Sinnvoll ist diese Art der Partizipation beispielsweise in Schulungen zu spezifischen Phänomenen wie „sozialem Rückzug“, „Stimmen hören“ oder „selbstverletzendem Verhalten“.

Kooperation Auch auf dieser Stufe liegt die Kontrolle über den Forschungsprozess nicht bei den Menschen aus der Zielgruppe. Sie können aber das Thema, die Ausrichtung und den Verlauf der Forschung mitbestimmen (Wright, 2013). Adaptiert auf die Bildung übernimmt bei der „Kooperation“ die Lehrperson mit EFW die Hauptverantwortung für die Schulungskonzeption und deren inhaltlichen Ausrichtung. Die konkrete Ausgestaltung der Schulung wird aber gemeinsam entwickelt. Die „Kooperation“ eignet sich für Unterrichtseinheiten zu übergeordneten Themenbereichen wie z. B. „Recovery-orientiertes Arbeiten“. Für die dementsprechend übergeordneten Zielsetzungen, wird die Detailplanung in Kooperation zwischen Lehrpersonen mit EEW und EFW erarbeitet. Der Unterricht wird in CoModeration durchgeführt.

Gemeinsames Lernen und Lehren In der Forschung nennt Corwall (2008) diese Stufe „Gemeinsames Lernen“. Hier werden auf Augenhöhe InteresPADUA (2018), 13 (1), 21–28

sen, bestehendes Wissen und Erkenntnisse ausgetauscht und gemeinsam Forschungsprojekte entwickelt und durchgeführt (Wright, 2013). Für die Bildung bedeutet dies, dass bei der Entwicklung von Schulungseinheiten die Endverantwortung nicht mehr nur bei der Lehrperson mit EFW liegt. Dadurch wird das Machtgefälle zwischen dem Gesundheits- und Krankheitserfahrungswissen und dem Fachwissen aufgehoben. Möglich ist es hier, einer Person mit EEW einen eigenständigen Themenbereich aus einer Schulung zu übertragen, zu welchem sie sowohl über persönliches Erfahrungswissen, wie auch über eine vertiefte Auseinandersetzung mit Fachwissen verfügt. Nach einem gemeinsamen Austausch zwischen der Person mit EEW und EFW und der gemeinsam erarbeiteten Unterrichtsziele übernimmt die Person mit EEW die Verantwortung für die Gestaltung und Durchführung der Schulungseinheit. Im NDK PSY sind dies beispielsweise die Themen „Stigmatisierung“, „Angehörigen-Arbeit“ und „Peer-Support“.

Kollektives Lernen und Lehren „Kollektives Handeln“ wird nach Cornwall (2008) in der Forschung die letzte Stufe der Partizipation genannt. Engagierte Bürgerinnen organisieren hier ihre eigenen Forschungsvorhaben ohne Unterstützung oder Moderation von Außenstehenden“ (Wright, 2013, S. 123). In der Bildung bedeutet dies, dass Menschen mit EEW selber Bildungsangebote entwickeln und durchführen. Die Kursteilnehmenden des NDK PSY nehmen hierfür an einer Trialog-Veranstaltung teil (Treffen von Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten der Psychiatrie zum Austausch auf Augenhöhe, siehe auch www.trialogbern.ch). Diese werden zwar trialogisch von Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen und nicht „nur“ von Personen mit EEW durchgeführt, das Erfahrungswissen steht aber klar im Vordergrund. Zudem hat die Lehrperson mit EFW des Schulungsanbieters keinen Einfluss auf die Trialog-Durchführung. ©2018 Hogrefe


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Auswahl und Einsatz von Personen mit EEW Die Grundvoraussetzungen der Integration von Menschen mit EEW in die Bildung sind dieselben wie bei der partizipativen Forschung: die sorgfältige Planung der Zusammenarbeit im Vorfeld, eine gute Moderation und die kontinuierliche Pflege einer vertrauensvollen Zusammenarbeit (Wright, 2013). In einem Handbuch zur Einführung von Peer-Support durch Personen mit EEW in die klinische Praxis (Repper, 2013) werden für die Vorbereitung, die Rekrutierung, die Anstellung und die Weiterentwicklung der Rolle einer Peer-Arbeitenden Empfehlungen formuliert, welche auch für deren Integration in die Bildung bedeutend sind. Zusätzlich wichtig für die Bildung ist es, den Partizipationsgrad zu klären und die Kursteilnehmenden gut über den Sinn und Zweck der jeweiligen Partizipation zu instruieren. Der Grad der Partizipation einer Person mit EEW in Schulungen beeinflusst alle oben genannten Aspekte der Vorbereitung. So beispielsweise die für die stringente Umsetzung der partizipativen Haltung zentrale Achtung der gleichberechtigten Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten (WHO, 2010). Personen mit EEW, welche auf der Partizipationsstufe „gemeinsames Lernen und Lehren“ dozieren, werden als eigenständige Dozierende angestellt. Wer auf der Stufe der „Konsultation“ tätig ist, erhält „nur“ eine Aufwands-Entschädigung. Spätestens ab der Partizipationsstufe der „Kooperation“ empfiehlt es sich, eine Person mit EEW mit einer spezifischen Ausbildung, wie der EX-INAusbildung, in den Unterricht einzubinden. Ab der Stufe „Gemeinsames Lehren und Lernen“ müssen diese zudem über pädagogisch-didaktische Fertigkeiten verfügen und sich mit der Unterrichtsthematik auch fachlich auseinandergesetzt haben. Generell muss darauf geachtet werden, dass die persönliche Erfahrung in engem Zusammenhang mit der Unterrichtsthematik steht, was auch bei der partizipativen Forschung ein Grundsatz darstellt (Wright, 2013). Für die Kursteilnehmenden ist diese Art des Kontaktes mit Menschen mit Krankheitserfahrung meistens neu und ungewohnt. Es ist daher wichtig, den Sinn und Zweck der jeweiligen Form der Zusammenarbeit zu besprechen. Beispielsweise werden von den Teilnehmenden des NDK PSY die Schulungen mit Personen mit EEW grundsätzlich sehr geschätzt. Doch trotz einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Peer-Support in der klinischen Praxis und auch einer klaren Instruktion der Lehraufträge der jeweiligen Lehrpersonen mit EEW werden auch Schwierigkeiten beschrieben. Die kritischen Rückmeldungen reichen von dem Gefühl der Teilnehmenden keine Fragen stellen zu dürfen, weil sie befürchten, die Person mit EEW zu verletzen, bis hin zur Erwartung, dass die Personen mit EEW ihre Krankheits-und Genesungserfahrung ausführlich darlegen müssen, da für sie diese Form von Schulungen sonst keinen Sinn macht. Eine Äußerung war z. B. „Ich konnte mich nicht konzentrieren, da ich mir ständig darüber Gedanken machte, welche Krankheitserfahrung die Person hat.“ Bei der Nachbesprechung reagieren die Teilnehmen-

den meist emotional wenn sie realisierten, dass ihre Zurückhaltung und / oder Erwartung auch eng mit dem paternalistischen Rollen-Verständnis in Zusammenhang stehen, sie dieses aber nicht so einfach ablegen können.

Transformatives Lernen durch Partizipation von Personen mit EEW Ein Hauptziel der Partizipation von Menschen mit EEW in Schulungen ist es, die der personenzentrierten Pflege zugrundeliegende Haltung der Teilnehmenden zu stärken. Diese erfordert, dass sich Fachpersonen von einer paternalistischen zu einer partizipativen Zusammenarbeit mit den zu Betreuenden bewegen, was wiederum eine Haltungsund Verhaltensveränderung bedingt. Eine Lerntheorie, welche die Veränderung und / oder Erweiterung von Haltungen (Perspektiven, Denkweisen) ins Zentrum stellt, ist das transformative Lernen („Teaching for Change“) (Mezirow & Taylor, 2009). Auf Grund ihres Fokusses eignet sich diese daher um die Partizipation von Menschen mit EEW in der Bildung pädagogisch zu verankern (s. Abb. 4). Die Lerntheorie des transformativen Lernens entwickelt sich stetig weiter. Den ursprünglichen drei Kernelementen „persönliche Erfahrung“, „Kritische Reflexion Fördern“, „Diskurs“ nach Mezirow, führt Tayler noch folgende drei hinzu: „Holistische Ausrichtung“, Kontextgebundenheit“ und „Authentische Beziehungen“ (Mezirow & Taylor, 2009). Alle Elemente müssen berücksichtigt werden, um transformatives Lernen zu fördern. Folgend werden die Kernelemente mit Aspekten der Partizipation von Menschen mit EEW in Schulungen in Verbindung gesetzt.

„Persönliche Erfahrung“ Die im Vorfeld gemachten persönlichen Erfahrungen in Kombination mit den Erfahrungen, welche im Schulungssetting gemacht werden, stellen die Ausgangslage für das Auslösen einer kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Normen und Vorannahmen. Die Konfrontation mit einem Menschen mit EEW im Unterricht ist eine durch und durch persönliche Erfahrung. Steht ein Mensch mit EEW beispielsweise auf der Stufe des „Gemeinsamen Lernens und Lehrens“ als Lehrperson vor der Klasse, führt dies zu einer gänzlich neuen Rollenverteilung zwischen den Fachpersonen und den Betroffenen.

„Kritische Reflexion Fördern“ Der direkte Kontakt im Unterricht mit Menschen mit EEW ermöglicht eine unmittelbare kritische Reflexion („reflect­ ing on“). Reflexionsfragen zur Personenzentrierung beispielsweise wie „gelingt es mir mein Fachwissen dem ­Erfahrungswissen nicht höher zu gewichten?“ oder „sub-

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Jasmin Jossen (EX-IN-Absolventin) arbeitet bei der Stiftung Pro Mente Sana als Peer und Fachmitarbeiterin Recovery. Sie doziert im NDK PSY die Thematik „Stigmatisierung“ auf der Stufe „Gemeinsames Lernen und Lehren“. Folgend nimmt sie Stellung zu ihrer Dozierendentätigkeit: „Ich wurde bereits auf verschiedenen Stufen der Partizipation in Schulungen integriert. So war ich vor Jahren „Vorführmodell“ in einer Lehrveranstaltung eines Psychiaters. Während meiner EX-IN Weiterbildung konnte ich gemeinsam mit einer Fachperson und einem Mitstudierenden eine Weiterbildungssequenz mitgestalten. Hier blieb die Leitung bei der Fachperson, aber wir konnten einen Teil der Sequenz inhaltlich selber erarbeiten und durchführen. Seit zwei Jahren doziere ich nun am NDK PSY. Ich bin verantwortlich für Inhalt, Methodik und Durchführung. Somit habe ich einen stufenweisen Prozess der Partizipation durchlaufen. Für mich war dies ein sinnvoller Einstieg in die Dozierenden-Tätigkeit. Ich hatte vor vier Jahren noch nicht die nötigen didaktischen und methodischen Kenntnisse, um selbständig eine Weiterbildung durchzuführen. Als „Vorführmodell“ habe ich mich damals überrumpeln lassen. Ohne Vorbereitung wurde ich vor die Klasse gestellt und „durfte“ Fragen beantworten. Hier habe ich

jektive (Krankheits-)Erklärungsmodelle als solche zu erkennen und zu akzeptieren?“ können direkt während der Schulung bearbeitet und sogar mit den Personen mit EEW diskutiert werden.

„Diskurs“ Die direkte Diskussion mit Menschen mit EEW fördert durch den persönlichen, emotionsgebundenen Diskurs effizienter das transformative Lernen als eine rein analytische Konversation auf der Fachebene.

mich instrumentalisieren lassen und wurde wohl vom Psychiater eher verantwortungslos als Objekt eingesetzt. Ich denke aber, dass jede Stufe ihre Berechtigung haben kann. Grundsätzlich sind die Haltung und somit die Begründung für die entsprechende Wahl ausschlaggebend. Auch wenn ich in einer Klasse Fragen beantworte und meine Geschichte erzähle, muss ich mich nicht instrumentalisieren lassen oder „vorgeführt“ vorkommen. Auch hier kann die verantwortliche Dozierende einen Einbezug möglich machen. Den Einsatz im NDK PSY erlebe ich als stimmig. Nach einer Vorbesprechung zum Themenbereich habe ich von der Weiterbildungsverantwortlichen freie Hand bekommen, meinen Unterricht zu planen. Bei der Durchführung habe ich mich von den Teilnehmenden akzeptiert und geschätzt gefühlt. Meine Kompetenz wurde von ihnen nicht in Frage gestellt. Gemäß Rückmeldungen haben sie die Schulung sehr geschätzt. In meinem jetzigen Selbstverständnis als Expertin aus Erfahrung ist diese Schulungsform für mich normal und angemessen. Meine Expertise als Peer und meine Kompetenzen als Lehrperson sind gefragt, und wenn ich diese vorweisen kann, wieso sollte ich dann nicht als Dozentin angestellt werden? Für mich steht dabei nicht „nur“ die Partizipation im Vordergrund, sondern die Akzeptanz der Erfahrungsexpertise. Expertinnen / en aus Erfahrung als Dozierende einzusetzen bedeutet für mich, ihr Wissen als gleichwertig anzuerkennen und wertzuschätzen als Ergänzung und Perspektivenerweiterung zum Fachwissen.“

EEW über seine persön­lichen Erfahrungen, ist dies eine an Werte gebundene Vermittlung der Bedeutung von Krankheits- und Gene­sungs­erfahrungswissen. Dem Element „Authentische Beziehung“ ist auf allen Stufen der Partizipation große Aufmerksamkeit zu schenken, da die Beziehung zur Person mit EEW in der Schulung meist kurz aber emotionsgebunden ist. Die meist neuartige Rollenverteilung kann bei allen Beteiligten zu Unsicherheiten führen. Wie bereits beschrieben, ist daher eine gute Moderation dieser Methode (von der Einführung bis zur Evaluation) so-

Merzirow (2009)

„Holistische Ausrichtung“, Kontextgebundenheit“ und „Authentische Beziehungen“ Ebenso wie in der Arbeit mit Menschen mit EEW in der Praxis und der Forschung, ist Partizipation in der B ­ ildung ein Schulungsarrangement, welches die Be­treuenden (Patienten) von behandelten Objekten zu parti­zipierenden Subjekten macht (Utschakowski J. et al, 2016). Sie zeichnet sich dadurch durch eine holistische Ausrichtung und eine stringente Kontextgebundenheit aus. Spricht ein Mensch mit PADUA (2018), 13 (1), 21–28

Pädagogische Verankerung

Lernen am Modell Modeling

Bandura (1977)

Holistische Ausrichtung

Kontextge­ bundenheit

Authentische Beziehung Taylor (2009)

Abbildung 4. Pädagogische Verankerung ©2018 Hogrefe


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Karin Steudler, Stationsleiterin Pflege Lory-Haus EG, Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Universitätsspital Bern und Absolventin des NDK PSY beschreibt, wie sie die Partizipation von Personen mit EEW im NDK PSY als Teilnehmende erlebt hat: „Vor der ersten Lektion mit einer Person mit EEW konnte ich mir nicht vorstellen, was auf mich zukommen wird. Dank der bemerkenswerten Praxisnähe, konnte ich sehr schnell 100 % für den Unterricht gewonnen werden. Für mich war es viel eindrücklicher, verschiedene Fakten direkt aus der Sicht einer „Betroffenen“ vermittelt zu kriegen, als in einer relativ neutralen Form in einem Fachbuch nachzulesen. Das Thema „Selbststigmatisierung“ habe ich in keinem anderen Unterricht so hautnah vermittelt gekriegt. Ich konnte das Gefühlsleben der Expertin aus Erfahrung intensiv miterleben. Ich konnte ihr auch Fragen stellen, die ich in einem anderen Rahmen niemals beantwortet gekriegt hätte. Seit der Schulung überlege ich mir im Arbeitsalltag bedeutend häufiger als früher, wie ein / e Patient / in selber eine Situation erlebt. Ich sehe Patientinnen / en seither noch viel bewusster als Experten ihrer eigenen Situation. Ich achte sehr bewusst darauf, ihnen als Fachperson mein Fachwissen nicht einfach aufzudrängen, sondern für eine gute Balance zwischen Fachwissen und Wissen aus Erfahrung zu sorgen. Zudem frage ich im Rahmen des Erstkontaktes mit Patientinnen / en ganz bewusst jeweils nach den bereits gemachten Erfahrungen und persönlichen Bedürfnissen. Fachwissen kann sich grundsätzlich jede Person selber mittels Fachliteratur aneignen. Mit dem Erfahrungswissen sieht es anders aus: Dieses ist unbezahlbar und kann unbeschreiblich unter die Haut gehen, so dass man es nie mehr vergessen wird.“

wohl in der Zusammenarbeit mit der Person mit EEW wie auch mit den Teilnehmenden wichtig. Ein zentraler Aspekt der gezielten Partizipation von Lehrpersonen mit EFW und Menschen mit EEW ist die Vorbildfunktion, welche Bildungsanbieter dadurch einnehmen. Die ebenbürtige Berücksichtigung des Erfahrungs- und Fachwissens wird im Sinne des Modellernens (Bandura, 1977) vorgelebt. Hier ist v. a. die Co-Moderation von Lehrpersonen mit EFW und EEW unerlässlich. Wird Personen mit EEW sogar (zielgerichtet und reflektiert) die Verantwortung für Schulungseinheiten übergeben, zeugt dies von einem modernen, personenzentrierten Verständnis des Bildungsanbieters.

Fazit Die Partizipative Integration von Menschen mit EEW in Schulungen von Gesundheitsfachpersonen ist eine sinnvolle und pädagogisch begründbare Form der Vermittlung von Krankheits- und Genesungserfahrungswissen, welches wiederum eine personenzentrierte Haltung der Teilnehmenden fördern kann. Die Erfahrungen aus den NDK PSY zeigen zudem, dass diese Schulungen von den Kursteilnehmenden als praxisnah erlebt und sehr geschätzt werden. Bei dem Einsatz von Personen mit EEW in Schulungen und dessen Qualitätssicherung ist die Berücksichtigung der Grade der Partizipation wichtig. Diese beeinflussen, neben den Auswahlkriterien für die Lehrinhalte in Kombination mit dem persönlichen Profil der Person mit EEW, auch deren adäquate Anstellungsbedingungen. Für eine gezielte Anwendung der Stufen der Partizipation ist es sinnvoll, diese mit klaren Kriterien zu operationalisieren, spezifische Ziele, Umsetzungsmöglichkeiten und Herausforderungen zu erläutern und wissenschaftlich zu prüfen. Weiter zu diskutieren ist, welche Ressourcen (zeitlich / finanziell / personell) für einen sinnvollen Einsatz von Menschen mit EEW zur Verfügung stehen müssen, oder wie partizipative Integrationsformen von Menschen mit EEW außerhalb vom direkten Schulungssetting, wie z. B. eine partizipative Entwicklung von Bildungsangeboten und Lehrmitteln, umgesetzt werden können.

Abkürzungen EEW = Expertentum durch persönliches (Krankheits- und Genesungs-) Erfahrungswissen EEF = Expertentum durch erlerntes Fachwissen EX-IN = Experienced Ivolvement NOK PSY = Nachdiplomkurs Psychiatrische Pflege und Betreuung

Literatur Abderhalden, C., Prins, S. (2011). Zusammenarbeit mit PsychiatrieErfahrenen und Unterstützung der Selbsthilfe. In Sauter, D. et al., Lehrbuch psychiatrische Pflege (S. 159 – 181). Bern: Huber. Bandura, A. (1977). Social learning theory. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall. Cornwall, A. (2008). Unpacking “Participation” models, meanings and Practice. Community Dev J, 269 – 283. Knuf, A. (2016). Empowerment und Recovery. Köln: Psychiatrie Verlag. Mezirow, J., Taylor, E. (2009). Transformative Learning Theory in Practice. San Francisco: Jossey-Bass. Patientensicherheit Schweiz. (2017). Aktionsplan – Patienten­ sicherheit in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen. http://www.patientensicherheit.ch/de/themen/Identifikationvon-Risiken/Patientensicherheit-in-der-psychiatrischen-Ver sorgung.html [Zugriff: 18. 08 2017]. Pitt, V. et al. (2013). Consumer-providers of care for adult clients of statutory mental health services (Review). Cochrane Library, 1 – 29.

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Repper, J. (2013). Peer Suppoert Workers: a practical guide to implementation. London: CentreforMH. Richter, D., Schwarze, T., Hahn, S. (2014). Was ist gute Psychiatrische Pflege? Psych Pflege; 20 (03) 125 – 131. Schmolke, M., Amering, M. (2016). Recovery, Empowerment, and Person Centeredness. In Mezzich J. E., et al. Person Centered Psychiatry (97 – 111). Schweiz: Springer. Utschakowski, J. et al. (2016). Experten aus Erfahrung – Peerarbeit in der Psychiatrie. Köln: Psychiatrieverlag. WHO. (2010). User empowerment in mental health. http://www. euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0020/113834/E93430.pdf [Zugriff: 18. 08 2017]. Wright, M. T. (2013). Was ist Partizipative Gesundheitsforschung? Präv. Gesundheitsf., 8, 122 – 131. Zuaboni, G. (2012). Recovery praktsich! – Schulungsunterlagen. Bern: Universitäre Psychiatrische Dienste Bern.

Eva Tola MScN, Dipl. Pflegefachfrau, NDS Pflege, Gesundheitsförderung und Prävention. Leiterin Nachdiplomkurs Psychiatrische Pflege und ­Betreuung des Berner Bildungs­ zentrum Pflege (CH). Vorstands­ mitglied des Vereins EX-IN-Bern. eva.tola@bzpflege.ch

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Wie ich Genesungsbegleiterin wurde Das persönliche Erfahrungswissen mit psychischen Erschütterungen nutzbar machen für die Begleitung von Menschen in psychischen Krisen Helene Brändli

In Form eines persönlichen Berichtes beschreibt die Autorin ihren Werdegang zur formellen Peer-Arbei-

Meine Erfahrungen, die mich für den „Peer-Support“ qualifizieren

auf einer psychiatrischen Akutstation. Die Lesenden erfahren hierbei was P ­ eer-Support ist und lernen zudem die Weiterbildung Experienced-Involvement (EX-IN) kennen. Die EX-IN Weiterbildung befähigt Menschen, welche psychische Erschütterungen erlebt haben, zur formellen Peer-Arbeit. Ich bin eine Grenzgängerin – manchmal mit fehlender Balance. Während meiner vielen, langen Krisen hätte ich nicht zu hoffen gewagt, dass diese Erfahrung der psychischen Erkrankung und Genesung jemals eine Qualifikation für eine berufliche Tätigkeit sein würde; dass meine (vermeintlichen) Defizite zu gefragten Kompetenzen werden und eine Akzeptanz und Integration meiner seelischen Erschütterung ins Leben und in den Arbeitsalltag möglich sein wird. Genau dies wurde mir durch die Weiterbildung Experienced Involvement (EX-IN) (siehe Kasten-Text 2) ermöglicht. Mit viel Engagement und (Selbst-)Reflexion, aber auch Durchhaltewillen ist es mir gelungen meine persönliche Erfahrung mit psychischen Erschütterungen so aufzuarbeiten und nutzbar zu machen, dass ich heute in einer psychiatrischen Klinik formellen „Peer-Support“ (siehe Kastentext 1) anbiete. Durch meine Arbeit kann ich aufzeigen, dass eine Diagnose keine Endstation und Recovery möglich ist; mit, ohne, dank oder trotz des psychiatrischen Hilfesystems. Und so arbeite ich heute als ausgebildete Peer-Arbeiterin, auch Genesungsbegleiterin genannt. Ich begleite hierbei Patienten (ich nenne sie lieber Nutzende) ein Stück auf ihrem Genesungsweg und engagiere mich in der AntistigmaArbeit. Weiter bin ich als Trainerin der EX-IN Weiterbildung tätig und Co-Präsidentin des Vereins EX-IN-Bern.

Schon als kleines Kind habe ich gemerkt, dass ich anders bin. Ich fühlte mich nicht zugehörig, war oft traurig und ein „Nicht-Verstehen“ begleitete mich. Die Welt außerhalb meiner Familie schien mir wenig wohlwollend und manchmal fast ein bisschen böse. Ich war schon immer großherzig und konnte nicht verstehen, dass nicht alle Menschen wohlgesinnt sind. Meine Selbstunsicherheit, meine Verletzlichkeit und der fruchtbare Boden für meine Krankheit entstanden in meiner Kindheit. Mein Bild von meinen Eltern, von der Art und Weise wie wir aufwuchsen, deckte sich nicht mit dem Bild, welches mir von außen vermittelt wurde. An meiner Familie und mir wurde oft kein gutes Haar gelassen. Ich suchte nach Zugehörigkeit und merkte schnell, dass dies nur möglich war, in dem ich mich meiner Umgebung anpasste. Ich wurde immer unsicherer, sodass ich schlussendlich nicht mehr wusste, welches Bild nun das richtige war. Dieses Spannungsfeld hat mich irgendwann zerrissen. Die Not meiner kindlichen Seele hat sich oft in körperlichen Krankheiten Ausdruck verschafft. Doch diese Strategie war nicht von Dauer. Schließlich habe ich Zuflucht und Kontrolle in der Magersucht gefunden. Als ob ich mich auflösen und unscheinbar machen könnte. Die Essstörung hatte mich lange Zeit im Griff, brachte mich oft an meine Grenzen und ich musste stationär behandelt werden. Depressionen lähmten mich, Selbstverletzung brachte mich manchmal für einen kurzen Moment zurück ins Leben. Erst Jahre später bekam meine Krankheit einen Namen: emotional instabile Persönlichkeit vom Borderline-Typus. Durch die Diagnose bekam ich endlich die Möglichkeit, mich und meine Erkrankung zu verstehen. Und durch das Verstehen kann ich heute besser handeln. Auch das Verstehen meiner eigenen Geschichte hilft mir heute meinem Weg zu folgen (Brändli H., 2014).

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 29–32 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000412

Schwerpunkt

terin und ihr Engagement als Genesungsbegleiterin


30 Schwerpunkt

Wie ich zu der ­ EX-­IN-Weiterbildung kam Meine ersten Erfahrungen im psychiatrischen Hilfesystem haben mich nachhaltig (negativ) geprägt. Während meines ersten stationären Aufenthaltes mit 12 Jahren habe ich viel Gewalt und Zwang erlebt. Ich war über drei Monate isoliert. Leiden macht offenbar nicht nur mich (als Kind) hilflos – es wird gar bestraft. Auch meine weiteren Aufenthalte in der Jugendpsychiatrie waren schwierig. Mit 16 habe ich dann ein Konzept für eine stationäre Psychiatrie geschrieben, welches natürlich in irgendeiner Schublade verschwand. Nicht jedoch mein Wunsch und Bedürfnis, eine Stimme im Kontext des psychiatrischen Hilfesystems zu erhalten, aktiv mitzuarbeiten und Möglichkeiten zu bekommen, Dinge zu verändern. 2011- nach fast 20 Jahren Erfahrung – hatte mich meine Mutter auf die EX-IN-Weiterbildung aufmerksam gemacht. Das war meine Chance! Auch heute erlebe ich die Psychiatrie –sowohl als Peer wie auch als Nutzende – oft als konstanter Entmächtigungs- und Enteignungsprozess. Vieles ist besser geworden, einiges nicht. Und so arbeite ich heute mit viel Herzblut und Engagement und versuche meinen Teil zu einer partizipativen, personenzentrierten, offenen Psychiatrie beizutragen.

Meine Tätigkeit als Genesungsbegleiterin Seit gut drei Jahren arbeite ich nun als Genesungsbegleiterin in den psychiatrischen Diensten der Spitalregion Oberaargau (SRO) - hauptsächlich auf den akutpsychiatrischen Abteilungen. Mein Arbeitstag beginnt jeweils an der Morgenrunde: Und jede Woche versuche ich neu, kurz, knapp und dennoch verständlich zu erklären, was meine Aufgaben und mein Beruf sind und was das bedeutet. In der Regel führe ich vier bis fünf Einzelgespräche. Es ist auch möglich, dass aus einem Gespräch ein schweigender Spaziergang wird. Reden fällt Nutzenden oft schwer. Es ist okay zu schweigen, gemeinsam zu versuchen, eine Situation auszuhalten. Einfach „Da-sein“. Es ist mir ganz wichtig, offen und unvoreingenommen in die Gespräche zu gehen und den Nutzenden entscheiden zu lassen, woran er mich teilhaben lassen will, welche Worte und Ausdrücke mein Gegenüber für sein Erleben und Leiden findet. Darum verzichte ich meistens auf die Teilnahme am Rapport und das Lesen der Krankengeschichte. Denn all diese Berichte werden dem Nutzenden und seiner Lebensgeschichte nicht gerecht. Es ist nicht seine Geschichte, es ist die Geschichte der Fachpersonen über ihn. Die Fachsprache mit all ihren Symptomen, Diagnosen und Verhaltensbeschreibungen engen mich bzw. mein Denken ein. Zu schnell bin ich dann auf der „sicheren SeiPADUA (2018), 13 (1), 29–32

Text 1: Was ist formeller „Peer-Support“ in der ­psychiatrischen Versorgung? Peer-Support bedeutet auf Deutsch so viel wie „Unterstützung durch Gleiche“. Peer-Support in der psychiatrischen Versorgung beinhaltet den Einsatz von gegenwärtig oder ehemals von einer (psychiatrischen) Erkrankung Betroffenen, sogenannte Peer-Arbeiter, oder Experten aus Erfahrung, in die verschiedenen Ebenen des Behandlungsprozesses und der Versorgung (Utschakowski et al., 2016). Sie werden nicht nur als Genesungsbegleiter im direkten Kontakt mit Patienten einbezogen, sondern auch zur Qualitätssicherung und Weiterentwicklung in Gremien und Sitzungen berufen, sowie in die Bildung und Forschung inkludiert. Der Peer-Support ermöglicht zweierlei Dinge: Einerseits, dass Patienten das Angebot erhalten, dass ihnen Menschen mit ähnlichem Erfahrungshintergrund zur Seite stehen können während einer Krise. Andererseits trägt er insgesamt dazu bei, dass sich die Organisationen stärker an Empowerment und Recovery ausrichten (u. a. Repper 2013). Es gibt verschiedene Formen des Peer-Supports, von informellen eher unstrukturierten, bis zu formellen hochstrukturierten Angeboten. Als informellen Peer-Support können Beispielsweise Peer-to-Peer Ratschläge von Patienten, welche bereits länger auf einer Station sind an erst kürzlich eingetretene sein. Eine stärker strukturierte Form des Peer-Supports findet sich bei Selbsthilfegruppen und Beratungsangebote von Betroffenen für Betroffene, wie etwa bei Beschwerdestellen. Die im vorliegenden Bericht beleuchtete formelle und somit hochstrukturierte Peer-Arbeit findet im Rahmen psychiatrischer Angebote statt. Hier bieten spezifisch ausgebildete Psychiatrieerfahrene als formelle Peer-Arbeitende professionelle Unterstützung von Patienten an und werden dafür auch entlohnt (Utschakowsky 2016). Für die Ausbildung von formell tätigen Peers wurde die Weiterbildung EX-IN (s. Kastentext 2) entwickelt. Neben der direkten Arbeit mit Patienten kommen Absolventinnen der EX-IN Weiterbildung auch in der Bildung, Forschung und Öffentlichkeitsarbeit formell zum Einsatz.

te“, auf dem vermeintlich richtigen Weg und weiß was nun die nächsten Schritte sein könnten, denn nach über 3 Jahren Arbeit auf den Akutstationen bin auch ich als Peer ein Stück (zu) weit sozialisiert und angepasst. Ich bin Teil einer Institution, die ich durch meine Arbeit auch ein Stück verändern möchte. Ich bin froh und dankbar, in einer psychiatrischen Klinik mit ausschließlich offenen Türen arbeiten zu können. Hier gibt es keine Isolationszimmer und Zwangsmedikationen (so gut wie) nie. Dank diesem offenen, recoveryorientierten Konzept der SRO ist es mir auch möglich, Teil des Teams, der Institution zu sein. Ich kann „Schlüsselträgerin“ sein, ohne schlechtes Gewissen und Scham – weil es den Schlüssel eigentlich ©2018 Hogrefe


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Text 2: Die EX-IN Weiterbildung EX-IN (Experienced Involvement) ist eine Weiterbildung, die Psychiatrie-Erfahrene als formelle Peer-Arbeitende / Genesungsbegleiter, als Dozenten oder als Mitarbeiter in psychiatrischen Diensten qualifiziert. Sie wurde im Rahmen eines europäischen Projekts entwickelt und basiert auf dem Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die psychische Gesundheit im generellen und die Autonomie von Menschen mit psychischen Erkrankungen im spezifischen zu fördern. Das EX-IN-Curriculum wurde 2005 unter Einbezug von Fachleuten aus der Psychiatrie und Wissenschaft, wie auch Psychiatrieerfahrenen entwickelt. Das Projekt basiert auf der Überzeugung, dass Menschen, die psychische Krisen und Krankheiten durchlebt haben, diese Erfahrungen nutzen können um Betroffene in ähnlichen Situationen zu verstehen und zu unterstützen. Die erste EX-IN-Weiterbildung startete im März 2006 in Bremen. In der Schweiz konnte dank dem Verein EX-IN-Bern erstmals 2010 eine EX-IN-Weiterbildung gestartet werden (Hadorn, 2015). „Im Mittelpunkt der EX-IN-Weiterbildung steht nicht, wie bei vielen anderen Bildungsangeboten, die Vermittlung, sondern die Entwicklung von Wissen“ (Utschakowsky et al., 2016, S. 109). Während der EX-IN-Weiterbildung wird durch das „Mit-Teilen“ und die kritische Reflexion der persönlichen Erfahrungen („Ich-Wissen“) im Austausch mit den anderen Kursteilnehmern ein „Du“- und schlussendlich ein „Wir-Wissen“ erarbeitet. „Wir-Wissen“ umfasst nicht nur das gemeinsam Erfahrene wie Stigmatisierung, Erschütterung, Konfrontation mit Zwange etc., sondern auch das gemeinsam Verstandene. „Wir-Wissen“ ist wichtig, um die eigenen Erfahrung nicht zu generalisieren und um zu verhindern, dass (unerfüllte) Sehnsüchte und Wünsche auf andere übertragen werden. „Wir-Wissen“ ist die Wissens- und Handlungsgrundlage der (formell tätigen) Experten durch Erfahrung (Peer-Arbeitenden)“ (Utschakowsky et al., 2016, S. 87). Die EX-IN-Weiterbildung in Bern umfasst 42 Tage Kontakt­ unterricht (i. d. R. Module à 3 Tage) und ca. 300 Stunden Selbststudium, sowie 190 Stunden Praktika (siehe auch www.ex-in-bern.ch). In die Weiterbildung aufgenommen werden Personen, die über eigene Erfahrungen mit psychischer Krankheit und Genesung verfügen und diese in verschiedenen Bereichen der Begleitung von Menschen in psychischen Krisen, in der Bildung wie auch in der Öffentlichkeitsarbeit reflektiert einbringen wollen. Die Weiterbildung beinhaltet folgende Themen: Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden, Trialog, Empowerment, Erfahrung und Teilhabe, Recovery und Recovery-orientiertes Assessment, Unabhängige Fürsprache, Selbsterforschung, Beraten und Begleiten, Krisenintervention, Lernen und Lehren. Abgeschlossen wird die Weiterbildung mit einem Weiterbildungszertifikat Experienced Involvement.

gar nicht braucht. Weil wir hauptsächlich als Menschen gemeinsam unterwegs sind. Gespräche mit mir sind immer freiwillig, sie können nie verordnet werden. Die Einzige Indikation ist das Bedürfnis des Nutzenden. Und so lange er von dem Peer-Support profitiert, es ihn stärkt oder ihm einfach gut tut, wird dieser fortgeführt. Ich erlebe auch, dass das zu einem Auslöser für Konkurrenzgefühle unter Fachpersonen wird. Warum werden Termine bei mir als Peer-Arbeiterin manchmal lieber und verbindlicher wahrgenommen als bei Fachpersonen? Warum erfahre ich teilweise mehr / anderes als die Therapeuten? Als Peer habe ich auch das Schweigerecht. Ich bin also nicht verpflichtet mir von Nutzenden Anvertrautes den Fachpersonen weiter zu leiten. Es liegt aber nie in meinem Interesse, Geheimnisträgerin zu werden. Und trotz Schweigerecht und meinem Zweifel an schriftlicher Dokumentation in Krankenakten – warum nennen wir diese nicht Genesungsakte? – dokumentiere ich seit einigen Monaten auch meine Arbeit darin und rechne ambulante Gespräche via Tarmed ab. Denn es ist mir ein großes Anliegen, dass Nutzende auch über den Austritt hinaus einen Peer-Support in Anspruch nehmen können und dürfen (Brändli H., 2017).

Ich bin unterwegs und das ist gut so Meine Tätigkeit als Peer-Arbeiterin erfüllt mich, sie gibt mir Struktur, Sinn und Aufgabe. Und dennoch braucht es für mich immer wieder Mut, mich und meine Verletzlichkeit zu zeigen. Die Peer-Arbeit fordert mich auf, auch bei mir hinzuschauen und selber in der Reflexion zu bleiben und sie fordert mich heraus, den Seitenwechsel stetig neu zu machen und mir und dem System ein jedes Mal wieder zu vertrauen. Ich bin unterwegs bei Wind und Regen, Hitze und Sonnenschein. Ich weiß, dass alle Wege irgendwohin führen und viele Wege zum Ziel. Und wo ein Wille ist, darf auch ein Umweg sein. Im Gehen erlebe ich die Natur und sehe mein Leben gespiegelt. Wie eine Blume blühe ich immer wieder neu. So sehe ich mein Leben. Und es ist gut so.

Literatur Brändli, H. (2014) Der richtige Zeitpunkt für einen Neuanfang ist immer. In Schulz, M., Zuaboni, G., (Hrsg.), Die Hoffnung trägt, Psychisch erkrankte Menschen und ihre Recoverygeschichten. (S. 70 – 74) Köln: Psychiatrie Verlag. Brändli, H. (2017) Peer-Arbeit in der Akutpsychiatrie. Goldstaub – Peer + Magazin. 32. Hadorn, R. (2015) Experienced Involvement. Eine Weiterbildung für Menschen mit psychischen Erschütterungserfahrungen eröffnet nachhaltige Perspektiven – ein Erfahrungsbericht. In Schweizerisches Rotes Kreuz (Hrsg.) Wege aus der Verletzlichkeit. Zürich: Seismo Verlag Repper, J. (2013). Peer Suppoert Workers: a practical guide to implementation. London: CentreforMH. Utschakowski, J. et al. (2016). Experten aus Erfahrung – Peerarbeit in der Psychiatrie. Köln: Psychiatrieverlag

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Helene Brändli Absolventin von DAS „Experienced Involvement“ der Berner Fachhochschule für Gesundheit, systemische Fortbildung in Familien- und Netzwerktherapie open dialogue und „Train the Trainer“ von EX-IN. ­Genesungsbegleiterin in den psychiatrischen Diensten der Spitalregion Oberaargau (SRO) in der Schweiz. Trainerin in verschiedenen EX-INWeiterbildungen, Co-Präsidentin des Verein EX-IN-Bern.

Eva Tola, MScN (Autorin Kastentexte) Dipl. Pflegefachfrau, NDS Pflege, Gesundheitsförderung und Präven­ tion. Leiterin Nachdiplomkurs Psychiatrische Pflege und Betreuung des Berner Bildungszentrum Pflege (CH). Vorstandsmitglied des Vereins EX-IN-Bern. eva.tola@bzpflege.ch

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PADUA (2018), 13 (1), 29–32

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Kompetent lehren und lernen

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gesprochen und in unterschied-

tischen Denkens dazu erforderlich

lichsten Settings von ambulan-

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Pflegende unabhängig und inter-

Langzeitpflege abgeholt.


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Wie kann hermeneutische Fallkompetenz gelingen? Portfolioarbeit in der Lehrer / innenbildung für Gesundheit und Pflege

Portfolioarbeit gewinnt in der Lehrer / innenbildung zunehmend an Bedeutung. Dies lässt sich an der gestiegenen Zahl einschlägiger Veröffentlichungen ebenso ablesen, wie an neueren Gesetzen und Verordnungen, die bspw. für Nordrhein-Westfalen ein flächendeckendes Portfolio für die praktischen Phasen der Lehrer / innenbildung vorsehen (MSW NRW 2009). Diese Entwicklungen werfen die Frage auf, welche Bedeutung Portfolioarbeit in der Lehrer / innenbildung für die Pflege- und Gesundheitsberufe zukünftig hat.

Unser Verständnis von Portfolio­ arbeit – eine Begriffsannäherung Unter das Label Portfolio fallen sehr unterschiedliche Konzepte. Dies zeigt sich in einer Vielzahl von Portfolioformen wie bspw. Entwicklungsportfolio, Seminarport­ folio, Beurteilungsportfolio, Bewerbungsportfolio, die jeweils unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen (Winter, 2013, S. 16). Eine Ursache für dieses vage Begriffs­ verständnis liegt darin, dass sich die Portfolioarbeit aus der Praxis entwickelt hat und die theoretischen Begründungen erst nachträglich entstanden sind (Häcker, 2006b, S. 33). Aufgrund dieser Vagheit und wenig theoretischen Fundier­ung möchten wir zunächst deutlich machen, was wir unter Portfolioarbeit verstehen, dabei knüpfen wir an die Ausführungen von Winter (2013), Koch-Priewe (2013) und Häcker (2006 a / b) an. In Portfolios sammeln Studierende originale Arbeiten anhand derer sie ihr Wissen und Können nach außen darstellen und reflektieren. Solch ein Produkt kann bspw. ein schriftlicher Unterrichtsentwurf, ein Exzerpt, eine Rezension, eine Präsentation, eine Fallanalyse oder

die Videoaufzeichnung einer Unterrichtssequenz sein. Die Arbeiten sollten so angelegt sein, dass sie einen Einblick in das Denken und Können der Studierenden gewährleisten. Die Portfolioarbeit wird von Dozent / innen und Kommi­liton / innen begleitet und in einem Prozess mehrmaliger Überarbeitung weiterentwickelt, um das Lernergebnis eng mit dem Entwicklungsprozess der Studierenden zu verbinden. So wird es den Studierenden möglich, ihre Lernfortschritte nachzuvollziehen und der Reflexion zugänglich zu machen. Ein Portfolio umfasst also nach außen darstell­bare Lernergebnisse und eine darauf bezogene Reflexion (Jahnke, 2015, S. 11). Darüber hinaus kann ein Portfolio auch einen Teil beinhalten, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. In diesem reflektieren die Studierenden ihre individuellen Lernerfahrungen. Das reine Sammeln von Leistungsnachweisen oder die alleinige Reflexion von Lernfortschritten stellt demnach keine Portfolioarbeit dar (Winter, 2013, S. 16 u. 25).

Portfolioformen und ihre Auswirkungen Unter das genannte Verständnis fällt eine Vielzahl unterschiedlicher Portfolioformen. Da mittlerweile einige Evaluationen zur Portfolioarbeit in der Lehrer / innenbildung vorliegen, lassen sich erste Konsequenzen aufzeigen, die mit den unterschiedlichen Konzepten verbunden sind. • Portfolios können entweder den Lernprozess (Entwicklungsportfolios) oder die Leistungsdarstellung (Beurteilungsportfolios) fokussieren (Winter, 2013, S. 16). Erste Evaluationen zum Lernprozess weisen darauf hin, dass die erhofften Effekte, wie eine stärkere Selbststeuerung der Studierenden oder die Förderung der Reflexionskompetenz, nicht ohne weiteres eintreten (vgl. bspw. Bolle / Denner, 2013, Streblow et al., 2013). Auch Auswirkungen, die Benotungen auf die Portfolioarbeit haben, werden kontrovers diskutiert. Einige

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 33–39 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000413

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Roswitha Ertl-Schmuck und Sandra Altmeppen


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Autor / innen sehen die Chance, mit Portfolios eine Reform der Leistungs­beurteilung anzustoßen, hin zu individuel­leren, valideren und demokratischeren Beurteilungen. Dies soll erreicht werden, indem nicht nur das Lernprodukt, sondern auch der Lernprozess bewertet wird (Rentsch-Häcker / Häcker, 2013, Winter, 2013, S. 30 ff.). Leonhard hingegen betont die Gefahr, dass die Beurteilung des Lernprozesses und die damit verbundene Bewertung der Reflexion die Studierenden dazu bringt, vorrangig sozial erwünschte Ergebnisse zu präsentieren und schwierige Situationen, wie das Erleben von Scheitern und Irritationen, auszublenden (Leonhard, 2013, S. 184). • Auch der Grad an Selbststeuerung unterscheidet sich erheblich in den unterschiedlichen Portfolios zur Lehrer / innenbildung. Das „Hamburger-Modell“ zeichnet sich bspw. durch hohe Freiheitsgrade aus. Den Referendar / innen werden keine Vorgaben zur Form und Ausgestaltung ihrer Portfolios gemacht, ebenso wenig müssen sie ihre Portfolios offenlegen. Ziel dieses ­Vorgehens ist es, die Privatsphäre zu schützen und eine individuelle Bearbeitung der Reflexionsfragen zu fördern (Bade, 2013, S. 160 ff.; vgl. auch Spürk et al., 2016, S. 206). Andererseits plädieren Bolle und Denner dafür, Portfolios so anzulegen, dass jederzeit eine Einsichtnahme und externe Reflexion des Arbeitsstandes möglich ist. Mit diesem Vorgehen soll eine intensivere und theoriegeleitete Auseinandersetzung der Studierenden gefördert werden (Bolle / Denner, 2013, S. 105). • Hinsichtlich ihrer Reichweite heben sich Portfolios ebenfalls voneinander ab. Sie können sich auf einzelne Lehrveranstaltungen bzw. Module beziehen, längere Phasen des Studiums in den Blick nehmen oder sich über alle Phasen der Lehrer / innenbildung erstrecken. Wird das Portfolio an konkrete Module gebunden, ist eine institutionelle Rahmung und zeitnahe verbindliche Kommunikation über den Lernprozess leichter zu gewährleisten. Solch eine enge Begleitung scheint eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen von Portfolioarbeit zu sein (Bolle / Denner, 2013 S. 92, Spürk et al., 2016, S. 207 f.). Mit lang angelegten Portfolios wird es dagegen eher möglich, Professionalisierungsprozesse der angehenden Lehrer / innen nachzuzeichnen (Kehl / Jahnke, 2015). Die ersten Evaluationsergebnisse zeigen zwar vielfäl­ tige Möglichkeiten auf, dennoch werden grundlegende Probleme erkennbar, die mit dem Portfoliokonzept verbunden sind. Nach wie vor fehlen ausdifferenzierte theoretische Konzepte und empirische Befunde darüber, inwieweit mit dem Konzept der Portfolioarbeit die angestrebten Ziele erreicht werden können. So verweist Kraler (2013) darauf, dass eine ausformulierte Theorie der Portfolioarbeit derzeit noch aussteht. Ungeachtet dieser Kritik gibt es durchaus Überlegungen, das Portfoliokonzept theoretisch zu legitimieren und darüber Implikationen für die Ausgestaltung herzuleiten. PADUA (2018), 13 (1), 33–39

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Theoretischer Begründungsrahmen der Portfolioarbeit in der Lehrer / innenbildung Wie oben bereits angeklungen ist, werden Portfolios Eigenschaften zugeschrieben, die generell Lernprozesse anregen und Lernkulturen verändern sollen. In der universitären Lehrer / innenbildung erhofft man sich bspw. eine Stärkung individuellen und selbstgesteuerten Lernens auf Seiten der Studierenden, aber auch institutionelle Veränderungen, die sich durch diese neue Kommunikationskultur entwickeln sollen (Brosziewski, 2013, Winter, 2013, S. 20). Theoretisch begründet werden diese Annahmen entweder durch eine Subjektorientierung, die meist auf konstruktivistischen Ansätzen beruht oder durch psychologische Lerntheorien, wie dem Konzept der Selbstwirksamkeit nach Bandura oder der Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan (Koch-Priewe, 2013, S. 57 ff.). Darüber hinaus finden sich Argumentationslinien, die sich auf die spätere berufliche Tätigkeit der angehenden Lehrer / innen beziehen und daher eine Kompetenzorientierung aufweisen oder professionstheoretischen Begründungen folgen. Portfolios mit einer Kompetenzorientierung lehnen sich häufig an den Vorgaben der KMK-Standards für die Lehrer / innenbildung an: Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren (KMK 2014). Diese Portfolios sind daher durch allgemeindidaktische bzw. bildungstheoretische Bezüge gekennzeichnet (Bade, 2013, S. 161, Bolle / Denner, 2013, S. 81). Betrachtet man Portfolios, in denen professionstheore­tische Begründungen angeführt werden, steht die Förderung von Reflexionskompetenz im Vordergrund (vgl. bspw. Jahnke 2015). Aus Sicht von Häcker und Winter sind Portfolios besonders geeignet, solch eine Reflexionskompetenz zu unterstützen, da sie öffentlichkeitsbezogen sind und damit zu einem Perspektivwechsel anregen (Häcker­  / Winter, 2006, S. 229 ff.). Auch Koch-Priewe (2013, S. 61 ff.) betont die Bedeutung der Reflexionsfähigkeit für die Professionalisierung der Lehramtsstudierenden. Ihr geht es um die Weiterentwicklung und Veränderung von Wahrnehmungsmustern. Sie bezieht sich in ihrer Argumentation auf wissenspsychologische Ansätze aus der Lehrer/innenexpertiseforschung und führt aus, dass Professionalisierungsprozesse nur gelingen können, wenn das eigene Handeln einer theoriegeleiteten Reflexion unterzogen wird (Koch-Priewe, 2013, S. 60). Trotz professionstheoretischer Begründungen wird der Umgang mit Antinomien des Lehrer / innenhandelns in den Portfolios zur Lehrer / innenbildung nur selten thematisiert. Mit Antinomien kommen Spannungsverhältnisse in den Blick, die sich nicht einseitig auflösen lassen, bspw. eine Haltung zu Nähe und Distanz finden, diffuse und spezifische Anteile der Lehrer / innen-Schüler / innen-Beziehung ausbalancieren oder mit Autonomie und Heteronomie umgehen (Helsper, 1996, S. 530 ff., Hericks, 2006, S. 93). Eine Ausnahme stellen ©2018 Hogrefe


Lehren und Lernen

die Überlegungen von H ­ äcker und Winter zur Rolle von Portfolios in der Leistungsbeurteilung dar. Die Autoren sehen in der Portfolioarbeit die Chance, die Antinomie „Förderung vs. Selektion“ besser auszubalancieren (Häcker / Winter, 2006, S. 230). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in den Portfolios zur Lehrer / innenbildung unterschiedliche Vorstellungen von Kompetenzorientierung und professioneller Entwicklung vorherrschen und diese nicht immer ausreichend ausgewiesen und differenziert werden. Dies ist problematisch, da kompetenzbezogene und professionsbezogene Ansätze in Konflikt geraten können. Bspw. wenn der Eindruck entsteht, Ungewissheiten und Unsicherheiten im Lehrer / innenhandeln ließen sich über eine ausgeprägte berufliche Handlungskompetenz vermeiden. Nach dem Motto: Ich muss nur gut genug sein, bestimmte allgemeindidaktische Prinzipien berücksichtigen und über ein Methodenrepertoire verfügen, dann lösen sich die He­ rausforderungen und Widersprüche im Unterrichtsalltag quasi von alleine auf. Solch eine Verengung gerät in Widerspruch zu einem strukturtheoretischen Professionsverständnis, das die grundsätzliche Unsteuerbarkeit, Undurchschaubarkeit und Ungewissheit pädagogischen Handelns betont (Combe / Kolbe, 2008, S. 857, Helsper, 1996). Nach diesem Verständnis müssen Lehrende permanent unter hohem Handlungsdruck Entscheidungen treffen, die sie erst nachträglich aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse begründen können. Die Strukturlogik professionellen Handelns erfordert daher die Ausbildung eines wissenschaftlichen Habitus und die Entwicklung einer reflexiven Berufspraxis (Oevermann, 2013, S. 221 ff.).

Das hochschuldidaktische Portfoliokonzept für die Fachrichtung Gesundheit und Pflege Theoretische Rahmung Eine theoretische Rahmung und transparente Zielsetzung bilden aus unserer Sicht die Voraussetzung für die Implementierung und Evaluation des jeweiligen hochschuldidaktischen Portfoliokonzepts, die aufgrund der hetero­ genen Forschungslage auch dringend geboten erscheinen. Im Folgenden werden wir mit Blick auf die Strukturlogik professionellen Handelns eine Konturierung der Spezifik des hermeneutischen Fallverstehens in der Lehrer / innenbildung der Fachrichtung Gesundheit und Pflege darlegen und Implikationen für das Portfoliokonzept aufzeigen. Das Portfoliokonzept basiert auf einem professionstheo­ retischen Ansatz zur Lehrer / innenbildung, wie er u. a. von Helsper (1996), Hericks (2006) und Oevermann (1996) vertreten wird. Professionelles Handeln setzt in diesem Verständnis ein spezifisches wissenschaftliches Wissen voraus, mit dem die Handlungsentscheidungen begründet

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werden. Bei diesen Begründungen wird der Fall nicht unter das Fachwissen subsumiert (vgl. „doppelte Handlungslogik“ Oevermann 1996), sondern beide Logiken werden reflexiv unter Berücksichtigung der je konkreten situativen Bedingungen miteinander verschränkt. Dieser Prozess wird begleitet von Antinomien, die systemimmanent sind und nicht aufgelöst, sondern nur reflexiv gehandhabt werden können (Helsper 1996). Demzufolge schließt professionelles Handeln einen reflektierten Umgang mit Widersprüchen und den sich da­raus ergebenen Fehlerquellen ein (Schütze 2000). Damit rückt die Unbestimmtheit pädagogischen Handelns in den Vordergrund, welche vielmehr hermeneutische Kompetenz als methodische Funktionalität­erfordert. Dies impliziert einen weiten Bildungsbegriff für die Anbahnung hermeneutischer Fallkompetenz in der Lehrer / innenbildung. Daraus ergeben sich Implikationen für ein hochschul­ didaktisches Konzept in der Lehrer / innenbildung. Die Strukturlogik professionellen Handelns erfordert sowohl die Einsozialisation in einen wissenschaftlich-reflexiven Habitus als auch die Entwicklung einer reflexiven Berufspraxis. Ersteres steht in der ersten Phase der Lehrer / innenbildung im Vordergrund. Eine wissenschaftlich-reflexive Haltung ist von Bedeutung, da die Vorstellungen über Unterricht und pflegeberuflichen Handelns von den biographischen Erfahrungen der Studierenden und deren Subjektiven Theorien geprägt sind, die sich im Verlauf schulischer und beruflicher Sozialisationsprozesse entwickelten. Diese leiten das pädagogische Handeln, insbesondere das Handeln unter Druck (Groeben u. a. 1988). Die Entwicklung der Fähigkeit, mit Subjektiven Theorien reflexiv umgehen zu können und diese mit wissenschaftlichen Theorien anzureichern, ggf. auch zu verändern­, wird damit zum zentralen Bezugspunkt der Lehrer / innenbildung. Die darüber möglicherweise entstehenden Irritationen können Bildungsmöglichkeiten eröffnen und zu vertieften Erkenntnissen führen. In einem derartigen Bildungsprozess kann ein wissenschaftlich-reflexiver Habitus angebahnt werden, der die Voraussetzung für eine reflektierte Berufspraxis bildet, in der wissenschaftliches Wissen einen Resonanzboden bspw. für die Ausdeutung von Unterrichtssituationen bietet. In der Abbildung 1 wird das Ineinandergreifen von Subjektiven Theorien, deren Reflexion und Anreicherung mit wissenschaftlichem Wissen zur Anbahnung einer reflexiven Haltung zur beruflichen Schulpraxis verdeutlicht.

Portfolioformen In dem dargestellten professionstheoretischen Verständnis wird eine kontinuierliche Begleitung der Studierenden unabdingbar, damit sie in ihren Reflexionsprozessen von Lehrenden unterstützt werden können. Um diese zu gewährleisten wird das Portfolio zunächst nur im Zusammenhang mit berufsfelddidaktischen Lehrveranstaltungen bzw. Modulen eingeführt, die in der Verantwortung

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Reflexion und Erweiterung Subjektiver Theorien

Entwicklung eines wissenschaftlich reflexiven Habitus

Anbahnung einer reflexiven Haltung zur beruflichen Praxis

Abbildung 1. Entwicklung hermeneutischer Fallkompetenz (Eige-

eneutischer Fallkompetenz (Eigene Darstellung, Stand Februar 2017) ne Darstellung, Stand Februar 2017)

der Professur für Gesundheit und Pflege / Berufliche Didaktik liegen. Folgende zwei Formen der Portfolioarbeit werden berücksichtigt:

Entwicklungsportfolio Das Entwicklungsportfolio ist auf den Lernprozess gerichtet und enthält eine Sammlung von Arbeiten über einen längeren Zeitraum im Studienverlauf. Das Entwicklungsportfolio kann als Grundlage der Selbst- und Fremdevaluation auf der Basis vorgegebener Ziele dienen und entsprechend auch für Beratungsprozesse durch Dritte eingesetzt werden (Elsholz, 2010, S. 2). Fokussiert werden in den berufsfelddidaktischen Modulen die Reflexion der eigenen Lern- und Berufsbiografie und die Entwicklung einer wissenschaftlich-reflexiven Haltung im Kontext des strukturtheoretischen Rahmens. Das Entwicklungsport­ folio ist der geschlossene Teil des Portfolios. Die Studierenden entscheiden selbst, welche Anteile sie in einem öffentlichen Dialog mit den Kommiliton / innen und der Dozentin einbringen möchten.

Beurteilungsportfolio Das Beurteilungsportfolio dient der Bewertung von Leistungen. Trotz der unklaren Befunde zu den Auswirkungen von Bewertungen sollen Teile der Portfolioarbeit als Prüfungsleistung angerechnet werden. So kann der Arbeitsleistung der Studierenden Rechnung getragen werden. Bewertet werden Portfolios, die über vorgegebene themenbezogene Aufgaben und Ziele innerhalb der LehrverPADUA (2018), 13 (1), 33–39

anstaltungen und in den Tutorien entstehen. Hier erfolgt eine Fremdbewertung, die zugleich mit den eigenen Anforderungen und Ansprüchen reflektiert werden kann. Die Studierenden stehen damit im Dialog mit der Dozentin und können darüber ihre Lernbedarfe Kriterien geleitet diskutieren.

Inhaltliche Umsetzung Wie lassen sich nun zentrale Elemente des strukturtheoretischen Rahmens, insbesondere die Antinomien im Handeln der konkreten Schulpraxis am Lernort Universität einfangen und reflexiv bearbeiten? Da sich Professionalität von Lehrenden im Umgang mit Antinomien zeigt, die sich ihrerseits im konkreten Unterrichtshandeln manifestieren (Helsper, 1996, Hericks, 2006), bilden in den berufsfelddidaktisch ausgerichteten Seminaren Videos authentischer Unterrichtssituationen den Ausgangspunkt, Antinomien des Lehrer / innenhandelns reflexiv über die Portfolioarbeit einzufangen. Wir verfolgen mit dem Einsatz von realen Unterrichtsvideos folgende Zielsetzungen: • Reflexion über die Komplexität unterrichtlicher Prozesse • Bewusstwerden des Unplanbaren, der Ungewissheit in Lehr-Lernsituationen • Erweiterung der Subjektiven Theorien über Unterrichtsprozesse • Förderung von Flexibilität im Nachdenken über alternative didaktische Handlungsmöglichkeiten • Ausdeutung des Unterrichtsgeschehens im Kontext pflegedidaktischer Zugänge • Aufbau eines gemeinsamen berufsfelddidaktischen Wissens. Das spezifische Fachwissen zur Interpretation und Reflexion der Bildungsmöglichkeiten und Handlungsprobleme, die in den Videos auftreten, lässt sich vor allem aus den gewählten Zugängen der Pflegedidaktik ableiten (vgl. dazu bspw. Darmann-Finck, 2010, Ertl-Schmuck, 2010, Greb, 2010 und Fichtmüller / Walter, 2007). Zunächst stehen jedoch die subjektiven Deutungen der Studierenden in Bezug auf die realen Unterrichtssituationen im Vordergrund. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken ermöglicht durch ein schriftliches Festhalten eine erste Distanzierung, da das metakognitive Moment im Schreiben selbst entsteht (Kraler, 2013, S. 142 f.). In einem weiteren Schritt erfolgt eine Reflexion, in der die subjektiven Deutungen mit wissenschaftlichem Wissen angereichert werden. Unter dieser theoretischen Brille können die videobasierten realen Unterrichtssituationen erneut gedeutet und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Auch diese Deutungen werden im Portfolio festgehalten. Darüber hinaus sammeln die Studierenden Exzerpte, die für die Seminararbeit von Bedeutung sind. Ebenso gehören Ergebnisse von Aufgaben, die über die Lern©2018 Hogrefe


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plattform zu bewältigen sind, zu den Portfolios. Neben den Fremdvideos kommen auch Eigenvideos über Microteaching im Seminar zum Einsatz. Hier können die Studierenden Beobachtungsprotokolle oder Stundenverlaufspläne sammeln und unter bestimmten pflegedidaktischen Fragestellungen reflektieren und in den Portfolios festhalten. Im Verlauf des Studiums werden die Produkte, die für das Portfolio erstellt werden, komplexer und beziehen sich weitgehend aufeinander. Bspw. geben die Studierenden im dritten Semester eine unbenotete Portfolioarbeit (Exzerpt) ab und Teile der Portfolios, die die Studierenden während des Moduls im zweiten und dritten Semester bearbeitet haben, gehen in die mündliche Prüfung ein. Im fünften und sechsten Semester schreiben die Studierenden eine Rezension, in der ihr bis dahin erlerntes pflegedidaktisches Wissen unter vorgegebenen Reflexionskriterien in die jeweilige kritische Würdigung einfließt und bewertet wird. Im siebten und achten Semester wird die Erarbeitung und Durchführung einer theoriegeleiteten Lernsituation aus dem vierwöchigen Schulpraktikum in einer Präsentation dargestellt, in der die Reflexion über die gewählten pflegedidaktischen Zugänge und die aufgetretenen Brüche und Antinomien bei der Durchführung der Lernsituation zentrale Elemente der Prüfung sind. Zudem wird eine Forschungsskizze zu Fragen aus der Schulpraxis erstellt und als Prüfungsleistung bewertet. Im neunten Semester erfolgt ein reflexiver Dialog mit der Dozentin über den gesamten Studienverlauf auf Grundlage des Gesamtportfolios. So wird es für die Studierenden möglich, ihren Kompetenzzuwachs und ihre Veränderungen im wissenschaftlich-reflexiven Habitus einzuschätzen.

Ausblick Mit dem dargestellten hochschuldidaktischen Konzept verfolgen wir das Ziel, über Videos authentischer Unterrichtssituationen Antinomien des Lehrer / innenhandelns reflexiv über die Portfolioarbeit einzufangen und einen wissenschaftlich-reflexiven Habitus bei den Studierenden während des Studiums anzubahnen. Schulpraktische Elemente werden somit zielgerichtet in berufsfelddidaktische Studienelemente integriert und theoriegeleitet reflektiert. Dabei geht es nicht um eine Theorie-Praxis-Vermittlung, sondern vielmehr um ein Aufmerksam werden der Unbestimmtheit pädagogischen Handelns und der Bedeutung wissenschaftlichen Wissens für das professionelle Handeln in der beruflichen Schulpraxis. Das Konzept ist eingebunden in das Einzelprojekt Unterrichtsvideos zur Entwicklung hermeneutischer Fallkompetenz in der Lehrer / innenbildung der Fachrichtung Gesundheit und Pflege an der Technischen Universität Dresden und wird im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung, Synergetische Lehrerbildung im exzellenten Rahmen (TUD-Sylber) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2016 gefördert. Die Begleitforschung in unserem Einzelprojekt hat begonnen und wir sind gespannt darauf, inwieweit es den Studierenden in den Portfolios gelingt, sich den in den Videos gezeigten realen Unterrichtsphänomenen unter einer differenztheoretisch begründeten Wissenschafts-Schulpraxis-Beziehung anzunähern und diese in den jeweiligen Portfolios schriftlich zum Ausdruck zu bringen. Das hier favorisierte Portfoliokonzept kann jedoch nicht nur im universitären Kontext genutzt werden, sondern bietet vielfältige Anregungen für die Lehrenden an den

Komplexitäts -steigerung Prüfungsleistung:

2.- 3. Semester

Benotung der Rezension

exemplarische Portfolioaufgaben: • Exzerpt zu einer pflegedidaktischen Theorie • schriftliche Reflexion über Unterricht anhand von Fremdvideos (Erkundung Subjektiver Theorien) • Erarbeitung und Erprobung einer Lernsituation, Reflexion anhand von Eigenvideos

exemplarische Portfolioaufgaben: • Rezension einer pflegedidaktischen Publikation • schriftliche Reflexion von authentischen Unterrichtsvideos (Fremdvideos) anhand selbstentwickelter theoriegeleiteter Kriterien

Prüfungsleistung

Benotung der mündlichen Prüfung: kritische Würdigung einer selbstgewählten pflegedidaktischen Theorie und theoriegeleitete Reflexion der entwickelten Unterrichtssituation

5. - 6. Semester

7. – 9. Semester exemplarische Portfolioaufgaben: • Entwicklung und Durchführung einer theoriegeleiteten Lernsituation im Schulpraktikum, Reflexion über die gewählten pflegedidaktischen Zugänge und aufgetretenen Brüche und Antinomien • Forschungsskizze zu Fragen aus der Schulpraxis • reflexiver Dialog mit der Dozentin über den gesamten Studienverlauf (auf Grundlage des Gesamtportfolios) Prüfungsleistung : Präsentation und Reflexion der Lernsituation, schriftliche Reflexion einer berufsfelddidaktischen Forschungsstudie, Reflexion des eigenen Wissenschaftsverständnisses

Komplexitäts -steigerung

Abbildung 2. Exemplarische Darstellung von aufeinander aufbauenden Portfolioaufgaben Abb. 2 Exemplarische Darstellung von aufeinander aufbauenden Portfolioaufgaben ©2018 Hogrefe

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Berufsfachschulen für Pflege. Denn auch hier geht es um die Anbahnung hermeneutischer Fallkompetenz, in der das reflexive Moment im Bildungsprozess eine zentrale Rolle einnimmt. Neben dem Entwicklungsportfolio kann das Portfolio auch als Prüfungsleistung angerechnet werden. Bewertet werden ausgewählte Portfolios, die über vorgegebene themenbezogene Aufgaben und Ziele am Lernort Schule und / oder in pflegerischen Praxisphasen entstehen. Hier erfolgt zwar eine Fremdbewertung, diese kann jedoch zugleich mit den eigenen Anforderungen und Ansprüchen reflektiert werden, um so Lernbedarfe zum Ausdruck zu bringen. Die Schüler / innen stehen im Dialog mit den Lehrenden und können gemeinsam individuellen Entwicklungsverläufen nachspüren. Eine sicherlich lohnenswerte Aufgabe für alle Beteiligten im Bildungsprozess.

Literatur Bade, P. (2013). Das Portfolio im Hamburger Referendariat: Konzeption – Erfahrungen – Entwicklung. In: Koch-Priewe, B.; Leonhard, T.; Pineker, A.; Störtländer, J. Ch. (Hrsg.). Portfolio in der Lehrerbildung. Konzepte und empirische Befunde. (158 – 167) Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Bolle, R.; Denner, L. (2013). Das Portfolio „Schulpraktische Studien“ in der Lehrerbildung – Genese, empirische Befunde und ein bildungstheoretisch fokussiertes Modell für eine theoriegeleitete Portfolioarbeit. In: Koch-Priewe, B.; Leonhard, T.; Pineker, A.; Störtländer, J. Ch. (Hrsg.): Portfolio in der Lehrerbildung. Konzepte und empirische Befunde. (74 – 111) Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Brosziewski, A. (2013). Die Zweigesichtigkeit der Reflexion: Portfolios als Selbstreflexion der Lehrerinnen – und Lehrerbildung – Eine empirische Untersuchung zur Portfolioarbeit an drei Standorten. In: Koch-Priewe, B.; Leonhard, T.; Pineker, A.; Störtländer, J. Ch. (Hrsg.): Portfolio in der Lehrerbildung. Konzepte und empirische Befunde. (212 – 225) Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Combe, A., Kolbe, F.-U. (2008). Lehrerprofessionalität: Wissen, Können, Handeln. In: Helsper, W.; Böhme, J. (Hrsg.): Handbuch der Schulforschung. (857 – 875) Wiesbaden: VS-Verlag. Darmann-Finck, I. (2010). Interaktion im Unterricht. Frankfurt / Main: Lang. Elsholz, U. (2010). Portfolioarbeit in der beruflichen Bildung zur Unterstützung berufsbiografischer Gestaltungskompetenz. bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe, 18, 1 – 14. www.bwpat.de/ausgabe18/elsholz_bwpat18.pdf (Letzter Zugriff 7.10.2016). Ertl-Schmuck, R. (2010). Subjektorientierte Pflegedidaktik. In: Ertl-Schmuck, R.; Fichtmüller, F. (Hrsg.): Theorien und Modelle der Pflegedidaktik. Eine Einführung. (55 – 90) Weinheim und München: Juventa. Fichtmüller, F.; Walter, A. (2007). Pflegen lernen. Empirische Begriffs- und Theoriebildung zum Wirkgefüge von Lernen und Lehren beruflichen Pflegehandelns. Göttingen: V&R unipress. Glunde, B. (2015). Förderung einer individuellen Lernkultur in der beruflichen Lehrerbildung durch Portfolioarbeit an der Hochschule. Pädagogik der Gesundheitsberufe. Zeitschrift für den interprofessionellen Dialog, 2 (1): 67 – 73. Greb, U. (2010). Die Pflegedidaktische Kategorialanalyse. In: ErtlSchmuck, R.; Fichtmüller, F. (Hrsg.): Theorien und Modelle der Pflegedidaktik – Eine Einführung. (124 – 163). Weinheim und München: Juventa. Groeben, N.; Wahl, D.; Schlee, J.; Scheele, B. (1988). Das Forschungsprogramm Subjektive Theorie. Eine Einführung in das reflexive Subjekt. Tübingen: Francke.

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Prof'in Dr. phil. Roswitha Ertl-Schmuck Professorin für Gesundheit und Pflege / Berufliche Didaktik im „Lehramtsbezogenen Studiengang berufsbildende Schulen, Fachrichtung Gesundheit und Pflege“ an der TU Dresden. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Lehrer / innenbildung in den Berufs­feldern Gesundheit und Pflege, Weiterentwicklung der Disziplin Pflegedidaktik, Entwicklung subjektorientierter Ansätze in Lehr-Lernund Pflegeprozessen, konzeptuelle Weiterentwicklung Schulpraktischer Studien.

Weitere Informationen zu unserem Forschungsprojekt: https://tu-dresden.de/zlsb/tud-sylber

roswitha.ertl-schmuck@tu-dresden.de

Sandra Altmeppen Diplom-Pflegepädagogin, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „TUD-Sylber – Unterrichtsvideos zur Entwicklung hermeneutischer ­Fallkompetenz in der Lehrer / -innenausbildung“ an der Technischen ­Universität Dresden, Professur für Gesundheit und Pflege / Berufliche Didaktik sandra.altmeppen@tu-dresden.de

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 33–39


Das Angst-Buch für Pflegende

Thomas Hax-Schoppenhorst / Anja Kusserow (Hrsg.)

Das Angst-Buch für Pflegeund Gesundheitsberufe Praxishandbuch für die Pflege- und Gesundheitsarbeit 2014. 360 S., 32 Abb., 29 Tab., Kt € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-456-85414-4 Auch als eBook erhältlich

Angst- und Panikstörungen nehmen weltweit stark zu: Neben den Depressionen gelten Angst-Erkrankungen als ein Phänomen der heutigen Zeit. In Deutschland sind 10% der Bevölkerung betroffen. Ängste begleiten zudem eine Fülle anderer psychiatrischer Erkrankungen und Pflegephänomene. Patienten im Krankenhaus fühlen sich mit ihren Sorgen und Ängsten allein gelassen.

www.hogrefe.com

Pflegende sind als die größte Berufsgruppe des Gesundheitswesens nicht nur Schlüsselfiguren im professionellen Umgang mit diesen Problemen. – In Zeiten der Ökonomisierung und wachsender Belastungen werden gerade sie einer Fülle von Stressoren bzw. potenziellen Angstauslösern ausgesetzt. Dieser Umstand wird kaum kommuniziert, da Ängste von Pflegenden und weiteren Berufsgruppen im Gesundheitswesen als Tabu gelten.


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„Operation Team – Interprofessionelle Fortbildung“ Interprofessionelle Aus- und Weiterbildung am Karolinska Universitätsklinikum und anderen Ausbildungszentren in Stockholm – Bericht einer Studienreise nach Schweden

Therapeutische Teams im Krankenhaus sollen gemeinsam am gleichen Therapieziel arbeiten – dabei kennen sie sich kaum! Am Patientenbett sind sie sich fremd, eine Kommunikation ist oft mühselig und dann kommt noch der Patient ins Spiel! Eine Begegnung von Fremden in der Fremde? Im Rahmen eines Förderprojekts der Robert Bosch Stiftung wollen die Autorinnen am Karolinska Universitätsklinikum in Stockholm herausfinden, wie gemeinsames Lernen in der Praxis möglich ist.

Einleitung Durch den demografischen Wandel in Deutschland steigt der Anteil von kritisch kranken Patienten mit chronischen Mehrfacherkrankungen in der stationären Patientenversorgung und stellt veränderte und immer komplexere Anforderungen an die Behandlungsteams. Trendanalysen der letzten Jahre am Klinikum der Universität München (KUM) haben gezeigt, dass speziell in der Intensivversorgung der Anteil von Patienten > 65 Jahren gestiegen ist. Höhere Fallzahlen bei deutlicher Verkürzung der durchschnittlichen Verweildauer sowie einer Zunahme von komplexen Behandlungs- und Pflegebedürfnissen

Abbildung 1. Referat Kaufmännisches Controlling KUM, Anteil von Patienten > 65 Jahren

(vgl. Bartholomeyczik 2007) erfordern eine Neugestaltung der Aufgabenverteilung sowie ein Umdenken in der Zusammenarbeit von Gesundheitsberufen in der akuten Patientenversorgung (vgl. Kuhlmey 2011, Renz et al. 2014). Um diesen Herausforderungen professionell begegnen zu können, ist eine vertrauensvolle und reibungslose Zusammenarbeit im therapeutischen Team notwendig. Teamkommunikation ist dabei eine Grundvoraussetzung (vgl. Reeves 2012, Renz et al. 2014). Mangelnde Kommunikation und fehlender Teamzusammenhalt können zu Mängeln in der Patientensicherheit führen (vgl. Sachverständigenrat für Gesundheit 2007; Okuyama et al. 2011; Boev & Yinglin 2015). Dennoch zeigt sich in gesundheitspolitischen Einschätzungen und der beruflichen Praxis, dass die strukturellen Bedingungen in Gesundheitseinrichtungen sowie die beruflichen Kompetenzen der Gesundheitsberufe nicht auf Teamzusammenarbeit ausgelegt sind (vgl. WHO 2010, Sieger et al. 2010). In den Jahren 1999 bis 2002 hat die von der Bundesärztekammer und dem Deutschen Pflegerat initiierte und durchgeführte Pilotstudie „Interprofessionelle Kommunikation im Krankenhaus“ verschiedene Krankenhausaufgaben wie z. B. Patientenaufnahme und -Entlassung sowie Stationsvisiten untersucht. Dabei lag ein Fokus auf dem Kommunikations- und Kooperationsstil von Ärzten und Pflegekräften. Die Ergebnisse des Projekts zeigten, dass die Zusammenarbeit von Medizinern und Pflegepersonal nicht immer reibungslos funktioniert, Pflegekräfte nikationsprobleme, Ärzte dagegen beklagten Kommu­ wünschten sich mehr Verständnis für ihre Arbeitsbelastung. Auf beiden Seiten zeigten sich Kommunikationsund Koopera­tionsdefizite sowie ein deutlicher Bedarf an Verbesserungen in der Teamzusammenarbeit (Lecher et al. 2002; Hibbeler 2011). Diese Konflikte hat auch der Sachverständigenrat für Gesundheit in seinem Gutachten von 2007 bestätigt und festgestellt, dass die gegenwärtige Zusammenarbeit und Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen nicht den demografischen, strukturellen und innovativen Anforderungen der heutigen Zeit entspricht.

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 41–47 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000414

Lehren und Lernen

Heike Penner, Rita Hofheinz


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Im Kontext der stationären Betreuung von Patienten gibt es besonders risiko- und fehleranfällige Bereiche, dazu werden insbesondere der Operationssaal und die Intensivstation gezählt. Gerade in diesen Hochakutbereichen sollten Mitarbeiter mit Blick auf die Sicherheit von Patienten klar und effektiv kommunizieren und zusammenarbeiten (von Dossow & Zwißler 2015). Aufgrund von Entscheidungen unter Zeitdruck und ­hoher Arbeitsbelastung in diesen Abteilungen treten jedoch häufig Kommunikationsschwierigkeiten oder Missverständnisse auf. Zum Beispiel umfasst die peri- und postoperative Phase durchschnittlich 4 – 6 Schnittstellen bei Patiententransfers: 1. allgemeines Stationsteam zum Anästhesieteam; 2. Anästhesie-Team zum OP-Team; 3. OP-Team zum Anästhesie-Team; 4. Anästhesie-Team OP zum Anästhesie-Team Aufwachraum; 5. Anästhesie-Team Aufwachraum zum ICU-Team; 6. ICU-Team zum Team Allgemeinstation; dazu die Patientenübergabe am Ende jeder Schicht. Ein strukturiertes Teamkonzept könnte dabei einen zuverlässigen Informationsfluss gewährleisten und Kommunikationsschwierigkeiten begegnen.

Lehren und Lernen

Durch das gemeinsame Anwenden von interprofessionellen Kommunikationskonzepten, wie der prinzipienorientierten Falldiskussion oder des SBAR-Konzepts, entwickeln die Teilnehmenden ein Bewusstsein für ihre jeweiligen perspektivischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede und lernen Qualitätsinstrumente, wie validierte Scoring-Systeme, gemeinsam anzuwenden. Die simulierten Falldiskussionen finden in einem so genannten „geschütztem Klassenzimmer“ statt. Die Teilnehmenden lernen sich in diesem Umfeld neu kennen, nehmen ihre eigenen und andere Rollen wahr, lernen gemeinsam Probleme zu lösen und damit ihre Grenzen und Ängste im Team zu überwinden. Die Fallsimulationen ermöglichen den Teilnehmenden, Fähigkeiten wie Kommunikation, gegenseitige Unterstützung, Führung und „Wissenszirkulation“ zu pra­ ktizieren und zu demonstrieren, die alle Beteiligten (Pflegende / Ärzte / Supervisoren) zu gleichberechtigten Partnern macht (DeJong 2012). Im Rahmen des Projekts steht allen Teilnehmenden eine interprofessionelle und interdisziplinäre Supervisorengruppe zur fachlichen Unterstützung und zum Dialog zur Verfügung. Die intensive Projekterfahrung zielt darauf ab, ein Team zu schaffen, das seine Handlungen und Kommunikationsprozesse kontinuierlich reflektiert und optimiert sowie in der Lage ist, seine Arbeitsprozesse effektiv und effizient zu gestalten.

Das Projekt „SiHaKo“ – Ein Überblick Das von der Robert Bosch Stiftung für die Dauer von drei Jahren (2015 – 2018) geförderte Projekt „Stärkung der interprofessionellen Handlungskompetenz (­SiHaKo)“ wurde von Rita Hofheinz und Heike Penner von der Stabsstelle PersonalEntwicklung, Abteilung Weiterbildung für „Intensivpflege & Anästhesie“ am Klinikum der Universität München eingereicht und wird von ihnen begleitet. Diese Abteilung verfügt über vielfältige Erfahrungen in der Planung und Umsetzung innovativer Lehrkonzepte. Das interprofessionelle Projekt richtet sich an Weiterbildungsteilnehmer aus der Intensivpflege und Anästhesie sowie Assistenzärzte in der Facharztausbildung und bringt sie in Theorie und praktischen Übungen zusammen. Ärzte und Pflegende diskutieren und reflektieren dabei gemeinsam die Behandlungsstrategie chronisch kranker Patienten mit Mehrfacherkrankungen. Das übergeordnete Lernziel des Projekts ist die Verbesserung der Teamzusammenarbeit und Steigerung der Patientensicherheit. Die Fortbildung umfasst 68 Bildungseinheiten, unterteilt in eine Orientierungs- und eine Entwicklungsphase, und beinhaltet gemeinsame Kommunikationsseminare, bedarfsorientierte Theorieeinheiten sowie simulierte interprofessionelle Fallbesprechungen. Im Vordergrund stehen hierbei praxisnahe Fallsimulationen, in denen die Teilnehmenden gemeinsam Lösungsideen diskutieren, um einen optimalen pa­ tientenorientierten Therapieplan zu erstellen. PADUA (2018), 13 (1), 41–47

Studienreise nach Stockholm (Schweden) Während der Projektplanungsphase suchten die Autorinnen auf nationaler und internationaler Ebene interprofessionelle Bildungsprogramme (IPE) im Gesundheits­wesen. In Stockholm fanden sie schließlich ein IPE-Weiterbildungsprojekt, das zur Orientierung für das SiHaKo-Projekt geeignet ist. Die aktive Vernetzung

Abbildung 2. Ballnus 2016, IPE-Vernetzung – Södersjukset Utbildningscenter ©2018 Hogrefe


Lehren und Lernen

beider Bildungsabteilungen in München und Stockholm begann im Jahr 2014. Ein Referent aus Stockholm wurde daraufhin nach München eingeladen, um am 19. Münchener Intensivpflegetag im März 2015 einen Vortrag über interprofessionelle Ausbildung in Schweden und speziell in Stockholm zu halten. Die Studienreise nach Stockholm fand vom 3. bis 7. Oktober 2016 statt. Geplant wurde die Hospitation in Zusammenarbeit mit Helen Conte (Supervisorin ICUIPE Stockholm Huddinge) und Rene Ballnuss (Leiter des Ausbildungszentrums für IPE am Södersjukhuset oder Stockholm South General Hospital sowie Koordinator aller IPEAusbildungsstationen im Großraum Stockholm) und unser Gastgeber während unserer Studienreise. Eine Vertreterin der Robert-Bosch-Stiftung schloss sich unserer Studienreise an. Wir besuchten sechs IPE-Ausbildungsstationen in und um Stockholm, die alle durch die Koordination über das Södersjukhuset-Ausbildungszentrum miteinander verbunden sind (siehe Abb. 2).

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Studienreiseplan: Tag 1

Ausbildungszentrum und Zentrum für IPE / IPL / IPC am Södersjukhuset (Söderkrankenhaus); Pädiatrische Ausbildungsstation IPP BUA, B88 am Karolinska Universitätsklinikum Huddinge: Medizinstudenten lernen und arbeiten zusammen mit Pflegenden im pädiatrischen Weiterbildungskurs

Tag 2

Ausbildungsstation IPE Notaufnahme KUM (Emergency Department) am Karolinska Universitätsklinikum Solna: Medizin und Pflegestudenten lernen und arbeiten zusammen

Tag 3

Ausbildungsstation IPE KUA A 22 A (eröffnet 2015) am Karolinska Universitätsklinikum Solna; Medizin und Pflegestudenten lernen und arbeiten zusammen; Ausbildungsstation IPP am Danderyd-Krankenhaus (Danderyds Sjukhus): Medizin und Pflegestudenten üben Visitensituationen auf ICU / OP Lean

Tag 4

Ausbildungsstation ICUIPE KUA IVA am Karolinska Universitätsklinikum Huddinge

Tag 1 – 3: Am ersten Tag begannen wir unsere Hospitation im Ausbildungszentrum des Stockholmer Södersjukhuset (Söderkrankenhaus). Hier wurden wir von Herrn Ballnus in die Geschichte und das Konzept der interprofessionellen Ausbildung (IPE), des interprofessionellen Lernens (IPL) und der interprofessionellen Praxis (IPP) in Schweden und speziell Stockholm eingeführt. Interprofessionelle Ausbildungsstationen wurden in Stockholm 1998 etabliert, als das Universitätscollege für Gesundheitswissenschaften mit dem Karolinska Institutet (Universität) zusammengeführt wurde. Damals stellten die Visionäre für den Wandel in der Gesundheitsausbildung

eine wichtige Frage: „Wie können Menschen zusammenarbeiten, wenn sie nicht gemeinsam lernen?“ Eines der Probleme, das es zu Beginn zu lösen galt, war, für alle am Prozess Beteiligten eine gemeinsame Sprache zu finden. Heute ist IPE ein Kernthema in der universitären Aus-, Fort- und Weiterbildung und im Curriculum für alle Gesundheitsstudiengänge fest verankert. Das IPE-Programm am Karolinska Institutet umfasst drei übergeordnete Lernziele:

Abbildung 3. SBAR-Kommunikationstool, Klinik für Anästhesiologie – Klinikum der Universität München (KUM) ©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 41–47


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Lehren und Lernen

Abbildung 4. Conte et al. 2015, IP-Lernteam ICU, Karolinska University Hospital

1. die Studierenden identifizieren und definieren die Kompetenzen ihrer Berufsgruppe; 2. die Studierenden lernen, mit anderen Berufsgruppen / Fachpersonal zusammenzuarbeiten; 3. die Studierenden sind in der Lage zu analysieren und zu reflektieren, wie interprofesionelle Zusammenarbeit zu einer erhöhten Patientensicherheit und Qualitätsverbesserung in der Patientenversorgung beiträgt. In Stockholm wurden für die interprofessionelle Ausbildung verschiedene Praxislernorte und Lernaktivitäten im klinischen Bereich errichtet: z. B. ein Simulationszentrum in der primären Gesundheitsversorgung; Lernort Notaufnahme; Lernort Operationssaal und Intensivstation (ICU). Diese klinischen Ausbildungszentren sind technisch gut ausgerüstet. Im Simulationszentrum führen Studierende sowie Mitarbeiter simulierte Falldiskussionen durch; auf der interprofessionellen Ausbildungsstation beurteilen und diskutieren sie gemeinsam über „echte“ Fälle. Für ihre strukturierten Falldiskussionen orientieren sich Studierende, Praxisanleitungen und Supervisoren gemeinsam am Kommunikationskonzept SBAR (siehe Abb.3). Das SBAR-Konzept wurde ursprünglich für risikoreiche Abteilungen oder Organisationen entwickelt, mit dem Ziel einer kurzen, effektiven und einheitlichen Übergabe von Informationen (Randmaa et al. 2014). Die Weltgesundheitsorganisation (2007) und die Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin (2016) empfehlen das SBAR-Konzept als Standardisierungsinstrument für die Patientenübergabe, um die Patientensicherheit zu erhöhen. Mehrere Studien zeigten, dass die Nutzung des SBARKonzepts eine signifikante Reduktion von unerwarteten Todesfällen (De Meester et al. 2013) sowie eine Verbesserung der Patientensicherheit (Velji et al. 2008) brachten. Während unseres Aufenthaltes in Stockholm konnten wir den Einsatz des SBAR-Kommunikationskonzepts auf PADUA (2018), 13 (1), 41–47

verschiedenen Ausbildungsstationen mit unterschiedlichen IPE-Lernteams beobachten. Alle an der interprofessionellen Aus-, Fort- und Weiterbildung beteiligten Lernteams (Studierende / Praxisanleitungen / Supervisoren) hatten zuvor eine SBAR-Schulung erhalten. Auf den Ausbildungsstationen bilden Supervisoren (Ärzte / Pflegepersonal / Physio- und Ergotherapeuten mit ­pädagogischer Ausbildung = Praxisanleitungen) und Studierende (Pflege & Medizin) ein Lernteam, das zur Therapieplanfindung und Reflexion gemeinsam im Seminarraum diskutiert. Die klinischen Beurteilungen der Pa­tienten finden am Patientenbett statt. Die studentischen Teams führen zuerst allein die klinischen Assessments ihrer Patienten durch, bevor sie ihre Ergebnisse und gegebenenfalls neuen Therapieziele den Praxisanleitungen vorstellen. Nach jedem Praxisausbildungstag reflektieren die Lernteams gemeinsam, wobei sie beispielsweise das Gibbs-Reflexionsmodell verwenden. Das Gibb'sche Modell ist ein allgemeiner Reflexionszyklus, wobei Studierende höchstwahrscheinlich weitere pädagogische Anleitungsunterstützung benötigen (Thompson & Pascal 2012). Entsprechend den IPE-Lernzielen des Karolinska Institutes werden die Studierenden von den Praxisanleitun-

Abbildung 5. Hermeneutischer Kreis, Danner 2006, S. 57 ©2018 Hogrefe


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Abbildung 6. WHO (2010): Framework for Action on Interprofessional Education

gen je nach Stand ihrer (interprofessionellen) Aus- oder Weiterbildung mit unterschiedlichen Unterstützungsmodellen betreut: Wenn Ausbildungsstudierende im 1. Praxis­einsatz eine professionelle Unterstützung benötigten, konnten wir beobachten, dass Praxisanleiter schneller dazu neigten, proaktiv zu werden; während in der Weiterbildung die Praxisanleitungen eher im Hintergrund abwarteten, welche Unterstützung Studierende anforderten.

Tag 4: ICU-Weiterbildungsintensivstation (IPEICU)­– KUA IVA am Karolinska ­Universitätsklinikum Huddinge Um herauszufinden, wie das IPE-Praxiskonzept am Karolinska Universitätsklinikum Huddinge in Stockholm umgesetzt wird, haben wir auf der IPEICU-Ausbildungsstation1 hospitiert. Die IPEICU ist 18 Wochen im Jahr für ein bis zwei interprofessionelle Lernteams pro Woche geöffnet. Am 6. Oktober 2016 konnten wir auf der Intensivstation zwei Lernteams über den Zeitraum eines Frühdienstes begleiten. Das gesamte IPE-Lernteam auf dieser Station besteht aus Studierenden (Pflegende in der ICU-Weiterbildung und Assistenzärzte in der ICU-Facharztausbildung), Praxisanleitungen (Fachpflegepersonal / Ärzte mit pädagogischer Ausbildung) und Supervisoren (Fachpflegepersonal mit IPE-Weiterbildung). Die Supervisoren beobachten die interprofessionellen Aktivitäten der Lernteams und unterstützen sie dabei, dem interprofessionellen Lernkonzept treu zu bleiben. Die studentischen Teams sind gemeinsam für die Versorgung eines Patienten verantwortlich und koordinieren

selbstständig ihre Zusammenarbeit mit allen anderen Berufsgruppen. Ein weiterer wichtiger Teil des IPE-Lernkonzepts ist das klinische Assessment des Patienten, zuerst durch die Studierendenteams, gefolgt von der gemeinsamen Diskussion über den aktuellen Therapieplan durch das gesamte IPE-Lernteam (Conte et al. 2015, siehe Abb. 4). Wir beobachteten die klinische Beurteilung des Patienten durch das Studierendenteam. Die Praxisanleitungen beobachteten das klinische Assessment ihrer Studierenden aus dem Hintergrund und machten sich Notizen. Im Anschluss zog sich das gesamte IPE-Lernteam in einen Seminarraum zurück, wo das Studierendenteam ihre pflege­ rischen und medizinischen Assessmentergebnisse den Praxisanleitungen präsentierten. Dabei folgten auch sie dem SBAR-Kommunikationskonzept. Die Praxisanleitungen verfolgten bei der gemeinsamen Besprechung einen hermeneutischen Lernansatz: sie antworteten nicht direkt auf die Fragen der Studierenden, sondern veranlassten sie durch gezielte Fragen, über ihre Entscheidungen nachzudenken und diese g ­ egebenenfalls zu überdenken. Danner (2006) beschreibt diesen Vorgang des Nach- und Überdenkens eines Verständnisprozesses mit einem hermeneutischen Kreis (V = Vorverständnis, T = Text oder Kontextverständnis; V1 = erweitertes Verständnis, T1 = erweitertes Text oder Kontextverständnis usw (siehe Abb. 5). Aus unserer Sicht gab das den Lernenden genug Raum und Zeit, ihren aufgestellten Therapieplan in Ruhe zu überdenken, um selbstständig zum Therapieergebnis zu kommen. Sie hatten genügend Zeit, ihre eigene berufliche Perspektive zu präsentieren, diese neu zu bewerten und gemeinsam weiterzudenken. Im Seminarraum fanden die Studierenden eine stressfreie und sichere Atmosphäre, in der sie voneinander lernen konnten, um zu einer kollabo-

Das Studium z auf Universitätsniveau zur Pflegefachperson beträgt in Schweden 3 Jahre und schließt mit einem Bachelor ab. Die Spezialisierung zur Intensivpflegefachkraft ist ein einjähriges Vollzeitstudium und wird in Richtung Masterniveau (1. Jahr) anerkannt. Der Vollzeitstudiengang besteht aus theoretischen Seminaren (27 Wochen) an der Universität und praktischer Ausbildung (13 Wochen) Rotationstraining auf der Intensivstation, Anästhesie und IPE- Ausbildungsstation im Universitätsklinikum. Auf der IPEICU am Uniklinikum Karolinska Huddinge beträgt die IPE-Ausbildung innerhalb der ICU Weiterbildung 4 Tage gemeinsames Training Pflege & Ärzte in der Weiterbildung ICU.

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©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 41–47


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rativen (gemeinsamen) Therapieentscheidung zu gelangen. Bei diesem interprofessionellen Lernprozess sind letztendlich die Experten (Praxisanleitungen) „Therapieunterstützer“ und die Lernenden die „Therapieentscheider“. In einer Studie von 2015 (Conte et al.) gaben Studierende im Rahmen des ICUIPE-Ausbildungsprogramms am Karolinska Universitätsklinikum in Stockholm an, dass Raum und Zeit für eigene Entscheidungsprozesse in der interprofessionellen Zusammenarbeit wichtige Motivationsfaktoren für sie waren. Jedoch findet interprofessionelle Kommunikation und Zusammenarbeit im klinischen Alltag nicht von allein statt. Dafür braucht es frühzeitig Angebote, z. B. gemeinsame Lernseminare in der Ausbildung, gekoppelt mit lebenslangem Lernen. Die Notwendigkeit lebenslangen Lernens im Bereich der interprofessionellen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen wird von der WHO (2010) in ihrem „Framework for Action on Interprofessional Education und Collaborative Practice Model“ gefordert (siehe Abb. 6). Wenn Studierende in Gesundheitseinrichtungen von Anfang an ihre eigenen beruflichen Rollen und die Rollen und Perspektiven anderer Berufsgruppen kennenlernen, fällt es ihnen später leichter, einen Beitrag zur interprofessionellen Zusammenarbeit zu leisten. Im Projekt „SiHaKo“ fanden innerhalb des 1. Projektjahres 2016 Beobachtungsstudien während der simulierten interprofessionellen (IP) Fallbesprechungen statt. Untersuchungsgegenstand waren die Interaktionen zwischen den Berufsgruppen sowie die beruflichen Perspektiven der Teilnehmenden. Die Datenerhebung orientierte sich an den Strukturen der teilnehmenden Beobachtung nach Mayring sowie dem systematischen Ansatz nach Trautner. Als ein Merkmal der teilnehmenden Methode werden das Notieren und das Fest­halten von Beobachtungen, Gedanken und typischen Merkmalen verstanden (Mayring, 2002, S. 114). Der s­ ystematische Ansatz dient dazu, etwas über den Zusammenhang verschiedener Variablen (z. B. Perspektiven, Wahrnehmungen) zu erfahren, um Zusammenhänge / Unterschiede zwischen diesen Variablen zu erforschen (Trautner, 1997). Inhaltsanalyse wurde nach Mayring (2003, S. 53 ff) durchgeführt, wobei das Gesamtmaterial zuerst gesichtet und in mehrere Schritten paraphrasiert und extrahiert / reduziert wurde. Die Inhaltsanalyse ergab, dass das Phänomen „Rollen- (Perspektiven) -verständnis“ von besonderem theoretischen Interesse war. Aus Sicht der Beobachtergruppe (Pflegefachpersonen, Pädagogen, Wissenschaftler) war auffällig, wie oft das Pflegeteam in den IP- Falldiskussionen unaufgefordert seine eigenen Sichtweisen / Perspektiven oder Rollen verließ. Durch das „Verlassen“ der eigenen Rolle kam die Pflegeperspektive und somit die Pflege- und Sozialanamnese mit anschließender Erläuterung der Pflegediagnose kaum zur Sprache. Berufsgruppenübergreifende Teamdiskussionen waren eher die Seltenheit, die Teilnehmenden schienen sich im traditionellen (mono)proPADUA (2018), 13 (1), 41–47

Lehren und Lernen

fessionellen Stil der Falldiskussion wohler zu fühlen. Für die Problemanalyse stellen sich daher folgende Fragestellungen: 1. Was verleitet Pflegende dazu, ihre eigene berufliche Perspektive / Rolle im interprofessionellen Diskurs unaufgefordert zu verlassen? 2. Wie ist das Rollenverständnis von Pflegenden / Ärzten? 3. Was benötigen unterschiedliche Berufsgruppen, um interprofessionell miteinander / voneinander zu ler­ nen oder zu arbeiten?

Vom schwedischen Modell lernen Wir konnten interprofessionelles Lernen auf mehreren Ausbildungsstationen in Stockholm / Schweden erleben und beobachten. Auf allen Ausbildungsstationen trafen wir auf sehr engagierte schwedische Kollegen und Kolleginnen, die sich sehr dafür einsetzen, den interprofessionellen Gedanken weiterzutragen. Es braucht Menschen wie sie, um das Konzept von interprofessionellem Lernen / Zusammenarbeit zu leben. Ohne ihren unermüdlichen Einsatz und die Entscheidung der schwedischen Regierung, interprofessionelles Lernen als Kernfach in die Curricula der universitären Gesundheitsversorgungsausbildung aufzunehmen, wäre das schwedische Modell von IPE, IPL und IPP vermutlich nicht so erfolgreich. Allerdings hat es im schwedischen Gesundheitssystem mehr als zwanzig Jahre gedauert, um inter­ professionelles Lernen und Kollaboration zu fördern. Bisher ist das interprofessionelle Lernkonzept auch in Schweden noch nicht flächendeckend vernetzt oder implementiert. Während wir vom schwedischen IPE-Modell einiges lernen können, wird es notwendig sein, es dem ­deutschen Kontext anzupassen. Unser interprofessionelles Förderprojekt ist eines von wenigen Fort- und Weiter­bildungsprojekten in Deutschland. Das deutsche Gesundheits­system unterliegt ständigen Reformen und viele interprofessionelle Projekte sind bisher nie über die Pilotprojektebene hinausgegangen Das schwedische IPE-­Modell gibt uns jedoch Hoffnung, dass unsere Vision des interprofessionellen­Lernens / Zusammenarbeit im Gesundheitswesen eines Tages Wirklichkeit werden kann. Bisher konnten einige Studien nachweisen, dass interprofessionelle Zusammenarbeit von Gesundheitsmitarbeitern zu mehr Patientensicherheit und erhöhter Arbeitsqualität führt. Wie die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Studierenden und Gesundheitsmitarbeitern in Deutschland in Zukunft auszusehen hat, um den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden, bleibt eine entscheidende Frage. Ob interprofessionelles Lernen und Teamwork eine der Antworten auf diese Frage ist, muss Gegenstand weiterer Studien sein. Aber wie sagte bereits Albert Einstein? „Wenn eine Idee nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.“ ©2018 Hogrefe


Lehren und Lernen

Danksagung Besonderer Dank geht an Rene Ballnus, Helen Conte, Sara Fouraux, Anna Magdsjö, Camilla Forsström, Erika Thorwaldsdotter, Linda Arundson, Eva Barkestad, Anders Nilsson und ihren schwedischen Kollegen für ihre herzliche Aufnahme und Einblicke in ihre beruflichen Welten.

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Heike Penner MScN, Stabsstelle Personalentwicklung, Weiterbildung Intensivpflege und Anästhesie, Klinikum der Universität München. heike.penner@med.uni-muenchen.de­

Rita Hofheinz Lehrerin für Pflegeberufe, Krankenha usbetriebswirtin,Stabsstelle Personalentwicklung, Weiterbildung Intensivpflege und Anästhesie,Klinikum der Universität München. rita.hofheinz@med.uni-muenchen.de­

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 41–47


Kurzlehrbuch Psychologie/Psychiatrie für Pflegende

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Psychologie und Psychiatrie kompakt Basiswissen für Pflege- und Gesundheitsberufe 2016. 400 S., ca. 48 farbige Abb., ca. 18 farbige Tab., Kt Etwa € 34,95 / CHF 45.50 ISBN 978-3-456-85576-9 Auch als eBook erhältlich

Warum tun Menschen das, was sie tun, und was geht dabei in ihnen vor? Zur Beantwortung dieser Frage wird grundlegendes psychologisches Wissen ebenso fundiert wie allgemeinverständlich dargestellt und angewandt auf täglich wiederkehrende Situationen in der Pflege, aber auch im Alltagsleben. Die wichtigsten psychiatrischen Krankheitsbilder werden in eindrücklichen Fällen geschildert

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und Wissen über Symptome, Verlauf, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten kompakt zusammengefasst. Besonderheiten von Verhalten und Erleben und von psychischen Störungen im Alter werden behandelt, ebenso Belastungen und Chancen in Pflegeberufen.


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Freiheitseinschränkende Maßnahmen im Kontext der Altenpflegeausbildung Ergebnisse einer Analyse der Rahmenbedingungen und einer Befragung von Altenpflegeschulen

Freiheitseinschränkende Maßnahmen in der stationären Altenpflege sind nicht nur ein rechtliches und pflegefachliches, sondern auch ein ethisches Problem. Um den Stellenwert des Themas in der Altenpflegeausbildung zu ermitteln, wurden (bundes-) länderspezifische Rahmenlehrpläne und Lehrbücher analysiert sowie Leitungen und Lehrende an Altenpflegeschulen in Sachsen-Anhalt und Thüringen schriftlich befragt.

Hintergrund Mechanische freiheitseinschränkende Maßnahmen (FEM) sind alle Handlungen oder Maßnahmen, die die Bewegung einer Person an einen Ort oder in eine Position ihrer Wahl beeinträchtigen und von dieser Person nicht eigenmächtig kontrolliert oder entfernt werden können (Bleijlevens et al., 2016). In der Altenpflege zählen dazu vor allem Bettgitter, Gurte in Betten und Stühlen sowie Therapietische. FEM sind ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und werden von den Betroffenen selbst häufig negativ wahrgenommen (Köpke et al., 2015, S. 31). Sie beeinträchtigen sowohl die körperliche als auch die kognitive und emotionale Gesundheit (Evans et al., 2003; Hofmann & Hahn, 2014). Altenpflegekräfte spielen eine bedeutende Rolle bei der Entscheidung, FEM anzuwenden. Sie können die Anwendung einerseits anregen und sind andererseits für die Pflege der Betroffenen zuständig (Goethals et al., 2012). Am häufigsten begründen sie den Einsatz mit einer erwarteten Verbesserung der Bewohnersicherheit, vor allem im Hinblick auf die Vermeidung von Stürzen (Goethals et al., 2012). In verschiedenen Studien zeigt sich jedoch, dass die Anwendung von FEM nicht zu weniger Stürzen führt, sondern das Gegenteil der Fall ist: sie können das Sturz- und Verletzungsrisiko zusätzlich erhöhen

(Evans et al., 2003; Kröpelin et al., 2013). Der Expertenstandard Sturzprophylaxe rät sogar ausdrücklich davon ab, FEM zu diesem Zweck einzusetzen (DNQP, 2013, S. 109 f.). Aus fachlicher, ethischer und wissenschaftlicher Sicht sind FEM aufgrund des fehlenden Nutzens und der möglichen negativen Folgen klar abzulehnen. Trotzdem werden sie bei etwa einem Viertel aller Bewohner / -innen in deutschen Altenpflegeheimen angewendet (Meyer et al., 2009; Heinze et al., 2012). Allerdings zeigen verschiedene Initiativen zur Vermeidung von FEM zunehmend Wirkung und es ist in den letzten Jahren ein tendenzieller Rückgang der Häufigkeit zu beobachten (MDS, 2014, S. 35). Viele dieser Bemühungen sind auf die Schulung von Altenpflegekräften ausgerichtet (Köpke et al., 2015, S. 74), da Wissensdefizite eine Barriere sein können, FEM erfolgreich zu reduzieren (Kong et al., 2016). Ein wichtiger Ansatzpunkt bezüglich der Wissensvermittlung ist die Altenpflegeausbildung. Hier bietet sich die Gelegenheit, angehenden Altenpflegekräften die fachlichen Grundlagen zum angemessen Umgang mit FEM zu vermitteln. Durch einen gelungenen TheoriePraxis-Transfer können diese ihr erworbenes Wissen nicht nur mit ausreichender Handlungssicherheit anwenden, sondern gleichzeitig auch die bestehende Pflegepraxis in den Einrichtungen verbessern. Grundlage für den Theorie-Praxis-Transfer bildet zunächst die Behandlung des Themas FEM im Unterricht der Altenpflegeschulen. Welchen Stellenwert dieses in der theoretischen Ausbildung einnimmt, wurde bislang nicht untersucht. Der Schwerpunkt des vorliegenden Beitrags ist daher die Vermittlung des Themas FEM im Unterricht der Altenpflegeausbildung.

Ziel und Fragestellung Zentraler Forschungsschwerpunkt ist die Frage, wie das Thema FEM im Rahmen der Altenpflegeausbildung vermittelt wird. Folgende Unterfragen ergeben sich aus dieser Fragestellung:

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 49–56 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000415

Wissen und Forschen

Thomas Nordhausen, Eva Kirchherr und Jens Abraham


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• Welche grundlegenden Rahmenbedingungen liegen für die Vermittlung des Themas FEM vor? • Welche inhaltlichen Aspekte bzgl. FEM werden im Unterricht thematisiert? • Welcher Zeitrahmen ist für das Thema FEM vorgesehen? • Mit welchen Methoden wird das Thema FEM unterrichtet? • Welche persönlichen Sichtweisen haben Lehrende gegenüber dem Thema FEM? Die Beantwortung der Fragen soll Erkenntnisse über den Stellenwert des Themas FEM innerhalb der Altenpflegeausbildung liefern.

Methodisches Vorgehen Um die Forschungsfrage möglichst umfassend beantworten zu können, wurde ein zweischrittiges Vorgehen gewählt. Im ersten Schritt erfolgte zunächst eine Analyse der Rahmenbedingungen, die für die Vermittlung des Themas FEM in der Altenpflegeausbildung von Bedeutung sind. Dazu wurden Rahmenlehrpläne der Bundesländer und ­relevante Lehrbücher dahingehend untersucht, inwieweit sie FEM thematisieren. Um einen konkreten Einblick in den Unterricht der Altenpflegeausbildung zu erhalten, erfolgte im zweiten Schritt eine Befragung von Leitungen und Lehrenden an Altenpflegeschulen.

Analyse der Rahmenbedingungen Das Thema FEM ist sehr komplex und kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Daher wurde im Vorfeld eine Unterteilung in rechtliche, ethische und handlungspraktische Aspekte vorgenommen. Rechtliche Aspekte umfassen alle gesetzlichen Grundlagen hinsichtlich der Anwendung von FEM in Deutschland. Ethische Aspekte beinhalten moralische Fragen und Konflikte in Bezug auf FEM. Sie betreffen vor allem Grund- und Menschenrechte und damit zusammenhängende Themen wie Freiheit, Autonomie, Menschenwürde und Gewaltausübung. Handlungspraktische Aspekte umfassen die konkrete Anwendung von FEM in der Pflegepraxis. Dazu zählen Einleitung, Durchführung, Überwachung und Dokumentation, Gefahren, Risiken und Folgen sowie ­ Prävention. Sowohl bei der Analyse der Rahmenlehrpläne als auch bei der Lehrbuchanalyse lag der Schwerpunkt darauf, ob und in welchem Maß diese drei Aspekte thematisiert werden. Analyse von Rahmenlehrplänen Obwohl die Altenpflegeausbildung deutschlandweit einheitlich durch das Altenpflegegesetz geregelt ist, liegt die konkrete Umsetzung in der Verantwortung der einzelnen Bundesländer. Daher kann jedes Land eigene RahmenPADUA (2018), 13 (1), 49–56

Wissen und Forschen

lehrpläne mit Vorgaben für die Altenpflegeausbildung erstellen (AltPflG). Die Suche und Analyse dieser länderspezifischen Vorgaben fand im Januar 2015 statt. Ausgangspunkt war die Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Altenpflegeausbildung (altenpflegeausbildung.net). Dort wurde nach Rahmenlehrplänen der einzelnen Bundesländer zur Altenpflegeausbildung gesucht. Zudem wurden die dort aufgeführten Berater / -innen per Mail kontaktiert und um die Zusendung aktueller landesrechtlicher Vorgaben gebeten. Eine weitere Suche erfolgte auf den Internetseiten der zuständigen Behörden in den jeweiligen Bundesländern. Lehrbuchanalyse Die Suche und Analyse erfolgten im Januar 2015. Einbezogen wurden Lehrbücher der Alten- und Krankenpflege, da Letztere ebenfalls in der Altenpflegeausbildung verwendet werden. Die Suche schloss die folgenden Verlage ein: Cornelsen, Hans Huber, Springer, Thieme, Urban & Fischer. Außerdem wurden Kurzversionen von Lehrbüchern einbezogen, z. B. Klinikleitfäden und Pflegetechnikbücher.

Schriftliche Befragung Obwohl die einzelnen Bundesländer inhaltliche Vorgaben erstellen können, tragen die Altenpflegeschulen selbst die Hauptverantwortung für den theoretischen und praktischen Unterricht (AltPflG). Um zu erfassen, wie das Thema FEM an verschiedenen Altenpflegeschulen behandelt wird, erfolgte eine schriftliche Befragung von Leitungen und Lehrenden an Altenpflegeschulen. Gewählt wurde ein deskriptives Querschnittsdesign, als Erhebungsinstrument diente ein (teil-)standardisierter Fragebogen. Stichprobe Die Stichprobe umfasste alle Altenpflegeschulen in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die Schulen wurden über die Internetseite altenpflegeausbildung.net identifiziert. Durch telefonischen Kontakt mit den auf der Seite aufgeführten Berater(inne)n beider Bundesländer konnten weitere Schulen gefunden werden. Datenerhebung Zur Datenerhebung wurden zwei teilstrukturierte Fragebögen erstellt. Beide Bögen enthielten Fragen mit vorgefertigten Antworten zum Ankreuzen, Freitextfragen und Fragen, die beides kombinieren. Ein Bogen mit insgesamt elf Fragen richtete sich an die Leitungen der Altenpflegeschulen. Er beinhaltete sieben Fragen zu strukturellen Daten der Schulen. Zudem wurde mit vier Fragen erfasst, ob rechtliche, ethische und handlungspraktische Aspekte von FEM im Unterricht behandelt werden und wie viele Stunden für das Thema FEM generell vorgesehen sind. Der zweite Bogen mit insgesamt 29 Fragen richtete sich an Lehrende, die das Thema FEM ©2018 Hogrefe


Wissen und Forschen

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an den jeweiligen Altenpflegeschulen unterrichten. Inhaltlich gliederte er sich in rechtliche (acht Fragen), ethische (fünf Fragen) und handlungspraktische Aspekte (neun Fragen). Die Lehrenden sollten nur Fragen zu den Aspekten beantworten, die sie auch unterrichten. Erfasst wurde, in welchem Ausbildungsjahr der jeweilige Aspekt unterrichtet wird, wie viele Stunden dafür vorgesehen sind, welche konkreten Inhalte dazu vermittelt werden und welche Lehrmethoden zur Anwendung kommen. Drei Fragen erfassten zudem persönliche Sichtweisen gegenüber dem Thema FEM, den Abschluss bildeten vier Fragen zu soziodemographischen Daten. Ein Pretest der beiden Frage­ bögen fand an drei Altenpflegeschulen statt, die nicht zur Stichprobe gehörten. (Die vollständigen Bögen können auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden). Die Information über das Forschungsvorhaben erfolgte durch telefonischen Kontakt mit den Leitungen der Altenpflegeschulen. Im Fall einer Teilnahme wurden beide Fragebögen via E-Mail an die betreffende Schulleitung verschickt. Diese sollte den für sie bestimmten Bogen selbst ausfüllen und den zweiten Fragebogen an alle Lehrenden ihrer Schule weiterleiten, die das Thema FEM unterrichten. Die Rücksendung der ausgefüllten Bögen erfolgte via E-Mail direkt an die Autoren. Befragungszeitraum war August bis November 2015. Zur Erhöhung des Rücklaufs erfolgten eine schriftliche und telefonische Erinnerung.

Datenauswertung Die Datenauswertung erfolgte mittels deskriptiver Statistik mit SPSS 23 (IBM).

Ergebnisse Im Folgenden werden entsprechend des oben beschriebenen, zweischrittigen Vorgehens zunächst die Ergebnisse der Analyse der Rahmenbedingungen und anschließend die der schriftlichen Befragung dargestellt.

Analyse der Rahmenbedingungen Analyse von Rahmenlehrplänen Insgesamt wurden 19 Dokumente aus 14 Bundesländern analysiert. Für Saarland und Mecklenburg-Vorpommern gab es keine Rahmenlehrpläne zur Altenpflegeausbildung. Hinsichtlich Umfang, Schwerpunkten und Detaillierungsgrad zeigten sich große Unterschiede innerhalb der Vorgaben der einzelnen Länder. In den Dokumenten von fünf Bundesländern wurden FEM überhaupt nicht thematisiert. Rechtliche Aspekte wurden in Lehrplänen aus acht, ethische Aspekte in Lehrplänen aus vier und handlungspraktische Aspekte in Lehrplänen aus fünf Bundesländern

Tabelle 1. Analyse der länderspezifischen Rahmenlehrpläne Bundesland

Anzahl der analysierten Rahmenlehrpläne

Erstellungsjahr

Werden FEM thematisiert?

Welches Ausbildungsjahr ist für FEM vorgesehen?

Welche Aspekte ­werden thematisiert?

Wird Prävention thematisiert?

BadenWürttemberg

n=1

2010

ja

1

rechtliche, ethische

nein

Bayern

n = 2*

2004, 2009

nein

Berlin

n=1

2006

nein

Brandenburg

n=1

2008

ja

rechtliche

nein

Bremen

n=1

2005

nein

Hamburg

n=1

2013

ja

2

handlungspraktische

nein

Hessen

n=1

2011

ja

1,2,3

rechtliche, ethische, handlungspraktische

ja

Niedersachsen

n=1

2003

nein

Nordrhein-­ Westfahlen

n = 2*

2003, 2006

ja

1,2,3

rechtliche, ethische, handlungspraktische

ja

Rheinland-Pfalz

n=1

2005

ja

1,2,3

rechtliche, ethische, handlungspraktische

ja

Sachsen

n = 2*

2003

ja

2

rechtliche

nein

Sachsen-Anhalt

n=1

2004

nein

SchleswigHolstein

n = 3*

2005

ja

1

rechtliche, handlungspraktische

nein

Thüringen

n=1

2009

ja

1,2

rechtliche

nein

*In einigen Bundesländern gab es mehrere Dokumente, z. B., weil zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung getrennt wurde. ©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 49–56


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behandelt. Nur Hessen, Nordrhein-Westfahlen und Rheinland-Pfalz thematisierten alle drei Aspekte in ihren Vorgaben. Auch die Prävention von FEM fand nur bei diesen drei Ländern Erwähnung. Hinsichtlich des vorgesehenen Ausbildungsjahres zeigten sich deutliche Unterschiede, je nach Land war das Thema entweder nur für das erste und zweite Jahr, für beide zusammen oder für alle drei Jahre vorgesehen. Ein für das Thema vorgegebener Stundenumfang ließ sich in keinem der Dokumente finden. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht der Lehrplananalyse für die einzelnen Bundesländer. Lehrbuchanalyse Insgesamt wurden 23 Lehrbücher analysiert, davon neun Altenpflege- und 14 Krankenpflegelehrbücher. Zwar thematisierten alle Bücher FEM, es zeigten sich jedoch deutliche Unterschiede. Am häufigsten wurden rechtliche Aspekte (in 20 Büchern) und handlungspraktische Aspekte (in 18 Büchern) behandelt, ethische Aspekte wurden in acht Büchern benannt. Auf alle drei Aspekte wurde in fünf Lehrbüchern eingegangen. Inhaltlich fanden unter rechtlichen Aspekten am häufigsten Definitionen von FEM und deren gesetzliche Grundlagen (z. B. StGB, BGB) bzw. Zulässigkeit Erwähnung. Die Inhalte zu den ethischen Aspekten waren z. B. Grundrechte oder ethische Grundsätze im Umgang mit den Maßnahmen. Unter handlungspraktischen Aspekten wurden pflegerische Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung von FEM (z. B. konkrete Durchführung, Dokumentation), Gründe für die Anwendung sowie Gefahren und Folgen der Anwendung am häufigsten behandelt. Sieben Bücher thematisierten zudem die Prävention von FEM. Nur in einem Lehrbuch wurden Studienergebnisse zu Häufigkeit, Gründen der Anwendung und Folgen von FEM einbezogen. Tabelle 2 zeigt eine Übersicht der Analyse der einzelnen Bücher.

Befragung Insgesamt 46 von 68 Altenpflegeschulen haben einer Teilnahme zugestimmt. Von den 46 Schulleitungen haben 16 ihren Bogen ausgefüllt, was einem Rücklauf von ca. 35 % entspricht. Der Rücklauf bei den Lehrenden ließ sich nicht einschätzen, da nur die Anzahl der Lehrenden der Schulen bekannt war, deren Leitungen den Bogen ausgefüllt haben. Tabelle 3 liefert einen Überblick über die strukturellen Daten der Schulen und die soziodemographischen Daten der Lehrenden. In jeder der befragten Schulen wurden rechtliche, ethische und handlungspraktische Aspekte von FEM thematisiert. Bei den für das Thema vorgesehenen Stundenzahlen zeigten sich mit Antworten zwischen sechs und 70 Stunden deutliche Unterschiede. Viele Leitungen gaben an, dass eine eindeutige Stundenzahl schwer zu ermitteln ist, da das Thema FEM in verschiedenen Lerneinheiten behandelt wird. PADUA (2018), 13 (1), 49–56

Wissen und Forschen

Die 31 befragten Lehrenden unterrichteten rechtliche und handlungspraktische Aspekte häufiger als ethische. Gesetzliche Grundlagen, rechtlich relevante Definitionen (FEM, Freiheitsentzug, Selbst- und Fremdgefährdung) sowie rechtliche Voraussetzungen und Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Anwendung von FEM wurden von fast allen Lehrenden behandelt, die rechtliche Aspekte vermitteln. Ein vergleichbares Bild zeigte sich bei den ethischen Aspekten. Sowohl Grund- und Menschenrechte als auch ethische Konflikte im Zusammenhang mit FEM wurden von fast allen betreffenden Lehrenden unterrichtet (vgl. Tab. 4). Die Ergebnisse bei den handlungspraktischen Aspekten waren etwas differenzierter. Fast alle Lehrenden unterrichteten, welche Arten von Maßnahmen als FEM gewertet werden können. Ebenfalls mehrheitlich wurden Gründe für die Anwendung von FEM behandelt, befragt nach den konkreten Gründen, antworteten elf der 17 Lehrenden Schutz der Betroffenen bzw. Sturzprophylaxe. Vergleichbar häufig wurden die korrekte Anwendung sowie die Risiken und Folgen von FEM unterrichtet. Die Prävention von FEM war etwas weniger häufig Unterrichtsthema, bei ca. drei Viertel der betreffenden Lehrenden. In Bezug auf Prävention bzw. Alternativen wurden therapeutische und pflegerische Maßnahmen (z. B. Validation) von 16 sowie mechanische Maßnahmen (z. B. Sensormatten) von elf Lehrenden unterrichtet. Die wissenschaftsbasierte Praxisleitlinie zur Vermeidung von FEM in der Altenpflege (Köpke et al., 2015) fand im Unterricht von zehn Befragten Anwendung. Häufigste Unterrichtsmethoden bei allen drei Aspekten von FEM waren Lehrervortrag, Diskussion und Fallbeispiel. Tabelle 4 liefert einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse der Befragung von Schulleitungen und Lehrenden. So gut wie alle Lehrenden sahen FEM als wichtiges Thema für die Altenpflegeausbildung an. Eine deutliche Mehrheit war ebenfalls der Ansicht, FEM werden in der Ausbildung ausreichend behandelt. Die meisten fühlten sich sicher, das Thema angemessen zu vermitteln. Angaben zu den persönlichen Sichtweisen der Lehrenden sind in Tabelle 5 zu finden.

Diskussion Die Ergebnisse zeigen, dass FEM in vielen Vorgaben der Bundesländer gar nicht oder nur von einer Seite thematisiert werden, am häufigsten von der Rechtlichen. Von den analysierten Lehrbüchern behandeln zwar alle 23 das Thema, nur fünf berücksichtigen jedoch rechtliche, ethische und handlungspraktische Aspekte gleichermaßen. In den Büchern wird ebenfalls die rechtliche Seite am häufigsten berücksichtigt, wobei auch die handlungspraktische Seite mehrheitlich thematisiert wird. Ethische Aspekte finden sowohl in den Rahmenlehrplänen als auch in den Lehrbüchern deutlich seltener Erwähnung. ©2018 Hogrefe


Wissen und Forschen

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Tabelle 2. Analyse der Lehrbücher Herausgeber / Titel / Jahr

Fachbereich Altenpflege (AP) oder Krankenpflege (KP)

Welche Aspekte werden thematisiert?

Wird Prävention thematisiert?

Andreae / Gesundheits- und Krankenpflege- ­ EXPRESS- Pflegewissen / 2009

KP

rechtliche

nein

Bergen et al. / Altenpflege heute / 2010

AP

rechtliche, ethische, handlungspraktische

ja

Bohnes et al. / In guten Händen. Altenpflege 2 / 2011

AP

rechtliche, ethische, handlungspraktische

nein

Brandt / Pflegetechniken heute / 2006

KP

rechtliche, handlungspraktische

nein

Brandenburg & Huneke / Professionelle Pflege alter Menschen. Eine Einführung / 2006

AP

ethische, handlungspraktische

ja

Brendebach et al. / Kurzlehrbuch Altenpflege / 2009

AP

rechtliche, handlungspraktische

ja

Henke & Horstmann / Pflegekniffe von A- Z / 2008

KP

rechtliche, handlungspraktische

nein

Heuwinkel-Otter et al. / Menschen pflegen. Der ­Praxisbegleiter für Pflegeprofis basierend auf ­Pflegediagnosen / 2009

KP

rechtliche, handlungspraktische

nein

Kellnhauser et al. / Thiemes Pflege. Professionalität erleben / 2004

KP

rechtliche, handlungspraktische

ja

Kirschnick / Pflegetechniken von A – Z / 2010

KP

handlungspraktische

nein

Köther / Thiemes Altenpflege / 2005

AP

rechtliche, ethische

nein

Lauber & Schmalstieg / Prävention und Rehabilitation. Verstehen & Pflegen 4 / 2012

KP

rechtliche, handlungspraktische

nein

Maletzki & Stegmayer / Klinikleitfaden Pflege / 2008

KP

rechtliche, handlungspraktische

nein

Menche / Pflege heute / 2014

KP

rechtliche, handlungspraktische

nein

Menker & Waterboer / Altenpflege konkret. Pflegetheorie und -Praxis / 2001

AP

rechtliche, handlungspraktische

nein

Milisen et al. / Die Pflege alter Menschen in speziellen Lebenssituationen / 2004

AP

rechtliche, ethische (studienbelegt)

nein

Mötzing & Wurlitzer / Leitfaden Altenpflege / 2012

AP

rechtliche, ethische, handlungspraktische

nein

Oelke / In guten Händen 2. Gesundheitsund Krankenpflege / 2010

KP

handlungspraktische

ja

Oelke / In guten Händen 3. Gesundheitsund Krankenpflege / 2008

KP

rechtliche

nein

Philbert-Hasucha / Pflegekompendium. Wirkstoffe-Materialien-Techniken / 2006

KP

rechtliche, handlungspraktische

nein

Schewior-Popp et al. / Thiemes Pflege. Das Lehrbuch für Pflegende in Ausbildung / 2009

KP

rechtliche, ethische, handlungspraktische

ja

Wiederhold / Pflegealphabet. Von Absaugen bis Zystitisprophylaxe / 2010

KP

rechtliche, handlungspraktische

nein

Zenneck / Thiemes Altenpflege in Lernfeldern / 2008

AP

rechtliche, ethische, handlungspraktische

ja

In der Befragung zeigen sich bezüglich der inhaltlichen Aspekte von FEM ähnliche Tendenzen. Alle drei Aspekte finden laut Auskunft der Schulleitungen Berücksichtigung an den Altenpflegeschulen. Ethische As-

pekte werden jedoch von den Lehrenden tendenziell seltener behandelt. Ein vergleichbares Bild zeigt sich beim Thema Prävention von FEM. Sie wird, ähnlich wie schon in den Rah-

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 49–56


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Wissen und Forschen

Tabelle 3. Strukturelle Daten der befragten Altenpflegeschulen

Tabelle 4. Ergebnisse der Befragung von Schulleitungen und Leh-

und soziodemographische Daten der Lehrenden

renden

Gesamtzahl der Schulen

n = 16

Gesamtzahl der befragten Schulen

n = 16

öffentlich

n = 6

n = 16

privat

n=6

Anzahl der Schulen, die alle drei Aspekte von FEM unterrichten

gemeinnützig

n=4

kirchlich

n=0

Für FEM vorgesehene Stundenzahl (bezogen auf eine Klasse für die gesamte Ausbildungsdauer)

3 Jahre

n = 16

2 Jahre (verkürzt)

n = 12

Durchschnittswert: 22,9 Minimum /  Maximum: 6 / 70

1 Jahr (verkürzt)

n=2

Gesamtzahl der befragten Lehrenden

n = 31

Durchschnittswert

4,4

Lehrende, die rechtliche Aspekte unterrichten

n = 21

Minimum / Maximum

1 / 10

davon: gesetzliche Grundlagen unterrichtet? (z. B. BGB, SGB, StGB)

n = 19

Anzahl der Schüler / -innen pro Klasse

Minimum / Maximum

10 / 46

rechtlich relevante Definitionen unterrichtet? (FEM, Freiheitsentzug, Selbst- und Fremdgefährdung)

n = 20

Gesamtzahl der Lehrenden

Durchschnittswert

12,3

n = 21

Minimum / Maximum

8 / 28

rechtliche Voraussetzungen für Anwendung von FEM unterrichtet? (z. B. Selbst- und Fremdgefährdung, ­maximale Dauer)

Anzahl der Lehrenden, die FEM unterrichten

Durchschnittswert

3,4

n = 20

Minimum / Maximum

1 / 7

rechtliche Verpflichtungen bei Anwendung von FEM unterrichtet? (z. B. FEM als letzte ­Maßnahme, ­Dokumentationspflicht)

Anstellungsverhältnis der Lehrenden, die FEM unterrichten

nur fest angestellt

n=6

Lehrende, die ethische Aspekte unterrichten

n = 16

nur auf Honorarbasis

n=0 n = 10

davon: Grund- und Menschenrechte unterrichtet? (z. B. Freiheit, Menschenwürde)

n = 14

beides

ethische Konflikte im Zusammenhang mit FEM unterrichtet? (z. B. Fürsorgeprinzip, ­Schadensvermeidung)

n = 15

Lehrende, die handlungspraktische Aspekte ­unterrichten

n = 21

davon: Arten von FEM unterrichtet?

n = 20

Gründe für die Anwendung von FEM unterrichtet?

n = 17

Korrekte Anwendung von FEM unterrichtet?

n = 18

Risiken und Folgen von FEM unterrichtet?

n = 17

Prävention von FEM unterrichtet?

n = 16

Trägerschaft

mögliche Ausbildungsdauer

Anzahl der Klassen

Gesamtzahl der Lehrenden Geschlecht

n = 31 männlich

n=4

weiblich

n = 23

keine Angabe

n=4

Durchschnittsalter (Jahre) Beruflicher Status

49,6 Pflegepädagoge / -in

n=2

Medizinpädagoge / -in

n=5

Jurist / -in

n=4

Medizinethiker / -in

n=1

Lehrer / -in für Pflegeberufe

n = 10

sonstiger Beruf

n=6

keine Angabe

n=3

menlehrplänen und Lehrbüchern, tendenziell seltener vermittelt. Gerade unter diesem Schwerpunkt können jedoch konkrete und praxisnahe Inhalte eingebracht werden, um angehenden Altenpflegekräften Alternativen zur Vermeidung von FEM aufzuzeigen. Dazu zählen sowohl pflegerische und therapeutische Maßnahmen (z. B. Validation, Biographiearbeit) als auch technische und mechanische Hilfsmittel (z. B. Sensormatten) (Köpke et al., 2015). Studien belegen, dass mangelnde Kenntnisse von Alternativen eine Barriere darstellen können, um die Häufigkeit der Anwendung von FEM in Langzeitpflegeeinrichtungen PADUA (2018), 13 (1), 49–56

zu reduzieren (Kong et al., 2016). Ein Wissen um diese Möglichkeiten kann daher hilfreich sein, zur Vermeidung von FEM in Altenpflegeheimen beizutragen. Viele Altenpflegekräfte begründen die Anwendung von FEM mit Sicherheit bzw. Sturzprophylaxe (Goethals et al., 2012). Lehrende in der Altenpflegeausbildung scheinen vergleichbare Ansichten zu vertreten. Viele der Befragten gaben an, die Gewährleistung der Bewohner / -innensicherheit bzw. Sturzprophylaxe als Grund für die Anwendung von FEM zu unterrichten. Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Begründung nicht haltbar. Sie widerspricht den Empfehlungen des Expertenstandards Sturzprophylaxe und der Leitlinie FEM, in denen ausdrücklich davon abgeraten wird, FEM zu diesem Zweck einzusetzen (DNQP, 2013, S. 109 f., Köpke et al., 2015, S. 40 ff.). Ihre Anwendung führt nicht zu weniger Stürzen, sondern kann ©2018 Hogrefe


Wissen und Forschen

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Tabelle 5. Persönliche Sichtweisen der Lehrenden gegenüber FEM Lehrende, die Angaben zu persönlichen ­Sichtweisen gemacht haben

n = 28 Zustimmung

FEM sind ein wichtiges Thema in der ­Altenpflegeausbildung

n = 27

FEM werden im Rahmen der Altenpflege­ ausbildung ausreichend behandelt

n = 21

Ich fühle mich sicher, die Thematik FEM ­angemessen zu vermitteln

n = 24

im Gegenteil das Sturz- und Verletzungsrisiko sogar erhöhen (Evans et al., 2003; Kröpelin et al., 2013). Da FEM nicht nur vom rechtlichen und ethischen Standpunkt, sondern auch aus Sicht der Forschung klar abzulehnen sind, könnte ein stärkerer Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Altenpflegeausbildung dabei helfen, solche irrtümlichen Sichtweisen zu korrigieren. Besonders in die Ausbildungsliteratur sollten auch aktuelle Studienergebnisse einfließen, um das Thema angemessen abzubilden. Hier zeigte sich ein großer Nachholbedarf. Methodisch werden rechtliche, ethische und handlungspraktische Aspekte auf ähnliche Weise unterrichtet. Konkrete zeitliche Vorgaben für das Thema FEM ließen sich in den Lehrplänen der Bundesländer nicht finden, in den meisten sind nur grobe Stundenzahlen für die übergeordneten Lerneinheiten angegeben. Der Umfang des Unterrichts bleibt daher komplett dem Ermessen der Altenpflegeschulen überlassen. Entsprechend groß sind die Unterschiede in den veranschlagten Stundenzahlen zwischen den befragten Schulen. Das Thema FEM wird dabei nicht in sich geschlossen, sondern als Bestandteil verschiedener Lerneinheiten unterrichtet. Viele Schulen hatten aus diesem Grund Schwierigkeiten, überhaupt konkrete Stundenzahlen zu nennen. Die Mehrheit der befragten Lehrenden ist sich der Bedeutung des Themas FEM für die Altenpflegeausbildung bewusst und fühlt sich beim Unterrichten sicher. Handlungsbedarf bezüglich des Umfangs in der Ausbildung sahen die wenigsten. Da die Befragung durch die Rücksendung per Mail nicht anonym war, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Antworten gemäß der sozialen Erwünschtheit gegeben wurden. Weiterhin beschränkte sich die Stichprobe der Befragung nur auf zwei Bundesländer und hatte einen geringen Rücklauf. Sie lässt damit keine Schlüsse auf ganz Deutschland zu. Bestimmte Tendenzen wie die Überbewertung des Nutzens von FEM, die sich auch in anderen Forschungen zeigen, lassen sich jedoch ablesen.

Fazit und Ausblick Die Analyse der Rahmenbedingungen zeigt, dass FEM sowohl in den Rahmenlehrplänen als auch in den Lehrbüchern inhaltlich und vom Umfang her sehr unterschiedlich

thematisiert werden. Eher selten finden rechtliche, ethische und handlungspraktische Aspekte gleichermaßen Erwähnung. Wissenschaftliche Erkenntnisse bleiben in fast allen Lehrbüchern unberücksichtigt. Laut Aussagen der Leitungen wird das Thema an den Altenpflegeschulen selbst ganzheitlich behandelt. Die Befragung der Lehrenden zeigt jedoch, dass bestimmte wichtige Schwerpunkte wie Prävention tendenziell seltener unterrichtet werden, ähnlich wie schon in den Lehrplänen und -büchern. Insgesamt deuten die Ergebnisse auf eine uneinheitliche Vermittlung des Themas FEM innerhalb der Altenpflegeausbildung bzw. an verschiedenen Altenpflegeschulen hin. Die kommenden Jahre werden aufgrund des Pflegeberufsgesetzes einschneidende Veränderungen für die Ausbildung Pflegender in Deutschland mit sich bringen (Bundesregierung, 2017). Gerade im Zuge der generalistischen Pflegeausbildung sind klare Vorgaben hinsichtlich Inhalt und Umfang des Themas FEM erforderlich, um einen einheitlichen Wissenstand zu gewährleisten. Zudem sollten neben ethischen, rechtlichen und handlungspraktischen Aspekten auch wissenschaftliche Erkenntnisse thematisiert werden. Für zukünftige Forschungen zu diesem Thema ist eine Ausweitung der Stichprobe auf Altenpflegeschulen im gesamten Bundesgebiet bzw. durch die generalistische Pflegeausbildung auf Pflegeschulen allgemein zu empfehlen. Außerdem sollte die Perspektive der Auszubildenden einbezogen werden, da diese letztendlich die gelernten Inhalte anwenden. Ihr Wissen über FEM und ihre Einschätzung, wie gut sie diesbezüglich auf die Praxis vorbereitet werden, kann wichtige Erkenntnisse über den Erfolg des Theorie-Praxis-Transfers zum Thema FEM in der Pflegeausbildung liefern.

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©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 49–56


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Kong, E.-H., Choi, H. & Evans, L. K. (2016). Staff Perceptions of Barriers to Physical Restraint-Reduction in Long-Term Care: A meta-synthesis. J Clin Nurs. doi: 10.1111/jocn.13418 Köpke S., Möhler R., Abraham J., Henkel A., Kupfer R., Meyer G. (2015) Leitlinie FEM – Evidenzbasierte Praxisleitlinie Vermeidung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen in der beruflichen Altenpflege. 1. Aktualisierung 2015. Universität zu Lübeck & Martin-Luther-Universität Halle / Wittenberg. 2015. http://www.leitlinie-fem.de/download/LL_FEM_2015_­ Internet_gesamt.pdf [Letzter Zugriff 28.01.2018] Kröpelin T. F., Neyens J. C., Halfens R. J., Kempen G. I., Hamers J. P. (2013). Fall determinants in older long-term care residents with dementia: a systematic review. Int Psychogeriatr., 25: 549 – 563. MDS (2014) Qualität in der ambulanten und stationären Pflege. https://www.mds-ev.de/fileadmin/dokumente/Publikatio nen/SPV/MDS-Qualitaetsberichte/MDS_Vierter__Pflege_ Qualitaetsbericht.pdf.pdf [Letzter Zugriff 28.01.2018] Meyer G., Köpke S., Haastert B., Mühlhauser I. (2009). Restraint use among nursing home residents: cross-sectional study and prospective cohort study. J Clin Nurs, 18: 981 – 990.

Wissen und Forschen

Thomas Nordhausen Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Pflegewissenschaftler (M.Sc.), wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg thomas.nordhausen@uk-halle.de

Eva Kirchherr Gesundheits- und Krankenpflegerin, Medizinpädagogin (B.A.), Masterstudentin der Gesundheits- und Pflegewissenschaften an der Martin-­ Luther-Universität Halle-Wittenberg

Jens Abraham Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Pflegewissenschaftler (M. Sc.), wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für ­Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Kontextgerechte Pflege von Migrantinnen und Migranten

Dagmar Domenig (Hrsg.)

Transkulturelle Kompetenz Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe Mit Pflegeanamnese u. -prozesskarte Mit einem Geleitwort von Thomas Zeltner. 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2007. 575 S., 18 farbige Abb., 12 Tab., Gb € 49,95 / CHF 84.00 ISBN 978-3-456-84256-1 Auch als eBook erhältlich

Transkulturell – tolerant – kompetent. Ein praxisorientiertes Handbuch zum individuellen, situations- und kontextgerechten Umgang mit MigrantInnen für Pflegende, Hebammen und andere Fachpersonen im Gesundheitsund Sozialbereich in Lehre, Leitung und Praxis.

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Widerstandfähigkeit bei Pflegenden fördern

Margaret McAllister / John B. Lowe (Hrsg.)

Resilienz und Resilienzförderung bei Pflegenden Deutsche Ausgabe herausgegeben von Peter Offermanns / Jürgen Georg / Robert Weller. Übersetzt von Heide Börger. Bearbeitet von Peter Offermanns. 2013. 280 S., 8 Abb., 9 Tab., Kt € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-456-85303-1 Auch als eBook erhältlich

Das Praxishandbuch für Pflegepraktiker und -leitungen, um Pflegende in der rauer werdenden Berufspraxis widerstandfähiger zu machen und eine Pflegekultur zu schaffen, die am Wachstum und der professionellen Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiterinnen interessiert ist. Das Praxishandbuch zur Resilienzförderung • hilft Pflegenden, ethische Aspekte zu berücksichtigen, damit sie potenziell Stress verursachende Probleme lösen können.

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• fördert die Kompetenz durch gezieltes Beobachten positiver Rollenmodelle. • erörtert Kommunikationstheorien, die im Arbeitsumfeld häufig vorkommende Missverständnisse erklären und präsentiert Strategien, die Pflegenden vermitteln, wie es ihnen gelingt, selbstsicher und effizient zu interagieren. • präsentiert wichtige Strategien, die Pflegenden nach Stresssituationen mit Patienten oder Kollegen helfen, abzuschalten und sich zu regenerieren.


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„Und jetzt soll ich waschen? …“ Pädagogische Herausforderungen der Arbeitsmigration von Pflegekräften Bettina Boeder, Juliane Dieterich und Lukas Slotala

Durch den Fachkräfteengpass wird eine zunehmende Arbeitsmigration ausländischer PflegekräfDrittstaaten müssen die Gleichwertigkeit ihrer Ausbildung nachweisen und zumeist hierfür eine Kenntnisprüfung ablegen. Die Vorbereitungskurse im Kontext der Anerkennungsverfahren stellen bisher eine Forschungslücke dar. Ferner ist unklar, wie die Vorbereitungskurse konzipiert sind und welche Erfahrungen die Lehrkräfte gemacht haben. Abbildung 1. Entwicklung der Antragszahlen in der Gesundheitsund Krankenpflege in Deutschland (Quelle: modifiziert nach Erbe

Einleitung Bis zum Jahr 2030 gilt es 3,37 Millionen Pflegebedürftige zu versorgen (Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 2010). Dieser wachsenden Aufgabe steht bereits heute ein Fachkräfteengpass in der Gesundheits- und Krankenpflege sowie Altenpflege gegenüber (Bundesagentur für Arbeit, 2014). Der Bedarf ist bereits gegenwärtig nicht gedeckt und wird sich nach aktuellen Voraussagen weiter aggravieren, weil die erhöhte Nachfrage an Pflegepersonal aus einem immer kleiner werdenden Kreis von Erwerbstätigen gewonnen werden muss (Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 2010). Vor diesem Hintergrund ist in den vergangenen Jahren besonders ein Thema zusehens in den Blickpunkt der (Fach-)öffentlichkeit gerückt: Zuwanderung ausländischer Pflegekräfte als gezielte Strategie, um den Fachkräfteengpass entgegen zu wirken (Bonin et al., 2015; Erbe et al., 2015; Slotala, 2016). Zwar arbeiten bereits heute viele Menschen mit einem „Migrationshintergrund“ im deutschen Gesundheits- und Pflegesektor, aber es werden weitere Maßnahmen zur gezielten Rekrutierung – insbesondere aus Drittstaaten1 – erforderlich sein, um den Bedarf decken zu können (Bonin et al., 2015; Merda et al., 2012). Deutschlandweit wurden 2015 erstmals die meisten Anträge auf Anerkennung für den Referenzberuf der Ge-

et al., 2015; Erbe et al., 2014; Schmitz & Wünsche 2016)]

Abbildung 2. Entwicklung der Antragszahlen in der Gesundheitsund Krankenpflege in Hessen (Quelle: Regierungspräsidium Darmstadt, 2014).

sundheits- und Krankenpflegekräfte gestellt (Schmitz & Wünsche, 2016). Zwischen 2012 und 2015 haben sich die Antragszahlen vervierfacht, wie Abbildung 1 verdeutlicht (Erbe et al., 2014, 2015; Schmitz & Wünsche, 2016). Die meisten Anträge von ausländischen Pflegefachpersonen werden in Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfallen gestellt (Slotala, 2016). Beispielsweise ist in Hessen die Antragszahl binnen weniger

Unter Drittstaaten werden alle Staaten außerhalb der Europäischen Union, dem Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz verstanden (Erbe et al., 2015)

1

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 57–64 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000416

Wissen und Forschen

te nach Deutschland beobachtet. Pflegekräfte aus


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Jahren um ein Vielfaches angestiegen (s. Abbildung 2). Die Entwicklung der Antragszahlen verdeutlicht, dass es sich bei dem Beruf der Gesundheits- und Krankenpflege um einen der wichtigsten Migrationsberufe im Gesundheitssektor handelt. In der Altenpflege wurden hingegen kaum nennenswerte Anträge gezählt, da dieser Beruf im Ausland kaum exisitert (Slotala, 2016).

Rechtlicher Rahmen des Anerkennungsverfahren Wer in Deutschland die Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpfleger / -in“ führen möchte, braucht eine staatliche Erlaubnis (Erbe et al., 2014). Er gehört zu den sogenannten reglementierten Berufen (Slotala, 2013). Prinzipiell kann die berufsrechtliche Anerkennung eines ausländischen Pflegeabschlusses erfolgen, wenn • die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes (§ 2 Absatz 3 KrPflG), • die Zuverlässigkeit und gesundheitliche Eignung zur Berufsausübung (§ 2 Absatz 1 Satz 2 und 3 KrPflG) sowie • die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache zur Berufsausübung (§ 2 Absatz 1 Satz 4 KrPflG) vorgewiesen werden können. Mit der Reglementierung von Berufsabschlüssen wird die Einhaltung eines hohen Qualitätsstandards gewährleistet (Englmann & Müller, 2007). Bestenfalls wird im Rahmen des Anerkennungsverfahrens die Gleichwertigkeit und die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpfleger / -in“ erteilt (Slotala, 2013). Die Verfahren und Kriterien zur formalen Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen sind nach den bundes- und landesrechtlichen Berufsgesetzen bzw. Verordnungen geregelt. Aufgrund des Föderalismus sind damit die Bundesländer für die Durchführung des Anerkennungsverfahrens zuständig (Slotala, 2013). In Hessen werden die Anerkennungsverfahren vom Regierungspräsidium Darmstadt durchgeführt (Slotala, 2013). Das wichtigste Kriterium im Rahmen der formalen Anerkennungsprüfung stellt die Gleichwertigkeitsprüfung dar (Englmann & Müller, 2007). Der Ausbildungsabschluss gilt als gleichwertig, wenn die Ausbildung des Antragsstellers keine wesentlichen Unterschiede zur deutschen Krankenpflegeausbildung aufweist (§ 2 Absatz 3 KrPflG). Der ausländische Pflegeabschluss muss damit die „Standards der deutschen Krankenpflegeausbildung hinsichtlich der Qualifikationsziele, Umfänge und Inhalte erfüllen“ (Slotala, 2013). Ebenso muss es sich um eine staatlich anerkannte bzw. geregelte sowie abgeschlossene Ausbildung handeln, die im Herkunftsland den Berufszugang ermöglicht (Regierungspräsidium Darmstadt, 2015). Für Antragssteller, die ihre berufliche Qualifikation in der EU, dem EWR und der Schweiz erworben haben, gelten geringe Hürden. Die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005 / 36 / EG regelt mit der Richtlinie 2006 / 100 /EG die PADUA (2018), 13 (1), 57–64

Wissen und Forschen

wechselseitige und direkte berufliche Anerkennung reglementierter Berufe. Hierzu zählt auch der Beruf der Gesundheits- und Krankenpflege, wodurch die Berufsabschlüsse zumeist direkt anerkannt werden (Erbe et al., 2014). Bei Antragsstellern aus Drittstatten ist eine Einzelfallprüfung notwendig ist. Dabei findet eine Gegenüberstellung der Ausbildungsinhalte statt (Slotala, 2013). Bei den überwiegenden Antragsstellern werden wesentliche Unterschiede festgestellt. Sie sind meist bei der Ausbildungsdauer und den -inhalten zu finden. Die Pflegekräfte im Ausland werden häufig akademisch ausgebildet. Formal verfügen sie zwar über einen höheren Bildungsabschluss, es ergeben sich jedoch – nicht nur wegen geringerer Praktika – auch wesentliche Unterschiede in der praktischen Ausbildung (Erbe et al., 2015). Die Antragssteller haben die Möglichkeit der staatlichen Anerkennung durch den Nachweis des gleichwertigen Kenntnisstandes (§ 20b Absatz 1 KrPflAPrV). Der gleichwertige Kenntnisstand kann entweder durch eine praktische und mündliche Kenntnisprüfung oder einem Anpassungslehrganges erfolgen.

Kenntnisprüfung Sollte keine direkte Gleichwertigkeit der im Ausland erworbenen Ausbildung festgestellt werden, kann eine Kenntnisprüfung abgelegt werden. Grundsätzlich stellt die Kenntnisprüfung eine staatliche Prüfung dar und muss vor einer staatlichen Prüfungskommission abgelegt werden. Für die Durchführung und Organisation sind daher die staatlich anerkannten Krankenpflegeschulen verantwortlich (§ 20c Absatz 3 KrPflAPrV). Die Prüfung soll mindestens zweimal jährlich angeboten werden (§ 20b Absatz 6 KrPflAPrV). Die Prüfungsangst und insbesondere die Angst vor dem NichtBestehen kann durch Vorbereitungskurse auf die Kenntnisprüfung genommen werden (Erbe et al., 2014).

Pflegepädagogischer Kontext Die Maßnahme der Vorbereitungskurse lässt sich in die Weiterbildung einbetten. Es wird auf die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten der Schul-, Berufs- und Hochschulbildung sowie der Berufs- und Lebenserfahrung aufgebaut (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder, 2001). Die Vorbereitungskurse stellen deshalb keine erneute, verkürzte oder zusätzliche Ausbildung dar.

Didaktisches Handeln in der Erwachsen­ bildung und beruflichen Weiterbildung Die Hauptaufgabe in der Erwachsenbildung ist das Anregen von Lernprozessen, die Unterstützung zur per­ sönlichen Weiterentwicklung sowie die berufliche und gesellschaftliche Handlungsfähigkeit zu erweitern. Die Planung von Vor©2018 Hogrefe


Wissen und Forschen

bereitungskursen stellt hohe Anforderungen an die Akteure und steht in einem Spannungsverhältnis zwischen den Erwartungen und Bedürfnissen der Adressanten, den Organisationszielen, dem Aufgabenverständnis der Erwachsenenbildner und der Politik (Faulstich & Zeuner, 2010; Siebert, 2009). Das Lernen Erwachsener ist immer Anschluss- und Deutungslernen. Einstellungen, Vorkenntnisse, Fähig­ keiten sowie Lebens- und Lernerfahrungen müssen ­einbezogen werden, damit Erwachsenen das Lernen ­erleichtert wird. Zudem erleichtert die subjektive Bedeutung der Inhalte und eine Orientierung am Alltagsleben das Erlernen von Inhalten (Faulstich & Zeuner, 2010). Mit dem didaktischen Prinzip der Teilnehmerorientierung, welches das Anschluss- und Erfahrungslernen unterstützt, sollen Lerngegenstände an das vorhandene Ordnungssystem bzw. kognitive System gekoppelt werden, um träges Wissen zu vermeiden. Dies entspricht dem Konstruktivismus, welcher die Subjektorientierung in den Mittelpunkt stellt (Siebert, 2009). Der Lehrende soll eine Umgebung schaffen, indem die konstruktive Wissensaneignung unterstützt wird (Arnold & Pätzold, 2008). Bei der Durchführung von Lehr-Lern-Prozessen müssen die Kursteilnehmenden aktiv in den Lernprozess eingeschlossen werden. Die Lehrenden sind gefordert, Möglichkeiten für ein selbstgesteuertes und -organisiertes Lernen zu schaffen. Es gilt nicht mehr lediglich das Fachwissen zu präsentieren, sondern in der Selbst­erschließung und aktiven Aneignung zu unterstützen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Lernenden ihren Lernbedarf einschätzen und aus einem möglichen Themenspektrum Relevantes filtern können (Arnold et al., 2011). Das Lernen und die didaktische Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen wird weiterhin von den jeweiligen Sprachkompetenzen beeinflusst (Arnold et al., 2011; Siebert, 2009) Es kann nur etwas begriffen werden, wenn es auch sprachlich ausgedrückt werden kann (Siebert, 2009).

Pädagogische Anforderung im Kontext der Migration Treffen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen aufeinander, findet eine interkulturelle Begegnung statt. Der überwiegende Teil ihrer Sozialisation verlief unabhängig voneinander und es entstehen unterschiedliche Verständnisse von Normalität und Routine. Um die ängstigende Wirkung zu verlieren, müssen diese Unterschiede bewusst, handhabbar und verständlich gemacht werden. Hierzu ist das interkulturelle Lernen erforderlich, bei dem jeder seinen Interpretationsraum öffnet und für Neudeutungen freigibt (Losche & Püttker, 2009). Um einen professionellen Umgang mit kultureller Vielfalt und den variierenden Wertvorstellungen zu gewährleisten, benötigen Pädagogen interkulturelle Kompetenz (Öztürk, 2008; Öztürk et al., 2014). Bislang gibt es keinen eindeutigen inhaltlichen Konsens darüber, was

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hierunter zu verstehen ist. Einigkeit besteht, dass es sich nicht um ein Instrumentenbündel handelt, welches in einem Training vermittelt und je nach Situation verwendet werden kann. Sie stellt vielmehr eine Grundhaltung und Einstellung dar, ist eine lebenslange Aufgabe und muss sich den wandelnden Anforderungen der Gesellschaft anpassen (Fischer, 2013; Öztürk, 2008).

Status quo: Vorbereitungskurse in Hessen Die aktuelle Gesetzgebung fordet keine Pflichtteilnahme an einem Vorbereitungskurs auf die Kenntnisprüfung. Ein Antritt zur Kenntnisprüfung ohne strukturierte Vorbereitungsmaßnahmen wäre somit möglich. Ob dies zielführend ist und überhaupt einen erfolgreichen Abschluss ermöglicht ist äußerst fraglich. Wissenschaftliche Er­ kenntnisse existieren hierzu kaum. Einzelne zuständige Stellen sind sich einig, dass die Kenntnisprüfung ohne eine Vorbereitungsmaßnahme nur schwer zu bestehen ist. Eine Teilnahme an einer Vorbereitungsmaßnahme verbessert die Aussicht auf ein erfolgreiches Absolvieren der Kenntnisprüfung (Erbe et al., 2014). Vor dem Hintergrund der hohen Antragszahlen hat der Vorbereitungskurs insbesondere für das Land Hessen Bedeutung (Regierungspräsidium Darmstadt, 2014). In Hessen sollen die Krankenpflegeschulen die Vorbereitungskurse anbieten. Zu den Aufgaben der Schulen zählen zum einen das Erstellen eines Curriculums und zum anderen die Gestaltung der zeitlichen Abfolge des Vorbereitungskurses und der Kenntnisprüfung (Regierungspräsidium Darmstadt, 2014). Zum Untersuchungszeitpunkt haben nur wenige Krankenpflegeschulen entsprechende Kurse angeboten. Wie diese organisiert und strukturiert sind, die praktische Durchführung vor dem Hintergrund der multikulturellen Kursteilnehmenden aussieht, ist unklar gewesen. Es existierten keine systematisch erhobenen empirischen Daten.

Fragestellung und forschungs­ methodisches Vorgehen Um erste Informationen über die Vorbereitungskurse zu erhalten wurde folgender Fragestellung nachgegangen: „Wie sind die Vorbereitungskurse konzipiert? Welche Erfahrungen haben die Lehrkräfte hinsichtlich der Konzipierung und Durchführung gesammelt?“ Die Beantwortung der Fragestellung dient dazu Erkenntnisse zu generieren, wie entsprechende Qualifikationsmaßnahmen für ausländische Pflegekräfte gestaltet werden sollten, um die Teilnehmenden erfolgreich auf die Kenntnisprüfung vorzubereiten. Bei den Vorberei-

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tungskursen nimmt die pädagogische Berufsgruppe der Lehrkräfte eine Schlüsselfunktion ein. Sie konzipieren die Kurse und bereiten die ausländischen Pflegekräfte auf die Kenntnisprüfung vor. Im Rahmen des Unterrichts begegnen sich die Lehrkräfte und die Kursteilnehmenden. Doch wie gestaltet sich dies? Vermutlich bringen die ausländischen Pflegekräfte migrationsbedingt nicht nur die im Heimatland erworbene Berufsqualifikation mit, sondern ebenso ihre Sprache, Kultur und nicht zuletzt das Berufsverständnis. Weitgehend unklar ist hierbei, inwiefern sich diese Aspekte auf den Vorbereitungskurs auswirken und zu berücksichtigen sind. Erste Erkenntnisse zu den Konzepten und der Durchführung von Vorbereitungskursen zu erlangen, ist wichtig. Die ausländischen Pflegekräfte sollen schließlich nicht nur auf die Prüfung vorbereitet werden, sondern ebenso auf den Pflegealltag. Dort werden sie Pflegebedürftige fachkompetent versorgen, in oftmals multikulturellen Teams arbeiten und sich vermutlich in einer anderen Rolle als in ihrer Heimat wiederfinden. Um die Versorgungs- und Pflegequalität zu gewährleisten ist es von besonderer Bedeutung, erste wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Qualifizierungsmaßnahmen von ausländischen Pflegefachkräften zu erhalten. Für Schulen bzw. Lehrkräfte, die zukünftig Vorbereitungskurse anbieten wollen, sind diese ersten Erkenntnisse ebenso wichtig.

Experteninterviews Die Fragestellung wurde mit Hilfe eines leitfadenge­ stützen Experteninterviews beantwortet. Die Interviews wurden im Juli bis August 2015 geführt. Insgesamt wurden sechs Lehrkräfte aus drei hessischen Kranken­ pflegeschulen befragt. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass die Lehrkräfte eine pädagogische und fachliche Qualifizierung und / oder ein entsprechendes Hochschul­studium – wie dies in § 4 Absatz 3 Nr. 2 KrPflG formuliert ist – vorweisen können. Für den ersten Teilbereich des Interviews wurden gewählt, die an der Erstellung und Entwicklung des Konzepts maßgeblich beteiligt waren. Im zweiten Teil des Interviews standen die Unterrichtserfahrungen der Lehrkräfte im Fokus. Daher wurden hierfür Lehrkräfte gewählt, die mindestens zwölf Unterrichtsstunden gehalten haben. Folgende Teilaspekte wurden genauer besprochen: Kurskonzept: • Kursorganisation und –struktur • Inhalte und Ziele Durchführung: • Erleben des Unterrichts von den Lehrkräften • Gestaltung der Lehr-Lernsituationen und methodisch-diaktische Aspekte • Pädagogische Herausforderungen und Besonderheiten • Empfehlungen zur Unterrichtsgestaltung in Vorbe­reitungskursen PADUA (2018), 13 (1), 57–64

Wissen und Forschen

Ergebnisse Die gewonnenen Ergebnisse wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Ergebnisdarstellung erfolgt nach den Hauptkategorien „Kurskonzept“ und „Durchführung“.

Kurskonzept Grundsätzlich zeigt sich, dass sich das Kurskonzept zwischen den einzelnen Krankenpflegeschulen in wesentlichen Punkten stark unterscheidet. Dies betrifft z. B. die Kursdauer auf der einen, aber auch die Abfolge der Kursblöcke sowie Ablauf der Prüfung auf der anderen Seite. Alle Lehrkräfte betonten in diesem Zusammenhang, dass es bei den Vorbereitungskursen nicht nur um das bloße Bestehen der Prüfung, sondern auch um die allgemeine Integration der ausländischen Pflegekräfte geht. Es ist daher besonders spannend, dass die meisten Kursteilnehmenden bereits in der Altenpflege tätig sind, die Kenntnisprüfung jedoch in der Krankenpflege und damit im Krankenhaus stattfindet. Im Allgemeinen wurden die Inhalte der in der Kenntnisprüfung abzuprüfenden Themenbereiche besonders berücksichtigt. Hierin waren auch die Wissensdefizite der Teilnehmenden festzustellen. Dabei wurde im Themenbereich 10 das berufliche Selbstverständnis in Abgrenzung zur Medizin hervorgehoben. Dieses kann je nach Herkunftsland der Kursteilnehmenden mehr an den medizinischen Tätigkeiten orientiert sein. Ferner wurden Anleiten und Beraten sowie das Case- und Entlassungsmanagement (Themenbereich 3) genannt. Die Teilnehmenden kennen aus ihrem Heimatland reine Informationsgespräche, aber Beratungsgespräche, wie diese in der deutschen Pflege üblich sind, existieren dort nicht. Der Pflegeprozess, die Pflegeplanung, die Pflegewissenschaft und Expertenstandards (Themenbereich 6) sind den Teilnehmenden darüberhinaus fremd. Die ­Expertenstandards sind jedoch erforderlich und wichtig, um in den deutschen Pflegeeinrichtungen zu arbeiten, weswegen diese auch unterrichtet werden. In Themenbereich 7 und 8 wurden daher beispielsweise rechtliche Themen, diagnostische Verfahren und der Umgang mit Drainagen aufgenommen. In den Prophylaxen, der ­Körperpflege, den hygienischen Prinzipien sowie den Pflegekonzepten ließen sich ferner Wissenslücken fest­ stellen, welche sich bei der praktischen Umsetzung widerspiegeln. Die Vorbereitungskurse setzen sich typischerweise aus 8 bis 12 Teilnehmenden zusammen. Durch kleine Kursgrößen kann dem individuellen Betreuungsbedarf Rechnung getragen werden. Selbst wenn eine größere räumliche Ausstattung verfügbar ist, werden kleine Kursgrößen als wichtig empfunden. Die Teilnehmenden sind zwischen 20 und 40 Jahre alt und stammen überwiegend aus Bosnien und Serbien. Vereinzelt waren russiche, philippinische und chinesische Teilnehmende anzutreffen. ©2018 Hogrefe


Wissen und Forschen

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Durchführung der Kurse

Diskussion

Das individuelle Erleben der Lehrkraft war durchweg davon geprägt, dass der Unterricht in den Kursen als große Freude, Spaß und Erfüllung erlebt wurde. In diesem Zusammenhang wurde die Offenheit der Teilnehmenden für die Themen als wohltuend empfunden. Auf der anderen Seite wurden sie aber auch als kritiklos empfunden. Die Lehrkräfte bemerkten, dass die Teilnehmenden einen autoritären Unterrichtsstil gewohnt sind, sodass diese zu Beginn des Kurses ein eher passives Verhalten zeigten und sich erst im Verlauf besser einbrachten. Insbesondere die russischen Teilnehmenden wurden als distanzierter erlebt. Die chinesischen Teilnehmenden wurden auf der anderen Seite als disziplinierter als die bosnischen Teilnehmenden wahrgenommen. Eine Unterrichtsplanung wurde als schwierig beschrieben, da die Voraussetzungen der einzelnen Teilnehmer unbekannt sind. Deshalb ist spontanes und flexibles Unterrichtshandeln erforderlich. Ein zentraler Aspekt der pädagogischen Herausforderungen ist die Sprache. Die unterschiedlichen Sprachniveaus der Teilnehmenden wirkten sich auf den Unterricht und Lehr-Lern-Prozess aus. Dieser Aspekt wurde durchgehend in allen Interviews aufgegriffen. Es mangelt an einem einheitlichen Sprachniveau. Die Unterrichtserfahrung hat gezeigt, dass sich die Teilnehmenden durch gegenseitiges Übersetzen oder Übersetzungsprogrammen bei Verständnisproblemen unterstützen und so viele schwierige Unterrichtssituationen lösen. Jedoch mussten die Lehrkräfte ihre Unterrichtsmethoden immer situativ anpassen und ggf. andere Hilfsmittel einsetzen. Die Experten sind sich einig, dass die sprachliche Förderung nicht primär von den Lehrkräften des Vorbereitungskurses geleistet werden kann. Neben der Sprache stellt das Berufsverständnis die Lehrkräfte vor eine Herausforderung. Die Experten­ interviews zeigen, dass die Kursteilnehmenden ein ­unterschiedliches Berufsverständnis in den Unterricht bringen. Dabei kann prinzipiell zwischen dem Berufsverständnis aus ihrem Heimatland und dem der deutschen Pflegeeinrichtung unterschieden werden. Die ausländischen Pflegekräfte verfügen über ein gutes medizinisches Fachwissen. Die grundpflegerischen Tätigkeiten bzw. die praktische Ausbildung werden von den Experten jedoch als mangelhaft wahrgenommen. Von einzelnen Teilnehmenden wurden die pflegerischen Aufgaben in Deutschland sogar als Abwertung bzw. Dequalifizierung empfunden. Die erlebte Abwertung ist meist nicht im Unterricht ersichtlich, sondern äußert sich erst im praktischen Einsatz. Erstaunlicherweise wurde von den Lehrkräften teilweise auch geschildert, dass die Tätigkeit in der stationären Altenpflege für das Berufsverständnis bzw. die Rolle der Pflege nicht immer einen positiven Einfluss hat. Die Teilnehmenden hätten hierbei weder gelernt, selbständig und reflektiert zu arbeiten, noch eine pflegerische Versorgungsqualität kennengelernt. Hier wird die Rolle des Arbeitsgebers in seiner Funktion als Ausbildungsstätte deutlich.

Der Vorbereitungskurs auf die Kenntnisprüfung soll den Teilnehmenden die Angst vor der Prüfungssituation und dem Nichtbestehen nehmen. Nicht selten lastet auf ihnen ein enormer Druck, der meist ursächlich darin begründet ist, in Deutschland die Gleichwertigkeit ihrer Berufsausbildung zu erreichen. In ihrem persönlichen Interesse steht damit in jedem Fall eine prüfungsorientierte Vorbereitung. Diese steht jedoch in Diskrepanz zu dem Empfinden der interviewten Experten. Ihr Anliegen dahingegen ist nicht nur eine gute Vorbereitung auf die Kenntnisprüfung, sondern auch eine qualitätssicherende Integration in den deutschen Berufsalltag. Diese „Prüfungs- und Praxisorientierung“ sind als Zielkategorien der Vorbereitungskurse derzeit nicht immer übereinzubringen. Dies ist insofern auch vor dem Hintergrund interessant, dass die Teilnehmenden zwar die Anerkennung für den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflege in Deutschland beantragen, aber dann im Umfeld der Altenpflege tätig sind. Die Ausbildung der ausländischen Pflegekräfte im Herkunftsland war häufig anders strukturiert und organisiert. Der Schwerpunkt wurde anders gesetzt und so lassen sich Defizite in dem Bereich der pflegerischen Basisversorgung feststellen. Als Themenkomplexe wurde hier u. a. die Pflegekonzepte, Prophylaxen, Hygiene und die Grundpflege in den Fokus gerückt. Oftmals haben sich diese Schwächen aber erst im Rahmen der klinischen Einsätze gezeigt. Ein wichtiger Baustein der Vorbereitungskurse sollte daher auf dem fachpraktischen Unterricht liegen. Hier können diese individuellen Defizite erkannt und strukturiert aufgearbeitet werden. Ein relevanter Aspekt in diesem Zusammenhang ist, dass die Kursteilnehmenden meist parallel in einem Arbeitsverhältnis stehen und pflegerisch tätig sind. Hier existiert aber oftmals eine unzureichende Anleitung und Betreuung. Im Rahmen des fachpraktischen Unterrichts können die Kursteilnehmenden die Inhalte – unabhängig von ihrer praktischen Betreuung – und ihre Umsetzung erlernen und mit in den Berufsalltag nehmen. Daher könnte eine Verlängerung des praktischen Teils auf drei bis vier Wochen gut sein. Im Rahmen des Anerkennungsverfahrens müssen die Kursteilnehmenden neben der Gleichwertigkeit ihrer Berufsausbildung auch ausreichende Sprachkenntnisse nachweisen (§ 2 Absatz 1 Nr. 4 KrPflG). Die Experteninterviews zeigen, dass die Sprachkenntnisse der Teilnehmenden sehr wichtig sind und die Lehrkräfte vor die größte Herausforderung stellen. Die sprachlichen Hürden haben Einfluss auf die Lehr-Lern-Situation und beeinflussen damit den Lernerfolg maßgeblich. Aus Sicht der Autorin könnte sich daher eine Zusammenarbeit mit einer Sprachinstitution als zielführend erweisen, um den individuellen Lernprozess der Teilnehmenden zu unterstützen. Die Unterrichtseinheiten könnten sich durch ein Teamteaching mit einer Sprachlehrerin im Unterricht gestalten lassen. Erste Erfahrungen von Lehrkräften an einer Schule bewerten diese Lösung als positiv und empfehlenswert. Darüber hinaus sollte methodisch-didak-

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tisch versucht werden, den sprachlichen Austausch der Kursteilnehmenden im Unterricht zu fördern. Hierfür eignet sich das konvergierende und divergierende Gespräch. Auch können Methoden, wie z. B. Diskussionsrunden und Gruppenpuzzle, den sprachlichen Austausch bzw. die sozial-kommunikative Kompetenz fördern (Drude & Zielke-Nadkarni, 2008; Schewior-Popp, 2014). Die Bildung von Kleingruppen für ein gemeinsames Erarbeiten von Unterrichtsthemen sollte daher die sprachlichen Fähigkeiten der einzeilen Teilnehmenden berücksichtigen. Die Kursleitung sollte hierauf aktiv Einfluss nehmen, um zu verhindern, dass sich Teilnehmende mit Sprachdefiziten in Gruppen konzentrieren. Die Ergebnisse der Experteninterviews zeigen ferner, dass die ausländischen Teilnehmenden ein unterschiedliches Berufsverständnis in den Unterricht bringen. Dabei kann prinzipiell zwischen dem Berufsverständnis aus ihrem Heimatland und dem der deutschen Pflegeeinrichtung unterschieden werden. Als Empfehlung kann hieraus abgeleitet werden, dass es zu Beginn von großer Bedeutung ist, dass sich die Teilnehmenden ihres derzeitigen Berufsverständnisses bewusst werden. Weniger effektiv ist es dabei – auch im Sinne des Anschlusslernens der Erwachsenen – das deutsche Berufsverständnis lediglich darstellen und vermitteln zu wollen. Hierdurch kann es zu trägem Wissen kommen, das eben nicht in der Praxis umgesetzt werden kann. Die Verbalisierung des Berufsverständnisses im Sinne einer Reflexion ist nicht nur für die Kursteilnehmenden wichtig, sondern kann auch für die Lehrkräfte hilfreich sein. Hierdurch kann laut Faulstich und Zeuner (2010) an der Lebensbiografie, an das Berufsverständnis und den Erfahrungen der Teilnehmenden angeknüpft werden. Die Expertenbefragung zeigt auch, dass nicht nur die Sprache ursächlich für Schwierigkeiten im Unterricht ist. Basierend auf den Ergebnissen müssen auch kulturelle Unterschiede im Unterricht berücksichtigt werden. Es wurde oft eine passive Haltung der Lernenden beschrieben, welche sich erst im Verlauf des Kurses veränderte. Die Teilnehmenden sind von den Heimatländern andere Unterrichtsmethoden gewöhnt, sodass sie zu Beginn des Kurses von dem Unterrichtsstil irritiert waren. Hofstede et al. (2011) untersuchte die Interaktion von Lehrkräften und Schülern im Zusammenhang mit kulturellen Unterschieden. In Kulturen, die eine große Machtdistanz aufweisen, wird die Lehrkraft mit Respekt behandelt und die Lehr-Lern-Situation ist von der Lehrerzentrierung gekennzeichnet. Die anfängliche Passivität kann also als Kombination aus Sprachhürde und dem Umstand, dass die Teilnehmenden einen lehrerzentrierten Unterrichtsstil gewohnt sind, verstanden werden. Folglich können die Teilnehmenden dem Unterricht u. U. schwer folgen oder es entstehen Missverständnisse. Aus den Expertenerfahrungen lässt sich ableiten, dass damit zu rechnen ist, dass solche Missverständnisse nicht aktiv kommuniziert werden und nicht durch das Verhalten oder die Körpersprache zu erkennen sind. Ferner sind die Teilnehmenden PADUA (2018), 13 (1), 57–64

Wissen und Forschen

teilweise kein eigenständiges und reflektiertes Denken und Handeln gewöhnt. Gerade zu Beginn eines Vorbereitungskurses muss daher sehr auf die Teilnehmenden eingegangen werden. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass sich keine Stereotypen bilden sollten. Die vorangestellten Beobachtungen wurden von den Experten im Allgemeinen bemerkt und an markanten Beispielen beschrieben. Nicht zuletzt spielt der persönliche Charakter eines Teilnehmenden eine zunächst unbekannte Rolle. Es war auffällig, dass die Interviewpartner bei der direkten Frage nach kulturellen Unterschieden Verhaltensmuster der Teilnehmenden den kulturellen Unterschieden nicht zugeordnet haben. Aus dem Gesamtkontext ließen sich aber sehr wohl in ihren Beschreibungen Merkmale identifizieren, die der Kultur attributiert werden können. Möglicherweise muss über eine noch zu erwerbende interkulturelle Kompetenz auf Seiten der Lehrkräfte nachgedacht werden.

Fazit Die Erfahrungen zeigten, dass die Kenntnisprüfung ohne strukturierte Vorbereitung nicht ohne Weiteres zu bestehen ist. Von allen interviewten Lehrkräften wurde der Vorbereitungskurs als positiv beschrieben. Hierzu trugen im Wesentlichen auch die hohe Motivation und Wissbegier der Teilnehmenden bei. Die sprachlichen Hürden, kulturellen Unterschiede sowie das abweichende Berufsverständnis der Teilnehmenden wurden von den Lehrkräften als herausfordernd beschrieben. Dabei stellte die sprachliche Hürde die größte Herausforderung dar. Sie macht eine Anpassung der Unterrichtsmethoden und -sprache erforderlich. Es wurde ferner deutlich, dass das mangelnde Wissen über die fachlichen und individuellen Voraus­setzungen der Teilnehmenden die Unterrichtsplanung e ­ rschwert. Ein situativ angepasstes und spontanes Unterrichtshandeln wird als unerlässlich angesehen. Die Förderung des selbstständigen Handels und Denkens kann zudem als wichtiges Ziel der Kurse festgehalten werden. Dieses gilt es sowohl in den theoretischen Blöcken, den praktischen Einsätzen und an den Arbeitsstellen zu fördern. Dadurch könnte auch der als schwierig beschriebene Theorie-Praxis-Transfer verbessert werden. Die Vorbereitungskurse auf die Kenntnisprüfung sind von großer Bedeutung, da die ausländischen Pflegekräfte eben nicht nur auf die Prüfung, sondern auch auf den Pflegealltag in Deutschland vorbereitet werden sollen. Die hier vorgestellten empirischen Ergebnisse konnten zwischenzeitlich bei der Entwicklung eines hessischen Rahmenlehrplans für Vorbereitungskurse auf eine Kenntnisprüfung in der Krankenpflege berücksichtigt werden (Regierungspräsidium Darmstadt, 2016). In Hinblick auf die künftig vermutlich weiter an Bedeutung zunehmende Arbeitsmigration ausländischer Pflegekräfte erscheint – neben vielen weiteren Maßnahmen und zu führenden Diskussionen um das Thema – eine wissenschaftlich ge©2018 Hogrefe


Wissen und Forschen

stützte Weiterentwicklung des Angebotes an geeigneten fachlichen Vorbereitungskursen für die ausländischen Pflegefachpersonen unerlässlich.

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Wissen und Forschen

Bettina Boeder M.A. Pädagogik für Pflege- und ­Gesundheitsberufe, B. A. Pflege­ pädagogik; Gesundheits- und Krankenpflegerin.

Dr. Lukas Slotala Fachdezernent für Pflegeberufe am Regierungspräsidium Darmstadt

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Dr. phil. Juliane Dieterich Dipl.-Pflegepädagogin (HU) und Krankenschwester, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Berufsbildung der Universität Kassel mit Schwerpunkte Berufspädagogik und Fachdidaktik der pflege- und gesundheitsberuflichen Bildung.

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Rauchfrei – weil Gesundheit unsere Aufgabe ist! Christa Rustler und Dorothea Sautter Weltweit starben im 20. Jahrhundert 100 Millionen Menschen durch die Folgen des Tabak­ konsums – mehr als alle Toten in den beiden ­Welt­kriegen zusammen. Die Behandlung der Ta-

ntene i t a P ation eduk

mals bei fast 35 Prozent der Erwachsenen und bei Jugendlichen von 12 – 17 Jahren waren es 23 Prozent. Aktuell ist die Raucherquote bei den Jugendlichen auf unter 10 Prozent und bei den Erwachsenen auf 24,5 Prozent gesunken (BMG, 2015).

bakabhängigkeit durch Raucherberatung und Tabakentwöhnung gehören zu den wirksamsten und kosteneffektivsten Einzelmaßnahmen, die zur Verhinderung von Folgeerkrankungen, Komplikationen und dem Verlust an Lebensjahren führen. Pflegende übernehmen wichtige Aufgaben in Gesundheitsbildung und Förderung gesunder Lebensweisen. Aufgrund der hohen Raucherprävalenz bei Pflegenden stellen sie jedoch auch eine Zielgruppe für Tabakprävention und Tabakentwöhnung dar.

Raucherberatung und Tabakentwöhnung Im Jahr 2013 starben in Deutschland rund 121 000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Das sind jährlich mehr Todesfälle als durch Aids, Alkohol, illegale Drogen, Verkehrsunfälle, Morde und Suizide zusammengenommen. Regelmäßig Rauchende leben durchschnittlich 10 Jahre kürzer als Nichtrauchende (AWMF, 2015; Doll et al., 2004). Obwohl Raucherberatung und Tabakentwöhnung zu den wirksamsten und kosteneffektivsten Einzelmaßnahmen zur Verhinderung von Folgeerkrankungen gehören, werden bisher in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen überwiegend und mit hohem Aufwand, die Folgeerkrankungen des Rauchens behandelt. In der Nationalen Strategie für nachhaltige Entwicklung hat die Bundesregierung die Senkung der Raucherquoten bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen als vorrang­iges Präventionsziel erklärt. Seit 2003 besteht das nationale Gesundheitsziel „Tabakkonsum reduzieren“. Der Anteil der Raucherinnen und Raucher lag da-

Was PatientInnen wollen Die Mehrheit der Rauchenden möchte das Rauchen aufgeben­und hat dies oft wiederholt erfolglos versucht (Breitling­et al., 2009, Wenig et al. 2014). Eine Erkrankung, mit oder ohne Krankenhausaufenthalt, bietet einen sogenannten „teachable moment“ im Sinne einer erhöhten Aufmerksamkeit auf die eigene Gesundheit und der Bereitschaft, das eigene Verhalten gesundheitsförderlicher zu verändern (McBride et al., 2003). Dauerhaft rauchfrei zu werden gelingt jedoch schwer abhängigen RaucherInnen nur zu einem geringen Teil ohne professionelle Unterstützung. Gerade für diese Gruppe sind Angebote zur Beendigung des Rauches während eines Klinikaufenthaltes von großer Bedeutung. Aktuell wird in Kliniken und Praxen kaum eine gezielte Motivation zum Rauchstopp oder Einleitung einer qualifizierten Behandlung der Tabakabhängigkeit regelhaft angeboten. Die meisten Kliniken sehen ihre Aufgabe mit der Umsetzung der Nichtraucherschutzgesetze erfüllt. Alleinige Rauchverbote führen jedoch dazu, dass Rauchende mit den Problemen, die eine Abhängigkeit mit sich bringt, alleine gelassen werden, vor allem, wenn sie krankheitsbedingt in ihrer Mobilität eingeschränkt sind und unter Entzugssymptomen leiden. Kliniken, die das Konzept rauchfrei plus des ­Deutschen Netzes Rauchfreier Krankenhäuser & Gesundheits­ einrichtungen DNRfK e. V. umsetzen, schaffen Rahmenbedingungen, die den nationalen Gesundheitszielen, medizinischen­Leitlinien und den Bedürfnissen der Pa­ tientInnen entgegenkommen. Das Konzept wird auf ­Basis internationaler Standards des Global Network for Tobacco Free Healthcare Services (GNTH) vom DNRfK e. V. implementiert. Nach dem Kodex des GNTH haben Gesundheitseinrichtungen nicht nur für Gesundheitsschutz vor Passivrauch zu sorgen, sondern auch Bera-

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Informiert sein und Handeln

Raucherberatung als Handlungsfeld für professionell Pflegende


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tung und Tabakentwöhnung anzubieten. Dies bezieht sich auf PatientInnen, die regionale Bevölkerung sowie auf Beschäftigte. Das DNRfK wurde mit Modellprojekten des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zeitnah mit dem Inkrafttreten der Landesnichtraucherschutzgesetze initiiert. Die Mitgliedseinrichtungen des DNRfK profitieren von der Netzwerkarbeit und der Dauer der Mitgliedschaft. Mit rauchfrei plus wird eine selbstorganisierte und nachhal­tige Implementierung von Beratung und Tabakentwöhnung in unterschiedlichen Kliniksettings unterstützt. Die internationalen Standards wurden 2016 von zehn auf acht reduziert und fokussieren stärker auf Implementierungskriterien und -prozesse. Förderliche Faktoren, wie Führung, Engagement, Partizipation, Empowerment, die Nutzung­evidenzbasierter Interventionen, Gesundheitsförderung, Monitoring und Evaluation werden darin abgebildet. Wichtigstes Instrument ist die regelmäßige Durchführung einer standardisierten Selbsteinschätzung der Einrichtung, die idealerweise die unterschiedlichen Sichtweisen interprofessioneller Teams abbildet. Mit der Selbsteinschätzung im Sinne einer partizipativen Qualitätsentwicklung wird eine gemeinsame Problemsicht erarbeitet. Auf deren Basis können sowohl individuelle Therapieschemata wie auch organisatorische Maßnahmen zur Förderung des Nichtrauchens klinikbezogen bearbeitet werden. Dies unterstützt einen systematischen Implementierungsprozess anstelle von Einzelaktionen.

Behandlung der Tabakabhängigkeit In der S3 Leitlinie „Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) gibt es klare wissenschaftsbasierte Behandlungsempfehlungen. Danach sollen alle PatientInnen systematisch und in jedem Kontakt im Gesundheitswesen nach dem Rauchstatus befragt werden. Die Information soll in die Patientendokumentation einfließen und zur Diagnostik der Abhängig­ keitsstärke soll der Fagerströmtest für Zigarettenabhängigkeit (FTCD) eingesetzt werden. Die Behandlung besteht ­zunächst aus niedrigschwelligen Angeboten wie Kurz­ beratung, motivierender Gesprächsführung oder Telefonberatung. Als intensivere Behandlung werden verhaltenstherapeutische Einzel- oder Gruppenbehandlung, ggf. in Verbindung mit Medikamenten, empfohlen, wobei die deutsche Tabakleitlinie im internationalen Vergleich mehr Wert auf die Abschätzung potenzieller Risiken und Kontraindikationen legt. Die wesentlichen und wirksamsten Interventionen wurden als ABC der Raucherberatung zusammengefasst: A (Ask): Erfassung des Tabakkonsums → alle PatientInnen zum Rauchen befragen und Rauchstatus dokumentieren­ PADUA (2018), 13 (1), 65–71

Informiert sein und Handeln

B (Brief advice): Information und Beratung der RaucherInnen → individuelle und motivierende Empfehlung zum Rauchstopp geben C (Cessation support): Einleitung einer Behandlung → zum Ausstieg motivierte RaucherInnen qualifiziert beim Rauchstopp unterstützen und in ein Tabakentwöhnungsprogramm weitervermitteln. Schon eine kurze, aber gezielte Beratung erhöht die Erfolgschancen eines Rauchstopps. Wird die Beratung zudem nach dem Klinikaufenthalt telefonisch weitergeführt, kann eine höhere Langzeitabstinenz erreicht werden (Lindinger­et al., 2012). Die Einleitung der Behandlung der Tabakabhängigkeit kann z. B. nachstationär mit einer kostenfreien Telefonberatung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) weitergeführt werden. Dieses Angebot soll den Einstieg in die Raucherberatung erleichtern, indem die Ansprache und Motivierung vor Ort erfolgt, die Beratung zur Rauchentwöhnung bzw. Rückfallprophylaxe aber durch eine Telefonberatung weitergeführt werden kann. Die BZgA stellt außerdem eine Online-Datenbank mit Tabakentwöhnungsangeboten nach Postleitzahlgebieten zur Verfügung (siehe Kasten). In Studien zeigte sich die ärztliche Empfehlung zum Rauchstopp als wirksam, ebenso wie die Beratung durch speziell für Raucherberatung qualifizierte und dafür zuständige Pflegefachpersonen (Rice et al., 2013). Je intensiver die Beratung ist und je besser die verschiedenen Berufsgruppen zusammenarbeiten, desto besser gelingt es, alle PatientInnen zum Rauchstatus zu befragen, motivierend zu unterstützen und in eine Tabakentwöhnung zu vermitteln. Für RaucherInnen ist es deshalb von großem Vorteil, in Kliniken und Gesundheitseinrichtungen behandelt zu werden, in denen dazu geschultes Personal informiert und berät. Für Beratung und Behandlung der Tabakabhängigkeit fehlen jedoch nach wie vor erforderliche Rahmenbedingungen sowie entsprechende Kompetenzen in Kurzintervention und motivierender Beratung.

Beratungskompetenz in der Klinik erweitern Bei der Zunahme der chronischen und lebensstilbezogenen Erkrankungen wird Gesundheitsberatung und Pa­ tientenedukation zunehmend zum wesentlichen Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Kompetenzen der MitarbeiterInnen in (Gesundheits-)Kommunikation und Beratung sind erforderliche Voraussetzungen in der Förderung von Gesundheit und Prävention in einer Klinik. Das DNRfK bietet eine Qualifizierung in Kurzinterven­ tion und Raucherberatung zum „ABC der Raucherberatung“ durch erfahrene TrainerInnen an. Die Schulung besteht aus einem Grund- und Aufbaukurs sowie einer dazwischenliegenden Praxisphase. ©2018 Hogrefe


Informiert sein und Handeln

Die Rolle der Pflegeberufe bei der Reduzierung des Tabakkonsums Gro Harlem Brundtland, die damalige Generalsekretärin der Weltgesundheitsorganisation, betonte schon 1999 beim hundertjährigen Bestehen des International Council of Nurses, mit „Nurses can make a Difference“ die wich­tige Aufgabe der Pflegeberufe in der Tabakkontrolle. Laut Brundtland genießen Pflegende ein hohes Maß an Vertrauen in der Öffentlichkeit, übernehmen wichtige Aufgaben in Gesundheitsbildung und Förderung gesunder Lebensweisen­und verfügen dadurch über viele Möglichkeiten, eine wichtige Rolle bei der Tabakkonsumreduktion zu spielen. Wird jedoch bedacht, dass ein Großteil der Pflegenden selbst raucht, stellen sie auch eine wichtige Zielgruppe dar, so Brundtland. Rauchen ist unter Pflegepersonen mit 31 % bzw. 41 %, im Vergleich zu 25 % in der Allgemeinbevölkerung, überdurchschnittlich hoch (s. Abb. 1). Der hohe Raucheranteil war unter SchülerInnen mit 52,8 % etwa 1,5 Mal so hoch als unter bereits beschäftigten Pflegepersonen (Bühler et al., 2016). Bemerkenswert ist, dass während der Pflegeausbildung die Anzahl der Rauchenden zunimmt. Von einer Konsumzunahme in der Ausbildungszeit berichteten 40 %. Etwa 25 % der Befragten hatten im letzten Halbjahr einen Rauchstoppversuch vollzogen (Bonse-Rohmann, 2004) und die meisten waren zum Aufhören motiviert (Vitzthum et al., 2012). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass tabakpräventive Maßnahmen und Rauchstoppangebote für PflegeschülerInnen dringend notwendig sind (Schweizer et al., 2015).

Pflegeberufe – Vorbild und Kompetenz Das eben erwähnte Rauchverhalten der Pflegenden hat auch Auswirkungen auf das Beratungsverhalten zum The-

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ma Rauchen. RaucherInnen sind darin weniger engagiert als NichtraucherInnen (Frank, 2004; Vitzthum et al., 2012). Als Gründe für die hohe Raucherprävalenz werden z. B. Belastungen wie Schicht- und Wechseldienst, hohe psychische Belastungen und geringe Handlungsfreiräume im Beruf genannt. Der mit Rauchen und Verlassen der Station verbundene Rückzug aus der Situation hat eine hohe Akzeptanz in der Pflege. Diese hohe Funktionalität des Rauchens als Entlastung kann u. a. mit der unzureichenden Pausenplanung erklärt werden. In einer Onlineumfrage des DBfK gaben 65 % der mehr als 3500 Teilnehmenden an, sich nur dann eine Pause nehmen zu können, wenn es der Arbeitsanfall zulasse (DBfK, 2016). Wenn gesetzliche Arbeitspausen nicht genommen werden können, bleibt oft nur die kurze Rauchzeit zwischendurch. Da Rauchen häufig in Gruppen stattfindet, wird die kollegiale Kommunikation zusätzlich als entlastend wahrgenommen. Ergebnisse einer Befragung von 257 PflegeschülerInnen zeigen jedoch, dass Rauchen nicht zum Stressabbau beiträgt, sondern sich Rauchende im Vergleich zu Nichtrauchenden gestresster fühlen. Außerdem nutzen Nichtrauchende im Vergleich funktionalere Copingstrategien (Cascarigny, 2016). Rauchende in Gesundheitsberufen schaden nicht nur der eigenen Gesundheit, sondern auch der Glaubwürdigkeit der Beratungsangebote in Gesundheitseinrichtungen. Angehörige von Gesundheitsberufen werden als Vorbilder gesehen und Rauchende widersprechen zunehmend den Vorstellungen von professionellem Gesundheitsverhalten. Da Rauchen aufgrund der hohen Funktionalität in der Tagesroutine nach wie vor akzeptiert ist, müssen bei betrieblichen und schulischen Maßnahmen zur Tabakreduktion sowohl verhaltens- als auch verhältnisorientierte Ansätze berücksichtigt werden. Von der Reduzierung des Tabakkonsums profitiert nicht nur das Image einer Gesundheitseinrichtung. Eine rauchfrei-Kultur trägt auch dazu bei, dass weniger junge MitarbeiterInnen zu rauchen beginnen, weniger MitarbeiterInnen in Dienstkleidung rauchend im Freien stehen, Dienstkleidung und Atem der MitarbeiterInnen nicht nach Rauch riechen sowie Pausen

Abbildung 1. Anteile RaucherInnen in der Allgemeinbevölkerung und Pflegeberufe. Quellen: Gesamtbevölkerung: Mikrozensus 2013; Beschäftigte allgemein: Mikrozensus 2009 & 2013; Auszubildende allgemein: 42 – 55 % Kolleck, 2004; Hirsch et al. 2010; Lindemann et al. 2011; Rauchverhalten: Bonse-Rohmann 2004 ©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 65–71


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zur gesunden Erholung und nicht als Raucherpause genutzt werden. Rauchstopp-Gruppenangebote am Arbeitsplatz werden von MitarbeiterInnen erfahrungsgemäß eher selten besucht. Die Tabakentwöhnung wird als persönlicher und privater Prozess erlebt. Als Alternative sollten hier die kostenfreie Telefonberatung der BZgA und Online Ausstiegsprogramme angeboten werden (s. Kasten).

astra plus Gesundheitskompetenz – weil Gesundheit in der Ausbildung beginnt Die hohe Raucherprävalenz und die Bedeutung der Pflegeberufe in der Tabakkontrolle war für das Bundesministerium für Gesundheit Anlass, eine Fördermaßnahme zur „Prävention und Reduktion des Tabakkonsums bei Auszubildenden in Pflegeberufen“ zu finanzieren. Es wurden parallel von 2013 bis 2016 zwei Modellprojekte gefördert. Einerseits wurde „astra – Aktive Stressprävention durch Rauchfreiheit in der Pflege“ in einem partizipativen Forschungsprozess in Kooperation mit dem Institut für Therapieforschung München, den Hochschulen Esslingen und Hannover sowie dem DNRfK Büro entwickelt. Das Programm unterstützt Schulen und Praxiseinrichtungen, Angebote zur Stressprävention und Rauchfreiheit in die Ausbildung zu integrieren und die Rahmenbedingungen positiv zu verändern. Andererseits wurden parallel im Projekt „PA-TRES“ der Universität Würzburg Unterrichts­ konzepte zu gesundem Lebensstil, Rauchen, Raucher­ beratung und Stressbewältigung in der Pflegeausbildung entwickelt und Lehrerfortbildungen konzipiert. Unter dem Titel astra plus ist es gelungen, die zentralen Bausteine beider Projekte synergetisch zu verknüpfen und in dem gemeinsamen Programm anzubieten. Ziel von astra plus ist es, eine professionelle Gesundheitskompetenz

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in den Pflegeberufen aufzubauen. Diese umfasst nicht nur die Bereitschaft und Fähigkeit die eigene Gesundheit zu erhalten und zu fördern, sondern auch das eigene gesundheitliche Wissen auf individueller und organisatorischer Ebene im beruflichen Handeln umzusetzen. Rauchen spielt dabei als größtes vermeidbares Gesundheitsrisiko eine zentrale Rolle. Pflegende haben hier als Multipli­ katoren eine wichtige Aufgabe, um den Tabakkonsum in der Bevölkerung insgesamt zu senken, stellen jedoch aufgrund der hohen Rauchprävalenz selbst eine Zielgruppe für Prävention und Tabakentwöhnung dar.

astra plus in der Ausbildung astra plus vermittelt in der Ausbildung die Förderung eines gesunden Lebensstils, einen funktionaleren Umgang mit Stress, die Bedeutung kollegialer Unterstützung, rauchfrei zu bleiben oder wieder rauchfrei zu werden, Ziele zur Gesundheitsförderung in der Schule und Praxis mitzugestalten und eine Kurzintervention zum Rauchstopp bei rauchenden PatientInnen

astra plus an der Schule astra plus bietet an der Schule die Implementierung eines Programms, das die Ausbildungsziele in den Kompetenzbereichen Gesundheitsförderung, Prävention und Gesundheitsberatung im Curriculum erfüllt, die Qualifizierung von astra plus-TrainerInnen aus Schule und Praxis und damit Aufbau von Gesundheitsförderung im schulischen und betrieblichen Umfeld unterstützt, eine langfristige Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Schulund Ausbildungsorganisation sowie Vernetzung und kollegialer Erfahrungsaustausch mit astra plus-Schulen und Hochschulen für Gesundheit schafft.

Implementierung Rauchstopp-Angebote Das rauchfrei Ausstiegsprogramm für Erwachsene www.rauchfrei-info.de für Erwachsene Die Informationsseite für Jugendliche www.rauchfrei-info.info Kostenlose Telefonberatung der BZgA: 0800 8 31 31 31 IRIS Plattform – Hilfe für Schwangere beim Verzicht auf Alkohol und Tabak www.iris-plattform.de Smoke Quit Win www.squin.de Nichtraucherhelden www.nichtraucherhelden.de Online Selbsthilfe www.selbsthilfetabak.de Anbieterdatenbank zu Rauchstopp-Kursen www.anbieter-raucherberatung.de Qualifizierung zur Kursleitung Tabakentwöhnung http://www.dnrfk.de/service/termine0/

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Zur Implementierungsvorbereitung gehören ausführ­ liche Informationen über Ziele und Umfang des Programms sowie Implementierungsvoraussetzungen. Entscheidend sind Engagement und Unterstützung der Schulleitung und die Bereitschaft des Teams, sich an den schrittweisen Veränderungen aktiv zu beteiligen. Aus dem Schulteam, idealerweise mit Praxisanleitungen, werden astra plus-TrainerInnen geschult. Alle astra plus-Module werden in das Schulcurriculum integriert und tragen so zur nachhaltigen Förderung der Gesundheitskompetenz in der Pflegeausbildung bei. Für das Programm steht ein Manual mit umfangreichen Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Die Implementierung wird in drei Phasen durchgeführt. Die erste Durchführung erfolgt mit einer erfahrenen TrainerIn des DNRfK vor Ort, danach erfolgt die erste selbständige Durchführung durch die / den astra plus-TrainerIn der Schule und folgend steht dauerhaft ©2018 Hogrefe


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Beratung und Unterstützung zur Verfügung. Da das ­Programm astra plus die Qualitätsanforderungen des Leit­ fadens für Prävention des Spitzenverbands der Kranken­ kassen erfüllt, kann die Implementierung als Präven­ tionsmaß­nahme in Lebenswelten gefördert werden, was seit 2016 die DAK-Gesundheit übernommen hat.

astra plus Module Das Programm umfasst sieben Module. Die Module werden in den jeweiligen „astra plus-Kursen“ als Teil der Pflegeausbildung durchgeführt, wobei Modul 1 und 3 die Ausbildungsverantwortlichen und Schulentwicklung betreffen. Modul 1: Implementierungsteam Das Implementierungs-Team besteht aus Schul- und Kursleitung, Praxisanleitung, Stations- bzw. Pflegedienstleitungen sowie SchülerInnen und ist für die Planung, Durchführung und Evaluation des Programms zuständig. Modul 2: Informationsveranstaltung Die Informationsveranstaltung richtet sich an die astra plus Kurse und alle interessierten MitarbeiterInnen und Führungskräfte aus Schule und Praxis und bietet Informationen zum Programm sowie zu gesundem Lebensstil, Stress und Rauchen in der Pflege. Modul 3: Implementierungsworkshop „10-5-3 …­ rauchfrei“ Im Workshop wird mit dem astra plus-Tool eine Ist-Analyse durchgeführt. Beteiligte sind das Implementierungsteam, SchülerInnenvertretung, Klinik-/Heimleitung, Betriebliches Gesundheitsmanagement. Gemeinsam werden Handlungsbedarfe erhoben, Ziele formuliert und Maßnahmen zur Veränderung vereinbart. Modul 4: Gesunder Lebensstil Unterricht zu Gesundheitskompetenz mit den Schwerpunkten Stress, Bewegung, Ernährung, Tabakkonsum und Lebensstiländerung Modul 5: Aktive Stressprävention Interaktives verhaltensorientiertes Programm für Kompetenzen­in Stressbewältigung und kollegialer Unterstützung. Modul 6a: Aktiv-Projekt Entwicklung und Durchführung von Projekten für eine gesundheitsförderliche­Ausbildung mit Schwerpunkt Stressprävention, gesunde Pause und Förderung der Rauchfreiheit. Modul 6b: Rauchstopp-Angebote Alle SchülerInnen des astra plus-Kurses erhalten zu Beginn des Programms einen Gutschein, der die kostenfreie Teilnahme an unterschiedlichen Rauchstopp-Angeboten (Gruppenkurs, Online-Kurs, Telefonberatung) ermöglicht.

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SchülerInnen, die rauchfrei werden wollen oder auch Beratungskompetenzen hinsichtlich eines Rauchstopps erwerben wollen, können an dem Rauchstoppkurs, der parallel zum Aktiv-Projekt stattfindet, teilnehmen. Der Kurs wird von externen Kursleitungen für Tabakentwöhnung durchgeführt und ist ergebnisoffen. Zum Ende der Module 6a und 6b werden die Ergebnisse und Erfahrungen beim „Markt der Möglichkeiten“ präsentiert, indem über die Projektarbeit und, unter Wahrung der Privatsphäre, dem Rauchstopp-Kurs berichtet wird. Modul 7: KRIPS – Kurzintervention in der Raucher­ beratung durch PflegeschülerInnen KRIPS wird im zweiten Ausbildungsjahr durchgeführt. Inhalt sind Grundlagen der Tabakabhängigkeit sowie Interventionen in Beratung und Tabakentwöhnung. Geübt werden­motivierende Ansprache sowie Erfassung des Rauchverhaltens und Aufhörmotivation. Um die Anwendung zu unterstützen bekommen SchülerInnen eine Lernaufgabe für den Praxiseinsatz zur Kurzintervention bei rauchenden PatientInnen, die sie in den Lernorten durchführen. Danach werden im zweiten Theorieblock Erfahrungen aus der Praxis ausgetauscht und mittels gelungener­ und schwieriger Beispiele weitere Handlungsmöglichkeiten erarbeitet. Hierfür werden erfahrene RaucherberaterInnen für den Unterricht gewonnen. Idealerweise sind dies Pflegefachpersonen mit entsprechender Fachkompetenz und Erfahrungen in Raucherberatung. Sie vermitteln nicht nur Wissen und Fähigkeiten, sondern wirken auch als Modelle und eröffnen die Perspektive in weitere berufliche Handlungsfelder. Bisher sind allerdings wenige Pflegefachpersonen in der Raucherberatung oder Tabakentwöhnung aktiv, auch weil entsprechende Strukturen in der Klinik fehlen. Gute Voraussetzungen bieten hier Patienteninformationszentren (PIZ), die dafür zuständig sind und über Qualifikation und Erfahrung verfügen. Im PIZ wird individuelle, motivierende und patientenbezogene Beratung und Unterstützung zu Rauchstopp angeboten. Für die Pflegeausbildung ist ein PIZ ein hervorragender Lernort, um weitere wichtige Formen von Patientenedukation im Sinne von Informieren, Beraten und Schulen kennenzulernen und praktisch zu erfahren (Zegelin, 2002).

Evaluation, Ergebnisse und Akzeptanz Durch die schriftliche Befragung der astra plus-SchülerInnen, der Schulleitungen und der Ergebnisse aus den Selbsteinschätzungen der Implementierungsteams können folgende Ergebnisse zusammengefasst werden: Die Stressbewältigungskompetenz nimmt zu, SchülerInnen greifen auf erlernte Methoden zurück und es wird weniger Alkohol und Tabak als in der Kontrollgruppe konsumiert, es kommt zu einer Steigerung der Aufhörmotivation und mehr Rauchstoppversuchen. Im Modellprojekt nahmen 31 % der Rauchenden am Rauchstoppkurs teil. Auch ca. 25 % der Nichtrauchenden interessierten sich für Methoden der Tabakentwöhnung und nahmen am Rauchstopp-

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Gruppenprogramm teil. Über die Aktiv-Projekte und Maßnahmen an der Schule werden Veränderungen der sozialen Norm angeregt und die Vereinbarkeit von Tabakkonsum und Professionalität in Frage gestellt. Da das Programm in der Anfangsphase der Ausbildung startet und Belastungen und Bewältigungsmöglichkeiten vorgestellt sowie im Klassenverbund bearbeitet werden, erleben Schülerinnen den Aufbau und Erhalt sozialer Unterstützung. Dies, und der partizipative Ansatz, wird als Wertschätzung erlebt und fördert die Identifikation mit der Schule. Schulleitungen und astra plus-TrainerInnen aus acht teilnehmenden Schulen gaben in einer Nutzerbefragung an, die Implementierung auch anderen Pflegeschulen zu empfehlen. Sie berichteten weiterhin über die Kreativität und das Engagement, mit dem nichtrauchende und rauchende SchülerInnen das Schulumfeld gesundheits- und rauchstoppförderlicher gestalten.

Herausforderungen und Perspektiven Eine wesentliche Erkenntnis aus den Modellprojekten war, dass Schulen, die nur Unterrichte, z. B. zu Stressprävention, ohne die begleitenden Schulentwicklung mit Projektarbeit und aktiver Beteiligung des Schulteams anboten, keine Veränderungen bewirken konnten. Daher ist eine konsequente, schrittweise Arbeit mit dem astra plusTool an der Pflegeschule eine wichtige Empfehlung. Eine weitere Herausforderung bleibt die Gewinnung von sogenannten „astra plus-Stationen“ die bereit sind, die Ziele des Programms in der Praxis zu unterstützen. Die Stationen könnten gut von den Projekten der SchülerInnen profitieren und z. B. verlässlichere Pausenzeiten und Kurzintervention bei rauchenden PatientInnen etablieren. Mit „MAtCHuP-sMokefree ACademics in Health Professions“ wurde an der Hochschule Hannover ein Folgeprojekt gestartet. Von bislang mehr als 200 untersuchten Studiengängen aus Pflege- und Therapieberufen konnten lediglich in zwei Studiengängen spezifische Kompetenzen zur Suchtprävention in den Modulhandbüchern gefunden werden (Bonse-Rohmann, 2017). Es gibt erste Überlegungen, die Qualifikation „Kursleitung Tabakentwöhnung“ mit der möglichen Zertifizierung durch die Zentrale Prüfstelle Prävention, in einen Masterstudiengang zu integrieren. Damit würde die Behandlung der Tabakabhängigkeit, wie weitere pflegetherapeutische Interventionen, etabliert. Ein Anreiz dazu war die Aufnahme eines OPS zur „Multimodalen stationären Behandlung der Tabakabhängigkeit“ in den DRG Katalog (DIMDI, 2016). Leider wurden bisher zu wenige Fälle dokumentiert, so dass der OPS bisher noch nicht erlösrelevant ist. In der ambulanten Versorgung können Gruppenkurse zur Tabakentwöhnung im Erstattungsverfahren nach SGB V PADUA (2018), 13 (1), 65–71

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§ 20 jetzt schon vergütet werden. Nicht selten enden Forschungsprojekte mit einer Vielzahl interessanter Daten bzw. wissenschaftlich bedeutsamer Ergebnisse, die jedoch nicht den Weg in eine Verbesserung der beruflichen Ausbildung und der betrieblichen Praxis finden. Dies war auch eine besondere Herausforderung für die beiden Modellprojekte, da es sich um eine wichtige Zielgruppe handelt und Tabakkonsum ein bedeutsames Gesundheitsthema ist. Mittlerweile implementieren 13 Pflegeschulen bundesweit das Programm astra plus. Es finden jährlich mehrere Fortbildungen zu astra plus statt. Das Programm wird von einem Wissenschafts- und Praxisbeirat in der Weiterentwicklung begleitet, dem u. a. die Projektleitungen aus den Modellprojekten angehören. Die Qualität, bezogen auf die fundierten und erprobten Präventionsprogramme, die Kombination von verhaltens- und verhältnisorientierten Interventionen, die lebensstilbezogenen Unterrichte, die Integrationsfähigkeit des Programms in die unterschiedlichen Curricula der Schulen, die umfangreichen Materia­lien und auch die Möglichkeit der nachhaltigen Implementierung ist vor allem den Projektleitungen zu verdanken. Sie haben ihre Expertise und Erfahrung in das Projekt eingebracht und eine ganzheitliche Vorgehensweise ermöglicht. Als MitautorInnen des Programms sind daher hier zu nennen, Prof. Anneke Bühler, Hochschule Kempten (vormals IFT München), Prof. Mathias Bonse-Rohmann, Hochschule Hannover (vormals Hochschule Esslingen), Andrea Reusch (Universität Würzburg) sowie die Wissenschaft­ lichen Mitarbeiterinnen Anja Müller, Katrin Schulze, Ines Schweizer und Sabine Scheifhacken.

Literatur Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (2015). Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums. http://www.awmf. org/uploads/tx_szleitlinien/076-006k_S3_Tabak_2016-02.pdf (letzter Zugriff 16.09.2017) Breitling, L., Rothenbacher, D. Stegmaier, C, Raum, E. & Brenner, H. (2009). Aufhörversuche und – wille bei älteren Rauchern. Deutsches Ärzteblatt, 106 (27), 451 – 455. Bonse-Rohmann, M. (2004). Projekt „Gesundheitsförderung in der Aus- und Fortbildung in Pflegeberufen“. Ergebnisse der Befragung zur Gesundheit im Zeitraum Mai und Juni 2004. Bielefeld: Fachhochschule. Bonse-Rohmann, M., Meißner, P & Voltmann, S. (2017). S-14 – 03 MatCHuP – sMokefree ACademics in Health Professions. Suchttherapie, 18 (S1). S27-S28. Bühler, A., et al. (2016). Geschlechtsbezogene Analyse des Tabakkonsums bei Auszubildenden in Pflegeberufen. SUCHT, 62 (2), 73 – 81 Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.) (2015). Nationales Gesundheitsziel Tabakkonsum reduzieren. http://gesundheitsziele. de//cms/medium/1247/BMG_Tabakkonsum_reduzieren_On lineversion.pdf (letzter Zugriff 16.09.2017) Cascarigny, E. (2016). Rauchen, Stress und Coping bei PflegeschülerIn­ nen im BMG-Modellprojekt astra. Unveröffentlichte Bachelorarbeit. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe DBfK Bundesverband (Hrsg.) (2016). Mein Recht auf Frei. Sammelband zur DBfK Aktion 2016. (20.11.2017) https://www.dbfk.de/media/docs/download/ Allgemein/Mein-Recht-auf-Frei_Sammelband-2016.pdf ©2018 Hogrefe


Informiert sein und Handeln

Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information DIMDI (2016) OPS Katalog Doll R, Peto R, Boreham J, Sutherland I. (2004) Mortality in relation to smoking: 50 years observation on male British doctors. BMJ.; 328 (7455), 1519 – 28. Frank, E. (2004). Physician Health and Patient Care. JAMA, 291 (5), 637. doi: 10.1001/jama.291.5.637 Hirsch, K., Voigt, K., Gerlach, K., Kugler, J. & Bergmann, A. (2010). Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum sowie Impfverhalten von Gesundheits- und KrankenpflegeschülerInnen in Sachsen-Anhalt. HeilberufeSCIENCE, 1 (4): 127 – 132. Kolleck, B. (2004). Rauchen in der pflegerischen Ausbildung. Pflege, 17, 98 – 104. Lindemann von, K., Kugler, J. & Klewer, J. (2011). Gesundheitsverhalten von Auszubildenden in Krankenpflegeberufen. Eine Literaturübersicht. HeilberufeSCIENCE, 2, (3), 82 – 89. Lindinger, P., Strunk, M., Nübling, M. & Lang, P. (2012): Arbeitsweise und Wirksamkeit einer Telefonberatung für Tabakentwöhnung. Sucht, 58 (1), 33 – 43. McBride, CM., Emmons, KM. & Lipkus, I. M. (2003). Understanding the potential of teachable moments: the case of smoking cessation. Health Education Research, 18 (2), 156 – 170. Rice, V.H., Hartmann-Boyce, J., Stead, L.F. (2013). Nursing interventions for smoking cessation. Cochrane Database of Systematic Reviews. 12 (8): CD001188. doi: 10.1002/14651858. Schweizer, I., Bonse-Rohmann, M., Rustler, C., Scheifhacken, S. & Schulze, K. (2015). Kooperatives Modellprojekt astra – rauchfrei durch die Pflegeausbildung. Pädagogik der Gesundheitsberufe, 15 (2). 46 – 60. Statistisches Bundesamt (2011). Mikrozensus 2009 – Fragen zur Gesundheit – Rauchgewohnheiten der Bevölkerung. Wiesbaden Statistisches Bundesamt (2014). Mikrozensus 2013 – Fragen zur Gesundheit – Rauchgewohnheiten der Bevölkerung. Wiesbaden Vitzthum, K., Koch, F., Groneberg, D., Kusma, B.; Mache, S., Marx, P., Hartmann, T. & Pankow, W. (2012). Smoking behaviour and attitudes among German nursing students. Nurse Educ Pract, 13(5), 407-12. Wenig, J., Piontek, D., Gomes de Matos, E. & Kroger, CB. (2014). Ausstiegsversuche und Hilfsmittelnutzung unter Rauchern in Deutschland: Ergebnisse aus dem epidemiologischen Sucht­ survey 2012, submitted. Zegelin, A. (2002). Patienten-und Familienedukation in der Pflege. (23.11.2017) from http://patientenedukation.de/sites/default/ files/downloads/content/patienten-undfamilienedukation.pdf

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Christa Rustler BSc Health Communication Geschäftsführung Health Care Plus UG, Deutsches Netz Rauchfreier Krankenhäuser & Gesundheitseinrichtungen (DNRfK) e. V., Gründungsund Vorstandsmitglied (2008 – 2015) des Global Network for Tobacco Free Healthcare Services Deutsches Netz Rauchfreier ­Krankenhäuser & Gesundheits­ einrichtungen DNRfK e. V., Berlin rustler@healthcare-plus.net rustler@rauchfrei-plus.de Dorothea Sautter Psychologin (M.Sc.) mit Schwerpunkt Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie, Wiss. Mitarbeiterin Deutsches Netz Rauchfreier ­Krankenhäuser und Gesundheits­ einrichtungen DNRfK e. V, Kursleiterin für das Rauchfrei Programm des IFT-München Schulungen für NEST-Material für Fachkräfte der Frühen Hilfen sautter@rauchfrei-plus.de www.astra-plus.de www.rauchfrei-plus.de

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Kompetent lehren und begleiten

Gerda Nussbaumer / Christine von Reibnitz (Hrsg.)

Innovatives Lehren und Lernen Konzepte für die Aus- und Weiterbildung von Pflege- und Gesundheitsberufen 2008. 221 S., 28 Abb., 9 Tab., Kt € 36,95 / CHF 49.90 ISBN 978-3-456-84547-0 Auch als eBook erhältlich

Praxisnahe und innovative Lehrund Lernkonzepte für die Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen. „Dieses Buch ist sowohl Verantwortlichen zu empfehlen, die konzeptionell in der ambulanten und stationären Aus- und Weiterbildung tätig sind, als auch DozentInnen, die direkt in der Aus- und Fortbildung von Gesundheits- und Pflegeberufen arbeiten.“ Häusliche Pflege

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„Das Buch kann Lehrenden helfen, ihren Unterricht zu planen und zu gestalten, und Studierenden, Methodik und Didaktik besser zu versehen.“ Psych. Pflege heute


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Service

9. DNQP-Konsensuskonferenz in der Pflege: Expertenstandard «Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz» Am 06. Oktober 2017 wurde der neue Expertenstandard «Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz» in der Osnabrück-Halle konsentiert. Der Expertenstandard-Entwurf wurde durch eine vierzehnköpfige Expertenarbeitsgruppe aus Pflegewissenschaft und -praxis von 2016 bis 2017 erarbeitet. Die wissenschaftliche Leitung der Arbeitsgruppe lag in den Händen von Prof. Dr. Marina Roes (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, DZNE, Standort Witten). Gemeinsam mit einem Team von Wissenschaftlern hat sie zudem eine Analyse nationaler und internationaler Forschungsliteratur erarbeitet, die die Grundlage der Empfehlungen durch die Expertinnen und Experten bildete. Den Schwerpunkt der Konferenz bildete der strukturierte und durch Prof. Dr. Astrid Elsbernd moderierte Fachdiskurs zu den fünf Kriterienebenen des Expertenstandards. Prof. Dr. Martina Roes verdeutlichte in Ihrem Vortrag anschaulich den Weg von ersten, theoretisch geleiteten Überlegungen zur Spezifizierung des Themas «Pflege von Menschen mit Demenz» hin zur Entscheidung, das Bedürfnis und den Bedarf von Menschen mit Demenz nach einem Erhalt und der Förderung ihrer Identität und der Stärkung ihres PersonSeins in den Mittelpunkt der Entwicklung des vorliegenden Expertenstandard-Entwurfs zu stellen. Ergebnis dieser Entscheidung ist die Zielsetzung des Expertenstandards, dass jeder pflegebedürftige Mensch mit Demenz Angebote zur Beziehungsgestaltung erhält, die sein Gefühl gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Personen verbunden zu sein, erhalten oder fördern. Die thematische Konzentration des Entwurfs auf Beziehungsgestaltung und Person-Zentrierung fand durchgehend positive Resonanz. Viele Diskussionsbeiträge gaben der Expertenarbeitsgruppe zudem wertvolle Hinweise und Ergänzungsvorschläge zur abschließenden Bearbeitung des Expertenstandard-Entwurfs und der Kommentierungen der Standardkriterien. Der neue Expertenstandard «Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz» wird von Januar bis Juni 2018 in ca. 25 Einrichtungen der Altenhilfe, ambulanten Pflegediensten und Krankenhäusern unter methodischer Begleitung des wissenschaftlichen Teams des DNQP modellhaft implementiert, um Aufschluss und Er-

kenntnisse über die Praxistauglichkeit, Akzeptanz und die Voraussetzungen für die Einführung des Expertenstandards zu gewinnen. Mit der Veröffentlichung des Sonderdrucks zum konsentierten Expertenstandard «Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz» ist Anfang 2018 zu rechnen. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) an der Hochschule Osnabrück, Wissenschaftliche Leitung: Prof Dr. Andreas Büscher, Internet: http://www.dnqp.de

Pionierin der Pflegewissenschaft geht in den Ruhestand – zumindest ein bisschen Prof. Christel Bienstein hat maßgeblich dazu beigetragen, die Akademisierung der Pflege in Deutschland voranzutreiben. Nun gibt sie die Leitung des Departments für Pflegewissenschaft an der Uni Witten / Herdecke ab Seit 1994 war Prof. Christel Bienstein an der Universität Witten / Herdecke (UW / H) und hat die akademische Disziplin seitdem geprägt wie kaum eine andere. Nun geht die langjährige Leiterin des Departments für Pflegewissenschaft der UW / H in den Ruhestand – zumindest ein bisschen. Denn neben ihren Funktionen als Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe und Vorsitzende des unabhängigen Beirats Familienpflegezeit im Familienministerium wird sie bis zum September 2018 auch noch mit einer 20-Prozent-Stelle an der Uni Witten / Herdecke eingebunden sein, dort lehren und zudem noch zwei interdisziplinäre Projekte begleiten. Zur feierlichen Verabschiedung von Prof. Bienstein waren viele ehemalige Wegbegleiter, Kolleginnen und Kollegen und prominente Laudatoren erschienen. UW / H-Präsident Prof. Dr. Martin Butzlaff lobte Bienstein insbesondere für den positiven Einfluss von Lehre und Forschung auf das Gesellschaftswesen. Die Pflege-Pionierin in Deutschland bezeichnete er als „hervorragende Krankenschwester, Lehrerin, Professorin, Wissenschaftlerin, Moderatorin und Unternehmerin“. Der Dekan der Fakultät für Gesundheit, Prof. Dr. Stefan Wirth, sagte: «Es ist eine Ihrer wesentlichen Stärken, nicht nur theoretisch zu arbeiten, sondern Dinge einfach auch einmal zu machen und auszuprobieren.» Das zeigt auch die Bilanz des Departments: Die Wittener Pflegewissenschaftler haben rund 500 Alumni und

©2018 Hogrefe PADUA (2018), 13 (1), 73–74 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000418

Informiert sein und Handeln

Meldungen · Neuheiten · Termine


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Informiert sein und Handeln

70 Promovenden hervorgebracht, 29 davon haben einschlägige Professuren in Deutschland und der Welt inne. Ein Fernziel hat sich die gelernte Krankenschwester, die später Germanistik, Geschichte und Pädagogik studierte, für die Zeit ihres (Un-)Ruhestands noch auf die Fahnen geschrieben. «Ich werde mich mit aller Kraft für das Kon-

zept der Pflegekammern einsetzen. Ähnlich wie bei den Ärzten dürfte das der Pflege einen höheren Stellenwert verschaffen und dafür sorgen, dass sich für die Pflegenden weitere Türen öffnen.» Weitere Informationen: Prof. Christel Bienstein, ­christel. bienstein@uni-wh.de oder 02302 / 926 – 356

Termine 2018 09. bis 10. März 2018

6. wissenschaftlichen Arbeitstage (WAT) der ­Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP)

Göttingen

https://www.dgpalliativmedizin.de/­ allgemein / dgp-kongress-2014.html

15. bis 17. März 2018

Deutscher Pflegetag

Berlin

https://deutscher-pflegetag.de/

22. März 2018

20. Schweizer Onkologiepflege Kongress

Bern

www.onkologiepflege.schweiz

19. bis 20, April 2018

9. internationale wissenschaftliche Kongress für Pflegeforschung – Forschungswelten

St. Gallen

http://www.forschungswelten.info/

02. bis 04. Mai 2018

SBK Kongress

St. Gallen

http://www.sbk-asi-congress.ch/2018/

03. Mai 2018

Junger Pflegekongress

Bochum

http://www.junge-pflege.de/nordwest/ termine/2017/20180503.php

16. bis 18. Mai 2018

Bremer Pflegekongress – Deutscher Wundkongress

Bremen

http://www.deutscher-wundkongress.de/ Teilnehmer_allgemeine_Informationen_w

06. bis 08. Juni 2018

Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit

Berlin

http://www.hauptstadtkongress.de/­ deutscher-pflegekongress/

22. bis 24. August 2018

Enhancing Practice Conference 2018

Basel

www.epc2018.org

27. bis 29. August 2018

10th ICN NP / ANP Conference Rotterdam, Niederlande

Rotterdam

http://www.npapn2018.com/

30. August bis 1. September 2018

Lernwelten

Basel

http://www.lernwelten.info/

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©2018 Hogrefe


Kompetent pflegen, intuitiv entscheiden

Patricia Benner

Stufen zur Pflegekompetenz From Novice to Expert Deutsche Ausgabe herausgegeben von Diana Staudacher. 3., unveränd. Aufl. 2017. 336 S., Kt € 34,95 / CHF 45.50 ISBN 978-3-456-85771-8 Auch als eBook erhältlich

Wie sich erfahrene Pflegende mit großer Expertise in komplexen Pflegesituationen verhalten und in welcher Weise sich ihr professionelles Verhalten von dem lernender und weniger erfahrener Kolleginnen und Kollegen unterscheidet, zeigt Patricia Benner in ihrem zum Klassiker und Standardwerk avancierten Werk. Sie beschreibt eine professionelle Pflege, die ein tieferes Verständnis des Patienten voraussetzt und von Pflegenden fordert, die Perspektive des Patienten einzunehmen, um eine individuelle und respektvolle Pflege anbieten und gestalten zu können. Benner beschreibt eine Pflege, die das krankheitsbedingt verletzte oder bedrohte Selbst des Patienten aufrechterhält, schützt und durch Caring, Coping und Selbstmanagement ermöglicht.

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Die von Benner beschriebene professionelle Pflege • fasst alle klinischen Entscheidungen zugleich als ethische Entscheidungen auf • gründet auf einem Menschenbild der Verletzlichkeit • beruht auf intensivem inneren Beteiligtsein am Erleben der Patienten • fasst Menschenwürde als zwischenmenschliches Geschehen auf. Die zweite und dritte deutsche Auflage wurde um einen Beitrag zur exzellenten Pflege im 21. Jahrhundert ergänzt, der Patricia Benners Impulse für eine patientensensible Pflegepraxis verdeutlicht.


Vorschau PADUA 2/2018

© BZ P fle ge

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Erscheint im April 2018

Schwerpunkt Unterrichtsplanung Weitere Themen: Simulation in der Pflegeausbildung: Welchen Mehrwert hat das? Entwicklung und Förderung von Pflegekompetenzen durch die Methode der Simulation CIRS in der Ausbildung zur diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegeperson Potentiale erkennen und Fehlerkultur in der Ausbildung fördern Digitale Kompetenz unter Lehrenden – Eine Annäherung an eine schwierige Definition und die Messung der Medienkompetenz

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Ein kompliziertes System besser verstehen

Michael Simon

Das Gesundheitssystem in Deutschland Eine Einführung in Struktur und Funktionsweise Lehrbuch Gesundheitswissenschaften 6., vollst. aktual. u. überarb. Auflage 2017. 352 S., 20 Abb., 61 Tab., Gb € 34,95 / CHF 45.50 ISBN 978-3-456-85743-5 Auch als eBook erhältlich

Das deutsche Gesundheitswesen ist hochkomplex und für Außenstehende nur schwer durchschaubar. Sogar Experten haben Schwierigkeiten, die Struktur und Funktionsweise der verschiedenen Teilsysteme und Versorgungsbereiche insgesamt zu überblicken. Durch die zahlreichen Gesundheitsreformen wird es zudem immer schwieriger, den Überblick zu behalten. Dies ist nicht nur für Patienten und Leistungserbringer ein Problem, sondern auch für Lehre und Unterricht zu Themen des Gesundheitssystems und der Gesundheitspolitik.

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Dieses Referenzwerk leistet einen Beitrag zu mehr Transparenz des deutschen Gesundheitswesens und bietet eine allgemein verständliche Einführung in die gegenwärtige Struktur und Funktionsweise des deutschen Gesundheitssystems und seiner wichtigsten Teilsysteme. Neu wurden in der 6., aktualisierten Auflage alle bis Anfang 2016 in Kraft getretenen relevanten Änderungen gesetzlicher Grundlagen eingearbeitet und die Tabellen und übrigen Daten entsprechend aktualisiert. Das Buch eignet sich insbesondere als Basis-Einführung für Studierende, aber auch als Nachschlagewerk für alle bereits erfahrenen Akteure im Gesundheitswesen sowie für Journalisten und Politiker.


Ethisches Handeln im Pflegeunterricht vermitteln

Marianne Rabe

Ethik in der Pflegeausbildung Beiträge zur Theorie und Didaktik 2., überarb. u. erg. Aufl. 2017. 344 S., 4 Abb., 7 Tab., Kt € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-456-85741-1 Auch als eBook erhältlich

Ethik ist trotz aller Betonung ihrer Wichtigkeit in der Ausbildung ein Randthema geblieben. Marianne Rabe stellt die Themen Ethik und ethische Reflexion in den Mittelpunkt pflegerischer Praxis und Bildungsarbeit.

08.05.17 15:16

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Ihre Studie • leistet einen Beitrag zur theoretischen Klärung in der Ethik, wobei nach einer Kritik rationalistischer Ansätze ein phänomenologisch-anthropologischer Bezugsrahmen vorgestellt wird • weist theoretische Grundlagen bildenden Lernens auf und geht der Frage ihrer Umsetzbarkeit nach

• macht konkrete curriculare Vorschläge zur Vermittlung von Ethik in der Pflegeausbildung • zeigt, wie die ethischen Prinzipien Würde, Autonomie, Fürsorge, Gerechtigkeit, Verantwortung und Dialog im Rahmen eines Unterrichtskonzepts bearbeitet werden können • stellt ein eigenes Modell zur ethischen Reflexion von selbst erlebten Situationen vor. Die zweite Auflage wurde überarbeitet und um ein neues Kapitel „Konzepte für die Ausbildung zur Ethikberaterin“ ergänzt.


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