Jahrgang 29 / Heft 1 / 2016
Pflege Herausgeberinnen und Herausgeber Dietmar Ausserhofer Katrin Balzer Gabriele Meyer Marianne Müller Martin Nagl-Cupal Eva-Maria Panfil Anna Barbara Schlüer Berta Schrems
Die wissenschaftliche Zeitschrift für Pflegeberufe Michael Kleinknecht-Dolf, Dieter Baumberger, Thomas Jucker, Uwe Kliem, Natalie Zimmermann, Rebecca Spirig Aufwandrelevante Pflegeindikatoren Anja Kröner, Erik Aerts, Urs Schanz, Rebecca Spirig Mundspülung bei oraler Mukositis Claudia Leoni-Scheiber, Raffaella Matteucci Gothe, Maria Müller-Staub Einstellung Pflegender zum Advanced Nursing Process Dominik Robin, René Schaffert Die Konstruktion von Berufsbildern in der Pflege
Die Gesundheit beider Geschlechter
Petra Kolip / Klaus Hurrelmann (Hrsg.)
Handbuch Geschlecht und Gesundheit Männer und Frauen im Vergleich
2., vollst. überarb. und erw. Aufl. 2015. 448 S., 47 Abb., 30 Tab., Gb € 79.95 / CHF 99.00 ISBN 978-3-456-85466-3 AUCH ALS E-BOOK
In der bisherigen wissenschaftlichen
Im ersten Teil des Buches werden The-
Diskussion laufen die theoretischen und
orien und Methoden der geschlechter-
methodischen Forschungen zur Frau-
vergleichenden Forschung vorgestellt,
engesundheit und Männergesundheit
gefolgt von einer Erörterung sozialer und
noch weitgehend nebeneinander her.
umweltbedingter Einflussfaktoren. Der
In diesem Handbuch, das hier in völlig
dritte Teil liefert eine ausführliche Dar-
überarbeiteter und erweiterter zweiter
stellung der Geschlechterunterschiede
Auflage vorliegt, werden sie aufeinander
bei Entstehung und Verbreitung von un-
bezogen und in eine vergleichende Dar-
terschiedlichen Krankheitsbildern und
stellung eingebracht.
gesundheitlichen Problemlagen. Im vierten Teil stehen Beiträge zu Geschlechte-
Die über 30 Beiträge nehmen eine sys-
raspekten des Versorgungssystems im
tematisch vergleichende Perspektive in
Zentrum. Im abschließenden Teil werden
der geschlechterbezogenen Gesund-
Bevölkerungsgruppen mit besonderem
heitsforschung ein und führen damit die
Bedarf ins Zentrum gerückt.
Frauengesundheitsforschung und die Männergesundheitsforschung zusammen, ohne die Besonderheiten der beiden Gebiete zu vernachlässigen.
www.hogrefe.com
Pflege Die wissenschaftliche Zeitschrift für Pflegeberufe
Jahrgang 29/Heft 1/2016
Herausgeberinnen und Herausgeber Dietmar Ausserhofer Katrin Balzer Gabriele Meyer Marianne Müller Martin Nagl-Cupal Eva-Maria Panfil Anna Barbara Schlüer Berta Schrems
Herausgeberinnen und Herausgeber
Dietmar Ausserhofer, Bozen – Bolzano Katrin Balzer, Lübeck Gabriele Meyer, Halle (Saale) Marianne Müller, Winterthur Martin Nagl-Cupal, Wien Eva-Maria Panfil, Zürich Anna Barbara Schlüer, Zürich Berta Schrems, Maastricht/Wien
Redaktorin
Andrea Kurz, Weilheim
Redaktionssekretariat
Rosemarie S. Völkle Forchstraße 94 CH-8132 Egg bei Zürich Tel. +41 (0) 44 944 70 33 rosemarie.voelkle@gmail.com
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Anzeigenleitung
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AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten, Deutschland
Sprache
Deutsch
Erscheinungsweise
6x jährlich
Gelistet in
Pflege ist gelistet in Science Citation Index Expanded (SCIE, SciSearch), Social Sciences Citation Index, Social Scisearch, Journal Citation Reports/Social Sciences Edition, Journal Citation Reports/Science Edition, Cumulative Index to Nursing & Allied Health Literature (CINAHL), Medline, EMCare und Scopus.
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0.218 (2014 Journal Citation Reports® Science and Social Sciences Editions [Thomson Reuters, 2015])
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Jahresabonnementspreise: Institute: CHF 317.– / € 235.– Private: CHF 118.– / € 87.– Vorzugspreis für Pflegeschüler/innen, Teilnehmer/innen an Weiterbildungen im Pflegebereich und Studierende (nur gegen Nachweis): CHF 67.– / € 50.– Porto und Versandgebühren: Schweiz: CHF 14.– Europa: € 12.– Übrige Länder: € 18.– Einzelheft: CHF 51.– / € 37.50 (+ Porto und Versandgebühren)
© 2016 Hogrefe AG, Bern Nachdrucke sind, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Bewilligung des Verlags gestattet. Pflege ist peer-reviewed. Jeder publizierte Beitrag wurde von zwei Mitgliedern des Board of Consultants begutachtet. ISSN-L 1012-5302 ISSN 1012-5302 (Print) ISSN 1664-283X (online)
Inhalt Editorial
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Interventionen im Vergleich: Pille und Fallbesprechung Sabine Bartholomeyczik
Originalarbeiten
Die Entwicklung eines Sets von aufwandrelevanten Pflegeindikatoren für die Schweizer Pflegepraxis
9
Michael Kleinknecht-Dolf, Dieter Baumberger, Thomas Jucker, Uwe Kliem, Natalie Zimmermann, Rebecca Spirig 21
Mundspülung bei oraler Mukositis im Kontext der allogenen Stammzell-Transplantation – Eine qualitative Studie Anja Kröner, Erik Aerts, Urs Schanz, Rebecca Spirig Die Einstellung deutschsprachiger Pflegefachpersonen gegenüber dem «Advanced Nursing Process» vor und nach einer Bildungsintervention – Quasi-experimentelle Interventionsstudie
33
Claudia Leoni-Scheiber, Raffaella Matteucci Gothe, Maria Müller-Staub Aus der Praxis – für die Praxis
Die Konstruktion von Berufsbildern bei Fachfrauen/-männern Gesundheit und dipl. Pflegefachpersonen
43
Dominik Robin, René Schaffert Les-Art
Priorisierung von Forschung – Welche Forschung ist wichtig? Welche Forschung wird nicht länger benötigt?
50
Martin N. Dichter In eigener Sache
Refereetätigkeit 2015
51
Buchbesprechungen
52
Mitteilungen
53
Kongresskalender
56
Pflege (2016), 29(1), 3
© 2016 Hogrefe
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Die FHS St.Gallen ist eine dynamische, qualitätsbewusste und zukunftsorientierte Hochschule, die in Lehre, Weiterbildung und anwendungsorientierter Forschung und Entwicklung relevante Impulse für gesellschaftliche Entwicklungen gibt. Der Fachbereich Gesundheit ist an der FHS St.Gallen zuständig für Lehre, Forschung und Entwicklung sowie Dienstleistung im Bereich Pflege. Aufgrund eines Stellenwechsels im Fachbereich Gesundheit suchen wir für unseren BachelorStudiengang Sie per 1. September 2016 oder nach Vereinbarung als
Studiengangsleiter/in Pflege (80%) In dieser Position haben Sie die Hauptverantwortung für den Studiengang Bachelor of Science FHO in Pflege und entwickeln diesen mit grossem Engagement und hoher Fach- und Sozialkompetenz weiter. Ihre Aufgaben: Lehrtätigkeit im Bachelor-Studiengang inhaltliche sowie methodisch-didaktische Weiterentwicklung des Studiengangs Führung und Organisation des Studiengangs Weiterentwicklung des Fachbereichs Gesundheit als Mitglied der Bereichsleitung Ihre Qualifikation: Master of Science in Pflege oder eine gleichwertige Qualifikation pädagogische Ausbildung ausgewiesene Lehrerfahrung auf Hochschulstufe Führungserfahrung Wir bieten: moderne Anstellungsbedingungen Arbeitsort direkt beim Hauptbahnhof St.Gallen pulsierende Tätigkeitsbereiche in einem dynamischen Markt- und Hochschulumfeld Haben wir Ihr Interesse geweckt und verfügen Sie über die gewünschte Qualifikation? Dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung bis spätestens 29.02.2016 per E-Mail an Frau Prof. Martina Merz-Staerkle, Fachbereichsleiterin Gesundheit, martina.merz@fhsg.ch oder postalisch an FHS St.Gallen, Fachbereich Gesundheit, Frau Prof. Martina Merz-Staerkle, Rosenbergstrasse 59, 9001 St.Gallen. Für Informationen steht Ihnen Prof. Dr. Heidi Zeller, Studiengangsleiterin Pflege, zur Verfügung unter +41 71 226 15 03 oder heidi.zeller@fhsg.ch.
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Editorial
Interventionen im Vergleich: Pille und Fallbesprechung Beide Begriffe bezeichnen Interventionen im Gesundheitsbereich, die zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation der Betroffenen betragen sollen. Seit vielen Jahren wird für Effektivitätsstudien von Medikamenten das Design eines RCT (randomized control trial) als Goldstandard empfohlen. Unterstellt wird, dass dieses Design auch für anders geartete Interventionen der zu erreichende Maßstab sein soll, auch wenn die Intervention in anderer Weise «komplex» ist als die Verabreichung einer Pille (z. B. Craig et al., 2008). Die Pille – hier als Beispiel für ein während der Intervention nicht veränderbares Produkt – wird in einem standardisierten Verfahren entwickelt, schließlich am Menschen getestet und in der letzten Forschungsstufe einer RCTStudie unterzogen. Mit dem Design soll eine größtmögliche Nähe zu einem Laborexperiment hergestellt werden, um alle anderen Einflüsse außerhalb der Pille auszuschalten. Dabei wird möglichst alles standardisiert, potenzielle individuelle Einflüsse werden durch Randomisierung und Verblindung minimiert. Die pflegerische Fallbesprechung steht ebenfalls als Beispiel, hier für eine komplexe Intervention. Diese begrenzt sich nicht auf eine «Besprechung», sondern bezieht die daraus abzuleitenden Maßnahmen ein, da sie sonst keine Auswirkungen auf die Zielpersonen hat, z. B. auf Bewohner mit Demenz in Altenheimen mit herausforderndem Verhalten, dessen Gründe in einer Fallbesprechung eruiert werden sollen. An eine Fallbesprechung können sich unterschiedliche, konkrete Maßnahmen anschließen, wie z. B. ein geregeltes Toilettentraining, um sowohl das irritierende Umherlaufen als auch die Kontinenzprobleme einer Bewohnerin zu reduzieren. Folge kann auch sein, ein Verhalten «nur» anders wahrzunehmen und als wichtigen Lebensteil einer Bewohnerin zu verstehen. An dieser Intervention sind mehrere Personen in verschiedenen Rollen beteiligt und mehrere Schritte erforderlich, z. B.: 1. Problem bei zu Pflegender, das nicht gelöst und schwer verständlich ist. 2. Fallbesprechung mit dem Team, das die zu Pflegende kennt. 3. Lösungsvorschläge als Hypothesen. 4. Umsetzung von Lösungsvorschlägen. 5. Überprüfung der Wirkung und evtl. Neubeginn des PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act oder Pflegeprozess) mit erneuter Fallbesprechung. Pflege (2016), 29(1), 5–7 DOI 10.1024/1012-5302/a000463
Voraussetzung für die Durchführung dieser Interventionsschritte ist eine umfängliche Schulung der beteiligten Pflegenden. Passend dazu wird in den Empfehlungen des Britischen Medical Research Council (MRC) eine komplexe Intervention mit interagierenden Komponenten beschrieben, deren Zahl und Effekte sehr unterschiedlich sein können (Craig et al., 2008). Sie müssen außerdem flexibel individuell angepasst werden können. Das MRC schlägt vor, aufbauend auf einer evidenzbasierten Theorie mehrere Studien durchzuführen, um die Intervention zu «modellieren», bevor eine vollständige Evaluation durchgeführt werden kann. Ziel ist dabei ein experimentelles Design, möglichst ein RCT. In meinem Beitrag geht es mir weniger um die Schwierigkeiten von Standardisierung, die Probleme, geeignete quantitative Instrumente zu finden oder zu konstruieren, sondern um die methodologische Übernahme von naturwissenschaftlich reduktionistischen Paradigmen in die pflegewissenschaftliche Interventionsforschung, die allzu wenig hinterfragt werden. Der als Fallbesprechung bezeichneten Intervention wird als Handlungskette kausal begründetes Handeln unterstellt, das allerdings mehrere Brüche aufweisen kann, z. B. durch fehlende fachliche Kompetenzen oder in unterschiedlichen Bereichen der Rahmenbedingungen, zumal Rahmenbedingungen ebenfalls sehr unterschiedlich sein können, wiederum komplex und zudem dynamisch sind. Es ist also nicht möglich, einzelne Komponenten aus der doppelt komplexen Intervention herauszulösen, um ihre Wirkung einzeln zu untersuchen, wie das ursprünglich empfohlen wurde. Auch wenn das mittlerweile als wenig zielführend angesehen wird, wird erwartet, dass die einzelnen Elemente der Intervention evidenzbasiert so entwickelt werden, dass sie einfach reproduziert werden können, also weitgehend standardisiert sind. Empfehlungen hierzu (Mühlhauser, Lenz & Meyer, 2011) erwecken den Eindruck, dass mindestens ein ganzes Forscherleben für ein gutes Gelingen nötig ist. Außerdem werden damit Studien als unzureichend erklärt, die weithin genutzte, aber nicht evidenzbasierte pflegerische Interventionen untersuchen. Zu Fallbesprechungen gib es theoretische Ansätze, die jedoch eher als normativ denn als erklärend bezeichnet werden müssen. Mit einer Intervention wie der Fallbesprechung samt ihren Folgen wird fast alles konterkariert, was einem Laborexperiment nahe kommt: © 2016 Hogrefe
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• Nur wenige Teile der Intervention können so standardisiert werden, dass sie einfach reproduziert werden können. • Einige Teile der Intervention können gar nicht vorhergesagt werden. • Rahmenbedingungen können nicht so weit kontrolliert oder randomisiert werden, dass Ergebnisse mit größter Wahrscheinlichkeit nur auf die Intervention zurückzuführen sind. Clusterrandomisierungen werden in dieser doppelten Komplexität oft überschätzt. • Eine Verblindung ist allenfalls im Hinblick auf die Zuordnung zur Fall- oder Kontrollgruppe möglich. • Die individuellen Verhaltensweisen der Pflegenden und der zu Pflegenden sind als Teil der Intervention unverzichtbar und sollten keinesfalls zufallsverteilt werden. Darüber hinaus muss der Zeitablauf in der Interventionsphase beachtet werden: Denkbar ist, dass die Intervention bei ihrer Einführung sofort vollständig umgesetzt, möglicherweise erst verzögert zur Entfaltung gebracht oder nach einem vollständigen Beginn immer mehr reduziert wird. Jede Variante wird sich auf Effekte anders auswirken (Reuther, Holle, Roes, Bartholomeyczik & Halek, im Druck). Man könnte argumentieren, dass aus positiven Ergebnissen im Hinblick auf ein – wie auch immer – definiertes Outcome zu schlussfolgern ist, dass die gesamte Intervention richtig und wirksam umgesetzt wurde. Das ist allerdings bloße Spekulation. Unklar bleibt, welcher Erkenntnisgewinn daraus zu ziehen ist, wenn in der Interventionsgruppe das Outcome wesentlicher positiver ausfällt als in der Vergleichsgruppe. Heißt das, dass das wahrscheinlich auf die Intervention zurückzuführen ist? Und wenn ja, auf welchen Teil? Oder umgekehrt: wenn sich kein großer Unterschied findet? Heißt das, dass die Intervention nicht wirksam ist? Dass sie nicht richtig umgesetzt wurde? Dass sie zu unterlassen ist? Ich halte es für einen Fehler eines großen Teils der empirisch Pflegeforschenden, dass er die Paradigmen medizinischer Interventionsforschung aus den Medikamentenstudien übernommen hat, weil dahinter – trotz aller Weiterentwicklungen – ein im Hinblick auf menschliches Verhalten reduktionistisches naturwissenschaftliches Wissenschaftsverständnis steckt. Diesen Paradigmen wohnt die Auffassung inne, das Individuelle einer Person oder auch organisatorische Individualität aus einem Forschungsdesign möglichst zu eliminieren, es stört, es führt zu «Mess-Fehlern», Ergebniszahlen provozieren falsche oder zumindest verzerrte Aussagen. Die Reihe dieser identifizierten «Fehler» ist lang und die Empfehlungen zu ihrer Vermeidung ebenfalls. Es stellt sich die Frage, ob derartige «Verzerrungen» nicht eher inhaltliche Aussagen umfassen und daher genauer angesehen und interpretiert werden sollten, als sie als Fehler der Forschungsmethodik darzustellen. Ein naturwissenschaftliches Erkenntnisinteresse zielt in der Regel auf raum- und zeitunabhängige Gesetze. In diesem Zusammenhang wird oft von «Beweis» als Überset© 2016 Hogrefe
S. Bartholomeyczik: Pille und Fallbesprechung im Vergleich
zung von «evidence» gesprochen. Ein forschungsbasiertes Ergebnis einer Studie zu Interventionen in der Art von Fallbesprechungen kann jedoch niemals ein Beweis im Sinne eines zeit- und raum-unabhängigen Gesetzes sein, auch bei besten Signifikanzwerten nicht. Ein Ergebnis ist immer nur zeit- und raumbezogen und kann mehr oder weniger gut auf vergleichbare Situationen (Populationen) übertragen werden. Nur das sagt der Signifikanzwert aus. Erkenntnistheorie wird sicher in mancherlei pflegewissenschaftlichen Studiengängen gelehrt, wird aber vor dem Hintergrund erforderlicher Interventionsstudien, deren Notwendigkeit keineswegs geleugnet werden soll, völlig unsichtbar. Auch empirische Forschungsmethoden sind zeitabhängig, neue Erkenntnisse und Denkparadigmen führen zu neuen Methodenentwicklungen. Mit dieser Unsicherheit ist konstruktiv umzugehen. Erst seit etwa 15 Jahren wird in der medizinischen Forschung breiter daran gearbeitet, wie forschungsmethodisch mit komplexen Interventionen umzugehen ist, eine Annäherung an eine Vielfalt von Methoden sozialwissenschaftlicher Genese ist zu beobachten. Anderweitig bereits bestehende Ansätze wurden leider für die Pflegewissenschaft kaum weiterentwickelt, obwohl in der sozialwissenschaftlichen Evaluationsforschung derartige methodologische Probleme bereits zu Beginn der 1970er Jahre diskutiert wurden (Scriven, 1972). Evaluation betrifft hiernach immer zwei Dimensionen, von denen nur die eine auf das End-Ergebnis (Outcome) orientiert ist, die andere Inhalt und Ablauf einer Intervention beurteilt. Ulrike Höhmann und ich haben einen Ansatz vorgestellt, bei dem sieben zu untersuchende Ebenen bei Studien zum Effekt einer pflegerischen Intervention sinnvoll wären (Höhmann & Bartholomeyczik, 2013). Weiterentwicklungen könnten sich hieran anschließen. Statt einer disziplinübergreifenden Weiterentwicklung von Methoden, Methodologien und Erkenntnismöglichkeiten gab es gerade in der Pflegewissenschaft eine überflüssige Auseinandersetzung über die bessere Eignung qualitativer versus quantitativer Methodenansätze. Von daher ist die Entwicklung eines zaghaften veröffentlichten Diskurses zu methodologischen Fragen sehr zu begrüßen. Eine wirklich unangenehme Folge der genannten Empfehlungen zur Interventionsforschung aus dem medizinischen Feld ist deren vermeintliche Immunität. Wehe, ein auf Karriere bewusster Nachwuchswissenschaftler versucht eine Interventionsstudie zu veröffentlichen, in der er sich nicht auf diese Empfehlungen stützt. In ausgewählten Bereichen wird die Modifikation von Grypdonk (2004) als Alternative zugelassen, obwohl diese nicht sehr stark von den MRC-Empfehlungen abweicht, auch wenn sie den letzten Schritt einer RCT nicht für primär wichtig hält. Für Peer Reviewer scheinen die Empfehlungen unumstößliche Maßstäbe darzustellen. Neue Wege werden dadurch stark behindert, Kreativität in der Forschung ist verpönt, nicht bereits Entwickeltes hat keinen Platz. Festzuhalten bleibt, dass einer Forschungskreativität nicht widerspricht, dass sie theoriebasiert und nachvollziehbar begründet sein muss. Pflege (2016), 29(1), 5–7
S. Bartholomeyczik: Pille und Fallbesprechung im Vergleich
7
Literatur Craig, P.; Dieppe, P.; Macintyre, S.; Mitchie, S.; Nazareth, I.; Petticrew, M. (2008). Developing and evaluating complex interventions: the new Medical Research Council guidance. BMJ 337, 979 – 983. Grypdonk, M. (2004). Eine kritische Bewertung von Forschungsmethoden zur Herstellung von Evidenz in der Pflege. Pflege & Gesellschaft, 9 (2), 34 – 71. Höhmann, U.; Bartholomeyczik, S. (2013). Komplexe Wirkungszusammenhänge in der Pflege erforschen: Konzepte statt Rezepte. Pflege & Gesellschaft, 18 (4), 293 – 312. Mühlhauser, I.; Lenz, M.; Meyer, G. (2011). Entwicklung, Bewertung und Synthese von komplexen Interventionen – eine methodische Herausforderung. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 105, 751 – 761. Reuther, S.; Holle, D.; Roes, D.; Bartholomeyczik, S.; Halek, M. (im Druck). Das Stepped Wedge Design – Chancen und Herausforderungen für die Effektivitätsmessung von komplexen Interventionen – ein Fallbeispiel aus der Forschungspraxis. Pflege & Gesellschaft, 21 (1). Scriven, M. (1972). Die Methodologie der Evaluation. In: Wulf, C. (Hrsg.) Evaluation. Beschreibung und Bewertung von Unterricht, Curricula und Schulversuchen. München: Piper.
Prof. Dr. Sabine Bartholomeyczik Universität Witten/Herdecke Stockumer Str. 12 58453 Witten Deutschland sbartholo@uni-wh.de
Pflege (2016), 29(1), 5–7
© 2016 Hogrefe
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9
Originalarbeit
Die Entwicklung eines Sets von aufwandrelevanten Pflegeindikatoren für die Schweizer Pflegepraxis Michael Kleinknecht-Dolf1 (MNS), Dieter Baumberger2 (Dr., RN), Thomas Jucker1 (RN), Uwe Kliem1 (MNS), Natalie Zimmermann3 (MNS), Rebecca Spirig1,4 (Prof., PhD, RN) 1
Direktion Pflege und MTTB, UniversitätsSpital Zürich Forschung und Entwicklung, LEP AG, St. Gallen 3 Direktion Alterswohngemeinschaft «Vier Jahreszeiten», Belp 4 Institut für Pflegewissenschaft, Universität Basel 2
Zusammenfassung: Hintergrund: Es ist bekannt, dass das SwissDRG-Tarifsystem den Pflegeaufwand nicht ausreichend berücksichtigt, weil seine Grouperkriterien die Variabilität des Pflegeaufwands innerhalb der DRG-Fallgruppen zu wenig erklären. Um eine angemessene Vergütung und Ressourcen-Allokation zu erreichen, muss der Pflegeaufwand eindeutig quantifiziert und abgebildet werden können. Ziel des vorliegenden Projekts war, ein Set aufwandrelevanter Pflegeindikatoren zu erarbeiten, von denen angenommen werden kann, dass sie in Ergänzung zu den bisherigen SwissDRG-Kriterien die Varianz des Pflegeaufwands innerhalb einzelner Fallgruppen reduzieren. Methode: Das Vorgehen umfasste verschiedene Methoden. Eine systematische Literaturrecherche, Beiträge eines Fachbeirates und Expertengremiums sowie drei Fokusgruppeninterviews mit Pflegefachpersonen und Abteilungsleitenden bildeten die Grundlage für die anschließende Synthese der aus diesen Quellen gewonnen Daten und Informationen. Ergebnisse: Ein Set von 14 aufwandrelevanten Pflegeindikatoren wurde entwickelt. Von diesen wird angenommen, dass sie die Homogenität des Pflegeaufwands in den SwissDRG-Fallgruppen verbessern können. Bevor diese Pflegeindikatoren als Grouperkriterium eingesetzt werden können, müssen sie in einer SwissDRG-konformen Weise formalisiert und empirisch geprüft werden. Schlussfolgerung: Das vorliegende Indikatorenset ist ein erster Schritt in die Richtung einer angemessenen Abbildung des Pflegeaufwands in SwissDRG-Fallgruppen. Als nächstes muss die Herausforderung bewältigt werden, dieses in eine kodierbare Form zu operationalisieren. Schlüsselwörter: SwissDRG, Pflegeaufwand, Vergütung, Pflegeleistungen
Development of a set of nursing-sensitive indicators for Swiss practice Abstract: Background: The SwissDRG prospective payment system is known to inadequately account for nursing intensity due to the DRG group criteria insufficiently describing the variability of nursing intensity within individual diagnosis-related groups. In order to allow for appropriate reimbursement and resource allocation, nursing intensity must be able to be explicitely quantified and accounted for. The aim of this project was to develop a set of nursing-sensitive indicators intended to reduce the variation within individual diagnosis-related groups, supplementary to existing SwissDRG group criteria. Methods: The approach comprised a variety of methods. A systematic literature review, input from an advisory board and an expert panel, as well as three focus group interviews with nurses and nurse managers formed the basis for the synthesis of data and information gathered from these sources. Results: A set of 14 nursing-sensitive indicators was developed. The indicators are intended to improve the homogeneity of nursing intensity within SwissDRG diagnosis-related groups. Before these nursing indicators can be adopted as group criteria, they must be formulated to conform with SwissDRG and tested empirically. Conclusion: This set of indicators can be seen at as a first step towards nursing intensity being adequately represented in SwissDRG diagnosis-related groups. The next challenge to be met is operationalising the indicators in codable form. Keywords: DRG, nursing intensity, reimbursement, nursing services
Einleitung Im Jahr 2012 wurde in allen Akutspitälern der Schweiz ein auf den SwissDRG (diagnosis-related groups) basierendes Tarifsystem eingeführt. In anderen Ländern hatte die Übernahme des DRG-Systems als Finanzierungsgrundlage zur Folge, dass der Arbeitsumfang der PflegefachperPflege (2016), 29(1), 9–19 DOI 10.1024/1012-5302/a000464
sonen zunahm und weniger Zeit für die unmittelbaren Dienstleistungen zur Verfügung stand (Graf, Millar, Feilteau, Coackley & Erickson, 2003; Norrish & Rundall, 2001; Welton, 2007). Als einer der Gründe für die Arbeitsverdichtung wird dabei die Kritik an der unzureichenden Berücksichtigung des Pflegeaufwands angeführt (Eberl, Bartholomeyczik & Donath, 2005; H+/GDK, 2002; Smits, © 2016 Hogrefe
10
Was ist (zu dieser Thematik) schon bekannt? Das SwissDRG-Tarifsystem berücksichtigte den Pflegeaufwand bisher nicht angemessen. Was ist neu? Ein Set aufwandrelevanter Pflegeindikatoren liegt vor, das die Abbildung des Pflegeaufwands innerhalb von SwissDRG-Fallgruppen unterstützten könnte. Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflegepraxis? Das Pflegemanagement könnte damit zukünftig in der Lage sein, den Pflegeaufwand eindeutiger zu quantifizieren und eine angemessene Leistungsvergütung zu erreichen.
Fetter & McMahon, 1984; SwissDRG AG, 2005). Ungeachtet dessen, dass eine pflegebedürftige Person während ihres Aufenthaltes oft mehrere und unterschiedliche Pflegediagnosen aufweist, orientieren sich die DRG an medizinischen Neben- und Hauptdiagnosen, der Schwere der Erkrankung und der Behandlung sowie weiteren demografischen Patienteneigenschaften (SwissDRG AG, 2010). In Anlehnung an die Literatur definieren wir dabei Pflegediagnosen als das Ergebnis einer auf einem systematischen Assessment beruhenden Beurteilung von Patientenproblemen durch eine Pflegefachperson im Hinblick auf selbstständig von ihr ausführbare pflegerische Interventionen. Demgegenüber verstehen wir unter medizinischen Diagnosen eine unter der Beachtung von Zeichen und Symptomen sowie der Ätiologie getroffene Entscheidung in Bezug auf eine bestimmte Erkrankung (Halloran, 1985; Hausman, 1980). Die Vereinigung schweizerischer Krankenhäuser H+ und die Schweizerische Gesundheitsdirektorenkonferenz haben festgestellt, dass in DRG ein Mangel im noch unzureichenden Einbezug der Pflegeleistungen besteht, da ICD1-Diagnosecodes in der Regel den tatsächlichen Pflegeaufwand nur unzureichend widerspiegeln (H+/GDK, 2002). Vor diesem Hintergrund haben die Schweizerische Vereinigung der Pflegedienstleiterinnen und Pflegedienstleiter (SVPL) und der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) beschlossen, das Projekt SwissDRG und Pflege zu lancieren. In diesem wurden Grundlagen für eine angemessene Abbildung des Pflegeaufwands in den SwissDRGFallgruppen erarbeitet. In der 1. Projektphase von 2008 bis 2009 wurde die SwissDRG Version 0.1 analysiert, insbesondere wurden die Homogenität der Pflegekosten und des Pflegeaufwands untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass die Homogenität der Pflegekosten sowie des Pflegeaufwands in über der Hälfte der untersuchten DRG unbefriedigend ist, was zu einer nicht angemessenen Leistungsentschädigung für die Pflege führen kann (Baumberger et al., 2009). Zudem wurden nationale und internationale Studien gesichtet, die aufzeigen, dass pflegeaufwandsensible Indikatoren die Variabilität des Pflegeaufwands in bestimmten DRG verringern können (Baumberger, 2002). Die Analyseergebnisse der Phase 1 haben übereinstimmend mit der Literatur aufgezeigt, dass aufgrund der hohen Varianz der Pflegeleistungen auch in1
M. Kleinknecht-Dolf et al.: Aufwandrelevante Pflegeindikatoren
nerhalb gleicher DRG signifikante Diskrepanzen zwischen der Kostenerstattung und dem Umfang der geleisteten Pflege bestehen. Da die Pflegeleistungen eine der Hauptkonstituenten des spitalinternen Leistungsprozesses sind, machen die damit verbundenen Kosten einen großen Teil der Gesamtkosten eines Spitals aus (Besson, 2008; Bott, 2001). Mit rund 20 – 40 % Anteil innerhalb der leistungsbezogenen Kosten repräsentieren sie eine der Hauptkostenkomponenten der Spitäler (Bundesamt für Statistik (BFS), 2008; SwissDRG AG, 2006). Aufgrund der Erkenntnisse aus Projektphase 1 und der Notwendigkeit einer für eine kostendeckende Rückfinanzierung notwendigen adäquaten Abbildung der erbrachten Leistungen, startete die Projektgruppe SwissDRG und Pflege die Phase 2 mit der Ausschreibung einer Auftragsarbeit. Das Mandat wurde dem Zentrum Klinische Pflegewissenschaft des UniversitätsSpitals Zürich zugesprochen. Dieses führte anschließend in Zusammenarbeit mit einer Projektgruppe von Mitarbeitenden der Abteilung für Praxisentwicklung des Universitätsspitals Basel und des Bereichs Fachentwicklung und Forschung des Universitätsspitals Inselspital Bern die im vorliegenden Artikel beschriebene Studie durch (Portenier, Baumberger & Wittwer, 2009). Ziel dieses Auftragsmandats war es, ein Schweizer Set aufwandrelevanter Pflegeindikatoren zu erarbeiten, von denen aufgrund von Literatur und Expertenmeinung angenommen werden kann, dass sie als Ergänzung zu den bisherigen gruppierungsrelevanten SwissDRG-Kriterien die Varianz des Pflegeaufwands innerhalb einzelner DRGFallgruppen reduzieren und so den Erbringern von Pflegeleistungen die Möglichkeit eröffnet, die vom Patienten benötigte pflegerische Betreuung angemessen vergüten zu lassen. Mit solchen DRG-Gruppierungskriterien kann mit Blick auf das erzielte Ausmaß der Varianzreduktion und der Homogenität die Gesamtgüte des DRG-Klassifikationssystems bewertet werden (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH, 2013). Dabei wurde definiert, dass ein Indikator eine Messvariable ist, die geeignet ist, die Patientenergebnisse beeinflussenden Leistungen der Pflege zu monitorisieren, zu evaluieren und zu verbessern (Mainz, 2003). Ein Indikator, der den Pflegeaufwand erfassen kann, ist eine Variable, die den pflegerelevanten Gesundheitsstatus eines Patienten oder Patientenergebnisses beschreibt, die auf Pflegeinterventionen ansprechen (Dubois, D'Amour, Pomey, Girard & Brault, 2013). Als Pflegeaufwand wurde dazu die Zeitmenge definiert, die Pflegende für Pflegeinterventionen mit dem Ziel aufgewendet haben, die erwünschten Pflegeoutcomes zu erreichen (Edwardson & Giovannetti, 1987; Halloran, 1985; Morris, MacNeela, Scott, Treacy & Hyde, 2007). Die Projektgruppe schloss mit ihrer Arbeit an die Resultate der Phase 1 sowie an die Ergebnisse anderer bedeutender nationaler Projekte an (Baumberger et al., 2009; Berthou, Junger & Kossaibati, 2005).
Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme
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Dieser Bericht legt den Entwicklungsprozess des mit dem Expertenmandat in Auftrag gegebenen Indikatorensets dar. Anschließend wird in einem Epilog beschrieben, wie mit dem Indikatorenset verfahren wurde und es werden Empfehlungen für die weitere Entwicklung abgeben.
Methode Multiple qualitative Methoden wurden eingesetzt, um in den für die Projektdurchführung zur Verfügung stehenden drei Monaten ein inhaltlich breit abgestütztes Ergebnis zu erhalten: Systematische Literatursuchen, fortlaufendes Feedback des begleitenden Expertengremiums und gezieltes Feedback von einem Fachbeirat sowie Fokusgruppeninterviews mit Pflegefach- und Leitungspersonen. Hintergrund dieses Ansatzes war die Absicht, damit einerseits möglichst praxisnah alle DRG-relevanten Bereiche abzudecken. Anderseits bestand auch der Wunsch, durch den Einsatz multipler Informationsquellen die Evidenz des Arbeitsergebnisses und seine Übertragbarkeit zu stärken (Zauszniewski, 2012). Zur Überprüfung der Zweckmäßigkeit und Anwendbarkeit der aufwandrelevanten Indikatoren wurden Anforderungskriterien formuliert. Diese wurden aufgrund der Vorgaben der Auftraggeber und Ergebnisse aus der Literaturanalyse im Vorfeld zusammen mit dem Expertengremium definiert (siehe Tabelle 1).
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Systematische Literaturrecherche Eine erste Literatursuche wurde in den Datenbanken PubMed, Embase, CINAHL und Cochrane durchgeführt. Ziel dieser Recherche war es, in der Literatur beschriebene Indikatoren zu finden, die sich dazu eignen, die Variabilität des Pflegeaufwands zu erklären. Zudem interessierte, ob diese Indikatoren auch in Verbindung mit einer Reduktion der nicht-erklärten Variabilität des Pflegeaufwands innerhalb von DRG beschrieben werden. Für die Auswahl der zur Beantwortung der Fragestellung relevanten Artikel wurden folgende Einschlusskriterien festgelegt: Bezug zum zeitlichen Pflegeaufwand, Relevanz für das Akutspital, Bezug zu DRG: ausreichende Beschreibung von Setting und Patientenpopulation, um die Übertragbarkeit in die schweizerischen Verhältnisse zu prüfen, klare konzeptionelle Definition des Indikators, klarer Hinweis auf die Operationalisierbarkeit des Indikators, Artikel in deutscher, englischer oder französischer Sprache, Peer Review bei Artikeln zu empirischen Studien, Zusammenfassung muss in Datenbanken vorhanden sein sowie die Übertragbarkeit ins Schweizer Pflegesetting gegeben sein. In den genannten Datenbanken wurde mit Schlüsselbegriffen in verschiedenen Kombinationen gesucht: Variabilität, DRG, Pflegekosten, Pflegeaufwand, Pflegebedürfnisse, Pflegeanforderungen, Pflegediagnosen, Pflegestunden, Indikatoren, Kosten, Akutpflege, Pflegebedingungen und Verweildauer. Die den Einschlusskriterien genügenden Artikel wurden im Hinblick auf die inte-
Tabelle 1. Anforderungskriterien für die Indikatoren. Kriterium
Mögliche Ausprägungen
Relevanz bezüglich des zeitlichen Pflegeaufwands
1 = hoch (kann häufig auftreten, und wenn, dann mit mehr Pflegeaufwand als 1 Std./Tag; oder selten und wenn, dann > 10 Std./Tag) 2 = mittel (kann häufig auftreten, und wenn, dann mit einem Pflegeaufwand bis 1 Std./Tag) 3 = tief (kann häufig auftreten, und wenn, dann mit weniger Pflegeaufwand als ½ Std./Tag)
Konzeptuelle Definition (KD) vorhanden
1 = klare KD, Information zur Validität liegt vor 2 = klare KD, keine Information über Validität 3 = unklare, mehrdeutige KD 4 = keine KD
Beobachtbarkeit in der Pflegepraxis
1 = einfach, alltäglich 2 = mittel, alltäglich, mit der fachlichen und praktischen Erfahrung einer dipl. Pflegfachperson beobachtbar 3 = komplex, nur mit ausgeprägter Expertise beobachtbar
Operationalisierung
1 = einfach (einfach umzusetzen und messbar zu machen) 2 = mittel 3 = komplex (komplex umzusetzen und messbar zu machen)
Erfassbarkeit
1 = einfach und selbsterklärend 2 = mittel (eventuell geringfügige Schulung notwendig) 3 = komplex und schwierig (aufwändige Schulung notwendig)
Instrumente
1 = in Deutsch besteht ein ausreichend valides, reliables Instrument zur Erfassung des Indikators 2 = es besteht ein ausreichend valides, reliables Instrument zur Erfassung des Indikators, aber keine deutsche Version 3 = es besteht ein Instrument, die psychometrischen Eigenschaften werden kontrovers beurteilt oder die Validierung ausstehend 4 = es sind keine Instrumente zur Erfassung vorhanden oder bekannt
Messniveau
1 = metrisch 2 = ordinal 3 = nominal, dichotom
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ressierende Fragestellung analysiert, wobei relevante Informationen in ein, auf der Basis der Forschungsfragen erstelltes, elektronisches Erfassungsformular übertragen wurden. In einer zweiten Lesung und weiteren partiellen Durchsichten wurden diese primären Hinweise auf aufwandrelevante Pflegeindikatoren überprüft und sprachlich so präzisiert, dass im weiteren Verlauf der Analyse eine Liste provisorischer Indikatoren entstand, die anschließend anhand der Anforderungskriterien beurteilt wurden. Ergebnis dieses Vorgehens war ein erstes Set literaturbasierter vorläufiger Indikatoren, die sich dazu eigenen könnten, die Varianz des Pflegeaufwands innerhalb einzelner DRG besser zu erklären. Auf der Basis der primär gefundenen Literatur wurde mittels back- und forward tracking eine zweite Literatursuche durchgeführt. Dabei wurde beim backward tracking die in der Bibliografie der Resultate bei der ersten Literatursuche aufgeführten Referenzen auf mögliche früher erschienen und für unsere Fragestellung bedeutende Artikel geprüft. Beim forward tracking wurde anschließend in denselben Datenbanken wie bei der primären Suche nach relevanten Artikeln gesucht, die sich auf eine bei der ersten Literatursuche als Ergebnis gefundene Publikation stützen und auf diese verweisen (Greenhalgh & Peacock, 2005; Kuper, Nicholson & Hemingway, 2006). Die Selektion und Analyse von relevanten Artikeln erfolgte analog der primären Recherche. Das finale Set der literaturgestützten Indikatoren wurde anschließend dem nachstehend beschriebenen Expertengremium zur Prüfung vorgelegt mit der Frage, ob sie diese vorläufigen Indikatoren als vollständig, angemessen und geeignet halten.
Expertengremium Das Expertengremium wurde eingerichtet, um das methodische Vorgehen kritisch zu reflektieren und die praktische Relevanz der Ergebnisse abzusichern. Die 17 Mitglieder des Expertengremiums bekleideten unterschiedlichste Funktionen in der schweizerischen Pflegelandschaft wie zum Beispiel Leitungspersonen im Pflegedienst, Kennzahlenverantwortliche und PflegewissenschaftlerInnen. Das Gremium traf sich zweimal. Beim ersten Treffen wurden das Vorgehen und die Grundlagen des Projektes besprochen. Beim zweiten Treffen wurde das vollständige Set der aus der Literaturrecherche und den Fokusgruppen gewonnenen Indikatoren anhand der beschriebenen Anforderungskriterien und unter Berücksichtigung des Projektziels beurteilt. Dabei wurden die Mitglieder auch gefragt, ob das Set der vorläufigen Indikatoren durch weitere klinisch relevante Indikatoren ergänzt werden muss.
Fachbeirat Ein akademischer Fachbeirat, bestehend aus drei Mitgliedern aus der Schweiz und zwei Fachexperten aus Deutschland, wurde zweimal gezielt inhaltlich beigezogen. Vier © 2016 Hogrefe
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Mitglieder des Fachbeirats waren international ausgewiesene Fachexperten im Bereich von Pflegetaxonomien und Pflegefinanzierung. Ein Mitglied des Fachbeirats repräsentierte als Interessensvertreter eine schweizerische akademische Fachgesellschaft der Pflege. Dem Fachbeirat wurden die aufgrund der Literatur und mit dem Expertengremium erarbeiteten vorläufigen aufwandrelevanten Pflegeindikatoren zur kritischen schriftlichen Beurteilung vorgelegt. Damit konnte das Projektergebnis breiter abgestützt werden und durch die Berücksichtigung von entsprechenden Erfahrungen in Deutschland gestärkt werden.
Fokusgruppeninterviews Für die drei Fokusgruppeninterviews wurden diplomierte Pflegefachpersonen und Abteilungsleitende mit einem Schreiben eingeladen, auf das hin sich Interessierte melden konnten. Aus den interessierten Pflegenden wurden im Sinne einer Gelegenheitsstichprobe drei Gruppen gebildet. Zwei Gruppen mit sieben respektive acht Teilnehmenden setzten sich aus Personen verschiedener Abteilungen des UniversitätsSpitals Zürich zusammen, die dritte Gruppe bestand aus acht Pflegefachpersonen des Universitäts-Kinderspitals Zürich. Die Teilnehmenden mussten eine mehrjährige klinische Expertise aufweisen und in Settings mit hohen Fallzahlen tätig sein, die ab dem Jahr 2012 mit dem SwissDRG-Abrechnungssystem arbeiteten. Aufgrund dieser Vorgaben wurden Teilnehmende aus den nachfolgenden Fachbereichen ausgewählt: Neurologie, Thoraxchirurgie, Pneumologie, Neurochirurgie, Traumatologie, Viszeralchirurgie, Urologie, Intensivpflege und Intermediate Care. Die Fokusgruppeninterviews wurden von zwei Personen durchgeführt, einer sehr erfahrenen und einer unerfahrenen Pflegewissenschaftlerin. Eine weitere Person war dabei, um Notizen zu machen. Die beiden Pflegewissenschaftlerinnen führten das Interview mithilfe eines Leitfadens in zwei Teilen durch. Im ersten Teil wurde anhand von drei alltäglichen Patientenbeispielen gefragt: «Woran könnte es liegen, dass Patienten mit der gleichen medizinischen Diagnose und der gleichen medizinischen Behandlung, unter Umständen ganz unterschiedlich umfangreiche Pflegebedürfnisse haben?» Im zweiten Teil wurden den Teilnehmenden die aus der Literatur erarbeiteten Indikatoren vorgelegt. Die Teilnehmenden wurden gebeten, deren Relevanz bezüglich der Erklärung der großen Unterschiede des zeitlichen Pflegeaufwands bei hinsichtlich der Diagnose und Behandlung als identisch geltenden Patientengruppen zu beurteilen. Abschließend fasste eine der Interviewerinnen die wesentlichen Gesprächsinhalten zusammen und bat die Teilnehmenden, diese zu verifizieren und zu ergänzen. Die Gesprächsnotizen der Fokusgruppeninterviews wurden zusammenfassend anhand der Inhaltsanalyse nach Mayring durch eine an den Fokusgruppeninterviews beteiligte und in dieser Methode versierte Pflegewissenschaftlerin analysiert (Mayring, 2008). ErPflege (2016), 29(1), 9–19
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fahrene Forscherinnen validierten die Ergebnisse anschließend.
Synthese Nach der Einarbeitung der Rückmeldungen des Expertengremiums und des Fachbeirates, wurden die vorläufigen, aus den unterschiedlichen Quellen generierten Indikatoren zusammengeführt. Wegen ihrer ganz unterschiedlichen Abstraktionsgrade und theoretischen Hintergründe wurde die International Classification of Functionality, Disability and Health (ICF) als Referenzklassifikation gewählt, um die Indikatoren strukturell und konzeptuell zu standardisieren (WHO, 2001). Durch diese Synthese konnte die umfangreiche Anzahl vorläufiger Indikatoren auf ein handhabbares Set provisorischer Indikatoren reduziert werden, indem sich thematisch ähnliche, aber auf unterschiedlichen Aggregationsebenen liegende Indikatoren zusammenfassen ließen. Mit dieser Standardisierung sollte zudem auch die interprofessionelle Akzeptanz erleichtert werden. Anschließend wurden die provisorischen Indikatoren von drei Mitgliedern der Projektgruppe, die auf dem Gebiet der Quantifizierung und Erfassung von Pflegeleistungen Experten sind, anhand der in Tabelle 1 beschriebenen Kriterien unabhängig voneinander überprüft und die Einschätzungsdifferenzen wurden im Rahmen eines Konsensverfahrens angeglichen. Als Ergebnis dieser Beurteilung entstand schließlich die finale Liste der aufwandrelevanten Pflegeindikatoren.
Ergebnisse Vorläufige Indikatoren aufgrund der Literatursuchen und Fachund Experteninputs Die erste Literatursuche ergab eine Trefferzahl von 3137 Artikeln, wobei die Suche in der Cochrane Datenbank ohne Treffer blieb. Nach Durchsicht der Titel konnten wir 2927 Artikel ausschließen. 210 Abstracts wurden Kriterien geleiSystem Spital Eintrittsbedingte Faktoren Verlegung Umgang mit der Krankheit Patient ohne KompliKation = komplex planbar
Kultur, Erziehung und Kommunikation Sozialer Kontext Allgemeinzustand Krankheitszustand
Patient mit KompliKation = hoch komplex nicht planbar
Unterstützung in ATL‘s, mit Therapie und Geräten
Austrittsmanagement
Abbildung 1. Modell aufwandrelevanter Pflegeindikatoren auf Basis der Fokusgruppeninterviews.
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tet geprüft, was letztlich 44 relevante Artikel ergab. Mit der zweiten Literaturrecherche wurden 13 weitere Artikel eruiert, sodass insgesamt 57 Artikel zur Verfügung standen. Aus diesen konnten anschließend 19 vorläufige Indikatoren extrahiert werden. Zwischen den beiden Treffen des Expertengremiums bekamen dessen Mitglieder das Set dieser 19 literaturgestützten Indikatoren zugesandt. Durch die Rückmeldungen aus dem Expertengremium konnte das bestehende Set um neun weitere Indikatoren ergänzt werden. Die ergänzende Literaturrecherche zu diesen neun Indikatoren ergab 15 Artikel, sodass letztlich 72 Artikel von qualitativen und quantitativen Untersuchungen zu pflegeaufwandrelevanten Indikatoren zur Verfügung standen. Die nun insgesamt 28 vorläufigen Indikatoren aus Literatur und Expertengremium wurden anschließend vom Fachbeirat kritisch begutachtet. Dessen Mitglieder haben dem vorgeschlagenen Indikatorenset grundsätzlich zugestimmt.
Vorläufige Indikatoren aus den Fokusgruppeninterviews Bei den drei Fokusgruppeninterviews kamen weitere vorläufige Indikatoren zur Sprache. Die Teilnehmenden nannten neben den patientenbezogenen Indikatoren auch systemische und kontextuelle aufwandauslösende Faktoren, die nicht primär mit der Abklärung, Diagnose oder Behandlung im Zusammenhang standen. Abbildung 1 stellt als Ergebnis der Fokusgruppeninterviews ein Modell dar, das aus den zusammengeführten Informationen der Fokusgruppenteilnehmenden gebildet wurde. In ihm werden die im Zusammenhang mit dem spitalinternen Behandlungsprozess explorierten patienten- sowie kontext- und systembezogenen aufwandrelevanten Indikatoren wiedergegeben. Im Modell lassen sich die von den Teilnehmenden genannten patientenbezogenen Indikatoren in die Kategorien «Umgang mit der Krankheit», «Kultur und Kommunikation», «sozialer Kontext», «Allgemeinzustand», «Krankheitszustand» sowie «Unterstützung bei den Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) und mit Therapie und Geräten» ordnen. Unter kontextbezogenen aufwandrelevanten Indikatoren fallen zum Beispiel die Austrittsplanung oder das Einhalten von Leit- und Richtlinien, und unter die systembezogenen Faktoren wie die Qualität des Managements von Eintritten, Verlegungen und Austritten, oder das Funktionieren der interprofessionellen Zusammenarbeit. Den kontext- und systembezogenen Faktoren ist gemeinsam, dass sie nichts mit dem individuellen Zustand und Befinden sowie der Diagnose und Behandlung eines einzelnen Patenten zu tun haben, sondern vielmehr im Zusammenhang stehen mit der Struktur und Organisation sowie den Abläufen und der Kultur jedes einzelnen Spitals. Die Fokusgruppeninterviews ergaben 32 patientenbezogene vorläufige Indikatoren, welche den gesamten Behandlungsprozess berücksichtigten. Die systemischen und kontextuellen Faktoren wurden nicht in die Liste der vorläufigen Indikatoren aufgenommen. © 2016 Hogrefe
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Tabelle 2. Übersicht der 14 aufwandrelevanten Indikatoren. Indikator (ICF Code (WHO, 2001))
Definition nach ICF
1) Mentale Funktion (b110, b114, b117)
Funktionen des Gehirns welche die globalen mentalen Funktionen betreffen, wie Funktionen des Bewusstseins sowie den Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs und die spezifischen mentalen Funktionen, wie Funktionen des Gedächtnisses, kognitiv-sprachlichen Funktionen und Funktionen des Rechenvermögens.
2) Emotionale Funktion (b152)
Spezifische mentale Funktionen, die im Zusammenhang mit Gefühlen und den affektiven Komponenten von Bewusstseinsprozessen stehen Inkl.: Funktionen, die (Situations-)Angemessenheit der Emotion, affektive Kontrolle und Schwingungsfähigkeit betreffen; Affekt; Trauer, Glück; Liebe, Furcht, Ärger, Hass, Anspannung, Angst, Freude, Sorgen; emotionale Labilität; Affektverflachung.
3) Funktionen der psychischen Energie und des Antriebes (b130)
Allgemeine mentale Funktionen, die physiologische und psychologische Vorgänge betreffen, welche bei einer Person ein nachhaltiges Streben nach Befriedigung bestimmter Bedürfnisse und die Verfolgung allgemeiner Ziele verursachen Inkl.: Funktionen, die psychische Energie, Motivation, Appetit, Sucht (einschließlich Sucht nach Substanzen, die zu einer Abhängigkeit führen) und Impulskontrolle betreffen.
4) Schmerz (b280)
Empfinden eines unangenehmen Gefühls, das mögliche oder tatsächliche Schäden einer Körperstruktur anzeigt Inkl.: Allgemeiner oder umschriebener Schmerz in einem oder mehreren Körperteilen, Schmerz in einem Dermatom, stechender, brennender, dumpfer, quälender Schmerz; Muskelschmerz (Myalgie), aufgehobene Schmerzempfindung (Analgesie), gesteigerte Schmerzempfindung (Hyperalgesie).
5) Mobilität (d410, d420, d450)
Eigene Bewegung durch Änderung der Körperposition oder -lage oder Verlagerung von einem Platz zu einem anderen, mit der Bewegung von Gegenständen durch Tragen, Bewegen oder Handhaben, mit der Fortbewegung durch Gehen, Rennen, Klettern oder Steigen sowie durch den Gebrauch verschiedener Transportmittel.
6) Sich waschen, seine Körperteile pflegen (d510, d520)
Den ganzen Körper oder Körperteile mit Wasser und geeigneten Reinigungs- und Abtrocknungsmaterialien oder -methoden zu waschen und abzutrocknen, wie baden, duschen, Hände, Füße, Gesicht und Haare waschen und mit einem Handtuch abtrocknen inkl.: Körperteile und den ganzen Körper waschen; sich abtrocknen. Sich um seine Körperteile wie Haut, Gesicht, Zähne, Kopfhaut, Nägel und Genitalien über das Waschen und Abtrocknen hinaus zu kümmern Inkl.: Haut, Zähne, Haar, Finger, Zehennägel pflegen.
7) Funktionen der Haut (b810 – b849)
Schutzfunktionen der Haut. Funktionen der Haut zum Schutz des Körpers vor schädlichen physikalischen, chemischen und biologischen Einflüssen Inkl.: Schutz gegen Sonnenstrahlung und andere Strahlen, Lichtempfindlichkeit, Pigmentierung, Hauttyp; Fähigkeit der Wärmeregulierung, Narbenbildung, Induration; Funktionsstörungen wie Rissbildung, Geschwüre, Dekubitus, Atrophie. Heilfunktion der Haut. Funktionen, die die Heilung von Wunden und anderen Schäden der Haut betreffen Inkl.: Funktionen der Krustenbildung, Heilung, Narbenbildung, Quetschung, Keloidbildung. Andere Funktionen der Haut. Funktionen der Haut außer Schutz und Wiederherstellung, wie Kühlen und Schweißabsonderung Inkl.: Funktionen des Schwitzens, Funktionen der Hautdrüsen und sich daraus ergebender Körpergeruch. Auf die Haut bezogene Empfindungen. Empfindungen im Zusammenhang mit der Haut, wie Juckreiz, brennende und stechende Empfindungen Inkl.: Funktionsstörungen wie Kribbelgefühl und «Ameisenlaufen».
8) Funktionen der Nahrungsaufnahme (b510)
Funktionen, die im Zusammenhang mit der Aufnahme und der Bearbeitung fester oder flüssiger Stoffe in den Körper durch den Mund stehen Inkl.: Funktionen des Saugens, Kauens und Beißens, der Handhabung der Speisen im Mund, des Einspeichelns, Schluckens, Aufstoßens, Regurgitierens, Spuckens und Erbrechens; Funktionsstörungen wie Dysphagie, Nahrungsmittelaspiration, Luftschlucken, Speichelüber- oder -unterproduktion, Sabbern und Mundtrockenheit.
9) Funktion der Aufrechterhaltung des Körpergewichts (b530)
Funktionen, die das Aufrechterhalten eines angemessenen Körpergewichts einschließlich Gewichtszunahme während der Körperentwicklung betreffen Inkl.: Funktionen des Aufrechterhaltens eines angemessenen Body Mass Index (BMI); Funktionsstörungen wie Untergewicht, Kachexie, Substanzverlust, Übergewicht, Abzehrung, primäre und sekundäre Adipositas.
10) Defäkationsfunktion (b525)
Funktionen, die die Ausscheidung von Schlacken und unverdauten Speisen als Stuhl betreffen sowie entsprechende Funktionen Inkl.: Funktionen, die Stuhlentleerung, Stuhlkonsistenz, Stuhlfrequenz, Stuhlkontinenz, Flatulenz betreffen; Funktionsstörungen wie Verstopfung, Durchfall, wässriger Stuhl und Analsphinkterinsuffizienz.
11) Miktionsfunktion Funktionen, die die Beförderung des Urins aus der Harnblase nach außen betreffen (b620) Inkl.: Funktionen des Harnlassens, der Häufigkeit der Blasenentleerung, der Harnkontinenz; Funktionsstörungen wie Stressinkontinenz, Dranginkontinenz, Reflexinkontinenz, Überlaufinkontinenz, ständige Inkontinenz, Harntröpfeln, Blasenautonomie («Rückenmarksblase»), Polyurie, Harnverhalt, Harndrang. 12) Interpersonelle Interaktion und Beziehungen (d7)
Ausführung von Handlungen und Aufgaben, die für die elementaren und komplexen Interaktionen mit Menschen (Fremden, Freunden, Verwandten, Familienmitgliedern und Liebespartnern) in einer kontextuell und sozial angemessenen Weise erforderlich sind.
13) Kommunikation (d3)
Allgemeine und spezifische Merkmale der Kommunikation mittels Sprache, Zeichen und Symbolen, einschließlich des Verstehens und Produzierens von Mitteilungen sowie der Konversation und des Gebrauchs von Kommunikationsgeräten und -techniken.
14) Lernen und Wissensanwendung (d1)
Lernen, Anwendung des Erlernten, Denken, Probleme lösen und Entscheidungen treffen.
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Synthese der vorläufigen Indikatoren aus Literatursuchen, Fach- und Experteninputs sowie Fokusgruppeninterviews Nach der kriteriengeleiteten Beurteilung der vorläufigen Indikatoren aus den verschiedenen Informationsquellen durch drei Projektgruppenmitglieder resultierten letztlich 14 aufwandrelevante Indikatoren. Diese werden in Tabelle 2 dargestellt.
Diskussion Da das Problem einer mangelhaften Abbildung der Pflegeaufwands in SwissDRG-Fallgruppen eine Kernleistung der Spitäler betrifft und entsprechend unerwünschte Kompressionseffekte sowie Risiken in sich birgt, ist es nötig, das Problem auf der Ebene der SwissDRG-Klassifikation zu lösen (SwissDRG AG, 2007). Darum wurden in diesem Projekt mit multiplen qualitativen Methoden 14 pflegeaufwandsensitive Indikatoren entwickelt, die als Grouperkriterien bei der DRG-Bildung zu einer reduzierten Variabilität des Pflegeaufwands innerhalb der SwissDRG-Fallgruppen beitragen könnten. Dank der Methodenvielfalt konnten die potenziellen Grouperkriterien auf die kleinstmögliche Zahl reduziert werden, ohne den Inhalt des schlussendlichen Sets zu beeinträchtigen. Die Teilnehmenden von Expertengremium und Fokusgruppen achteten darauf, dass die Pflegeindikatoren im professionell eigenständigen Bereich der Pflege angesiedelt sind und nicht im mitverantwortlichen Bereich, weil angenommen wurde, dass die mit der Erkrankung und Behandlung in Verbindung stehenden verordneten Pflegemaßnahmen dem DRG-Systemansatz entsprechend bereits über die DRG-Kriterien in Form von medizinischen Diagnosen und Prozeduren abgedeckt werden (Fischer, 2002). Dazu kommt, dass die abschließenden 14 Indikatoren alle inhaltlich relevanten Pflegebereiche widerspiegeln, indem sie neben Indikatoren der substituierenden Pflege auch solche für unterstützende Aktivitäten und edukative Maßnahmen benennen, letztere auch für Angehörige. Aufgrund des konzeptuellen Inhalts der Indikatoren haben wir uns entschlossen, die Indikatoren mithilfe der ICF zu beschreiben und strukturieren. Wie sich erst nach Durchführung unserer Studie gezeigt hat, empfiehlt mittlerweile auch die WHO, die ICF als Grundlage für ein ergänzendes Grouperkriterium im Zusammenhang mit der Formulierung von DRG im klinischen Setting einzusetzen (Madden & Dimitropoulous, 2014; WHO, 2013). Indem damit auch der funktionelle Status eines Patienten als aufwandrelevanter Indikator mitberücksichtigt wird, kann der Anteil der erklärten Variabilität des Ressourcenverbrauchs vergrößert werden (Hopfe et al., 2011; Madden, Marshall &
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Race, 2013). Die von uns elaborierten aufwandrelevanten Indikatoren lassen sich in eine der drei Komponenten «Körperfunktionen und Körperstrukturen», «Aktivitäten» sowie «Teilhabe von Gesundheit» ordnen. Diese breite konzeptuelle Abstützung über alle Funktionsbereiche der ICF kann als weiterer Hinweis für ihre Plausibilität und Gültigkeit angesehen werden. Bemerkenswert ist, in welch hohem Maß die Teilnehmenden der Fokusgruppen mit ihren Aussagen die anhand von Literatur und Expertenmeinungen erarbeiteten vorläufigen Indikatoren bestätigten. Damit stärken sich die Ergebnisse der verschiedenen Quellen auch gegenseitig in ihrer Evidenz (Zauszniewski, 2012). Die Methoden sowie die Zwischenergebnisse wurden dem Expertengremium wiederholt zur kritischen Diskussion und Ergänzung vorgelegt. Damit stützten wir die formulierten Endergebnisse nicht nur inhaltlich, sondern auch professionell ab. Mithilfe der Fokusgruppeninterviews konnte die Verankerung in der Praxis überprüft werden. Das in Abbildung 1 vorgestellte Modell kann als ein umfassendes Modell von konstituierenden Elementen, in welche aufwandrelevante Pflegeindikatoren eingebettet sind, angesehen werden. Dieses Modell verdeutlicht zudem, dass die vorgeschlagenen 14 pflegeaufwandsensiblen Indikatoren nicht alle Pflegeleistungen im stationären, akut-somatischen Bereich abbilden, vielmehr Faktoren bezeichnen, die die Variabilität des Pflegeaufwands innerhalb gleicher SwissDRG-Fallgruppen besser erklären könnten. Das methodische Vorgehen zur Formulierung der Indikatoren bezog alle Quellen mit ein, die in der für das Mandat vorgesehenen Zeit verfügbar waren. Selbst wenn dem Case Mix Office (CMO) der SwissDRG AG die eruierten mutmaßlich aufwandrelevanten Pflegeindikatoren zur Überprüfung für den Einbau in die SwissDRG-Klassifikation vorgelegt werden können und mit den notwendigen empirischen Tests der 14 Pflegeindikatoren aufgezeigt werden könnte, dass mit ihnen die Variabilität des Pflegeaufwands in den DRG-Fallgruppen besser erklärt werden kann, beginnt an diesem Punkt das Kernproblem der praktischen Umsetzung der Pflegeindikatoren von SwissDRG. Pflegedaten, wie sie die 14 pflegeaufwandsensitiven Indikatoren repräsentieren, sind nämlich unter den aktuellen formalen Bedingungen nicht SwissDRG-systemkonform. Als Voraussetzung zur Überprüfung müssen sie mit der CHOP2 oder der ICD kodierbar sein, falls nicht, wird der Antrag vom CMO nicht bearbeitet (SwissDRG AG, 2012). Das Dilemma ist, dass in der Literatur die Hauptkritik exakt an ebendiesen zur DRG-Klassifikation benutzten Diagnosen (ICD) und Behandlungen (CHOP) ansetzt, weil diese alleine keinen im Sinne des DRG-Ansatzes standardisierbaren Pflegeaufwand nach sich ziehen oder weil der tatsächliche Pflegeaufwand über ICD-Diagnosecodes in DRG-Systemen nur unzureichend abgebildet wird (H+/ GDK, 2002; Müller, 2009).
Schweizerische Operationsklassifikation
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Limitationen Bei der Literatursuche wurde mithilfe mehrerer Datenbanken versucht, möglichst gute Ergebnisse zu erzielen, weshalb wir auch Literaturverweisen nachgingen und den Vorschlägen des Expertengremiums folgten. Unklar bleibt, ob andere Ergebnisse gefunden worden wären, wenn die Möglichkeit bestanden hätte, zwei Fachkräfte mit der Suche zu beauftragen. Die innere Stimmigkeit der Ergebnisse aus den Fokusgruppeninterviews, der Literatur und der Expertenaussagen stützen jedoch die Evidenz der vorliegenden pflegeaufwandsensiblen Indikatoren.
Schlussfolgerung Die 14 in dieser Studie aufgrund von Literatur und Expertenmeinungen entwickelten aufwandsensitiven Pflegeindikatoren könnten inhaltlich als Grouperkriterien bei der DRG-Bildung zu einer reduzierten Variabilität des Pflegeaufwands innerhalb der SwissDRG-Fallgruppen beitragen. Voraussetzung dazu ist allerdings, dass es gelingt, diese 14 Indikatoren in einer SwissDRG-systemkonformen Weise zu formalisieren. Dadurch könnte die Abbildung des aufwandbezogenen Pflegeprozesses verbessert und unterstützt werden, sodass die Akutspitäler der Schweiz unter SwissDRG für die erbrachten Pflegeleistungen angemessener entschädigt werden. Indem während des Entwicklungsprozesses die zahlreichen, zum Teil sehr detailliert beschriebenen vorläufigen Indikatoren mithilfe der ICF aggregiert und klassifiziert wurden, liegen die Indikatoren des finalen Sets auf einem hohen Abstraktionsniveau. Bevor diese aufwandrelevanten Pflegeindikatoren
Leistungsgruppe 5: 5 Kommunikation und Sicherheit
5.1 Deutlich erhöhter Pflegeaufwand für mindestens ein Pflegeinterventionsprofil der Leistungsgruppe 5.2 Kommunikation und Sicherheit gegenüber den routinemässig erbrachten Pflegeinterventionen. Die Pflegeinterventionsprofile werden gesondert/getrennt von anderen Leistungen 5.3 erbracht.
als mögliche ergänzende DRG-Grouperkriterien eingesetzt werden könnte, müssen die Indikatoren zuerst operationalisiert und in eine DRG-konform kodierbare Form gebracht werden, damit sie empirisch auf ihre zusätzliche Erklärungskraft hinsichtlich der Variabilität des Pflegeaufwands geprüft werden können. Es ist denkbar, dass sich dabei herausstellt, dass bestimmten Indikatoren die erwünschte Erklärungskraft fehlt und damit die Variabilität des Pflegeaufwands innerhalb einzelner SwissDRG-Fallgruppen nicht reduziert werden kann.
Epilog Als pragmatischer Ausweg hat sich nach Abgabe des Mandatsergebnisses an die Auftraggeber angeboten, die 14 vorliegenden pflegezustandsbezogenen Indikatoren auf die ICD oder CHOP zu übertragen (Mapping). Wie literaturgestützt nicht anders zu erwarten, ist ein 1:1 Mapping der pflegezustandsbezogenen Indikatoren auf ICD oder CHOP nicht möglich (Fischer, 2003; Hunstein, 2003). Pflegefachpersonen beurteilen den Gesundheitszustand eines Patienten aus einer anderen Sicht- und Denkweise als Ärzte. Darum sollten sich pflegerische und ärztliche Diagnoseklassifikationen ergänzen, so wie dies in der Praxis zwecks optimaler Behandlung des Patienten bereits umgesetzt ist, und sie sind daher nicht gegeneinander auszutauschen (Fischer, 2003; Hunstein, 2003). Um unter den aktuell gültigen gesetzlichen Vorgaben und Regelwerken so effizient wie möglich Pflegeindikatoren in die SwissDRG-Klassifikation integrieren zu können, sind darum Anträge zur Aufnahme von Pflegeindikatoren in die CHOP ein gangbarer Weg (Baumberger & Portenier, 2013). Zu diesem Zweck wurden auf Basis des entwickel-
Aufwandspunkte pro Tag
Pflegeinterventionsprofil
Messkriterium/Mindestanforderung
1: 1 Betreuung durchführen. Einen Patienten kontinuierlich über eine längere Zeitdauer in Präsenz betreuen. Die 1:1 Betreuung findet gesondert/getrennt von anderen Leistungen statt.
mindestens 1 x 60 oder 2 x 30 Minuten/täglich
1
Beratungsgespräch, Anleitung oder Informationsgespräch zum Kompetenzerwerb des Patienten und/oder Angehörigen/Bezugspersonen und/oder der poststationären Nachsorgeeinrichtung.
mindestens 1 x 60 oder 2 x 30 Minuten/täglich
1
Problemlösungsorientiertes Gespräch mit Patient und/oder Angehörigen/Bezugspersonen zur Krisenbewältigung/zur sozialen Unterstützung oder mindestens 1 x 60 oder 2 x 30 - zum Pflege- und Behandlungsprozess/zur Minuten/täglich Vorbereitung auf die Entlassung oder - Gespräche mit Dolmetscher
1
Abbildung 2. Beispiel aus dem CHOP-Code «Pflege-Komplexbehandlung» für die Leistungsgruppe «Kommunikation und Sicherheit».
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ten Pflegeindikatorensets von der Projektgruppe SBK/ SVPL zusammen mit CodierexpertInnen CHOP-Codes entwickelt, die 2011 beim Bundesamt für Statistik (BFS) via der Vereinigung schweizerischer Krankenhäuser H+ eingereicht, jedoch 2012, ohne eine offizielle schriftliche Begründung an den SBK und die SVPL, abgelehnt wurden (SVPL & SBK, 2012b). Pauschal kritisiert wurde an den abgelehnten Indikatoren eine mangelnde «Trennschärfe» für die Entmischung von Fällen mit hohem und niedrigem Pflegeaufwand in der gleichen DRG-Fallgruppe respektive den darauf kalkulierten Pflegekosten. 2012 wurden beim zweiten Antrag über die Vereinigung schweizerischer Krankenhäuser H+ pflegehandlungsbezogene Indikatoren in Form von Pflegeinterventionsprofilen eingereicht (SVPL & SBK, 2012a). Diese wurden von der SVPL und dem SBK unter Mitarbeit von CodierexpertInnen und ExpertInnen des CMO der SwissDRG AG entwickelt. Der Antrag wurde im Juni 2013 vom BFS vorbehaltlos gutgeheißen und in die CHOP Version 2014 integriert, das heißt ab 2014 werden Pflegedaten mit dem sogenannten CHOP-Code «PflegeKomplexbehandlung» (99.C1) für DRG-Zwecke erfasst (Bundesamt für Statistik (BFS), 2013; SVPL & SBK, 2013). In Abbildung 2 ist ein Beispiel aus dem CHOP-Code «Pflege-Komplexbehandlung» für die Leistungsgruppe «Kommunikation und Sicherheit» dargestellt (Bundesamt für Statistik (BFS), 2013). Zeigen die Auswertungen 2015 durch das CMO der SwissDRG mit diesem CHOP-Code statistisch relevante Pflegeaufwandunterschiede, kann dieser ab 2016 vergütet werden. Wird der de-facto-Standard ausgeblendet, dass Pflegedaten mit der CHOP oder ICD kodierbar sein müssen, könnte die Eignung von pflegezustands- und/oder -handlungsbezogenen Indikatoren für die Umsetzung einer angemessen Abbildung des Pflegeaufwands in SwissDRG grundsätzlich diskutiert werden (Haasenritter, Wieteck & Bartholomeyczik, 2009; Isfort & Brühl, 2007). Hier stört jedoch ein zweites Problem die praktische Nutzung von Pflegedaten für SwissDRG grundlegend. Als alternative Lösung zur ICD oder CHOP kann nämlich für die 14 Pflegeindikatoren nicht auf einen nationalen Pflegedatensatz zurückgegriffen werden, weil in der Schweiz die gesetzlichen Vorgaben und entsprechend anerkannten Pflegeklassifikationen analog der ICD und CHOP sowie vom Staat bezahlte Lizenzkosten fehlen. Ein im Projekt «NURSING data» erarbeiteter Lösungsansatz wurde nicht umgesetzt (ISE, 2006). Jedoch gilt es zu beachten, dass bereits eine Vielzahl von standardisiert erfassten Pflegedaten in den Spitälern vorliegt, respektive kein Mangel an Pflegedaten herrscht, insbesondere werden in der Schweiz Pflegeleistungsdaten seit über 20 Jahren systematisch erhoben. Es kann exemplarisch aufgezeigt werden, dass für SwissDRG-Zwecke pflegezustands- und -handlungsbezogene Pflegedaten genutzt werden können, die in der schweizerischen Behandlungsrealität der Spitäler unabhängig von SwissDRG zur Erbringung der notwendigen Pflegeleistungen bereits in fast 40 Spitälern routinemäßig eingesetzt und dokumentiert werden Pflege (2016), 29(1), 9–19
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(Baumberger, Bürgin & Bartholomeyczik, 2014). Zentral dabei ist, dass eine Doppelerfassung in der Pflegepraxis mit zusätzlichen Formularen für SwissDRG-Zwecke, verbunden mit einem klinisch sinnlosen administrativen Mehraufwand, entfallen würde. Dies spricht für die Wirtschaftlichkeit und Akzeptanz dieser Pflegedaten. Ein übermäßiger administrativer Überbau einzig für DRGZwecke wird verhindert, allfällig freigesetzte Ressourcen aus Effizienzsteigerungen gehen in der pflegerischen Leistungserbringung nicht wieder verloren (Roeder, Fiori & Bunzemeier, 2008). Redundanzen, bedingt durch Mehrfacherfassungen, können verhindert werden (Stark, Hölzer & Berthou, 2005). Es sind die auf den gesetzlichen Grundlagen fehlenden Regelwerke, die einer einheitlichen und effizienten Nutzung aufwandrelevanter Pflegedaten für DRG-Zwecke im Wege stehen (Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 1992; Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 1994; SwissDRG AG, 2012).
Empfehlung Mit der ICNP liegt seit 2009 eine von der WHO und somit international politisch anerkannte Pflegeklassifikation als Lösungsansatz vor, die von den nationalen Berufsverbänden gepflegt wird (DBfK, ÖGKV & SBK, 2012; ICN, 2008). Als Referenzklassifikation bietet sie die Möglichkeit, dass die 14 in dieser Studie entwickelten Pflegeindikatoren, aber auch die Items anderer zurzeit in den elektronischen Patientendokumentationen der Spitäler lokal eingesetzten Pflegeklassifikationen, in die ICNP übergeleitet, harmonisiert und für DRG-Zwecke zur Verfügung gestellt werden können (DBfK et al., 2012; Hardiker, Hoy & Casey, 2000; ICN, 2008). Den Partnern im Gesundheitswesen (Leistungserbringer, Kantone und Versicherer) wird der Erwerb einer nationalen Lizenz bei der WHO empfohlen sowie die Lancierung der Regelwerke für die Pflegedatenerhebung (Müller, 2009). Die gesetzlichen Grundlagen dafür wurden in der Schweiz bereits in den 1990er Jahren geschaffen, indem mit dem Bundesstatistikgesetz und dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung einflussreiche Bundesgesetze für das Gesundheitswesen in Kraft getreten sind (Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 1992; Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 1994).
Finanzierung Dieses Projekt wurde von der Schweizerischen Vereinigung der Pflegedienstleiterinnen und Pflegedienstleiter (SVPL) und vom Schweizer Berufsverband Krankenpflege (SBK) mitfinanziert. © 2016 Hogrefe
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Dank Wir bedanken uns bei unseren Auftraggebern, insbesondere bei Markus Wittwer und Lucien Portenier, die uns tatkräftig zur Seite standen. Diese Auftragsarbeit ist das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen der Abteilung für Praxisentwicklung des Universitätsspitals Basel, des Bereichs Fachentwicklung und Forschung des Universitätsspitals Inselspital Bern und des Zentrums Klinische Pflegewissenschaft des UniversitätsSpitals Zürich. Die Projektgruppe dankt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Einrichtungen, insbesondere den Mitgliedern des Expertengremiums, des Fachbeirats, sowie allen teilnehmenden Pflegefachpersonen, Pflegeexperten und Pflegeexpertinnen für ihre engagierte Mitwirkung. Wir danken auch Jane White für ihre Mithilfe bei der Veröffentlichung dieser Arbeit.
Beiträge der einzelnen AutorInnen MK: Planung, Rekrutierung, Datenerhebung, Datenanalyse und Manuskripterstellung DB: Planung, Datenerhebung, Datenanalyse und Manuskripterstellung TJ: Datenerhebung, Manuskripterstellung UK: Datenerhebung, Manuskripterstellung NZ: Planung, Rekrutierung, Datenerhebung, Datenanalyse und Manuskripterstellung RS: Planung, Rekrutierung, Datenerhebung, Datenanalyse und Manuskripterstellung
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Michael Kleinknecht-Dolf Direktion Pflege und MTTB UniversitätsSpital Zürich Rämistrasse 100 (PHY 6) 8091 Zürich Schweiz Tel.: +41 (0)44 255 38 82 michael.kleinknecht@usz.ch
Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie? Eine echte Herausforderung war der Zeitdruck, unter dem wir unsere Studie durchführen mussten. Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft? Wir wünschen uns, dass unsere Arbeit einen Beitrag dazu leistet, die Variabilität des Pflegeaufwands innerhalb von DRG besser zu erklären und so eine kostenwahrere Finanzierung unterstützt. Was empfehlen Sie den LeserInnen zum Weiterlesen/Vertiefen? Die sich sehr dynamisch entwickelnde Spitalfinanzierung verfolgt man am besten in entsprechenden Fachzeitschriften.
Manuskripteingang: 29.08.2014 Manuskript angenommen: 15.02.2015
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Alles was Pflegende tun auf einen Blick
Gloria M. Bulechek et al. (Hrsg.)
Pflegeinterventionsklassifikation (NIC) Deutsche Ausgabe herausgegeben von Rudolf Widmer. Übersetzt von Michael Herrmann / Ute Villwock / Rudolf Widmer / Jürgen Georg. 2015. 1120 S., 4 Abb., 1 Tab., Gb € 79.95 / CHF 99.00 ISBN 978-3-456-83298-2
NIC – Die Pflegeinterventionsklassifika-
• ordnet die einzelnen Interventionen
tion. Alles was Pflegende tun – beschrie-
übersichtlich in einer Taxonomie und
ben, definiert, standardisiert, kodiert
Klassifikation der Pflegeinterventio-
und klassifiziert in einem einzigartigen Werk über pflegerische Handlungen und Interventionen.
nen • beschreibt, wie NIC in der Praxis, Ausbildung, Forschung und im Management genutzt werden kann
Die
Pflegeinterventionsklassifikation
mit NIC-Pflegeinterventionen und pri-
• definiert und differenziert, was Pflege-
orisiert die wichtigsten Pflegeinterven-
interventionen und -aktivitäten sind • benennt und definiert 554 Pflegeinterventionen mit über 10 000 Pflegeaktivitäten • stellt die einzelnen Pflegeinterventionen in alphabetischer Reihenfolge vor, mit Titel, Definitionen, Pflegeaktivitäten, Grade-Skill-Mix und weiterführender Literatur
www.hogrefe.com
• verknüpft NANDA-I-Pflegediagnosen
(NIC)
tionen.
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Originalarbeit
Mundspülung bei oraler Mukositis im Kontext der allogenen StammzellTransplantation Eine qualitative Studie Anja Kröner1,3 (MScN, RN), Erik Aerts1 (RN), Urs Schanz1 (PD Dr.), Rebecca Spirig1,2,3 (Prof. Dr., RN) 1 2 3
UniversitätsSpital Zürich Institut für Pflegewissenschaft, Medizinische Fakultät, Universität Basel Department für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke Zusammenfassung: Hintergrund: Die orale Mukositis ist eine häufige Komplikation bei allogenen Stammzell-Transplantationen, die zu erhöhter Morbidität und Mortalität und höheren Kosten führen kann und Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten hat. Auf der StammzellTransplantationsstation eines schweizerischen Universitätsspitals werden die Patienten nach aktuellen Richtlinien zur Mundspülung angeleitet und ihr Mundstatus wird täglich erfasst. Forschungsfrage: Wie erleben die Patienten die orale Mukositis und welche Faktoren beeinflussen ihr Verhalten, die Mundspülung regelmäßig durchzuführen? Methode: In diesem qualitativen Teil einer simultan eingebetteten Mixed Methods Studie wurden 14 Patienten mittels Leitfadeninterviews befragt. Zur Datenauswertung wurde die qualitative Inhaltsanalyse eingesetzt. Ergebnisse: Die Resultate zeigen, dass sich die orale Mukositis nicht losgelöst von Krankheit, Isolation und Betreuung betrachten lässt. Sie war nur für Patienten mit einer starken Ausprägung eine große Belastung, sonst standen andere Symptome im Vordergrund. Für die regelmäßige Mundspülung, welche eine der wichtigsten präventiven Maßnahmen ist, wurden motivierende und hemmende Faktoren genannt. Schlussfolgerungen: Die Studie zeigt auf, wie wichtig es ist, die orale Mukositis im Zusammenhang mit der gesamten Transplantation zu sehen, aber auch, dass das Wissen um motivierende und hemmende Faktoren die Pflegenden bei der Betreuung der Patienten unterstützen kann. Die Förderung des Selbstmanagements ist dabei ein wichtiger Schwerpunkt. Schlüsselwörter: orale Mukositis, allogene Stammzell-Transplantation, Selbstmanagement, qualitative Forschung
Mouthrinse in oral mucositis in the context of allogeneic stem cell transplantation: a qualitative study Abstract: Background: Oral mucositis is a common side effect of allogeneic stem cell transplantation and can lead to increased morbidity, mortality and higher costs. It also has an impact on the quality of patients' lives. In the stem cell transplantation ward of a Swiss university hospital, patients are instructed according to current guidelines for mouthwash and their mouth status is evaluated daily. Research question: How do patients experience oral mucositis and what factors influence their behaviour to perform the mouth rinsing regularly? Method: In this qualitative part of a concurrent nested mixed methods research, 14 patients were interviewed using an interview guide. Data was analysed using content analysis methods. Results: The results showed that, oral mucositis cannot be viewed separately from illness, isolation and care. The mucositis was only a heavy burden for patients with a severe occurrence. For patients with lower grade occurrences, other symptoms were more important. The research identified motivating and debilitating factors for a regular mouth rinsing, which is one of the most important preventive procedures. Conclusions: This study highlights how important it is to view oral mucositis in the context of the transplantation and that knowledge about motivating and hindering factors can support the nurses in caring for the patients. Improvement of patient self-management is a key aspect. Keywords: oral mucositis, allogeneic stem cell transplantation, self-management, qualitative research
Einleitung Die orale Mukositis (OM) ist eine häufige unerwünschte Nebenwirkung im Zusammenhang mit einer allogenen Stammzell-Transplantation (SZT) und für die Patienten1 eine starke Belastung. Orale und gastrointestinale Mukositis können bei bis zu 100 % der Patienten mit einer hochdosierten Chemotherapie und SZT auftreten (Rubenstein
1
et al., 2004). Die Rate einer schweren OM erreicht 60 % bei Patienten mit myeloablativer Konditionierung, also mit Ganzkörperbestrahlung (total body irradiation: TBI); bei Patienten ohne TBI liegt sie immerhin noch bei 30 – 50 % (Sonis et al, 2004). Die ersten Zeichen einer OM sind meist 4 – 5 Tage nach Gabe der Chemotherapie sichtbar, erste Ulzera treten nach 7 – 10 Tagen auf. Sie persistieren meist etwa eine Wo-
Zur besseren Lesbarkeit wird nur die männliche Schreibweise verwendet. Weibliche Personen sind jedoch immer mit gemeint.
Pflege (2016), 29(1), 21–31 DOI 10.1024/1012-5302/a000465
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Was ist zu dieser Thematik schon bekannt? Die orale Mukositis ist bei allogener Stammzell-Transplantation häufig. Die regelmäßige Mundspülung ist eine der wichtigsten Maßnahmen. Was ist neu? Für die Durchführung der Mundspülung gibt es motivierende und hemmende Faktoren. Zu den motivierenden Faktoren gehören z. B. Erfahrungen von Vortherapien, Nutzen des Spülens zu erfahren und selber etwas zum Erfolg beitragen zu können. Hemmende Faktoren waren z. B. ein schlechter Allgemeinzustand oder keine Lust zu haben. Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflegepraxis? Mit dem Wissen um die beeinflussenden Faktoren können Pflegende Patienten gezielt unterstützen, das Selbstmanagement fördern und so das Behandlungsresultat verbessern.
che und heilen nach etwa 21 Tagen, in der Regel mit dem Wiederanstieg der Granulozyten, ab (Scully, Sonis & Diz, 2006). Zu den Symptomen einer OM gehören Schmerzen, Blutungen, Xerostomie, Geschmacksveränderungen, Fatigue, Fieber, Infektionen, Malnutrition, Anorexie und Kachexie (Wright, Feld & Knox, 2005). Es gibt verschiedene Risikofaktoren für das Auftreten einer OM, die sich in patienten- und therapiebezogene Faktoren unterteilen lassen (Barasch & Peterson, 2003). Zu den patientenbezogenen Risikofaktoren gehören ein schlechter Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG)Performance Status, in welchem der körperliche Zustand von Grad 0 (keine Einschränkungen) bis Grad 5 (Tod) eingeschätzt wird (Oken et al., 1982), weibliches Geschlecht (Blijlevens et al., 2008) und ein Körpergewicht mit Body Mass Index (BMI) > 25 (Brennan Tyler, 2011). Wichtig sind auch der Zahnstatus vor Beginn der Therapie und die Gewohnheiten der Mundhygiene (Wright et al., 2005; Ohbayashi et al., 2008; Brennan Tyler, 2011). Weitere Risikofaktoren sind ein schlechter Ernährungszustand sowie die Konsumation von Alkohol und Tabak (Brennan Tyler, 2011). Therapiebezogene Faktoren sind die Konditionierung mit TBI (Vera-Llonch, Oster, Ford, Lu & Sonis, 2007; Jones et al., 2008, Ohbayashi et al., 2008; Brennan Tyler, 2011), die höhere Dosierung der Therapie mit Melphalan oder Carmustine pro Kilogramm Körpergewicht (Blijlevens et al., 2008), ein unverwandter Spender und die Graft-versus-Host-Disease (GvHD) Prophylaxe mit Methotrexat (Vera-Llonch et al., 2007), sowie das Auftreten von OM bei vorhergehenden Therapien (Brennan Tyler, 2011). Ziel ist es, Patienten mit einem hohen Risiko für die Entstehung einer OM frühzeitig zu identifizieren (Wright et al., 2005). Das Auftreten einer OM bei Patienten mit SZT hat weitreichende Folgen. Weil sie die Funktion und Integrität der Mundhöhle zerstört, kann orale Mukositis die Lebensqualität (LQ ) der Patienten reduzieren und auch die Morbidität erhöhen (Sonis, 2004). Die Patienten können nicht essen, schlucken oder sprechen, was die sozialen Interaktionen und das emotionale Wohlbefinden beeinflusst (Borbasi et al., 2002; Peterman, Cella, Glandon, Dobrez & Yount, 2001). Für 42 % der Patienten war die orale Mukositis die © 2016 Hogrefe
A. Kröner et al.: Mundspülung bei oraler Mukositis
am meisten störende Nebenwirkung der SZT (Bellm, Epstein, Rose-Ped, Martin & Fuchs, 2000). Bei erwachsenen Patienten mit SZT, die eine hochdosierte Chemotherapie erhalten haben, benötigten 87 % eine Ernährungssonde und 80 % eine Analgesie mit Opioiden (Sonis et al., 2004). Die zusätzlichen Tage mit Fieber, Hospitalisation im Spital, Opioidgebrauch und totaler parenteraler Ernährung (TPN) führten zu höheren Spitalkosten von 42 749 US-Dollar pro Patient und die Mortalität stieg in den ersten 100 Tagen nach Transplantation signifikant an (Sonis et al., 2001). Die Erfassung der OM gelingt am besten mit einem objektiven, validierten und reproduzierbaren Messinstrument (Sonis et al., 2004; Quinn et al., 2008). Zur Erfassung der OM gibt es verschiedene Assessmentinstrumente, eines ist die World Health Organisation Oral Mucositis Assessment Scale (OMAS) (WHO, 1979). Es werden objektive, funktionale und symptomatische Variablen kombiniert, um eine Gradeinteilung der OM von 0 (keine OM) bis 4 (lebensbedrohliche OM) vornehmen zu können (Sonis et al., 2004). Ein Assessment sollte schon vor Beginn der Behandlung als Baseline-Erfassung beziehungsweise Risikoassessment erhoben werden. Dieses sollte anschließend täglich bis zum vollständigen Abheilen der OM eingesetzt werden, wobei man den Patienten auch zum Selbstassessment anleiten sollte (Quinn et al., 2008). In diversen, regelmäßig neu evaluierten Richtlinien wurden von Experten evidenzbasierte Praxisempfehlungen zur Prävention und Behandlung der OM verfasst (Rubenstein et al., 2004; Keefe et al., 2007; Harris, Eilers, Harriman, Cashvelly & Maxwell; 2007; Harris & Eilers, 2009; Lalla et al., 2014). In allen Richtlinien wird eine orale Basispflege empfohlen, welche die regelmäßige mündliche und schriftliche Schulung von Ärzten, Pflegenden und Patienten zu diesem Thema und das Assessment mit einem validierten Instrument, um Funktion, Schmerz und die Mundhöhle zu erfassen, beinhaltet. Die Zähne sollten zwei Mal täglich für mindestens 90 Sekunden mit einer weichen Zahnbürste geputzt werden und einmal täglich sollte Zahnseide genutzt werden, wenn die Zahl der Thrombozyten und Granulozyten nicht zu tief ist. Der Mund sollte mindestens vier Mal täglich mit einer Spüllösung ausgespült werden. Empfohlen werden Natriumchlorid 0,9 %, Wasser oder Natriumbikarbonat (Bensinger et al., 2008). Alkohol, Tabak und irritierende Speisen (sauer, heiß, scharf, kantig) sollten vermieden werden. Um die Lippen zu schützen, sollte eine wasser-basierte Feuchtigkeitscreme genutzt und es sollte auf eine adäquate Hydrierung der Patienten geachtet werden. Diese Maßnahmen sollten sowohl präventiv als auch zur Behandlung der OM durchgeführt werden. Bei einer bestehenden OM muss nach ärztlicher Verordnung die Analgesie mit Opioiden erfolgen (Keefe et al., 2007). Bei Patienten, welche aufgrund der OM nicht mehr essen können, braucht es Nahrungsergänzungen oder TPN (Keefe, Sonis & Bowen, 2008). Infektionen der Mundhöhle werden mit entsprechenden Medikamenten nach ärztlicher Verordnung behandelt. Pflege (2016), 29(1), 21–31
A. Kröner et al.: Mundspülung bei oraler Mukositis
Alternativ zu den genannten Spüllösungen werden fortlaufend neue Produkte evaluiert. Eines davon ist Caphosol®, eine übersättigte Calcium-Phosphat-Elektrolytlösung zur Prophylaxe und Behandlung der oralen Mukositis. Beide Komponenten werden unmittelbar vor der Anwendung im Verhältnis 1:1 gemischt. In bisher dazu durchgeführten Studien (Papas et al., 2003; Wasko-Grabowska et al., 2011; Markiewicz et al., 2012) zeigten sich vielversprechende Resultate, wobei Wasko-Grabowska et al. (2011) eine retrospektive Kontrollgruppe nutzten, und Markiewicz et al. (2012) in der Kontrollgruppe mehrere Spüllösungen verwendeten, sodass die Resultate noch nicht aussagekräftig genug sind und ein möglicher Nutzen nicht eindeutig bewiesen ist.
Patientenverhalten bei oraler Mukositis In der Literatur finden sich einige wenige Studien, welche das Erleben der Patienten mit OM erfassen (Bellm et al., 2000; Borbasi et al., 2002; Brown et al., 2009). Für 42 % der Patienten war die OM die am meisten störende Nebenwirkung der SZT, da sie nicht essen, schlucken, trinken und sprechen konnten (Bellm et al., 2000). Einige Patienten berichteten auch über vermehrte Schleim- und Speichelbildung, das Gefühl einer Maulsperre und Schlafstörungen als Komplikation einer OM (Bellm et al., 2000). Brown et al. (2009) konnten mit ihrer sekundären Datenanalyse zeigen, dass die Ausprägung und der Distress einer OM assoziiert sind mit Fatigue, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit und Angst. In der qualitativen Studie von Borbasi et al. (2002) zeigte sich, dass die OM die LQ der Teilnehmenden auch nach der Transplantation noch beeinflusste, da es zu chronischen Verläufen kommen kann. Auch in der Multizenterstudie von Cheng et al. (2010) mit Patienten mit verschiedenen Chemotherapien und/oder Radiotherapie zeigte sich, dass eine schwere OM starke Schmerzen und orale funktionelle Unfähigkeit mit klinisch signifikanter Beeinträchtigung der LQ verursacht. Das Selbstmanagement von Patienten mit OM ist noch wenig untersucht. Larson et al. (1998) haben das PROSELF© Mouth Aware (PSMA) Programm entwickelt, welches das Selbstmanagement der Patienten bei der Mundpflege und der regelmäßigen Inspektion ihrer Mundhöhle fördern und verbessern soll. Es besteht aus drei Dimensionen: gezielte Information, Selbst-Pflege-Aktivitäten und pflegerische Unterstützung. Es zeigte sich in einer randomisierten, kontrollierten Studie mit 222 Patienten, dass der Einsatz des PSMA die Inzidenz der OM von 44 % auf 26 % reduzieren konnte (Dodd et al., 1996). Allerdings waren es keine Patienten mit allogener SZT. In einer explorativen Studie mit 45 ambulant behandelten Patienten, welche ein orales Pflege-Tagebuch führten, zeigte sich, dass es annehmbar und brauchbar war und das Bewusstsein für orale Symptome und die Mundpflege verbessert hat (Miller et al., 2006). Sonst findet sich zum Selbstmanagement und zum Verhalten der Patienten keine Literatur. Pflege (2016), 29(1), 21–31
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Management der oralen Mukositis auf der Stammzell-Transplantationsstation Auf der Stammzell-Transplantationsstation (SZTS) eines schweizerischen Universitätsspitals, auf der jährlich ca. 50 allogene Transplantationen durchgeführt werden, erhalten die Patienten schon vor dem Eintritt Informationen zum Symptom der OM und der präventiven Maßnahmen, und der Zustand der Mundhöhle der Patienten wird ab dem Eintrittstag regelmäßig vom Pflegefachpersonal erfasst und beurteilt. Dazu wird das von der European Group for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) auf Patienten mit SZT zugeschnittene Assessmentinstrument, das Prospektive Orale Mukositis Audit (POMA, 2004), genutzt. Dieses ist an die OMAS der WHO angelehnt, zusätzlich werden die Variablen Blutungen, Erhebungen, Speichelproduktion und Fieber erfasst. In einem zweiten Schritt kann der Patient die Ausprägung der Symptome Schmerz, Trockenheit der Mundschleimhaut, Schluckbeschwerden und Geschmacksempfinden angeben. Sowohl die präventiven Maßnahmen als auch diejenigen zur Behandlung der OM entsprechen auf der SZTS den evidenzbasierten Standards wie sie in der Basispflege beschrieben wurden. Alle Pflegenden auf der SZTS werden regelmäßig zur Einschätzung der Mundhöhle mit dem POMA geschult, um die Interrater-Reliabilität zu erhöhen. Für die Umsetzung dieser evidenz-basierten Standards ist die Erstautorin zuständig, welche als Pflegeexpertin für Hämatologie und Onkologie im Spital arbeitet. Mit dem Beginn einer quantitativen Vergleichsstudie von Mundspüllösungen fiel auf, dass die Patienten sehr unterschiedliche Verhaltensweisen in Bezug auf das Spülen des Mundes zeigten. Ziel dieser qualitativen Teilstudie, die wir als Teil einer Mixed Methods Forschung durchführten, war es daher, zu erfahren, welche Faktoren das Verhalten der Patienten mit allogener SZT beeinflussen, die Mundspülung regelmäßig durchzuführen, da dazu in der Literatur noch nichts bekannt ist. Zudem wollten wir explorieren, wie Patienten die OM und die SZT erleben.
Methode und Material Design Bei dieser qualitativen Studie handelte es sich um eine simultan eingebettete Teilstudie einer Mixed Methods Forschung (Creswell, 2003). Im quantitativen Teil wird die state-of-the-art Mundspüllösung (filtriertes Wasser, Standard) mit der Mundspüllösung Caphosol® (Caphosol®, Intervention) verglichen (Clinical Trials.gov: NCT01758562). Die qualitativen Interviews wurden nach Beobachtungen der Mundspülungen in der Praxis kurz nach dem Start der quantitativen Teilstudie geplant und eingebaut. Damit konnten wir das Verhalten der Patienten und die mögli© 2016 Hogrefe
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chen beeinflussenden Faktoren für das Durchführen der Mundspülung vertieft explorieren.
Untersuchungsort
Hälfte der Personen mit Konditionierung mit TBI. Bei einer Zusage wurden die Daten der Patienten an die Erstautorin weitergeleitet, welche als Pflegeexpertin für diese Patientengruppe zuständig ist, jedoch nicht in der direkten Pflege eingebunden war.
Die Studie wurde auf der SZTS eines schweizerischen Universitätsspitals durchgeführt.
Datensammlung
Untersuchungsgruppe Für die Interviews haben wir 14 Patienten (sieben aus der Standard- und sieben aus der Interventionsgruppe) eingeschlossen, welche bereits am quantitativen Teil der Studie teilgenommen hatten, und die zusätzlich ihre schriftliche Einwilligung zur Teilnahme an einem Interview gegeben hatten. Die Patienten mussten die deutsche Sprache verstehen und sprechen.
Zugang und Rekrutierung Die Patienten wurden vom Abteilungsleiter im Rahmen ihres Aufenthalts auf der SZTS von Juni 2013 bis Juni 2014 angefragt und nach dem vollständigen Abheilen der OM im Rahmen der Nachbetreuung bis Tag + 100 nach SZT für die Teilnahme an einem Interview angefragt. Hierbei wurde mit einer zielgerichteten Patientengruppe gearbeitet. Es sollten möglichst sieben Frauen und sieben Männer sein, je Sieben aus jeder Spülgruppe und möglichst die
Zur Datensammlung führte die Erstautorin Interviews mit einem Leitfaden, der sich an der bearbeiteten Literatur und den Beobachtungen der Pflegenden orientierte. Die Patienten wurden zur OM, zum Erleben derselben, zu beeinflussenden Faktoren der Mundspülung und zu weiteren Symptomen der SZT befragt, mit Fragen wie: «Wie hat sich ihr Mund im Gegensatz zu vorher verändert?» oder «Konnten Sie die häufigen Mundspülungen problemlos durchführen?» Die Erstautorin führte mit jedem Patienten ein Gespräch, welches aufgenommen und transkribiert wurde. Die Gespräche dauerten zwischen 15 und 35 Minuten. Nach dem 3., 7. und dem letzten Interview wurden die Transkripte von der Erst- und der Letztautorin besprochen und der Interviewleitfaden wurde angepasst.
Datenanalyse Das Erleben und Verhalten der Patienten wurde mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2008) ausgewertet. Die Inhaltsanalyse will Kommunikation analysieren. Mit einem systematischen, regel- und theoriegeleite-
Tabelle 1. Teilnehmende der Interviews. Geschlecht
Alter
Spüllösung
Konditionierung
Erkrankung
Maximale Ausprägung der OM nach WHO
Weiblich
49
Caphosol®
Myeloablativ
Leukämie
3
Männlich
37
®
Caphosol
Reduziert
Mycosis fungoides mit Übergang in T-Zell-Lymphom
1
Männlich
63
Wasser
Reduziert
Myeloisches Sarkom des rechten Acetabulums
0
Weiblich
28
Caphosol®
Myeloablativ
Leukämie
3
Männlich
70
Wasser
Reduziert
Leukämie
0
Weiblich
25
Wasser
Myeloablativ
Leukämie
4
Männlich
67
Caphosol®
Reduziert
Myelodysplastisches Syndrom
1
Männlich
64
Wasser
Reduziert
Leukämie
1
Männlich
47
Caphosol®
Reduziert
Leukämie
0
Männlich
59
Caphosol®
Reduziert
Leukämie
1
Männlich
42
Wasser
Myeloablativ
Leukämie
2
®
Männlich
52
Caphosol
Reduziert
Multiples Myelom
0
Weiblich
53
Wasser
Myeloablativ
Leukämie
3
Männlich
46
Wasser
Myeloablativ
Leukämie
4
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Pflege (2016), 29(1), 21–31
A. Kröner et al.: Mundspülung bei oraler Mukositis
ten Vorgehen sollen Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation gezogen werden (Mayring, 2008). Drei Grundformen der Analyse wurden angewandt: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung. Bei der Zusammenfassung wurde das Material so reduziert, dass die wesentlichen Inhalte erhalten blieben. In der Explikation wurde zu einzelnen fraglichen Textstellen (Begriffen, Sätzen) zusätzliches Material herangetragen, um das Verständnis zu erweitern und die Textstelle zu erläutern. Die Strukturierung diente dazu, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern und das Material aufgrund bestimmter Kriterien zu gliedern. Dabei wurden die Interviews Zeile für Zeile durchgearbeitet und in einer 1. Reduktion zunächst bedeutungsgleiche Phrasen gestrichen, bei einer 2. Reduktion wurden die Phrasen auf das gleiche Abstraktionsniveau gebracht, im nächsten Schritt wurden die Aussagen in einem neuen Kategoriensystem zusammengestellt und diese Kategorien wurden anschließend am Ausgangsmaterial wieder rücküberprüft. Die Analyse wurde parallel zur Datensammlung mit Hilfe des Computerprogramms ATLAS.ti (Version 7.5.2) von der Erstautorin durchgeführt. Wenn sich im Verlauf der Analyse neue Fragen ergaben, wurde der Interviewleitfaden entsprechend erweitert. Zur Qualitätssicherung der Analyse fand ein regelmäßiger Austausch zwischen den Autoren statt. Eine erste Kategorienbildung wurde von allen Autoren überprüft, weitere Analyseschritte wurden von Erst- und Letztautorin vorgenommen. Die abgeschlossene Analyse wurde erneut mit allen Autoren diskutiert und angepasst.
Ethische Überlegungen Die Studie wurde von der Kantonalen Ethikkommission bewilligt.
Ergebnisse Während der Durchführung des quantitativen Studienteils mit 72 Teilnehmenden (42 Männer und 30 Frauen) mit allogener SZT wurden Interviews mit vier Frauen und zehn Männern zwischen 25 und 70 Jahren (Median 50,5) geführt. Bei drei Interviews waren die Ehepartner anwesend. Die genaue Beschreibung der Teilnehmenden ist Tabelle 1 zu entnehmen. Aus der Analyse der Interviews geht hervor, dass die Teilnehmenden die OM im Rahmen der vielen Belastungen und Symptome durch die Therapie während ihrer Zeit auf der SZTS erleben. Die OM stellt nur für Betroffene mit einer Ausprägung Grad 3 und 4 eine große Belastung dar. In den Interviews kristallisierten sich motivierende und hemmende Faktoren zum Mundspülen heraus. Die in der Analyse gebildeten drei Hauptkategorien und ihre Unterkategorien werden im Folgenden vertiefend erläutert. Pflege (2016), 29(1), 21–31
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Die orale Mukositis im Kontext der Stammzell-Transplantation Die belastende Behandlung Die OM ist eines der Symptome der Behandlung mit einer hochdosierten Chemotherapie und der anschließenden SZT, welche eine komplexe Therapie mit vielen Auswirkungen auf den Betroffenen ist. Die am häufigsten genannten Symptome waren Müdigkeit, Übelkeit, Appetitlosigkeit sowie Kraft- und Energielosigkeit. Ein Patient drückte es folgendermaßen aus: «Die große Müdigkeit, da ist es mir eigentlich am schlechtesten gegangen, eine Woche, wo ich wirklich gar nichts mehr mochte und für alles zu müde [war] … Gerade noch so atmen (schnuufe) und sonst …» (TN 02, 1, 6 – 8) Aber auch starke Gewichtszunahme durch Wassereinlagerungen und die Belastung durch die TBI wurden mehrmals genannt. Die OM war nur für Teilnehmende eine Belastung, die eine Ausprägung Grad 3 und 4 nach WHO erlebten. Dies war ausschließlich bei Patienten mit einer myeloablativen Konditionierung der Fall. Die Zeit der Isolation Ein Thema, welches von fast allen Teilnehmenden angesprochen wurde, obwohl dazu im Interviewleitfaden keine Fragen formuliert waren, war die Unterbringung in der Isolation. Dabei wurden verschiedene Aspekte deutlich. Ein Patient sagte: «Mmh … Das Eingesperrt-Sein eigentlich … im Zimmer drin. Das war eigentlich das größte Problem. Also ich habe es auch gut überstanden, aber das war schon das … Dass man die Fenster nicht aufmachen konnte … Man hat rausgesehen, aber nichts gehört, oder? Das ist schon … ja.» (TN 03, 1, 7 – 10) Ein anderer Patient sah in der Isolation auch etwas Positives: «Also ich habe mich eigentlich durch die ganze Therapie sehr wohl gefühlt, und eben, wie gesagt, es gibt so eine gewisse Geborgenheit da drinnen, es ist ein Einzelzimmer, das ist sehr wichtig, der Patient braucht die Ruhe, die braucht er, dann die Isolation, die muss sein, oder?» (TN 11, 4, 156 – 158) Dieses Kontinuum zwischen Eingesperrt-Sein und Geborgenheit in der Isolation wurde auch in den Gesprächen mit den anderen Teilnehmenden deutlich. Das freudlose Essen Die Ernährung war der Aspekt, der durch die SZT am stärksten beeinflusst wurde. Zum einen durch Symptome wie Übelkeit und Appetitlosigkeit, zum anderen durch Probleme durch die OM. TN 01 äußerte: «Äh nein, aber das war auch nicht nur wegen dem Mund. Es war allgemein so, ich hatte keinen Appetit und Übelkeit, und so konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich esse. Auch wegen dem Geschmack und anderen Sachen, oder?» (TN 01, 1, 23 – 2 5) Aber auch die Schmerzen im Mund konnten Probleme mit der Ernährung verursachen: «Es ging alles, aber manchmal hatte ich mit dem Schmerz Probleme, von daher, weil man musste dann auf die andere Seite [vom Mund] gehen, von daher war das auch ein bisschen so sage ich mal, unangenehm.» (TN 09, 2, 53 – 55) Für Teilnehmer 14 war das die größte Belastung: «Das Belastendste für mich ist gewesen, dass ich nicht mehr trinken und essen konn© 2016 Hogrefe
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te.» (TN 14, 1, 11 – 12) Durch die Spätsymptome der OM war die Ernährung auch noch lange nach dem Abheilen der OM erschwert. Die Betreuung der Betroffenen Die Betreuung der Patienten, sowohl durch ärztliches als auch durch pflegerisches Personal, hat während der Zeit der SZT in der Isolation nochmal einen anderen Stellenwert. Ein Aspekt, der sehr positiv bewertet wurde, war die Konstanz in der Betreuung: «Nein, also, es ist super gewesen, von der Pflege, absolut der Hit gewesen. Ich muss sagen, ich war im Vorfeld etwas kritisch, nach XX zu gehen. […] Ich habe ich ein wenig schlechte Erfahrungen gemacht, da habe ich ein bisschen Bammel gehabt, und gedacht, eben, mit den Stammzellen und dann bist du isoliert und XX und eine Nummer … Aber ich muss sagen, es war absolut der Hit, die Betreuung! Sehr gut, eben, die ganze Betreuung, eben von Pflegepersonal über Ärzte alles, eben, das war eine super Sache. Und auch jetzt mit der Kontrolle, dass man eigentlich den gleichen Arzt hat, der einen betreut, da ist ein bisschen eine Konstanz drin, und etwas wo ein Vertrauensverhältnis aufbaut.» (TN 02, 3, 105 – 111 u. 118 – 121) Auch die Konstanz des Pflegefachpersonals, wie sie durch das Bezugspflegesystem gewährleistet wird, wurde sehr geschätzt. Ein weiterer Aspekt, der hervorgehoben wurde, war die Fachkompetenz des Personals: «Das Fachwissen von den Pflegenden, das hat mir brutal viel Sicherheit gegeben. Sie sind sehr kompetent, also für mich ist dort drüben fast jede Pflegende ein Arzt gewesen!» (TN 14, 3, 97 – 99) Für die Teilnehmenden war es eine große Hilfe, dass der Ablauf der Transplantation und die möglichen auftretenden Symptome schon bevor diese überhaupt auftraten, angesprochen und erklärt wurden, sodass sie sich darauf einstellen konnten. Die Aufklärung der Patienten wurde ebenfalls positiv wahrgenommen: «Ja, ich hatte ganz viele Broschüren gekriegt, wo man in Ruhe lesen konnte, auch wenn man es nicht versteht, wieso, weshalb, es steht alles in der Broschüre, wirklich alles gut geschrieben, und sonst konnte man immer wieder fragen, nachfragen, man bekommt immer Antwort […] Und es wurde wieder schön erklärt, also Informationen gibt es genug. Auch mündlich und schriftlich ausreichend.» (TN 01, 2, 93 – 96) Die Kombination von mündlicher und schriftlicher Information scheint das Informationsbedürfnis der Patienten gut abzudecken.
Die vielfältigen Symptome der oralen Mukositis Die Symptome der OM waren vielfältig und auch bei Teilnehmenden ohne starke Ausprägung vorhanden. Fast alle Befragten erwähnten Mundtrockenheit und Geschmacksveränderungen, teilweise auch Schluckbeschwerden, ohne dass sich die Mundschleimhaut visuell verändert hatte. Am drastischsten wurden die Symptome jedoch von Teilnehmenden mit starker Ausprägung beschrieben. Eine Frau mit OM Grad 4 sagte: «Also der ganze Mund war offen, an den Seiten, unter der Zunge, ja, das war halt alles offen. Und Schmerzen, so dass ich nicht mehr richtig essen konnte und so halt auch keine säurehaltigen Sachen mehr, so was halt, und dadurch auch keine © 2016 Hogrefe
A. Kröner et al.: Mundspülung bei oraler Mukositis
Zähne putzen mehr, dadurch dass ich mir das dann noch mehr oben am Zahnfleisch oder so aufreiße.» (TN 06, 1, 9 – 14) Ein Mann mit OM Grad 2 beschrieb es folgendermaßen: «Ja, einfach die Zunge so beschlagen, und ums Zahnfleisch herum und der Gaumen und auf der Seite, die Wange, das Zeug ist einfach alles so weiß gewesen und ein bisschen aufgeschwollen, oder, so Sachen, hatte ich, Geschmacksveränderung, das ist klar, das gehört auch immer dazu, aber nicht, dass ich jetzt irgendwo Blutungen gehabt hätte.» (TN 11, 1, 32 – 35) Ein weiterer Teilnehmender mit OM Grad 4 äußerte: «Ich hatte wie eine dreifache Zunge im Mund gehabt, ich konnte nicht reden, nichts. Und sobald ich an einer Ecke angekommen bin, hat es … Es ist einfach unangenehm gewesen … In den Mund rein habe ich natürlich nicht gesehen, oder, es war einfach alles aufgeschwollen, ich habe da wie zwei Hamsterbacken gehabt, wie zwei Hamstersäcke, und Stückchen sind auch rausgekommen da zum Hals raus, also aus der Halsröhre raus hatte ich einmal so ein vier Zentimeter langes, wie die Haut von der Speiseröhre, ist grad rausgekommen.» (TN 14, 1, 34 – 3 7) Anhand dieser Aussagen wird deutlich, wie sehr eine stark ausgeprägte OM die Befindlichkeit beeinträchtigen kann. Die Dauer der stärksten Ausprägung wurde von den Teilnehmenden mit 7 – 14 Tagen angegeben. Zwei Teilnehmende waren Prothesenträger. Während der Zeit der Aplasie sollten die Prothesen wenn möglich nur zum Essen eingesetzt werden, beide Teilnehmenden trugen die Prothesen jedoch immer und nahmen sie nur für die Mundspülung heraus. Dies ging bei beiden Patienten problemlos: «Ja, ich habe keine Probleme gehabt. Ich denke, jemand mit Zähnen hat eher Probleme. Ich kann ja das Gebiss herausnehmen, es hat keine Schrauben und Dübel oder so. Von dem her ist es wahrscheinlich ideal, mit den Zähnen hat man immer etwas Infiziertes. Beim Kortison habe ich dann schon gemerkt, wie alles ein wenig aufschwillt und abhebt, aber das ist auch gut gegangen. Und ich denke eben, wenn ich es herausgenommen hätte die ganze Zeit, dass es nachher nicht mehr gepasst hätte.» (TN 07, 4, 157 – 164) Beide Patienten hatten jedoch nur eine OM Grad 0 bzw. 1 nach WHO. Möglicherweise kann man bei guter Mundpflege und nicht allzu ausgeprägter OM die Prothese belassen, und so das Wohlbefinden der Patienten verbessern und die Passform erhalten. Zum Zeitpunkt der Interviews war bei allen Gesprächspartnern die sichtbare OM vollständig abgeklungen, die meisten hatten jedoch trotzdem noch Spätsymptome, vor allem Mundtrockenheit und Geschmacksveränderungen hielten noch lange an. TN 06 äußerte: «Es ist immer noch ungewohnt, aber das ist, weil die Schleimhäute noch sehr arbeiten und sich noch …, und mein Speichel ist halt auch noch sehr zähflüssig und Geschmack ist so teils teils, also ich konnte jetzt eine Zeit lang nichts Süßes essen, also keine Schokolade, gar nichts, das hat mir gar nicht geschmeckt, also überhaupt nicht, das wird jetzt so langsam erst besser.» (TN 06, 3, 123 – 127) Ähnlich erging es auch TN 13: «Ja, das ist ganz anders. Ich habe immer noch einfach wenig Speichel, das habe ich, und durch das habe ich keine … Also auch das Essen schmeckt natürlich nicht gleich mit weniger Speichel.» (TN 13, 3, 129 – 130) Dies zeigt deutlich, dass subjektive Beschwerden auch nach dem vollständigen Abheilen der OM noch länger anhalten und das Befinden und die Ernährung beeinträchtigen können. Pflege (2016), 29(1), 21–31
A. Kröner et al.: Mundspülung bei oraler Mukositis
Motivation zum Spülen haben Das regelmäßige Spülen des Mundes gilt als sicherste Maßnahme, sowohl zur Prävention als auch als Intervention bei bestehender OM. Es gab verschiedene Faktoren, welche die Motivation zum Spülen begünstigten. Erfahrungen von den Vortherapien haben Zwei Teilnehmende hatten Erfahrungen mit OM während der Vortherapien gemacht. Diese waren ein Grund, um diesmal zuverlässig zu spülen. TN 04 sagte: «In XX hatte ich den Mund ziemlich stark offen alles, und durch das habe ich dann eben gefunden, diesmal muss ich jetzt [spülen], mal schauen, wie es ist. Und ich denke, es hat viel gebracht.» (TN 04, 2, 96 – 98) Den Nutzen des Spülens erfahren Einige der Teilnehmenden bemerkten einen Nutzen durch das Spülen, der sie motivierte, weiter so regelmäßig zu spülen. Ein Patient erklärte: «Ja, ich denke es. Das [Spülen] ist sicher wichtig gewesen. Weil ich sage jetzt mal, ich habe meistens vier Mal am Tag gespült, mit der Sanduhr, und ich denke, das ist auch ein wesentlicher Mitgrund, dass ich nicht noch mehr hatte im Mund. Weil es hat immer durch die gewisse Trockenheit, mit Sprudeln und ein bisschen Gurgeln und so hat es halt alles dann aktiviert und befeuchtet. Also ich sage, es hat sicher einen Vorteil gehabt.» (TN 11, 2, 87 – 91) Selber etwas zum Erfolg beitragen Für einige der Teilnehmenden war das regelmäßige Spülen des Mundes das Einzige, was sie zum Erfolg der SZT beitragen konnten, und daher bemühten sie sich, es regelmäßig durchzuführen. TN 02 sagt dazu: «Eben, man kann nicht viel beitragen zu der ganzen Therapie und das waren dann einfach so Punkte, wo ich gesagt habe, da kann ich, das ist das wo ich etwas dazu beitragen kann und das muss sein und dann hast du dich halt auch einfach gezwungen, zu spülen halt, weil das ist auch etwas Weniges, wo du machen kannst, und dann musst du das machen.» (TN 02, 1, 29 – 33) Das Patiententagebuch führen Im Rahmen der Studie wurde allen Patienten ein Patiententagebuch gegeben, in welchem sie die täglich durchgeführten Spülvorgänge ankreuzen konnten. Dies wurde von den meisten Patienten als hilfreich empfunden. Ein Teilnehmender sagte: «Nein, es ist schon eine Hilfe, es diszipliniert einen. Sonst wissen sie abends nicht mehr, wann sie gespült haben.» (TN 05, 4, 159 – 160) Ein anderer Patient äußerte: «Doch, finde ich schon, weil es ist teilweise, man merkt, wenn man so am Sprudeln ist merkt man, da fehlt jetzt ein Kreuz, dabei habe ich doch schon zwei Mal gemacht. Es ist so ein bisschen der rote Faden, wo man auch ein bisschen sieht, man ist dran. Weil ich denke, wenn gar nichts da wäre, würde man es eher vergessen.» (TN 11, 3, 106 – 109) Caphosol® zum Spülen anwenden Das Spülen mit dem Produkt Caphosol® wurde von den Patienten ebenfalls als Motivation angeben. TN 10 sagte: «Weil es mit Wasser … habe ich das Gefühl, ich spüle mit etwas, Pflege (2016), 29(1), 21–31
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was vielleicht nicht so viel bringt, ja, es ist nur Wasser (lacht). Und hier habe ich jetzt noch eher das Gefühl gehabt, weil es einen Geschmack hat, dass man einfach vom Geschmack her eine Wirkung merkt, einfach vom Geschmack her schon. Da hat man das Gefühl, es nützt. Und beim Wasser … Es ist halt einfach nur Wasser! Einfach vielleicht auch psychologisch, es schmeckt nach etwas, und dann wirkt es auch!» (TN 10, 3, 115 – 119) Ein anderer Teilnehmender führte noch einen anderen Grund an: «Einfach so ein bisschen, es gibt einem noch das Gefühl, es ist etwas Spezielles, und wenn man da noch Mischen kann und so, das ist noch cool …» (TN 02, 1, 47 – 49) Es zeigt sich hier deutlich, dass der Umgang mit dem Produkt, wie das Mischen der Substanz unmittelbar vor dem Spülen aus zwei Ampullen, und der Geschmack oder auch das Wissen, dass es sich hier um ein Medikament handelte, die Motivation der Teilnehmenden förderte. Ein anderer Patient erwähnte sogar noch einen weiteren Vorteil, den er dem Caphosol® zuschrieb: «Also der Zahnstein hat sich abgelöst, vor allem da bei den unteren Schneidezähnen, und die sind immer stark verkrustet, und das ist alles weg. Ja, also ich gehe jetzt mal davon aus, das ist mir jetzt einfach aufgefallen. Weil bei der anderen Chemo ist der Zahnstein nicht weggegangen, und jetzt mit dieser Spülung ist das weg.» (TN 10, 4, 181 – 185)
Schwierigkeiten beim Spülen haben Ebenso wie es verschiedene motivierende Faktoren gab, den Mund regelmäßig zu spülen, wurden in den Interviews auch Faktoren deutlich, welche das regelmäßige Spülen schwierig gestalteten. Sich in schlechtem Allgemeinzustand befinden Durch die hochdosierte Therapie und deren unerwünschten Wirkungen ging es vielen Patienten vom Allgemeinzustand her schlecht. Dies beeinflusste natürlich auch die Häufigkeit des Spülens. Ein Patient äußerte: «Ja, es ist einfach so, empfehlen kann man es schon, aber ob man selber im Stande ist, an den schlechten Tagen, und das Übelkeitsgefühl ständig, oder? Man ist ja auch schwach auf den Beinen, die Beine sind wie Blei, und dann muss man noch zum Waschbecken und so … Und eben die Müdigkeit, Übelkeit, Müdigkeit, keine Energie … Sobald ich Energie hatte, habe ich vier Mal erfüllt am Tag, oder auch mal drei Mal, aber sonst mit Mühe einmal oder zwei Mal …» (TN 12, 2, 50 – 54) Dies deckt sich mit den Aussagen von anderen Teilnehmenden. Die Kumulation verschiedener Symptome machte es schwierig, noch die Energie aufzubringen und regelmäßig den Mund zu spülen. Die vielen Schläuche herumtragen Ein weiterer Hinderungsgrund für viele Patienten waren die vielen Infusionsleitungen, die sie jedes Mal zum Waschbecken mitnehmen mussten, um zu spülen. Ein Patient erklärte es folgendermaßen: «Ja, ich muss sagen, es ist auch gewesen, man ist ja doch ein bisschen handicapiert in dem Zimmer, ich konnte ja nicht so recht laufen, und dann war man noch mit dem Schlauch angebunden gewesen, und dann wäre man vielleicht auch einmal mehr gegangen, wenn man frei ge© 2016 Hogrefe
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wesen wäre. Das mühsame Gehen, und ich musste ja mit den Stöcken gehen, und dann mit den Kabeln, und die durften nicht an den Boden runterkommen … und da ist man vielleicht schon nur gerade das Minimum gegangen, wo man musste. Ich habe auch schon drei Mal gemacht statt vier Mal. Mmh.» (TN 03, 2, 96 – 102) Eine andere Patientin sagte: «Ja, man hat einfach keine Lust, aufzustehen und zu spülen, halt eben mit den ganzen Leitungen, dann muss man die ganzen Leitungen wieder mit nach hinten nehmen, um spülen zu können, das ist dann schon ein bisschen mühsam …» (TN 04, 4, 154 – 156) Es zeigt sich hier, dass auch ganz einfache Gegebenheiten als hemmender Faktor wahrgenommen werden. Keine Lust haben Einige Patienten äußerten auch, dass sie einfach keine Lust zum Spülen hatten. Eine Patientin sagte: «Ich hatte nicht so große Lust zum Spülen und ich habe mir wirklich Mühe gegeben, nur dass ich diese vier Mal am Tag spüle, die mindestens …» (TN 01, 2, 71 – 72) Den Geschmack von Caphosol® empfinden Der Geschmack von Caphosol® wurde von einigen Patienten aus der Interventionsgruppe als unangenehm empfunden, vor allem mit Zunahme der Geschmacksveränderungen. Ein Patient sagte: «Während dem Nehmen ist es schon … Und am Schluss ist es mir auch Widerstanden, ich habe dann auch nur noch zwei Mal.» (TN 07, 3, 151 – 152) Ein anderer beschrieb es so: «Ja, es ist so ölig, das andere, so ein öliger Geschmack, aber man kann es schon machen, es ist nicht tragisch!» (TN 12, 2, 78 – 79) Für die meisten war der leicht salzige Geschmack jedoch kein Grund, der sie am Spülen gehindert hätte. Die Temperatur von Caphosol® empfinden Bei einigen Interviews wurde deutlich, dass die Teilnehmenden kalte Getränke und Speisen bevorzugten. Dies wurde dann auch im Hinblick auf das Caphosol® deutlich, da dieses nicht gekühlt werden sollte und bei Raumtemperatur gelagert wird. Ein Patient beschrieb das so: «Ja, das war einfach … Ich habe immer das Übelkeitsproblem gehabt. Jetzt habe ich es auch, sie haben gesehen, ich habe noch nicht gegessen. Ich lasse alles abkühlen, ich habe im Moment ein Problem mit warm Essen. […] Ja, ich denke eigentlich, es [Caphosol®] ist ja geschmacksneutral. Aber es ist so, wie soll ich sagen, so warm … es ist noch schwierig. Eben, so warm, so warm, es ist nicht frisch aus dem Hahn, das kann man ja selber dosieren, und ich würde immer kalt!» (TN 12, 1, 26 – 2 8 u. 2, 87 – 89) Eine andere Patientin, die in der Wassergruppe war, sagte: «Nein, also für mich war es so super mit den Eiswürfeln noch zusätzlich, dass ich die zwischendrin mal gelutscht habe oder wirklich kaltes Wasser mit Eiswürfeln, das war jetzt wirklich am besten. Also ich glaube nur Wasser, also nur das warme Wasser, das hätte ich schon wieder … Also wenn es richtig kaltes Wasser ist, dann ist das gut.» (TN 06, 4, 170 – 173) Die Präferenz von ganz kalten Flüssigkeiten oder sogar Eiswürfeln wird immer wieder deutlich, sowohl bei Patienten mit einer starken Ausprägung der OM als auch bei einer leichten OM. © 2016 Hogrefe
A. Kröner et al.: Mundspülung bei oraler Mukositis
Diskussion Unseres Wissens ist dies die erste Studie, die beeinflussende Faktoren zur Mundspülung bei Patienten mit allogener SZT untersucht. Die Resultate zeigen, dass sich die OM nicht losgelöst von Krankheit, Isolation und Behandlung betrachten lässt und dass es vielfältige Einflussfaktoren gibt, die das Spülverhalten der Patienten beeinflussen. Das Erleben der OM von Patienten mit allogener SZT wurde zum Teil in der Studie von Bellm et al. (2000) exploriert. Unsere Studie zeigt zudem, dass die Förderung des Selbstmanagements der Patienten ein wichtiger Aspekt zu sein scheint. Die von uns befragten Patienten betonten, viele Symptome durch die Behandlung zu erleben. Im Unterschied zur Studie von Bellm et al. (2000), in welcher die Teilnehmenden als größte Belastung die OM, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö genannt hatten, wurden in unserer Studie als belastende Symptome Müdigkeit, Übelkeit, Appetitlosigkeit, die OM und massive Ödeme genannt. Die TBI als ein Aspekt der Transplantation wurde ebenfalls als sehr belastend erlebt. Ein weiterer Aspekt, der von allen Teilnehmenden angesprochen wurde, war die Unterbringung in der Isolation, die unterschiedlich erlebt wurde. Dies zeigt sich auch in der qualitativen Studie von Campbell (1999), die Interviews mit fünf Patienten mit hochdosierter Chemotherapie in protektiver Isolation geführt hat. Die Isolation war für alle Patienten ein wichtiges Thema, sie wurde allerdings weniger traumatisch empfunden, als sie es sich vorgestellt hatten und der Aspekt des Schutzes und das «Heraushalten von Keimen» standen im Vordergrund. In einer phänomenologischen Studie von Cohen, Ley und Tarzian (2001), in welcher Interviews mit 20 Patienten mit autologer SZT geführt wurden, zeigte sich, dass die Patienten sich physisch, aber auch emotional allein gelassen fühlten durch die Isolation. Die Präsenz von Pflegefachpersonal oder anderen medizinischen Diensten verbesserte die Situation für die Patienten. Im Hinblick auf solche Resultate ist es sicher wichtig, den Patient in der protektiven Isolation sehr gut über Sinn und Nutzen derselben aufzuklären und als Fachperson regelmäßig präsent zu sein. Eine große Hilfe dabei ist sicherlich die von den Patienten positiv bewertete Konstanz in der Betreuung, sowohl von ärztlicher als auch von pflegerischer Seite. Die Zeit der Aplasie, in welcher die Patienten die stärkste Ausprägung aller unerwünschten Wirkungen erleben, umfasst eine relativ kurze Phase im Verlauf der Erkrankung im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen, dennoch ist es sicher wichtig, die Selbstmanagementfähigkeiten der Patienten zu fördern. Lorig und Holman (2003) beschreiben sechs Kernfähigkeiten, welche für das Selbstmanagement von großer Relevanz sind: die Fähigkeit zur Problemlösung, Entscheidungsfindung, Ressourcenfindung und -nutzung, zur Partnerschaftsbildung mit Gesundheitsanbietern, zur Aktionsplanung und die Fähigkeit zum Transfer in die eigene Situation. Diese Fähigkeiten müssten bei den Patienten geweckt und gefördert werden. Nur so lässt sich eine Partnerschaft mit den Gesundheitsanbietern aufbauen, welche für das Selbstmanagement Pflege (2016), 29(1), 21–31
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zentral ist. Eine Möglichkeit zur Verbesserung des Selbstmanagements wäre das Gespräch vor dem Eintritt auf die SZTS, wo man gemeinsam mit dem Patienten mögliche prospektive Probleme, aber auch Ressourcen besprechen könnte und einen Aktionsplan für die schwierige Zeit der Aplasie aufstellen könnte, bei dem der Patient ganz konkret den Transfer zu seiner Situation machen kann. Da die OM nur für Patienten mit einer schweren Ausprägung als sehr belastend erlebt wurde und sonst andere Symptome im Vordergrund standen, wäre die Förderung des Selbstmanagements sicher auch in anderen Bereichen sinnvoll, beispielsweise bei der regelmäßigen Mobilisation oder der Beobachtung der Haut. Ein wichtiger Faktor ist dabei selbstverständlich das Fachwissen des Medizinpersonals, welches von den Patienten ebenfalls als Ressource wahrgenommen wurde. Die Kombination von mündlichen und schriftlichen Informationen wurde von den Patienten positiv hervorgehoben, sodass dies sicher beizubehalten ist. Dies wird auch in der Literatur so empfohlen (Rubenstein et al., 2004; Keefe et al., 2007; Harris et al., 2007; Harris & Eilers, 2009; Lalla et al., 2014). Die OM war für Patienten belastend, die eine Ausprägung von Grad 3 und 4 nach WHO erlebten, was nur nach myeloablativer Konditionierung auftrat. Dies bestätigt den therapiebezogenen Risikofaktor der Konditionierung mit TBI (Vera-Llonch et al., 2007; Jones et al., 2008, Ohbayashi et al., 2008; Brennan Tyler, 2011). In der Studie von Bellm et al. (2000) empfanden 42 % der Teilnehmenden Ulzerationen im Mund als die größte Belastung. Dies zeigte sich auch in unserer Studie, in der von 14 Teilnehmenden sechs konventionell konditioniert worden waren. Der Schmerz war jedoch nicht der wichtigste Faktor, sondern eher die Mundtrockenheit, die Schluckbeschwerden und nicht essen zu können. Ebenso gaben die Patienten in unserer Studie Spätsymptome der OM an, hauptsächlich Mundtrockenheit, zähen Speichel und Geschmacksveränderungen. Dies deckt sich mit den Resultaten von Borbasi et al. (2002), die den Einfluss der OM auf die LQ beschrieben, und aufzeigten, dass es zu chronischen Verläufen kommen kann. Dies kann der Übergang in eine GvHD der Mundschleimhaut sein. Die regelmäßige Mundspülung wird in der Literatur als wichtigste präventive Maßnahme sowie auch als Intervention bei bestehender OM angegeben (Rubenstein et al., 2004; Keefe et al., 2007; Harris et al., 2007; Harris & Eilers, 2009; Lalla et al., 2014). In der Praxis zeigt sich jedoch häufig, dass die Patienten dieser Empfehlung nicht nachkommen können. In unserer Studie kristallisierten sich verschiedene Faktoren heraus, die als motivierend oder hemmend für die Mundspülung wahrgenommen wurden. Motivierende Faktoren waren die Erfahrungen der Vortherapien, den Nutzen des Spülens erfahren, selber etwas zum Erfolg beitragen, das Patiententagebuch und das Spülen mit Caphosol®. Es scheint daher wichtig, im Gespräch mit den Patienten die Erfahrungen der Vortherapien und in diesem Zusammenhang auch ihr damaliges Spülverhalten zu erfassen. So lässt sich die Wichtigkeit des regelmäßigen Spülens hervorhePflege (2016), 29(1), 21–31
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ben, und es ist möglich, die Patienten selber etwas zum Erfolg beitragen und sie den Nutzen des Spülens erfahren zu lassen. Das Patiententagebuch wurde ebenfalls positiv bewertet und erhöhte das Bewusstsein für die regelmäßige Spülung, was sich auch in der Studie von Miller et al. (2006) gezeigt hat. Das Spülen mit einem Medizinalprodukt im Vergleich zu filtriertem Wasser wurde als Motivator genannt. Dies zeigt, dass Annahmen und Überzeugungen und der Glaube an die Wirksamkeit von Medikamenten wichtige Faktoren sind, welche nicht zu unterschätzen sind. Es gilt daher, den Patienten gezielt aufzuzeigen, dass nicht die einzelne Spüllösung selber, sondern vielmehr die regelmäßige und häufige Anwendung einer Mundspülung die Schleimhäute reinigt, befeuchtet, mögliche Keime und Bakterien wegtransportiert und zähen oder nicht vorhandenen Speichel ersetzt (Gottschalck, Dassen & Zimmer, 2004). Weiterhin gilt es natürlich, hemmende Faktoren möglichst zu minimieren. In unserer Studie wurden der Allgemeinzustand, die vielen Schläuche, keine Lust zu haben, sowie der Geschmack und die Temperatur von Caphosol® genannt. Der Allgemeinzustand mit Müdigkeit, Energielosigkeit und Übelkeit ist etwas, was sich im Rahmen einer SZT nur schwer beeinflussen lässt, daher ist es umso wichtiger, die Mundspülung möglichst einfach zu gestalten. Dies wird durch die Aussage von Patienten, welche die vielen Infusionsschläuche als hemmend bezeichnen, betont. Die Patienten empfanden es als mühsam, die Schläuche zu sortieren, darauf zu achten, dass sie nicht an den Boden kommen und dann zum Waschbecken zu laufen. Wenn man den schlechten Allgemeinzustand berücksichtigt, braucht dies viel Energie, sodass die Patienten die Mundspülung eher ausfallen lassen. Daher sollte das Pflegefachpersonal in der Phase, in der es den Patienten schlecht geht und die meist mit der stärksten Ausprägung der OM korreliert, die Mundspülung direkt am Bett richten, sodass der Aufwand für die Patienten möglichst gering ist. Der Geschmack des Produkts Caphosol® wurde relevant, als die Geschmacksveränderungen bei den Teilnehmenden zunahmen. Plötzlich wurde der leicht salzige Geschmack als unangenehm empfunden, was es in Kombination mit Übelkeit schwierig machte, regelmäßig zu spülen. Eine geschmacksneutrale Substanz ist da sicher von Vorteil, allerdings gaben Teilnehmende in der Wassergruppe gegen Ende der Studie ebenfalls an, dass es ihnen zuwider war. Da jeder Patient unterschiedliche Geschmacksveränderungen erfährt, ist es schwierig, eine passende Intervention zu finden. Ein Angehöriger schlug im Interview vor, Mundspüllösungen mit verschiedenen Geschmacksrichtungen zu entwickeln, die je nach Verträglichkeit eingesetzt werden können. Ein letzter wichtiger hemmender Faktor war die Temperatur des Produkts Caphosol®, welches bei Raumtemperatur gelagert werden muss. Die meisten Patienten bevorzugten in der Phase der stärksten Ausprägung der OM ganz kalte Flüssigkeiten oder sogar Eiswürfel, sodass die lauwarme Temperatur als hemmend empfunden wurde. Auch hier kann das Pflegefachpersonal darauf achten, bei der Spü© 2016 Hogrefe
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lung mit Wasser möglichst kaltes Wasser und zwischendurch Eiswürfel zur Linderung anzubieten. Die bessere Wirksamkeit von Caphosol® im Vergleich zur Spülung mit Wasser muss noch nachgewiesen werden. Die Ablösung des Zahnbelags war ein interessanter Aspekt, welcher auch noch näher untersucht werden müsste.
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schungsarbeiten untersucht werden. Zudem sollte untersucht werden, ob Caphosol® möglicherweise wirklich den Zahnstein zu lösen vermag. Weiterhin hat sich in dieser Studie bei zwei Patienten gezeigt, dass die Prothese bei leichter Ausprägung der OM und guter Mundhygiene auch in der Zeit der Aplasie getragen werden kann. Hierzu bräuchte es eine größere Untersuchungsgruppe, um diese Tendenz zu bestätigen.
Limitationen Diese qualitative Teilstudie entstand aufgrund von Beobachtungen in der Praxis beim Start einer großen quantitativen Studie. Bei weiteren Studien wäre eine vorgängige komplette Designplanung sicher sinnvoll, allerdings kann man solchen Beobachtungen nur auf diesem Wege nachgehen. Den Resultaten dieser Studie könnte man noch in weiteren Studien nachgehen. Eine Möglichkeit wäre es, eine Intervention zur Förderung des Selbstmanagements und der Motivation zu entwickeln, und qualitativ zu explorieren, ob dies von den Patienten als hilfreich empfunden wird. In einem weiteren Schritt könnte man mittels eines quantitativen Designs prüfen, ob die angepasste Intervention auch eine messbare Verbesserung der Resultate im Hinblick auf die orale Mukositis zeigt.
Schlussfolgerungen Diese Studie zeigt, dass die SZT für die Patienten im Kontext von vielen verschiedenen Belastungen und Bedingungen erlebt wird: Isolation, Nebenwirkungen und Symptome durch die Therapie und die Betreuung durch das Fachpersonal. Die OM ist für die meisten Patienten ein Symptom unter vielen. Sie wurde nur von Patienten als sehr belastend empfunden, die auch eine Ausprägung Grad 3 und 4 nach WHO hatten. Dies war ausschließlich bei Patienten mit TBI der Fall, sodass dort sicher ein Schwerpunkt in der Mundpflege gelegt werden sollte. Die Einhaltung der evidenz-basierten Richtlinien, wie die Nutzung eines Assessmentinstruments, die regelmäßige Schulung der Pflegenden und die interdisziplinäre Zusammenarbeit sollte die Basis zum Management der OM im Setting von SZTS sein. Die wichtigsten Erkenntnisse aus den motivierenden und hemmenden Faktoren zur Mundspülung, welche in der Pflegepraxis umgesetzt werden sollten, sind sicherlich die gute mündliche und schriftliche Aufklärung über die OM und die Nutzung eines Patiententagebuchs, um die Spülvorgänge einzutragen. Weiterhin sollte man den Patienten wenn nötig die Spüllösung direkt ans Bett bringen und sie sollte möglichst kalt sein. Die Wichtigkeit der Konstanz in der Betreuung sowie auch eine hohe Präsenz im Rahmen der Isolation ist sicherlich ein weiterer Faktor, den es in der Praxis umzusetzen gilt. Die Wirksamkeit eines anderen Medizinalprodukts im Allgemeinen und des Medizinalprodukts Caphosol® im Speziellen als Spüllösung muss noch in weiteren For© 2016 Hogrefe
Dank Wir danken allen teilnehmenden Patienten für Ihre Bereitschaft, ein Interview mit uns zu führen, dem Pflegefachpersonal der Stammzell-Transplantationsstation für Ihre Unterstützung bei der Studie und der Firma EUSA Pharma für die finanzielle Unterstützung.
Beitrag der einzelnen AutorInnen AK: Planen der Studie, Schreiben des Forschungsplans, Führen, Transkribieren und Analysieren der Interviews, Schreiben des Artikels EA: Rekrutieren der Patienten, Begleitung beim Analyseprozess, kritisches Feedback zum Manuskript US: Begleitung im Analyseprozess, kritisches Feedback zum Manuskript RS: Begleitung beim Planen der Arbeit, im Analyseprozess und beim Schreiben des Artikels
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Anja Kröner, PhD (cand.), MScN, RN UniversitätsSpital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich Schweiz anja.kroener@bluewin.ch
Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie? Die gesamte Planung und Umsetzung, da es sich ja um eine große Mixed Methods Forschung handelte. Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft? Dass alle Patienten mit oraler Mukositis evidenz-basiert versorgt werden. Was empfehlen Sie den LeserInnen zum Weiterlesen/Vertiefen? Die aktuellste Literatur zur oralen Mukositis und «Motivierende Gesprächsführung» von Miller und Rollnick.
Manuskripteingang: 10.11.2014 Manuskript angenommen: 10.04.2015
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Pflegepädagogik – kritisch und aus einem Guss
Karl-Heinz Sahmel
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Originalarbeit
Die Einstellung deutschsprachiger Pflegefachpersonen gegenüber dem «Advanced Nursing Process» vor und nach einer Bildungsintervention Quasi-experimentelle Interventionsstudie Claudia Leoni-Scheiber1 (MScN, MSc, RN), Raffaella Matteucci Gothe2 (Dipl.-Stat.), Maria Müller-Staub3 (PhD, MNS, RN, FEANS) 1
Lechaschau, Österreich UMIT-Private Universität für Gesundheitswissenschaften, medizinische Informatik und Technik, Hall in Tirol, Österreich 3 Pflege PBS (Projekte, Beratung, Schulung), Wil, Schweiz 2
Zusammenfassung: Hintergrund: Die Einstellung von Pflegefachpersonen beeinflusst die Anwendung des Advanced Nursing Process. Studien zeigen Mängel in der Umsetzung dieses auf validen Assessments und Klassifikationen basierenden Prozesses. Diese Defizite beeinträchtigen die klinische Entscheidungsfindung und damit die Pflegequalität. Im deutschsprachigen Raum wurde die Einstellung von Pflegepersonen zu Pflegediagnosen als Teil des Advanced Nursing Process noch nicht erhoben. Ziel dieser Studie war die Evaluation des Effektes einer Bildungsintervention auf die Einstellung Pflegender. Methode: Eine quasi-experimentelle Interventionsstudie wurde in Österreich und in Deutschland durchgeführt. Vor und nach einer standardisierten Bildungsintervention haben 51 Pflegefachpersonen ihre Einstellung mit dem Instrument «Positions on Nursing Diagnosis» (PND) eingeschätzt; die Analysen erfolgten mit Wilcoxon- und U-Tests. Ergebnisse: Vor der Bildungsintervention war der durchschnittliche Einstellungsscore der österreichischen Pflegenden positiver als in der deutschen Gruppe. Nach der Studienintervention empfanden beide Gruppen die Pflegediagnostik statistisch signifikant überzeugender und verständlicher. Jedoch empfanden beide Gruppen die Umsetzung des Advanced Nursing Process nach wie vor als schwierig und anspruchsvoll. Schlussfolgerungen: Zukünftig sollte der Reflexion und Entwicklung der Einstellung von Pflegefachpersonen zum Advanced Nursing Process mehr Raum zugestanden werden, denn Einstellungen leiten ihr Handeln. In weiteren Studien sind beeinflussende Faktoren diverser Settings zu analysieren. Schlüsselwörter: Advanced Nursing Process, Pflegediagnosen, Einstellung Pflegender, Positions on Nursing Diagnosis, Evaluation
Nurses' Attitudes toward the “Advanced Nursing Process” before and after an educational intervention – a quasi-experimental study Abstract: Background: The attitude of nurses influences their application of the Advanced Nursing Process. Studies reveal deficits in the application of the Advanced Nursing Process that is based on valid assessments and nursing classifications. These deficits affect decision-making and – as a result – nursing care quality. In German speaking countries nurses' attitudes towards nursing diagnoses as part of the Advanced Nursing Process were not yet measured. Objective: The aim of this study was to evaluate the effects of an educational intervention on nurses' attitude. Method: A quasi-experimental intervention study was carried out in Austria and Germany. Before and after a standardised educational intervention 51 nurses estimated their attitude with the instrument Positions on Nursing Diagnosis (PND). Analyses were performed by Wilcoxon- and U-tests. Results: Before the educational intervention the average attitude score of the Austrian nurses was more positive than in the German group. After the study intervention both groups regarded nursing diagnostics statistically significant more convincing and better understandable. However, both groups still described the application of the Advanced Nursing Process as difficult and demanding to perform. Implications: In the future, more attention should be given to the reflexion and development of nurses' attitude towards the Advanced Nursing Process because attitudes lead nurses' actions. In further studies influencing organizational and structural factors in diverse settings will be analysed. Keywords: Advanced Nursing Process, nursing diagnosis, nurses attitudes, Positions on Nursing Diagnosis Scale, evaluation
Einleitung Der Advanced Nursing Process Der erweiterte, vertiefte Pflegeprozess wird anhand von Pflegeklassifikationen gelehrt und umgesetzt (Ackley & Pflege (2016), 29(1), 33–42 DOI 10.1024/1012-5302/a000466
Ladwig, 2014). Die Definition des Advanced Nursing Process lautet: «Der vertiefte, fortgeschrittene Pflegeprozess besteht aus definierten, validierten Konzepten. Er umfasst Assessment, Pflegediagnosen, Pflegeinterventionen und Pflegeergebnisse und beruht auf wissenschaftlich basierten Pflegeklassifikationen» (Müller-Staub, Abt, Brenner & Hofer, 2014; 14). Die Anwendung des Advanced Nursing © 2016 Hogrefe
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C. Leoni-Scheiber et al.: Einstellung Pflegender zum Advanced Nursing Process
Was ist (zu dieser Thematik) schon bekannt? Pflegende sind ambivalent gegenüber dem Advanced Nursing Process eingestellt, im deutschsprachigen Raum fehlen dazu aktuelle Untersuchungen. Was ist neu? Bildungsinterventionen verbesserten die Einstellungen deutschsprachiger Pflegefachpersonen. Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflegepraxis? In zukünftigen Implementierungen sollte die Einstellung von Pflegefachpersonen erhoben und positiv bestärkt werden.
Process basiert auf validen Assessmenttools, evidenz-basierten Pflegediagnosen und -interventionen sowie auf literaturgestützten Patientenergebnissen, die in Klassifikationen beschrieben sind. Pflegesensible Patientenergebnisse sind beispielsweise in der Nursing Outcomes Classification (NOC) als Konzepte definiert; wobei jedes Patientenergebnis mittels Indikatoren spezifiziert und mit einer Messskala ausgestattet ist (Moorhead, Johnson, Maas & Swanson, 2013). Defizite in der Anwendung des Advanced Nursing Process beeinträchtigen die klinische Entscheidungsfindung (Cheevakasemsook, Chapman, Francis & Davies, 2006). Internationale Untersuchungen zur Umsetzung und Dokumentation von Pflegediagnosen als Teil des Advanced Nursing Process offenbarten weitgehende Mängel (Gershater, Pilhammar & Alm Roijer, 2010; Müller-Staub, Needham, Odenbreit, Lavin & Van Achterberg, 2007). Müller-Staub et al. (2007) bewerteten in einem systematischen Review den Nutzen und die Genauigkeit von Pflegediagnosen. 14 Studien zur Genauigkeit wiesen unpräzise formulierte Pflegediagnosen aus. Als Gründe dafür wurden unzureichendes Wissen und die Schwierigkeiten Pflegender bei der Formulierung akkurater Pflegediagnosen angegeben. Studien zeigen, dass eine mangelnde Umsetzung und Dokumentation des Advanced Nursing Process insbesondere die Struktur- und Prozessqualität der Pflege sowie das Wohlbefinden der Patient/ inn/en beeinträchtigen und ein Risiko für die Patient/inn/ ensicherheit beinhalten (Saranto & Kinnunen, 2009; Cheevakasemsook et al., 2006).
Faktoren, welche die Umsetzung des Advanced Nursing Process beeinflussen Nicht nur mangelndes Wissen, auch die wahrgenommene Selbstwirksamkeit der Pflegenden (Cruz, Pimenta, Pedrosa, Lima & Gaidzinski, 2009) und das Ausmaß ihrer praktischen Erfahrung (Hasegawa, Ogasawara & Katz, 2007) beeinflussen die Umsetzung des Advanced Nursing Process. Weitere wesentliche Einflüsse sind in der Einstellung von Pflegefachpersonen zur Pflegediagnostik begründet. Unabhängig davon, ob Einstellungen begrüßt oder abgelehnt werden, beeinflussen sie das Verhalten der Pflegefachpersonen (Junttila, Salanterä & Hupli, 2005). Auch die diagnostische Genauigkeit hängt von den Einstellungen Pflegender ab (Lunney, 2007). Einstellungen bestimmen, © 2016 Hogrefe
neben den subjektiven Normen und der wahrgenommenen Kontrolle, die Absicht zu handeln. Entscheidend dafür sind intra- und interdisziplinäre Ansichten wie die Haltung anderer Professionen und jene der Vorgesetzten gegenüber dem Pflegeprozess (Ajzen, 1991). Grol und Wensing (2013) beziehen sich in ihrem «Implementation of Change Model» auf eine Reihe von Theorien, welche Schritte von Veränderungsprozessen beschreiben. Die Pflegenden müssten dem konkreten Handeln gegenüber positiv eingestellt und davon überzeugt sein, dass der Advanced Nursing Process wichtig und machbar sei und zu besseren pflegesensitiven Outcomes führe, dann würden sie ihn auch anwenden. Sind die Zielgruppe und/oder die Führungspersonen mangelhaft motiviert und dem Handeln gegenüber kritisch oder gar negativ eingestellt, muss der erste Schritt sein, einen positiven Kontext für das konkrete Handeln herbeizuführen.
Internationale Studienlage zur Einstellung von Pflegefachpersonen zum Advanced Nursing Process International wurde in mehreren Untersuchungen gezeigt, dass die Einstellung der Pflegenden gegenüber der Pflegediagnostik grundsätzlich positiv ist (Guedes, Sousa, Turrini, Baltar & Cruz, 2013; Romero-Sánchez et al., 2013; Hasegawa et al., 2007; Oliva, Lopes, Volpato & Hayashi, 2005), andere wiederum berichteten von mangelndem Interesse der Pflegepersonen bis hin zu einer leicht negativen Einstellung (Conrad, Hanson, Hasenau & StockerSchneider, 2012; Halverson et al., 2011). Das Instrument «Positions on Nursing Diagnosis» wurde von Lunney und Krenz (1994) in den USA entwickelt, um die Einstellung von Pflegefachpersonen gegenüber der Pflegediagnostik zu messen. Die Gesamtpunktezahl reicht von 20 bis 140, je höher der Wert, desto positiver die Einstellung. Die PND-Scale wurde ins Portugiesische, Japanische und Spanische übersetzt, psychometrisch getestet und in mehreren Arbeiten eingesetzt (Cruz, Pimenta & Lima, 2006; Hasegawa et al., 2007; Romero-Sánchez et al., 2013). Aus allen Bereichen der Pflege, verteilt über ganz Spanien, erreichten 621 Pflegefachpersonen durchschnittlich 98,6 (SD = 24,0) Gesamtpunkte (RomeroSánchez et al., 2013). Sie lagen damit im Mittelfeld aller bisher international gemessenen Einstellungen von Pflegenden (siehe Tab. 1). Studierende (N = 26) von drei Universitäten in Brasilien hatten eine signifikant (p = 0,008) bessere Haltung, mehr Wissen und wendeten Pflegediagnosen als Teil des Pflegeprozesses öfter an als professionell Pflegende (Oliva et al., 2005). An der Universität São Paulo wurden 141 Studierende zu ihrer Einstellung gegenüber Pflegediagnosen und zur Wahrnehmung bezüglich ihrer Macht in ihrer klinischen Rolle befragt (Cruz et al., 2006, 2009). Zwischen dem PND-Wert und dem Studienfortschritt (p < 0,05), der Karrieremöglichkeiten (p = 0,007) und der Wahrnehmung der Macht ihrer klinischen Rolle (p < 0,001) bestand ein statistischer ZusammenPflege (2016), 29(1), 33–42
C. Leoni-Scheiber et al.: Einstellung Pflegender zum Advanced Nursing Process
hang. In Japan wurde die Einstellung von 376 Pflegenden aus neun unterschiedlichen Spitälern mittels PND untersucht. Die Resultate zeigten einen positiven Zusammenhang zwischen der Dauer der praktischen Anwendung von Pflegediagnosen und der Einstellung der Pflegefachpersonen (r = 0,152; p < 0,05) (Hasegawa et al., 2007). Frühere Veröffentlichungen in deutschen Fachzeitschriften wiesen auf eine Ablehnung des Pflegeprozesses im deutschsprachigen Raum hin (Isfort, 2005; Schöninger & Zegelin-Abt, 1998). Der Problemlösungsprozess wurde als sehr reduzierte, vereinfachte Sichtweise erkannt, und dessen Herkunft aus dem industriellen Denken eines Fertigungsprozesses kritisiert. Aber ohne Problemlösung, so Isfort (2005), verkäme die Pflege zu einem Akt der Willkür und entscheidend dürften sich Rahmenbedingungen sowie eine erhöhte Patientenfluktuation bei verkürzter Verweildauer und paralleler Personalabbau darstellen.
Forschungslücke und Forschungsfrage Im deutschsprachigen Raum fehlten aktuelle empirische Hinweise zur Einstellung von Pflegepersonen zu Pflegediagnosen als Teil des Advanced Nursing Process. In dieser Studie wird daher der Frage nachgegangen, wie österreichische und deutsche Pflegefachpersonen gegenüber dem Advanced Nursing Process eingestellt sind, und ob ein Unterschied in der Einstellung zwischen den beiden Gruppen besteht.
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Zusammenhänge zwischen Einstellung und Bildungsmaßnahmen Pflegende fühlen sich unsicher (Cheevakasemsook et al., 2006) und dokumentieren den Pflegebedarf insbesondere dann ungenau, wenn sie in Pflegediagnostik als Teil des Advanced Nursing Process inklusive komplexer Denkprozesse nicht geschult sind. Nehmen sie an Bildungsinterventionen teil, führen diese überwiegend zu signifikanten Verbesserungen im Assessment von Patientenbedürfnissen, in der Häufigkeit, im Inhalt und vor allem in der Genauigkeit von Pflegediagnosen (Müller-Staub et al., 2010, 2007; Krogh von & Nåden, 2008; Lunney, 2007). Zum Zusammenhang zwischen der Kompetenz Pflegender und ihrer Einstellung gegenüber dem Advanced Nursing Process liegen widersprüchliche Ergebnisse vor. Lunney (2007) belegte Zusammenhänge zwischen der Genauigkeit pflegediagnostischer Aussagen und der Einstellung, dem Wissen, der Berufserfahrung, dem Einsatz unterschiedlicher Denkstrategien sowie bestimmter Lehrmittel. Auch in einer brasilianischen Untersuchung wurde ein höherer Punktewert bezüglich Kenntnissen und der Anwendung von Pflegediagnosen mit einem höheren Punktewert der PND assoziiert (Oliva et al., 2005). Im Gegensatz dazu korrelierte in der japanischen Studie von Hasegawa et al. (2007) die Einstellung nicht mit dem diagnostischen Wissen und der diagnostischen Kompetenz. Es wurde auch belegt, dass Pflegefachpersonen nach Einführung des Ad-
Tabelle 1. Internationales Punkteranking zur Einstellung Pflegender gegenüber der Pflegediagnostik anhand der «Positions on Nursing Diagnoses»/PND-Scale (chronologisch dargestellt). Autoren, Land
Stichprobe
Lunney & Krenz, 1994 USA
n = 49 n = 78 Pflegepersonen
Oliva et al., 2005 Brasilien
n = 26 Studierende n = 55 professionell Pflegende
Cruz et al., 2006a Brasilien
Punkte nach der Intervention Mw (SD)
Effekt in Art der Intervention/ Punkten Anmerkungen
-
-
Freiwillige Teilnahme Verpflichtende Teilnahme
120,3 (13,2) 107,1 (17,8)
-
-
-
n = 100 Pflegepersonen
102,1 (14,2)
111,0 (14,8)
+9
12-Stundenkurs
Cruz et al., 2006b, 2006d Brasilien
n = 115 (t1) n = 60 (t2) BSc
100,3 (21,8)
103,7 (23,3)
+3
Implementierung von NANDA-I-Diagnosen
Cruz et al., 2006c Brasilien
n = 141 Studierende
104,8 (18,9)
-
-
-
Hasegawa et al., 2007 Japan
n = 376 Pflegepersonen
87,9 (14,5)
-
-
Setting Krankenhaus
Collins, 2013 Indien
n = 50 EG n = 50 CG Diplom oder BSc
105,5 (47,9) 98,36 (23,7)
131,3 (12,4) 106,7 (22,6)
+25,8 +8,4
12-Stundenkurs (CT-Modell)
-
-
Aus diversen Settings
Romero-Sánchez et al., n = 621 Pflegepersonen 2013 Spanien
Punkte vor der Intervention Mw (SD) 98 84
98,6 (24)
t1 = 1. Messzeitpunkt; t2 = 2. Messzeitpunkt; EG = experimental group; CG = control group; Mw = Mittelwert; SD = Standardabweichung
Pflege (2016), 29(1), 33–42
© 2016 Hogrefe
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C. Leoni-Scheiber et al.: Einstellung Pflegender zum Advanced Nursing Process
vanced Nursing Process wirksamere Pflegeinterventionen umsetzten, was zu signifikant besseren Patientenergebnissen führte (Müller-Staub, 2007). Zum ersten Mal wurde die PND in den USA zur Messung der Einstellung zweier unterschiedlicher Gruppen von teilnehmenden Pflegepersonen einer Bildungsintervention eingesetzt. Jene (N = 49), die das Bildungsprogramm freiwillig besucht hatten, erreichten im Durchschnitt 98 Punkte während 78 Pflegende, denen die Teilnahme vorgeschrieben wurde, 84 Punkte auswiesen (Lunney & Krenz, 1994; siehe Tab. 1). International wurden drei Interventionsstudien durchgeführt (Tab. 1). In vier brasilianischen Städten waren 214 Pflegefachpersonen und 184 Studierende (N = 398) der Pflegediagnostik gegenüber sehr positiv eingestellt (Mw = 6,2 Punkte, SD = 1,2) (Cruz et al, 2006). 100 Pflegende davon nahmen an einer Schulung teil, die durchschnittliche Gesamtpunkteanzahl erhöhte sich von ursprünglich 102,1 auf 111,0 Punkte (p = 0,00; Tab. 1, Zeile 3). Für jeweils 50 Pflegende zweier indischer Spitäler standen zur Förderung des Pflegeprozesses Elemente des Critical Thinking im Zentrum (Collins, 2013). Die Resultate dieser experimentellen Studie zeigten ebenfalls signifikante Einstellungsveränderungen (Tab. 1, Zeile 7). Zwischen 2001 und 2004 wurden in einem Krankenhaus in São Paulo Pflegediagnosen eingeführt (Cruz et al., 2006, 2009). Zum 1. Messzeitpunkt im Mai 2004 nahmen 115 (61,8 %) Pflegende teil, ein Jahr später 60 Personen (33 % der Gesamtinstitution). Es konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Messzeitpunkten festgestellt werden (Tab. 1, Zeile 4). Die Autor/inn/en stellten den ersten Messzeitpunkt zur Diskussion, zu dem der Implementierungsprozess angelaufen und die Einstellung bereits deutlich positiv war. Das Ziel dieser Untersuchung war, den Effekt einer Bildungsintervention auf die Einstellung von Pflegefachpersonen mit einem entsprechenden Instrument zu untersuchen. Im Vorher-Nachher-Vergleich wurde der Effekt der Bildungsintervention auf die Einstellung von Pflegefachpersonen analysiert und länderweise – zwischen der österreichischen und deutschen Gruppe – verglichen.
Methode und Material Es wurde eine quasi-experimentelle Interventionsstudie mit Prätest-Posttest-Design durchgeführt.
Start in der österreichischen FH erst 2008. Es wurden keine demografischen oder darüber hinausgehende Daten zu den Studienteilnehmenden erhoben. Die zugesicherte Anonymität und mangelnde Ressourcen waren dafür ausschlaggebend.
Material: Studienintervention und Messinstrument Die Studienintervention enthielt jeweils denselben Aufbau sowie dieselben Präsentationen und Lehrmethoden, wobei die Studienintervention genauso durchgeführt wurde, wie sie geplant war. Sie dauerte zwei Tage und wurde von einer Fachspezialistin im Rahmen des BakkalaureatStudiums in Österreich und Deutschland durchgeführt. Der inhaltliche Schwerpunkt lag im Vermitteln des diagnostischen Prozesses und in der Anwendung des Advanced Nursing Process inklusive evidenz-basierter Pflegeinterventionen. Es wurden konstruktivistische Lehr-/ Lernmethoden angewandt, welche das Kritische Denken fördern wie z. B. Fallbesprechungen, eigenes Erarbeiten des Advanced Nursing Process und Literaturbearbeitungen. Die Kürze der Intervention lag in der curricularen Planung begründet. Jeweils zu Beginn und am Ende dieser standardisierten Bildungsintervention wurde die Einstellung von Pflegefachpersonen mit dem Instrument «Positions on Nursing Diagnosis» (PND) (Lunney & Krenz, 1994) erhoben. Es beinhaltet 20 aus der Literatur abgeleitete Items mit insgesamt 40 bipolaren Adjektiven, wobei jeweils ein gegensätzliches Adjektivpaar an den Enden einer 7-Punkte-Skala steht (siehe Tab. 2, Spalte 1). Das PND-Instrument wurde von vier Expert/inn/en auf seine Inhaltsvalidität geprüft. Die Ergebnisse der psychometrischen Testung der US-amerikanischen Originalversion waren gut (Test-Retest-Reliabilität r = 0,91, p < 0,0001), die interne Konsistenz gemäß Cronbachs Alpha lag bei 0,97 (Lunney & Krenz, 1994). Die Übersetzung ins Deutsche erfolgte durch einen erfahrenen Fachübersetzer und wurde von zwei Expert/inn/en überprüft. Die Einschlusskriterien der Expert/inn/en für die Review waren: Mindestausbildung Master in Nursing Science, Kenntnisse der PND-Instrument-Originalliteratur und damit durchgeführter Studien, Reviewtätigkeiten bei Studien, die mit dem Originalinstrument durchgeführt wurden, Fachexpert/en/in zum Advanced Nursing Process sowie Erfahrungen in Instrumentenentwicklung und -testung.
Stichprobe Prozedur An der Bildungsintervention nahmen 13 österreichische und 38 deutsche Pflegefachpersonen (N = 51) teil, welche das Bakkalaureat-Studium als pflegerische Zweitausbildung absolvierten. Alle Teilnehmenden verfügten über Wissen zum Pflegeprozess aber wenig Wissen zum Advanced Nursing Process. Während der Pflegestudiengang in Deutschland bereits 1994 gegründet wurde, erfolgte der © 2016 Hogrefe
Die Bildungsintervention zum Advanced Nursing Process fand im Juni 2010 an einer deutschen Fachhochschule (FH) und im Februar 2011 an einer österreichischen FH statt. In beiden Gruppen fand die Bildungsintervention im letzten Semester statt. Alle Teilnehmenden nahmen an der gesamten Bildungsintervention teil. Es wurde in Pflege (2016), 29(1), 33–42
C. Leoni-Scheiber et al.: Einstellung Pflegender zum Advanced Nursing Process
beiden Settings eine Vollerhebung durchgeführt. Die Studienteilnehmenden versahen das Instrument PND mit einem selbst gewählten, zu beiden Zeitpunkten übereinstimmenden Code. Dieser erlaubte die Erkennung der entsprechenden Datenpaare im Vorher-Nachher Design. Alle Bildungsteilnehmer/innen führten den Einstellungstest freiwillig durch, gaben ihre informierte Zustimmung und die anonyme Handhabung wurde zugesichert. Rückverfolgungen auf individuelle Teilnehmende sind nicht möglich. Das Instrument PND ist selbsterklärend und es wurde darauf hingewiesen, dass die positiven bzw. negativen Adjektive nicht immer auf derselben Seite aufgelistet sind, um Antwortbias zu vermeiden. Ansonsten erfordert der Einsatz des PND-Instruments keine Instruktionen.
Datenanalyse Der Studie liegt ein explorativer Ansatz zu Grunde. Mithilfe der deskriptiven Statistik wurden Lage- und Streuungsparameter sowie Häufigkeiten berechnet. Dafür wurden die Items des PND-Instruments (um)gepolt, um eine korrekte Punktevergabe der negativen bzw. positiven Aussagen auf der Skala von 1 bis 7 zu berechnen. Zur Auswertung der ordinal skalierten Daten beim Vorher-Nachher-Vergleich wurde der Wilcoxon-Test für verbundene Stichproben eingesetzt. Für den österreichisch-deutschen Vergleich (zwei unverbundene Stichproben) wurde der Mann-Whitney-UTest gewählt. Aufgrund der ungerichteten Forschungshypothesen wurden alle statistischen Tests zweiseitig durchgeführt; das Signifikanzniveau war auf Į = 0,05 festgelegt. Die Datenauswertung wurde durch eine unabhängige Person vorgenommen, die weder an der Datensammlung noch an der Studienintervention beteiligt war.
Ergebnisse Vorher-Nachher-Vergleich Die Einstellungen zur Pflegediagnostik als Teil des Advanced Nursing Process vor und nach der Bildungsintervention zeigten sich wie folgt. Die 13 österreichischen Pflegepersonen (A) bezeichneten die Pflegediagnostik vor allem als sinnvoll und wichtig (Mittelwerte x− = 6,5; SD = 1,1; siehe Tabelle 2: Positiver Pol des PND-Instruments, Spalten «Vor der Intervention» jeweils linke Hälfte). In dieser Gruppe war der Maximalwert (7) der am häufigsten gewählte Wert (Modus). Die Studienteilnehmenden bezeichneten Pflegediagnostik auch als intelligent (x− = 6,2; SD = 1,0), relevant (x− = 6,1; SD = 1,3), bedeutend (x− = 6,0; SD = 1,3), hilfreich (x− = 5,9; SD = 1,5) und gut (x− = 5,9; SD = 1,3). Das Item leicht erzielte die niedrigsten Werte (x− = 3,0; SD = 1,5); dies bedeutet, dass Pflegediagnostik von vielen als schwer empfunden wurde. Mit tiefen Werten gewichtet wurden auch die Items bequem (x− = 3,5; SD = 0,8) Pflege (2016), 29(1), 33–42
37
und angenehm (x− = 4,2; SD = 1,2). Viele Studienteilnehmende bezeichneten Pflegediagnostik als unbequem und unangenehm. Nach der Intervention (Tab. 2, rechte Hälfte) empfanden die österreichischen Pflegefachpersonen die Pflegediagnostik sehr intelligent (x− = 6,9; SD = 0,3), wichtig (x− = 6,8; SD = 0,4) und nützlich (x− = 6,7; SD = 0,8). Die Teilnehmenden gaben an, dass die Pflegediagnostik wesentlich überzeugender (+1,4 P.; p = 0,01), zweckmäßiger (+1,3 P.; p = 0,002) und realistischer (+1,0 P.; p = 0,01) geworden ist. Die Hälfte der insgesamt 20 Eigenschaften wurde infolge der Intervention statistisch signifikant höher bewertet. Die Pflegediagnostik wurde durchschnittlich über alle 20 Einstellungseigenschaften um 0,7 Punkte positiver (SD = 0,44; siehe Tab. 3, Zeile 1). Jede Bewegung des Ankreuzverhaltens zwischen den 2 Messzeitpunkten war positiv. Nach der Schulung wurde die Pflegediagnostik am seltensten als leicht beurteilt (Modus = 3), gefolgt von bequem. Die Pflegediagnostik wurde also auch nach den Seminaren als schwierig und unbequem empfunden, wenngleich sie deutlich leichter und etwas bequemer im Vergleich zu vorher wurde. Insgesamt stieg die mittlere Gesamtpunktezahl über alle 20 Items von 108,0 (SD = 16,1) auf 122,8 (SD = 10,9). Das entspricht einem durchschnittlichen Zuwachs von 14,8 Punkten. Die 37 Pflegefachkräfte in Deutschland wiesen ihre Einstellung aus, indem sie im Vorfeld der Bildungsintervention die Pflegediagnostik als relevant (x− = 5,6; SD = 0,9), wichtig (x− = 5,6; SD = 1,2) und nützlich (x− = 5,5; SD = 0,8) bezeichneten (Tab. 2, linke Hälfte, jeweils rechte Spalte). Den niedrigsten Modalwert von 3 erzielte das Item verständlich; das Item leicht zeigte den geringsten Mittelwert (x− = 3,4; SD = 1,2), der zweitgeringste fiel auf bequem (x− = 3,6; SD = 1,5). Dies bedeutet, dass Pflegediagnostik als Teil des Advanced Nursing Process eher als schwer und unbequem eingestuft wurde. Nach der Intervention bezeichneten die Pflegefachpersonen aus Deutschland die Pflegediagnostik am häufigsten als wichtig und bedeutsam (Modus = 7; siehe Tab. 2, rechte Hälfte). Alle anderen Eigenschaften bis auf bequem und leicht wurden am häufigsten mit der 6 bewertet. Das entspricht der zweithöchsten Einschätzungsmöglichkeit und steht für eine überaus positive Einstellung gegenüber der Pflegediagnostik als Teil des Advanced Nursing Process. Nach der Wichtigkeit und Bedeutsamkeit der Pflegediagnostik wurde die Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit herausgestrichen (jeweils x− = 6,2; SD = 0,7). In dieser Gruppe wurde die Pflegediagnostik im Anschluss an die Bildungsmaßnahme wesentlich verständlicher (durchschnittlich +2,1 P.), überzeugender (+1,5 P.) und realistischer (+1,3 P.) bewertet (alle drei p < 0,0001). Der Punktezuwachs war bei allen 20 Einstellungseigenschaften statistisch signifikant. Die mittlere Differenz zwischen 1. und 2. Messzeitpunkt betrug im Durchschnitt 1 Punkt (siehe Tab. 3, Zeile 2). Lediglich zwei von 34 Personen bewerteten im Anschluss an die Bildungsintervention die Pflegediagnostik durchschnittlich negativer als zuvor. Die niedrigsten Bewertungen verblieben bei den Items leicht und bequem. Damit wurde die Pflegediagnostik © 2016 Hogrefe
38
C. Leoni-Scheiber et al.: Einstellung Pflegender zum Advanced Nursing Process
Tabelle 2. Vorher-Nachher-Vergleich der Verteilung der Eigenschaften zur Einstellung innerhalb der österreichischen (A) und deutschen (D) Stichprobe. Eigenschaften (positiver Pol)
Vor der Intervention (A n = 13, D n = 38) xˉ
Modi
SD
Nach der Intervention (A n = 13, D n = 38) xˉ
SD
xˉ
Modi
SD
p-Wert xˉ
SD A§
D§
0,7
0,157
0,000
6,2
0,7
0,317
0,000
0,3
5,9
0,9
0,014
0,000
6,5
0,8
6,1
1,1
0,096
0,002
7
6,5
0,7
6,1
1,2
0,058
0,001
7
6
6,6
0,5
6,1
0,8
0,039
0,000
1,3
7
6
6,5
0,8
5,8
1,3
0,102
0,003
5,0
0,9
7
6
6,4
1,0
6,1
0,6
0,063
0,000
1,2
5,5
0,8
7
6
6,7
0,8
6,2
0,7
0,020
0,000
5,7
2,1
5,2
1,1
7
6
6,5
0,9
5,9
1,2
0,131
0,007
3
5,5
1,0
3,7
1,2
6
6
6,3
0,5
5,8
1,1
0,013
0,000
6
6
5,2
1,1
5,0
1,2
7
6
6,5
0,7
5,8
1,2
0,002
0,007
überzeugend°
4a
4
5,2
1,6
4,1
1,3
7
6
6,6
0,8
5,6
1,3
0,011
0,000
realistisch
5a
4
4,9
1,6
4,3
1,1
7
6
5,9
1,1
5,6
0,9
0,012
0,000
angenehm°
4
4
4,2
1,2
3,9
1,3
6
6
5,2
1,1
5,0
1,2
0,016
0,000
bequem*
4
4
3,5
0,8
3,6
1,5
4
4
3,9
1,0
4,3
1,3
0,132
0,009
leicht
2
4
3,0
1,5
3,4
1,2
3
4
3,9
1,4
4,2
1,2
0,036
0,018
A
D
A
D
A
D
wichtig
7
6
6,5
1,1
5,6
sinnvoll
7
6
6,5
1,1
intelligent
7
5a
6,2
relevant
7
6
bedeutend
7
positiv
A
D
1,2
7
7
6,8
0,4
6,4
5,5
1,1
7
6
6,6
0,7
1,0
5,2
1,0
7
6
6,9
6,1
1,3
5,6
0,9
7
6a
6
6,0
1,3
5,3
1,0
7
6a
5a
6,0
1,1
4,9
1,2
hilfreich
7
6
5,9
1,5
5,1
gut
7
5a
5,9
1,3
nützlich
6
6
5,8
wertvoll
7
6
verständlich
5
zweckmäßig
xˉ = Mittelwerte, SD = Standardabweichungen, * Stichprobe A vor der Intervention 1 fehlend, ° Stichprobe D vor der Intervention 1 fehlend; Wilcoxon-Test für verbundene Stichproben; a. Mehrere Modi vorhanden. Der kleinste Wert wird angezeigt.
§
auch nach der Intervention schwer und unbequem beurteilt. Vor der Intervention erreichten die deutschen Pflegefachpersonen einen durchschnittlichen Gesamtsummenscore (über alle 20 Items) von 94,9 (SD = 10,7), im Anschluss an die Intervention 114,3 (SD = 13,3). Das entspricht einem durchschnittlichen Punktezuwachs von 19,4.
Ländervergleich Aus dem Vergleich der Baseline der österreichischen und deutschen Gruppe (siehe Abb. 1) geht hervor, dass die kleinere österreichische Gruppe in 18 von 20 Eigenschaften höhere Mittelwerte erreichte. Die Österreicher/innen empfanden die Pflegediagnostik als Teil des Advanced Nursing Process wesentlich verständlicher (1,8 P.), überzeugender und positiver (jeweils 1,1 P.) sowie sinnvoller und intelligenter (jeweils 1,0 P.), während die deutschen Teilnehmer/innen die Diagnostik nur geringfügig (0,1 P.) bequemer und leichter (0,4 P.) erachteten. Beinahe identisch wurde die Zweckmäßigkeit, Nützlichkeit und Annehmlichkeit bewertet. Der durchschnittliche Mittelwert aller Eigenschaften betrug in der Gruppe der österreichischen Pflegenden 5,42, in der Gruppe der deutschen Pflegepersonen © 2016 Hogrefe
4,76 Punkte. Infolge der Bildungsintervention erreichte die Gruppe der deutschen Pflegefachpersonen den größeren mittleren Gesamtpunktezuwachs über alle 20 Items von knapp einem Punkt (siehe Tab. 3). Sie wies allerdings die niedrigere Ausgangsposition auf. Die 13 österreichischen Pflegenden zeigten einen etwas geringeren Punktezuwachs von 0,66 (SD = 0,44), bei höheren durchschnittlichen Baselinewerten. Insgesamt erzielten die deutschen Pflegefachpersonen bei sieben von 20 Eigenschaften zur Einstellung gegenüber der Pflegediagnostik eine durchschnittliche Punkteerhöhung um mehr als einen Punkt, die österreichische Gruppe (n = 13) bei vier Eigenschaften. Die österreichischen Pflegefachpersonen erachteten die Pflegediagnostik nach der Intervention nur geringfügig wichtiger (x− = 0,2; SD = 0,6). Das entspricht dem gerings-
Tabelle 3. Verteilung der mittleren Einstellungsdifferenzen. Land
n
Me
xˉ
SD
min
max
Österreich
12
,58
,66
,44
,1
1,5
Deutschland
34
1,08
,96
,57
–,6
1,9
Me = Median
Pflege (2016), 29(1), 33–42
C. Leoni-Scheiber et al.: Einstellung Pflegender zum Advanced Nursing Process
wichtig originell
verständlich 7 sinnvoll 6
angenehm
5
gut
überzeugend
4 3
akzeptabel
wertvoll
2 zweckmäßig
positiv
1
nützlich
intelligent
relevant
A (n=13) D (n=38)
bequem
bedeutend effektiv
leicht hilfreich
realistisch
Abbildung 1. Mittelwerte aller 20 Einstellungseigenschaften vor der Intervention in der österreichischen und deutschen Stichprobe.
ten Punktezuwachs bei der höchsten Ausgangsposition von 6,5 Punkten (Tab. 2). Der Unterschied zwischen den mittleren Einstellungsdifferenzen der österreichischen (+0,7; SD = 0,4) und deutschen Pflegefachpersonen (+1,0; SD = 0,6) war statistisch signifikant (p = 0,045).
Diskussion Die Einstellung von Pflegefachpersonen gegenüber der Pflegediagnostik als Teil des Advanced Nursing Process wurde erstmals in Österreich und Deutschland untersucht. Die Ergebnisse zeigen, inwiefern sich die Einstellungen nach einer Bildungsintervention änderten. Die Ausgangslage der Einstellung zum Advanced Nursing Process beider Gruppen war im Vergleich zu bisherigen, internationalen Resultaten hoch. Die Pflegefachpersonen waren gegenüber der Pflegediagnostik sehr positiv eingestellt und erachteten sie als sinnvoll und wichtig. Gründe könnten sein, dass der Pflegeprozess im deutschsprachigen Raum eine lange Tradition hat und die Pflegediagnosen seit den 1990er Jahren eingeführt wurden (Müller-Staub et al., 2014; Abderhalden et al., 2006). Die positive Einstellung der Gruppe aus Österreich steht mit durchschnittlich 108 Punkten international betrachtet neben der Einstellung Studierender und professionell Pflegender aus Brasilien an der Spitze (120 Punkte auf der PND) (Oliva et al., 2005). Die Baselineeinstellung der deutschen Pflegefachpersonen (95 Punkte) lag etwas höher als jene der japanischen Pflegenden (88 Punkte; Hasegawa et al., 2007); und deutlich über einer US-amerikanischen Gruppe von Pflegepersonen, die vor zwanzig Jahren verpflichtet an einer Schulung teilgenommen hat (84 Punkte; Lunney & Krenz, 1994). Im Anschluss an die Bildungsintervention war die Einstellung klinisch relevant und statistisch signifikant positiver, die Überzeugung der Teilnehmenden nahm deutlich zu. Eine durchschnittliche Erhöhung um einen Punkt entspricht umgerechnet einer gesamthaft 14,3-prozentigen Einstellungsverbesserung. Das in der Schulung vertiefte Verständnis hinsichtlich der dem Advanced Nursing Process immanenten, validen Konzept und seiner Anwendung Pflege (2016), 29(1), 33–42
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dürfte überzeugt haben. So wurde die Pflegediagnostik nach der Schulung deutlich leichter eingeschätzt als zuvor. Dieses Resultat korrespondiert mit jenem von Erdemir, Altun und Geckil (2003). Nach einem 11-stündigen Kurs zur Pflegediagnostik gaben 85 % der Studierenden an, dass sie ein gutes Verständnis darüber erlangt hätten, und 64 % äußerten keine Schwierigkeiten mehr bezüglich der Formulierung von Pflegediagnosen. Vor der Bildungsintervention wurde die Pflegediagnostik als Teil des Advanced Nursing Process als schwer bezeichnet. Die Umsetzung des Prozesses mit seinen Komponenten sowie den personalen und strukturellen Verflechtungen ist äußerst komplex und anspruchsvoll. Auch in anderen Studien wurden Schwierigkeiten in der Komplexität der Strukturen von Pflegediagnosen, dem Vokabular und deren Dokumentation identifiziert (Conrad et al., 2012). Die von den Teilnehmer/inne/n ausgewiesene Unannehmlichkeit könnte ein Hinweis auf Schwächen in der Kompetenz zur Pflegediagnostik sein (Müller-Staub et al., 2007); aber auch auf mangelnde Ressourcen im praktischen Setting oder entsprechende organisationale Rahmenbedingungen hindeuten, denn auch die Kultur der Organisation ist Träger von Einstellungen, Wissen und Werten und beeinflusst das pflegerische Handeln (Halverson et al., 2011; Hofstede, Van Hofstede & Minkov, 2010). Primär war die Gruppe der österreichischen Pflegefachpersonen deutlich positiver eingestellt als die Pflegenden aus Deutschland. In Österreich wird die Feststellung und Formulierung von Pflegediagnosen innerhalb der Pflegedokumentation seit 1997 gesetzlich gefordert (GuKG §§ 5, 14). Kongruent zu den gesetzlichen Forderungen ist der Pflegeprozess mit seinen Schritten und dessen Dokumentation in den Ausbildungscurricula des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen (ÖBIG) festgeschrieben. Damit wurde eine gewisse settingübergreifende Tradition in der Pflegediagnostik entwickelt. Die weniger ausgeprägte positive Einstellung der deutschen Pflegefachpersonen könnte mit der konkreten Umsetzung in Zusammenhang gebracht werden (Junttila et al., 2005). So legten Qualitätsprüfungen des MDS (Medizinscher Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen) einen teilweise erheblichen Handlungsbedarf bezüglich der Anwendung und Umsetzung des Pflegeprozesses nahe (MDS, 2005). Die Befähigung der Auszubildenden, ihr Pflegehandeln nach dem Pflegeprozess zu gestalten, ist in der deutschen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege festgehalten. Im Krankenpflegegesetz (§ 3) wurde unter anderem die eigenverantwortliche Erhebung und Feststellung des Pflegebedarfs fixiert, nicht jedoch die explizite Umsetzung der Pflegediagnostik. Möglicherweise ist die länger zurückliegende und expliziter formulierte gesetzliche Verankerung in Österreich für die positivere Einstellung gegenüber der Pflegediagnostik als Teil des Advanced Nursing Process ausschlaggebend. Die positive Einstellungsveränderung fiel in der Gruppe der deutschen Pflegefachpersonen bei der signifikant niedrigeren Ausgangssituation höher aus als in der Gruppe © 2016 Hogrefe
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C. Leoni-Scheiber et al.: Einstellung Pflegender zum Advanced Nursing Process
der österreichischen Pflegenden. Die Werte in der österreichischen Gruppe waren bereits vor der Intervention sehr hoch, eine Steigerung war teilweise kaum mehr möglich (z. B. bei wichtig und sinnvoll; 6,5 P.). Aufgrund der Nähe zu «7» kann hier ein Ceiling-Effect bzw. Deckeneffekt angenommen werden (Academic dictionaries and encyclopediasm, 2015). Möglicherweise war das primäre Interesse der Bachelorstudierenden in der österreichischen Stichprobe besonders groß und vermutlich auch kulturoder bildungsbedingt höher als in der deutschen Gruppe. Beachtenswert erscheint, dass die kurze, 2-tägige Bildungsintervention eine derart positive Einstellungsveränderung herbeiführte. Denn intraindividuelle Einstellungsveränderungen sind nicht einfach zu erreichen und gehen langsam vonstatten (Egger-Subotitsch, Poschalko, Kerschbaumer & Wirth, 2014). Sie unterliegen einem komplexen Netzwerk an Wechselwirkungen mit Rückkoppelungseffekten und werden von einer Reihe von Faktoren des persönlichen und beruflichen Umfeldes beeinflusst: soziodemografische Merkmale, Grundhaltung, Selbstwirksamkeit, Möglichkeit der Einflussnahme, Wille sowie Zielorientierung. So standen auch die Einstellungswerte Studierender in Brasilien in statistischem Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Macht ihrer klinischen Rolle (Cruz et al., 2006). Es stellt sich hingegen die Frage der Nachhaltigkeit der gemessenen Einstellungsveränderungen. Der zweite Messzeitpunkt dieser Studie lag jeweils am Ende der zwei Bildungstage. Im Elaboration Likelihood Model basieren Einstellungsveränderungen der sogenannten «zentralen Route» auf einer umsichtigen, argumentativen Auseinandersetzung (Eisenhut, 2009) und sind Resultat einer kognitiven Auseinandersetzung. Je größer der individuelle Beitrag der/des Teilnehmenden zur Elaboration, desto nachhaltiger und ausgeprägter die Einstellungsveränderungen. Diese werden neben den personalen, motivationalen Faktoren auch vom didaktischen Modell und den darin angewandten Lehr-/Lernmethoden beeinflusst (Lunney, 2007). Den größten positiven Einstellungszuwachs mit knapp 26 Punkten erreichten Pflegende, die an einem 12-stündigen Kurs teilnahmen (Collins, 2013). Dieser war am Konzept Critical Thinking ausgerichtet und konstruktivistisch mit angeleiteten Selbststudien und Fallanalysen aufgebaut. Pflegepersonen, denen die Teilnahme am Seminar vorgeschrieben war, erreichten eine deutlich geringere Punkteanzahl (84 P.; Lunney & Krenz, 1994). Ein weiterer möglicher, beeinflussender Faktor der Einstellung von Pflegenden gegenüber der Pflegediagnostik könnte in der gegebenen Personalausstattung liegen. In Österreich liegt die Zahl Pflegender, welche in Krankenanstalten angestellt sind, bei 7,6 pro 1 000 Einwohner/innen. Im Positionspapier des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe zum aktuellen Pflegepersonalmangel (DBfK, 2010) wurden aus Krankenhäusern 70 000 fehlende Stellen angegeben. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung, unattraktiver Rahmenbedingungen und fehlender Perspektiven im Beruf würden sich immer mehr Pflegekräfte für einen frühzeitigen Berufsausstieg entscheiden. Diese Situ© 2016 Hogrefe
ation steht offensichtlich einer fördernden Einstellung zur Pflegediagnostik als Teils des Advanced Nursing Process entgegen. Die hohe Akzeptanz der befragten Bachelorstudierenden gegenüber der Pflegediagnostik im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen aus Deutschland könnte auf ihre primäre Motivation oder auf pflegerische Bildungsinhalte zurückzuführen sein. Neuere Studien belegen positive Effekte der Einführung von Pflegediagnostik in Praxis und Ausbildungen, dennoch wird der Advanced Nursing Process noch nicht überall umgesetzt. Die Anwendung des Advanced Nursing Process basiert auf validen Assessmenttools, evidenz-basierten Pflegediagnosen und -interventionen sowie auf literaturgestützten Patientenergebnissen. Es wurde nachgewiesen, dass die Anwendung des Advanced Nursing Process zu signifikant besseren Patientenergebnissen führt (Müller Staub et al., 2010, 2007). Trotz dieser Erkenntnisse weisen Untersuchungen auf Schwierigkeiten im Umgang mit Pflegediagnosen hin, welche die hier vorgelegten Ergebnisse unterstützen (Paans, Sermeus, Nieweg & van der Schans, 2010). Wie groß der Einfluss personal-qualifikatorischer und organisational-technischer Indikatoren auf die Einstellung von Pflegefachpersonen zum Advanced Nursing Process ist, ist unklar und daher in Folgestudien zu untersuchen.
Limitationen Die geringe Stichprobengröße (N = 51) lässt keine Generalisierung der Ergebnisse zu. Zu den Studienteilnehmer/ innen wurden aus Ressourcen- und Anonymitätsgründen keine weiteren Angaben erhoben. Ob das Vorwissen, die Berufserfahrung, das Arbeitsumfeld der Teilnehmenden bzw. die Teilnahmemotivation die Resultate beeinflusste, bleibt daher unbekannt und inwieweit das Antwortverhalten der Studierenden durch soziale Erwünschtheit beeinflusst war, ist offen. Die Dauer der Bildungsintervention und die parallele Einstellungsmessung zu Beginn und am Ende der Intervention lassen keine Aussage auf die Nachhaltigkeit der Einstellungsveränderung zu.
Schlussfolgerungen Pflegefachpersonen sind gegenüber der Pflegediagnostik als Teil des Advanced Nursing Process grundsätzlich positiv eingestellt. Die Teilnehmenden bezeichneten Pflegediagnostik als Teil des Advanced Nursing Process erheblich verständlicher, überzeugender und realistischer. Sie fanden die Anwendung des Advanced Nursing Process jedoch auch nach der Schulungsintervention schwierig. Er ist anspruchsvoll, denn es geht um komplexe, kognitive Prozesse; von der adäquaten Anwendung valider Assessmenttools über das Stellen evidenz-basierter Pflegediagnosen zur Anwendung von wirksamen Pflegeinterventionen bis Pflege (2016), 29(1), 33–42
C. Leoni-Scheiber et al.: Einstellung Pflegender zum Advanced Nursing Process
hin zu messbaren Pflegeergebnissen. Studien zeigen jedoch, dass der Advanced Nursing Process für die Pflegequalität, Patientensicherheit und Kontinuität sowie für den Nachweis von pflegesensiblen Patientenergebnissen unverzichtbar ist (Gershater et al., 2010; Saranto & Kinnunen, 2009; Cheevakasemsook et al., 2006). Die insgesamt positiven Ergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe, nicht nur in der Pflegegrundausbildung, sondern auch in weiterführenden Bildungsinterventionen ein größeres Augenmerk auf die Einstellung der Bildungsteilnehmer/innen zum Advanced Nursing Process zu legen. Das Instrument PND hat sich als leicht anwendbar erwiesen und gezeigt, dass Einstellungen mess- und veränderbar sind. Es sollte in weiteren Untersuchungen im deutschsprachigen Raum mit repräsentativen Stichproben eingesetzt werden. Eine andere Untersuchung, in der alle diplomierten Pflegepersonen (GuKP) eines österreichischen Krankenhauses sowie für die Implementierung von Pflegediagnosen verantwortliche Pflegefachpersonen aus der Schweiz eingeschlossen waren, wurde durchgeführt (Leoni-Scheiber & Müller Staub, 2014). Die hier vorliegende Interventionsstudie zeigt, dass Einstellungen durch den Einsatz konstruktivistischer Methoden veränderbar sind. Daher wird empfohlen, den Advanced Nursing Process forciert in Ausbildung und Praxis zu implementieren. Parallel dazu sollten relevante beeinflussende organisationaltechnische Faktoren sowie personale Supportsysteme untersucht werden.
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Claudia Leoni-Scheiber Hafnerweg 3 6600 Lechaschau Österreich c.leonischeiber@aon.at
Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie? Die Dateninterpretation bezüglich der verschiedenen Studienteilnehmer. Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft? Studien der Einstellung zum Advanced Nursing Process, um generalisierbare Aussagen abzuleiten. Was empfehlen Sie den LeserInnen zum Weiterlesen/Vertiefen? Lunney, M. (2009). Critical Thinking to Achieve Positive Health Outcomes, Ames: Wiley-Blackwell. Lunney, M. (2010). Use of Critical Thinking in the Diagnostic Process. International Journal of Nursing Terminologies & Classifications, 21(2), 82 – 88.
Manuskripteingang: 21.12.2014 Manuskript angenommen: 20.05.2015
Pflege (2016), 29(1), 33–42
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Aus der Praxis – für die Praxis
Die Konstruktion von Berufsbildern bei Fachfrauen/ -männern Gesundheit und dipl. Pflegefachpersonen Dominik Robin (lic. phil.), René Schaffert (lic. phil., dipl. Pflegefachmann) Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften, Departement Gesundheit der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur
Zusammenfassung: Hintergrund: Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Berufsbildung (2004) haben die Ausbildungen im Pflegebereich in der Schweiz eine grundlegende Umstrukturierung erfahren. Diese Veränderungen zeigen unter anderem Auswirkungen auf die Berufsbilder. Ziel: Ziel dieses Beitrags ist es aufzuzeigen, wie die Berufsbilder in den Beschreibungen von Fachfrauen/-männern Gesundheit und dipl. Pflegefachpersonen nach der Schaffung von neuen Ausbildungsgängen und der generellen Neugestaltung des Berufsfeldes konstruiert werden. Methode: In 110 Leitfadeninterviews wurden schweizweit berufseinsteigende Fachfrauen/-männer Gesundheit und dipl. Pflegefachpersonen mit einem HF- sowie einem Bachelor-Abschluss zum Berufsbild befragt. Die Antworten der Befragten wurden mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse und vor dem Hintergrund der Theorie von Berger und Luckmann (1977) ausgewertet. Ergebnisse: Aus den Interviews geht hervor, dass Berufsbilder in der Wechselwirkung gesellschaftlicher Zuschreibungen und individueller Aneignungs- und Überarbeitungsprozesse entstehen. Die Berufseinsteigenden sind herausgefordert, ihr eigenes Berufsbild mit einem als fehlend oder unpassend wahrgenommen gesellschaftlichen Bild auszubalancieren und Stereotypisierungen zu korrigieren. Schlussfolgerung: Die Differenzierung zwischen den Berufen und verschiedenen Ausbildungen sollte weiter vorangetrieben werden und es sollte auf eine Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung der Berufe im Pflegebereich hingearbeitet werden. Schlüsselwörter: Berufsbild, Fachfrau/-mann Gesundheit, dipl. Pflegefachperson, Stereotype, qualitative Sozialforschung
The construction of professional images of healthcare assistants and registered nurses Abstract: Background: In the field of nursing in Switzerland, educations have experienced a fundamental reorganization with the implementation of the new law on Vocational and Professional Education and Training (2004). Among other things, this change affects professional images. Purpose: To show how the different professional images in the field of nursing are being constructed in the descriptions of professions by graduates after the reshaping of the educations and the occupational field in general. Methods: In 110 semi-structured interviews, healthcare assistants and registered nurses (college diploma and Bachelor of Science) in their early careers were asked to explain their professional image. The participant's answers were analysed based on a qualitative content analysis and considering the theoretical background of Berger and Luckmann (1977). Results: The interviews show that professional images emerge on the interaction of societal attributes and individual processes of adoption and revision. Graduates are challenged to adjust stereotypes and to achieve a balance between their own professional image and a missing or inappropriately perceived societal image. Conclusion: There should be further emphasis on the differentiation between the professions and the different educations in the field of nursing in order to achieve a better public perception of the different professions. Keywords: nursing, education, professional role, qualitative research
Einführung In der Folge der Inkraftsetzung des neuen Gesetzes zur Berufsbildung (2004) haben die Ausbildungen im Pflegebereich in der Schweiz im vergangenen Jahrzehnt schrittweise eine grundlegende Umstrukturierung erfahren. Als neuer Beruf ist auf der Sekundarstufe II der Abschluss als Fachfrau/-mann Gesundheit (FaGe) mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis geschaffen worden. Die Ausbildung zur dipl. Pflegefachperson wurde umstrukturiert und wird in der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz auf Tertiärstufe sowohl an Höheren Fachschulen (HF) wie auch an Fachhochschulen (BSc) angeboten. In der französischPflege (2016), 29(1), 43–49 DOI 10.1024/1012-5302/a000467
sprachigen Schweiz erfolgen alle Abschlüsse für dipl. Pflegefachpersonen auf Bachelor-Niveau. Sowohl FaGe wie auch dipl. Pflegefachpersonen beider Abschlussniveaus übernehmen im Berufsalltag pflegerische Aufgaben und haben überschneidende Tätigkeitsfelder. Diese Veränderungen manifestieren sich in neuen Lehrplänen und Curricula der Bildungseinrichtungen. Sie führen auch zu neuen Formen der Arbeitsorganisation in den Betrieben und zeigen Auswirkungen auf die Berufsbilder. Das Bild des Pflegeberufs wird von Rezaei-Adaryani, Salsali und Mohammadi (2012; 83) in einem Literaturreview als «mehrdimensionales, allumfassendes, paradoxes, dynamisches und komplexes» Konzept beschrieben, das © 2016 Hogrefe
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D. Robin & R. Schaffert: Die Konstruktion von Berufsbildern in der Pflege
Was ist (zu dieser Thematik) schon bekannt? Berufsbilder konstruieren sich in einer Verbindung zwischen Individuum und Gesellschaft. Was ist neu? Rund zehn Jahre nach der Neugestaltung von Ausbildungen im Pflegebereich haben sich noch keine eigenständigen Berufsbilder in der Gesellschaft entwickelt. Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflegepraxis? Berufseinsteigende sind herausgefordert, ihr eigenes Berufsbild mit einem als fehlend oder unpassend wahrgenommen gesellschaftlichen Bild auszubalancieren.
Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen zeigt, beispielsweise hinsichtlich der Rekrutierung, der Leistungen, der Arbeitszufriedenheit oder der Fluktuation von Pflegenden. Berufsbilder im Pflegebereich unterliegen auf jeden Fall einer ständigen historischen Entwicklung (Birnbaum & Somers, 1989) und sind auch vom kulturellen Kontext des Landes (Arthur et al., 1999) sowie vom Arbeitsumfeld (Öhlen & Segesten, 1998) abhängig. In einer Analyse der Altenpflege in Deutschland betont Voges (2002; 32), betreffend der Konstruktion eines Berufs, den Einfluss von «Leitvorstellungen, die in Berufsbildern kodifiziert sind». Im Zuge der Umstrukturierungen der Ausbildung im Pflegebereich in der Schweiz sind die Berufsbilder bislang, abgesehen von Definitionen der Tätigkeitsfelder (Lüthi, 2009), nicht untersucht worden. Einige wenige Studien, wie die von Schoppmann und Lüthi (2009) zum Arbeitsalltag des Pflegefachpersonals in einer psychiatrischen Klinik, haben Fragen zum Berufsbild am Rand diskutiert. Mangels entsprechender Studien ist der wissenschaftliche Kenntnisstand zur veränderten Situation im Pflegebereich in der Schweiz also gering.
ve Erfahrung zu einer objektiven Tatsache werden kann. Wir nehmen unsere alltägliche Lebenswelt, in der wir denken und handeln, subjektiv wahr. Unser Wissen und unsere Erfahrungen um diese Lebenswelt wurden allerdings durch den Prozess der Sozialisation in zwischenmenschlichen Interaktionsprozessen mitgeformt. Der Mensch macht in seiner alltäglichen Lebenswelt Erfahrungen, die er als typische Erfahrungen in seinem Wissensvorrat ablagert. Durch die Interaktionen mit anderen verfestigt er das Wissen, das er erworben hat, gibt es weiter oder vergleicht es mit dem Wissen anderer. Die Typisierungen, die daraus entstehen, können als Normen und Institutionen verstanden werden. Berufe sind eine Art institutioneller Ordnung, wobei jeder einzelne über einen spezialisierten Wissensvorrat verfügt. Berufe sind keine starren Gebilde, weil sie ständigen gesellschaftlichen Veränderungen ausgesetzt sind. Sie sind vielmehr dynamische «Sub-Welten» (Berger & Luckmann, 1977; 148), in die Berufsanfänger/innen sozialisiert werden. Die Berufseinsteigenden müssen dazu ein typisches Wissen, das ihr Berufsbild ausmacht, verinnerlichen. Das kann zum Beispiel der Erwerb konkreter Fähigkeiten oder eines spezifischen Vokabulars sein.
Methodik Im Rahmen einer Studie zum Berufseinstieg von Absolventen/innen im Pflegebereich wurden schweizweit Leitfadeninterviews mit Fachfrauen/-männern Gesundheit und dipl. Pflegefachpersonen durchgeführt. Dabei wurden auch Berufsbilder thematisiert, wobei die entsprechenden Aussagen mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden.
Zielsetzung
Rekrutierung und Datenerhebung
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Berufsbilder einige Jahre nach einer Neugestaltung des Berufsfeldes mit einem neuen Beruf und neuen Ausbildungsgängen konstruiert werden. Ziel dieses Beitrags ist es aufzuzeigen, wie in den Berufsbeschreibungen von Fachfrauen/-männern Gesundheit und Pflegefachfrauen/-männer mit einem HF- sowie einem BSc-Abschluss das Berufsbild konstruiert wird.
Insgesamt wurden 110 Leitfadeninterviews mit Berufseinsteigenden in den Berufen Fachfrau/-mann Gesundheit (FaGe), dipl. Pflegefachfrau/-mann HF (HF) und Pflegefachfrau/-mann BSc (BSc) geführt. Die Rekrutierung der Teilnehmenden orientierte sich an der Studie zum Berufseinstieg. Die Interviewpartner/innen wurden direkt über die Bildungsinstitutionen in den verschiedenen Landesteilen rekrutiert, wobei die meisten Befragten bereits an zwei quantitativen Untersuchungen, während des letzten Ausbildungsjahrs sowie ein Jahr nach dem Ausbildungsabschluss, teilnahmen. Die Auswahl der Interviewpartner/innen erfolgte nach einer Samplingstrategie maximaler Variation (Creswell, 2007). Die Schlüsselkriterien, nach denen die Rekrutierung gesteuert wurde, waren die Ausbildung, die Landesregion, das Arbeitsfeld sowie das Geschlecht (siehe Tabellen 1 und 2). Die Anzahl der durchgeführten Interviews richtete sich nach dem Anspruch, Berufseinsteigende aus möglichst verschiedenen Arbeitsfeldern in allen drei Ausbildungsgängen sowie aus allen drei Landesregionen zu befragen.
Theoretischer Hintergrund: Individuum und Gesellschaft Berger und Luckmann (1977) sprechen von der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit und verstehen darunter die Dialektik von «subjektiver» und «objektiver» Wirklichkeit, respektive von Individuum und Gesellschaft (Eberle, 1992). Sie stellen sich die Frage, wie eine subjekti© 2016 Hogrefe
Pflege (2016), 29(1), 43–49
D. Robin & R. Schaffert: Die Konstruktion von Berufsbildern in der Pflege
Tabelle 1. Verteilung der Befragten auf Landesteile und Berufe. Deutschschweiz
Romandie
FaGe
18
15
8
41
BSc
17
17
12
46
HF
18
Keine1
5
23
Total
53
32
25
110
1
Tessin
Gesamt
In der Romandie gibt es keine Ausbildung auf HF-Stufe
Tabelle 2. Merkmale der Untersuchten. Geschlecht
Weiblich Männlich
98 12
Alter zum Zeitpunkt des Interviews
30+ 25 bis 29 Bis und mit 24 Keine Angabe
15 67 25 3
Arbeitsbereich
Akut Langzeit Rehabilitation Psychiatrie Spitex Anderes1 Keine Angabe
49 21 8 10 10 11 1
1
Angewandte Forschung, Amtswesen, Heime etc.
Dieses Vorgehen wird dem Umstand der Heterogenität des Feldes gerecht und ermöglicht es, gruppenspezifische Vergleiche festzuhalten. Die Interviews wurden von wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen des Projektteams der Studie durchgeführt, dauerten durchschnittlich zwischen 30 und 50 Minuten und fanden mehrheitlich bei den Befragten zu Hause statt. Die Leitfadeninterviews wurden zwischen vier und 18 Monate nach dem Berufseinstieg durchgeführt. Die Teilnehmenden erhielten vorgängig zur Studie Informationen und willigten schriftlich in eine anonymisierte Auswertung ihrer Antworten ein.
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Anlehnung an Gläser und Laudel (2004) ausgewertet. Bei den Transkriptionen wurde gesprächsanalytisch, nach den Regeln von Honer (1993; 83), vorgegangen, wobei neben einer wortwörtlichen Übertragung des Gesprächs auch parasprachliche Inhalte (z. B. Lachen) erfasst wurden. Im Prozess der Auswertung wurden die Transkripte auf relevante Informationen hin untersucht und kodiert. Beim Vorgang des Kodierens wurde teilweise offen, teilweise hypothesengeleitet im Sinn des «theoretischen Vorwissens» (Gläser & Laudel, 2004; 197) vorgegangen. Ziel beim Kodieren war es, schrittweise Kategorien aus dem Datenmaterial zu bilden. Das Kategoriensystem wurde dabei in der Anfangsphase mehrfach überarbeitet (siehe Tabelle 3). Dabei wurden anhand typischer Textpassagen aus den Interviews Haupt- und Sub-Kodes entwickelt. Die Kodierung erfolgte nach einer dreistufigen Grundstruktur (übergeordnete Kategorien, Hauptthemen, Subthemen). Um den Prozess der Datenerhebung transparenter zu gestalten, wurde nach dem Prinzip der «Dimensionalisierung» (Gläser & Laudel, 2004; 210) vorgegangen. Bei der Auswertung wurden vergleichende Dimensionen zwischen den Berufsgruppen geschaffen. Die Hauptkodes wurden berufsgruppenübergreifend kodiert beziehungsweise in Relation zueinander gesetzt (siehe Tabelle 3). Im Sinn der «intersubjektiven Nachvollziehbarkeit» (Steinke, 2000; 324) haben mehrere Forschende die Interviews kodiert und die vergebenen Kodes gegenseitig überprüft. Für die Weiterverarbeitung wurden die vergebenen Kodes durch den Prozess der «Extraktion» (Gläser & Laudel, 2004, S. 193) in sinngemäßen Einheiten gruppiert und dargestellt. Die Extraktion erfolgte computergestützt, durch die Software ATLAS.ti©. Es war nicht das Ziel der Analyse, einen Beitrag zur Theorieentwicklung zu leisten, sondern eine systematische Verdichtung der Narrationen der Befragten vorzunehmen, um berufsgruppenspezifische Aussagen machen zu können. Die Systematik der Inhaltsanalyse und die Bildung eines Kategoriensystems werden für diese Vorgehensweise im Sinn einer (re-)konstruierenden Untersuchung als Vorteil erachtet (Schreier, 2014; 170).
Analyse Die Frage nach dem Berufsbild bildete nur eine Frage im Leitfaden, der im Rahmen der erwähnten Studie zum Berufseinstieg von Pflegenden entwickelt wurde. Die Pflegenden wurden in den Interviews gefragt, wie sie jemandem, der vom Gesundheitswesen in der Schweiz keine Ahnung hat, ihren Beruf erklären würden. Je nach Gesprächsverlauf wurden außerdem Nachfragen wie «Können Sie mir das genauer erklären?» oder «Was meinen Sie damit?» gestellt, um die Interviewpartner/innen zu weiteren Erzählungen anzuregen. Als Grundlage für die Analyse dienten dann die Antworten der Befragten auf diese Fragen. Unter Berufsbild verstehen wir folglich die Beschreibungen und Erklärungen der Befragten zum eigenen Beruf. Die Leitfadeninterviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse in Pflege (2016), 29(1), 43–49
Ergebnisse aus den Interviews Dipl. Pflegefachfrau/-mann HF Zunächst fällt es den meisten HF-Pflegenden schwer, ihren Beruf zu erklären. Die Beantwortung der Frage beginnt in manchen Interviews mit Aussagen wie «das ist schwierig» (HF2B, 173) oder «schwierig, das so auf den Punkt zu bringen, weil der Beruf nicht auf etwas beschränkt ist» (HF7C, 104). Eine HF-Pflegende würde ihren Beruf in Bezug auf den englischen Begriff «Nurse» erklären und das damit verbundene, weltweite Berufsbild mit seinen Zuschreibungen übernehmen: «Man kann weltweit sagen ‹I am a nurse› und jeder weiß plus minus was das ist» (HF5B, © 2016 Hogrefe
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D. Robin & R. Schaffert: Die Konstruktion von Berufsbildern in der Pflege
Tabelle 3. Kategoriensystem nach Hauptkodes. Hauptkategorie
Berufsbild
Berufsspezifische Gruppe
FaGe
HF
BSc
Hauptkodes
Schwierige Frage Krankenschwester Klischees X X Mit Menschen zu tun haben X Abwechslungsreicher Beruf Zusammenarbeit mit Dipl. Positionierung im Team Schöner Beruf X
Schwierige Frage X Klischees Pflegefachfrau Verantwortung Mit Menschen zu tun haben Komplexität Abwechslungsreicher Beruf Pflegeprozess Interdisziplinäres Team X Veränderungen
Schwierige Frage Krankenschwester Klischees Pflegefachfrau Verantwortung Mit Menschen zu tun haben Komplexität Abwechslungsreicher Beruf Arbeitsaufteilung mit «HF's» Interdisziplinäres Team X X
151). Die Befragten haben Mühe, ihren Beruf konkreter zu beschreiben, weil sie ihren Pflegealltag als komplex betrachten: «Ich staune immer wieder, wie komplex und vielschichtig es ist» (HF8C, 49). Diese Komplexität drückt sich durch die Vielfältigkeit des Aufgabenbereichs und den Anspruch aus, die Patienten/innen umfassend, von «A bis Z» (HF1C, 45), zu betreuen und zu begleiten: «Dann würde ich sagen man soll es sich so vorstellen, dass ich versuche die Patientin zu unterstützen, mit den Auswirkungen ihrer Krankheit zu leben» (HF6B, 218). Viele Befragte erwähnen den Pflegeprozess oder verweisen auf Aspekte wie die Begleitung von Patienten/innen von Eintritt bis Austritt oder eine 24-Stunden-Betreuung. Die Steuerung des Pflegeprozesses ist aus Sicht einiger Befragten wichtig für das Selbstverständnis ihres Berufsbilds: «dass ich auch nach einem Pflegeprozess arbeite (…) dass ich einen Anfang und ein Ziel verfolge und am Schluss auch die Wirkung evaluiere» (HF4B, 110). Um ihre berufliche Stellung gegenüber den FaGe's und Pflegeassistenten/innen abzugrenzen, betonen sie außerdem die Verantwortung, sich umfassend um komplexe Patienten/innen zu kümmern. Bei der Selbstdarstellung des Berufsbilds spielen aber auch individuelle Eigenschaften, die sich vor allem in der Pflege, Betreuung und Fürsorge von Menschen zeigen, eine wichtige Rolle. Die Fähigkeit der Gefühlsarbeit markiert aus Sicht der Befragten einen wichtigen Teil der Selbstwahrnehmung als dipl. Pflegefachperson. Pflegen bedeute, «die Fühler auszustrecken» (HF4C, 73). Für die Teilnehmenden geht der Beruf damit auch über das rein Fachliche hinaus: «Nicht einfach nur eine Fachperson sein, welche kompetent ist, sondern auch einfach ein Mensch-sein, der da ist und im richtigen Moment auch mal ein tröstendes Wort hat» (HF5B, 163). Eine Pflegefachfrau sei eine Person, die «Herz haben muss» (SSS1C, 133) und sich für das Wohlbefinden des Patienten einsetze. Eine Pflegefachperson habe auch die schwierige Aufgabe, die Patienten/innen gegenüber anderen Berufsgruppen, insbesondere den Ärzten, zu vertreten. Im Vergleich zu den FaGe's stünde Ihnen dazu allerdings mehr «Raum» (HF7C, 112) zur Verfügung, um bei gewissen Situationen selbst Entscheidungen treffen zu können. Im Vergleich zu den Ärzten, die eher die Ursachen einer Krankheit betrachten, sei diese Eigenschaft zentral und verstärke ihre berufliche Position. Nicht selten trete eine dipl. Pflege© 2016 Hogrefe
fachperson als «Vermittlerin zwischen Patient und Arzt» (SSS5C, 129) auf. Aus der Perspektive der Befragten sind die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen an die Pflege nicht widerspruchsfrei, weshalb sie Stellung zu den stereotypen, teilweise negativen oder unvollständigen Vorstellungen ihres Berufs beziehen. Sie korrigieren dabei Klischees, die mit ihrem Beruf assoziiert werden. Die Korrektur dieser klischeehaften Vorstellungen nehmen sie über Präzisierungen ihres Tätigkeitsfelds vor: «Ja zuerst einmal alle Klischees aus dem Raum schmeißen. Also man sagt ja Pflegende, die ‹chared› nur ein wenig die alten Leute herum und ein wenig aus dem Bett holen und ein wenig Körperpflege machen, sondern dass wirklich, dass wir eine relativ große Rolle mittlerweile haben» (HF1C, 45). Die Befragten möchten sich bewusst von gesellschaftlichen Zuschreibungen distanzieren: «Topf leeren und so. So Klischeesachen würde ich garantiert nicht erwähnen» (HF8B, 204). Während das gesellschaftliche Bild die Pflege primär auf Verrichtungen reduziert, sei die Realität des Berufsalltags mit Verantwortung und einer umfassenden Pflegetätigkeit verbunden: «und das wirklich auch erklären, dass (…) viel mehr noch dazu gehört rundherum» (HF1C, 45). Pflege würde zwar mit viel Arbeit in Verbindung gebracht, das Verständnis jedoch, einen «anspruchsvollen Beruf» (HF5C, 89) auszuüben, fehle.
Fachfrau/-mann Gesundheit Auch die FaGe's berichten von der Schwierigkeit, jemandem ihren Beruf zu erklären. Im Gegensatz zu den dipl. Pflegefachfrauen/-männern HF erzählen sie, dass ihr Beruf im Vergleich zu anderen Pflegeberufen eher unbekannt sei. Viele FaGe's beschreiben ihren Beruf in Relation zu den anderen Berufen im Pflegebereich: «Ich erkläre es eigentlich immer so, dass eine Fachfrau Gesundheit immer zwischen einer Diplomierten und den PA's [Pflegeassistenten/innen] ist (…) in der mittleren Schicht» (FaGe6C, 50). In der Mehrheit der Antwortnarrationen stellen die FaGe's Vergleiche zu den dipl. Pflegefachpersonen her. Aus der Perspektive der FaGe's in der Deutschschweiz entsteht die Berufsbeschreibung meistens unter Zuhilfenahme des Bilds der «Krankenschwester». Die deutschschweizer FaGe's beziehen sich auf Pflege (2016), 29(1), 43–49
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das öffentliche Bild der «Krankenschwester», grenzen sich zugleich aber auch wieder davon ab. Die Bezugnahme findet in hierarchischer Art und Weise statt: «Mein Beruf, also FaGe? Also ich würde sagen, es ist Krankenschwester. Einfach ein wenig tiefer» (FaGe2B, 166). Eine andere Absolvierende beschreibt ihren Beruf so: «Ich bin quasi eine Krankenschwester, also fast wie eine Krankenschwester» (FaGe9B, 120). Durch semantische Verbindungen wie «tiefer» (FaGe1B, 237), «quasi» (FaGe9B, 120) oder «halbe» (FaGe7C, 61) thematisieren sie die Verantwortungsbereiche der unterschiedlichen Berufsgruppen. Sie bringen zum Ausdruck, dass sie im Vergleich zu den dipl. Pflegefachpersonen hierarchisch tiefer eingestuft sind und auf deren Delegation hin arbeiten. Sie übernehmen das Berufsbild der «Krankenschwester», ordnen ihren Berufsstand aber gleichzeitig als weniger hoch ein. Das Wort Krankenschwester, das mit historischer Bedeutung aufgeladen ist, wird dabei von den Befragten explizit eingesetzt: «Ich denke Krankenschwester ist halt schon ein großer Begriff (…) eine Krankenschwester ist wahrscheinlich früher vor zwanzig Jahren wirklich nur auf die Medizinaltechnik, denke ich mal, fixiert gewesen» (FaGe4B, 356). Im Begriff «Krankenschwester» seien veraltete Klischees enthalten, die es teilweise zu korrigieren gelte. Ein häufiges Klischee, das mit dem Beruf der FaGe verbunden werde, sei die Annahme, nur für die Körperhygiene zuständig zu sein. Gesellschaftliche Stereotypisierungen konstruieren dabei etwa das Bild des «Füdli Putzer's» (FaGe9C, 114). Die FaGe's haben diese gesellschaftlichen Bilder verinnerlicht: Sie nehmen Bezug darauf, überarbeiten sie aber gleichzeitig. Auf einer individuellen Ebene betonen sie vor allem den zwischenmenschlichen Austausch mit den Patienten/innen: Anderen zu helfen aber auch etwas «zurück zu bekommen» (FaGe2C, 77) sei ein wichtiger Teil ihres Berufs. Viele FaGe's erwähnen die Vielseitigkeit ihres Tätigkeitsfelds und erklären ihren Beruf über die Unterstützung, Betreuung und Überwachung von Patienten/innen oder nennen eine medizinische, organisatorische und soziale Betreuung als zentrale Aspekte. Eine FaGe geht auf die vier Bereiche ein, welche gemäß der Schweizerischen Kommission für Berufsentwicklung und Qualität (SKBQ , 2008) das offizielle Berufsbild einer FaGe definieren und sich in den Curricula der Ausbildungen widerspiegeln: «En gros c'est les quatre» (ASSC2B, 131). Die erwähnten vier Bereiche sind: Pflege und Betreuung, Lebensumfeld und Alltagsgestaltung, Administration und Logistik sowie Medizinaltechnik. In der Romandie und im Tessin nehmen die Befragten auch Bezug zu der «infirmière» respektive zur «infirmiera». Das Berufsbild wird hier allerdings eher durch ein «Dazwischen-Sein», konkret zwischen Pflegehelfer/innen oder Pflegeassistenten/innen und dipl. Pflegefachpersonen beschrieben: «Généralement j'explique qu'il y a l'infirmière, il y a l'aide soignante et que l'ASSC est un peu au milieu» (ASSC3C, 67). Die FaGe's sehen sich bezüglich Hierarchie und Kompetenzbereich «zwischen» (ASSC8B, 145) den beiden Berufsgruppen. Sie gehören nicht zu der einen Berufsgruppe, aber auch nicht klar zur anderen, sondern bezeichnen sich als «weder Fisch noch Vogel» (OSS1C, 424) oder «zwischen zwei Stühlen» (ASSC2C, 53). Sie geben an, unter Anweisung Pflege (2016), 29(1), 43–49
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zu arbeiten, folgen hierarchischen Strukturen, üben Hilfsaufgaben aus, übernehmen aber auch Verantwortungen und Aufgaben, die sonst dipl. Pflegefachpersonen wahrnehmen. Die Funktion als Pflegehelfer/innen auf der einen Seite sowie die Verantwortungsübernahme von Aufgaben von dipl. Pflegefachpersonen auf der anderen Seite bilden die Eckpunkte des Berufsbilds einer FaGe. Die berufliche Funktion der FaGe's sei daher flexibel, da sie Tätigkeiten beider Berufsgruppen übernehmen können: Aspekte der Pflege, die Pflegeassistenten/innen nicht übernehmen können (z. B. Einschätzung von Wunden, Notfällen) sowie Aspekte, die eigentlich in der Verantwortung der dipl. Pflegefachpersonen liegen (z. B. Bezugspersonenpflege).
Pflegefachfrauen/-männer BSc Müssen die Pflegefachfrauen/-männer BSc ihren Beruf erklären, machen sie dies in erster Linie über die öffentlich-bekannten Bilder der «Krankenschwester» (Deutschschweiz), der «infirmière» (Romandie) und der «infermiera» (Tessin). Die Gesellschaft hätte oftmals eine vereinfachte Vorstellung vom Pflegealltag, die mit bestimmten negativen Tätigkeiten aufgeladen ist: «Pour mon grandpapa, mais c'est la vieille époque, une infirmière (…) c'est faire les toilettes» (HES2C, 64). Die Pflegefachpersonen BSc bemühen sich, diese Negativ-Vorstellungen, zum Beispiel nur für die Körperpflege der Patienten/innen zuständig zu sein, aus dem Weg zu räumen und das Berufsbild in der öffentlichen Wahrnehmung so darzustellen, dass es eine höhere soziale Anerkennung erfährt. Die Interviewten sprechen von der Komplexität ihres Berufs hinsichtlich der Betreuung von Patienten/innen oder der Fähigkeit, sich mit komplexen Krankheitsbildern und -situationen auszukennen. Ein weiteres Klischee, das es zu korrigieren gilt, sei, lediglich ein «Handlanger des Arztes» (FH9C, 53) zu sein. Gemäß dieser gesellschaftlichen Zuschreibung seien die Pflegefachpersonen BSc mehr oder weniger komplett den Anweisungen der Ärzten/innen untergeordnet und besitzen keine eigene Entscheidungskompetenz. Die Pflegefachfrauen/-männer BSc distanzieren sich von diesem Bild, indem sie die Autonomie, die sie im Team besitzen, betonen und dadurch ihren Berufsstand rechtfertigen. Einige Befragte erwähnen ihre Kenntnisse, die sie, im Gegensatz zu den Ärzten/innen, über die Krankheits- und Alltagssituation, das Wohl und die Anliegen ihrer Patienten/innen besitzen. Sie vertreten die Patienten/innen und nehmen ihren Beruf in der Funktion eines Bindeglieds zwischen Patient/in und Arzt/Ärztin wahr. Die Pflegefachfrauen/-männer BSc aus der Romandie grenzen ihren Berufsstatus zu den «formations anciennes» (HES4C, 82) ab – den meist älteren und erfahrenen Teamkollegen/innen, die ihre Ausbildung vor der Inkraftsetzung des neuen Gesetzes zur Berufsbildung absolviert haben. Die Westschweizer Pflegefachpersonen BSc sehen sich als «l'avocate du patient» (HES8B, 54): sie setzen sich möglichst vollumfänglich, auch aufgrund ihrer individuellen Stärken, für das Wohl des Patienten ein. Ihr Beruf bestehe daraus, in einem interprofessionellen Team die Ver© 2016 Hogrefe
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antwortung um das Wohl des Patienten zu tragen und auszuloten. Eine Befragte umschreibt diese Position mit «jongler avec des profession» (HES1B, 67). In der Deutschschweiz beschreiben ungefähr zwei Drittel der Befragten ihren Beruf über das gesellschaftliche Bild der «Krankenschwester». Die Pflegefachpersonen BSc setzen bei diesem Begriff an, ergänzen ihn aber dahingehend, dass sie selbst Zusatzfunktionen wahrnehmen und über ein zusätzliches Wissen verfügen: «Aber an sich die Arbeit im Alltag ist normale Krankenschwester also so mit einem anderen Denkansatz irgendwie» (FH4B, 150). Sie stufen sich höher als eine «normale Krankenschwester» (FH8C, 18) ein, weil das Berufsbild der «Krankenschwester» mit einem weniger hohen Kompetenzausweis einhergeht als dies bei Pflegenden mit einem Bachelor-Abschluss der Fall sei. Die Abgrenzung von der «normalen Krankenschwester» dient aus Sicht der Befragten zur Herstellung des Berufsbild als Pflegefachfrau/-mann BSc und zur sozialen Differenzierungen zu den anderen Pflegeberufen: «Ich sage immer wenn mich jemand fragt, dass ich eine bessere Krankenschwester bin» (FH7B, 150). Deutschschweizer Befragte beschreiben ihr Berufsbild als «Krankenschwester mit gewissen Zusatzaufgaben» (FH1B, 129), «mehr Bildung» (FH4B, 150) oder «mehr Wissen» (FH05B, 205). Diese Beschreibungen beziehen sich auf die Abgrenzung zum gesellschaftlichen Bild der «normalen Krankenschwester» (FH4B, 140) respektive zum Berufsstatus dipl. Pflegefachfrau/-mann HF. In der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz sind die Pflegefachpersonen BSc aufgrund struktureller Bedingungen bemüht, sich auch innerhalb ihres Arbeitsumfelds von den HF-Pflegenden abzugrenzen. Die Pflegefachpersonen mit einem Bachelor-Abschluss haben zwar einen eigenen Berufstitel als dipl. Pflegefachfrau/-mann FH, wissen aber, dass dieser in der Praxis unscharf vom Berufstitel der HF-Pflegenden getrennt wird, wenn nicht sogar austauschbar ist. Die ergänzende Beschreibung «FH» in ihrem Titel mache deshalb wenig Sinn: «Ich weiß gar nicht, ob ich das FH wirklich dann genauer erkläre, weil es bei mir in der Praxis ja eh nicht so genau umgesetzt wird» (FH3C, 71). Die Pflegefachfrauen/-männer BSc nehmen sich subjektiv also nicht in der gleichen Rolle wie die HF-Pflegenden wahr und grenzen sich vom Bild der «normalen Pflegenden/Krankenschwester» ab.
Diskussion Bei den Beschreibungen des Berufsbilds gehen alle drei Berufsgruppen auf drei Ebenen ein, nämlich die Gesellschaft, die Arbeitsfelder und die individuelle Ebene. Auf der gesellschaftlichen Ebene thematisieren sie öffentliche Bilder und Klischees, die sie übernehmen, präzisieren oder korrigieren. Auf der Ebene des Arbeitsfeldes erläutern sie ihren Beruf mit Bezugnahme zu den im Betrieb verorteten Tätigkeiten und Arbeitsteilungen. Sie grenzen sich von den anderen Berufen im Pflegebereich ab, beispielsweise durch die Beschreibung konkreter Verantwortungen, spezifischer Aufgabenbereiche oder hierarchischer Organisation. Die © 2016 Hogrefe
FaGe's grenzen sich von den Pflegeassistenten/innen und Pflegehelfer/innen ab, die HF-Pflegenden von den FaGe's, die Bachelor- von den HF-Pflegenden. Auf der individuellen Ebene betonen die Befragten persönliche Aspekte, wie die Gefühlsarbeit und den zwischenmenschlichen Austausch mit den Patienten/innen. Anhand der Theorie von Berger und Luckmann (1977) wurde gezeigt, dass Berufsbilder in der Verbindung gesellschaftlicher Zuschreibungen und individueller Aneignungs- und Überarbeitungsprozesse entstehen. Die Autoren sprechen von einem Zusammenwirken subjektiver Bewusstseinsstrukturen (Individuum) und institutioneller Strukturen (Gesellschaft). Auch in unserer Untersuchung stellte sich heraus, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen der Berufsbilder im Pflegebereich von Stereotypisierungen durchzogen sind. Die Befragten haben diese Typisierungen, die in Form von Klischees an sie herangetragen werden, verinnerlicht und wenden sie selbst an, um jemanden ihren Beruf zu erklären. Sie geben sie aber nicht bedingungslos wieder, sondern nehmen auf der Basis ihrer individuellen Wahrnehmung Korrekturen vor. Die individuelle Wahrnehmung der Absolvierenden steht dabei oftmals im direkten Widerspruch zur fehlenden gesellschaftliche Anerkennung, einen eigenständigen Beruf, der mit viel Verantwortung verbunden ist, auszuführen. Diese Spannung zwischen dem öffentlichen Bild und dem beruflichen Selbstverständnis wurde schon andernorts für die Pflege (Takase, Maude & Manias, 2006) aber auch für die Soziale Arbeit (Harmsen, 2004) identifiziert. Die Aneignung der Berufsbilder stellt für die Berufseinsteigenden eine Herausforderung dar. Beim Berufseinstieg müssen sie das Verhältnis der Selbst- und Fremdwahrnehmung des Berufsbilds ständig ausbalancieren. Eine besondere Herausforderung ergibt sich dabei für FaGe sowie die BSc-Pflegenden in der Deutschschweiz und im Tessin: Die Absolventen/innen dieser Ausbildungsgänge gehen davon aus, dass es noch kein gesellschaftlich verankertes Bild ihres Berufes gibt und beschreiben ihren Beruf mittels Bezugnahme zum gesellschaftlich bekannten Berufsbild einer «Krankenschwester». Dies steht im Gegensatz zu den HF-Pflegenden, die darauf vertrauen, dass ihr Berufsbild sogar weltweit bekannt sei, wie dies in der Selbstbeschreibung einer Pflegefachfrau HF «I am a nurse» (HF5B, 151) deutlich wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Begriff «Krankenschwester» nur von den FaGe und den Pflegefachpersonen mit einem BachelorAbschluss explizit genutzt wird. Voges (2002; 40) beschreibt die Berufskonstruktion als ein «Zusammenwirken von strukturellen Rahmenbedingungen und Einflussnahmen verschiedener Akteure zu unterschiedlichen gesellschaftlich-historischen Zeitpunkten». Dies erweise sich als ein langwieriger Prozess in mehreren Phasen, an dem mehrere Berufseinstiegskohorten beteiligt seien. Rund ein Jahrzehnt nach dem Beginn der Umstrukturierungen der Ausbildungen im Pflegeberiech ringen hierzulande sowohl die Berufseinsteigenden in den Beruf der FaGe sowie die Pflegenden mit Bachelor in der Deutschschweiz und im Tessin um ein eigenständiges BePflege (2016), 29(1), 43–49
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rufsbild. Aus der Wahrnehmung der Berufseinsteigenden existiert in der Gesellschaft trotz der Strukturierung in verschiedene Ausbildungen bislang nur ein Berufsbild, nämlich dasjenige einer «normalen» Pflegefachfrau, für das im deutschsprachigen Raum meist der Begriff «Krankenschwester» genutzt wird und welches im Allgemeinen mit bestimmten Tätigkeiten aufgeladen ist (Körperhygiene) und mit Klischees konnotiert wird (Handlanger des Arztes, «Füdli Putzer»). Angesichts dieser Erkenntnisse sollte die Differenzierung zwischen Berufen und Ausbildungsstufen in den Arbeitsfeldern weiter vorangetrieben werden und auf eine Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung der Berufe im Pflegebereich hingearbeitet werden. Letzteres erscheint insbesondere angesichts von Forschungsresultaten bedeutsam, die darauf hinweisen, dass Pflegende, die sich im öffentlichen Bild weniger anerkannt sehen, höhere Fluktuationsabsichten zeigen (Takase et al., 2006). Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf Erzählungen von Berufseinsteigenden. Da zunehmende Berufserfahrung auch mit einer sich verändernden professionellen Haltung einhergeht (Wynd, 2003), stellt sich die Frage, inwieweit sich die Wahrnehmung des Berufsbilds zwischen Berufseinsteigenden und Berufserfahrenen unterscheidet und inwiefern sich die Konstruktionen der Berufsbilder dadurch verändert. Eine Untersuchung mit der gleichen Kohorte zu einem späteren Zeitpunkt (z. B. 5 Jahre nach Abschluss) könnte diesbezüglich neue Erkenntnisse liefern.
Dank Wir danken den Mitgliedern des Forschungsteams der Studie «Berufskarrieren und Berufsrollen im Rahmen der neuen Ausbildungen im Pflegebereich» für die anregende Projektzusammenarbeit: P. Rüesch, N. Maeder (Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften ZHAW), R. Mahrer-Imhof, H. Hediger, G. Blanc, S. Knüppel-Lauener, C. KerkerSpecker (Institut für Pflege ZHAW); B. Guinchard (HEdS-La Source). Ohne ihre Unterstützung in verschiedenen Phasen der Studie wäre dieser Artikel nicht möglich gewesen.
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Dominik Robin Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften Technikumstrasse 71 Postfach 8401 Winterthur Schweiz dominik.robin@zhaw.ch
Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie? Die Verbindung der Daten mit der Theorie Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft? Weiterentwicklung der Berufsrollen sowohl individuell (auf der Ebene der Befragten) als auch institutionell (auf der Ebene der Bildungseinrichtungen sowie bildungspolitisch). Was empfehlen Sie den LeserInnen zum Weiterlesen/Vertiefen? Rezaei-Adaryani M., Salsali, M. & Mohammadi. E. (2012). Nursing image: an evolutionary concept analysis. Contemporary Nurse, 43, 81 – 89.
Manuskripteingang: 06.02.2015 Manuskript angenommen: 03.06.2015
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Les-Art
Priorisierung von Forschung Welche Forschung ist wichtig? Welche Forschung wird nicht länger benötigt? Martin N. Dichter1,2 (MScN, RN) 1 2
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Witten Department für Pflegewissenschaft, Fakultät für Gesundheit, Universität Witten/Herdecke (UW/H), Witten
Wer und was bestimmt, was geforscht werden soll? Diese Frage ist Gegenstand von Diskursen, Agendenbildung und Analysen. Ein Vorschlag zur biomedizinischen Forschung findet sich im Lancet; Richards, Coulthard, Borglin und Reflection Review Team (2014) sprechen basierend auf einer systematischen Übersichtsarbeit Empfehlungen für die europäische Pflegeforschung aus und Imhof et al. (2007) sowie Behrens, Görres, Schaeffer, Bartholomeyczik und Stemmer (2012) treffen anhand von Forschungsagenden Aussagen für die Schweiz bzw. Deutschland. Einen anderen Weg schlagen van der Steen und Goodman (2015) ein, indem sie der Frage nachgehen, welche Art von Forschung nicht mehr benötigt wird – dies am Beispiel der Forschung zur Versorgung von Menschen mit Demenz am Lebensende. Hierbei kommen die Autoren, unterstützt durch weitere Experten, anhand von drei Forschungsbereichen zu folgenden Ergebnissen: (1) Forschung ohne Theoriebildung und/oder -anwendung soll es künftig nicht mehr geben. So lehnen die Wissenschaftler Forschung basierend auf impliziten Annahmen ohne einen expliziten theoretischen Rahmen ebenso wie die Entwicklung von theoretischen Annahmen ohne Berücksichtigung der Anwendbarkeit in der Versorgungspraxis ab. (2) Im Hinblick auf Grenzen bestimmter Forschungsdesigns halten die Autoren weitere deskriptive Forschung in einem Setting ohne direkten Vergleich (es sei denn hierzu gibt es in einem Land keine Forschung), Studien zu komplexen Interventionen ohne Wirksamkeitsnachweis und ohne Informationen über fördernde und hemmende Faktoren sowie Untersuchungen basierend auf sehr selektiven Stichproben für unzulässig. (3) Im Bereich der Entwicklung und Anwendung von Evidenz halten die Autoren Implementierungsstudien zu Innovationen, deren mögliche adverse Effekte bisher nicht untersucht wurden oder die bisher nur im Rahmen von Einzelstudien ohne Replikation untersucht wurden, für unnötig. Nicht notwendig seien ferner Studien zur Palliativversorgung, die nicht das Wissen anderer Disziplinen oder Versorgungsformen nutzen. Zusätzlich fordern die Autoren alle Arbeiten zu publizieren. © 2016 Hogrefe
Fazit Da Forschungsgelder stets knapp sind, gilt es, sie nicht für unsinnige und nicht aussagekräftige Studien zu verwenden. Priorisierung von Forschungsthemen und Agendenbildung können dazu beitragen, eine rationale Grundlage zu schaffen. Kritische Analysen der Wissensbestände in einem Themenbereich, wie von van der Steen und Goodman (2015), sollten von Forschungsförderern zur Kenntnis genommen und ihrerseits gefördert werden. Allen Ansätzen zur Priorisierung von Forschung gemein ist ein Plädoyer für transparente, auf dem aktuellen Stand des Wissens aufbauende und auf die Interventionsentwicklung und -evaluation ausgerichtete Forschung. Hieraus sollten auch pflegewissenschaftliche Zeitschriften einen Handlungsauftrag ableiten. So könnte in jedem Artikel eine Aussage dazu verlangt werden, welchen Beitrag eine Studie zur Interventionsentwicklung oder -evaluation liefert.
Literatur Behrens, J.; Görres, S.; Schaeffer, D.; Bartholomeyczik, S.; Stemmer, R. (2012). Agenda Pflegeforschung für Deutschland. Halle (Saale). Imhof, L.; Abderhalden, C.; Cignacco, E.; Eicher, M.; Mahrer-Imhof, R.; Schubert, M.; Shaha, M. (2007). Agenda für die Pflegeforschung in der Schweiz 2007 – 2017. Basel: Schweizerischer Verein für Pflegewissenschaft. Richards, D. A.; Coulthard, V.; Borglin, G.; Reflection review team. (2014). The state of European nursing research: dead, alive, or chronically diseased? A systematic literature review. Worldviews Evid Based Nurs, 11 (3), 147 – 155. doi: 10.1111/wvn.12039 van der Steen, J. T.; Goodman, C. (2015). What research we no longer need in neurodegenerative disease at the end of life: the case of research in dementia. Palliat Med, 29 (3), 189 – 192. doi: 10.1177/0269216315569998
Martin N. Dichter Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Postfach 6250 Stockumer Str. 12 58453 Witten, Deutschland Martin.Dichter@dzne.de
Pflege (2016), 29(1), 50 DOI 10.1024/1012-5302/a000468
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In eigener Sache
Refereetätigkeit 2015 Wir danken den Referees, die im Jahr 2015 für unsere Zeitschrift Manuskripte begutachtet haben. Durch ihre Expertise und unentgeltliche Unterstützung haben die Manuskripte oft maßgeblich an Qualität in der Berichterstattung gewonnen. Gerne übermitteln wir an dieser Stelle auch
Doris Arnold Dietmar Ausserhofer Gertrud M. Ayerle Katrin Balzer Sabine Bartholomeyczik Gabriele Bartoszek Lut Berben Almuth Berg Thomas Boggatz Marcellus Bonato Helga Breimaier Albert Brühl Hanna Burkhalter Eva Cignacco Ingrid Darmann-Finck Olivia Dibelius Astrid Elsbernd Michael Ewers Katharina Fierz Monica Fliedner Steffen Fleischer Irena Anna Frei Johannes Graeske Monika Habermann Margareta Halek Anne-Marie Hanff
Pflege (2016), 29(1), 51 DOI 10.1024/1012-5302/a000469
stellvertretend für die Autor(inn)en der begutachteten Manuskripte deren Rückmeldungen, die sich für die fundierten, kritisch begründe- ten, aber auch würdigenden und auf- bauenden Reviews bedanken. Wir freuen uns auf eine weiterhin gute und konstruktive Zusammenarbeit.
Virpi Hantikainen Martina Hasseler Christian Heering Cornelia Heinze Bernhard Holle Daniela Holle Kathrin Horlacher Brigitte Jenull Christina Köhlen Sascha Köpke Kaspar Küng Gero Langer Änne-Dörte Latteck Wilfried Laubach Christiane Luderer Cornelia Mahler Jacqueline Martin Tanja Manser Herbert Mayer Rosa Mazzola Ralph Möhler Settimio Monteverde Gabriele Müller-Mundt Martin Nagl-Cupal Thomas Neubert Gudrun Piechotta-Henze
Marianne Rabe Franziska Rabenschlag Karl Reif Horst Rettke Bernd Reuschenbach Heinz Rothgang Anna Barbara Rüegsegger Iris Schaefer Bianca Schaffert-Witvliet Sabine Schär Michael Schilder Anna Barbara Schlüer Susanne Schoppmann Maria Madgalena Schreier Michael Schulz Natascha Schütz Christian Schwab Michael Simon Erika Sirsch Renate Stemmer Astrid Stephan Antje Tannen Ralf Tebest Klaus Wingenfeld Karin Wolf-Ostermann
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Buchbesprechungen
Franziskus Knoll Mensch bleiben! Zum Stellenwert der Spiritualität in der Pflege 2015, Kohlhammer, Stuttgart, 336 S., 38 Tab., CHF 46.00; € 39.99 (ISBN 978-3-17-029626-8)
Segmüller, T. (Hrsg): Beraten, Informieren und Schulen in der Pflege – Rückblick auf 20 Jahre Entwicklung 2015, Mabuse, Frankfurt. € 39.90 (ISBN: 978-3-86321291-9)
Die aktuelle Suche von Menschen nach Spiritualität, der diskutierte Zusammenhang zwischen Spiritualität, erfahrener Lebensqualität und aktiver Krankheitsbewältigung in Medizin, Pflegewissenschaft sowie Gesundheitspsychologie gaben den Anlass zur Auseinandersetzung mit dem Thema Spiritualität und deren Stellenwert in der Pflege. In der Einleitung wird eine grundlegende Wortfeldanalyse zum Spiritualitätsbegriff aus dem westsemitischen Raum und dem AT vorgelegt. In Kapitel I geht es u. a. um den Topos der Ganzheitlichkeit in der Pflege, welcher konstruktiv und kritisch analysiert wird. Kapitel II nimmt das anthropologische Fundament der Pflege in den Blick. Hier wird der Schnittstellenbereich von Pflege und Theologie grundlagentheoretisch angegangen. Es wird deutlich, dass anthropologische Reflexionen derzeit innerhalb der Pflegelehrbücher ausgeklammert bleiben, obwohl der ‹Mensch› die Grundkategorie pflegerischer Sorge repräsentiert. Hier stellt Knoll die jüdisch-christliche Anthropologie als Kategorisierungshilfe zur Diskussion und zeigt deren Potenziale für die Pflege schlüssig auf. Eine besondere Auseinandersetzung erfolgt mit dem Seelenbegriff. Dies lag bis dato so für die Pflegewissenschaft nicht vor. Damit repräsentiert Kapitel II eine große Ressource für die weitere grundlagentheoretische Forschung in der Pflegewissenschaft. In Kapitel III kommt es zur evidenzbasierten Analyse von Spiritualität als ein empirisch verifizierbares Bedürfnis heutiger Menschen. Daraufhin beschäftigt sich Kapitel IV mit dem Thema Spiritualität in der deutschen Pflegebildung. Die akribische Analyse der Rahmenlehrpläne zeigt das Desiderat des Topos Spiritualität eindeutig auf und fordert aufgrund der dargelegten Pflegerelevanz eine Aufnahme als Bildungsinhalt in das KrPflG bzw. die staatlich verantworteten Rahmenlehrpläne. Anregungen dazu liefert auch ein Blick auf US-amerikanische Erkenntnisse. Franziskus Knoll spornt dazu an, eigene Standpunkte in Bezug zur Spiritualität und Pflege zu hinterfragen. Die Lektüre ist sehr einträglich, für alle Professionen im Gesundheitswesen. Das Buch liefert eine wertvolle Hilfe für den Zugang zu spirituellen Fragen des Menschen und arbeitet Perspektiven für die Pflegewissenschaft und -ausbildung heraus. Dazu müssen disziplinäre Grenzen durch einen transdisziplinären Blick überwunden werden. Dafür ist die vorliegende Arbeit beispielhaft.
Auf 250 Seiten versammelt dieses Buch wesentliche Elemente der «sprechenden Pflege», beigetragen haben zahlreiche AutorInnen. Es geht um vielerlei Gesprächsansätze und Beispiele, um den Aufbau einer pflegebezogenen Patienten- und Familienedukation im deutschsprachigen Raum. Thematisiert wird ein weites Spektrum der Interaktionsarbeit, einschließlich geeigneter theoretischer Grundlagen. Im Mittelpunkt stehen Fallbeispiele von Ratsuchenden, diese Beispiele können sehr gut von Lehrenden in Unterrichtsveranstaltungen genutzt werden. Daneben beschreiben Pflegende ihren Praxisalltag in Beratungssituationen, z. B. in Patienten-Informationszentren. Das Buch ist eine Fundgrube für alle Professionellen, die an Patienten-Pflege-Kommunikation interessiert sind. Am Rande findet sich eine Zusammenstellung der Arbeiten von Prof. Dr. Angelika Zegelin, deren zentrales Thema die Verbreitung einer sprechenden Pflege ist. Andreas Kocks Pflegewissenschaftler (BScN, MScN) Universitätsklinikum Bonn -AöRPflegedirektion Stab. Pflegewissenschaft Sigmund-Freud-Str. 25 Gebäude 347, Raum EG 070 D-53127 Bonn Tel: 0228 287 19833 andreas.kocks@ukb.uni-bonn.de http://www.ukb.uni-bonn.de
Br. Dr. rer. cur. Peter Schiffer OSCam MScN., Dipl. Pflegewirt (FH), Essen peter_schiffer2003@yahoo.de
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Pflege (2016), 29(1), 52 DOI 10.1024/1012-5302/a000470
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Mitteilungen
Kongressberichte Mehr Zusammenarbeit ist gefragt Die Gesundheitsberufe sind mittlerweile auf Hochschulstufe etabliert. Um die Herausforderungen im Gesundheitswesen zu bewältigen, müssen sie nun mit den Kliniken und Spitälern, sowie den Medizinern und der Politik neue Versorgungsmodelle entwickeln und umsetzen. Eine Standortbestimmung von Gesundheitsfachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. «Wir sind bereit und gewillt, neue Rahmenbedingungen zu diskutieren und innovative Modelle zu etablieren.» Mit diesem Satz schloss der Zürcher Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger seine Begrüssung zur Dreiländertagung «Health Universities: Bildung und Versorgung zusammenführen» und spielte damit einen Steilpass in Richtung der Gesundheitshochschulen. Zusammen mit der Ärzteschaft, den übrigen Gesundheitsberufen, den Spitälern und Kliniken können dort solche neue Modelle für die Praxis entwickelt und umgesetzt werden.
Neue Versorgungsmodelle in der Schweiz Weit entwickelt ist der Ansatz der Advanced Practice, der erweiterte Kompetenzen und Aufgaben für einzelne Gesundheitsberufe vorsieht. Gut qualifizierte Pflegeexpertinnen können schon heute bestimmte Aufgaben von Hausärzten übernehmen. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW will weitere Modelle initiieren: «Ein Ambulatorium an der ZHAW soll Praxiswissen, Hochschulbildung und neue Versorgungsmodelle zusammenbringen. Die Studierenden können von und mit reellen Patienten lernen.» erklärt Peter C. Meyer, Direktor des ZHAW Departements Gesundheit. «Im Idealfall beeinflussen sich Bildung, Forschung und Praxis gegenseitig und ermöglichen eine konstruktive und kostensparende Entwicklung im Gesundheitswesen.» Für Meyer braucht es dazu auch die verstärkte interprofessionelle Zusammenarbeit.
Gesetzliche Verankerung in Deutschland steht noch aus In Deutschland ist die Akademisierung der Gesundheitsberufe fortgeschritten und weitgehend akzeptiert, so Anne Friedrichs, Präsidentin der Hochschule für Gesundheit in Bochum: «Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie.» Der Ball liegt nun bei der Politik, die entsprechende Gesetze formulieren muss. In Österreich schreitet für Silvia Mériaux-Kratochvila, Leiterin des Departements GesundPflege (2016), 29(1), 53–55 DOI 10.1024/1012-5302/a000471
heit an der Fachhochschule Campus Wien, die interprofessionelle Zusammenarbeit der Health Professionals noch zu langsam voran. Eine nächste Dreiländertagung soll am 28./29. September 2017 in Wien stattfinden. Mehr Informationen unter: www.vfwg.info José Santos ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Departement Gesundheit, Leiter Kommunikation Technikumstrasse 71, Postfach 8401 Winterthur Schweiz Tel. +41 58 934 63 84 jose.santos@zhaw.ch www.gesundheit.zhaw.ch
eHealth and Nursing: Knowledge for Patient Care ACENDIO Konferenz Bern, 16. bis 18. April 2015 Mehr als 200 Pflegefachpersonen aus 26 Nationen nahmen an der erfolgreichen 10. Biennalen Konferenz der ACENDIO am Inselspital, Universitätsspital Bern, teil. Diese Vielfalt repräsentiert gut den aktuellen Stand zur Entwicklung und Umsetzung der standardisierten Pflegeklassifikationen in der ganzen Welt. ACENDIO steht für «Vereinigung für gemeinsame europäische Pflegediagnosen, Interventionen und Ergebnisse». Prof. Elske Ammenwerth von der UMIT in Hall hielt die Eröffnungsrede «eHealth and the changing role of the patient: What will the future bring?». eHealth bedeutet, die entstehende Informations- und Kommunikationstechnologie, speziell des Internets, zu nutzen, um Gesundheit zu ermöglichen und Gesundheitssysteme zu verbessern mit dem Schwerpunkt «Encouragement and Empowerment». Sie zeigte verschiedene Szenarien von Internet basierten Kommunikationsmöglichkeiten auf, wie die Kommunikation zwischen Spitälern/Institutionen, Anbietern (HausärztInnen, Rehabilitationszentren, Pflegeheimen), zwischen Anbietern und PatientInnen und zwischen PatientInnen unter sich. Die Möglichkeiten sozialer Netzwerke, Selbsthilfegruppen, Edukations-Apps, Mobile Health und von Patientenportalen wurden erläutert. Die eHealth-Ziele sind, neue partnerschaftliche Beziehungsmöglichkeiten zwischen PatientInnen und Gesundheitsfachpersonen zu schaffen, um Entscheidungen gemeinsam zu treffen und PatientInnen in ihrer Eigenverantwortung zu stärken mit dem Ziel, einen Wandel zur Patientenzentrierten Gesundheitsförderung einzuleiten. © 2016 Hogrefe
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Das wissenschaftliche Niveau der rund 90 Vorträge war sehr hoch und bot dem Fachpublikum ein breites Spektrum an interessanten Themen. Der ausführliche Kongressbericht kann bei Matthias Odenbreit angefordert werden. Matthias Odenbreit Master in Nursing Science MNS, Leiter Entwicklung und Forschung odenbreitmatt@me.com Wigasoft AG, St. Gallen & Leitung Schweiz Netzwerk Pflegefachsprachen
Fachweiterbildung: pflegerische Kompetenzen in der Psychiatrie Bei der Veranstaltung zum elfjährigen Jubiläum der Fachweiterbildung Psychiatrie in der Akademie im Park, Wiesloch, am 30.09.2015 wurde aufgezeigt, wie sich professionell Pflegende erforderliche psychiatrische Kompetenzen aneignen und ihre Verantwortungsbereiche erweitern. «Angesichts steigender Fallzahlen bei kürzeren Behandlungszeiten und zunehmend komplexen Aufgaben führt an einer Weiterentwicklung des herkömmlichen Berufsbildes und der fachlichen Qualifizierung von Mitarbeitern kein Weg vorbei», so Walter Reiß, Pflegedirektor des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden (PZN) und Weiterbildungsleiter der Fachweiterbildung Psychiatrie. Er sieht in Bildungsmaßnahmen die beste Möglichkeit für Pflegende, den Wandel im Gesundheitswesen mitzugestalten. Innovative Projekte aus den Weiterbildungen wurden vorgestellt, von Recovery-orientierten Gesprächsgruppen bis hin zum «Führerschein für seelische Gesundheit» für türkische Migrantinnen. «Die Teilnehmer setzen mit ihren Projekten wegweisende pflegerische Impulse, z. B. in der Prävention psychischer Erkrankungen», so Ruth Ahrens, Kursleiterin der Fachweiterbildungen. Die Fachweiterbildung Psychiatrie kann seit 2004 in der Akademie im Park absolviert werden, die Fachweiterbildung Gerontopsychiatrie seit 1998. Die Bildungseinrichtung gehört zum PZN. Die Zentren für Psychiatrie in Weinsberg, Wiesloch und Winnenden leisten mit den Fachweiterbildungen einen erheblichen Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels in der Psychiatrischen Pflege. Sarah Collas Wilhelmstraße 11 69115 Heidelberg Deutschland Tel.: (+49) 06221 6555 064
Mitteilungen
Eine Wegbereiterin der Pflegewissenschaft geht in den Ruhestand: Angelika Zegelin Prof. Dr. Angelika Zegelin gilt als eine Wegbereiterin der Pflegewissenschaft nicht nur an der Universität Witten/ Herdecke (UW/H), sondern in Deutschland insgesamt. Diesen vernachlässigten Bereich des Gesundheitswesens hat sie allen Widerständen zum Trotz zum Gegenstand von Forschung und Lehre gemacht. «Vor zwanzig Jahren gab es zwar Studiengänge wie Abfallwirtschaft und Versorgungstechnik, eine akademische Befassung dessen, was eine gute patientenzentrierte Pflege ausmacht, war in Deutschland unbekannt», erzählt die Pflegewissenschaftlerin und fügt an «Pflege wird vielerorts als eine Aneinanderreihung von (körperlichen) Tätigkeiten verstanden. Das eigentliche Kerngeschäft, Menschen zu befähigen, sich wieder selbst zu versorgen, wird nicht gesehen. Pflegearbeit ist interaktiv, Gespräche sind Pflegehandlungen». Es ist ihr wichtig, diese Arbeit darzustellen, zu qualifizieren, zu quantifizieren, in ihrer Wirkung zu beforschen und deutlich zu machen, wie hoch der Anteil der Pflegenden in der Patientenkommunikation ist. «Krankenschwestern, Altenpfleger trösten, beraten, informieren, lenken ab, vermitteln, schulen, sorgen für Humor, stiften Sinn und vieles mehr.» Zur Verabschiedung von Angelika Zegelin richtete das Department für Pflegewissenschaft der Universität Witten/ Herdecke eine Fachtagung aus, zu der rund 200 Besucher gekommen waren. Prof. Dr. Martin Butzlaff, Präsident der Universität Witten/Herdecke, fand überaus anerkennende Worte. «Angelika Zegelins große Gabe besteht darin, komplizierte wissenschaftliche Sachverhalte sehr klar und allgemeinverständlich auszudrücken. Und wenn sie komplexe Dinge formuliert, ist trotzdem alles drin: wissenschaftliche Genauigkeit, Klarheit, Zugewandtheit und Empathie.» Angelika Zegelin zog zum Abschluss der Tagung das Resümee, tiefe Dankbarkeit zu verspüren. Anlässlich der vielen Ehrungen bei der Veranstaltung fühle sie sich wie bei einer gleichzeitigen Verleihung von Oscars und Grammys. «Schon meine Mutter war Krankenschwester und der Meinung, dass Krankenpflege eine wichtige Arbeit ist, die mehr Anerkennung verdient. Ich freue mich darüber, dieses Thema ein wenig vorangebracht zu haben und mit Blick auf den Nachwuchs und die Studierenden wird deutlich, dass es zukünftig weiter geht.»
Auszeichnungen/Würdigungen Excellence in Research Award: Maria Müller Staub für ausserordentliches Wirken gewürdigt Wir gratulieren Frau Prof. Dr. Maria Müller Staub (PhD, RN, FEANS) für die Würdigung mit der Auszeichnung für
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Pflege (2016), 29(1), 53–55
Mitteilungen
«Exzellente Forschung und außerordentliche Beiträge als Pflegewissenschafterin» durch Sigma Theta Tau International. Maria Müller Staub wurde aufgrund ihrer über 170 Publikationen und der mutigen Art, wie sie sich für eine patientenzentrierte Pflege und für eine hohe Pflegequalität einsetzt, vom Mu Upsilon Chapter in Staten Island, New York, für die Auszeichnung 2015 nominiert. Insbesondere ihre Forschung zum Wissenskörper der Pflege und zur Etablierung des Advanced Nursing Process (vertiefter, fortgeschrittener Pflegeprozess) sowie zur Nachweisbarkeit evidenz-basierter Pflege waren Anlass dafür, dass sie diese Auszeichnung erhielt.
Pflege (2016), 29(1), 53–55
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Maria Müller Staub ist Präsidentin des Schweizerischen Vereins für Pflegewissenschaft (VFP) und Leiterin Pflegentwicklung am Stadtspital Waid in Zürich. Sie hat eine Professur am Lehrstuhl für Pflegediagnostik an der HANZE Universität in Groningen, Niederlande. Herr Yoshija Walter Assistenz der Geschäftsführung Schweizerischer Verein für Pflegewissenschaft VFP info@pflegeforschung-vfp.ch www.pflegeforschung-vfp.ch
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Kongresskalender
März 3. – 4. März Katholische Stiftungsfachhochschule München
Forschungswelten 2016 Methodenvielfalt – Auf der Suche nach dem angemessenen Gegenstand Kontakt: Verlag hpsmedia Prof. Dr. Andreas Lauterbach Kongressbüro, Raum 21 63667 Nidda Tel. (+49) 06402 708 26 60 www.forschungswelten.info
4. – 5. März Inselspital, Universitätsspital Bern
Kongress für Gesundheitsberufe. Interprofessionalität – Realität oder Mythos? Kontakt: Inselspital Frau Michelle Barth Direktion Pflege (DPMMT) Freiburgstraße 3010 Bern Tel. (+41) 031 632 97 95 michelle.barth@insel.ch www.insel.ch
17. März Bern
18. Schweizer Onkologiepflege Kongress
9006 St. Gallen Tel. (++41) 071 243 00 32 deso@oncoconferences.ch www.oncoconferences.ch (Rubrik deso)
August 31. August – 2. September Queen Margaret University, Edinburgh, Scotland
Enhancing Practice – Conference 2016 Save the Date!
September 1. – 2. September Universität St. Gallen
19. Internationales Seminar: Onkologische Pflege – Fortgeschrittene Praxis Aktuelle, klinische, psychosoziale und medizinische Aspekte aus der Onkologiepflege – professionell, wissenschaftlich betrachtet. Information und Anmeldung: Deutschsprachig-Europäische Schule für Onkologie (deso) Frau Gabi Laesser, Rorschacherstr. 150 9006 St. Gallen Tel. (++41) 071 243 00 32 deso@oncoconferences.ch www.oncoconferences.ch (Rubrik deso)
Programm und Anmeldung: www.onkologiepflege.ch 8. – 10. September KU Leuven University Hall, Belgien
April 21. – 23. April Kartause Ittingen, Warth bei Frauenfeld
20. Internationales Seminar: Palliativbetreuung von Tumorkranken Information und Anmeldung: Deutschsprachig-Europäische Schule für Onkologie (deso) Frau Gabi Laesser Rorschacherstr. 150 © 2016 Hogrefe
EACME Conference 2016 30 years of European Bioethics Contact: Myriam Swartenbroeckx Centre for Biomedical Ethics and Law Faculty of Medicine KU Leuven Kapucijnenvoer 35 3000 Leuven Tel. (+32) 16-37 33 68 myriam.swartenbrockx@med.kuleuven.be www.eacme2016.org Pflege (2016), 29(1), 56 DOI 10.1024/1012-5302/a000472
Mittels Videoanalysen Pflegearbeit verbessern
Claudia Berther / Therese Niklaus Loosli
Die Marte Meo Methode
Ein bildbasiertes Konzept unterstützender Kommunikation für Pflegeinteraktionen Inkl. DVD . 2015. 248 S., 112 Abb., 2 Tab., Kt € 36.95 / CHF 45.90 ISBN 978-3-456-85532-5
Marte Meo beschreibt eine Kommunika-
Aus dem Inhalt
tions- und Videoanalyse-Methode, mit
• Interview mit Maria Aarts
der sich menschliche Potenziale entwi-
• Was ist Marte Meo?
ckeln und pflegerische Wahrnehmung,
• Theoretische Grundlagen und Grund-
Beziehungsarbeit und Verhalten verbessern lassen. Marte Meo wurde von Maria
• Marte Meo Ausbildung
Aarts (NL) entwickelt und unterstützt
• Nachhaltigkeit
Betreuende und Pflegebedürftige, sogar
• Umsetzung der Marte Meo Arbeit
Demenzerkrankte, speziell bei heraus-
• Marte Meo in Fallbeispielen und
fordernden Pflegeinteraktionen. Marte Meo arbeitet mit kurzen Filmsequenzen aus dem Pflegealltag: unterstützendes Verhalten wird bildbasiert analysiert, reflektiert und trainiert, mit überzeugenden Resultaten!
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haltung der Marte Meo Methode
Erfahrungsberichten
Altersveränderungen erfahren und verstehen
Susanne Blum-Lehmann
Körper- und leiborientierte Gerontologie Altern erfahren, erleben und verstehen Ein Praxishandbuch 2015. 272 S., 64 Abb., 4 Tab., Kt € 39.95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-456-85562-2 AUCH ALS E-BOOK
Alternde Menschen bekommen das
Aufgabe der praktischen leiborientier-
Altern vielfach erstmalig am eigenen
ten Gerontologie ist es, die Betroffenen
«Leib» zu spüren – es geht im wahrs-
zu ermutigen, diese Veränderungen
ten Sinne des Wortes unter die Haut.
als Chance zur persönlichen Reife und
Altersveränderungen werden körperlich
Weiterentwicklung wahrzunehmen. Das
erlebt und leiblich erfahren – sei es in
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Grundlagen, praxiserprobte Ansätze so-
verlusten oder der Einschränkung von
wie Werkzeuge und Tools, um Entwick-
Kontrolle und Autonomie. Diese Erfah-
lungsprozesse im Alter anzuregen und
rungen werden im Allgemeinen als be-
einzuleiten.
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