Frühe Bildung

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Jahrgang 7 / Heft 1 / 2018 Herausgeber Fabienne Becker-Stoll Yvonne Anders Klaus Fröhlich-Gildhoff Marcus Hasselhorn Iris Nentwig-Gesemann Franz Petermann Hans-Günther Roßbach Susanne Viernickel

Frühe Bildung Interdisziplinäre Zeitschrift für Forschung, Ausbildung und Praxis Schwerpunkt Bildungs- und Interaktionsprozesse in den ersten drei Lebensjahren


Die umfassende Einführung fürs Lehramtsstudium

Markus Roos / Bruno Leutwyler

Wissenschaftliches Arbeiten im Lehramtsstudium Recherchieren, schreiben, forschen 2., überarb. Aufl. 2017. 328 S., 18 Abb., 36 Tab., Kt € 19,95 / CHF 26.90 ISBN 978-3-456-85817-3 Auch als eBook erhältlich

06.06.17 14:24

Dieses kompakte Lehrbuch führt Studierende des Lehramtes zielgenau in das gesamte Spektrum der wissenschaftlichen Arbeitsmethoden ein: von der ersten Recherche bis hin zur pädagogisch orientierten Bachelor- oder Masterarbeit. Hier erfahren Sie alles Wichtige über wissenschaftliches Lesen, Interpretieren, Exzerpieren und Zitieren. Zusätzlich begleitet Sie das Buch bei den ersten Schritten in der Forschung und vermittelt Ihnen die entscheidenden Basics zu Forschungsdesign, Beobachtung, Interviews, Fragebogenerhebung sowie qualitativer und quantitativer Datenauswertung.

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Die 2. Auflage wurde aktualisiert und überarbeitet – so wird nun beispielsweise die Suche nach Themen besser unterstützt, und das Kapitel zum Zitieren ist übersichtlicher gestaltet und ausgeweitet worden.


Frühe Bildung Interdisziplinäre Zeitschrift für Forschung, Ausbildung und Praxis

Jahrgang 7 / Heft 1 / 2018

Schwerpunkt Bildungs- und Interaktionsprozesse in den ersten drei Lebensjahren Herausgeberinnen Iris Nentwig-Gesemann und Susanne Viernickel


Herausgeber

Prof. Dr. Yvonne Anders, Berlin

Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann, Berlin

Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll, München (Geschäftsführende Herausgeberin)

Prof. Dr. Franz Petermann, Bremen

Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff, Freiburg

Prof. Dr. Susanne Viernickel, Berlin

Prof. Dr. Hans-Günther Roßbach, Bamberg

Prof. Dr. Marcus Hasselhorn, Frankfurt a. M. Redaktionsanschrift

Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll und Susanne Kreichauf, Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP), Winzererstr. 9, 80797 München, E-Mail: FrueheBildung@ifp.bayern.de

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Prof. Dr. Hilmar Hoffmann, Osnabrück

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Prof. Dr. Bernhard Kalicki, München

Dr. Heidi Simoni, Zürich

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Prof. Dr. Ursula Stenger, Köln

Prof. Dr. Anke König, Vechta

Prof. Dr. Petra Strehmel, Hamburg

Prof. Dr. Christoph Mischo, Freiburg

Prof. Dr. Dörte Weltzien, Freiburg

Prof. Dr. Norbert Neuss, Gießen

Prof. Dr. Silvia Wiedebusch-Quante, Osnabrück

Dr. Volker Pudzich, Allensbach-Hegne

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Frühe Bildung (2018), 7 (1)

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Inhalt Editorial

Bildungs- und Interaktionsprozesse in den ersten drei Lebensjahren

1

Iris Nentwig-Gesemann und Susanne Viernickel Schwerpunktbeiträge

Lerngeschichten für Kinder in den ersten drei Lebensjahren. Eine Analyse aus theoretischer und empirischer Perspektive

3

Learning Stories for Infants and Toddlers: A Theoretical and Empirical Analysis Helen Knauf Alltagsintegrierte Resilienz­förderung von Kindern in den e ­ rsten drei ­Lebensjahren. Eine explorative Studie

12

Promotion of Resilience in Children's First 3 Years in Daily Routines in Early Childhood Institutions: An Explorative Study Silke Kaiser und Klaus Fröhlich-Gildhoff Soziale Disparitäten im Kontext von Mutter-Kind-Interaktionen und ­frühen Entwicklungsmaßen von Kindern

22

Social Disparities, Measures of Mother–Child Interaction and Early Learning Resources in the Second Year of Life – Evidence From the ­Newborn Cohort Study of the NEPS Manja Attig und Sabine Weinert Freie Beiträge

Woher wissen, wie es geht? Eine inhaltsanalytische Exploration zur Herkunft und Aneignung frühpädagogischen Wissens in Familien

32

The Origins of Knowing How to Do It. A Content Analysis Study of the ­Acquisition of Knowledge About Early Education in Families Stefanie Hartz und Ulf Sauerbrey 40

Aspekte der Nutzung digitaler Lesemedien im Vorschulalter Electronic Storybooks and Interactive Audio Pens: Facets of Use Maximilian Pfost, Jana G. Freund und Sarah Becker Diskussion

Was und wie wir messen, wenn wir Qualität in Krippen messen. ­Praxiserfahrungen und kritische Betrachtungen zur KRIPS-R

48

Rieke Hoffer und Klaus Fröhlich-Gildhoff Innovation

Die „Sustained Shared Thinking and Emotional Well-Being (SSTEW)“-­ Skala. Ein neues Instrument zur Erfassung der pädagogischen Qualität von Kindertageseinrichtungen

52

Yvonne Anders und Nadine Wieduwilt

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Frühe Bildung (2018), 7 (1)


Informationen

Bildungs- und Interaktionsprozesse in den ersten drei Lebensjahren im Spiegel des Deutschen Bildungsservers

55

Andrea Völkerling

Rezensionen

Veranstaltungen

57

Beziehung und Interaktion. Erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Theorie und Praxis

58

Anke König 59

Emotionale Entwicklung und kultureller Kontext Hartmut Rübeling Mitteilungen

Hinweise für Autorinnen und Autoren

Frühe Bildung (2018), 7 (1)

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern Gesetz zur Qualität in der Kindertagesbetreuung

62

Gutachterinnen und Gutachter 2017

63 64

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Editorial Bildungs- und Interaktionsprozesse in den ersten drei Lebensjahren Folgt man Michael Tomasello, sind der Austausch, die Beziehung und das Zusammenwirken mit Anderen nicht nur überlebensnotwendig für den Menschen als „physiologischer Frühgeburt“; sie bilden vielmehr die kulturellen Grundlagen der einzigartigen menschlichen Fähigkeit zu hochkomplexen geistigen und sozialen Leistungen (Tomasello, 2006). Interaktion und Bildung sind aus seiner ­Perspektive der evolutionären Anthropologie heraus untrennbar miteinander verwoben. Auch die junge Disziplin der Frühpädagogik bringt den Erfahrungen, die Kinder in Interaktionen mit für sie bedeutsamen Anderen machen, den Praktiken und der Qualität der Interaktionsgestaltung und ihren Auswirkungen auf kindliche Entwicklung eine hohe Aufmerksamkeit entgegen. Dabei wird zum einen postuliert, dass sich über kontinuierliche Interaktionserfahrungen Bindungen bzw. Beziehungen entwickeln, die je nach Qualität dieser Erfahrungen mehr oder weniger entwicklungs- bzw. lernförderlich wirksam werden. Der Aufbau von stabilen, gefühlsmäßig besetzten besonderen Beziehungen zu anderen Menschen und die emotionale Sicherheit, die aus solchen Beziehungen erwächst, werden als Grundvoraussetzung dafür betrachtet, dass sich Kinder aktiv, explorierend und angstfrei mit ihrer räumlich-materialen und sozialen Umwelt auseinandersetzen und Bildungserfahrungen machen können. Zum anderen werden Erfahrungen, die Kinder in sozialen Interaktionen machen, in Zusammenhang mit der Aneignung kultureller Praktiken und kulturellen Wissens ­gebracht. Kinder orientieren sich an Sinngebungen und Strukturierungen, die andere Menschen ihnen anbieten bzw. vorleben. Diese enthalten in einer Gesellschaft, einer Organisation oder einer Gemeinschaft bzw. Gruppe anerkannte und konsensfähige Übereinkünfte, so dass ein Kind über diesen Weg permanent mit ähnlichen, aber auch unterschiedlichen Normen, Regeln, Wissensbeständen und Praktiken seines Kulturkreises bzw. Lebensraums in Berührung kommt. Sprachliche, soziale und kulturelle Bedeutungen werden so in alltäglichen Interaktionen mit bedeutsamen Erwachsenen, aber ebenso in der Interaktion mit jüngeren, gleichaltrigen und älteren Kindern in der Verbindung von Wahrnehmung, Emotionalität, Sprache und Denken ko-konstruiert. Mittlerweile stützen zahlreiche Forschungsergebnisse die Annahme eines positiven Zusammenhangs zwischen einer hohen Interaktionsqualität zwischen Bezugsperson(en) © 2018 Hogrefe Verlag

und Kind(ern) auf der einen und kindlichen sozialen, emotionalen, motivationalen, sprachlichen und kognitiven Entwicklungsfortschritten auf der anderen Seite und unterstreichen hiermit die Bedeutung von Interaktionen für die kindliche Entwicklung und Bildung (Weltzien, FröhlichGildhoff, Wadepohl & Mackowiak, 2017, S. 8). Qualitative Forschungszugänge zur Interaktionsqualität zwischen Fachkräften und Kindern in den ersten drei Lebensjahren konnten darüber hinaus bereits grundlegende Strukturmuster rekonstruieren, die für (nicht) gelingende Verstehens- und Verständigungsprozesse zwischen Fachkräften und Kindern, für den Umgang mit Macht in der Ausgestaltung der generationalen Ordnung sowie für die Bedeutung der (nicht) geteilten Fokussierung auf eine Sache, ein Phänomen, einen Lerngegenstand, typisch sind (Nentwig-­ Gesemann & Nicolai, 2015). Dennoch sind weitere Forschungsbemühungen unter Anwendung verschiedenster forschungsmethodischer Zugriffe notwendig, die die große Zahl bisher nicht oder nur unzureichend bearbeiteter Fragestellungen, die sich im Zuge der Annäherung an das Wechselverhältnis von Bildungs- und Interaktionsprozessen auffächern lassen, erweitern oder vertieft aufgreifen. Das vorliegende Themenheft repräsentiert in gewisser Weise die Suchbewegungen in diesem Forschungsbereich. Die drei Beiträge, obgleich unter dem Dach des Hefttitels vereint, stehen jeweils für sich: Sie adressieren entweder Interaktionen und Bildung im familiären Kontext oder im institutionellen Setting Kindertageseinrichtung; sie fokussieren jeweils einen spezifischen Aspekt frühkindlicher Bildung; sie wenden sich entweder ganz explizit oder eher mittelbar dem Zusammenhang zwischen Interaktions- und Bildungsprozessen zu; und sie schlagen schließlich auch forschungsmethodisch drei verschiedene Wege ein. So werfen die versammelten Beiträge in ihrer Breite durchaus erhellende „Schlaglichter“ auf die fokussierte Thematik. Helen Knauf arbeitet in ihrem Beitrag heraus, dass das in Neuseeland von Margaret Carr entwickelte Konzept der Lerngeschichten zum aktuell in der Frühpädagogik vorherrschenden Bildungsverständnis für die ersten drei Lebensjahre passt und sich daher im Prinzip als Bildungsdokumentation eignet. Die Analyse von über hundert Lerngeschichten zeigt dann – neben anderen interessanten Erkenntnissen – allerdings auf, dass der Übergang von der Beobachtung und Dokumentation von Lern- und Frühe Bildung (2018), 7 (1), 1–2 https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000353


2 Editorial

­ ildungsprozessen der Kinder hin zu einem mit dem Kind B geteilten Austausch über diese nur schwer oder gar nicht gelingt. Damit wird die interaktionsförderliche Komponente des Verfahrens – zumindest bei Kindern dieses Alters – offenbar nicht hinreichend genutzt bzw. ist sie nicht in ihm angelegt. Mit den von den Fachkräften konstruierten Lerngeschichten der Kinder dokumentieren sie vielmehr vor allem ihre eigenen Bildungsangebote. Eine zukünftig für die frühpädagogische Praxis und Forschung gleichermaßen interessante Fragestellung ist, wie Kinder – auch in den ersten drei Lebensjahren – als Beobachtungsund Dokumentationssubjekte Anerkennung erfahren können. Silke Kaiser und Klaus Fröhlich-Gildhoff geben einen Einblick in erste Erkenntnisse aus der Evaluation der Implementierung eines Weiterbildungsprogramms für frühpädagogische Fachkräfte, welches diese zur alltagsintegrierten Resilienzförderung in den ersten drei Lebensjahren befähigen soll. Sie können unter anderem zeigen, dass die Fachkräfte einem ressourcenorientierten Videofeedback hinsichtlich ihres Interaktionsverhaltens sehr positiv gegenüberstehen. Der Blick „von außen“ auf Praktiken der eigenen Interaktionsgestaltung, auf ihre Qualität im Sinne von situativ hergestellter Beschaffenheit, ermöglicht offensichtlich ein selbst-reflexives Nachdenken über die eigene Haltung, die in der unmittelbaren Interaktion mit den sehr jungen Kindern nicht möglich ist. Hieraus ergibt sich für weiterführende Forschungen die spannende Frage, ob und wie sich über den Weg des Redens und Reflektierens über Interaktionsqualität dann tatsächlich die Interaktionspraktiken verändern. Der dritte Schwerpunktbeitrag fokussiert auf die Bedeutung von Interaktionen im familiären Kontext für die kognitive Entwicklung junger Kinder. Manja Attig und Sabine Weinert untersuchen anhand von Daten der Säuglingskohorte des Nationalen Bildungspanels (NEPS) frühe Wurzeln sozial-bedingter Disparitäten in der kindlichen Entwicklung. Sie gehen dabei Zusammenhängen zwischen sozialen und bildungsbezogenen Familiencharakteristika, dem mütterlichen Interaktionsverhalten, dem Interaktionsverhalten der knapp eineinhalbjährigen Kinder sowie der Geschwindigkeit, mit der diese Informationen verarbeiten als Indikator für kognitive Ressourcen nach. Während keine herkunftsbedingten Unterschiede in den kognitiven Funktionen der Kinder ermittelt wurden, weisen die Befunde sehr eindeutig auf den wechselseiti-

Frühe Bildung (2018), 7 (1), 1–2

gen Einfluss mütterlicher und kindlicher Interaktionsbeiträge hin. Diese Befunde gebieten es einmal mehr, bei der Erforschung von Bedingungen, Prozessen und Wirkungen pädagogischer Interaktionen von einem dynamischen Geschehen auszugehen und potenzielle Wechselwirkungen entsprechend zu modellieren. Abschließend ist zu konstatieren, dass mittlerweile eine Vielzahl an Forschungsaktivitäten und -ergebnissen zu Interaktionsprozessen in der frühen Kindheit und ihren Beziehungen zu Facetten früher Bildung vorliegt, wobei die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bildungspotenzial, das Interaktionen zwischen Kindern auch in den ersten drei Lebensjahren auszeichnet oder auszeichnen könnte, nach wie vor erstaunlich marginalisiert erscheint. Angesichts dessen bedarf es dringend einer systematisierenden, umfassenden Bestandsaufnahme der vorliegenden Forschung und der durch sie generierten Wissensbestände. Im Anschluss daran muss die analytisch-konzeptionelle, aber auch kreative Arbeit geleistet werden, die unzähligen Puzzleteile miteinander in Verbindung zu bringen, an die richtigen Stellen zu rücken und ggf. auch neu zu arrangieren oder auszusortieren.

Literatur Nentwig-Gesemann, I. & Nicolai, K. (2015). Dokumentarische Videointerpretation typischer Modi der Interaktionsorganisation im Krippenalltag. In U. Stenger, D. Edelmann & A. König (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Perspektiven in frühpädagogischer Theoriebildung und Forschung (S. 172 – 202). Weinheim und Basel: Beltz Juventa. Tomasello, M. (2006). Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. 5. Aufl. Frankfurt: Suhrkamp. Weltzien, D., Fröhlich-Gildhoff, K., Wadepohl, H. & Mackowiak, K. (2017). Interaktionsgestaltung im familiären und frühpädagogischen Kontext. Einleitung. In H. Wadepohl, K. Mackowiak, K. Fröhlich-Gildhoff & D. Weltzien (Hrsg.), Interaktionsgestaltung in Familie und Kindertagesbetreuung, Psychologie in Bildung und Erziehung (S. 1 – 26). Wiesbaden: Springer.

Iris Nentwig-Gesemann Susanne Viernickel nentwig-gesemann@ash-berlin.eu susanne.viernickel@uni-leipzig.de

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Schwerpunktbeitrag

Lerngeschichten für Kinder in den ersten drei Lebensjahren Eine Analyse aus theoretischer und empirischer Perspektive Helen Knauf Zusammenfassung: Die hier vorgestellte Studie untersucht theoretisch und empirisch, ob sich das in Neuseeland von Margaret Carr entwickelte Konzept der Lerngeschichten als Instrument der Bildungsdokumentation für Kinder in den ersten drei Lebensjahren eignet. Die theoretische Analyse kommt zu dem Schluss, dass es deutliche Übereinstimmungen des in der Frühpädagogik vorherrschenden Bildungsverständnisses für die ersten drei Lebensjahre mit dem Konzept der Lerngeschichten gibt. Dementsprechend werden sieben für die Bildungsarbeit mit 0- bis 3-jährigen Kindern besonders relevante Kategorien im Konzept der Lerngeschichten (u. a. Fokus auf Lerndispositionen) herausgearbeitet. Auf dieser Basis wurden 111 Lerngeschichten aus deutschen Kindertagesstätten in einer explorativen Studie untersucht. Die empirische Analyse zeigt, dass ein großer Teil der Lerngeschichten die an sie gestellten theoretischen Ansprüche einlöst. Doch es zeigen sich auch Diskrepanzen zwischen Anspruch und Realisierung. So wird der subjektive Charakter dieser Dokumentationsform oftmals nicht deutlich gemacht, viele Lerngeschichten sind zudem sprachlich sehr anspruchsvoll und daher für Kinder und Eltern potenziell nur schwer verständlich. Schlüsselwörter: Bildungsdokumentation, Kindertageseinrichtungen, Lerngeschichten Learning Stories for Infants and Toddlers: A Theoretical and Empirical Analysis Abstract: The study presented here investigates from theoretical and empirical perspectives whether the concept of learning stories developed in New Zealand by Margaret Carr is suitable as a way of documenting the education of children under 3 years of age. The theoretical analysis concludes that there are clear overlaps between the concept of education of children under 3 years of age that is predominant in early childhood education and the concept of learning stories. Seven categories relating to learning stories are identified that are especially relevant to the education of under-3s (including a focus on learning dispositions). On this basis, an exploratory study was conducted that analyzed 111 learning stories from German nurseries. The empirical analysis shows that in actual practice many of the learning stories do in fact meet the theoretical demands placed on them. However, there are also obstacles to using these stories in practice, such as the lack of clarification about the subjective character of this form of documentation or the variable linguistic accessibility of the learning stories. Keywords: infants and toddlers, pedagogical documentation, early childhood education centers, learning stories

Junge Kinder: Anforderungen an Bildungskontexte Die Bedeutung von Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren ist für Kindertageseinrichtungen deutlich gewachsen; erhöht haben sich sowohl die Zahl der betreuten Kinder als auch die wöchentliche Verweildauer in der außerfamiliären Betreuung (Statistisches Bundesamt, 2016). Gleichzeitig wurde das frühpädagogische Bildungsverständnis für die Bildungsarbeit mit dieser Altersgruppe ausdifferenziert (Haug-Schnabel & Bensel, 2010); so spielt hier die Verknüpfung von (Selbst-) Bildungsprozessen und der Qualität von Beziehungen bzw. Bindungen eine besondere ­Rolle (Nentwig-Gesemann, Fröhlich-Gildhoff, Harms & © 2018 Hogrefe Verlag

Richter, 2011). Bildung wird als ko-konstruktiver Prozess verstanden, der wesentlich durch Interaktion geprägt wird (Liegle, 2013), wobei sich dies nicht nur auf Erwachsene, sondern insbesondere auch auf andere Kinder bezieht (Weltzien, 2014). Bildung wird insbesondere bei Kindern in den ersten drei Lebensjahren als ganzheitlich beschrieben; d. h., Bildungsprozesse beziehen sich nicht auf isoliertes Wissen oder funktionale Fähigkeiten in einzelnen Domänen, sondern umfassen stets die gesamte Person bzw. Persönlichkeit (Oerter, 2007). Diese Vorannahmen prägen zunehmend auch die Arbeit in der Kindertagesbetreuung. Bildungsdokumentation wird heute als wesentlicher Beitrag in diesem Prozess gesehen (Fröhlich-Gildhoff & Fischer, 2010; Becker-Stoll, Niesel & Wertfein, 2015). Frühe Bildung (2018), 7 (1), 3–11 https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000354


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Bildungsdokumentation und Lerngeschichten Bildungsdokumentation ist heute ein fester Bestandteil der Tätigkeit pädagogischer Fachkräfte (Waller, 2009; OECD, 2011; Viernickel, Nentwig-Gesemann, Nicolai, Schwarz & Zenker, 2013). Sie wird in der Reggio-Pädagogik als Ausdruck einer „Pädagogik des Zuhörens“ beschrieben, die es ermöglicht, die Denk- und Lernprozesse des Kindes zu erforschen (Rinaldi, 2005). Sie kann dabei nicht nur der Archivierung von Aktionen bzw. ­Interaktionen dienen, sondern auch der Anregung von Bildungsprozessen (Forman & Fyfe, 1998) sowie der Stärkung von Partizipation und Demokratie in Bildungseinrichtungen (Falk & Darling-Hammond, 2010; Suárez, 2010; Picchio, Di Giandomenico & Musatti, 2014). In den vergangenen Jahrzehnten sind verschiedene Dokumentationsverfahren (weiter-) entwickelt worden, mit deren Hilfe Bildungsprozesse beobachtet, dokumentiert und angeregt werden können (Knauf, 2015a; Mischo, Fröhlich-Gildhoff & Weltzien, 2011). Neben dem Portfolio spielen Lerngeschichten eine zentrale Rolle in deutschen Kindertageseinrichtungen (FröhlichGildhoff & Strohmer, 2011; Müller & Zipperle, 2011); in einer bundesweiten Studie von Viernickel et al. (2013, S. 89) gaben 29 % der befragten pädagogischen Fachkräfte an, diese zu verwenden. Zur Verbreitung von Lerngeschichten in Deutschland hat insbesondere das Deutsche Jugendinstitut (DJI) beigetragen, das den Ansatz für die deutsche Frühpädagogik adaptierte und erprobte (DJI, 2007). Das Konzept der Lerngeschichten stammt aus Neuseeland, wo es in den 1990er Jahren von Margaret Carr als ein Assessmentverfahren entwickelt wurde, das sich am neuseeländischen Curriculum für den Elementarbereich Te Whariki orientiert (Carr, 2004). Sowohl Te Whariki als auch die Lerngeschichten sind nicht anhand von Bildungsbereichen (z. B. Sprache oder Motorik) aufgebaut, sondern orientieren sich an übergreifenden Lerndispositionen. Diese sind als intellektuelle Gewohnheiten bzw. Muster zu verstehen (Katz, 2015). Durch das Erkennen von Lerndispositionen im Handeln der Kinder soll es möglich werden, individuelle Bildungsprozesse präzise wahrzunehmen und gezielt zu fördern. Carr (2001, S. 24 / 2 5) definiert die folgenden fünf Lerndispositionen: 1) Interessiert sein; 2) Engagiert sein; 3) Standhalten bei Widerständen; 4) Kommunikation mit anderen; 5) Verantwortung übernehmen. Für Lerngeschichten werden Situationen, in denen die Kinder agieren, exemplarisch ausgewählt, beschrieben und interpretiert. Lerngeschichten sind als narratives Assessment und explizit nicht als objektive Messung konzipiert und unterscheiden sich damit von standardiFrühe Bildung (2018), 7 (1), 3–11

H. Knauf, Lerngeschichten für Kinder in den ersten drei Lebensjahren

sierten und objektivierten Assessments (z. B. Kompetenz-Checklisten oder Entwicklungstabellen). Der narrative Charakter soll es ermöglichen, Lerndispositionen nicht isoliert darzustellen, sondern Lernprozesse ganzheitlich und in einen größeren (soziokulturellen) Kontext eingebunden zu erörtern. Lerngeschichten stellen also eine subjektive Interpretation dar, die als Grundlage für Diskussionen und gemeinsame Vereinbarungen aller beteiligten Akteure dienen kann (Carr, 2001, S. 125). Carr (2001, S. 8) betont, dass die Arbeit mit Lerngeschichten stets mit sozialer Interaktion einhergeht. Die Entstehung einer Lerngeschichte wird von Carr als ein dialogischer Prozess beschrieben, bei dem Beobachtung und Deutung einer Situation von der dokumentierenden pädagogischen Fachkraft sowohl im Kollegium als auch mit dem Kind selbst besprochen werden; insofern werden als Zielgruppen von Lerngeschichten Kinder, Familien, das Team der Fachkräfte einer Einrichtung und die Fachkraft selbst beschrieben (Carr, 2001). Entsprechend dieser Sichtweise umfasst das Assessment in Form von Lerngeschichten drei Elemente (Ministry of Education, 2004, S. 6): yy „Noticing“: Wahrnehmung relevanter Situationen, yy „Recognizing“: Verstehen der Bedeutung dieser Situation und yy „Responding“: Eingehen auf die in der Situation zum Ausdruck gebrachten Lernbedürfnisse. Das Konzept der Lerngeschichten ist mit seiner Orientierung an Lerndispositionen klar von anderen Formen des Assessments abgegrenzt. An die Stelle eines defizitorientierten Blicks auf das Kind soll ein ressourcenorientierter Blick treten (Carr, 2001, S. 11).

Lerngeschichten für Kinder in den ersten drei Lebensjahren Die Auswertung der Literatur über Lerngeschichten zeigt, dass es insbesondere die folgenden sechs Faktoren sind, die diese in der Frühpädagogik und dort gerade für die Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren als besonders geeignet erscheinen lassen: 1. Fokus auf Lerndispositionen. Lerndispositionen können „unabhängig vom Inhalt einer Tätigkeit“ in allen Situationen gefunden werden (Leu et al., 2007, S. 23), nicht nur in pädagogisch inszenierten bzw. intentional gestalteten Settings. Gerade bei sehr jungen Kindern vollziehen sich Bildungsprozesse über sinnliche und emotionale Erfahrungen in alltäglichen Situationen. Lerngeschichten kann es gelingen, gerade solche Bildungsprozesse zu verdeutlichen (Schneider, 2011). © 2018 Hogrefe Verlag


H. Knauf, Lerngeschichten für Kinder in den ersten drei Lebensjahren

2. Stärkenorientierung. Ein wesentliches Ziel von Lerngeschichten – im Unterschied zu normorientierten Verfahren der Dokumentation (siehe Viernickel & Völkel, 2007) – ist die Fokussierung auf das, was ein Kind besonders gut kann, bzw. was es mit großem Interesse, Engagement und Hartnäckigkeit verfolgt (Carr, 2001, S. 5). Damit verknüpft ist – zumindest auf der normativen Ebene – eine positive und wertschätzende Haltung gegenüber Kindern (Becker-Stoll et al., 2015, S. 40). 3. Wahrnehmen von Bildung. Die große Bedeutung, die gerade beiläufiges und implizites Lernen für Kinder hat, ist verschiedentlich herausgearbeitet worden (Oerter, 2012). Lerngeschichten sollen den „stillen“ Bildungsprozessen Beachtung verschaffen. Indem Bildungsprozesse sichtbar bzw. explizit gemacht werden, so der Grundgedanke, wird die Aufmerksamkeit auch auf diese alltäglichen und beiläufigen Situationen gelenkt (Carr, 2001). 4. Herstellen von Beziehungen. Lerngeschichten sind persönlich gestaltete Texte, in denen das Kind, die Fachkraft und auch die Beziehung zwischen beiden sichtbar werden können. Dies ist deshalb bedeutsam, weil Beziehungen als zentrale Grundlagen für Bildungsprozesse junger Kinder erachtet werden (Ahnert, 2015). Ent­ sprechend bezeichnet Schneider (2001, S. 128) Lern­ geschichten auch als „Beziehungsgeschichten“ (siehe auch: Weltzien & Viernickel, 2008). 5. Subjektivität der Beobachtung und der Interpretation. Lerngeschichten sind explizit als ein subjektives, qualitatives Verfahren konzipiert, das keine standardisierte oder normierte Messung vornimmt (Carr, 2001). Die Subjektivität greift dabei bereits auf der Ebene der Auswahl einer als wichtig wahrgenommenen Situation, geht über die Darstellung der beobachteten Situation im Text bis hin zu der von der beobachtenden Fachkraft vorgenommenen Interpretation (Carr & Lee, 2012). Lerngeschichten sollen durch ihre Gestaltung diese Subjektivität transparent machen und dadurch Kinder und Eltern zu Reflexion und Dialog einladen (Schneider, 2011). 6. Zugänglichkeit für Kinder. Selbst- / Reflexion über Lernen ist ein anspruchsvoller Vorgang. Sie wird mit Kindern insbesondere in der direkten Interaktion im Gespräch hergestellt (Carr & Lee, 2012). Lerngeschichten können durch das Anknüpfen an konkrete Situationen, durch ihren narrativen Charakter, durch die Illustration mit Fotos sowie direkte Ansprache von Kindern im Text auch jungen Kindern Impulse zum Nachdenken geben (Schneider, 2011; Haas, 2012). Ein wichtiger Faktor ist dabei die konkrete sprachliche Gestaltung des Textes, die sich an dem jeweiligen Alter und Entwicklungsstand orientieren sollte (Carr & Lee, 2012; Viernickel, 2009). © 2018 Hogrefe Verlag

5

Lerngeschichten als Forschungsgegenstand Lerngeschichten sind – ebenso wie andere Dokumentationen – nicht als unmittelbares Abbild einer Situation zu sehen. Sie sind vielmehr von selektiven Wahrnehmungen, bewussten und unbewussten Selektionsprozessen und den Analysekompetenzen der Fachkräfte geprägt. Es handelt sich also um subjektive Dokumente, in denen auch Informationen über die Haltungen und Sichtweisen der Fachkräfte enthalten sind. Die Untersuchung von Lerngeschichten hat den Vorteil, dass diese normalerweise impliziten Haltungen analysiert werden können, ohne dass der Forschungsprozess selbst in das Ergebnis eingreift, z. B. durch Effekte der sozialen Erwünschtheit bei Befragungen (Brosius, Haas & Koschel, 2012) oder der Veränderungen des Verhaltens der Untersuchten durch die Beobachtungssituation (Spradley, 2016). Lerngeschichten sind durch ihre Schriftlichkeit besonders wirkmächtig: Flüchtige Momente und Interpretationen können durch sie den Charakter objektiver Fakten erhalten. Diese eigenständige Bedeutung der Dokumente steht im Mittelpunkt der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) Bruno Latours (1996); diese Theorie schreibt nicht nur Menschen, sondern auch Dingen eine eigene Wirkmächtigkeit zu, die soziale Tatsachen nicht nur maßgeblich beeinflussen, sondern schaffen (Weingart, 2003). Aufbauend auf der theoretischen Fassung von Dokumenten als Aktanten (analog zu Menschen als Akteure) zeigen beispielsweise Koch und Nebe (2013), wie das Kind durch eine Lerngeschichte als lernendes Kind konstituiert wird. Vor diesem Hintergrund stellt die hier vorgestellte Untersuchung Lerngeschichten selbst als Dokumente in den Mittelpunkt. Ihre Struktur und die enthaltenen Botschaften wurden unabhängig vom Prozess ihres Zustandekommens untersucht. Die Analyse umfasst eine erste Exploration zur Frage, wie Lerngeschichten für Kinder unter drei Jahren in Deutschland heute gestaltet werden und ob sich die im Konzept theoretisch enthaltenen Potenziale auch auf der Ebene der praktischen Ausgestaltung wiederfinden.

Material und Methoden Die Untersuchung basiert auf der Auswertung von Lern­ geschichten aus Kindertageseinrichtungen, die für Kinder in den ersten drei Lebensjahren geschrieben wurden. Dieses Untersuchungsfeld ist bislang nur wenig erforscht ­worden, weshalb diese explorative Studie mit einem qualitativen Forschungsansatz arbeitet. Die untersuchten Lerngeschichten sind Teil eines größeren Datenkorpus' im Rahmen des Frühe Bildung (2018), 7 (1), 3–11


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H. Knauf, Lerngeschichten für Kinder in den ersten drei Lebensjahren

Projektes „Lerngeschichten: Exploration der Praxis pädagogischer Dokumentation in deutschen Kindertageseinrichtungen“. Hierfür wurden Kindertageseinrichtungen gebeten, in ihren Augen typische Lerngeschichten auszuwählen und bereitzustellen. Die beteiligten Einrichtungen wurden nach dem Verfahren des Theoretical Sampling (Kelle & Kluge, 2010) angefragt und mit dem Ziel ausgewählt, eine größtmögliche Varianz von Lerngeschichten (Prinzip der Maximierung von Unterschieden) zu erzielen (Kelle & Kluge, 2010), d. h. im Laufe der Untersuchung wurde kontinuierlich nach Einrichtungen gesucht, die neue Varianten von Lerngeschichten und Kontraste zu den bereits identifizierten Lerngeschichten umsetzen (Breuer, 2010). Durch dieses Verfahren „des ständigen Vergleichens“ (Strübing, 2004, S. 18) und die damit verbundene Erweiterung des Datenkorpus' sollen möglichst differenzierte Erkenntnisse über das Phänomen (= Lerngeschichten) gewonnen werden (Strübing, 2004, S. 78). Dieses Verfahren wurde so lange fortgesetzt, bis keine neuen Varianten von Lerngeschichten identifiziert werden konnten, bis also eine theoretische Sättigung eintrat (Corbin & Strauss, 2015). Gerade für explorative Studien wird diese Vorgehensweise als sinnvoll erachtet, weil zu Beginn der Untersuchung noch unklar ist, welche Auswahlkriterien sich als entscheidend erweisen (Merkens, 2000). Die Gesamtstichprobe umfasste 338 Lerngeschichten für Kinder in den ersten sechs Lebensjahren: Für die hier vorgestellte Untersuchung wurden nur die Lerngeschichten

einbezogen, die für Kinder in den ersten drei Lebensjahren geschrieben wurden. So umfasst die hier analysierte Teilstichprobe 111 Lerngeschichten aus 23 verschiedenen Kindertageseinrichtungen aus ganz Deutschland. Für die Analyse wurden die im Abschnitt „Lerngeschichten für Kinder in den ersten drei Lebensjahren“ herausgearbeiteten sechs Faktoren, die Lerngeschichten als besonders geeignet für Kinder in den ersten drei Lebensjahren qualifizieren, als Auswertungskategorien verwendet. Für jede Kategorie wurden Indi­katoren entwickelt, die auf ihr Vorhandensein in einer Lerngeschichte hinweisen; diese werden in Tabelle 1 dargestellt. Jeder einzelne Indikator wurde als Grundlage für einfache Häufigkeitsauszählungen verwendet und jeweils so gebildet, dass eine einfach dichotome Zuordnung (vorhanden – nicht vorhanden) möglich war; lediglich das Vorhandensein von Fotos wurde in mehreren Abstufungen kategorisiert. Die entstehenden Verteilungen beziehen sich auf den dieser Studie zugrundeliegenden Datenkorpus, wodurch die Ergebnisse nicht verallgemeinerbar sind.

Ergebnisse Von den 111 Lerngeschichten richten sich 53 an einen Jungen und 58 an ein Mädchen. Das Alter der Kinder, an die

Tabelle 1. Auswertungskategorien und Indikatoren Auswertungskategorie

Indikator

Fokus auf Lerndispositionen

Zuordnung zu den Lerndispositionen • Interessiert sein • Engagiert sein • Standhalten bei Widerständen • Kommunikation mit anderen • Verantwortung übernehmen (Mehrfachzuordnungen möglich)

Stärkenorientierung

• Wertschätzende Formulierung (z. B. positive Adjektive) • Benennung einer Stärke (z. B. Beschreibung einer Kompetenz)

Wahrnehmen von Bildung

• Beschreibung einer Alltagssituation (im Unterschied zu einer herausgehobenen Situation, wie beispielsweise einem Ausflug oder einem Fest)

Subjektivität der Beobachtung und der Interpretation

• Verwendung von „Ich“ • Fragen an das Kind • Abschnitt, der explizit der Analyse dient, kenntlich etwa durch eine Zwischenüberschrift und / oder sprachliche Veränderung (z. B. 3. Person statt 2. Person)

Herstellen von Beziehungen

• Persönliche Grußformeln • Direkte Anrede im Text • Markieren der eigenen Perspektive und Gefühle

Zugänglichkeit für Kinder

• • • • • •

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Schilderung einer wiedererkennbaren Situation Nennung des Namens des Kindes Alltagswortschatz der Kinder Kurze Sätze Verzicht auf Nominalisierungen; Verbalstil Mindestens ein Foto / Zeichnung / Symbol

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die Lerngeschichten adressiert sind, wird nur zu einem kleinen Teil vermerkt; die Einschätzung anhand der Fotos zeigt jedoch, dass nur wenige der angesprochenen Kinder jünger als ein Jahr alt sind. In 96 Lerngeschichten steht ein einzelnes Kind im Mittelpunkt; nur 12 Lerngeschichten zeigen Situationen mit mehreren Kindern und 3 die gesamte Gruppe. Die Lerngeschichten variieren stark in ihrer Länge, wobei ein Teil (n = 45) mehr als 12 Sätze umfasst, ein weiterer Teil (n = 35) zwischen 6 und 12 Sätzen lang ist und 31 Lerngeschichten weniger als 6 Sätze lang sind. Im Folgenden werden die Ergebnisse entsprechend der in Tabelle 1 beschriebenen Auswertungskategorien vorgestellt.

Fokus auf Lerndispositionen In fast allen untersuchten Lerngeschichten lässt sich ein Bezug zu einer oder mehreren Lerndispositionen erkennen; lediglich in drei der analysierten Lerngeschichten ist dieser Bezug nicht erkennbar. Abbildung 1 zeigt die Häufigkeit, mit der die jeweiligen Lerndispositionen in den Lerngeschichten beschrieben werden. Die Lerndisposition Interessiert sein sticht in der Häufigkeit ihres Auftretens deutlich hervor, denn sie lässt sich in nahezu allen Lerngeschichten erkennen. Dies ist letztlich wenig überraschend, denn das Erkennen und Beschreiben einer für das Kind relevanten Begebenheit ist ein Kernelement für das Zustandekommen einer Lerngeschichte. Vergleichsweise selten ist die Lerndisposition Verantwortung übernehmen zu finden.

Stärkenorientierung Die positive Darstellung der Aktivitäten des Kindes ist das verbindende Glied der untersuchten Lerngeschichten.

Abbildung 1. Häufigkeit der Bezugnahme auf einzelne Lerndispositionen (einfache Häufigkeitsauszählung, Mehrfachnennung, n = 111). © 2018 Hogrefe Verlag

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Ausnahmslos alle Lerngeschichten stellen das Kind wertschätzend, teilweise auch lobend dar. 74 Lerngeschichten arbeiten eine besondere Stärke des Kindes explizit heraus, indem die beschriebene Aktivität in einen Zusammenhang mit Kompetenzen der Kinder gestellt wird: Das Bauen eines Turms wird als ausdauernd gedeutet oder beim Puzzeln wird die Konzentrationsfähigkeit hervorgehoben.

Wahrnehmen von Bildung In einem Großteil der untersuchten Lerngeschichten (n = 71) werden alltägliche (nicht gezielt herbeigeführte) Situationen geschildert, in denen die Kinder ihren Interessen nachgehen und eigene Spielideen verfolgen. Die Lerngeschichten beschreiben hier im Detail, was das Kind tut und durch welche Gefühlsäußerungen (Worte, Mimik) dies begleitet wird. Dadurch wird auf die beiläufig und implizit stattfindenden Lernprozesse in diesen alltäglichen Situationen aufmerksam gemacht. Der andere Teil der Lerngeschichten (n = 40) hingegen hebt Situationen hervor, in denen gezielt ein pädagogisches Setting hergestellt wurde (z. B. mit einem besonderen Material oder an einem nicht alltäglichen Ort). Hier werden als „lehrreich“ herausgehobene Situationen beschrieben. Auch wenn diese Lerngeschichten oft weniger individuell sind, beschreiben sie detailliert spezifische Erfahrungen des Kindes, so dass auf Bildungsprozesse aufmerksam gemacht wird.

Subjektivität der Beobachtung und der Interpretation Durch verschiedene Rahmungen oder Einleitungen (z. B. „Nun möchte ich dir erzählen, was ich gesehen habe“) wird in knapp der Hälfte der untersuchten Lerngeschichten verdeutlicht (n = 50), dass die geschilderte Sicht­ weise oder Interpretation die subjektive Perspektive der Fachkraft wiedergibt. Dabei wird der subjektive Charakter der Beobachtung meist nur angedeutet. Expliziert wird er lediglich in sieben Lerngeschichten, in denen auf die Schilderung der Beobachtung ein Abschnitt mit Interpretationen folgt, der deutlich als subjektiv gekennzeichnet ist durch Überschriften wie „Welches Lernen könnte ich hier gesehen haben?“. Durch solche Formulierungen wird ein eindeutig markierter Funktions­ wechsel von der Beschreibung zur Interpretation vor­ genommen. Eine weitere Möglichkeit, die eigenen Interpretationen zu relativieren, besteht in der Formulierung der Ideen und Hypothesen der Fachkräfte als Fragen an das Kind („Ich habe den Eindruck, du fragst dich, Frühe Bildung (2018), 7 (1), 3–11


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was …“). Dieses Vorgehen findet sich lediglich in 14 Lerngeschichten.

Herstellen von Beziehungen Die Mehrzahl der untersuchten Lerngeschichten (n = 83) ist als Brief an das Kind geschrieben; sie beginnen mit einer persönlichen Anrede (z. B. „Lieber Linus“) und enden größtenteils auch mit einem persönlichen Gruß (n = 65). Darüber hinaus findet sich jedoch nur in einem Drittel der Lerngeschichten eine persönliche Ansprache im Text, in der mit Hilfe der Namensnennung des Kindes noch einmal ein direkter Kontakt aufgenommen wird oder das Kind durch Fragen angesprochen wird. Wenn eine solche wiederkehrende Namensnennung vorhanden ist, geschieht dies oftmals in Zusammenhang mit der Empfehlung für mögliche Aktivitäten bei den weiteren Entwicklungsschritten des Kindes. Durch die direkte Anrede werden die Kinder als unmittelbare Adressaten der Lerngeschichte sichtbar; die Briefform ist so nicht nur eine rhetorische Figur, sondern kann als tatsächliches Dialogangebot gedeutet werden. Darüber hinaus wird in vielen Lerngeschichten die Autorin sichtbar, indem sie ihre eigenen Gedanken deutlich als solche markiert und auch eigene Gefühle thematisiert (z. B. „Meine Neugierde war gepackt und so beobachtete ich dich bei deinem Vorhaben“).

Potenzielle Zugänglichkeit für Kinder Zugänglichkeit wird in den Lerngeschichten auf verschiedene Weise hergestellt. Fast alle Lerngeschichten (n = 99) beziehen sich auf eine konkrete Situation; größtenteils wird diese Situation sogar sehr detailliert beschreiben. Auf diese Weise bieten die Lerngeschichten den Kindern Anknüpfungspunkte für Erinnerungen. Dies geschieht auch an den Stellen, an denen die Kinder direkt angesprochen oder sogar gefragt werden (siehe ausführlich den Abschnitt „Herstellen von Beziehungen“). Ein weiterer Indikator ist die sprachliche Zugänglichkeit. Etwa ein Drittel der Lerngeschichten (n = 38) enthält sprachliche Hindernisse: lange und komplizierte Sätze, Fremdworte und Nominalisierungen. Zugänglichkeit wird darüber hinaus durch Bilder hergestellt; die meisten der untersuchten Lerngeschichten sind reich bebildert: 79

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Lerngeschichten sind mit drei oder mehr Fotos illustriert. Nur 16 enthalten kein Foto.

Diskussion Lerngeschichten sind nicht speziell für Kinder in den ersten drei Lebensjahren konzipiert worden, sondern vielmehr für Kinder aller Altersstufen, wie die zahlreichen Beispiele bei Carr und Lee (2012) zeigen. Dennoch, so hat die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema ergeben, entsprechen Lerngeschichten von ihrem Anspruch und ihrer Konzeption her den Erfordernissen an eine Bildungsdokumentation für diese Altersgruppe (vgl. die im Abschnitt „Lerngeschichten für Kinder in den ersten drei Lebensjahren“ definierten sechs Faktoren, die als Aus­ wertungskategorien dienen). Die Analyse der 111 Lerngeschichten zeigt, dass ein großer Teil diese theoretischen Ansprüche auch in der praktischen Umsetzung einlöst. Die Mehrzahl der Lerngeschichten orientiert sich an Lerndispositionen. Häufig werden beiläufig und implizit stattfindende Lernprozesse in den Blickpunkt gerückt. Andererseits beschäftigt sich ein großer Teil der Lerngeschichten mit nicht alltäglichen, expliziten Bildungssituationen. Auch diese Situationen sind Teil der Arbeit in Kindertageseinrichtungen, doch hier zeigt sich auch eine mögliche Doppelfunktion von Lerngeschichten: Neben der Sichtbarmachung von Bildungsprozessen der Kinder könnte auch die positive Darstellung der eigenen Tätigkeit im Sinne eines Impression Managements1 (Goffman, 1999) ein Motiv sein, diese Geschichten zu schreiben (Knauf, 2016). Alle untersuchten Lerngeschichten beschreiben eine besondere Stärke des Kindes (oder auch mehrere). Dieses „Focusing on credit“ (Carr, 2001, S. 107) ist ein zentrales Prinzip von Lerngeschichten (Kebbe, 2009), das von den Fachkräften auch realisiert wird. Evaluationen und Erfahrungsberichte der Arbeit mit Lerngeschichten zeigen, dass die beteiligten Fachkräfte Kinder stärkenorientierter wahrnehmen bzw. konstruieren, wenn sie Lerngeschichten einsetzen (DJI, 2007; Müller & Zipperle, 2011; Haas, 2012; Weltzien & Ziesemer, 2009). Durch die narrative Gestaltung der Lerngeschichten sind Lernen und Entwicklung in einen situativen Kontext eingebunden. Zugleich sind die dargestellten Situationen jedoch auch konkret, so dass die Bedeutung verschiedener Ebenen und Aspekte des Lernens einbezogen werden

Goffman (1999) geht davon aus, dass jede Kommunikation auf die Erzielung eines bestimmten Eindrucks hin gestaltet wird. Welchen Eindruck eine Person erzielen möchte, hängt maßgeblich davon ab, welche Erwartungen ihrer Meinung nach von anderen an sie gestellt werden. Lerngeschichten können in diesem Sinne als eine Kommunikation verstanden werden, die darauf abzielen, einen bestimmten Eindruck zu hinterlassen.

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kann. Carr und Lee (2012, S. 28) bezeichnen die Arbeit mit Lerngeschichten auch als „Narrative Research“2, also als einen Weg, um die Vielschichtigkeit und Komplexität von Bildungssituationen angemessen erfassen und damit einer pädagogischen Bearbeitung zugänglich zu machen, wie auch Koch und Nebe (2013) in ihrer Untersuchung zeigen. Im Hinblick auf die Verdeutlichung der Subjektivität von Beobachtung und Interpretation durch die Fachkraft entspricht ein Teil der untersuchten Lerngeschichten nicht den Anforderungen, die Carr (2001) bzw. Carr und Lee (2012) an sie stellen. Der subjektive Charakter der Lerngeschichte wird mehrheitlich nur implizit dadurch erkennbar, dass die Fachkraft aus der „Ich“-Perspektive schreibt. Gerade im Kontext einer sozialkonstruktivistisch aus­ gerichteten Frühpädagogik (König, 2007) wäre aber die Markierung subjektiver „Konstruktionen“ über Kinder von zentraler Bedeutung. Ergebnisse von Kinderbeobachtungen wären damit nicht als objektive Wahrheiten darzustellen, sondern als individuelle, wenngleich durch fach­ liche Expertise und Erfahrung gestützte Interpretationen der Fachkräfte. Unter dem Gesichtspunkt der Zugänglichkeit ergibt sich ein heterogenes Bild. Der vorhandene Bezug auf konkrete Situationen und die Illustration mit zahlreichen Fotos lassen vermuten, dass die meisten der hier analysierten Lerngeschichten auch für junge Kinder anschlussfähig sind. Vielen Fachkräften gelingt es, die Lerngeschichten in einer verständlichen Sprache zu formulieren. In etwa einem Drittel der untersuchten Lerngeschichten jedoch werden anspruchsvoller Satzbau und hochsprachliches Vokabular kombiniert, sodass sie für Kinder, aber möglicherweise auch für viele Eltern, nicht oder nur schwer verständlich sind. Genz (2014) unterscheidet zwischen sozialer, emotionaler und kognitiver Zugänglichkeit, wobei die soziale Zugänglichkeit als Verfügbarkeit bzw. Erreichbarkeit verstanden wird, die nicht Gegenstand dieser Untersuchung war. Die Analyse der Lerngeschichten zeigt, dass die emotionale Zugänglichkeit über Bilder und Geschichtencharakter hergestellt werden könnte; die kognitive Zugänglichkeit erscheint jedoch in den analysierten Lerngeschichten oftmals erschwert. Zudem ergibt sich hier offenbar ein Zielkonflikt: Einerseits sollen die Lerngeschichten möglichst einfach geschrieben und für Kinder leicht zugänglich sein, andererseits sollen sie methodisch korrekt und differenziert sein. Die vorliegende Studie stellt die Lerngeschichten als Dokumente in den Mittelpunkt der Analyse. Deshalb können hier keine Aussagen darüber getroffen werden, wie die Lerngeschichten zustande kommen und ob sie tatsächlich auf systematischen Beobachtungen beruhen, woran

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nach den Erkenntnissen der Untersuchung von Viernickel et al. (2013) deutliche Zweifel geboten sind. Auch über die weitere Verwendung der Lerngeschichten, etwa in der Frage, ob diese zusammen mit den Kindern gelesen und ggf. sogar ergänzt werden, stehen hier keine Informationen zur Verfügung. Die theoretische und empirische Untersuchung von Lerngeschichten macht deutlich, dass sie eine geeignete Form der Bildungsdokumentation für Kinder in den ersten drei Lebensjahren sein können. Nicht alle in der Literatur genannten Ziele sind jedoch in der Praxis zu finden. Auch wenn die Aussagekraft der Forschungsergebnisse aufgrund der kleinen Stichprobe relativiert werden muss, weist die hier vorliegende Untersuchung darauf hin, dass das Verfassen von Lerngeschichten für Kinder in den ersten drei Lebensjahren mit spezifischen Problemen be­ haftet ist. Einiges deutet darauf hin, dass eine unklare ­Zielsetzung von Bildungsdokumentation die Arbeit mit Lerngeschichten behindern kann: Die oftmals anspruchsvolle sprachliche Gestaltung gibt einen Hinweis darauf, dass Kinder als Adressaten oftmals eher im Hintergrund stehen, wie auch andere Untersuchungen zur Bildungsdokumentation in Kindertageseinrichtungen gezeigt haben (Knauf, 2017). Auch der objektivistische Charakter zahlreicher Lerngeschichten lässt vermuten, dass hier schulische Lernberichte zum Vorbild genommen wurden und damit die subjektive Deutung verschleiert wird. Daneben können es aber durchaus auch sehr praktische Hindernisse sein, die das Verfassen von Lerngeschichten im Sinne des von Margaret Carr entwickelten Konzepts behindern. So sind für die Arbeit mit Lerngeschichten vielfältige professionelle Kompetenzen erforderlich, wie beispielsweise in den Bereichen Beobachtung und Diagnostik, aber auch die Fähigkeit, eine Lerngeschichte sprachlich zu formulieren und optisch zu gestalten. Die Untersuchung macht deutlich, dass Lerngeschichten zwar dazu geeignet sein können, Bildungsprozesse sehr junger Kinder zu dokumentieren und zu bereichern, sie jedoch zugleich ein auf vielen Ebenen anspruchsvolles Verfahren darstellen.

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„Research“ ist hier im Sinne von Praxisforschung (Altrichter & Posch, 2007) zu verstehen, bzw. im Sinne der Reggio-Pädagogik als Erforschung des Lernens der Kinder (Dreier, 2010).

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Helen Knauf Hochschule Fulda Fachbereich Sozialwesen Leipziger Straße 123 36039 Fulda helen.knauf@sw.hs-fulda.de

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Schwerpunktbeitrag

Alltagsintegrierte Resilienz­ förderung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren Eine explorative Studie Silke Kaiser und Klaus Fröhlich-Gildhoff Zusammenfassung: In diesem Artikel wird – aufbauend auf aktuellen Forschungsergebnissen der Interaktions- und Resilienzforschung – eine explorative Studie vorgestellt, die sich mit den Möglichkeiten der Resilienzförderung im Bereich der Pädagogik für Kinder in den ersten drei Lebensjahren befasst. Dazu wurde ein Weiterbildungsprogramm für frühpädagogische Fachkräfte erarbeitet, das diese zur alltagsintegrierten Resilienzförderung befähigen soll. In drei Kindertageseinrichtungen wurde die Implementation des Weiterbildungsprogramms in einem Kon­ trollgruppendesign wissenschaftlich evaluiert. Im Artikel werden die Intervention sowie erste Ergebnisse vorgestellt und diskutiert. Schlüsselwörter: Kleinstkindpädagogik, Haltung, Interaktionsgestaltung, Resilienz, Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte Promotion of Resilience in Children's First 3 Years in Daily Routines in Early Childhood Institutions: An Explorative Study Abstract: This article presents an explorative study, based on current results of interaction and resilience research, dealing with the possibilities of promoting resilience in early childhood education for the target group of toddlers. Therefore, a training program for early childhood teachers was developed, which should enable them to realize resilience promotion in daily routine situations. In three early childhood day-care ­centers, the training program was implemented and evaluated with control groups. The article presents and discusses the intervention and first outcomes. Keywords: pedagogy in early childhood, attitude, interaction, resilience, training of early childhood teachers

Mit dem Ausbau an Plätzen der Kindertagesbetreuung für Kinder in den ersten drei Lebensjahren ist auch eine Zunahme der Erforschung der pädagogischen Qualität verbunden (z. B. NUBBEK-Studie; Tietze et al., 2013), wobei als Aspekt der Prozessqualität besonders die Beziehungsgestaltung der Fachkräfte unter der Interaktions- (Remsperger, 2011; Gutknecht, 2012) und Bindungsperspektive (Ahnert, 2007) fokussiert wurde. Parallel wurde das Konzept der Resilienz, also der psychischen Widerstandsfähigkeit, auch auf das Feld der Kindertageseinrichtungen übertragen (Wustmann, 2012), und es wurden systematische Konzepte zur Förderung der Resilienz im Setting Kita entwickelt, erprobt und evaluiert – dies allerdings für Kinder im Alter von drei bis sechs ­Jahren (Rönnau-Böse, 2013; Fröhlich-Gildhoff & RönnauBöse, 2012; Fröhlich-Gildhoff, Dörner & Rönnau-Böse, 2016). Das Konstrukt der Resilienzförderung wurde dabei zum einen durch das Schaffen entwicklungs- und ressourcenförderlicher Bedingungen operationalisiert – hier haben eine stärkenorientierte Grundhaltung der Fachkräfte und die Gestaltung wertschätzender Beziehungen eine Frühe Bildung (2018), 7 (1), 12–21 https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000355

besondere Bedeutung. Zum anderen sollten auf der Ebene der Kinder personale Schutzfaktoren bzw. Kompetenzen, die sechs „Resilienzfaktoren“ (s. u.), (weiter)entwickelt werden (Rönnau-Böse, 2013; Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2012; Fröhlich-Gildhoff et al., 2016). Im Unterschied zu dem Ansatz, die Resilienzfaktoren mittels Programmen oder „Kursen“ zu stärken, können diese auch im pädagogischen Alltag durch eine gezielte Fokussierung und passgenaue Unterstützung gefördert werden (vgl. hierzu Fröhlich-Gildhoff, 2013). Im Hinblick auf unter dreijährige Kinder fiel die Entscheidung – ausgehend von deren entwicklungspsychologischen Besonderheiten − zugunsten einer alltagsintegrierten Förderung. Anschließend an Wustmann, die postuliert, dass Resilienzförderung dann effektiv und nachhaltig sei, wenn sie kontinuierlich und verlässlich im Beziehungsumfeld verankert würde, also im „Alltag Erfahrungsräume schafft“ (Wustmann, 2012, S. 357), sollen pädagogische Fachkräfte qualifiziert werden, Resilienz in Alltagssituationen – hier im Besonderen in Schlüsselsituationen – spezifisch zu fördern. © 2018 Hogrefe Verlag


S. Kaiser und K. Fröhlich-Gildhoff, Alltagsintegrierte Resilienzförderung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren

In diesem Beitrag werden zunächst die theoretischen Bezüge – Erkenntnisse zu entwicklungsförderlichen Interaktionen, zum Resilienzansatz in der Kita sowie zur Bedeutsamkeit einer entsprechenden Grundhaltung frühpädagogischer Fachkräfte – vorgestellt, die als Grundlage für eine Weiterqualifizierung von Fachkräften im Krippenbereich dienten. Diese curriculumbasierte Weiterbildung wurde in einem ersten Schritt mit den Teams von drei Kinderkrippengruppen umgesetzt und in einem Kontrollgruppendesign mit zwei Kontrollgruppen mit quantitativen und qualitativen Methoden evaluiert1. Im Folgenden werden die Inhalte der Weiterbildung kurz dargestellt und erste Ergebnisse der Auswertungen vorgestellt. Da es im Bereich der alltagsintegrierten Resilienzförderung für Kleinstkinder – abgesehen von der Formulierung erster Konzepte (Becker, 2012; Kaiser, 2015b) – bisher keine Erfahrungen gab, handelt es sich bei der Intervention um ein exploratives Vorgehen, das Erkenntnisse zur „Machbarkeit“ des Ansatzes sowie Hinweise zu dessen Wirksamkeit liefern soll.

Empirische Befunde ­zur entwick­ lungs- und resilienzförderlichen Beziehungsgestaltung bei Kindern in den ersten drei Lebensjahren – und ihre Konsequenzen für die Entwicklung eines Weiterbildungscurriculums Handlungsleitende Orientierungen und entwicklungsförderliche Beziehungsgestaltung In den Studien zur Qualität in Kindertageseinrichtungen wird ein besonderes Augenmerk auf die Prozessqualität gerichtet (z. B. Tietze et al., 2013). Zunehmend rückt dabei die Erforschung der Interaktionsqualität, die als zentrales Merkmal qualitativ hochwertiger Betreuung herausgearbeitet wurde (Siraj-Blatchford, Sylva, Muttock, Gilden & Bell, 2002; Tomasello, 2009; König, 2009), in den Fokus. Weltzien, Fröhlich-Gildhoff, Wadepohl & Mackowiak (2017) kristallisieren dabei folgende Kernthemen heraus: yy die professionelle Fachkraft-Kind- und zugleich gruppenbezogene Interaktion als zentrales Kriterium pädagogischer Prozessqualität, yy die positiven Zusammenhänge zwischen hoher Interaktionsqualität – gekennzeichnet durch Feinfühligkeit (Ains-

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worth, 1974), sensitive Responsivität (Remsperger, 2011; Gutknecht, 2012), Wertschätzung (Rogers, 1957; Wadepohl, 2017); Authentizität / Kongruenz (Rogers, 1957; Wadepohl, 2017) und Warmherzigkeit (Arnett, 1989) sowie die Bedeutsamkeit des Schaffens von Lerngelegenheiten in der „Zone der nächsten Entwicklung“ des Kindes (Wygotski, 1987) – mit „kindlichen sozial-emotionalen, motivationalen, sprachlichen und kognitiven Entwicklungsmaßen“ (Weltzien, Fröhlich-Gildhoff, Wadepohl et al., 2017, S. 8; s. a. Weltzien, 2014). Als weiteren, die Interaktionsqualität beeinflussenden, Aspekt nennen Weltzien, Fröhlich-Gildhoff, Wadepohl et al. (2017) die handlungsleitenden Orientierungen („Haltungen“) der Fachkräfte, die sich u. a. in habitualisierten Handlungspraktiken ausdrücken (Nentwig-Gesemann & Nicolai, 2017). Die Beschäftigung mit diesen handlungsleitenden Orientierungen („Haltungen“ in Form der zugrundeliegenden Werte, Normen und Einstellungen) und deren Reflexion benennen die Autor_innen als Grundlage für die Auseinandersetzung mit Interaktionsqualität (Weltzien, Fröhlich-Gildhoff, Wadepohl et al., 2017, S. 14). Auch König betont, dass sich pädagogische Qualität „nur über ­pädagogische Orientierungen, Erfahrungen und subjektive Einstellungen begründen (lässt)“ (König, 2009, S. 112).

Resilienz Zur Diskussion des Resilienzkonzepts liegen hinreichend Publikationen vor (Masten, 2016; Opp & Fingerle, 2008; Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2016). Eng gefasst bezieht sich Resilienz auf die „erfolgreiche“ Bewältigung von Krisen und Entwicklungsrisiken, weiter gefasst auf die positive Bewältigung von Krisen, Entwicklungsaufgaben und Herausforderungen des Alltags (Rönnau-Böse & FröhlichGildhoff, 2015, S. 15). Im weiteren Sinne verstanden setzt sich Resilienz aus mehreren einzelnen Kompetenzen zusammen, die als Resilienzfaktoren (s. u.) bezeichnet werden (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2012). Das Rahmenkonzept der Resilienz wurde nach der Analyse vorliegender Studien zu Schutzfaktoren für eine gesunde seelische Entwicklung von Rönnau-Böse (2013) opera­ tionalisiert: Neben der sicheren Beziehungsgestaltung als außerpersonalem Schutzfaktor (vgl. insbes. Luthar, 2006) sind bei Förderkonzepten folgende sechs „Resilienzfak­ toren“ besonders zu beachten, die sich in einer Vielzahl von Längsschnittstudien als besonders relevant erwiesen haben: adäquate Selbst- und Fremdwahrnehmung, gute Selbststeuerungsfähigkeiten, positive Selbstwirksamkeits-

Die Studie ist Teil der Studie „Innovative Pädagogik im U3-Bereich“ (Fröhlich-Gildhoff & Hoffer, 2014) des Zentrums für Kinder- und Jugendforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg und wurde gefördert von der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg.

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erwartungen, angemessene soziale Kompetenzen, „reife“ Problemlösefähigkeiten sowie adaptive Bewältigungskompetenzen (Rönnau-Böse, 2013; Rönnau-Böse & FröhlichGildhoff, 2015). Die vorliegenden erprobten und evaluierten Programme zur Förderung der Resilienz, z. B. „Prävention und Re­ silienzförderung in Kindertagesstätten“ (PRiK – FröhlichGildhoff et al., 2016) oder „EFFEKT“ (Lösel, Beelmann, Stemmler & Jaursch, 2006) sind für Kinder ab ca. drei ­Jahren konzipiert; für den Bereich der Kinder in den ersten drei Lebensjahren liegen bislang noch wenige Konzepte vor. Becker (2011) und Kaiser (2015a,b; Kaiser & FröhlichGildhoff, 2016) kommen aufgrund der entwicklungs­ spezifischen Besonderheiten dieser Altersgruppe zu dem Schluss, dass Resilienz im Bereich von Kindern in den ersten drei Lebensjahren nicht auf der Grundlage eines ­(Kurs-) Programms gefördert werden sollte. Stattdessen scheint es angemessener, Resilienz in alltäglichen Situa­ tionen zu fördern und die pädagogischen Fachkräfte zu schulen, stärkenorientierte Interaktionen zu gestalten und dabei die Resilienzfaktoren zu berücksichtigen (relevante Parameter s. o.).

Das Weiterbildungscurriculum Bei dem hier vorgestellten Ansatz zielt die Förderung der Resilienz auf alle Kinder, nicht allein auf Risikokinder. Im Rahmen der Weiterbildung sollten die Fachkräfte befähigt werden, entwicklungs- bzw. resilienzförderliche Beziehungen zu gestalten und die sechs Resilienzfaktoren i.S. personaler Schutzfaktoren zu stärken. Darüber sollten sie die Kompetenz erwerben, mithilfe des Risiko- und Schutzfaktorenkonzeptes für Kinder in aktuellen Krisensituationen über die Resilienzförderung hinaus gezielt passgenaue Hilfen in die Wege zu leiten. Vor diesem Hintergrund wurde ein Curriculum entwickelt, das folgende Ziele hat: yy die handlungsleitenden Orientierungen („Haltungen“; Nentwig-Gesemann, Fröhlich-Gildhoff, Harms & Richter, 2011) der Weiterbildungsteilnehmer_innen hinsichtlich einer ressourcen- und stärkenorientierten Interaktionsgestaltung mit den Kindern reflektieren und weiterentwickeln; yy ihr Interaktionsverhalten (auch hinsichtlich der Förderung der seelischen Widerstandskraft der Kinder) reflektieren und weiterentwickeln, z. B. anhand von Videoanalysen; yy sie befähigen, in Alltags- und besonders Schlüsselsituationen die Resilienzfaktoren gezielt „anzusprechen“, um so Bewältigungskompetenzen, mithin das „Bewältigungskapital“ (Fingerle, 2011) der Kinder zu stärken. Frühe Bildung (2018), 7 (1), 12–21

Letztlich handelt es sich darum, die resilienzförderlichen Kompetenzen der Fachkräfte (weiter) zu entwickeln. Die Struktur der Weiterbildung orientiert sich am Kompetenzmodell von Fröhlich-Gildhoff, Nentwig-Gesemann, Pietsch, Köhler und Koch (2014). Darin werden die Aspekte Disposition (v. a. Wissen und Fertigkeiten), Performanz (Handlungsplanung und -realisierung) sowie die damit verbundenen (Selbst-)Reflexionsmöglichkeiten und die zugrundeliegenden „Haltungen“ (handlungsleitenden Orientierungen) unterschieden. Diese Aspekte werden im Curriculum berücksichtigt. Das manualisierte Curriculum beinhaltet insgesamt sechs Fortbildungseinheiten zu je zwei bis drei Unterrichtseinheiten sowie eine Ganztagsfortbildung à acht Unterrichtseinheiten mit den Inhalten Grundlagen der Re­ silienzforschung, Risiko- und Schutzfaktoren-Konzept, Interaktion und Beziehung, Feinfühligkeit in der Pädagogik, Videoreflexion, Fallbesprechungen, Reflexion der eigenen Haltung und Beziehungsgestaltung. Besondere ­Bedeutung haben die Möglichkeiten alltagsintegrierter Resilienzförderung anhand von Schlüsselsituationen (­Essen, Pflegesituationen, Freispiel, Mikro-Übergänge, Schlafen). Die Weiterbildung bezog das gesamte Team ein; damit wurde das vielfach erprobte und bewährte Prinzip der Organisations- und Teamentwicklung bei der Resilienzförderung genutzt (Rönnau-Böse, 2013; Fröhlich-Gildhoff, ­Kerscher-Becker, Rieder, von Hüls & Hamberger, 2014; Weltzien & Lorenzen, 2016).

Evaluation: Fragestellungen, Methoden, Studiendesign Zentraler Gegenstand der Studie war die (Weiter-) Entwicklung der Haltung (handlungsleitende Orientierungen, Einstellungen) und Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte hinsichtlich der Resilienzförderung, insbesondere in Bezug auf die Interaktionsgestaltung mit Kleinstkindern. Das o. a. Interventions- / Schulungskonzept für pädagogische Fachkräfte wurde in einem Kontrollgruppendesign mit mehreren Messzeitpunkten (prä, post, follow-up) auf der Ebene der Fachkräfte evaluiert. Ergänzend wurden Instrumente zur Prozessevaluation eingesetzt. Fragestellungen: 1. Wie kann eine Weiterbildung zum Aufbau von positiver Beziehungsgestaltung und Förderung von Resilienz für Fachkräfte-Teams in Krippen aufgebaut sein? 2. Wie wird das Curriculum von den Fachkräften, die an der Weiterbildung teilnehmen, bewertet; welche Elemente werden besonders positiv oder negativ hervorgehoben? © 2018 Hogrefe Verlag


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3. Wie wird das Projekt durch die Eltern der teilnehmenden Einrichtungen bewertet? 4. Verändern sich die pädagogischen Orientierungen bzw. subjektiven Einstellungen der Fachkräfte (Ebene der Disposition)? (Entwickelt sich eine beziehungs- und resilienz­ förderliche Haltung? Besteht diese über die Durchführung des Programmes hinaus?) 5. Verändern sich die Interaktionen der Fachkräfte im Hinblick auf die Gestaltung der Beziehung und Förderung von Resilienz (Ebene der Praxis / Performanz)? 6. Gibt es weitere Faktoren – wie die generelle Prozessqualität der Einrichtungen, die Ausgangsqualifikation der Fachkräfte oder deren Arbeitszufriedenheit und Bewertung der Einrichtung –, die systematisch mit möglichen Veränderungen der handlungsleitenden Orientierungen sowie der Interaktionsqualität zusammenhängen?

Untersuchungsdesign des Gesamtprojektes Das hier beschriebene Projekt „Resilienzförderung im Bereich der unter Dreijährigen“ war ein von der Stiftung Kin-

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derland Baden-Württemberg gefördertes Projekt, das im Rahmen der Evaluationsstudie „Innovative Pädagogik im U3-Bereich“ (Hoffer & Fröhlich-Gildhoff, 2015) gemeinsam mit 13 anderen Projekten unterstützt und evaluiert wurde. Die Erhebung fand in Interventions- und Kontrollgruppen zu drei Erhebungszeitpunkten statt (Dauer des Projekts: 10/2014 bis 6/2016; t0: 10 – 12/2014; t1: 07 – 08/2015; t2: 12/2015 – 01/2016). Da es sich um eine komplexe Intervention handelte, die auch eine Verhaltensänderung der Fachkräfte auf der Interventionsebene intendierte, wurde eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Verfahren eingesetzt (Tab. 1).

Untersuchungsmethoden Zur Untersuchung des Umsetzungsprozesses der Weiterbildung und der Praktikabilität des Curriculums wurden im Prozess zum einen standardisierte, selbstentwickelte Protokollbögen (Dauer der Einheit, Anzahl der Teilnehmer_innen, Manualtreue) für die Referentin eingesetzt. Zum an-

Tabelle 1. Gesamt-Untersuchungsdesign Ziel

Instrumente (je t0 bis t2)

Auswertung mit

Bezug zur Forschungsfrage Nummer …

Erfassen der Umsetzung des Curriculums

Instrumente im Prozess eingesetzt: • Standardisierte, selbstenwickelte Protokoll­ bögen für die Referentin (Dauer der Einheit, ­Anzahl der TN, Manualtreue) • Teilnehmende Beobachtung; Dokumentation über nichtstandardisierte Protokolle

Qualitative Inhaltsanalyse (nach Kuckartz, 2016) mit MAXQDA

1

Erfassen von Strukturdaten der Einrichtungen sowie der Erwartungen, Erfahrungen, Ziele der Fachkräfte in Bezug auf das Projekt

Fragebogen aus dem Projekt „Innovative ­ ädagogik im U3 Bereich“ (Hoffer & Fröhlich-­ P Gildhoff, 2015)

Quantitativ (SPSS 23.0); deskriptive ­ tatistik, Inferenzstatistik: Wilcoxon-­ S Vorzeichen-Rangtest, Mann-Whitney-UTest

2

Erfassen der Einrichtungsqualität

KRIPS-R (Tietze, Bolz, Grenner, Schlecht & Wellner, 2005)

Quantitativ

6

Erfassen der Arbeitszufriedenheit und Bewertung der Einrichtung insgesamt auf Ebene der Fachkräfte

Fragebogen aus dem Projekt „Innovative ­ ädagogik im U3 Bereich“ (Hoffer & Fröhlich-­ P Gildhoff, 2015), Skala A und B

Quantitativ (SPSS 23.0); deskriptive ­ tatistik, Inferenzstatistik: Wilcoxon-­ S Vorzeichen-Rangtest, Mann-Whitney-UTest

6

Erfassen der handlungsleitenden Orientierungen und Einstellungen der Fachkräfte

Gruppendiskussion mit den Fachkräften; Methode der „Dilemmasituationen“ (Nentwig-Gesemann, Fröhlich-Gildhoff & Pietsch, 2011; Fröhlich-­ Gildhoff, Nentwig-Gesemann, Pietsch, Köhler & Koch, 2014)

Qualitative Inhaltsanalyse (nach Kuckartz, 2016) mit MAXQDA

4

Einschätzung der Interaktionsqualität

Videoanalysen und -feedback

GInA-E (Weltzien, Fröhlich-Gildhoff, ­ trohmer et al., 2017) S

5

Erfassen von Erwartungen der Eltern sowie der elter­ lichen Einschätzung der Kita

Fragebogen aus dem Projekt „Innovative ­Pädagogik im U3 Bereich“ (Hoffer & Fröhlich-­ Gildhoff, 2015)

Quantitativ (SPSS 23.0); deskriptive ­Statistik, Inferenzstatistik: Wilcoxon-­ Vorzeichen-Rangtest (Bortz & Lienert, 2008), Mann-Whitney-U-Test (Bortz & ­Lienert, 2008)

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deren erfolgte eine teilnehmende Beobachtung, die über nichtstandardisierte Protokolle dokumentiert wurde. Um die Erwartungen, Erfahrungen und Ziele der Fachkräfte und der Eltern zu erfassen, wurde auf Fragebögen aus dem Projekt „Innovative Pädagogik im U3-Bereich“ zurückgegriffen (Hoffer & Fröhlich-Gildhoff, 2015). Die Fragebögen für die Fachkräfte beinhalten drei faktorenanalytisch abgesicherte Skalen: A Zufriedenheit mit der Arbeit insgesamt (Beispielitem: „Ich bin mit meiner Tätigkeit insgesamt zufrieden“; Cronbachs Alpha 0,88), B Bewertung der Einrichtung insgesamt (Beispielitem: „Die Informationsweitergabe über die kindliche Entwicklung ist gut“; Cronbachs Alpha 0,88), C Erwartungen an bzw. Erfahrungen mit dem Projekt (Beispielitem: „Die Inter­ aktion der Fachkräfte mit den Kindern soll sich verbessern / hat sich verbessert“; Cronbachs Alpha 0,93). Die Fragebögen für die Eltern beinhalten zwei faktorenanalytisch abgesicherte Skalen: A Bewertung der Einrichtung (Beispielitem: „Ich bin mit den Bildungs- und Entwicklungsangeboten insgesamt zufrieden“; Cronbachs Alpha 0,92), B Erwartungen an bzw. Erfahrungen mit dem Projekt (Beispielitem: „Die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Fachkräften soll sich verbessern / hat sich verbessert“; Cronbachs Alpha 0,93). Die Einschätzungen der Fachkräfte und der Eltern wurden jeweils auf einer sechsstufigen Likert-Skala abgegeben. Zusätzlich wurde die KRIPS-R (Tietze, Bolz, Grenner, Schlecht & Wellner, 2005) als Instrument zur Einschätzung pädagogischer Qualität in Krippen eingesetzt, da die in der Fragestellung relevante Beziehungsqualität ein Merkmal pädagogischer Qualität darstellt und unter anderem in den Subskalen „Betreuung und Pflege der Kinder“ (2), „Interaktionen“ (5) sowie „Eingewöhnung und Unterstützung der sozial-emotionalen Entwicklung“ (8) zum Ausdruck kommt. Basierend auf dem o. g. Kompetenzmodell der Frühpädagogik wurde zur Erfassung der handlungsleitenden Orientierungen und Einstellungen der Fachkräfte zum einen auf die Methode der „Dilemmasituationen“ (Nentwig-Gesemann, Fröhlich-Gildhoff, Harms et al., 2011; Fröhlich-Gildhoff, Nentwig-Gesemann et al., 2014) zurückgegriffen, die in Gruppen zur Diskussion gestellt wurden. Zum anderen wurde die Methode „Analyse von Video­sequenzen“ eingesetzt und um die Methode des Videofeedbacks erweitert. Nach Fröhlich-Gildhoff, Nentwig-Gesemann et al. (2014, S. 66) sind alle genannten Methoden besonders geeignet, um Erkenntnisse über die Haltung der frühpädagogischen Fachkräfte zu gewinnen. Zur Erfassung der konkreten Gestaltung von Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern kam der von Weltzien et al. entwickelte Beobachtungs- und Reflexionsbogen „GInA-E“ zum Einsatz (Weltzien, Fröhlich-Gildhoff, Strohmer et al., 2017). Hier kann mittels drei Subskalen Frühe Bildung (2018), 7 (1), 12–21

die Interaktionsqualität auf Grundlage von ca. vierminütigen Videosequenzen eingeschätzt werden: Skala 1 (Beziehungsgestaltung) umfasst Merkmale von beziehungsvoller Interaktionsgestaltung, angemessenem Antwortverhalten der Fachkraft sowie Kongruenz, Wertschätzung und Echtheit. Skala 2 (Denken und Handeln anregen) umfasst Merkmale, die auf positive Unterstützung kindlicher Lernund Entwicklungsprozesse hinweisen und Skala 3 (Sprechen und Sprache anregen) umfasst Kompetenzen, die mit Sprache und Kommunikation zusammenhängen.

Stichprobe Zur Gewinnung der Stichprobe wurden Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg telefonisch angefragt, ob sie sich eine Teilnahme an der Studie vorstellen könnten. Bei positiver Resonanz fanden persönliche Gespräche mit den Leitungen statt. Zudem wurden Schreiben verteilt, in denen die Inhalte der Studie erläutert wurden, um anschließend die geplante Vorgehensweise den Fachkräften vorzustellen. Nach deren Einverständnis wurden die Eltern um Mitwirkung gebeten (Ausfüllen der Fragebögen sowie die Einwilligung in die Videographie der Kinder). Zur Teilnahme erklärten sich schließlich drei Krippengruppen in der Durchführungsgruppe (DG) und zwei Einrichtungen (mit Krippen) in der Kontrollgruppe (KG) bereit. Es nahmen alle Fachkräfte der Einrichtungen teil, die in den U3-Gruppen tätig waren. In den drei DG werden insgesamt ca. 75 Kinder zwischen 0 und 6 Jahren von 18 Fachkräften betreut, hiervon 30 Unter-Dreijährige. Jeweils zwei bis drei Fachkräfte betreuen durchschnittlich 10 Kinder unter drei Jahren. In einer der Kontrollgruppen werden insgesamt 20 Kinder unter drei Jahren von 3 Fachkräften betreut, in der anderen betreuen 5 Fachkräfte 20 Kinder in einer altersgemischten Gruppe von 0 bis 6 Jahren, hiervon 11 Unter-Dreijährige. Es nahmen über die Dauer der Erhebung 20 Fachkräfte aus dem U3-Bereich an der Untersuchung teil. Obwohl der Erhebungszeitraum mit 15 Monaten bewusst kurz gewählt wurde, um die Dropout-Quote möglichst gering zu halten, blieben in den drei DG nur insgesamt vier Fachkräfte über die gesamte Zeit konstant, in den zwei KG insgesamt sechs. Zu allen drei Erhebungszeitpunkten waren 83,3 % der videografierten Fachkräfte weiblich, 16,7 % männlich. In den KG nahmen acht Fachkräfte der DG teil, hiervon waren alle weiblich. KG und DG unterschieden sich hinsichtlich relevanter Parameter (Alter, Qualifikationen, Berufserfahrung) statistisch nicht signifikant. Zum Vergleich der Einrichtungen wurde die KRIPS-R (Krippenskala revidierte Fassung Tietze et al., 2005) eingesetzt. Die Spanne der Einschätzungen der Subskalen wie des Gesamtwertes bewegt sich zwischen 1 (= sehr © 2018 Hogrefe Verlag


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Tabelle 2. Übersicht KRIPS-Ergebnisse Gruppe

KRIPS_t0 MW

Zt0 (p)

KRIPS_t1 MW

Zt1 (p)

KRIPS_t2 MW

Zt2 (p)

DG

3,17 (SD = 0,16)

–1,77 (0,100)

4,45 (SD = 0,71)

3,87 (SD = 0,25)

KG

3,77 (SD = 0,00)

–1,16 (0,200)

–0,58 (0,400)

4,13 (SD = 0,72)

niedrige Qualität) und 7 (= sehr hohe Qualität). In Tabelle 2 sind die Ergebnisse nach DG und KG zu den drei Erhebungszeitpunkten zusammengefasst. Alle Gruppen bewegen sich während des gesamten Zeitraumes in der Zone mittlerer Qualität, was der Mehrzahl der gesamten Kitas in Deutschland entspricht, wenn man nationale Erhebungen wie die NUBBEK-Studie (Tietze et al., 2013) zum Vergleich heranzieht. Direkt nach der Intervention findet – sowohl bei DG als auch bei KG (wenngleich hier etwas geringer) – ein Anstieg der Werte statt, einige Zeit nach der Intervention nimmt der Wert wieder ab, wobei die KG unter den Ausgangswert zu Beginn der Erhebung absinkt, die DG über diesem Wert bleibt.

Erste Ergebnisse2 In diesem Beitrag werden die Antworten auf die Forschungsfragen 1. bis 3. sowie 6. dargestellt; diejenigen zu den Forschungsfragen 4. und 5. werden nach Abschluss der Studie in späteren Publikationen vorgestellt.

Realisierung der Weiterbildung und Praktikabilität An der Fortbildung nahmen sämtliche Fachkräfte der DG teil, sowohl diejenigen, die mit Unter-Dreijährigen als auch diejenigen, die mit Über-Dreijährigen tätig sind. Dies geschah auf Wunsch der Einrichtungsleitungen, die die Möglichkeiten der Inhouse-Schulung nutzen wollten, um das gesamte Team weiter zu bilden. Darüber hinaus fanden Weiterbildungen mit den Fachkräfteteams der Krippengruppen statt, die sowohl Vertiefungsfragen zur Resilienz beinhalteten als auch Reflexionsfragen in Bezug auf Interaktionsgestaltung und professionelle Haltung. Hier kam vor allem die Methode des Videofeedbacks zum Einsatz. Insgesamt fanden in dieser Form zwölf 90-minütige Einheiten statt. Zusätzlich gab es für Fachkräfte und Leitung die Möglichkeit, in Form von Coaching-Gesprächen einzelne Themen intensiver zu bearbeiten oder die Weiterbild-

3,45 (SD = 0,95)

nerin zu Fallsupervisionen einzubeziehen. Diese Zusatzangebote wurden gerne angenommen, zehn Gespräche dieser Art fanden über die Dauer des Projektes statt. Die Inhalte der Fortbildung konnten wie geplant umgesetzt werden, jedoch waren in den ersten beiden Fortbildungseinheiten Vorbehalte der Fachkräfte v. a. hinsichtlich des hohen Aufwandes zu spüren. Dies änderte sich nach dem Weiterbildungstag, der in der Wahrnehmung der Fachkräfte das Interesse und die Motivation weckte, sich vertieft mit den Inhalten auseinanderzusetzen. An einigen Stellen mussten die geplanten Inhalte der Fortbildung an die Gruppen und deren Wissensstand angepasst werden, da die Fachlichkeit der Fachkräfte sich zum Teil auf unterschiedlichen Qualifikations- und Verständnisniveaus bewegte oder (nicht muttersprachliche) Barrieren überwunden werden mussten. Auch wurde das Expertenwissen der Fachkräfte aktiviert, indem einige Fachkräfte kurze theoretische Inputs übernahmen, für die sie aufgrund eigener Weiterbildungen qualifiziert waren. Alle 17 Fachkräfte sowie die pädagogischen Leitungen der Einrichtungen nahmen kontinuierlich an der Weiterbildung teil, Krankheits- oder Urlaubsfälle ausgenommen. Die Videoreflexionen (insgesamt 12) auf der Grundlage der in den Gruppen erstellten Videos wurden als äußerst ergiebig und positiv erlebt. Für die Reflexionen wählte die Fortbildnerin je Fachkraft eine oder mehrere Freispiel-, Pflege-, Mahlzeitensituationen aus, die zu Schlüsselsituationen des Alltags zählen. Diese wurden im Team mittels Reflexionsfragen besprochen, nachdem in einem ersten Schritt nach gemeinsamem Betrachten des Videos die im Mittelpunkt stehende Fachkraft die Gelegenheit bekam, sich über aufkommende Gefühle, Fragen, Gedanken zu äußern. Die Videoreflexionen fanden auf Grundlage eines stärken- und ressourcenorientierten Blickes statt; so lautete eine Reflexionsfrage beispielsweise: „Welche Bedürfnisse zeigt das Kind?“, „Welche Stärken zeigt das Kind?“, „Wie fördere ich in der Situation die Resilienz(faktoren)?“. Für die Eltern fanden – nach einem allgemeinen Informationselternabend für alle Eltern der Einrichtung – über die Dauer der Laufzeit des Projektes vier weitere Elternabende bzw. -nachmittage statt, auf denen sowohl über den aktuellen Stand des Projektes informiert als auch eini-

Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt in kondensierter Form; sie sind in der Dissertation (Auswertung) von S. Kaiser ausgeführt (Kaiser, 2017)

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S. Kaiser und K. Fröhlich-Gildhoff, Alltagsintegrierte Resilienzförderung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren

Tabelle 3. Vergleich zwischen den Gruppen (Fachkräfte), gerechnet mit dem Mann-Whitney-U-Test (Bortz & Lienert, 2008) Variable

N

M

SD

3

2,42

0,14

Erwartungen an das Projekt t0

DG KG

6

2,46

0,91

Erwartungen an bzw. Erfahrungen mit dem Projekt t1

DG

5

2,05

0,65

KG

5

1,75

0,56

Erfahrungen mit dem Projekt t2

DG

6

2,20

0,70

KG

4

3,90

1,00

Z

p1

0,00

0,583

–0,74

0,270

–1,94

0,033*

Anmerkungen: Es gilt „1“ trifft voll zu, „6“ trifft überhaupt nicht zu, bei „Erwartungen an das Projekt“; p < 0,05, **p < 0,01, ***p < 0,001; 1 Exakte einseitige ­Signifikanz.

ge Impulse zum Thema Resilienz besprochen und den Eltern Gelegenheit gegeben wurde, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Bei diesen Elternabenden fanden sich jeweils zwischen vier und zehn Familien ein.

Erste Ergebnisse der quantitativen Analyse der Fragebögen Der Fragebogen zur Erfassung von Strukturdaten der Einrichtungen sowie der Erwartungen und Ziele der Fachkräfte aus dem Projekt „Innovative Pädagogik im U3-Bereich“ (Hoffer & Fröhlich-Gildhoff, 2015) wurde den Fachkräften zu den drei Erhebungszeitpunkten in DG und KG vorgelegt. An inferenzstatistischen Berechnungen wurde aufgrund der kleinen Stichprobe gemäß Bortz & Lienert (2008) mit verteilungsfreien bzw. nonparametrischen Verfahren gerechnet (Wilcoxon-Vorzeichen-Rangtest (Bortz & Lienert, 2008, S. 140) und Mann-Whitney-U-Test (Bortz & Lienert, 2008, S. 191).

a. Einschätzungen der Fachkräfte hinsichtlich Erwartungen an die bzw. Erfahrungen mit der Weiterbildung. Zu Beginn des Projektes haben die Fachkräfte der DG und der KG ähnliche Erwartungen an das Projekt (Beispielfrage: „Ich erwarte, dass sich die Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern bis drei Jahren verbessert“), am Ende der Erhebung zeigen sich bedeutsame Differenzen hinsichtlich der Erfahrungen mit dem Projekt: Die DG gibt bessere Erfahrungen an als die KG (Tab. 3). b. Einschätzung der Arbeitszufriedenheit und der Zufriedenheit mit der Einrichtung. Um mögliche intervenierende Faktoren zu erfassen, die sich in anderen Studien als relevant für Implementationsprozesse und -ergebnisse herausgestellt haben, wurde die Zufriedenheit mit der Arbeit und die Bewertung der eigenen Einrichtung abgefragt. Die Ergebnisse beim Vergleich über die Zeit zeigen, dass die Arbeitszufriedenheit zunächst in beiden Gruppen ansteigt, zum dritten Erhebungszeitpunkt in der DG weiter steigt, in der KG wieder absinkt. Bei der Analyse der Einzelitems wurde in der DG

Tabelle 4. Vergleich zwischen den Gruppen (Fachkräfte), gerechnet mit dem Mann-Whitney-U-Test (Bortz & Lienert, 2008) Variable Zufriedenheit mit Arbeit insgesamt t0 Bewertung der Einrichtung insgesamt t0 Zufriedenheit mit Arbeit insgesamt t1 Bewertung der Einrichtung insgesamt t1 Zufriedenheit mit Arbeit insgesamt t2 Bewertung der Einrichtung insgesamt t2

N

M

SD

DG

6

5,09

1,99

KG

6

5,00

1,74

DG

6

1,64

0,46

KG

6

1,67

0,44

DG

6

5,44

0,75

KG

5

6,04

0,53

DG

6

1,54

0,46

KG

5

1,70

0,45

DG

7

6,14

0,52

KG

6

5,55

0,57

DG

7

1,54

0,29

KG

6

1,70

0,27

Z

p2

–0,24

0,421

–0,80

0,487

–1,65

0,058

–1,01

0,180

–1,79

0,039*

–0,93

0,195

Anmerkungen: Auch hier gilt „1“ trifft voll zu, „6“ trifft überhaupt nicht zu bei „Bewertung der Einrichtung“; bei „Zufriedenheit mit der Arbeit“ gilt „1“ sehr unzufrieden, „6“ sehr zufrieden, *p < 0,05, **p < 0,01, ***p < 0,001; 2 Exakte einseitige Signifikanz.

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auf der Ebene der Selbsteinschätzung eine signifikante verbesserte Einschätzung der Interaktion zwischen Fachkraft und Kind besonders deutlich. Beim Vergleich zwischen den Gruppen (Tab. 4) zeigen sich zum Ende der Erhebung signifikante Unterschiede hinsichtlich der Arbeitszufriedenheit. So sind die Fachkräfte der DG sehr zufrieden mit ihrer Arbeit, die Fachkräfte der KG zeigen Werte zwischen zufrieden und sehr zufrieden.

Erwartungen und Erfahrungen der Eltern Auch die Eltern aus DG und KG bearbeiteten den entsprechenden Fragebogen aus dem „Innopäd U3-Projekt“ (Hoffer & Fröhlich-Gildhoff, 2015) zu den drei Erhebungszeitpunkten. Vergleicht man die Einschätzung zwischen den Gruppen, lässt sich erkennen, dass die Eltern der DG ihre Einrichtung über den gesamten Erhebungszeitraum besser einschätzen als die KG; zur Mitte der Erhebung ist dieser Unterschied bedeutsam (Tab. 5). Ebenso zeigt sich ein signifikanter Unterschied in den Erfahrungen mit dem Projekt zum Ende der Erhebung, hier sind analog zu den Einschätzungen der Fachkräfte die Erfahrungen der Eltern der DG besser.

Diskussion In dem Projekt wurden erstmals Fachkräfte im Bereich „Kinder in den ersten drei Lebensjahren“ im Rahmen

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von Team-Fortbildungen systematisch zur Förderung der Resilienz der Kleinstkinder anhand eines manualisierten Curriculums (weiter) qualifiziert. Die Umsetzung wurde im Kontrollgruppendesign mit quantitativen und qualitativen Methoden evaluiert – aufgrund des Innovationscharakters des Curriculums und einer aus forschungsökonomischen Gründen nur kleinen Stichprobe hat die Studie explorativen Charakter. Neben der Untersuchung der Praktikabilität des Weiterbildungsansatzes sollten die Erfahrungen der Fachkräfte mit dem Projekt und ein mög­ licher Kompetenzzuwachs auf der Ebene der Disposition – auf der Ebene der Haltungen und Einstellungen – sowie der Performanz – Interaktionsqualität – erfasst werden. Bezugnehmend auf die erste Forschungsfrage zeigte sich, dass der Grundansatz des Curriculums – die Reflexion der handlungsleitenden Orientierungen, die Orientierung resilienzförderlichen Handelns an den Schlüsselsituationen im pädagogischen Alltag und die intensive Arbeit bzw. Reflexion mit den eigenen Video-Sequenzen – gut umzusetzen war. Wünschenswert wäre gewesen, mehr Zeit für die Fortbildungseinheiten zu haben, um die Inhalte noch intensiver zu erarbeiten. Die Weiterbildung an sich wurde von den Fachkräften positiv bewertet (zweite Forschungsfrage). Es wurde allerdings auch deutlich, dass die Fachkräfte der Einrichtungen unterschiedliche Erwartungen hatten und auch über unterschiedliche Ausgangskompetenzen verfügten. Dies führte dazu, dass das Curriculum auf den jeweiligen Stand und die jeweiligen Interessen der Fortbildungsteilnehmer_innen adaptiert werden musste. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Ergebnissen anderer Studien: Die Passgenauigkeit erwies sich gegenüber der „Treatment Fidelity“ als bedeutsameres Umsetzungskriterium (Pe-

Tabelle 5. Vergleich zwischen den Gruppen (Eltern), gerechnet mit dem Mann-Whitney-U-Test (Bortz & Lienert, 2008) Variable Bewertung der Einrichtung insgesamt t0 Erwartungen an bzw. Erfahrungen mit dem Projekt t0 Bewertung der Einrichtung insgesamt t1 Erwartungen an bzw. Erfahrungen mit dem Projekt t1 Bewertung der Einrichtung insgesamt t2 Erwartungen an bzw. Erfahrungen mit dem Projekt t2

N

M

SD

Z

p3

DG

17

1,74

0,48

–0,45

0,332

KG

27

1,83

0,44

DG

17

2,40

0,97

–0,64

0,264

KG

27

2,69

1,14

DG

12

1,61

0,34

–2,67

0,003**

KG

15

2,09

0,46

DG

12

2,81

1,17

–0,78

0,223

KG

15

2,54

0,95

DG

16

1,76

0,28

–1,03

0,156

KG

13

1,96

0,61

DG

15

2,82

1,05

–1,55

0,063

KG

12

3,31

1,15

Anmerkungen: *p < 0,05, **p < 0,01, ***p < 0,001; 3 Exakte einseitige Signifikanz.

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termann, 2014; Beelmann & Karing, 2014; Mittag, 2014; Durlak & DuPre, 2008). Die Befragung der Eltern (dritte Forschungsfrage) ergab eine deutlich bessere Bewertung der DG zur Mitte der Erhebung. Somit scheint direkt nach der ResilienzWeiterbildung der Fachkräfte für die Eltern eine positive Veränderung wahrnehmbar zu sein. Zum Ende der Erhebung bewerten die Eltern der DG ihre Erfahrungen mit dem Projekt besser als die Eltern der KG, auch hier kann vermutet werden, dass die Eltern vermittelt über die teilnehmenden Fachkräfte eine positive Einschätzung über das Projekt entwickelten. Die vierte und fünfte Forschungsfrage kann noch nicht zufriedenstellend beantwortet werden, da die Auswertung der Gruppendiskussionen noch aussteht, ebenso die vollständige Auswertung der Videos mit dem Messinstrument von Weltzien, Fröhlich-Gildhoff, Strohmer et al. (2017). Hiervon werden noch weitere Anhaltspunkte im Hinblick auf Interaktionsgestaltung, Haltungsänderungen sowie Kompetenzentwicklung der Fachkräfte erwartet. Das Videofeedback mit ressourcenorientiertem Blickwinkel – verbunden mit der Reflexion der eigenen Haltung – erlebten die Fachkräfte schon in den Weiterbildungseinheiten als sehr positiv und weiterführend. Ebenso positiv hoben nur Fachkräfte der DG ein verbessertes, stärkenorientiertes Teamklima hervor – ein, wie es scheint, möglicher positiver Nebeneffekt der Weiterbildung (sechste Forschungsfrage). Diese Ergebnisse entsprechen den Erkenntnissen der breiten, europaweiten Übersichtsarbeit zu Wirkungen von Weiterbildungen im Feld der Frühpädagogik, bei der im Besonderen auf die positiven Effekte des Videofeedbacks und der längerfristigen Prozessbegleitung verwiesen wird (Eurofound, 2015). Die Studie und ihre Ergebnisse können aufgrund der Reichweite nur erste Hinweise geben bzw. Tendenzen aufzeigen. Die Stichprobe war äußerst klein und ist auf der Basis von „Selbstmeldung“ gewonnen worden, somit nicht repräsentativ. Um Wirkungen zu erfassen, wäre des Weiteren ein Wartegruppen-Kontrolldesign sinnvoller gewesen, um mögliche Entwicklungen in der KG nach einer entsprechenden Intervention zu erfassen und zu vergleichen. Ebenso bleibt offen, ob und wie sich die Qualifizierungsmaßnahmen der Fachkräfte auf den Resilienzstatus und das damit verbundene Verhalten der Kinder auswirken. Trotz dieser Einschränkungen lässt sich schlussfolgern, dass es mit dem Projekt gelungen ist, erstmalig das Thema „Resilienzförderung bei Kindern unter drei Jahren“ systematisch zu fokussieren. Liegen alle Auswertungen vor, könnten auf diesen ersten Erkenntnissen weitere Studien aufbauen, die größere Gruppen von Fachkräften einbeziehen und auch die Kinderebene berücksichtigen. Frühe Bildung (2018), 7 (1), 12–21

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Silke Kaiser Goethestr. 19 73235 Weilheim silke.kaiser1@web.de Klaus Fröhlich-Gildhoff Evangelische Hochschule Freiburg Bugginger Str. 38 79114 Freiburg froehlich-gildhoff@eh-freiburg.de

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Schwerpunktbeitrag

Soziale Disparitäten im Kontext von Mutter-Kind-Interaktionen und frühen Entwicklungsmaßen von Kindern Manja Attig und Sabine Weinert Zusammenfassung: Lange vor Schuleintritt sind bereits vielfältige bildungsrelevante Entwicklungsunterschiede im Zusammenhang mit dem jeweiligen familiären Hintergrund der Kinder (z. B. Bildung, Familienstatus, Einkommen) beobachtbar und dokumentiert. Anhand von Daten der Säuglingskohorte des Nationalen Bildungspanels (NEPS; LIfBi, 2016) wurde die Entstehung solcher Disparitäten bei 16 bis 17 Monate alten Kindern und ihren Familien untersucht. Im Fokus stand die Analyse von Unterschieden in frühen Lernressourcen der Kinder sowie im mütterlichen und kindlichen Interaktionsverhalten in Abhängigkeit von sozialen (Familienstatus, Einkommen) und bildungsbezogenen familiären Charakteristika. Die Befunde zeigten Effekte der mütterlichen Bildung auf ihr Interaktionsverhalten in Mutter-Kind-Interaktionen sowie Assoziationen zwischen dem mütterlichen und kindlichen Interaktionsverhalten. Bezogen auf die erfassten Kindmerkmale fanden sich keine herkunftsbedingten Unterschiede in den frühkindlichen Lernressourcen der Kinder. Die geringen mit der mütterlichen Bildung assoziierten Disparitäten in sozio-emotionalen Facetten des kindlichen Interaktionsverhaltens erwiesen sich als nicht mehr signifikant, wenn die Unterschiede im mütterlichen Interaktionsverhalten berücksichtigt wurden. Die Befunde werden mit Blick auf die Entstehung von Disparitäten in der Kindesentwicklung aufgrund sozialer und bildungsbezogener Ungleichheit diskutiert. Schlüsselwörter: soziale Disparitäten, Entwicklung in der Kindheit, Mutter-Kind-Interaktionen Social Disparities, Measures of Mother–Child Interaction and Early Learning Resources in the Second Year of Life – Evidence From the Newborn Cohort Study of the NEPS Abstract: Disparities related to family background emerge early in development. The present study analyzes data from the infant cohort study of the German National Educational Panel Study (NEPS; LIfBi, 2016) of children aged 16 – 17 months. The analyses focused on differences in the children's early learning resources as well as on the interaction behavior of mothers and children according to the mother’s education, family income, and family status. While the children's early learning resources did not show disparities related to social and educational background variables, the mothers' interaction behavior did. In addition, early differences associated with the education of the mother were observed in the children's interaction behavior in mother–child interactions, but disappeared when the mothers’ interaction behavior was taken into account. Findings are discussed with respect to the emergence of disparities in child development based on social and educational family characteristics. Keywords: social disparities, child development, mother-child interactions

Bildung und der Erwerb bildungsrelevanter Fähigkeiten und Fertigkeiten beginnen nicht erst mit Eintritt in die Schule, sondern von Geburt an (Weinert, Doil & Frevert, 2008). Der Grundstein für spätere Bildungsprozesse und -verläufe wird bereits während der frühen Kindheit gelegt (Belsky et al., 2007). Vor diesem Hintergrund ist es bedeutsam, dass sich Entwicklungsunterschiede im Zusammenhang mit familiären Hintergrundmerkmalen (Merkmale der sozialen Herkunft, z. B. Bildung, Einkommen) schon früh in der kognitiven, sprachlichen und sozio-emotionalen Entwicklung von Kindern zeigen (z. B. Hart & Risley, 1995; NICHD, 1998; Weinert & Ebert, 2013). Wie solche Disparitäten im frühen Kindesalter entstehen und Frühe Bildung (2018), 7 (1), 22–31 https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000356

welchen Entwicklungsveränderungen sie unterliegen, ist von grundlegender theoretischer, gesellschaftlicher und förderpraktischer Bedeutung. Aus Sicht bioökologischer Entwicklungsmodelle (Bronfenbrenner & Morris, 2006) wird die Entwicklung von Kindern sowohl durch ihre eigenen sich entwickelnden Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch von den verschiedenen Lernumwelten beeinflusst. Insbesondere im Säuglings­ alter und in der frühen Kindheit bilden dabei die Familie und ihre Struktur- und Prozessmerkmale die vorherrschende Lernumwelt (Bornstein, 2002; Walper, 2012). Vor diesem Hintergrund werden in der vorliegenden Studie frühe Wurzeln sozial-bedingter Disparitäten in der kindli© 2018 Hogrefe Verlag


M. Attig und S. Weinert, Soziale Disparitäten im Kontext von Mutter-Kind-Interaktionen und frühen Entwicklungsmaßen von Kindern 23

chen Entwicklung untersucht, indem die Unterschiede in frühen Lernressourcen von Kindern sowie die Qualität mütterlichen Interaktionsverhaltens einschließlich der Zusammenhänge mit kindlichen Interaktionsmerkmalen in ihrem Bezug zu familiären bildungs- und sozioökonomischen Indikatoren analysiert werden.

Forschungsstand Sowohl Strukturmerkmale (z. B. Bildung der Eltern und Einkommen) als auch Prozesscharakteristika der häuslichen Lernumwelt (z. B. Interaktionen zwischen Eltern und Kind) klären Variabilität in den kognitiven, sprachlichen und sozialen Fähigkeiten von Kindern auf (z. B. Blomeyer, Laucht, Pfeiffer & Reuß, 2010; Bradley & Corwyn, 2002; Cheng, Poehlmann-Tynan, Mullahy & Witt, 2014; Flöter, Egert, Lee & Tietze, 2013; NICHD, 1998). Beispielsweise zeigen Analysen der DFG-Forschergruppe „Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Formation von Selektionsentscheidungen im Vor- und Schulalter“ (BiKS3 – 10-Studie) bereits im Alter von 3 Jahren signifikante Disparitäten in der Entwicklung bildungsabhängiger kognitiver und mehrheitssprachlicher Fähigkeiten der Kinder im Zusammenhang mit familiären Hintergrundmerkmalen, wie Bildungs- und Migrationshintergrund (Dubowy, Ebert, von Maurice & Weinert, 2008; Weinert, Ebert & Dubowy, 2010), die sich als stabil über die Kindergartenzeit erwiesen (Weinert et al., 2010; Weinert & Ebert, 2013). Die Frage, wann und wie entsprechende sozial-bedingte Entwicklungsunterschiede in den ersten Lebensjahren entstehen, ist dagegen weit weniger untersucht. Halle et al. (2009) fanden in den USA bei 9 Monate alten Kindern unter Einbezug verschiedener soziodemographischer Charakteristika zunächst geringe Effekte sozialer Disparitäten auf kognitive, gesundheitliche und sozioemotionale Kindmerkmale, die bis zum Alter von 24 Monaten jedoch deutlich zunahmen (moderate Effektstärke). Analysen von Daten der Säuglingskohorte des Nationalen Bildungspanels (NEPS) zeigten auch in Deutschland im Alter von circa 7 Monaten geringe Assoziationen zwischen frühen Entwicklungsmaßen der Kinder und sozialen und bildungsbezogenen Strukturmerkmalen der Familien (1 – 2 % Varianzaufklärung in Regressionsmodellen durch Strukturmerkmale; Weinert, Attig & Roßbach, 2017). Die Daten belegen jedoch, dass sich bildungsbezogene Unterschiede zwischen den Müttern bereits in ihrem frühen Interaktionsverhalten niederschlagen. Dass die Qualität der Eltern-Kind-Interaktion eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Kindes spielt, ist oftmals betont und empirisch gestützt worden (z. B. Blomeyer et al., 2010; NICHD, 1998; Ruddy & Bornstein, 1982). Effekte von © 2018 Hogrefe Verlag

Qualitätsindikatoren der Interaktionen zwischen Eltern und Kind als einem Aspekt der häuslichen Lernumwelt sind für die sozio-emotionale, sprachliche und kognitive Entwicklung belegt (z. B. Blomeyer et al., 2010; NICHD, 1998; Nozadi et al., 2013). Befunde der National Institute of Child Health and Human Development Study of Early Child Care and Youth Development (NICHD-SECCYD-Studie) zeigen beispielsweise, dass die mütterliche Sensitivität mit Leistungen der Kinder in einem kognitiven Entwicklungstest im Alter von 3 Jahren zusammenhängt (NICHD, 1998). Positive Zusammenhänge wurden auch für verschiedene Sprachmaße, wie dem Wortschatz der Kinder, gefunden (z. B. Nozadi et al., 2013; Ruddy & Bornstein, 1982). Dabei hängt das mütterliche Interaktionsverhalten von verschiedenen Einflussgrößen und Merkmalen der Eltern ab, wie zum Beispiel ihrer Stressbewältigung oder ihrem Alter (Hänggi, Benz-Fragniére, Haberkorn, Furler & Perrez, 2013; Moore & Brooks-Gunn, 2002). Unter anderem wird die psychologische Belastung beziehungsweise das Wohlbefinden der Mutter als Einflussgröße diskutiert, die die Qualität des elterlichen Interaktionsverhaltens reduzieren kann (Azak & Reader, 2013; Lovejoy, Graczyk, O'Hare & Neuman, 2000). Hinsichtlich des Alters der Mutter legen Befunde nahe, dass junge Mütter zum Beispiel weniger Anregungsverhalten gegenüber ihren Kindern zeigen als etwas ältere Mütter (Moore & BrooksGunn, 2002). Zusätzlich gehen Modelle, wie das Family Stress Model of Economic Hardship (Conger, Conger & Martin, 2010), davon aus, dass die sozioökonomischen, aber auch die Bildungsressourcen der Eltern einen Einfluss auf Interaktionssituationen haben (sowohl auf Interaktionen zwischen den Eltern als auch auf die Interaktionen mit ihren Kindern). Ergebnisse der NICHD-SECCYD-Studie zeigen unter anderem, dass elterliche Sensitivität und ­elterliches Anregungsverhalten mit der Bildung, dem Einkommen der Familie und dem Familienstatus assoziiert sind (Gudmundson, 2012). Letzteres wird, wie bereits erwähnt, auch durch Daten der NEPS-Säuglingskohorte für Deutschland gestützt: So zeigten Analysen von Linberg, Freund und Mann (2016) sowie Weinert et al. (2017) einen Effekt der mütterlichen Bildung auf die Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens bei circa 7 Monate alten Säuglingen. Als stärkster Prädiktor für die Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens erwies sich in diesen Analysen mit 29 % aufgeklärter Varianz allerdings das kindliche Verhalten in der Interaktionssituation, wobei die Wirkrichtung jedoch offen bleibt. In der S­ tudie von Weinert et al. (2017) fanden sich zugleich, wenn auch in sehr geringem Maße, frühe Wurzeln sozial-bedingter Disparitäten im kindlichen Interaktionsverhalten, also Unterschiede im Verhalten, die mit dem sozialen und bildungsbezogenen familiären Hintergrund der Kinder assoziiert waren (Varianzaufklärung 1 – 2 % in Regressionsmodellen). Frühe Bildung (2018), 7 (1), 22–31


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M. Attig und S. Weinert, Soziale Disparitäten im Kontext von Mutter-Kind-Interaktionen und frühen Entwicklungsmaßen von Kindern

Neben Merkmalen des kindlichen Interaktionsverhaltens können auch noch weitere individuelle Merkmale des Kindes, die auch mit seinem Interaktionsverhalten assoziiert sein können, die Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens beeinflussen. Zum Beispiel wurde der Einfluss des kindlichen Temperaments auf Mutter-Kind-Interaktionen und die Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens diskutiert, wobei die Höhe des Zusammenhangs unter anderem vom sozioökonomischen Hintergrund moderiert wird (Paulussen-Hoogeboom, Stams, Hermanns & Peetsma, 2007).

Fragestellungen Vor diesem Hintergrund sollen im vorliegenden Beitrag frühe Wurzeln sozial-bedingter Disparitäten in der kindlichen Entwicklung untersucht werden. Analysiert werden anhand der Säuglingskohorte des NEPS (LIfBi, 2016) die Zusammenhänge zwischen sozialen und bildungsbezogenen Familiencharakteristika einerseits sowie dem Interaktionsverhalten der Mütter als eine Facette der häuslichen Lernumwelt, dem Interaktionsverhalten der Kinder sowie frühen Entwicklungsmaßen mit 16 bis 17 Monaten andererseits. Dabei werden aufgrund der Forschungsbefunde neben der mütterlichen Bildung, dem familiären Äquivalenzeinkommen und Familienstatus (z. B. Gudmundson, 2012) weitere Charakteristika der Mutter (Alter, psychologische Belastung; Azak & Reader, 2013; Moore & Brooks-Gunn, 2002) und des Kindes (Temperament; Paulussen-Hoogeboom et al., 2007; Alter, Geschlecht), die Einfluss auf die kindliche Entwicklung und das mütterliche Interaktionsverhalten nehmen können, systematisch einbezogen und kontrolliert. 1. Basierend auf der Annahme, dass sich sozial-bedingte Disparitäten auf Seiten der Kinder schrittweise und vor allem bezogen auf bildungsabhängige Merkmale entwickeln, werden für die grundlegenden Lernressourcen der Kinder – wie bereits im Alter von 7 Monaten (Weinert et al., 2017) – auch 9 Monate später nur geringe (oder keine) Assoziationen mit entsprechenden familiären Hintergrundmerkmalen erwartet. 2. Ausgehend von den Befunden, dass das mütterliche Interaktionsverhalten von verschiedenen Strukturmerkmalen beeinflusst wird und insbesondere in Abhängigkeit von der mütterlichen Bildung variiert (z. B. Gudmundson, 2012; Weinert et al., 2017), wird erwartet, dass sich auch im Alter von circa 16 Monaten Effekte der mütterlichen

Bildung auf die Qualität ihres Interaktionsverhaltens zeigen. Dabei werden zugleich mögliche weitere Einflussgrößen wie Haushaltseinkommen, Familienstatus, psychologische Belastung und Alter der Mutter, die sich in anderen Studien als bedeutsam erwiesen haben (z. B. Azak & Reader, 2013; Halle et al., 2009; NICHD, 1998) systematisch kontrolliert und in ihren Effekten auf das Interaktionsverhalten überprüft. 3. Zudem werden geringe bis mittlere Korrelationen zwischen dem kindlichen Interaktionsverhalten und der Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens erwartet, da sich das dyadische Interaktionsverhalten von Müttern und ihren Kindern in einer Interaktionssitua­ tion wechselseitig beeinflusst. 4. Aufgrund der erwarteten Beziehungen zwischen mütterlichem und kindlichem Interaktionsverhalten und früh beobachtbarer Zusammenhänge zwischen der kindlichen Entwicklung und dem kindlichen Verhalten einerseits und ihrem familiären Hintergrund andererseits (NICHD, 1998; Weinert et al., 2017) wird zudem geprüft, ob sich, ähnlich wie im Alter von circa 7 Monaten, Effekte der mütterlichen Bildung auf das kindliche Interaktionsverhalten zeigen.

Methode Stichprobe Grundlage der vorliegenden Analysen sind Daten der Säuglingskohorte des Nationalen Bildungspanels1 (NEPS; Blossfeld, Roßbach & von Maurice, 2011; LIfBi, 2016). Die Stichprobe umfasst circa 3500 Kinder und deren Familien, die längsschnittlich untersucht werden (Weinert, Linberg, Attig, Freund & Linberg, 2016). Für die vorliegende Studie werden Daten des zweiten Messzeitpunktes verwendet. Zum Zeitpunkt des Interviews mit den Eltern waren die Kinder 12 bis 15 Monate alt; zum Erhebungszeit der direkten (Beobachtungs-) Maße, welche zu diesem Messzeitpunkt per Design nur bei circa der Hälfte der Gesamtstichprobe erhoben wurden, waren die Kinder 16 bis 17 Monate alt. Im Folgenden wird auf diejenige Teilstichprobe zurückgegriffen, die in der zweiten Welle an der Erhebung der direkten Maße teilgenommen hat. Da für die Analysen Maße der Mutter-Kind-Interaktion verwendet wurden und davon auszugehen ist, dass kulturspezifische Unterschiede vorhanden sind (Keller, 2008), beziehen sich die Analysen auf

Diese Arbeit nutzt Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS): Startkohorte Neugeborene, https://doi.org/10.5157/NEPS:SC1:3.0.0. Die Daten des NEPS wurden von 2008 bis 2013 als Teil des Rahmenprogramms zur Förderung der empirischen Bildungsforschung erhoben, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wurde. Seit 2014 wird NEPS vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e. V. (LIfBi) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg in Kooperation mit einem deutschlandweiten Netzwerk weitergeführt.

1

Frühe Bildung (2018), 7 (1), 22–31

© 2018 Hogrefe Verlag


M. Attig und S. Weinert, Soziale Disparitäten im Kontext von Mutter-Kind-Interaktionen und frühen Entwicklungsmaßen von Kindern 25

Familien ohne Migrationshintergrund (siehe Weinert et al., 2017). Die vorliegende Studie konzentriert sich damit auf eine Stichprobe von 878 Kindern und deren Mütter.2

Erhebungsinstrumente Folgende Instrumente / Variablen wurden in die Studie einbezogen (für deskriptive Kennwerte der Variablen siehe Tabelle A sowie für Beispielitems zu einzelnen Instrumenten siehe Tabelle B und C im Elektronischen Supplement): a) Erfassung von Kindcharakteristika. Als Kontrollvariablen wurden in allen Modellen das Alter der Kinder ­(M = 518.99 Tage, SD = 17.49) und ihr Geschlecht (49 % Mädchen) einbezogen. Frühe Lernressourcen. Die frühe Informationsverarbeitung der Kinder als Maß für ihre Lernressourcen wurde mit Hilfe eines Habituations-Dishabituationsparadigmas erfasst, das sich in vielen Studien als hoch prädiktiv für die weitere kognitive Entwicklung von Kindern erwiesen hat. Den Kindern wird eine Reihe von kategorial-verwandten Stimuli (hier käferartige Fantasiewesen) präsentiert. Geprüft wird, wie schnell es den Kindern gelingt, eine kognitive Repräsentation der präsentierten Reize / Reizkate­gorie aufzubauen (Pahnke, 2007; Sokolov, 1990). Als Indikator hierfür dient die sogenannte Habituationsgeschwindigkeit, die sich in der Abnahme der visuellen Aufmerksamkeit über die Bilder hinweg widerspiegelt und ­signalisiert, dass die Kinder die jeweils neuen Bilder derselben Kategorie als zunehmend „bekannt“ wahrnehmen. Entsprechende Maße der Informationsverarbeitung und Lernressourcen gelten als wichtige Komponente der fluiden Intelligenz und des Lernens (Baltes, Lindenberger & Staudinger, 2006; Cattell, 1971) und haben sich empirisch als prädiktiv für interindividuelle Unterschiede in der späteren kognitiven Leistungsfähigkeit erwiesen (u. a. Bornstein & Sigman, 1986; Kavšek, 2004). Die Veränderung der bildbezogenen Aufmerksamkeit (das Blickverhalten) der Kinder wurde mit Hilfe der Software INTERACT codiert (siehe Weinert et al., 2016, 2017 für genauere Informationen zur Durchführung und Auswertung der Daten; Reliabilität der Codierungen: κ = 0.92). Ermittelt wurde die Habituationsstärke3, wobei Werte unter 250 ms nicht in die Berechnungen einbezogen wurden, um zufällige Blickbewegungen und Fixationen, die für eine Reizverarbeitung zu kurz sind, nicht in die Analysen einzubeziehen (vgl. Bornstein, Arterberry &

Mash, 2010; Mayes & Kessen, 1989). Für die Analysen wurde der Indikator aufgrund seiner Verteilungscharakteristika logtransformiert. Temperament. Um mögliche (beeinträchtigende) Effekte eines schwierigen Temperaments kontrollieren zu können, wurde das kindliche Temperament über die Skala „negative Affektivität“ (Items aus dem Infant Behavior Questionnaire; drei Items, 7-stufige Skala; revidierte Ver­sion von Gartstein & Rothbart, 2003) im Elterninterview erhoben (vgl. Bayer, Wohlkinger, Freund, Ditton & Weinert, 2015). b) Mutter-Kind-Interaktion. Die Interaktionssituation wurde als semi-standardisierte Spielsituation für 10 Minuten im Haushalt der Familien durchgeführt und auf Video aufgezeichnet (siehe Weinert et al., 2016). Durchführung und Codierung anhand von 5-stufigen Skalen mit qualitativ definierten Abstufungen (1 = gar nicht charakteristisch bis 5 = sehr charakteristisch) orientierten sich an der NICHD-SECCYD-Studie (NICHD, 1991). Anhand der 10-minütigen Interaktionssituation wurden acht mütterliche und fünf kindliche Verhaltensindikatoren eingestuft. In Anlehnung an Linberg et al. (2016) wurde in der vorliegenden Studie ein globaler Indikator der Qualität mütterlichen Interaktionsverhaltens verwendet, der sich aus den Items „Sensitivität bei emotionaler Entspanntheit“, „Anregung“, „positiver Umgang“ und „Emotionalität“ zusammensetzt4 (Cronbachs Alpha 0.79). Auf Seiten der Kinder wurden die Indikatoren „motorische Aktiviertheit“, „anhaltende Aufmerksamkeit auf Objekte“, „positive“ und „negative Stimmung“ sowie „soziales Interesse“ verwendet. Als abhängige Variable im Regressionsmodell wurde zudem ein Indikator für sozio-emotionale Interaktionscharakteristika berücksichtigt (siehe Weinert et al., 2017), welcher sich aus den Items „positive“ und „negative Stimmung“ sowie „soziales Interesse“ des Kindes zusammensetzt (Cronbachs Alpha 0.49). c) Weitere Charakteristika der Mutter. Die psychologische Belastung der Mutter wurde über vier Items gemessen, die z-standardisiert und gemittelt wurden. Das Alter der Mutter wurde vor dem Hintergrund vorliegender Befunde als dichotome Variable berücksichtigt (vergleichsweise junge Mütter versus etwas ältere Mütter). Aufgrund der geringen Anzahl sehr junger Mütter in Deutschland wurden für diese Studie alle Mütter unter 27 Jahren als „vergleichsweise jung“ eingestuft (0 = Mutter 27 und älter, 95 %; 1 = Mutter unter 27 Jahre, 5 %; siehe auch Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, 2017).

Die Prädikationen und Ergebnismuster veränderten sich nicht wesentlich, wenn in den Analysen auch Familien mit Migrationshintergrund berücksichtigt wurden. 3 Fixationszeit Bild 1 bis 3 minus Fixationszeit Bild 7 bis 9 durch Fixationszeit Bild 1 bis 3 plus Fixationszeit Bild 7 bis 9. Um in die Analysen einbezogen zu werden, musste das Kind mindestens zwei der drei ersten drei Bilder sowie mindestens zwei der drei letzten drei Bilder angeschaut haben. 4 Die Sensitivität bei emotionaler Belastung, welche ebenfalls codiert wurde, wurde nicht mit einbezogen, da dies selten in der Interaktionssituation auftrat. 2

© 2018 Hogrefe Verlag

Frühe Bildung (2018), 7 (1), 22–31


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M. Attig und S. Weinert, Soziale Disparitäten im Kontext von Mutter-Kind-Interaktionen und frühen Entwicklungsmaßen von Kindern

d) Sozioökonomische und bildungsbezogene familiäre Charakteristika. Es wurden folgende Indikatoren erfasst: (1) Das Äquivalenzeinkommen wurde berechnet, indem das Haushaltseinkommen nach der Anzahl und dem Alter der im Haushalt lebenden Personen gewichtet wurde (OECD, 2013; s. Linberg et al., 2016 für die konkrete Berechnung). (2) Der Bildungshintergrund der Mutter wurde als 4-stufige Skala gebildet (1 = kein bzw. Hauptschulabschluss; 2 = mittlere Reife; 3 = Hochschulreife; 4 = Fachhochschulabschluss bzw. Universitätsabschluss). (3) Der Status Alleinerziehend wurde als dichotome Variable (1 = Alleinerziehend, 6 %; 0 = mit Partner, 94 %) anhand des gemeinsamen Wohnens mit einem Partner definiert.

Statistische Analysen Die Daten wurden mittels schrittweiser multipler Regressionen analysiert. In allen Modellen wurden als Kontrollvariablen das Alter und das Geschlecht des Kindes einbezogen. Anschließend wurden in die Modelle die familiären Hintergrundvariablen aufgenommen, gefolgt von den weiteren Indikatoren der Mutter und des Kindes. Berichtet werTabelle 1. Regressionsmodelle für Habituationsstärke (logtransformiert) Habituationsstärke (log., β) (1)

(2)

(3)

den jeweils das Kontrollmodell, das Modell mit familiären Hintergrundvariablen, das Aufschluss über Effekte sozialer Disparitäten gibt, sowie das Modell mit allen verwendeten Variablen, das zusätzlich für potenzielle weitere Einflussgrößen kontrolliert. Da die Analysen bereinigte Habituationsdaten einbeziehen, erfolgte auch für die übrigen Variablen ein listenweiser Ausschluss von fehlenden Werten.

Ergebnisse Sozial-bedingte Disparitäten in frühen Lernressourcen der Kinder Hinsichtlich der Habituationsstärke – als Maß für frühe Lernressourcen – zeigten sich wie erwartet keine Disparitäten in Abhängigkeit von den sozioökonomischen und bildungsbezogenen familiären Hintergrundvariablen (siehe Tabelle 1). Des Weiteren erwiesen sich lediglich das Alter der Mutter und das Alter des Kindes als marginal signifikante Prädiktoren. Die Varianzaufklärung des Modells erwies sich als gering (insgesamt 2 %).

Sozial- und bildungsbezogene Disparitäten und Prädiktion der Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens sowie seine ­Assozia­ tion mit kindlichem Interaktions­verhalten

Familiärer Hintergrund Äquivalenzeinkommen

–.01

.00

Bildungshintergrund

.01

.04

Alleinerziehend

.05

.04

Mutter Psychologische Belastung

.05

Alter

.08+

Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens (MKI)

–.05

Kind Temperament (nA)

.04

Kontrollvariablen Alter des Kindes

.07+

.07+

.07+

Geschlecht des Kindes

.03

.03

.04

N

686

686

686

R

.01

.01

.02+

.00

.02*

Modellgüte

2

ΔR2

Anmerkungen: Eigene Analysen (Daten der NEPS-Säuglingskohorte [LIfBi, 2016]; Welle 2); MKI: Mutter-Kind-Interaktion; nA: negative Affektivität; log.: logtransformiert; ***p < .001, **p < .01, *p < .05, +p < .10.

Frühe Bildung (2018), 7 (1), 22–31

Hypothesenkonform erwies sich die mütterliche Bildung als prädiktiv für die Qualität ihres Interaktionsverhaltens (siehe Tabelle 2; zusätzliche Varianzaufklärung 3 %), der Effekt erwies sich als gering (standardisiertes β = .16). Der Effekt der mütterlichen Bildung blieb auch dann signifikant, allerdings in reduziertem Maße (standardisiertes β = .07), wenn weitere Prädiktoren in das Modell aufgenommen wurden. Erwartungsgemäß zeigten sich geringe bis mittlere Zusammenhänge zwischen dem mütterlichen Interaktionsverhalten und jenem ihrer Kinder insbesondere mit Blick auf das soziale Interesse des Kindes, das heißt, wie zugewandt das Kind zum Elternteil ist (siehe Tabelle 2 sowie Tabelle D im Elektronischen Supplement). Letzteres erwies sich auch unter Kontrolle anderer Variablen als stärkster Prädiktor für die Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens (standardisiertes β = .41). Neben der positiven Stimmung des Kindes (standardisiertes β = .07) zeigten auch die psychologische Belastung (standardisiertes β = –.06) und das Alter der Mutter (standardisiertes β = –.12) geringe Effekte auf die Qualität ihres Interaktionsverhaltens (zusätzliche Varianzaufklärung insgesamt 22 %). © 2018 Hogrefe Verlag


M. Attig und S. Weinert, Soziale Disparitäten im Kontext von Mutter-Kind-Interaktionen und frühen Entwicklungsmaßen von Kindern 27

–.03

sozio-emotionalen Charakteristika der Kinder (Gesamtvarianzaufklärung 16 %). Bezogen auf die motorische Aktiviertheit (keiner der Prädiktoren signifikant) und die anhaltende Aufmerksamkeit der Kinder auf Objekte zeigten sich keine Effekte der familiären Hintergrundvariablen. Die anhaltende Aufmerksamkeit der Kinder auf Objekte in der Interaktionssituation erwies sich als positiv mit der Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens assoziiert (standardisiertes β = .16; Gesamtvarianzaufklärung 3 %).

Psychologische Belastung

–.06*

Diskussion

Alter

–.12***

Tabelle 2. Regressionsmodelle für Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens Qualität mütterlichen Interaktionsverhaltens (β) (1)

(2)

(3)

Familiärer Hintergrund Äquivalenzeinkommen

.03

Bildungshintergrund

.16*** .07*

Alleinerziehend

–.05

.04

Mutter

Kind Positive Stimmung (Kind in MKI)

.07*

Negative Stimmung (Kind in MKI)

.04

Motorische Aktiviertheit (Kind in MKI)

.05

Anhaltende Aufmerksamkeit (Kind in MKI)

.04

Soziales Interesse (Kind in MKI)

.41***

Temperament (nA)

.01

Kontrollvariablen Alter des Kindes

.02

.01

–.01

Geschlecht des Kindes

.06+

.06

.02

Modellgüte N R

2

ΔR2

802 .01

802

802

.04*** .26*** .03*** .22***

Anmerkungen: Eigene Analysen (Daten der NEPS-Säuglingskohorte [LIfBi, 2016]; Welle 2); MKI: Mutter-Kind-Interaktion; nA: negative Affektivität; ***p < .001, **p < .01, *p < .05, +p < .10.

Sozial-bedingte Disparitäten und Prädiktion des frühkindlichen Interaktionsverhaltens Das kindliche Interaktionsverhalten in der Mutter-Kind-Interaktion wies im Alter von 16 bis 17 Monaten bezogen auf die sozio-emotionalen Charakteristika der Kinder geringe Disparitäten in Zusammenhang mit der mütterlichen Bildung auf (standardisiertes β = .08; Varianzauf­klärung 1 %, siehe Tabelle 3). Dieser Effekt familiärer Hintergrundvariablen war allerdings nicht mehr nachweisbar, sobald die Qualität mütterlichen Interaktionsverhaltens in das Modell aufgenommen wurde. Als stärkster Prädiktor erwies sich nun das mütterliche Interaktionsverhalten (standardisiertes ­β = .39). Zudem erwiesen sich die psychologische Belastung der Mutter (standardisiertes β = .09) sowie das Temperament des Kindes (standardisiertes β = –.07) als Prädiktoren, wenn auch gering, für die in der Interaktion beobachteten © 2018 Hogrefe Verlag

Zusammenfassend zeigten die berichteten Befunde der zweiten Erhebungswelle der NEPS-Säuglingskohorte (­LIfBi, 2016), in der die Kinder circa 16 bis 17 Monate alt waren, signifikante Unterschiede im mütterlichen Interaktionsverhalten in Zusammenhang mit der mütterlichen Bildung, jedoch keine entsprechenden Unterschiede in den grundlegenden Lernressourcen der Kinder. Mögliche Wurzeln sozial-bedingter Disparitäten waren jedoch im frühen Interaktionsverhalten der Kinder, vor allem den sozio-emotionalen Charakteristika des kindlichen Verhaltens, beobachtbar; diese sind in der vorliegenden Studie durch Unterschiede in der Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens erklärbar. Die Frage nach Effekten des sozialen und bildungsbezogenen familiären Hintergrunds und Unterschieden im elterlichen Interaktionsverhalten auf die frühe Entwicklung von Kindern ist essentiell, insbesondere da Befunde darauf hinweisen, dass sich soziale Unterschiede bereits früh auswirken können (Halle et al., 2009; Weinert et al., 2010). Die vorliegenden Analysen zeigten im Alter von 16 bis 17 Monaten, dass sich die mütterliche Interaktionsqualität in Zusammenhang mit ihrer Bildung unterscheidet, auch wenn der Effekt in diesem Alter noch gering ist. Dies repliziert Be­ funde, die ebenfalls auf einen Einfluss der Bildung auf Indi­ katoren des elterlichen Interaktionsverhalten hinweisen (Bernier, Jarry-Boileau, Tarabulsy & Milijkovitsch, 2010; Gudmundson, 2012). Während im Alter von 6 bis 8 Monaten der Bildungseffekt unverändert blieb (Weinert et al., 2017), wenn weitere Indikatoren im Modell berücksichtigt wurden, reduzierte sich der Effekt der mütterlichen Bildung im Alter von 16 bis 17 Monaten (blieb jedoch signifikant), sobald die psychologische Belastung und das Alter der Mutter sowie das kindliche Interaktionsverhalten berücksichtigt wurden. Sowohl die psychologische Belastung als auch das Alter der Mutter, die beide einen geringen Zusammenhang mit der Bildung der Mutter zeigen (vgl. Tabelle D im Elektronischen Supplement), erwiesen sich in diesem Alter als weitere Prädiktoren für die Qualität mütterlichen Interaktionsverhaltens (siehe auch Azak & Reader, 2013; Hänggi et al., 2013; Moore & Brooks-Gunn, 2002). Frühe Bildung (2018), 7 (1), 22–31


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M. Attig und S. Weinert, Soziale Disparitäten im Kontext von Mutter-Kind-Interaktionen und frühen Entwicklungsmaßen von Kindern

Tabelle 3. Regressionsmodelle für kindliches Interaktionsverhalten (sozio-emotionale Charakteristika, motorische Aktiviertheit, anhaltende Aufmerksamkeit auf Objekte) Sozio-emotionale Charakteristika (β) (1)

(2)

(3)

–.02

Motorische Aktiviertheit (β) (1)

(2)

(3)

–.03

–.03

.03 –.01

Anhaltende Aufmerksamkeit (β) (1)

(2)

(3)

–.03

–.01

–.02

–.04

–.05

.02

.00

.00

.00

.02

.03

Familiärer Hintergrund Äquivalenzeinkommen Bildungshintergrund

.08*

Alleinerziehend

–.03

Mutter Psychologische Belastung

.09**

–.04

.01

Alter

.04

–.02

–.01

Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens (MKI)

.39***

–.02

.16***

Kind Temperament (nA)

–.07*

.01

.04

Kontrollvariablen Alter des Kindes

.05

.04

.04

–.03

–.03

–.03

.03

.03

.03

Geschlecht des Kindes

.06

.05

.03

–.05

–.05

–.05

–.03

–.03

–.04

N

802

802

802

802

802

802

802

802

802

R

.01

.01

.16***

.00

.01

.01

.00

.00

.03**

.01

.15***

.00

.00

.00

.03***

Modellgüte

2

ΔR

2

+

Anmerkungen: Eigene Analysen (Daten der NEPS–Säuglingskohorte [LIfBi, 2016]; Welle 2); MKI: Mutter–Kind–Interaktion; nA: negative Affektivität; ***p < .001, **p < .01, *p < .05, +p < .10.

Wie bereits in Analysen zur Mutter-Kind-Interaktion im ersten Lebensjahr erwies sich erneut die Assoziation zwischen dem mütterlichen und kindlichen Interaktionsverhalten als substanziell. Vergleichbar den Befunden von Linberg et al. (2016) und Weinert et al. (2017) wird auch im Alter von 16 bis 17 Monaten deutlich mehr Varianz der Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens durch das kindliche Interaktionsverhalten aufgeklärt als durch sozioökonomische und bildungsbezogene familiäre Indikatoren. Dies steht in Einklang mit Annahmen zur aktiven Rolle des Kindes in Interaktionssituationen. Auf Basis der vorliegenden Analysen kann dabei nicht entschieden werden, inwieweit Verhaltensunterschiede zwischen den Kindern in Folge von Unterschieden im aktuellen oder früheren mütterlichen Interaktionsverhalten entstanden sind. Im Unterschied zu bildungsbezogenen Disparitäten im mütterlichen Interaktionsverhalten zeigten sich bezogen auf frühkindliche Lernressourcen der Kinder keine Disparitäten. Dies erweitert die Befunde von Weinert et al. (2017), die im Alter von 6 bis 8 Monaten ebenfalls keine mit dem familiären Hintergrund der Kinder assoziierten Differenzen in den frühen Lernressourcen der Kinder fanden. Inwieweit der verwendete Indikator prädiktiv für die Frühe Bildung (2018), 7 (1), 22–31

spätere Entwicklung der Kinder sein wird, werden zukünftige Studien zeigen. Da sich das Habituationsparadigma in zahlreichen Studien als starker Prädiktor für Unterschiede in der späteren kognitiven Leistungsfähigkeit erwiesen hat (u. a. Bornstein & Sigman, 1986; Kavšek, 2004), ist dies jedoch ein bedeutsamer Befund. Er legt nahe, dass spätere Disparitäten in Zusammenhang mit familiären Hintergrundvariablen auf Einflüsse der (familiären) Umwelt der Kinder und weniger auf Unterschiede in den grundlegenden Lernressourcen der Kinder zurückzuführen sind. Hierfür sprechen auch die berichteten Befunde, die auf frühe Disparitäten im kindlichen Interaktionsverhalten verweisen. Bezogen auf die sozio-emotionalen Charakteristika der Kinder zeigten die Analysen einen geringen Effekt der mütterlichen Bildung, der wiederum auf ­ ­Unterschiede im mütterlichen Interaktionsverhalten zurückgeführt werden kann. Wie bereits erwähnt, bleibt hierbei natürlich offen, ob die Unterschiede im kindlichen Interaktionsverhalten aktuelle Unterschiede im mütter­ lichen Verhalten widerspiegeln oder bereits in Folge entsprechender Unterschiede im ersten Lebensjahr entstanden sind. Festgehalten werden kann, dass sozial-bedingte Disparitäten bezogen auf die Kinder in beiden Wellen ge© 2018 Hogrefe Verlag


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ring und bezogen auf die jeweiligen Kindmerkmale unterschiedlich waren. Im Alter von 6 bis 8 Monaten fanden sich, wenngleich sehr geringe, Disparitäten in Zusammenhang mit familiären Hintergrundvariablen bei der motorischen Aktiviertheit in der Interaktionssituation und der anhaltenden Aufmerksamkeit der Kinder auf Objekte (Weinert et al., 2017). Im Alter von 16 bis 17 Monaten zeigten sich diese nicht, wohl aber, im Unterschied zum Alter von 6 bis 8 Monaten, bezogen auf sozio-emotionale Charakteristika. Dies könnte dafür sprechen, dass die Unterschiede im kindlichen Interaktionsverhalten eher auf aktuelle Unterschiede im mütterlichen Interaktionsverhalten zurückzuführen sind. Genauere Erkenntnisse hinsichtlich möglicher Wirkrichtungen werden zukünftige cross-lagged Analysen geben. Wie schon in Welle 1 zeigten sich Assoziationen zwischen der Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens und den sozio-emotionalen Charakteristika und der anhaltenden Aufmerksamkeit ihrer ­Kinder. Zudem waren die sozio-emotionalen Verhaltensmerkmale der Kinder mit der psychologischen Belastung der Mutter verbunden. Auch hier werden weitere Analysen Aufschluss über mögliche Wirkzusammenhänge geben. Dabei sollten auch weitere Faktoren der häuslichen Lernumwelt, zum Beispiel gemeinsame Aktivitäten wie etwa gemeinsames Bilderbuch ansehen oder das Vorlesen von Geschichten, berücksichtigt werden und geprüft werden, ob diese zusätzliche Varianz aufklären. In weiteren Analysen sollten zudem die Limitationen der vorliegenden Analysen beachtet werden. Zum einem wurden auf Seiten der Kinder insbesondere deren grundlegenden Lernressourcen berücksichtigt. Dies ist zwar ein wichtiger Prädiktor für spätere kognitive Leistungen (Kavšek, 2004), jedoch könnten andere, bildungsabhängigere Kindmaße zu anderen Ergebnissen führen. Zum anderen bietet auch das Habituationsparadigma vielfältiges (weiteres) Analysepotential, beispielsweise bezogen auf die Stärke der Dishabituation (und damit Präferenz für Neues) oder andere Interessens- und Aufmerksamkeitsindikatoren. Insbesondere sollte der gebildete Indikator sozio-emotionaler Charakteristika des Kindes mit Blick auf seine interne Konsistenz und Reliabilität kritisch betrachtet werden. Weitere Analysen werden zeigen müssen, wie aussagekräftig die innerhalb einer relativ kurzen Mutter-Kind-Interaktion gewonnenen Indikatoren über verschiedene Beobachtungssituationen und Messzeitpunkte sind (vgl. Weinert et al., 2016). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass in die Analysen nur ein Teil der repräsentativ gezogenen Stichprobe der Säuglingskohorte eingegangen ist und dass zudem selbst bei einer hohen Responserate (41 %) Selektivitäten in der Teilnahme und der einbezogenen Subgruppe möglich sind, die in weiteren Analysen gezielt analysiert und berücksichtigt werden sollten. Zusammengefasst fanden sich auch im Alter von 16 bis 17 Monaten keine sozial- oder bildungsabhängigen Disparitä© 2018 Hogrefe Verlag

ten bzw. Effekte des familiären Hintergrunds bezogen auf die erfassten frühkindlichen Lernressourcen, wohl aber geringfügige Unterschiede im sozio-emotionalen Verhalten in der Mutter-Kind-Interaktion, die auf Unterschiede in der Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens zurückgeführt werden können. Erneut erklärt die mütterliche Bildung einen Anteil der Varianz in der Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens. Zwei Punkte sollen abschließend angemerkt werden. Im Vergleich zu Weinert et al. (2017) basieren die Analysen der vorliegenden Studie auf einer kleineren Stichprobe, da in der zweiten Welle der NEPS-Säuglingsstudie die frühen Entwicklungsmaße und die Eltern-Kind-Interak­tionsmaße nur an einer Teilstichprobe erhoben wurden. Zum anderen lässt sich nicht beantworten, ob die Befunde aktuelles Interaktionsgeschehen widerspiegeln oder eine Folge vorausgegangener Interaktionserfahrungen sind oder ob beides zutrifft. Da die Säuglingskohorte des NEPS als Längsschnitt angelegt ist und in den ersten drei Wellen die Eltern-KindInteraktion durchgeführt wurde, sind solche Analysen demnächst über drei Messzeitpunkte möglich.

Elektronische Supplemente (ESM) Die elektronischen Supplemente sind mit der Online-Version dieses Artikels verfügbar unter https://doi.org/10. 1026/2191-9186/a000356 ESM 1. Tabellen A-D (ESM1.pdf) Die Tabellen geben zusätzlich die deskriptiven Werte der verwendeten Variablen sowie die Korrelationen zwischen den Prädiktoren und abhängigen Variablen an. Zudem sind in Tabelle B die Operationalisierung der Verhaltensindikatoren in der Mutter-Kind-Interaktion sowie in Tabelle C Beispielitems für die Erfassung von kindlichem Temperament und psychologischer Belastung der Mutter aufgeführt.

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Manja Attig Leibniz-Institut für Bildungsverläufe Wilhelmsplatz 3 96047 Bamberg manja.attig@lifbi.de

Sabine Weinert Otto-Friedrich-Universität Bamberg Lehrstuhl für Psychologie I – Entwicklungspsychologie Markusplatz 3 96047 Bamberg sabine.weinert@uni-bamberg.de

Gerd Mietzel

Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens

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Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens 9., aktualisierte und erweiterte Auflage

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Gerd Mietzel

hogrefe.de

9., aktualisierte und erweiterte Auflage 2017, XII/718 Seiten, € 49,95 / CHF 65.00 ISBN 978-3-8017-2457-3 Auch als eBook erhältlich

Das Lehrbuch zählt zu den Standardwerken in der Ausbildung von Studierenden der Pädagogischen Psychologie, der Pädagogik und des Lehramts. Der Leser erhält einen gut verständlichen und umfassenden Einblick in die Pädagogische Psychologie. Vor allem aus konstruktivistischer Sicht werden Themen wie (kooperatives)

Lernen, Gedächtnis, Denken, Motivation und pädagogische Diagnostik dargestellt. Dabei wird davon ausgegangen, dass Lernen nicht nur in Kindheit und Jugend, sondern ebenso im Erwachsenenalter stattfindet und entsprechend angeregt werden kann. In der 9., aktualisierten und erweiterten Auflage wurden aktuelle Studienergebnisse sowie neue Forschungsfelder und Fachbegriffe ergänzt. Wichtige Themen, wie etwa Klassenführung, werden ausführlicher dargestellt. Ein Schwerpunkt des Bandes liegt auf dem Bezug zur Praxis und der Anwendbarkeit der Konzepte im Unterricht. Zahlreiche Beispiele sowie Zusammenfassungen am Kapitelende sollen dem Leser zusätzlich helfen, sich den Inhalt dieses Buches zu erarbeiten.

www.hogrefe.com

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Frühe Bildung (2018), 7 (1), 22–31


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Woher wissen, wie es geht? Eine inhaltsanalytische Exploration zur Herkunft und Aneignung frühpädagogischen Wissens in Familien Stefanie Hartz und Ulf Sauerbrey Zusammenfassung: Die institutionalisierte und nach Professionalisierung strebende Frühpädagogik verfügt inzwischen über ein breites Wissen, das in entsprechenden Ausbildungen an zahlreiche Berufsgruppen vermittelt wird. Im Vergleich dazu ist über die Herkunft und Entstehung des Wissens über Kleinkindererziehung in Familien sowie über seine Aneignung durch Eltern bislang wenig bekannt. Woher stammt eigentlich frühpädagogisches Wissen von Eltern? Wie wird es im familialen Lebenskontext hervorgebracht? Wie eignen Eltern es sich an? Im Beitrag werden Ergebnisse aus einer explorativen Untersuchung, in deren Rahmen problemzentrierte Interviews mit Müttern geführt und anschließend inhaltsanalytisch ausgewertet wurden, vorgestellt. Es werden weiterführende Fragen zur qualitativen Rekonstruktion elterlichen Wissens über Kleinkindererziehung entwickelt. Schlüsselwörter: Frühpädagogisches Wissen, Mütter, problemzentriertes Interview, Inhaltsanalyse The Origins of Knowing How to Do It. A Content Analysis Study of the Acquisition of Knowledge About Early Education in Families Abstract: Early education and care, institutionalized and striving for professionalization, has an extensive knowledge base that is applied to childhood educational programs, study courses, and vocational trainings in numerous professions. By comparison, the origins and formation of knowledge about early childhood education in families as well as the acquisition of this knowledge by parents have hardly been explored. What are the origins of parental knowledge about early education? How is it produced in the context of family life and how do parents acquire it? In this article, the results of an exploratory study are presented based on interviews with mothers. The interviews were interpreted by content analysis. Questions for further research about knowledge of early childhood education in the family will be generated. Keywords: knowledge about early childhood education, parents, mothers, problem-focused interview, content analysis

Vor dem Hintergrund bisheriger Forschung ist anzunehmen, dass pädagogisches Wissen von Eltern durch zahlreiche Einflüsse hervorgebracht wird. Bislang hat sich jedoch keine Untersuchung mit frühpädagogischem Wissen in Familien beschäftigt. Im Fokus der vorliegenden Untersuchung steht die Rekonstruktion der Herkunft, Entstehung und Aneignung dieses Wissens in Familien.

(Früh-)Pädagogisches Wissen von Eltern – eine begriffliche Eingrenzung Die Formulierungen „Pädagogisches Wissen“ und „Erziehungswissen“ werden meist äquivalent verwendet. Genser versteht unter Erziehungswissen „alle alltäglichen Wissensbestände von Eltern und Erziehern, die in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen, Eltern und Erziehern und den Interaktionen zwischen ihnen stehen“ (Genser, 1978, S. 27). PädaFrühe Bildung (2018), 7 (1), 32–39 https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000357

gogisches Wissen von Eltern meint daher nicht zwingend erziehungswissenschaftliches Wissen, sondern bezeichnet einen dispositionellen Komplex aus Wissen, „mit dessen Hilfe die Eltern ihre alltäglichen Erziehungsprobleme zu lösen versuchen und das nicht an Kriterien der wissenschaftlichen Theoriebildung und methodisch reflektierten Forschung anknüpft“ (Keller, 2008, S. 15). Es „findet sich nicht nur exklusiv innerhalb des Wissenschaftsbetriebes, sondern an allen Orten, an denen ‚Erziehung‘ und ‚Pädagogik‘ sich ereignen“ (Oelkers & Tenorth, 1991, S. 22). Für den Begriff zentral erscheinen daher Kenntnisse über subjektiv als angemessen empfundenes Erziehungsverhalten im Umgang mit Kindern. Pädagogisches ist dabei unterscheidbar „von anderem Wissen“, denn es bezeichnet die „symbolisch repräsentierbaren Sinnstrukturen, die Erziehungs- und Bildungsverhältnisse jeder Art implizit oder explizit organisieren“ (Oelkers & Tenorth, 1991, S. 29). Entgegen früherer Annahmen lassen sich elterliche Erziehungsvorstellungen wie auch die professionellen durchaus als reflexiv kennzeichnen (Dietrich, 1985; Winkler, 2012). Pädagogisches Wissen von Eltern ist deren selbstbezogenen Kompetenzen zuzurechnen (vgl. Minsel, 2011), die © 2018 Hogrefe Verlag


S. Hartz und U. Sauerbrey, Woher wissen, wie es geht?

durch Aneignung in einem reflexiven Prozess der Auseinandersetzung mit Kultur entstehen und daher grundlegend „als individuelle Eigenleistung von Handlungs- und Erlebenssubjekten“ (Kade, 2010, S. 18) verstanden werden können. Wissensquellen werden schließlich unterschiedlich von Rezipient_innen in Anspruch genommen und verwendet. Die subjektive Hervorbringung und Entstehung von Wissen durch die Aneignungstätigkeit eines Subjekts, das sich mit Informationen auseinandersetzt, ist somit immer spezifisch. Diese Bestimmungsmerkmale wurden für unseren empirischen Zugang eingegrenzt und bzgl. der Frühpädagogik konkretisiert. Frühpädagogisches Wissen im Sinne der o. g. Merkmale wurde als das reflexive elterliche Wissen über Erziehung von Kindern bis zum Ende des Vorschulalters bestimmt. Es bildet keinen festen „Bestand“ bloßer Informationen, sondern ist variabel und eng verbunden mit Einstellungen, die wiederum an kulturellen Normen orientiert sind. Auf eine weitere Kategorisierung dieser Wissensform (z. B. in deklaratives, prozedurales oder konditionales Wissen) wurde bewusst verzichtet, um die im Interview geäußerten Sinnzuschreibungen nicht einzugrenzen.

Zur Herkunft, Entstehung und An­ eignung pädagogischen Wissens – eine Skizze des Forschungsstandes und Vorüberlegungen zum Forschungsgegenstand In einem auf der Verwendungsforschung basierenden Zugang systematisierte Lüders (1994) Vermittlungsformen pädagogischen Wissens (z. B. das Fernsehen, Elternratgeber, Elternkurse oder den Buchhandel). Zu Beginn unserer Erhebung zeigte sich jedoch, dass neben feststehenden Quellen, die als Basis dieser Vermittlungsformen dienen, auch von einem entstehenden Wissen auf Seiten der Eltern ausgegangen werden muss. Jahn (2012) zeigte, wie sich Eltern über Erziehung informieren und inwieweit sie Wissen und Rat aus populärpädagogischen Texten in ihr Erziehungshandeln übernehmen. Schmidt-Wenzel (2008) arbeitet heraus, dass elterliches Lernen in Bezug auf Erziehung bereits aus der Eigenschaft des Elternseins entsteht und sich besonders als informelles Lernen kennzeichnen lässt. Dieses Lernen erfahre in der Familie jedoch seine zentralen Impulse durch das Kind, das die Eltern zur hinterfragenden und deutenden Reaktion herausfordert. Die genannten Untersuchungen zeigen für unseren Zusammenhang, dass es sich bei der Entstehung und Aneignung © 2018 Hogrefe Verlag

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pädagogischen Wissens um ein bisubjektives Geschehen handelt, d. h., vermittelt wird nur das, was von einem anderen auch tatsächlich angeeignet wird. Diese Reziprozität ist komplex, denn Eltern eignen sich pädagogisches Wissen nicht nur aus einem in anthropogenen Artefakten repräsentierten kulturellen Erbe an, sondern sie entwickeln es auch selbst, indem sie wiederum reziprok biografische Erfahrungen und bereits erworbene Kenntnisse kombinieren, miteinander oder mit anderen diskutieren und somit auch neues Wissen über Kleinkindererziehung erzeugen (Gerris & Grundmann, 2002). Buchebner-Ferstl, Baierl, Kapella & Schipfer (2011) zeigen darüber hinaus, dass Erziehungseinstellungen von Eltern zwar von Wissen und Intuition beeinflusst werden, der Intuition jedoch im Urteil von Müttern und Vätern jeweils die größte Bedeutung zukommt (Buchebner-Ferstl et al. 2011, S. 76). Auf die hohe Relevanz von Intuition im Kontext von Elternschaft und Erziehung haben außerdem Papoušek und Papoušek (1995) hingewiesen. Quellen pädagogischen Wissens von Eltern wurden bisher vor allem in der psychologischen Forschung über Erziehungsverhalten und -stile systematisiert (Ecarius, 2007, S. 137 f.), doch auch erziehungswissenschaftliche Untersuchungen liegen vor: Keller (2008, S. 303 f.) zeigte, dass Erziehungsratgeber in Buchform zur Bewältigung konkreter Erziehungssituationen gekauft, aber auch zur allgemeinen Informationsbeschaffung genutzt werden. Eltern holen zudem Hilfestellungen bei Bekannten mit Kindern im gleichen Alter oder bei Kinderärzt_innen und aus Erziehungsberatungsstellen ein. Liebenwein (2008, S. 246) fand heraus, dass sich die von Müttern und Vätern berichteten gegenwärtigen Erziehungsstile von eigenen Kindheitserfahrungen erheblich unterscheiden bzw. je nach Milieu in unterschiedlichen Graden der Orientierung ausprägen. 2002 und 2006 erhob das Staatsinstitut für Familienforschung in Bayern (ifb) u. a. die Informationsstrategien von Eltern bzgl. Erziehung (Mühling & Smolka, 2007, S. 7 f.). Die Studie konnte sowohl den sozialen Nahbereich als auch Ratgeberliteratur und, mit steigender Tendenz zwischen den Erhebungszeiträumen, das Internet als Informationsquelle ausfindig machen (Mühling & Smolka, 2007, S. 32, 35 f.). Die Nachfrage nach Beratung durch Literatur und Internet (hier v. a. Elternforen, aber auch Apps) ist in den letzten 10 bis 15 Jahren gestiegen und wurde wiederholt auf eine zunehmende Erziehungsunsicherheit von Eltern zurückgeführt (Schmid, 2012; Rauschenbach, 2006). Die bloße Nachfrage muss jedoch nicht mit der tatsächlichen Aneignung von Wissen aus diesen Angeboten übereinstimmen. In den Bereich Rat gebender Printmedien fallen neben Ratgebern in Buchform auch Elternzeitschriften – auch die, die in kinderärztlichen Praxen und Apotheken ausliegen oder von kommunalen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Die ifb-Studie zeigte hinsichtlich dieser Frühe Bildung (2018), 7 (1), 32–39


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Medien eine zunehmende Bedeutung für das Erziehungsverhalten von Eltern (Mühling & Smolka, 2007, S. 38). Zudem kann Familienbildung auch durch das Fernsehen stattfinden. Privatsender und die Öffentlich-Rechtlichen haben Ratgebersendungen im Programm, die „[…] Informationen zu einer breiten Palette an Fragen aus dem Familienalltag […]“ vorstellen, die jedoch als Weg der Aneignung von Erziehungswissen eher wenig genutzt werden (Mühling & Smolka, 2007, S. 45). Dass einige Sendungen hohe Einschaltquoten aufweisen, könnte auf einer Art Voyeurismus fußen (Wahl, 2006). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass unterschiedliche Quellen nicht nur das Erziehungsverhalten von Eltern beeinflussen, sondern auch deren pädagogisches Wissen strukturieren, indem sie die Entstehung, Verarbeitung und Aneignung dieses Wissens bedingen. Die entsprechenden Vorüberlegungen ergaben im Laufe des Forschungsprozesses ein Interesse, das zunächst auf die Herkunft und Aneignung frühpädagogischen Wissens zielte. Die Leitfragen waren daher: Woher stammt frühpädagogisches Wissen von Eltern? Auf welche Weisen wird es angeeignet? Da es sich bei einer Wissensaneignung in diesem Kontext allerdings kaum um einen linearen Prozess der Verinnerlichung feststehender kultureller Artefakte handelt, zielten die gewählten Fragen nicht nur auf Wissensquellen, sondern auch auf Vermittlungsformen, über die die Quellen zugänglich werden, sowie auf die Aneignung auf Seiten der Eltern ab. Die Wissensaneignung wurde im Verlauf der Erhebung durch Nachfragen bei thematisch relevanten Anschlussmöglichkeiten angesprochen. Eingeschlossen ist bei der elterlichen Aneignung außerdem die mögliche Entstehung frühpädagogischen Wissens durch inner- und außerfamiliale Interaktion.

Methodologische Vorüberlegungen Durch spezifische Strategien der Informationsbeschaffung und -verarbeitung birgt die Frage nach Erziehungswissen eine hohe Komplexität. Hinzu kommt, dass Handlungen in der Erziehung nicht immer wissentlich oder willentlich geschehen. Vor der geplanten Erhebung stellte sich für uns auch die Herausforderung, Aspekte von Kleinkindererziehung in Gesprächen mit Eltern zu thematisieren, die den Befragten selbst nicht zwangsläufig immer und jederzeit vollständig bewusst sind. Um mehrere Thematisierungsmöglichkeiten in der Erhebung zu gewährleisten, wurde Belskys (1984) Prozessmodell zu Determinanten elterlichen Erziehungsverhaltens ausgewählt, das sich gliedert in: ein soziales Netzwerk der Eltern; die Partnerbeziehung und die arbeitsbezogenen Erfahrungen der Eltern; die Elternpersönlichkeit und das WohlbefinFrühe Bildung (2018), 7 (1), 32–39

S. Hartz und U. Sauerbrey, Woher wissen, wie es geht?

den der Eltern, die von ihrer jeweiligen Entwicklungsgeschichte, sozialen Kontakten, dem beruflichen Status und ihrer Paarbeziehung beeinflusst sind (Gerris, Dubas, Jannsens & Vermulst, 2000, S. 152). Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass auch die in der Kindheit selbst erfahrene Erziehungsgeschichte der Eltern und deren Persönlichkeiten Erziehung indirekt mitgestalten (Papoušek & Papoušek, 1995). Im Erziehungsgeschehen, das als Erfahrungsraum pädagogisches Wissen beeinflusst, ist außerdem das Kind selbst von hoher Bedeutung. Sein Verhalten trägt dazu bei, wie sich Eltern mit der Aneignung von Erziehungswissen auseinandersetzen (vgl. Schmidt-Wenzel, 2008). An dem um diese Erkenntnisse erweiterten Modell Belskys orientierte sich die Erstellung von Fragen für die Erhebung. Um die Unmittelbarkeit frühpädagogischen Wissens sicherzustellen, suchten wir nach Eltern mit Kindern im Alter von null bis sechs Jahren. Dabei wurden aber Familien präferiert, deren Nachwuchs das dritte Lebensjahr bereits erreicht hatte, um eine vorangegangene Erziehungserfahrung thematisieren zu können. Die Präferenz gründete in der Annahme, dass der informelle Gehalt der Gespräche mit Eltern, die ältere Kleinkinder haben, hoch einzuschätzen ist. Außerdem suchten wir nach Interviewpartner_innen, die keinen beruflichen pädagogischen Hintergrund hatten, um die Frage danach, woher und wie sie Erziehungswissen erlangten, möglichst nicht durch professionelles Wissen zu beeinflussen.

Sample und Erhebung In der ersten Phase der Kontaktaufnahme Mitte Januar 2016 wurden Kindertagesstätten in einer Großstadt in Bayern kontaktiert. In fünf Einrichtungen wurden der jeweiligen Leitung die Forschungsabsichten in der zweiten Phase vorgestellt und gleichlautende Aushänge über die geplante Untersuchung veröffentlicht. Innerhalb der dritten Phasen konnten während der Abholzeiten Kontakte zu fünf Müttern hergestellt werden, die unser Sample bildeten (M1 – M5). Die Idee, Mütter und Väter zu befragen, konnte aufgrund fehlender Rückmeldungen nicht umgesetzt werden. Ebenso gelang es nicht, Mütter aus verschiedenen kulturellen Kontexten zu gewinnen, so dass eine Kontrastierung der Stichprobe nicht möglich wurde. In Bezug auf die Erhebungsorte wurde der häusliche Bereich bevorzugt, eine Befragung fand an einem öffentlichen Ort statt. Die Wohnsituationen der Familien können als mittelständisch, die von M4 als wohlhabend gedeutet werden. Die Altersspanne der Mütter lag zum Erhebungszeitpunkt zwischen 30 und 40 Jahren. Eine Mutter hatte einen Hauptschulabschluss, zwei die Mittlere Reife, zwei Abitur. © 2018 Hogrefe Verlag


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Alle Elternteile gingen einer Berufstätigkeit nach, die Väter arbeiteten in Vollzeit.1 Die Gesprächsatmosphäre wurde in allen Fällen als herzlich und auskunftsfreudig empfunden. M5 hatte für das Gespräch einige Elternratgeber in Zeitschrift- und Buchform zurechtgelegt. Während der Erhebungen herrschte kein unmittelbarer Zeitdruck. Im Laufe der Interviews mit M1 und M3 wurden die jeweils anwesenden Söhne unruhig, so dass die Befragungen zwischenzeitlich unterbrochen, später jedoch fortgeführt wurden. M1, M4 und M5 zeigten durch Nachfragen nach Aufzeichnung der Gespräche jeweils ein reges Interesse am Forschungsvorhaben. Die durchschnittliche Dauer der Interviews betrug ca. 15 Minuten. Es wurde ein teilweise strukturiertes Interviewverfahren bevorzugt, das durch Rückfragen jedoch offener gestaltet wurde als bei anderen teilstandardisierten Interviews üblich, um für den weiteren Forschungsprozess relevante Einsichten zu ermöglichen. Die Interviewfragen sollten sich weiterentwickeln und am Erkenntnisgewinn bereits durchgeführter Interviews orientieren können. Um diesem Prozess und möglichen Nachjustierungen Raum zu geben, wurden zwischen den Interviews stets einige Tage Zeit gelassen, so dass unsere „qualitative Forschung für das Neue im Untersuchten, das Unbekannte im scheinbar Bekannten offen sein [konnte]“ (Flick, von Kardorff & Steinke, 2013, S. 17). Dabei erschien das problemzentrierte Interview geeignet (Flick, 2012, S. 210). Für den Interviewleitfaden wurden in Anlehnung an Belskys erweitertes Modell zunächst folgende Fragen entwickelt: 1. Wie viele Kinder haben Sie und wie alt sind sie bzw. ist es? 2. In der Untersuchung geht es darum, woher Eltern pädagogisches Wissen beziehen. Im Alltag mit Ihrem Sohn / Ihrer Tochter kommen viele Situationen oder Herausforderungen zusammen, in denen Sie als Mutter erzieherisch tätig werden müssen. Können Sie an dem konkreten Beispiel der Sauberkeitserziehung, etwa des Toilettentrainings, erzählen, woher Sie sich Erziehungswissen angeeignet hatten? 3. Gibt es noch weitere Beispiele, in denen Sie so verfahren sind? 4. Gibt es erzieherische Situationen oder Herausforderungen, in denen Sie ganz anders an Erziehungswissen gekommen sind? Wenn ja, wodurch? 5. Ich würde Ihnen gerne ein paar mögliche Quellen nennen, die wir bisher in diesem Gespräch noch nicht erwähnt haben und Sie sagen mir, ob diese Quellen für Sie relevant waren oder sind, in Ordnung? (a. die eigene Mutter, b. Kindheitserinnerungen an die eigene Erziehung, c. Intuition / Bauchgefühl, d. andere Mütter aus dem Freundeskreis, e. Rat­ geberliteratur / Zeitschriften, f. Internet, z. B. Elternforen)

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6. Gibt es für Sie persönlich anderweitige Quellen, durch die Sie an Erziehungswissen gelangen oder gelangt sind? Was wurde noch nicht genannt? 7. Unser Forschungsinteresse an der Erziehung in der Familie lautet grob: „Woher wissen, wie es geht?“ Können Sie mir abschließend eine spontane Antwort darauf geben, woher Sie denn nun wissen, wie es geht? Nach dem ersten Interviewtermin wurde der Gesprächsleitfaden weiterentwickelt, so dass bei der fünften Frage der Partner als weitere mögliche Quelle aufgenommen wurde. Für das vierte und fünfte Interview wurde in der zweiten und vierten Frage außerdem auf die Wortwahl „Herausforderung“ verzichtet, da mit diesem Begriff negativ konnotierte erzieherische Extremsituationen verbunden wurden, die kein Untersuchungsziel bildeten, es wurde nur noch von „Situationen“ gesprochen. Zudem wurden in der fünften Frage „TV-Serien“ ergänzt. Die Antworten der Mütter auf o. g. Fragen nach Wissensquellen wurden durchweg zum Anlass genommen, an geeigneten Stellen auch Fragen nach dem „Wie“ der Wissensentstehung und -aneignung zu stellen. Die Transkription der Audioaufnahmen erfolgte in Anlehnung an das gesprächsanalytische Transkriptionssystem (vgl. Dresing & Pehl 2013).

Auswertungsergebnisse Eine zusammenfassende Inhaltsanalyse in Anlehnung an Mayring und Schreier reduzierte für die Kategorienbildung das „Material so […], dass die wesentlichen Inhalte erhalten“ blieben und schuf „durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus […], der immer noch Abbild des Grundmaterials ist“ (Mayring, 2015, S. 67). Diese Verfahrensweise orientierte sich an den gesammelten Daten und dem Forschungsgegenstand (Mayring, 2015, S. 51). Das Vorgehen ließ daher zunächst „offen, in welchem Ausmaß Kategorien theoriegeleitet oder induktiv am Material entwickelt werden, solange zumindest ein Teil der Kategorien aus dem Material stammt und somit die Passung des Kategoriensystems an das Material sichergestellt ist“ (Schreier, 2014). Vor allem auf Basis des Ansatzes einer intuitiven Elternschaft, die mit Papoušek und Papoušek (1995) als Verhaltensmuster anzusehen ist, das durch persönliche Lebenserfahrungen seit der Kindheit geprägt wird, ergeben sich die ersten beiden, eng miteinander verbundenen Kategorien Intuition und persönliche Entwicklungsgeschichte der Eltern.

Zum Erhebungszeitpunkt bestand in den Familien aller befragten Mütter die Situation des Vaters als voll arbeitendem Familienmitglied bei gleichzeitiger Teilzeittätigkeit oder Elternzeit der Mutter. Alle befragten Mütter betonten jedoch die gemeinschaftlich gelebte Erziehungspraxis und -reflexion.

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Intuition. In unserer „weiten“ Frage nach der Herkunft elterlichen Erziehungswissens in spezifischen Situationen bestätigten alle Mütter, dass ihr pädagogisches Handeln intuitiv und damit zunächst ohne gesichertes Wissen erfolgt. Am Beispiel der Sauberkeitserziehung (M1, Z. 34) und weiterer Beispiele wie dem „Schlaftraining“ (M5, Z. 1157), wurde deutlich, dass in Erziehungskontexten meist auf ein Bauchgefühl vertraut wird. „Selber habe ich auch immer intuitiv ein paar Ideen, wie man das vielleicht angehen könnte“ (M3, Z. 508). Intuitives Handeln begründete sich dabei doppelt: Zum einen wurde wiederholt bekräftigt, dass auf das eigene Kind gehört werden müsse (M1, Z. 34; M4, Z. 834), dass jedes Kind anders sei (M4, Z. 824), dass der Wille des Kindes berücksichtigt werden solle (M1, Z. 46) und dass Kinder Signale geben, die wiederum bei erzieherischen Entscheidungen helfen können (M5, Z. 1092). Zum anderen wurde von der täglich wachsenden Erfahrung gesprochen, die die Erziehungsentscheidungen und somit das intuitive Verhalten im Alltag stetig erleichtere, „weil man sein Kind ja eigentlich kennt“ (M3, Z. 553, Z. 561): „Man verbringt ja jeden Tag mit seinem Kind […]“ (M3, Z. 553). Von grundlegender Bedeutung erscheint Intuition, da alle Mütter ihr Bauchgefühl in der abschließenden Frage noch einmal explizit anbrachten. M1 sagte, „dass man einfach ganz viel auf sich und sein Bauchgefühl hört“ (M1, Z. 224). Elterliche Intuition ist jedoch nicht als Quelle, sondern eher als spezifisches Element einer Wissensform, deren Quellen sich nicht genau identifizieren ließen, zu deuten. Dabei erscheint sie vorrangig implizit und ist bei den Müttern stark mit Gefühlen, die Sicherheit vermitteln, verbunden. Persönliche Entwicklungsgeschichte der Eltern. Ausgehend von der eigenen Entwicklungsgeschichte der Eltern als mögliche Bedingung frühpädagogischen Wissens wurde nach Kindheitserinnerungen und danach, wie sich diese auf Erziehungswissen und -verhalten auswirken, gefragt. Außer M2 beschrieben alle Mütter, wie positive Erfahrungen aus der eigenen Kindheit erinnert und in der Erziehung umgesetzt werden. M1 gestand diesen Erinnerungen „hohen Einfluss“ zu, „weil man ja so immer gelebt hat und man eigentlich zufrieden war und möchte, dass seine Kinder auch so leben und auch so aufgezogen werden“ (M1, Z. 140). Drei Mütter nannten diesbezüglich „ins-Bett-geh-Rituale“ wie die „Gute-Nacht-Geschichte“ (M1, Z. 154; M3, Z. 658; M4, Z. 1027). M5 mochte sogar die eigens erlebte Wertevermittlung an ihre Tochter weitergeben (M5, Z. 1250). Es bestanden aber auch Kindheitserfahrungen, die die eigenen Kinder nicht erleben sollten: „Natürlich gibt es auch Beispiele, wo ich sage, das ist jetzt mir negativ in Erinnerung, möchte ich auf keinen Fall so machen“ (M3, Z. 667). M3 nannte ein starkes hierarchisches Gefälle zwischen ihr und ihren Eltern, das sie ablehnte und das sie dazu führte, mit ihrem Sohn eine respektvolle Erziehung auf Augenhöhe anzustreben (M3, Z. 677). M4 und M5 bezogen sich auf in ihrer Frühe Bildung (2018), 7 (1), 32–39

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Kindheit erlebte Tischsitten, die sie so als Mütter bewusst nicht einfordern (M4, Z. 1032; M5, Z. 1238). Weitere Kategorien, durch die sich die Herkunft, Entstehung und Aneignung frühpädagogischen Wissens abbilden ließen, bilden im Folgenden das soziale Umfeld der Eltern, Fachkräfte, Printmedien, digitale Medien sowie Seminare und Kursangebote aus institutioneller Eltern- und Familienbildung. Soziales Umfeld der Eltern. Alle Mütter bestätigten die Annahme, dass frühpädagogisches Wissen durch den Austausch mit anderen Müttern angeeignet wird (M2, Z. 298, 312). Dieser Befund überraschte trotz unserer geringen Fallzahl vor dem Hintergrund, dass die großangelegte Befragung von Buchebner-Ferstl et al. (2011) bei 435 Müttern nur 42,3 Prozent Zustimmung zur Frage nach einer starken Bedeutung anderer Eltern für das eigene Erziehungswissen fand. Der Grund für diesen Unterschied liegt neben unserer soziodemografisch recht homogenen Stichprobe wohl darin, dass wir explizit frühpädagogisches Wissen thematisiert haben. Das Kleinstkindalter könnte ein häufigeres Thema in Gesprächen unter betroffenen Eltern sein als die Erziehung älterer Kinder, die bei Anwesenheit in entsprechenden Situationen bereits verstehen, dass über sie gesprochen wird. M4 gab an, dass sie sich hauptsächlich pädagogisches Wissen über den Freundeskreis aneignet (M4, Z. 1016). Außerdem wurde deutlich, dass die Mütter Ratschläge von anderen Müttern direkt erfragen. M4 äußerte, dass der dialogische Austausch Sicherheit im Umgang mit dem eigenen Kind gebe und das Gefühl vermittle, in Erziehungsfragen nicht allein gelassen zu sein (M4, Z. 889). Geschätzt wird diese Aneignungsweise auch von M3, da das Wissen aus tatsächlich erfahrener Handlungspraxis stamme (M3, Z. 719). Neben dem Dialog über Erziehungswissen nannten die Mütter auch Beobachtungen des sozialen Elternumfeldes: „[…] mit offenen Augen ja durch das Leben gehen und andere – auch wenn es nur in der Stadt ist – andere Kinder, andere Eltern sehen. Sehen, wie es laufen kann, wenn man es gut findet, sehen wie es läuft, wenn man es nicht gut findet“ (M3, Z. 781). M4 profitierte besonders von den Erfahrungen, die sie im Freundeskreis „viel live miterlebt“ (M4, Z. 817). In der fünften Frage, die nach dem ersten Interview um die Bedeutung des Partners erweitert wurde, zeigte sich, dass dessen Wissen nicht unmittelbar übernommen wird, sondern dass mit seiner Hilfe Wissen über Kleinkindererziehung vielmehr reflektiert und neu hervorgebracht wird: M2, M3 und M5 pflegen einen regelmäßigen täglichen Austausch mit ihrem Partner über Erziehungsvorhaben und -unsicherheiten. M2 sprach dabei von einer Ergänzung zwischen ihr und ihrem Ehemann (M2, Z. 398). M5 sagte: „Mein Mann liest Dinge und erzählt sie mir dann, oder ich lese Dinge, oder wenn ich was erfahre, und erzähle es ihm und wir tauschen uns dann aus, wie wir das finden, oder ob wir das umsetzen wollen“ (M5, Z. 1258). Elternschaft zeigt sich hier als intuitiv und reflexiv. M4 markierte den erziehe© 2018 Hogrefe Verlag


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rischen Austausch mit ihrem Ehemann allerdings als „Einbahnstraße“ (M4, Z. 931) und gab an, dass sie allein „die Weichen der Konsequenzen oder der Erziehung“ (M4, Z. 936) stelle. Einige der Interviewpartnerinnen äußerten, dass die eigene Mutter wenig Erziehungswissen weitergeben könne, da dieses inzwischen veraltet sei (M1, Z. 102, 125; M3, Z. 646). M3 betonte, dass sie „von vorneherein“ ihre „Erziehung so machen will, wie ich sie machen will“ (M3, Z. 647). M4 und M5 bezeichneten ihre Mütter aber als wichtige Ratgeber (M4, Z. 902), auch wenn sie nicht jeden Hinweis annehmen (M5, Z. 1217). Ratschläge von anderen Müttern mit Kindern im ähnlichen Alter wurden im Vergleich als hilfreicher eingeschätzt, da diese Mütter näher am Erziehungsalltag der Gegenwart leben. Fachkräfte. Alle Mütter gaben an, dass der Kontakt zu Fachpersonal (Hebammen, Tageseltern bzw. Erzieher_innen und Kinderärzt_innen) genutzt werde, um sich pädagogisches Wissen anzueignen (vgl. hierzu Keller, 2008, S. 303 f.). Kinderärzt_innen wurden etwa bzgl. des Umgangs mit kindlichem Trotz angesprochen (M1, Z. 67). Für die Zeit unmittelbar nach der Geburt wurde die Hebamme als Ratgeberin genannt (M4, Z. 1011). Erzieherinnen bzw. bei M4 eine Tagesmutter trugen ebenso zur Aneignung pädagogischen Wissens bei. Sie kommen dabei möglicherweise stärker von sich aus auf Mütter zu, um Ratschläge und Wissen explizit zu vermitteln (M2, Z. 450). M3 berichtete zudem, wie sie durch Gespräche in der Krippe an Informationen zur Sauberkeitserziehung gelangte (M3, Z. 516). Printmedien. Ratgeberliteratur wurde von allen Müttern in der Schwangerschaft und im Kleinstkindalter des Nachwuchses als Medium herangezogen. M5 gab an, Literaturangebote aufgrund fehlender Erfahrungswerte in den ersten Lebensjahren des Kindes intensiv genutzt zu haben (M5, Z. 1311). M4 hat solche Informationen eher zur Sensibilisierung verwendet (M4, Z. 958). M1 zweifelte den Nutzen der Ratgeber generell an, da jedes Kind individuell sei und Eltern eher durch Erfahrung mit dem eigenen Kind lernen würden (M1, Z. 87). Kellers (2008, S. 304) Einsicht, dass der pädagogische Ratgeber „emotional positive Auswirkungen mit sich bringt und so eine wohltuende Lektüre ist“, kann ggf. differenziert werden: Ratgeberliteratur diente bei den von uns befragten Müttern zwar in der Anfangszeit mit einem Kleinstkind als gern gesichtete Hintergrundlektüre, die bei der einen oder anderen Frage Sicherheit oder gar Wissen vermitteln konnte. Mit der wachsenden Erfahrung im Umgang mit einem Kind scheint aber der Kauf von entsprechenden Printmedien eher überflüssig zu werden. Darüber hinaus berichteten einige Mütter von kostenlosen Broschüren, die sie verwendet haben, etwa Material, das von den Frauenärzt_innen und nach der Geburt von

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den Kinderärzt_innen zur Verfügung gestellt wurde (M3, Z. 729; M4, Z. 954). M3 erzählte außerdem von einer großen Zahl an Broschüren über das erste Lebensjahr, die sie bei der Meldung ihres Kindes beim Einwohnermeldeamt erhalten und daraufhin durchgesehen hatte (M3, Z. 736). Digitale Medien. Das Internet wurde als Medium von den befragten Müttern eher ausgeschlossen – ein Ergebnis, dass möglicherweise im Bildungsstand der Mütter gründet. M1 berichtete, dass es gerade bei wichtigen Themen wie Gesundheit oder Erziehung für sie uninteressant wäre (M1, Z. 187), M3 und M4 erinnerten sich nicht, überhaupt jemals bei einer erzieherischen Frage das Internet genutzt zu haben (M3, Z. 701). Als Gründe dafür werden etwa die nicht ersichtlichen Familien- und Lebenssituationen der Autor_innen im Internet genannt (M4, Z. 966). Auch Elternforen werden kritisch gesehen (M5, Z. 1335). M2 bevorzugt demgegenüber den direkten Dialog mit anderen Müttern (M2, Z. 427). M3 und M4 erklärten ihre geringe Nutzung des Internets in frühpädagogischer Hinsicht damit, dass sie auf genügend lebensnahe Beispiele aus ihrem sozialen Umfeld zurückgreifen können, um sich zu bilden (M3, Z. 719; M4, Z. 968). Beobachtungen und der Austausch mit anderen Eltern werden insgesamt als zuverlässiger eingeschätzt als digitale Anonymität und die unklare Provenienz von Wissen. M3 stimmte grundsätzlich skeptisch, sich im Internet „eine Theorie durchzulesen, die ja vielleicht auch überhaupt nicht stimmt“ (M3, Z. 720). Das Internet werde lediglich für das Einholen von „Nebensächlichkeiten“ (M2, Z. 433) bzw. rein „interessehalber“ (M5, Z. 1330), genutzt, etwa um Ideen für den nächsten Kindergeburtstag zu sammeln (M1, Z. 183). Lediglich M5 setzte inzwischen mehr auf das digitale Medium, grenzte sich dabei aber dennoch von ihrem Ehemann ab, der sich pädagogisches Wissen ausschließlich über das Internet aneigne (M5, Z. 1283, Z. 1326). Sie selbst berufe sich „nur auf gesetzte oder fachliche Internetseiten“ (M5, Z. 1328). M2 berichtete zudem beiläufig von einer App, die bei ihr seit der Schwangerschaft Verwendung finde.2 Seminare und Kursangebote aus institutioneller Elternund Familienbildung. Seitens der Mütter kamen auch Veranstaltungen zur Sprache, die sie gezielt zur Aneignung pädagogischen Wissens in Anspruch nahmen. M1 berichtete von einem Breiseminar, das ihr nach der Geburt half, sich Wissen über kindliches Essverhaltens anzueignen (M1, Z. 196). M1 und M3 nahmen an einem PEKiP-Kurs teil. M3 betonte, die Erzählrunden und Sprechstunden im Kurs seien hilfreich gewesen, da hier ein Dialog mit anderen Eltern über das kindliche Ess- oder Schlafverhalten stattfand (M3, Z. 763).

Im Verlauf des Erhebungsprozesses wurde auch eine geringe Bedeutung von Film- und Fernsehangeboten deutlich.

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Diskussion und Ausblicke Ziel unserer explorativen Untersuchung war es, die Herkunft, Entstehung und Aneignung frühpädagogischen Wissens von Eltern zu untersuchen. Die inhaltsanalytische Rekonstruktion verdeutlichte trotz des kleinen Samples die komplexe Reziprozität möglicher Einflüsse auf elterliches Erziehungswissen (vgl. Gerris et al. 2000) und deutete dessen vielfältige Hervorbringungsweisen an. Im Kern zeigte sich, dass kaum von einer bloßen Übernahme pädagogischen Wissens aus feststehenden Quellen ausgegangen werden kann, so dass für künftige Untersuchungen besonders auf Lüders' Ansatz einer erziehungswissenschaftlichen Verwendungsforschung, die sich der Inanspruchnahme und den Verwendungsweisen von populären und anderen Ratgebermedien widmet, hingewiesen werden muss (Lüders, 1994; vgl. Keller, 2008). Methodenkritisch ist festzuhalten, dass die Wahl einer problemzentrierten Erhebung zwar den Vorteil eines ziel­ orientierten Fragens nach bereits bekannten Quellen sowie Vermittlungs- und Aneignungsweisen frühpädagogischen Wissens aufwies, jedoch zwangsläufig auch das Problem, dass durch die Beschränkung erzählgenerierender Elemente die komplexen Entstehungsweisen frühpädagogischen Wissens möglicherweise ausgeblendet wurden. Diesem Nachteil konnte aus unserer Sicht durch eine Prozessorientierung, die die Anpassung unserer (Nach-)Fragen an die ­interviewten Mütter bereits im Erhebungsverfahren ermöglichte, teilweise begegnet werden. Ergänzend sollten künftig jedoch narrative Zugänge und dabei besonders Gruppen­ diskussionen mit Eltern sowie ethnographische Zugänge als Erhebungsverfahren in Betracht gezogen werden. Anschließend an die herausgearbeiteten Erkenntnisse lassen sich erweiterte Aufgaben künftiger Forschung generieren: 1. Es zeigte sich, dass frühpädagogisches Wissen eng mit dem Verhaltensmuster elterlicher Intuition und dieses wiederum eng mit der Interaktion mit dem Kind verbunden zu sein scheint (vgl. Smolka, 2006; Papoušek & Papoušek, 1995). Künftige Untersuchungen sollten prüfen, in welcher Weise Intuition eine Voraussetzung bzw. ein Element dieser Wissensform ist. 2. Reflexive Dialoge über Kleinkindererziehung mit dem Partner bzw. der ­Partnerin und mit anderen Eltern bilden möglicherweise soziale Praktiken, die frühpädagogisches Wissen als Orientierung des Erziehungshandelns hervorzubringen ­ vermögen. Insbesondere in diesen Aushandlungsprozessen entsteht Wissen, das ganz anders beschaffen sein kann als das aus möglichen Quellen, die die Eltern zuvor in Anspruch genommen haben. 3. Auch Rückmeldungen des Kindes im familialen Interaktionsgeschehen spielen eine bislang zu wenig beachtete Rolle bei der Entstehung frühpädagogischen Wissens. Besonders Schmidt-Wenzel (2008) hat in ihrer Studie zur Lernkultur in Familien das Frühe Bildung (2018), 7 (1), 32–39

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interaktive Lernen, das durch Lernimpulse von Kindern initiiert wird, herausgearbeitet. In welchen Formen gerade Kleinkinder in der Familie zur Entstehung und Aneignung elterlichen Erziehungswissens beitragen, sollte künftig eine Kernfrage frühpädagogischer Familienforschung sein. 4. Print- und digitale Medien wiesen in den subjektiven Urteilen der interviewten Mütter zum Teil selektive und eher diffuse Bedeutungen auf. Hier könnte künftig eine eigenständige erziehungswissenschaftliche Ratgeberforschung, die diese Medien differenziert erfasst, zur Aufklärung beitragen.

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Stefanie Hartz Staatliche FOS / BOS Erding und München Damaschkestr. 125 91056 Erlangen stefaniehartz@gmx.de Ulf Sauerbrey Friedrich-Schiller-Universität Jena Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Theorie der Sozialpädagogik Am Planetarium 4 07743 Jena ulf.sauerbrey@uni-jena.de

Ulrich Trautwein / Marcus Hasselhorn (Hrsg.) Begabungen und Talente

Ulrich Trautwein Marcus Hasselhorn (Hrsg.)

Tests und Trends – Jahrbuch der pädagogischpsychologischen Diagnostik

Begabungen und Talente

(Reihe: „Jahrbuch der pädagogisch-psychologischen Diagnostik. Tests und Trends“, Band 15) 2017, XI/271 Seiten, € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-8017-2846-5 Auch als eBook erhältlich

Fragen um Begabungen und Talente bei Kindern und Jugendlichen haben derzeit große Bedeutung in Forschung und Praxis. Passend dazu wurden in jüngerer Zeit neue Testverfahren vorgelegt, mit denen intellektuelle Begabungen erfasst werden. Zunehmend rücken aber auch die Diagnose und Förderung von Begabten sowie Talenten in nicht-intellektuellen Bereichen wie der Musik und dem Sport in den Blickpunkt. Der vorliegende Band informiert über klassische Ansätze sowie aktuelle Trends im Bereich der Diagnose besonderer Begabungen und Talente und stellt Förderansätze für besonders begabte Kinder vor.

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Freier Beitrag

Aspekte der Nutzung digitaler Lesemedien im Vorschulalter Maximilian Pfost, Jana G. Freund und Sarah Becker Zusammenfassung: In Ergänzung zum klassischen Vorlesen von Kinderbüchern hat sich in den letzten Jahren ein wachsendes Angebot an digitalen Lesemedien für Kinder im Vorschulalter etabliert. Besonders prominente Vertreter sind dabei digitale Lese- und Lernstifte sowie elektronische Kinderbücher mit Vorlesefunktion. Im Rahmen unserer Studie wurden 102 Eltern aus der Region Oberfranken zur Verfügbarkeit, dem Nutzungsverhalten sowie der Bewertung des pädagogischen Nutzens digitaler Lesemedien befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass viele Vorschulkinder Zugang zu digitalen Lese- und Lernstiften haben und diese auch überwiegend selbstständig, d. h. ohne elterliche Hilfe nutzen. Elektronische Kinderbücher mit Vorlesefunktion werden dagegen deutlich seltener und auch weniger selbständig von Kindern genutzt. Die Befunde werden mit Ergebnissen zum klassischen Vorlesen von Kinderbüchern sowie dem Fernsehverhalten in Relation gesetzt. Schlüsselwörter: Digitale Lese- und Lernstifte, elektronische Kinderbücher, Vorlesen Electronic Storybooks and Interactive Audio Pens: Facets of Use Abstract: In addition to traditional children's books, parents face an increasing amount of electronic-book reading applications designed for preschool children like interactive audio pens or electronic multimedia storybooks. In order to obtain a better insight into children's electronicbook reading behavior and parents' attitudes toward such books, we interviewed a sample of 102 parents of preschool children attending kindergarten in the region of Upper Franconia, Germany. Results show that a majority of preschool children have access to interactive audio pens at home. Furthermore, children often use these pens autonomously or with minimal parental support. Electronic multimedia storybooks were less prevalent and children often do not use these electronic storybooks on their own. Finally, we relate these findings to children's television use and traditional joint book-reading activities. Keywords: interactive audio pens, multimedia storybooks, joint book reading

Vorlesen sowie das gemeinsame Lesen von Bilder- und Kinderbüchern gehören zu den traditionellen literarischen Aktivitäten, die sich bei Familien mit Kindern im Vorschulalter besonders häufig finden (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2015). Die empirisch-pädagogische Forschung hat sich dabei, neben der Beeinflussung der späteren Einstellungen zum Lesen und des individuellen Leseverhaltens der Kinder (Baker, Scher & Mackler, 1997; Neuman, 1986), auf Aspekte des Kompetenzerwerbs konzentriert. Hervorzuheben ist hierbei die meta-analytische Arbeit von Bus, van Ijzendoorn und Pellegrini (1995), welche gemittelt über 33 Studien eine mittlere Korrelation in Höhe von r = .28 zwischen dem gemeinsamen Lesen von Büchern und sprachlichen sowie schriftsprachlichen Leistungen berichtet. Der Befund eines soliden Zusammenhangs der Häufigkeit des Vorlesens und gemeinsamen Buchlesens mit den sprachlichen und schriftsprachlichen Leistungen wurde bis dato regelmäßig repliziert und erweitert, indem ergänzende Faktoren wie beispielsweise

das Alter des Kindes beim ersten Vorlesen berücksichtigt wurden (Niklas, Cohrssen, Tayler & Schneider, 2016). Ferner wird in zahlreichen Arbeiten neben der Facette der Quantität des Vorlesens und des gemeinsamen Buchlesens auch auf die Bedeutung der Interaktionsqualität im Sinne des dialogischen Lesens verwiesen. So erscheint das gemeinsame Lesen von Kinderbüchern dann besonders lernförderlich, wenn es durch Aspekte wie Fragen mit elaborierendem Charakter oder informativem Feedback ergänzt wird (Mol, Bus, de Jong & Smeets, 2008). Neben dem Angebot dieser klassischen Printmedien wurden im Laufe der letzten zwanzig Jahre zunehmend auch digitale Lesemedien, beispielsweise in Form von Hörbüchern in Kombination mit Bildseiten (CD-RomBuch), entwickelt. Ein weiterer Innovationsschub in diesem Bereich ist in den letzten Jahren einerseits aufgrund flächendeckender Verbreitung mobiler Endgeräte mit Touchscreen-Display und entsprechenden Anwendungen wie Bilder- und Kinderbuch-Apps sowie andererseits auf-

Die Autoren dieser Studie erhielten weder finanzielle noch materielle Unterstützung von irgendeinem der in diesem Beitrag genannten Produkten. Frühe Bildung (2018), 7 (1), 40–47 https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000358

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grund der zunehmenden Verbreitung digitaler Lese- und Lernstifte zu verzeichnen. Bilder- und Kinderbuch-Apps zeichnen sich dadurch aus, dass sie Inhalte klassischer Kinderbücher mit elektronischen Features (Sound-Animationen, integrierte Spiele) und einer automatischen Vorlesefunktion verbinden (vgl. Neumann & Neumann, 2014; Salmon, 2014). Digitale Lese- und Lernstifte bezeichnen elektronische Lesegeräte mit Lautsprecher in Form eines Stiftes, die gemeinsam mit zugehörigen Büchern, aber auch weiteren Materialien wie Puzzles oder Quizkarten, verwendet werden können. Durch Berührung des Buchtextes mit der Stiftspitze kann dabei die Vorlesefunktion aktiviert werden. Die Bücher enthalten, neben der Möglichkeit des Vorlesens, in der Regel auch eine Vielzahl von Toneffekten (z. B. zum abgebildeten Tier passende Tiergeräusche) sowie unterschiedliche, teilweise den Textinhalt elaborierende Spiele. Erste Daten zur Verbreitung dieser digitalen Lesemedien liefert eine repräsentative Umfrage an 250 Müttern und 250 Vätern zwei- bis achtjähriger Kinder der Stiftung Lesen aus dem Jahr 2012 (Ehmig & Seelmann, 2014). Zwar zeigen die Daten, dass im Jahr 2012 lediglich 8 % der Familien einen digitalen Lesestift besaßen, Smartphones und Tablet-PCs waren dagegen deutlicher häufiger in den befragten Familien vorhanden. Die Ergebnisse der Umfrage von Ehmig und Seelmann (2014) zeigen ferner, dass zwar etwas mehr als die Hälfte der Eltern bereits von Bilder- und Kinderbuch-Apps gehört haben, die tatsächliche Nutzung dieser mit 16 % der Familien allerdings, ebenso wie bei den digitalen Lesestiften (8 %), eher gering ausfiel. Gründe für die Nicht-Nutzung von Bilder- und Kinderbuch-Apps lagen vor allem in der Bindung an das gedruckte Buch sowie mangelnder Erfahrung mit den KinderbuchApps. Nutzer elektronischer Angebote sprachen diesen dagegen mehrheitlich ein sprach-, konzentrations- und fantasieförderliches Potential zu. Die Umfrage zeigte keine sozialen Unterschiede in der Geräteausstattung. Bildungsferne Eltern waren jedoch häufiger skeptisch gegenüber diesen Kinderbuch-Apps und hatten häufiger Angst vor Überforderung als bildungsnahe Eltern. Im Hinblick auf die Effekte der Nutzung digitaler Lesemedien für den Kompetenzerwerb sei an dieser Stelle auf die zahlreichen experimentellen Arbeiten verwiesen, deren Befunde, vergleichend mit den Effekten des klassischen Vorlesens von Kinderbüchern, von Takacs, Swart und Bus (2014) meta-analytisch zusammengefasst wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass sich, im Hinblick auf den Erwerb sprachlicher Kompetenzen, für multimediale elektronische Kinderbücher vergleichbare (positive) Effekte finden lassen wie für das gemeinsame Lesen von Kinderbüchern im Print-Format. Auch wenn einschränkend anzumerken ist, dass das Förderpotential elektronischer Kinderbücher wiederum stark von der Gestaltung des Buches © 2018 Hogrefe Verlag

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bzw. der Software abhängt (vgl. Bus, Takacs & Kegel, 2015), so kann doch weitestgehend ein lernförderliches Potential digitaler Lesemedien angenommen werden. Ein drittes, insbesondere im Hinblick auf die Nutzungsdauer nicht zu vernachlässigendes Medium ist der Fernsehkonsum. So zeigen unter anderem die Daten der Würzburger Längsschnittstudie (Ennemoser & Schneider, 2007), aber auch der überregionalen miniKIM-Studie (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2015), dass Vorschulkinder oftmals deutlich mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen, als dass ihnen vorgelesen wird. Vorzeichen und Ausmaß der Folgen des Fernsehkonsums für die schriftsprachlichen Leistungen hängen jedoch stark von moderierenden Faktoren wie dem Inhalt des Fernsehprogramms ab (Ennemoser & Schneider, 2007). Querschnittlich zeigt sich allerdings ein negativer Zusammenhang von Fernsehkonsum und elterlichem Vorlesen, das heißt, Kindern, die viel Zeit vor dem Fernseher verbringen, wird weniger vorgelesen.

Ziel der Untersuchung Die vorliegende explorative Arbeit verfolgt die Maxime, Nutzungsaspekte digitaler Lesemedien im Vorschulalter zu beschreiben und besser zu verstehen. Betrachtet werden sollen Aspekte der Häufigkeit der Nutzung, die Art der Nutzung (gemeinsam – alleine) sowie das Ausmaß elter­licher Unterstützung bei der Nutzung elektronischer Kinderbücher und digitaler Lese- und Lernstifte. Zusätzlich betrachtet wird die Einschätzung des pädagogischen Nutzens durch die Eltern. Ergänzend soll der elterliche Bildungsund Migrationshintergrund sowie das Alter der Kinder berücksichtigt werden. Die Ergebnisse werden mit Befunden zum klassischen Vorlesen von Kinderbüchern verglichen.

Methode Stichprobe Im Untersuchungszeitraum von Februar bis April 2016 wurden Eltern vier- bis sechsjähriger Kinder aus acht Kindergärten in der Region Oberfranken gebeten, einen Fragebogen zu Aspekten der Nutzung elektronischer Medien im Vorschulalter auszufüllen. Insgesamt wurden 311 Fragebögen zur Mitnahme ausgelegt, davon wurden 102 ausgefüllt wieder in den Kindergärten zurückgegeben. In einem Fall besuchten Zwillinge eine Kindertageseinrichtung, und die Eltern gaben im Fragebogen an, dass sich die Angaben auf beide Kinder beziehen. Da wir uns in den nachfolgenden Analysen auf die Angaben der Eltern zu ihren Kindern Frühe Bildung (2018), 7 (1), 40–47


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konzentrieren, haben wir uns dazu entschieden, diesen Fall nur einfach zu berücksichtigen. In unserer Stichprobe waren 37.3 % der Kinder weiblich, das mittlere Alter der Kinder lag bei 5;5 Jahren (SD = 8.8 Monate). Im Hinblick auf die Eltern dieser Kinder lag für 70.4 % der Mütter und 72.4 % der Väter eine Hochschulzugangsberechtigung / Abitur vor. Zum Vergleich: Das Statistische Bundesamt (2016) beziffert für die Altersgruppe der 20 bis 40-jährigen einen Anteil der Personen mit Hochschulzugangsberechtigung auf 41.9 % bis 49.7 %. In unserer Stichprobe hatten 13.0 % der Kinder ein im Ausland geborenes Elternteil, weitere 13.0 % der Kinder lebten in Familien mit zwei im Ausland geborenen Elternteilen. Bei den im Ausland geborenen Elternteilen stammte die größte Gruppe aus den osteuropäischen Ländern sowie den Ländern der ehemaligen Sowjetunion (38.5 %), gefolgt von Eltern aus westeuropäischen Ländern (20.5 %) und dem Nahen Osten (15.4 %).

Untersuchungsvariablen Nutzung digitaler Lesemedien Im Hinblick auf die Nutzung elektronischer Kinderbücher wurden die Eltern gefragt, ob sie mit ihrem Kind gemeinsam bzw. ihr Kind alleine schon mal ein elektronisches Bilder- oder Kinderbuch mit Vorlesefunktion genutzt haben bzw. hat (Antwortoption 0 = nein, 1 = ja). Bei positiver Antwort wurden die Eltern ferner gebeten anzugeben, wie häufig ihr Kind diese nutzt (Antwort von 5 = täglich bis 1 = seltener oder nie). Im Hinblick auf die Nutzung digitaler Lese- und Lernstifte wurden die Eltern gefragt, inwiefern sie einen oder mehrere digitale Lernstifte (z. B. der Marke TipToi® oder TING®) in ihrem Haushalt haben. Bei positiver Antwort wurden die Eltern ebenfalls gebeten anzugeben, wie häufig ihr Kind diesen nutzt. Bei beiden Medien wurden die Eltern schließlich in einem offenen Antwortformat ge­ beten anzugeben, welche Kinderbücher ihr Kind in den letzten drei Monaten gelesen hat. Basierend auf diesen offenen Angaben sei im Hinblick auf die Nutzung elektronischer Bilder- und Kinderbücher daher angemerkt, dass vier Eltern scheinbar die Kategorie elektronische Bilderoder Kinderbücher mit Vorlesefunktion gleich gesetzt haben mit der Kategorie digitale Lernstifte. Bei diesen vier Eltern wurden die Nutzungsangaben dahingehend manuell korrigiert, dass keine Nutzung elektronischer Bilder- und Kinderbücher mit Vorlesefunktion angenommen wurde. Art der Nutzung / Autonomie Im Hinblick auf die Art der Nutzung elektronischer Kinderbücher und digitaler Lese- und Lernstifte wurde gefragt, wie die Nutzung dieser in der Regel erfolgt. Die Antworten erfolgten auf einer Skala von 1 = nur gemeinsame Nutzung bis 5 = nur selbständige Nutzung durch Ihr Kind. Frühe Bildung (2018), 7 (1), 40–47

Elterliche Unterstützung Elterliches Förder- und Unterstützungsverhalten bei der gemeinsamen Nutzung elektronischer Kinderbücher und digitaler Lese- und Lernstifte wurde jeweils mittels dreier Items erhoben. Die Fragen zielen auf die Facetten Schriftbewusstheit (Wenn Sie elektronische Bilder- oder Kinderbücher mit Vorlesefunktion gemeinsam mit Ihrem Kind nutzen, dann … mache ich mein Kind auf Symbole oder Schriftzeichen aufmerksam), Inhaltsverständnis (… lasse ich mir manchmal von meinem Kind die Aufgabenstellung oder Geschichte erklären / erzählen) und Anregung der Sprachproduktion (… stelle ich Fragen, die eine Verbindung zwischen Inhalt und Alltag meines Kindes herstellen (z. B. vergangene Erlebnisse) ab (Freund, 2016). Die Antworten erfolgten auf einer 4-stufigen Skala von 1 = nie bis 4 = immer. Die interne Konsistenz lag bei α = .85 für die elektronischen Kinderbücher und α = .74 für die digitalen Lese- und Lernstifte. Bewertung des pädagogischen Nutzens Zur Analyse eines zugeschriebenen pädagogischen Nutzens im Sinne des kindlichen Kompetenzerwerbs kam eine vier Items umfassende Skala zum Einsatz (Die Nutzung von […] (1) … ist eine gute Vorbereitung für die Schule. (2) … fördert die Kompetenzentwicklung des Kindes. (3) … fördert die sprachliche Entwicklung des Kindes. (4) … hat keine lernförderlichen Effekte [negativ gepolt]). Die Aussagen wurden auf einer 5-stufigen Skala von 1 = trifft überhaupt nicht zu bis 5 = trifft voll und ganz zu bewertet. Eingeschätzt wurden digitale Lernstifte (Cronbachs Alpha .95), Tablet-PCs (Cronbachs Alpha .86) und Smartphones (Cronbachs Alpha .85).

Kontroll- und Vergleichsvariablen Auf einer mit der Nutzung digitaler Lesemedien vergleichbaren 5-stufigen Skala (5 = täglich bis 1 = seltener oder nie) wurden die Eltern gebeten, Angaben zur Häufigkeit des Vorlesens aus (Kinder-)Büchern und zum kindlichen Fernsehkonsum zu machen. Der Bildungshintergrund der Eltern wurde über den höchsten erreichten Schulabschluss operationalisiert (1 = kein Elternteil hat (Fach-)Hochschulreife / Abitur, 2 = eines der beiden Elternteile hat (Fach-)Hochschulreife / Abitur, 3 = beide Elternteile haben (Fach-)Hochschulreife / Abitur). Der elterliche Migrationshintergrund wurde über das Geburtsland operationalisiert (1 = kein Elternteil im Ausland geboren bzw. nicht im Ausland geborenes alleinerziehendes Elternteil, 2 = ein Elternteil im Ausland geboren, 3 = beide Eltern im Ausland geboren).

Auswertung Zur Auswertung der erhobenen Daten wurden zunächst Skalenmittelwerte berechnet und miteinander verglichen. Zur inferenzstatistischen Absicherung wurde ein 95 %-Kon© 2018 Hogrefe Verlag


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fidenzintervall für den Skalenmittelwert berechnet. Für die Berechnung der Grenzen des Konfidenzintervalls wurde ein Bootstrapping-Verfahren angewendet, das heißt, es wurden 2000 Bootstrap-Stichproben gezogen und unter Anwendung der Bias-corrected-and-accelerated-(BCa)-Methode die Intervallgrenzen geschätzt. War bei einem anschließenden Vergleich zweier Skalenmittelwerte eine Überschneidung der beiden 95 %-Konfidenzintervalle nicht feststellbar, so wurde der Unterschied in den Skalenmittelwerten als statistisch bedeutsam gewertet. Ergänzende Angaben einer standardisierten Mittelwertsdifferenz d beziehen sich auf die gepoolte Standardabweichung dieser Mittelwerte. Die inferenzanalytischen Befunde der Zusammenhangsanalysen der Nutzungsaspekte digitaler Lesemedien mit dem Alter der Kinder sowie dem elterlichen Bildungs- und Migrationshintergrund basieren ebenso auf der Nutzung von Bootstrapping-Verfahren.

Ergebnisse Nutzungshäufigkeiten Eine Zusammenfassung der elterlichen Angaben gibt Tabelle 1 wieder. Elektronische Bilder- und Kinderbücher

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mit Vorlesefunktion wurden von den Eltern bzw. Kindern in der vorliegenden Stichprobe vergleichsweise selten genutzt. Nur 21.6 % der Eltern gaben an, diese jemals benutzt zu haben. Darüber hinaus war innerhalb der Gruppe von Familien, die elektronische Kinderbücher nutzten, die Regelmäßigkeit der Nutzung gering (M = 1.14). Digitale Lese- und Lernstifte wurden dagegen deutlich häufiger genutzt. 65.7 % der Eltern gaben an, einen solchen Lesestift zu besitzen. Auch die Regelmäßigkeit der Nutzung innerhalb der Gruppe der Nutzer digitaler Lesestifte war höher (M = 1.82) als für die elektronischen Bilderund Kinderbücher (d = 0.79). Absolut betrachtet ist dennoch bei den meisten Kindern von einer im Umfang eher geringen Nutzung auszugehen. 84.6 % der Eltern gaben an, dass ihr Kind an ein bis zwei Tagen der Woche oder seltener digitale Lesestifte nutze. Aufgrund sich nicht überschneidender 95 %-Konfidenzintervalle sind oben genannte Unterschiede im Nutzungsverhalten von elektronischen Kinderbüchern und digitalen Lesestiften als statistisch bedeutsam zu betrachten. Zieht man schließlich zum Vergleich die Regelmäßigkeit des Vorlesens von (Kinder-) Büchern (M = 4.38) bzw. die Regelmäßigkeit des Fernsehkonsums (M = 3.53) heran, so zeigte sich, dass elektronische Kinderbücher ebenso wie digitale Leseund Lernstifte im Verhältnis zu diesen etablierten Medien noch immer sehr wenig genutzt wurden. Die Unter-

Tabelle 1. Nutzungshäufigkeit, Nutzungsmodus, elterliche Unterstützung und pädagogischer Nutzen verschiedener Medien im Vergleich n

Skalenbereich

M

SD

95% KI

Anteil Nutzung Elektronische Bücher

97

0 – 1

0.216

0.414

[0.144;0.289]

Digitale Lernstifte

99

0 – 1

0.657

0.477

[0.576;0.737]

Regelmäßigkeit Nutzung Elektronische Bücher

21a

1 – 5

1.14

0.36

[1.04;1.27]

Digitale Lernstifte

65

1 – 5

1.82

0.95

[1.63;2.02]

b

Vorlesen Bücher

99

1 – 5

4.38

1.02

[4.18;4.56]

Fernsehen

100

1 – 5

3.53

1.49

[3.26;3.78]

Nutzungsmodus / Autonomie Elektronische Bücher

21a

1 – 5

2.38

1.40

[1.80;3.00]

Digitale Lernstifte

64

b

1 – 5

3.56

1.08

[3.34;3.78]

Elektronische Bücher

18a

1 – 4

2.59

0.92

[2.14;3.07]

Digitale Lernstifte

55

1 – 4

2.68

0.69

[2.49;2.85]

1 – 5

3.15

1.05

[2.93;3.36]

Elterliche Unterstützung

b

Pädagogischer Nutzen Digitale Lernstifte

88

Smartphone

97

1 – 5

1.99

0.83

[1.83;2.15]

Tablet-PC

94

1 – 5

2.39

0.88

[2.21;2.56]

Anmerkungen: aAngaben basieren nur auf Eltern, deren Kinder elektronische Kinderbücher nutzten. Aufgrund sehr kleiner Stichprobengröße ist mit Verzerrungen in der Schätzung des Standardfehlers / Konfidenzintervalls zu rechnen; Bootstrap-Ergebnisse basieren teilweise auf weniger als 2000 BootstrapStichproben. bAngaben basieren nur auf Eltern, deren Kinder einen digitalen Lernstift besaßen.

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schiede sind als statistisch bedeutsam zu betrachten (d von 1.31 bis 3.45). Betrachtet man ferner die Interrelationen dieser Variablen, so zeigte sich, dass Kinder, die Zugang zu digitalen Lese- und Lernstiften hatten, auch häufiger Zugang zu elektronischen Kinderbüchern hatten (Phi = 0.29; p < .01). In der deskriptiven Tendenz hatten zudem Familien, die häufiger gemeinsam Kinderbücher lasen, auch schon elektronische Kinderbücher ausprobiert (r = .17; ns). Bezüglich Fernsehkonsum war kein statistisch bedeutsamer Zusammenhang mit dem Zugang zu elektronischen Kinderbüchern erkennbar (r = .05; ns). Ebenso war die Verfügbarkeit digitaler Lese- und Lernstifte nicht statistisch bedeutsam mit dem Vorlesen (r = .09; ns) bzw. dem Fernsehkonsum (r = .10; ns) assoziiert.

Nutzungsmodus und elterliche Unterstützung Für die Art der Nutzung elektronischer Lesemedien zeigten unsere Daten, dass in gut der Hälfte der Fälle (52.4 %) elektronische Kinderbücher vielfach nur bzw. überwiegend gemeinsam genutzt wurden, wohingegen eine selbstständige bzw. überwiegend selbstständige Nutzung durch die Kinder nur 28.6 % der Eltern berichteten. Ein umgekehrtes Bild ergab sich für die digitalen Lese- und Lernstifte. Hier berichteten fast zwei Drittel (60.9 %) der Eltern eine überwiegend oder vollkommen selbständige Nutzung. Nur bzw. überwiegend gemeinsam mit den Eltern wurde der digitale Lese- und Lernstift in 15.6 % der Fälle genutzt. Für die Skalenmittelwerte (elektronische Kinderbücher: M = 2.38; digitale Lernstifte: M = 3.56) ergab sich keine Überlappung der 95 %-Konfidenzintervalle. Der Unterschied ist als statistisch signifikant zu betrachten (d = 1.01). Die elterliche Unterstützung fiel für elektronische Kinderbücher (M = 2.59) vergleichbar mit der für die digitalen Lese- und Lernstifte (M = 2.68) aus. Die Skalenmittelwerte befanden sich etwa im theoretischen Mittel der Skala und unterschieden sich nicht statistisch bedeutsam voneinander (d = 0.11).

Bewertung des pädagogischen Nutzens Dem pädagogischen Nutzen digitaler Lese- und Lernstifte schrieben Eltern auf einer Skala von eins bis fünf einen Wert von im Mittel M = 3.15 zu. Die Bewertung des pädagogischen Nutzens lag somit im mittleren Bereich. Für die elektronischen Kinderbücher lagen in der vorliegenden Untersuchung leider keine Einschätzungen des pädagogischen Nutzens vor. Die Zuschreibung eines pädagogischen Nutzens für die Nutzung der Endgeräte Smartphone (M = Frühe Bildung (2018), 7 (1), 40–47

1.99) und Tablet-PC (M = 2.39) fiel im Vergleich zu den digitalen Lernstiften statistisch bedeutsam geringer aus. Vergleicht man schließlich die Angaben zum pädagogischen Nutzen digitaler Lese- und Lernstifte von Eltern, deren Kinder einen solchen Stift besaßen (M = 3.35), mit den Angaben von Eltern, deren Kinder keinen solchen Stift besaßen (M = 2.69), so fällt auf, dass Eltern, deren Kinder einen entsprechenden Lernstift nutzten, diesem auch einen höheren pädagogischen Nutzen zuschrieben (Diff = 0.67; SE = 0.26; p < .05; d = 0.67).

Zusammenhänge zum Alter des Kindes und dem elterlichen Bildungsund Migrationshintergrund Die Ergebnisse der Korrelationsanalysen sind in Tabelle 2 wiedergegeben. Für das Alter der Kinder sowie den elterlichen Bildungshintergrund zeigten sich keine statistisch bedeutsamen Zusammenhänge mit der Nutzung elektronischer Kinderbücher und der digitalen Lese- und Lernstifte. Für das klassische Vorlesen von Kinderbüchern zeigte sich dagegen ein deutlicher Zusammenhang mit dem Bildungshintergrund. In bildungsnäheren Elternhäusern wurde mehr vorgelesen (r = .39; p < .01). In bildungsferneren Elternhäusern schauten die Kinder dagegen häufiger Fernsehen (r = –.24; p < .05). Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund hatten in der deskriptiven Tendenz seltener Zugang zu digitalen Lese- und Lernstiften (r = –.19; ns). Eine ergänzende logistische Regression konnte darüber hinaus zeigen, dass dieser (tendenzielle) Unterschied vor allem auf Kinder aus Familien, in welchen beide Eltern im Ausland geboren wurden, zurückzuführen war (Exp(B) = 0.22, p < .05). Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, die Zugang zu einem solchen Stift hatten, nutzten diesen allerdings häufiger (r = .44, p < .01). Deskriptiv zeigte sich ein solch positiver Zusammenhang von Nutzungshäufigkeit und familiärem Migrationshintergrund auch für die Nutzerinnen und Nutzer elektronischer Kinderbücher (r = .47). Der Zusammenhang war jedoch aufgrund der besonders kleinen Substichprobe von Nutzerinnen und Nutzern elektronischer Kinderbücher (n = 21) statistisch nicht bedeutsam. Im Hinblick auf die Selbstständigkeit der Nutzung elektronischer Kinderbücher und digitaler Lese- und Lernstifte, die elterliche Unterstützung sowie die Einschätzung des pädagogischen Nutzens zeigten sich keine statistisch bedeutsamen Zusammenhänge in Bezug auf das Alter der Kinder bzw. den elterlichen Bildungs- und Migrationshintergrund. Der deskriptive negative Zusammenhang von elterlichem Bildungshintergrund und elterlicher Unterstützung im Sinne der Förderung der Schriftbewusstheit, des Inhaltsverständnisses sowie der Anregung zur Sprachproduktion erreichte, trotz substanziell nominaler Größe © 2018 Hogrefe Verlag


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Tabelle 2. Zusammenhänge der Nutzung verschiedener Medien mit dem Alter der Kinder und dem elterlichen Bildungs- und Migrationshintergrund BildungsAlter Migra­ hinter(in tionshingrundc ­ onaten) M tergrundc Anteil Nutzung Elektronische Bücher

–.08

.03

–.02

Digitale Lernstifte

–.15

–.08

–.19

.12

-.04

.47

–.02

.12

Regelmäßigkeit Nutzung Elektronische Büchera Digitale Lernstifte

b

Vorlesen Bücher

–.06

Fernsehen

.39**

.44** –.03

.14

–.24*

–.07

Elektronische Büchera

.19

–.01

–.13

Digitale Lernstifte

.00

.12

.14

Elektronische Büchera

–.08

–.38

.20

Digitale Lernstifte

–.13

–.19

–.08

–.09

–.08

.12

Nutzungsmodus / Autonomie

b

Elterliche Unterstützung

b

Pädagogischer Nutzen Digitale Lernstifte Smartphone

–.02

–.15

.01

Tablet-PC

–.13

–.09

.22

Anmerkungen: aAngaben basieren nur auf Eltern, deren Kinder elektronische Kinderbücher nutzten. Aufgrund sehr kleiner Stichprobengröße (n ≤ 21) ist mit Verzerrungen in der Schätzung des Standardfehlers / Konfidenzintervalls zu rechnen; Bootstrap-Ergebnisse basieren teilweise auf weniger als 2000 Bootstrap-Stichproben. bAngaben basieren nur auf Eltern, deren Kinder einen digitalen Lernstift besaßen. cAufgrund der 3-Stufung des Merkmals Berechnung von Rangkorrelationen (Spearmans-Rho). ** p < .01; * p < .05.

(r = –.38 bzw. r = –.19), keine statistische Signifikanz. Die angegebenen Korrelationen beruhten jedoch auf teilweise sehr kleinen Teilstichproben (elektronische Bücher: n = 17; bzw. digitale Lernstifte n = 53).

Diskussion Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass mit Stand Frühjahr 2016 ein prozentual großer Anteil an Kindern im Vorschulalter Zugang zu elektronisch gestützten Lesemedien hat. Im Vergleich der erfassten Medien untereinander sowie im zeitlichen Vergleich mit den von Ehmig und Seelmann (2014) berichteten Befunden aus dem Jahr 2012 zeigt sich, dass dabei vor allem die digitalen Lese- und Lernstifte in den letzten Jahren in hohem Maße Einzug in die Familien bzw. ins Kinderzimmer gefunden haben. Betrachtet man die Regelmäßigkeit bzw. Häufigkeit der Nutzung dieser Medien, ist allerdings zu konstatieren, dass © 2018 Hogrefe Verlag

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diese (noch) deutlich hinter dem Vorlesen von (Kinder-) Büchern, aber auch Aktivitäten wie dem Fernsehen, zurückliegt. Gerade für das Vorlesen von Kinderbüchern zeigt sich auch in unserer Untersuchung, dass dies im Mittel praktisch täglich stattfindet, was unter dem Gesichtspunkt der mit dem Vorlesen von Kinderbüchern erwart­baren positiven Effekte für die sprachliche und schriftsprachliche Entwicklung von Kindern (vgl. Bus et al., 1995) auch zu begrüßen ist. Unter der Annahme, dass allerdings auch elektronische Lesemedien die sprachliche und schriftsprachliche Entwicklung des Kindes positiv zu beeinflussen vermögen (Neumann, 2014; Takacs et al., 2014), deuten unsere Ergebnisse jedoch auch auf ein noch vielfach ungenutztes Potential hin. Aufgrund der Möglichkeit einer, im Vergleich zum klassischen Vorlesen, selbstständigen Nutzung durch das Kind erscheint dieses Potential dabei vor allem für Kinder, denen zu Hause, beispielsweise aufgrund sprachlicher Barrieren der Eltern, nicht vorgelesen wird, besonders hoch. Der positive Zusammenhang der Nutzung elektronischer Kinderbücher mit Vorlesefunktion mit der häuslichen Verfügbarkeit digitaler Lese- und Lernstifte könnte schließlich auf eine gewisse Technikaffinität bzw. Technikaversion der Eltern als erklärende Ursache zurückzuführen sein, was jedoch weiterer empirischer Überprüfung bedarf. Der Zugang zu elektronischen Kinderbüchern mit Vorlesefunktion bzw. die Verfügbarkeit digitaler Lese- und Lernstifte stand in keiner bedeutsamen Relation zum Fernsehkonsum der Kinder. Inwiefern der Zugang bzw. die Nutzung digitaler Lesemedien mit weiteren kindlichen Aktivitäten und dem familiären Alltag, z. B. gemeinsamen Spielaktivitäten, in Relation steht, muss an dieser Stelle leider offen bleiben und könnte ein Gegenstand zukünftiger Forschung sein.

Nutzungsmodus und elterliche Unterstützung Im Rahmen unserer Studie wurde auch der Frage nachgegangen, inwiefern Kinder im Vorschulalter tatsächlich autonom, das heißt ohne elterliche Unterstützung, digitale Lesemedien nutzen. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere die digitalen Lese- und Lernstifte von Kindern selbstständig genutzt werden, wohingegen elektronische Kinderbücher mit Vorlesefunktion häufig gemeinsam mit den Eltern bzw. weiteren Bezugspersonen genutzt werden. Ursächlich für diese Differenz könnten unseres Erachtens folgende zwei Aspekte sein: Erstens, die Bedienung digitaler Lese- und Lernstifte ist besonders einfach gestaltet und für eine selbstständige Nutzung konzipiert. Aufgrund einer größeren Anzahl an Anbietern ist die Komplexität der Bedienung elektronischer Kinderbücher dagegen vermutlich heterogener und auch teilweise höher. Zweitens spielt möglicherweise die Geschlossenheit des Systems digitaler Frühe Bildung (2018), 7 (1), 40–47


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M. Pfost et al., Aspekte der Nutzung digitaler Lesemedien im Vorschulalter

Lese- und Lernstifte im Verhältnis zu den elektronischen Kinderbüchern, welche auf der Nutzung eines PC bzw. mobilen Endgeräts (Tablet-PC, Smartphone) basieren, eine nicht unerhebliche Rolle (Rechlitz, Lampert, Maaß & Stomberg, 2016). Während mit dem digitalen Lese- und Lernstift tatsächlich nur die physisch vorhandenen Bücher und sonstigen kompatiblen Anwendungen (z. B. interaktive Lernquizkarten) genutzt werden können, ist bei fehlender Beaufsichtigung mit internetfähigen Endgeräten, wie dem Smartphone, zumindest potenziell auch die Nutzung an­ derer Funktionen und Anwendungen nicht ausgeschlossen. Im Hinblick auf die elterliche Unterstützung, das heißt der bewussten Förderung der Facetten Schriftbewusstheit, Inhaltsverständnis sowie Anregung der Sprachproduktion, unterscheiden sich die beiden digitalen Lesemedien nicht.

Pädagogischer Nutzen Im Hinblick auf den zugeschriebenen pädagogischen Nutzen im Sinne des kindlichen Kompetenzerwerbs ist für die digitalen Lese- und Lernstifte eine neutrale Bewertung zu verzeichnen. Digitalen Lese- und Lernstiften wird allerdings ein deutlich größerer pädagogischer Nutzen zugeschrieben als Smartphones und Tablet-PCs. Interessant ist indessen der deutliche Unterschied in der Bewertung des pädagogischen Nutzens digitaler Lese- und Lernstifte zwischen Eltern, deren Kinder einen solchen Stift besitzen bzw. nicht besitzen. Dieser Befund ist unseres Erachtens dahingehend zu interpretieren, dass einerseits Eltern, die digitalen Lesestiften einen höheren Nutzen zuschreiben, auch eher dieses Produkt kaufen bzw. ihren Kindern zugänglich machen. Auf der anderen Seite kann allerdings auch Erfahrung mit digitalen Lesestiften durch Nutzung zu einer höheren Einschätzung des pädagogischen Nutzens führen.

Elterlicher Bildungs- und Migrationshintergrund Für das Vorlesen aus Kinderbüchern zeigt sich ein stark positiver Zusammenhang zum elterlichen Bildungshintergrund. Für die digitalen Lesemedien konnte hingegen kein solcher systematischer Zusammenhang gefunden werden. Der Fernsehkonsum war negativ mit dem Bildungshintergrund assoziiert. Die Befunde lassen sich gut mit den Ableitungen des „family investment model“ (Conger & Donnellan, 2007) erklären. Gemäß diesem Modell verfügen Eltern höherer Sozialschicht über einen besseren Zugang zu materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen, welche sie in die Entwicklung ihrer Kinder investieren können. Eltern höherer Sozialschicht legen dabei zur Förderung ihrer Kinder besonderen Wert auf Verfügbarkeit und Nutzung kognitiv-stiFrühe Bildung (2018), 7 (1), 40–47

mulierender Lernmaterialen und -arrangements, was sich u. a. in einem größeren Zugang zu Büchern, vermehrten gemeinsamen Leseaktivitäten (Foster, Lambert, Abbott-Shim, McCarty & Franze, 2005; Hartas, 2011) und einer besseren familiären Lernumwelt im Allgemeinen (Niklas & Schneider, 2013) manifestiert. Ein fehlender Zusammenhang in der Nutzung digitaler Lesemedien mit der sozialen Schicht bzw. dem Bildungshintergrund könnte darauf hindeuten, dass digitale Lesemedien im Allgemeinen nicht als besonders kognitiv stimulierend bzw. wertvoll erachtet werden, worauf auch die (nur) mittelhohe Bewertung des pädagogischen Nutzens einen Hinweis liefert. Gemessen an den im Hinblick auf den Kompetenzerwerb möglichen Effekten digitaler Lesemedien (Bus et al., 2015; Takacs et al., 2014) erscheint dieses Urteil jedoch nicht unmittelbar gerechtfertigt. Der fehlende soziale Gradient für die elektronischen Kinderbücher mit Vorlesefunktion sowie digitalen Leseund Lernstifte bedeutet somit aber auch, dass diese Medien Kindern bildungsferner Elternhäuser im gleichen Maße wie Kindern bildungsnaher Elternhäuser zugänglich sind. Unter der Annahme positiver Effekte für die kindliche Kompetenzentwicklung könnte folglich unter Umständen sogar eine Reduktion sozialer Disparitäten in den vorschulischen Kompetenzen erzielt werden. Entsprechende Analysen über die langfristigen Effekte der Verfügbarkeit digitaler Lesemedien, insbesondere auch im Hinblick auf Aspekte der Bildungsungleichheit, könnten hier Aufschluss bringen. Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund hatten in der Tendenz seltener Zugang zu digitalen Lese- und Lernstiften; wenn sie jedoch Zugang hatten, nutzten sie diese auch vergleichsweise häufiger. Der leicht negative Zusammenhang zur Verfügbarkeit digitaler Lese- und Lernstifte in Familien mit Migrationshintergrund, insbesondere wenn beide Elternteile im Ausland geboren waren, reiht sich ein in den Befund eines negativen Zusammenhangs von familiärer Lernumwelt und familiärem Migrationshintergrund (Niklas & Schneider, 2013) und erscheint aus der Perspektive oftmals begrenzter ökonomischer Ressourcen dieser Gruppe erklärbar. Der positive Zusammenhang zur Nutzungshäufigkeit digitaler Lese- und Lernstifte in der Gruppe der Kinder mit familiärem Migrationshintergrund kann darauf hindeuten, dass gerade Familien mit Migrationshintergrund diese sprachkompensatorisch einsetzen, wobei eine Replikation und vertiefende Analysen hierzu noch ausstehen.

Limitationen Neben der vergleichsweise kleinen, regional begrenzten Stichprobe und der angesprochenen Selektivität im Hinblick auf den elterlichen Bildungshintergrund ist anzumerken, dass nur Eltern, deren Kinder eine Kindertagesstätte besucht haben, teilnehmen konnten. Dieses Vorgehen schließt © 2018 Hogrefe Verlag


M. Pfost et al., Aspekte der Nutzung digitaler Lesemedien im Vorschulalter

folglich Familien, deren Kinder keine Kindertagesstätte besuchen, aus – ein Umstand, der wiederum mit bestimmten Charakteristika wie dem Migrationshintergrund korreliert. Bildungsferne Eltern werden darüber hinaus durch die Methode der schriftlichen Befragung unter Umständen benachteiligt, was sicherlich zu Teilen auch die Unterrepräsentation bildungsferner Elternhäuser in der vorliegenden Untersuchungsstrichprobe zu erklären vermag. Auch ist nicht auszuschließen, dass besonders Eltern, die gemeinsam mit ihren Kindern digitale Leseme­dien nutzen, eher dazu bereit sind, Angaben dazu zu ­machen. Dies, ebenso wie die angesprochene Unterrepräsentation bildungsferner Elternhäuser, mag dabei insbesondere mit Verzerrungen im Hinblick auf die Deskription der Verbreitung und Nutzungshäufigkeit digitaler Lesemedien einhergehen. Eine weitere, besonders im Rahmen zukünftiger Untersuchungen aufzugreifende Limitation stellt darüber hinaus die noch ausbaufähige Operationalisierung des Konstrukts „Nutzung elektronischer Bilder- und Kinderbücher“ dar. Eine stärkere Präzisierung der Frage sowie möglicherweise die Nennung von Beispielen könnten hier Abhilfe schaffen. Darüber hinaus sollte in zukünftigen Studien berücksichtigt werden, dass klassisch audiovisuelle Medien wie das Fernsehen, beispielsweise durch die Schaffung von Mediatheken usw., zunehmend schwerer von digitalen Medien abzugrenzen sind. Schließlich ist bei der Interpretation der Ergebnisse die Einschränkung eines querschnittlichen Untersuchungsdesigns, insbesondere bei Fragen zu Ursache und Wirkung, zu berücksichtigen. Folglich ist nicht nur die Berücksichtigung ­einer größeren, überregionalen Stichprobe, sondern auch die Anwendung eines längsschnittlichen Forschungsdesigns ein Desiderat zukünftiger Forschung.

Literatur Baker, L., Scher, D. & Mackler, K. (1997). Home and family influences on motivations for reading. Educational Psychologist, 32, 69 – 82. https://doi.org/10.1207/s15326985ep3202_2 Bus, A. G., Ijzendoorn, M. H. van & Pellegrini, A. D. (1995). Joint book reading makes for success in learning to read: A meta-analysis on intergenerational transmission of literacy. Review of Educational Research,65, 1 – 21.https://doi.org/10.3102/00346543065001001 Bus, A. G., Takacs, Z. K. & Kegel, C. A. T. (2015). Affordances and limitations of electronic storybooks for young children's emergent literacy. Developmental Review, 35, 79 – 97. https://doi. org/10.1016/j.dr.2014.12.004 Conger, R. D. & Donnellan, M. B. (2007). An interactionist perspective on the socioeconomic context of human development. Annual Review of Psychology, 58, 175 – 199. https://doi.org/10.1146/ annurev.psych.58.110405.085551 Ehmig, S. & Seelmann, C. (2014). Das Potenzial digitaler Medien in der frühkindlichen Lesesozialisation. Frühe Bildung, 3, 196 – 202. https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000174 Ennemoser, M. & Schneider, W. (2007). Relations of television viewing and reading development: Findings from a 4-year longitudinal study. Journal of Educational Psychology, 99, 349 – 368. https:// doi.org/10.1037/0022-0663.99.2.349 © 2018 Hogrefe Verlag

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Foster, M. A., Lambert, R., Abbott-Shim, M., McCarty, F. & Franze, S. (2005). A model of home learning environment and social risk factors in relation to children's emergent literacy and social outcomes. Early Childhood Research Quarterly, 20, 13 – 36. https:// doi.org/10.1016/j.ecresq.2005.01.006 Freund, J. G. (2016). Eine empirische Untersuchung zur Bedeutung digitaler Medien für Vorläuferfähigkeiten des Schriftspracherwerbs. Unveröffentlichte Masterarbeit, Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Hartas, D. (2011). Families' social backgrounds matter: socio-economic factors, home learning and young children's language, literacy and social outcomes. British Educational Research Journal, 37, 893 – 914. https://doi.org/10.1080/01411926.2010.506945 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. (2015). miniKIM 2014. Kleinkinder und Medien. Stuttgart: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. Zugriff am 10.11.2017. Verfügbar unter https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/ miniKIM/2014/Studie/miniKIM_Studie_2014.pdf Mol, S. E., Bus, A. G., Jong, M. T. de & Smeets, D. J. H. (2008). Added value of dialogic parent-child book readings: A meta-analysis. Early Education and Development, 19, 7 – 26. https://doi. org/10.1080/10409280701838603 Neuman, S. B. (1986). The home environment and fifth-grade students' leisure reading. The Elementary School Journal, 86, 334 – 343. Neumann, M. M. (2014). An examination of touch screen tablets and emergent literacy in Australian pre-school children. Australian Journal of Education, 58, 109 – 122. https://doi.org/10.1177/ 0004944114523368 Neumann, M. M. & Neumann, D. L. (2014). Touch screen tablets and emergent literacy. Early Childhood Education Journal, 42, 231 – 239. https://doi.org/10.1007/s10643-013-0608-3 Niklas, F., Cohrssen, C., Tayler, C. & Schneider, W. (2016). Erstes Vorlesen: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 30, 35 – 44. https://doi.org/10.1024/10100652/a000166 Niklas, F. & Schneider, W. (2013). Home Literacy Environment and the beginning of reading and spelling. Contemporary Educational Psychology, 38, 40 – 50. https://doi.org/10.1016/j.cedpsych. 2012.10.001 Rechlitz, M., Lampert, C., Maaß, S. & Stomberg, K. (2016). Digitale Audiostifte in der Familie – eine explorative Studie. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut. Salmon, L. G. (2014). Factors that affect emergent literacy development when engaging with electronic books. Early Childhood Education Journal, 42, 85 – 92. https://doi.org/10.1007/s10643013-0589-2 Statistisches Bundesamt (2016). Bildungsstand der Bevölkerung 2016. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. Takacs, Z. K., Swart, E. K. & Bus, A. G. (2014). Can the computer replace the adult for storybook reading? A meta-analysis on the effects of multimedia stories as compared to sharing print stories with an adult. Frontiers in Psychology, 5, 1366. https://doi. org/10.3389/fpsyg.2014.01366

Maximilian Pfost Jana G. Freund Sarah Becker Lehrstuhl für Empirische Bildungsforschung Otto-Friedrich-Universität Bamberg 96045 Bamberg maximilian.pfost@uni-bamberg.de freundjana@gmx.de sarah.becker@uni-bamberg.de Frühe Bildung (2018), 7 (1), 40–47


Diskussion Was und wie wir messen, wenn wir Qualität in Krippen messen Praxiserfahrungen und kritische Betrachtungen zur KRIPS-R Rieke Hoffer und Klaus Fröhlich-Gildhoff

Neben dem quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung auch für Kinder ab dem ersten Lebensjahr wird immer wieder auch das Thema der Notwendigkeit einer hohen Qualität der pädagogischen Arbeit gerade mit diesen jungen Kindern thematisiert und eine Verbesserung der­ selben gefordert. Unterstützt wird diese Forderung von wissenschaftlichen Studien, die Korrelationen zwischen bestimmten Dimensionen von Qualität von Kindertagesbetreuung und bestimmten Maßen der Entwicklung betonen (z. B. Anders, 2013). Qualität spielt entsprechend eine wichtige Rolle in vielen Forschungsarbeiten im Bereich der Kindertagesbetreuung.

Qualität: Konzeptualisierung und Messinstrumente Seltener eine Rolle spielen in diesen Diskussionen und Forschungsarbeiten die Definitionen, Konstrukte und Messinstrumente, die den Qualitätsmessungen zugrunde gelegt werden. Dies ist verwunderlich, da es sich bei Qualität um ein komplexes Konstrukt handelt, das der Normativität unterliegt. Aufgrund der in den verschiedensten Definitionen enthaltenen Mehrdimensionalität des Konstrukts Qualität ist dessen Operationalisierung schwierig. Als pragmatische Orientierung hierzu wurden in vielen Arbeiten die zwei Bereiche Prozess- und Strukturqualität unterschieden, wobei Prozessqualität assoziiert wird mit der Dynamik des pädagogischen Geschehens, dem Umgang mit dem Kind und entsprechend v. a. mit Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern, aber auch Peerinteraktionen; während Strukturqualität mit Ausstattungsmerkmalen, Ausbildung der Fachkräfte und Fachkraft-Kind-Relation verbunden dargestellt wird. Verschiedene Korrelationen zwischen diesen Dimensionen wurden in diversen Studien festgestellt. Im deutschsprachigen Raum wurden diese Begrifflichkeiten Frühe Bildung (2018), 7 (1), 48–51

insbesondere durch Wolfgang Tietze geprägt, der ergänzend noch die Dimension der Orientierungsqualität verwendet, die sich auf die Einstellungen und Orientierungen der Fachkräfte in Bezug auf die Kinder und ihr pädagogisches Handeln bezieht (vgl. Tietze, 1998). Was genau unter den jeweiligen Bereichen verstanden wird, unterscheidet sich jedoch stark nach Zielgruppe und Zielen der jeweiligen Forschungsprojekte.

DIE Messinstrumente für Qualität: KES-R und KRIPS-R Das bekannteste und meist angewandte Messinstrument der Prozessqualität national und international stellen im Kindergartenbereich die Skalen der Arbeitsgruppe um Harms (ECERS-Skalen: Harms, Clifford & Cryer, 1998) dar, im deutschsprachigen Raum übersetzt und adaptiert von Tietze, Schuster, Grenner & Roßbach (2007) als KESR, im Krippenbereich entsprechend als KRIPS-R (Tietze, Bolz, Grenner, Schlecht & Wellner, 2005). Diese Skalen verstehen Prozessqualität in einem weiten Sinne, es soll das erfasst werden, „was den konkreten Erfahrungs- und Bildungsraum des Kindes in der Einrichtung unmittelbar gestaltet und beeinflusst“ (Tietze et al., 2005, S. 7). Die KRIPS-R ist zudem nicht auf ein spezifisches Konzept bezogen, sondern ist „empirisch basiert“, wobei die empirischen Grundlagen zumindest in der deutschen Version nicht explizit angeführt werden. Die KRIPS-R ist in sieben Bereiche gegliedert und besteht aus 41 Items bzw. Merkmalen: Platz und Ausstattung (5 Merkmale); Betreuung und Pflege der Kinder (6 Merkmale); Zuhören und Sprechen (3 Merkmale); Aktivitäten (10 Merkmale); Interaktionen (4 Merkmale); Strukturierung der pädagogischen ­Arbeit (4 Merkmale); Eltern und Erzieher_innen (7 Merkmale). Zwei zusätzliche Merkmale wurden in der deut© 2018 Hogrefe Verlag


Diskussion 49

schen Version ergänzt (Eingewöhnung und Einbezug der familialen Lebenswelt). Grundlage der Bewertung ist dabei eine mindestens dreistündige Beobachtung in der Einrichtung sowie ein etwa einstündiges Gespräch mit einer Erzieherin, in dem Fragen zu Bereichen beantwortet werden, die so nicht beobachtet werden konnten. Pro Merkmal können 1 bis 7 Punkte erreicht werden. Dabei gilt 1 als unzureichend, also schlechte Qualität, 3 als minimale, 5 als gute und 7 als ausgezeichnete Qualität.

Bewertungssystem der KRIPS-R Die Bewertung der Merkmale der KRIPS-R erfolgt mit einem Bewertungssystem, bei dem im Regelfall eine Abbruchregel („stop scoring“) gilt. Das bedeutet, dass für eine Bewertung der Qualitätsstufe eines Merkmals Unteraspekte benannt werden, die nach der Beobachtung bejaht oder verneint werden (Tietze et al., 2005, S. 12). Dabei müssen, um eine bestimmte Qualitätsstufe zu erreichen, alle Unteraspekte beobachtet worden sein. Ist nur die Hälfte der Aspekte beobachtet worden, wird die zwischen den beschriebenen Qualitätsstufen liegende Zwischenstufe vergeben. Sind weniger als die Hälfte der Unteraspekte einer Qualitätsstufe vorhanden, wird die darunter beschriebene Qualitätsstufe vergeben. Nur wenn alle Aspekte einer Stufe beobachtet worden sind, wird die Bewertung der Aspekte fortgesetzt, die für eine höhere Bewertung nötig sind. Eine Einschätzung von Aspekten, die die KRIPS-R mit höherer Qualität assoziiert, findet also im Regelfall nur statt, wenn die Minimalforderungen erfüllt sind. In einem regulären Bewertungszyklus werden die weiteren Aspekte dann nicht eingeschätzt, es gilt also eine Abbruchregel – wobei die Autor_innen betonen, dass zur Unterstützung der Einrichtung auch die weiteren Aspekte bewertet werden können. Jedoch spielen für das Gesamtergebnis diese zusätzlichen Bewertungen keine Rolle. Zum Beispiel wird bei Merkmal 15, „Feinmotorische Aktivitäten“, die Beobachtung mit dem Ergebnis 1 beendet, wenn entweder „keine angemessenen Materialien für feinmotorische Aktivitäten zum täglichen Gebrauch“ (welche Materialien angemessen sind, wird durch eine Fußnote definiert) zur Verfügung stehen, oder die „Materialien sich in einem allgemein schlechten Zustand“ befinden. Erst wenn diese beiden Aspekte positiv erfüllt sind, werden die Kriterien, die unter 3, den Minimalanforderungen, angeben sind, beobachtet und bewertet. Auf dieser Grundlage können dann Werte für die Bereiche ermittelt sowie ein Gesamtwert gebildet werden. Dieses Bewertungssystem ermöglicht einen zeiteffizienten Ablauf, birgt jedoch auch Risiken. Dies zeigen Praxiserfahrungen, die während der Evaluation von 14 Krippen gesammelt © 2018 Hogrefe Verlag

wurden, die im Rahmen des Programmes Innovative pädago­gische Angebote der außerfamiliären Bildung, Betreuung und Erziehung für Kinder unter 3 Jahren (Innopäd U3) der ­Stiftung Kinderland mit der KRIPS-R untersucht wurden.

Praxis-Erfahrungen mit der KRIPS-R In dem Programm Innopäd U3 wurden sehr heterogene Einrichtungen gefördert und ergänzend evaluiert (Fröhlich-Gildhoff & Hoffer, 2017). So wurden beispielsweise eine Waldkrippe, eine Einrichtung, in der ein Piklerkonzept eingeführt wurde, sowie Einrichtungen mit offenem Konzept mit der KRIPS-R untersucht. Die Untersucher_innen wurden vorher in einer viertägigen Schulung mit Validitätstest in der Anwendung der KRIPS-R ausgebildet. Dennoch gab es in der Anwendungsphase Einrichtungen, in denen sich die Anwendung des Instrumentes als schwierig gestaltete: yy Passung der KRIPS-R zu Einrichtungen mit speziellen Konzepten – Beispiel: Unterbereich „Platz und Ausstattung“. So stellt sich die Anwendung der KRIPS-R in einer natur­ orientierten Einrichtung als nicht anwendbar heraus, da die im Bereich „Platz und Ausstattung“ beschriebenen Merkmale nicht adaptierbar auf eine Einrichtung waren, in der es weder Räumlichkeiten noch vorgegebene Materialien gab. Wie die Natur von den Fachkräften in den pädagogischen Alltag einbezogen wurde, um die Bedürfnisse der Kinder nach Erfolg und Unabhängigkeit zu erfüllen, lässt sich mit der KRIPS-R nicht erfassen. Ein ähnliches Problem zeigte sich in einer Einrichtung, die nach dem Piklerkonzept arbeitete. Um hier im Bereich „Aktivitäten“ eine hohe Qualitätsbewertung zu erreichen, müssen den Kindern in Bezug auf viele Unterbereiche, z. B. den Bereich „Musik und Bewegung“, möglichst eine Vielfalt von altersangemessenen Instrumenten und Materialien einen Großteil des Tages zugänglich sein. Dies entspricht jedoch nicht dem Konzept Emmi Piklers, nach deren Konzept jedem Kind wenige, jedoch genau zur Stufe der Entwicklung passende Materialien zur Verfügung gestellt werden. Dies führt allerdings zu einer geringen Bewertung in diesem Bereich. Diese lässt sich leicht erklären; wird jedoch der Gesamtwert der KRIPS-R berechnet, geht das Ergebnis dennoch als geringe Punktzahl ein. yy Vermischung einzelner Themenbereiche – Unterbereich „Betreuung und Pflege der Kinder“. Auffallend bei der Bewertung mit der KRIPS-R in der Praxis ist, dass in bestimmten Bereichen Aspekte der Interaktion mit anderen Bereichen, die eher Hygiene oder strukturelle Merkmale wie den Tagesablauf betreffen, stark vermischt werFrühe Bildung (2018), 7 (1), 48–51


50 Diskussion

den. So sind beispielsweise im Bereich „Wickeln und Toilette“ u. a. als Minimalanforderungen benannt, dass sich Erzieherin und Kinder nach Wickeln / Toilette die Hände waschen (Tietze et al. 2005, S. 28). Wird diese Frage verneint, kommt es also vor, dass sich beispielsweise das Kind nach dem Wickeln nicht die Hände wäscht, werden laut Abbruchregel der KRIPS-R die weiteren Fragen nicht mehr bearbeitet. Fragen, die die Interaktion beim Wickeln betreffen, werden jedoch erst später, bei höherer Bewertung, gestellt. So kann die Aussage „angenehme Erzieherin-Kind-Interaktion“ erst für das Erreichen einer „5“ beantwortet werden. Somit kann auch eine Wickelsituation, in der die Erzieherin feinfühlig und respektvoll dem Entwicklungstand des Kindes entsprechend interagiert, dennoch zu einem „unzureichend“ führen, wenn sich das Kind nach dem Wickeln nicht die Hände wäscht – selbst, wenn es gar keinen Kontakt zu verschmutztem Material hatte. yy Interaktion wird unzureichend „fein aufgelöst“ erfasst. Im Bereich der Interaktion ist die Beurteilung schwierig, da sich die Interaktionsqualität zwischen den Fachkräften einer Einrichtung stark unterscheiden kann. Dieses Problem wird im Manual der KRIPS-R nicht thematisiert. Eine pragmatische Lösung besteht darin, sich auf eine Fachkraft zu konzentrieren, was aber in der Ergebnisdarstellung kaum berücksichtigt werden kann – diese suggeriert einen Durchschnittswert zwischen den Erzieher_innen. Diesen zu beobachten ist für eine einzelne Beobachterin aber nicht leistbar, zudem würde es auch nicht der individuellen Leistung der einzelnen Erzieherin gerecht werden.

Kritische Diskussion Von Gordon und Kollegen (2015) wurden in Bezug auf die ECERS-R mit einer US-amerikanischen Stichprobe, und von Mayer & Beckh (2016) in einer deutschen Stichprobe bereits auf verschiedene Probleme der Validität der KES-R und auch der KRIPS-R (Mayer & Beckh, 2017) hingewiesen. Insbesondere die Validität gefährdet sehen die Autor_ innen durch die Vermischung von Qualitätsdimensionen in einem einzelnen Merkmal. Zudem ergab sich, wie bereits in vorherigen Studien, statt eines globalen Qualitätsfaktors, eine dreifaktorielle Faktorenstrukturbei der KESR und eine zweifaktorielle Faktorenstruktur bei der KRIPS-R (Mayer & Beckh, 2017). Unsere Erfahrungen in der Praxis bei der Anwendung der KRIPS-R ergänzen diese Befunde und zeigen zudem einen Widerspruch auf, der vielleicht auch gar nicht auflösbar ist: Einerseits soll ein Instrument wie die KRIPS-R eine genaue Erfassung und Operationalisierung von den wichtigsten Aspekten ermögFrühe Bildung (2018), 7 (1), 48–51

lichen, die Qualität in einer Krippe ausmachen, andererseits die notwendige Flexibilität bieten, die Erfüllung kindlicher Bedürfnisse in sehr unterschiedlichen pädagogischen Konzepten erfassen zu können. In der Anwendung des Instruments wird die Normativität deutlich, die zwangsläufig in den detaillierten Opera­ tionalisierungen zum Ausdruck kommt. Genau diese ­Operationalisierungen erfordert ein Instrument zur Qualitätsmessung auch. Jedoch wäre es sinnvoll, diese Einschränkung deutlich zu benennen: dass trotz aller Bemühungen eine recht enge und normative Definition von Qualität beobachtet und erfasst wird – und diese eben nicht anwendbar auf alle Konzepte ist. Für zukünftige Forschungsarbeiten erwächst, wie schon beispielsweise La Paro, Thomason, Lower, Kintner-Duffy & Cassidy bei ihrer Literaturarbeit 2012 forderten, aus dieser Einschränkung die Notwendigkeit, genauer zu definieren, welche Parameter von Qualität eine Aussagekraft für das jeweilige Forschungsprojekt besitzen. Als Konsequenz hieraus sollte in einigen Arbeiten vielleicht eher ein „feiner aufgelöstes“ Instrument ausgewählt werden, das ein engeres Kon­ strukt von Qualität erfasst, statt eine scheinbar objektive „Qualitätsdimension“ wie die „globale“ Prozessqualität der KRIPS-R als Indikator für Veränderung zu erfassen. Die Verwendung der KRIPS-R suggeriert eine Vergleichbarkeit und Objektivität, die so in vielen Fällen nicht gegeben oder zumindest nicht passend ist. In Bezug auf die KRIPS-R selber wäre es in der – bereits lange angekündigten überarbeiteten Version – nötig, teilweise Operationalisierungen weiter zu verfeinern, aber auch die Normen noch stärker offen zu legen, an denen sich die Qualitäts­ definition orientiert, die im Instrument vertreten wird. Zudem sollte die Überlegung zugelassen werden, inwieweit die Vermischung einzelner Qualitätsdimensionen beibehalten werden soll. Außerdem könnte die Möglichkeit genutzt werden, um auch auf die Einschränkungen des Einsatzbereichs einzugehen.

Literatur Anders, Y. (2013). Stichwort: Auswirkungen frühkindlicher institutioneller Betreuung und Bildung. Zeitschrift für Erziehungs­ wissenschaft, 16, 237 – 275. Fröhlich-Gildhoff, K. & Hoffer, R. (2017). INNOPÄD U3. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Programms (Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung, Nr. 83). Zugriff am 22.09.2017. Verfügbar unter https://www.bwstiftung.de/­ uploads/tx_news/Schriftenreihe_U3_final_web.pdf Gordon, R. A., Hofer, K. G., Fujimoto, K. A., Risk, N., Kaestner, R. & Korenman, S. (2015). Identifying high-quality preschool programs: New evidence on the validity of the Early Childhood Environment Rating Scale–Revised (ECERS-R) in relation to school readiness goals. Early Education and Development, 26, 1086 – 1110. © 2018 Hogrefe Verlag


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Harms, T., Clifford, R. M. & Cryer, D. (1998). Early childhood environment rating scale – revised edition. New York: Teachers College Press. La Paro, K. M, Thomason, A. C., Lower, J. K. V. Kintner-Duffy V. & Cassidy, D. J. (2012). Examining the Definition and Measurement of Quality in Early Childhood Education: A Review of Studies Using the ECERS-R from 2003 to 2010. Early Childhood ­research and Practice, 14 (1), Retrieved from ecrp.uiuc.edu/ v14n1/laparo/html Mayer, D. & Beckh, K. (2016). Examining the validity of the ECERS– R: Results from the German National Study of Child Care in Early Childhood. Early Childhood Research Quarterly, 36, 415 – 426. Mayer, D. & Beckh, K. (2017). Überprüfung der Validität der Skalen KES-R und KRIPS-R zur Erfassung der pädagogischen Qualität in Kindertageseinrichtungen. Ergebnisse der NUBBEK-Studie. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 64, 181 – 202.

Tietze, W. (1998). Wie gut sind unsere Kindergärten? Eine Untersuchung zur pädagogischen Qualität in deutschen Kindergärten. Luchterhand. Tietze, W., Bolz, M., Grenner, K., Schlecht, D. & Wellner, B. (2005). Krippen-Skala – revidierte Fassung (KRIPS-R). Weinheim: Beltz. Tietze, W., Schuster, K.-M., Grenner, K. & Roßbach, H.-G. (2007). Kindergarten-Skala (KES-R). Feststellung und Unterstützung pädagogischer Qualität in Kindergärten. Deutsche Fassung der Early childhood environment rating scale – revised edition (3. Aufl.). Berlin: Cornelsen Scriptor. Verfasser_innen: Rieke Hoffer und Klaus Fröhlich-Gildhoff, Evangelische Hochschule Freiburg, Zentrum für Kinder- und Jugendforschung, Bugginger Str. 38, 79114 Freiburg, rieke.hoffer@eh-freiburg. de, froehlich-gildhoff@eh-freiburg.de https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000360

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Frühe Bildung (2018), 7 (1), 48–51


Innovation Die „Sustained Shared Thinking and Emotional Well-Being (SSTEW)“-Skala Ein neues Instrument zur Erfassung der pädagogischen Qualität von Kindertageseinrichtungen Yvonne Anders und Nadine Wieduwilt Nahezu alle Kinder in Deutschland besuchen mittlerweile vor dem Schulbesuch eine Kindertageseinrichtung (im Folgenden Kita genannt). Der Eintritt in die Einrichtungen erfolgt dabei immer früher, darüber hinaus wird für viele Kinder eine Ganztagsbetreuung in Anspruch genommen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2016). Kitas sind damit zentrale Einrichtungen der frühkindlichen Bildung. Zahlreiche Studien konnten belegen, dass die pädagogische Qualität einer Einrichtung der zentrale Faktor mit Blick auf die zu erwartenden Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder ist. Entscheidend ist vor allem die Prozessqualität der Einrichtung, welche sich auf Art und Qualität der Interaktionen zwischen Fachkraft und Kindern, der Kinder untereinander und der Auseinandersetzung der Kinder mit Raum und Materialien bezieht (Kluczniok & Roßbach, 2014). Einrichtungen, die eine hohe Prozessqualität aufweisen, haben kurz-, mittel- und langfristig positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder in kognitiven, akademischen und sozio-emotionalen Bereichen sowie in der Lebensbewältigung (vgl. Anders, 2013 für einen Überblick). Hieraus leitet sich die Notwendigkeit von Instrumenten zur Erfassung der Prozessqualität ab, sowohl für die Forschung als auch für die Qualitätsentwicklung und Zertifizierung der Einrichtungen. Es existiert eine Reihe von Instrumenten, mit denen gute Erfahrungen gemacht wurden. Sehr häufig werden die Early Childhood Environment Rating Scales (ECERSSkalen) (Harms, Clifford & Cryer, 1998; Sylva, SirajBlatchord, Taggart, 2003) eingesetzt, die ins Deutsche übersetzt in ihren unterschiedlichen Varianten vorliegen (KES-R: Tietze, Schuster, Grenner & Roßbach, 2007; KESE: Roßbach & Tietze, 2007). Die ermittelten Qualitätswerte beruhen auf mehrstündigen Beobachtungen in Einrichtungen bzw. Gruppen. Den Skalen unterliegt ein umfassendes Qualitätskonzept, das die Förderung der Gesamtpersönlichkeit in den Blick nimmt. Die ECERS-Skalen messen neben den Interaktionen auch den strukturelFrühe Bildung (2018), 7 (1), 52–54

len Voraussetzungen (wie z. B. dem Vorhandensein von Materialien) einen großen Stellenwert bei und erscheinen daher gerade für den deutschen Kontext, in dem eine situations- und spielorientierte Pädagogik vorherrschend ist, besonders gut geeignet, den pädagogischen Alltag abzubilden. Verschiedene nationale und internationale Studien konnten Effekte der Prozessqualität gemessen mit den ECERS-Skalen auf die kindliche Entwicklung nachweisen. Allerdings zeigt sich, dass Instrumente, die auf die Art der Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern fokussieren, in der Regel größere Qualitätseffekte auf die kindliche Entwicklung nachweisen können als diejenigen Instrumente, die die Bewertung der Interaktionen mit der Bewertung der Strukturen verknüpfen (Ulferts & Anders, 2016). Die „Sustained Shared Thinking and Emotional Well-Being (SSTEW)“-Skala wurde von Siraj, Kingston und Melhuish (2015) als Ergänzung zu den ECERS-Skalen entwickelt, und soll stärker die Interaktionen in den Blick nehmen, die effektives Lernen unterstützen. Kürzlich wurde die Skala für einen Einsatz zur Messung der frühpädagogischen Qualität in deutschen Kindertageseinrichtungen erprobt. In diesem Beitrag werden die Skala vorgestellt und Potenziale und Herausforderungen diskutiert.

Die SSTEW-Skala Die SSTEW-Skala greift Erkenntnisse aus Studien auf, die die Bedeutung qualitativ hochwertiger Interaktionen für die kindliche Entwicklung belegt haben (Siraj-Blatchford, Sylva, Muttock, Gilden & Bell, 2002). Demnach sind Interaktionen relevant, bei denen Fachkräfte und Kinder in einer Art und Weise kommunizieren und zusammenarbeiten, die intellektuell stimulierend sind. Dazu zählen beispielsweise das gemeinsame Lösen von Problemen, das Hinterfragen und Verstehen von Konzepten, das Re© 2018 Hogrefe Verlag


Innovation 53

flektieren über Aktivitäten sowie die Weiterentwicklung von Geschichten. Diese Art der Interaktion wurde mit dem Begriff des „Sustained Shared Thinking“ (Siraj-Blatchford et al., 2002) eingeführt. Bislang existierende Instrumente der Qualitätserfassung in Einrichtungen früher Bildung und Betreuung sind nicht darauf ausgerichtet Kommunikation und Interaktionen in diesem Detailgrad zu erfassen. Die SSTEW-Skala beruht auf dem Konzept des „Sustained Shared Thinking“. Es ist darauf angelegt, pädagogische Interaktionen hinsichtlich der Förderung der sozioemotionalen Entwicklung und der kognitiven Entwicklung (mit einem Schwerpunkt auf der sprachlichen Entwicklung) zu erfassen. Sie ist in ihrem Aufbau den ECERS-­ Skalen sehr ähnlich, beispielsweise dahingehend, dass die ­ Bewertung auf einer siebenstufigen Skala von 1 „­unzureichend“ über 3 „minimal“ und 5 „gut“ bis hin zu 7 „ausgezeichnet“ erfolgt. Den Bewertungsstufen liegen ausformulierte Indikatoren zugrunde. Das Beobachtungsverfahren beinhaltet fünf Subskalen mit insgesamt 14 Items. Die ersten beiden Subskalen beziehen sich auf die soziale und emotionale Entwicklung: (1) Vertrauen, Selbstvertrauen und Unabhängigkeit aufbauen und (2) Soziales und emotionales Wohlbefinden. Subskalen drei bis fünf nehmen die kognitive Entwicklung in den Blick: (3) Unterstützung und Förderung der Sprache und Kommunikation, (4) Unterstützung des Lernens und kritischen Denkens sowie (5) Beurteilung des Lernens und der Sprache. Die Skala wird in einer drei- bis vierstündigen nicht-teilnehmenden Beobachtung durch eine geschulte Erhebungsperson angewandt. Daran anschließend findet ein ca. 30-minütiges Interview mit der Gruppenleitung statt. Im Interview werden Aspekte erfragt, die durch eine reine Beobachtung nicht erfasst werden konnten. Die Skala wurde von vielen frühpädagogischen Fachkräften und Wissenschaftlern erprobt und dann im Rahmen des „Study of Early Education and Development“ (SEED)-Projekts in mehr als 1.000 Einrichtungen eingesetzt (Otero & Melhuish, 2015). Im Rahmen des ersten Berichts dieser Studie verweisen die Autoren auf eine sehr gute interne Konsistenz des Gesamtscores (α = 0,91) und eine sehr hohe Inter-Rater-Reliabilität von mehr als 90 %. Ferner werden hohe Zusammenhänge zu anderen Qualitätsmaßen berichtet.

Erprobung der SSTEW-Skala Die Skala wurde von Anders und Kollegen im Winter 2016 / 2017 ins Deutsche übersetzt (Anders et al., 2017). Parallel fand eine Schulung für den Einsatz des Beobachtungsverfahrens durch eine der Autorinnen der Original© 2018 Hogrefe Verlag

Skala statt. Die geschulten Personen wurden für die Schulung weiterer Beobachter_innen qualifiziert. Im Folgenden wurde die übersetzte Skala in 20 Gruppen von Kindertageseinrichtungen eingesetzt. Im Anschluss wurde die Praxiserprobung ausgewertet und es fanden Anpassungen des Manuals zur Skala statt. Es ist vor­gesehen, die SSTEWSkala im Rahmen der Evaluation des Bundesprogramms „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2017) einzusetzen, welche von 2016 bis 2019 als Kooperation der Freien Universität Berlin (Prof. Dr. Yvonne Anders) und der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (Dr. Katharina Kluczniok, Prof. Dr. Hans-Günther Roßbach) durchgeführt wird. Aus diesem Grund wurde bei der Auswertung der Erprobung ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet, inwieweit sich durch die Skala die Qualität alltagsintegrierter sprach­licher Bildungsarbeit (Fried, 2013) erfassen lässt.

Potenziale der SSTEW-Skala Die Skala greift zweifellos zentrale Aspekte qualitativ hochwertiger Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern auf und füllt damit eine wichtige Lücke existierender Instrumente. Als besonders geeignet für den deutschen Kontext lassen sich zwei Merkmale identifizieren: Ihr unterliegt ein pädagogisches Konzept, das der Berücksichtigung des kindlichen Entwicklungsstandes bei der Konzeption von Lerngelegenheiten sowie dem Aufgreifen und Weiterführen kindlicher Interessen und Gedankengänge große Relevanz beimisst. Diese Grundgedanken sind auch leitend für die situationsorientierte Pädagogik, wie sie charakteristisch für die deutsche Frühpädagogik ist. Ferner setzt es einen starken Schwerpunkt auf die Förderung der sozio-emotionalen Entwicklung, welche traditionell in Deutschland ebenfalls einen sehr großen Stellenwert hat. Nach der Erprobung lässt sich auch feststellen, dass die Items als geeignet angesehen werden können, qualitativ hochwertige Interaktionen im Kontext alltagsintegrierter sprachlicher Bildung zu identifizieren, bzw. die Qualität dieser Interaktionen zu erfassen. Das emotionale Wohlbefinden des Kindes und die Feinfühligkeit der ­Fachkraft im Umgang mit dem Kind sind entscheidende Ankerpunkte für positive Dialogsituationen, denen im Rahmen einer sprachlichen Bildung im Alltag eine herausragende Bedeutung zugesprochen wird. Darüber hinaus werden über das Konzept des „Sustained Shared Thinking“ wichtige Strategien der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung abgebildet. Hiermit kann die SSTEW-Skala als große Bereicherung für die frühkindliche Bildungsforschung und Qualitätsentwicklung in der Praxis bewertet werden. Frühe Bildung (2018), 7 (1), 52–54


54 Innovation

Herausforderungen Die ersten Erprobungen wiesen auch auf Herausforderungen hin, die Potenziale für Weiterentwicklungen bieten. Zunächst einmal ist festzustellen, dass es sich um ein für die Beobachter_innen sehr anspruchsvolles Instrument handelt. Es braucht fundiertes entwicklungspsychologisches Wissen und ein breites Verständnis von guter pädagogischer Praxis, um beurteilen zu können, ob die pädagogische Fachkraft angemessen mit dem Kind interagiert und Lernprozesse so strukturiert, dass diese die Zone der nächsten Entwicklungsstufe ansprechen. Dieses ist in besonderem Maße der Fall, da die Skala zunächst für LiveBeobachtungen und nicht für die Auswertung von videografierten Szenen konzipiert wurde. Einzelne Indikatoren, die sich z. B. auf das professionelle Wissen der beobachteten Fachkräfte beziehen, sind kaum der Beobachtung zugänglich. Darüber hinaus ist festzustellen, dass zum Teil auf Praktiken Bezug genommen wird, z. B. Assessment im Rahmen von Beobachtung und Dokumentation, die in dieser Form in Deutschland nicht üblich sind. Das führt dazu, dass einzelne Indikatoren nicht anwendbar sind. Derzeit wird das existierende Manual zur Skala weiterentwickelt, um es im deutschen Kontext noch besser anwendbar zu machen. Ferner ist eine Erweiterung in Bezug auf Themen, Aktivitäten und Bildungsbereiche, die in Deutschland eine große Rolle spielen (z. B. Umgang mit Multikulturalität und Diversität, Zusammenarbeit mit Familien) angedacht, die in der SSTEW-Skala bislang noch nicht hinreichend abgebildet sind.

Literatur Anders, Y. (2013). Stichwort: Auswirkungen frühkindlicher, institutioneller Bildung und Betreuung. Zeitschrift für Erziehungs­ wissenschaft, 16, 237 – 275. Anders, Y., Ballaschk, I., Blaurock, S., Kluczniok, K., Lehrl, S., Resa, E. & Wieduwilt, N. (2017). Deutsche Übersetzung der Sustained Shared Thinking and Emotional Well-being (SSTEW) Scale. ­Unveröffentlichte Forschungsversion, Freie Universität Berlin. Autorengruppe Bildungsberichterstattung. (2016). Bildung in Deutschland 2016. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer

Frühe Bildung (2018), 7 (1), 52–54

Analyse zu Bildung und Migration. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (2017). Bundesprogramm Sprach-Kitas. Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist. Zugriff am 03. Oktober 2017. Verfügbar unter http://sprach-kitas.fruehe-chancen.de/ Fried, L. (2013). Sprachförderung. In L. Fried & S. Roux (Hrsg.), Handbuch Pädagogik der frühen Kindheit (S. 175 – 181). Berlin: Cornelsen Scriptor. Harms, T., Clifford, R. M. & Cryer, D. (1998). Early childhood environment rating scale. Revised edition. New York: Teachers College Press. Kluczniok, K. & Roßbach, H.-G. (2014). Conceptions of educational quality for kindergartens. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 17, 145 – 158. Otero, M. P. & Melhuish, E. (2015). Study of Early Education and Development (SEED): Study of the quality of childminder provision in England. Research report. London: Department for Education. Roßbach, H.-G. & Tietze, W. (2007). Kindergarten-Skala Erweiterung (KES-E). Deutsche Fassung der „The Early Childhood Environment Rating Scale-Extension (ECERS-E)“ von Sylva, Siraj- Blatchford & Taggart (2003). Manuskript in Vorbereitung. Siraj, I., Kingston, D. & Melhuish, E. (2015). Assessing Quality in Early Childhood Education and Care: Sustained Shared Thinking and Emotional Well-Being (SSTEW) Scale for 2 – 5-Year-Olds Provision. London: Institute of Education Press. Siraj-Blatchford, I., Sylva, K., Muttock, S., Gilden, R. & Bell, D. (2002). Researching effective pedagogy in the early years. London: Department for Education and Skills. Sylva, K., Siraj-Blatchford, I. & Taggart, B. (2003). Assessing quality in the early years – Early Childhood Environment Rating Scale Extension (ECERS-E). Four curricular subscales. Stoke-onTrent: Trentham Books. Tietze, W., Schuster, K.-M., Grenner, K. & Roßbach, H.-G. (2007). Kindergarten-Skala (KES-R). Feststellung und Unterstützung pädagogischer Qualität in Kindergärten (3. Aufl.). Berlin: Cornelsen Scriptor. Ulferts, H. & Anders, Y. (2016). Effects of ECEC on academic outcomes in literacy and mathematics: Meta-analysis of European longitudinal studies. CARE Curriculum quality analysis and impact review of European ECEC, WP4, D4.2. Brussels. Retrieved from http://ecec-care.org/fileadmin/careproject/Publications/ reports/CARE_WP4_D4_2_Metaanalysis_public.pdf

Verfasserinnen: Yvonne Anders und Nadine Wieduwilt, Freie Universität Berlin, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, Arbeitsbereich Frühkindliche Bildung und Erziehung, Habelschwerdter Allee 94, 14195 Berlin, yvonne.anders@fu-berlin.de, nadine.wieduwilt@fu-berlin.de https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000361

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KTK

MBK 1+

Körperkoordinationstest für Kinder 3., überarbeitete und ergänzte Auflage

Test mathematischer Basiskompetenzen ab Schuleintritt

E. J. Kiphard / F. Schilling

M. Ennemoser / K. Krajewski / D. Sinner

KTK

Reihe: Hogrefe Schultests Hrsg. von M. Hasselhorn / W. Schneider / U. Trautwein

Manual

Körperkoordinationstest für Kinder

MBK 1+ Ernst J. Kiphard Friedhelm Schilling

Manual

Test mathematischer Basiskompetenzen ab Schuleintritt 3., überarbeitete und ergänzte Auflage

Manual von Friedhelm Schilling

Einsatzbereich: Kinder im Alter von 5 bis 14 Jahren. Pädagogischer und klinischer Bereich. Das Verfahren: Der KTK dient der Messung des Entwicklungsstandes der Gesamtkörperbeherrschung und -kontrolle von Kindern mit und ohne Behinderungen und hat sich in den letzten 30 Jahren als Standard etabliert. Er besteht aus den vier Untertests Rückwärts Balancieren (RB), Monopedales Überhüpfen (MÜ), Seitliches Hin- und Herspringen (SH) und Seitliches Umsetzen (SU), die sämtlich das Merkmal Gesamtkörperbeherrschung erfassen. Zum Verfahren gehören standardisierte Testmaterialien und ein umfangreiches Testmanual mit Normtabellen A für motorisch geförderte Kinder und Normtabellen B für alle anderen Kinder sowie lnterpretationshilfen. Das Testmanual wurde in der dritten Auflage durch Normtabellen und die neuere Studienergebnisse ergänzt. Normen: MQ-Standardwerte (M = 100, S = 15) und Prozentrangwerte für 5- bis 14-Jährige. Die Werte der neu erstellten Normtabellen B stammen aus einer Metaanalyse von Untersuchungen mit dem KTK zwischen 2006 und 2012 und schließen unter anderem größere Normierungsstichproben von Bös (2009) und Vandorpe (2010) ein. Bearbeitungsdauer: Ca. 20 Minuten. 04 040 01

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648,00 €

Marco Ennemoser Kristin Krajewski Daniel Sinner

Hogrefe Schultests

Einsatzbereich: Im gesamten Verlauf der 1. Klasse ab 6 Wochen nach Schuleintritt; ältere Kinder mit Rechenschwierigkeiten oder sonderpädagogischem Förderbedarf. Das Verfahren: Der MBK 1+ ist ein Gruppentest zur Erfassung mathematischer Basiskompetenzen, die als wichtige Voraussetzung für den späteren Schulerfolg in Mathematik gelten. Dem Verfahren liegt das entwicklungspsychologische Modell des Erwerbs der Zahl-Größen-Verknüpfung zugrunde. Der Test dient der ökonomischen Früherkennung von Entwicklungsrisiken über den gesamten Verlauf der ersten Klassenstufe hinweg. In sonderpädagogischen und lerntherapeutischen Arbeitsfeldern ist er auch bei älteren Kindern einsetzbar. Zudem hat sich das Verfahren in zahlreichen Trainings- und Längsschnittstudien als Instrument zur kurz- und langfristigen Evaluation von Fördermaßnahmen bewährt. Es steht eine Langund eine Kurzversion zur Verfügung. Bearbeitungsdauer: Die reine Testzeit beträgt 12 Minuten für die Kurz- und 21 Minuten für die Langversion.

01 355 01

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168,00 €


In diesem Buch werden sowohl die Grundlagen zum Verständnis von Motivation und Emotion in Lern- und Arbeitskontexten dargelegt als auch Beispiele für die Arbeit mit diesen Konzepten in verschiedenen Anwendungsbereichen illustriert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der anschaulichen Vermittlung dessen, wie theoretisches Wissen um Motivation und Emotionen für Anwendungen nutzbar gemacht werden kann.

Birgit Spinath / Oliver Dickhäuser / Claudia Schöne (Hrsg.)

Spinath / Dickhäuser / Schöne (Hrsg.)

Lautarium

Ein computerbasiertes Trainingsprogramm für Grundschulkinder mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten

Im ersten Teil werden theoretische Grundlagen, Diagnose- und Fördermöglichkeiten von Motivation und Emotion im Allgemeinen dargestellt. Dabei werden einige der für Forschung und Praxis fruchtbarsten theoretischen Ansätze vorgestellt, wie zum Beispiel diejenigen zu Fähigkeitsselbstkonzepten und Selbstwert. Der zweite Teil widmet sich verschiedenen Anwendungskontexten. Es wird veranschaulicht, wie das Wissen um Motivation und Emotionen etwa in der Schulpsychologie, der Psychotherapie und im Human Resources Management angewandt wird.

Psychologie der Motivation und Emotion

M. Klatte / C. Steinbrink / K. Bergström / T. Lachmann www.hogrefe.com

Das Verfahren: Lautarium ist ein computerbasiertes Trainingsprogramm zur Förderung von Grundschulkindern mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Das Programm umfasst insgesamt 58 aufeinander aufbauende Übungen zur Phonemwahrnehmung (Diskrimination und Identifikation von Konsonanten und Vokallängen), phonologischen Bewusstheit (Laute in Wörtern erkennen, Laute zu Wörtern verbinden, Wörter in Laute zerlegen), Graphem-Phonem-Zuordnung sowie zum lautgetreuen Lesen und Schreiben und zur schnellen Worterkennung („Blitzlesen“). Interaktive Instruktionen und eine adaptive Aufgabenabfolge erleichtern die selbstständige Durchführung. Zur Motivation werden richtige Antworten mit virtuellen Talern belohnt, sodass Objekte für ein animiertes Aquarium „eingekauft“ werden können. Trainingsstand und -verlauf des Kindes können anhand übersichtlich aufbereiteter Ergebnisstatistiken eingesehen werden. Die Wirksamkeit des Lautarium-Trainings wurde in mehreren empirischen Studien bestätigt. Drittklässler mit Lese-Rechtschreibstörung sowie Erst- und Zweitklässler mit und ohne Lese-Rechtschreibschwierigkeiten zeigten nach dem Training im Vergleich zu Kontrollgruppen signifikant stärkere Verbesserungen phonologischer und schriftsprachlicher Leistungen (inkl. USBStick).

50 857 01 Test komplett

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89,00 €

ISBN 978-3-8017-2876-2

Birgit Spinath Oliver Dickhäuser Claudia Schöne (Hrsg.)

Psychologie der Motivation und Emotion Grundlagen und Anwendung in ausgewählten Lern- und Arbeitskontexten

9 783801 728762

Grundlagen und Anwendung in ausgewählten Lernund Arbeitskontexten 2018, 208 Seiten, € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-8017-2876-2 Auch als eBook erhältlich

Im ersten Teil dieses Buches werden theoretische Grundlagen, Diagnose- und Fördermöglichkeiten von Motivation und Emotion im Allgemeinen dargestellt. Dabei werden einige der für Forschung und Praxis fruchtbarsten theoretischen Ansätze vorgestellt, wie zum Beispiel diejenigen zu Fähigkeitsselbstkonzepten und Selbstwert. Der zweite Teil widmet sich verschiedenen Anwendungskontexten. Es wird veranschaulicht, wie das Wissen um Motivation und Emotionen etwa in der Schulpsychologie, der Psychotherapie und im Human Resources Management angewandt wird.

Falko Rheinberg / Siegbert Krug

Rheinberg / Krug

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Motivationsförderung im Schulalltag Psychologische Grundlagen und praktische Durchführung

Motivationsförderung im Schulalltag

Hogrefe Verlagsgruppe

Reihe: Hogrefe Förderprogramme

Psychologie der Motivation und Emotion

Das Buch zeichnet sich durch einen starken Anwendungsbezug aus. Jedes Kapitel beginnt mit einem Fallbeispiel, das ein motivationales oder emotionales Problem illustriert. Davon ausgehend werden die theoretischen Konzepte erläutert und zentrale Forschungsbefunde dargestellt. Einschlägige diagnostische Instrumente werden kompakt vorgestellt. Die Kapitel werden durch eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse sowie durch Verständnisfragen abgerundet.

Falko Rheinberg Siegbert Krug

Motivationsförderung im Schulalltag Psychologische Grundlagen und praktische Durchführung 4., aktualisierte Auflage

4., aktual. Auflage 2017, 252 Seiten, € 34,95 / CHF 45.50 ISBN 978-3-8017-1950-0

Das Buch schildert die Entwicklung und Erprobung von Techniken, die zur Motivationsförderung im Schulalltag eingesetzt werden können. Dabei werden sowohl Maßnahmen für Schüler als auch für Lehrkräfte berücksichtigt. In den ersten Kapiteln werden die motivationspsychologischen Konzepte vorgestellt, die dem praktischen Vorgehen zugrunde liegen. Anschließend werden die Herleitung, Durchführung und Erprobung der einzelnen Interventionsund Trainingsmaßnahmen beschrieben.

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Informationen Bildungs- und Interaktionsprozesse in den ersten drei Lebensjahren im Spiegel des Deutschen Bildungsservers Andrea Völkerling

Die Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige befindet sich nach wie vor im Ausbau. Gleichzeitig sind die Anforderungen an die pädagogischen Fachkräfte gestiegen. ­Einer passgenauen Aus- und Fortbildung kommt daher eine zentrale Rolle zu. Die folgenden Linktipps wurden unter diesem Blickwinkel ausgesucht und insbesondere dem Portal KiTaFachtexte, einer Kooperation der Alice Salomon Hochschule (ASH), der FRÖBEL Gruppe und der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) zur Professionalisierung in der Frühpädagogik, entnommen.

1. Fachliteratur Daldrop, K. (2016). Die Garderobensituation im Krip­ penalltag – Mikrotransition und Aktivität des tägli­ chen Lebens. Qualitative Interaktionsgestaltung und Assistenz. KiTa Fachtexte www.bildungsserver.de/link/kita-fachtexte_daldrop „Das An- und Ausziehen in der Garderobe ist eine täglich wiederkehrende Situation im pädagogischen Alltag. Kinder in der Krippe benötigen zur Bewältigung dieser Situation die Assistenz der pädagogischen Fachkräfte. Dabei lernen sie verschiedene Aspekte des An- und Ausziehens nach und nach selbstständig zu bewältigen und sich um den eigenen Körper und das eigene Wohlergehen zu kümmern. … Die Interaktion bei der Assistenz, die die pädagogischen Fachkräfte dabei gestalten, unterstützt oder hemmt Kinder im Aufbau dieser Kompetenzen. Zugleich führt eine Vielzahl an Faktoren dazu, dass die Situation entweder eher stressvoll und hektisch oder harmonisch und ruhig erlebt wird.“

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Hörmann, K. (2013). Die Entwicklung der FachkraftKind-Beziehung. KiTa Fachtexte www.bildungsserver.de/onlineressource.html?online ressourcen_id=57520 „In diesem Beitrag wird auf die Bedeutung von Beziehungen außerhalb der Familie und deren historische Entwicklung Bezug genommen. Es werden detailliert die Grundelemente für den Aufbau einer positiven Beziehung zwischen Fachkraft und Kind beschrieben, indem sowohl die Beziehungsqualität als auch die Beziehungsaufgaben der Fachkraft geschildert werden. Der Fokus liegt dabei auf dem Verhalten der / des Erwachsenen, die durch Reflexionsfragen zur Beziehungsgestaltung in der Praxis angeregt werden. Neben der persönlichen, individuellen Beziehungsgestaltung zwischen Fachkraft und Kind werden die Kontextfaktoren betrachtet, innerhalb derer sich Beziehungen in Kitas entwickeln.“

Leitner, B. (2013). Kommunikation mit Kindern in den ersten Lebensjahren. Bedingungen für gute Beziehun­ gen von Erzieherinnen und Kindern. Frankfurt/M.: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft www.bildungsserver.de/link/gew_leitner Welche Bedürfnisse haben Kinder und Erzieher_innen, wenn sie miteinander interagieren? Meist geht es bei der Beobachtung und Reflexion von Kommunikation und Beziehungen allein um die Kinder. Ihre Bildungsprozesse stehen im Mittelpunkt frühkindlicher Pädagogik. Die Autorin hat sich in ihrer Pilotstudie „Beobachtung und Reflexion des Kommunikations- und Beziehungsalltags in einer Kita bei der Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren“ mit der Frage beschäftigt, wie es Erzieher_innen geht, wenn sie mit Kindern kommunizieren.

Frühe Bildung (2018), 7 (1), 55–57


56 Informationen

Nentwig-Gesemann, I., Fröhlich-Gildhoff, K., Harms, H. & Richter, S. (2012). Professionelle Haltung – Identi­ tät der Fachkraft für die Arbeit mit Kindern in den ers­ ten drei Lebensjahren. WiFF Expertise, Band 24. Mün­ chen: Deutsches Jugendinstitut www.bildungsserver.de/link/wiff-expertise_24 „Das Thema ‚Professionelle Haltung der Fachkraft für die Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren‘ wird in dieser Expertise vor dem Hintergrund aktueller Professionalisierungsdiskurse und Kompetenzmodelle bearbeitet. Die Autorinnen und der Autor beschreiben Kernkompetenzen für eine professionelle Haltung und fassen diese in einem Kompetenzprofil zusammen. Mit Blick auf die Praxis von Weiterbildung werden aktuelle Angebote zum Thema beleuchtet und analysiert, sinnvolle Formate der Weiterbildung diskutiert sowie zusätzliche Empfehlungen für die Gestaltung von Weiterbildungen zur (Weiter-)Entwicklung einer professionellen Haltung gegeben.“

Remsperger, R. (2016). Interaktionsgestaltung in der KiTa. Auf das Wie kommt es an! Osnabrück: Nieder­ sächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung www.bildungsserver.de/link/nifbe_remsperger Dass die Beziehungsgestaltung ein wesentliches Qualitätsmerkmal ist, um frühkindliche Bildungsprozesse zu unterstützen, ist in der Kindheitspädagogik unbestritten. Welche Rolle aber spielt die Gestaltung von Interaktionen in lebenslangen Bildungsprozessen? Der Artikel befasst sich mit Bildungsprozessen von Kindern, der Interaktionsgestaltung mit Kindern und der Interaktionsgestaltung für ein lebenslanges Lernen.

Schmelzeisen-Hagemann, S. (2012). Aufbau emotio­ naler Bindungen durch „beziehungsvolle Pflege“ nach Pikler. KiTa Fachtexte www.bildungsserver.de/link/kita-fachtexte_ schmelzeisen „Ein vor 60 Jahren von der Kinderärztin Emmi Pikler in Ungarn erprobtes und später weiterentwickeltes, kind- und bindungszentriertes pädagogisches Konzept frühkindlicher Betreuung findet heute nachträglich Bestätigung in der psychologischen und neurobiologischen Entwicklungsforschung. Praxisgerecht bietet die ‚Piklermethode‘, die nur als eine verinnerlichte persönliche Grundhaltung zu verwirklichen ist, in der Pflegesituation den professionellen Beziehungsstil, der den Bindungsbedürfnissen von Säuglingen und Kleinkindern gerecht wird.“ Frühe Bildung (2018), 7 (1), 55–57

Schneider-Andrich, P. (2011). Themen und Entwick­ lung früher Peerbeziehungen. KiTa Fachtexte www.bildungsserver.de/link/kita-fachtexte_ schneider-andrich „Peers sind Mitglieder einer sozialen Gruppe und stehen in reziproker Beziehung zueinander. Sie sind durch ähnliche Merkmale wie Alter, Geschlecht oder soziale Herkunft miteinander verbunden. Die Beziehungen zwischen jungen Peers zeichnen sich, im Vergleich zu älteren Kinder- und Jugend-Peergruppen, durch spezifische Ausprägungen in Größe, Beständigkeit, Reziprozität und Interaktionen aus. Sie gestalten sich vorrangig als Spiel- und Übungsfeld zur gegenseitigen Inspiration, um soziale, kognitive und sprachliche Kompetenzen auszubilden. Kleinkinder verfügen aber auch über Kompetenzen, um Beziehungen zu anderen Kindern von Anfang an gestalten zu können.“

Weltzien, D. (2011). Begleitung von Kooperation und Spiel Null- bis Dreijähriger. KiTa Fachtexte www.bildungsserver.de/link/kita-fachtexte_weltzien „Peerbeziehungen in den frühen Jahren stellen Erfahrungspotentiale bereit, die für die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung im Kindesalter in hohem Maße förderlich sind. Spielpartner können in ihren Aktivitäten Gemeinsamkeiten und Unterschiede entdecken, sich gegenseitig unterstützen und Interessen miteinander aushandeln lernen. Das kindliche Spiel ist als bedeutsamer Lebensbereich untrennbar mit Beziehungen zu anderen verknüpft. Allerdings kommt es in gemeinsamen Spielhandlungen im frühen Kindesalter auch zu Situationen der Überforderung. Es ist die Aufgabe von Erwachsenen, die sozial-emotionalen Lernprozesse von Kindern feinfühlig zu begleiten und sie bei Kooperation und Spiel zu unterstützen, wenn sie an die Grenzen ihres Wissens und Könnens geraten.“

Wirts, C. (2012). Kommunikation von und mit Klein­ kindern im ersten Lebensjahr. KiTa Fachtexte www.bildungsserver.de/link/kita-fachtexte_wirts „Der Studientext beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der frühen Kommunikationsentwicklung, die für die Interaktion mit Krippenkindern praktische Relevanz besitzen. So wird beginnend bei den ersten Lautäußerungen des Säuglings die Bedeutung von eigenem Initiieren, Blickkontakt, Aufmerksamkeit, Gesten, früher Artikulation und Prosodie für die Kommunikation zwischen Bezugspersonen und Kind verdeutlicht. Dabei werden immer auch Konsequenzen für das pädagogische Handeln thematisiert, um einen Transfer des theoretischen Wissens in die praktische Umsetzung zu erleichtern.“ © 2018 Hogrefe Verlag


Informationen 57

2. Filme

3. Netzwerk

Lerngelegenheiten für Kinder bis 4. 40 Kurzfilme über frühkindliches Lernen im Alltag www.kinder-4.ch/

Netzwerk Fortbildung: Kinder bis drei https://netzwerk-fortbildung.jimdo.com/

Auf dem Portal stehen 40 Kurzfilme mit Anregungen, wie Eltern und Betreuungspersonen alltägliche Situationen mit Kindern zum Lernen nutzen können, bereit. Die Filme sind pädagogisch abgestützt durch den „Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz“, der 2012 vom Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz und der Schweizerischen UNESCO-Kommission lanciert wurde. Jeder Kurzfilm greift ein spezifisches Thema auf, das im Orientierungsrahmen enthalten ist, und ist einem bestimmten Lebensjahr zugeordnet. Zusätzlich stehen in einem passwortgeschützten Bereich für Aus- und Weiterbildungsinstitutionen sowie für Fachpersonen insgesamt 80 Filme als Curriculumbausteine zur Verfügung.

Das Netzwerk Fortbildung ist ein beruflich-fachlich orientiertes Netzwerk zur Qualifizierung und zum Austausch der Fortbildner_innen und Berater_innen, deren Adressaten Erzieher_innen und Kindertagespflegepersonen sind, die Kinder in den ersten drei Lebensjahren betreuen und ihnen eine Vielfalt von Bildungsmöglichkeiten eröffnen.

Kontakt: Andrea Völkerling, Redaktionsbereich Elementarbildung beim Deutschen Bildungsserver, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), Informationszentrum Bildung, Schloßstr. 29, 60486 Frankfurt am Main, voelkerling@dipf.de https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000363

Veranstaltungen 20.02. – 24.02.2018 Didacta 2018 Kita-Seminare, Fachtag Fachberatung, Fachtag Mehr­ sprachigkeit und Aktionstag Veranstaltungsort: Messe Hannover Internet: www.didacta-hannover.de 09.03. – 10.03.2018 Münchner Symposion Frühförderung 2018 Herausforderungen annehmen, neue Wege wagen Veranstaltungsort: Ludwig-Maximilians-Universität München Internet: www.fruehfoerderung-bayern.de/muenchnersymposion-fruehfoerderung-2018 15.03. – 16.03.2018 8. Papilio-Symposium 2018 Prävention braucht Integration Veranstaltungsort: Universität Halle-Wittenberg Internet: www.papilio.de/symposium.html 18.03. – 21.03.2018 26. Kongress der Deutschen Gesellschaft für ­Erziehungswissenschaft (DGfE): Bewegungen Veranstaltungsort: Universität Duisburg-Essen Internet: www.dgfe2018.de 08.06. – 09.06.2018 Fachtagung Sprache Veranstaltungsort: Congress Centrum Heidenheim Internet: www.fachtagung-sprache.de © 2018 Hogrefe Verlag

28.08. – 31.08.2018 EECERA 28th Conference Veranstaltungsort: Budapest Internet: www.eecera2018.org Deutscher Kitaleitungskongress 2018 06.03. – 07.03.2018 Düsseldorf, 10.04. – 11.04.2018 Leipzig, 24.04. – 25.04.2018 Berlin, 12.06. – 13.06.2018 Stuttgart, 26.06. – 27.06.2018 Augsburg, 25.09. – 26.09.2018 Berlin Internet: www.deutscher-kitaleitungskongress.de/2018

Weitere Veranstaltungen finden Sie im Veranstaltungs­ kalender des Deutschen Bildungsservers unter www.bildungsserver.de/termine/terminesuchform.html Hier können Sie gezielt nach aktuellen und zukünftigen Veranstaltungen im frühpädagogischen Bereich recherchieren. HOGREFE Tagungsplaner© (HTP) http://www.hogrefe.de/veranstaltungen/tagungen-undkongresse/ Der HOGREFE Tagungsplaner© (HTP) bietet Ihnen darüber hinaus ein umfassendes Verzeichnis von Tagungen, Kongressen und Symposien im Bereich der Psychologie und Psychiatrie. Sie können sich nach verschiedenen Suchkriterien die passende Tagung oder den passenden Kongress anzeigen lassen. https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000364 Frühe Bildung (2018), 7 (1), 55–57


Rezensionen Beziehung und Interaktion. Erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Theorie und Praxis Anke König Ludwig Liegle (2017) Beziehungspädagogik. Erziehung, Lehren und Lernen als ­Beziehungspraxis. Stuttgart: Kohlhammer, 332 Seiten, EUR 34,00 ISBN 978-3-17-029382-3

Die Gestaltung von Beziehungs- und Interaktionsprozessen hat sich in den letzten Jahren – insbesondere im Zusammenhang mit dem Begriff der Prozessqualität – als zentrales Forschungsgebiet der Frühen Bildung etabliert. Daher ist es von hohem Interesse, sich mit dem jüngst erschienenen Buch von Ludwig Liegle, Beziehungspädagogik, aus der Perspektive der Frühen Bildung näher zu befassen. Der Text verbindet reflexive Schärfe mit profundem erziehungswissenschaftlichem Wissen und ermöglicht so eine gewinnbringende Auseinandersetzung mit der „grundlegenden Bedeutung der Beziehung im Rahmen der Theorie und Praxis der Erziehung“ (Liegle, 2017, S. 16). Dabei ist es nicht die Absicht des Autors, neue Paradigmen zu setzen, vielmehr möchte er bestehende Beziehungskonzepte systematisieren und erweitern. Er weitet dabei seine Perspektive vom institutionellen Raum auf die vielfältigen lebensweltlichen Erfahrungsräume der Subjekte aus. Im Kontext der Frühen Bildung ist darauf hinzuweisen, dass Liegle hier den Begriff Beziehung nicht in seiner engen Bedeutung als sozial-emotionalen Prozess versteht, sondern ihn weiter und zwar hinsichtlich seiner intersubjektiven und relationalen Aspekte fasst. Die Monographie gliedert sich in acht Teile. Nachdem er die Bedeutung der inter- und intragenerationalen Beziehungen erläutert hat, systematisiert der Autor unterschiedliche Beziehungstheorien von Hegel bis zu Tomasello. Um die Prozesshaftigkeit von Erziehung und Bildung deutlich zu machen, knüpft Liegle hier konsequent an Handlungstheorien an. In den folgenden Teilen geht er auf die institutionellen Erziehungsprozesse, auf Peer-Beziehungen sowie auf weitere Erfahrungsräume des Subjekts mit der Natur, mit Objekten und kulturellen Artefakten Frühe Bildung (2018), 7 (1), 58–61

ein. Danach beleuchtet Liegle den menschlichen Selbstbezug, um anschließend die Notwendigkeit einer Ethik als Basis einer „Beziehungspädagogik“ zu postulieren. Abschließend nimmt der Autor die Evolutionsforschung in den Blick – für jüngere erziehungswissenschaftliche Texte in Deutschland ist das relativ unüblich – und nimmt damit Bezug auf anthropologische Diskurse. Das Buch gibt Einblick in die vielfältigen Theoriekon­ zepte der Pädagogik und knüpft gekonnt an Forschungsarbeiten unterschiedlicher Subdisziplinen der Erziehungs­ wissenschaft an. Den Erziehungsbegriff charakterisiert Liegle als bipolar und deutet die Beziehungen zwischen Subjekten, Objekten und der Kultur als grundlegend für ­Bildungsprozesse. Liegle hebt mit seiner Auseinandersetzung damit einmal mehr die Beziehung zwischen Mensch und Welt von Anfang an hervor, verortet diese aber im Kontext der gegenseitigen Relationalität. Darin erst spiegelt sich der Wert dieser Beziehungen für die Ermöglichung von Bildung. In seinen Auseinandersetzungen weist er nicht nur auf formale und non-­formale, sondern insbesondere auch auf die informellen Lernprozesse für die Entfaltung der Persönlichkeit hin. Unter dieser Betrachtungsweise wird bei Liegle Partizipation zur Schlüsselkategorie (Liegle, 2017, S. 264) seiner Beziehungspädagogik, denn dieser Begriff ermöglicht es, die Qualität der Lerngemeinschaft zu beschreiben. Diese gewinnt in seinen Ausführungen durch die Unterstützung und Förderung des eigenständigen Handlungsvermögens der Kinder (Agency) durch Pädagoginnen und Pädagogen. Liegle glückt es mit seinem Überblickswerk, der Komplexität pädagogischen Handelns unter dem Fokus einer „Beziehungspädagogik“ oder auch Relationalen Pädago© 2018 Hogrefe Verlag


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gik gerecht zu werden. Zu Recht stellt der Autor die Wechselwirkungen zwischen Subjekten in den Mittelpunkt und sieht diese als wichtige Grundlage, um von- und miteinander zu lernen. Insbesondere seine Skizze einer Ethik pädagogischer Beziehungen und seine Kriterien für eine sogenannte Fröhliche Pädagogik (in Anlehnung an Janucz Korcak) geben Anlass, über die „blinden Flecken“ in Theorie und Praxis der Pädagogik nachzudenken. Leider wurde das Buch nicht konsequent genug als Lehrbuch gestaltet. Schaubilder und Grafiken wären wünschenswert, um die Gedanken zu einer Beziehungspädagogik nicht nur zu skizzieren, sondern tatsächlich auszuführen. Zudem erweckt die Unausgewogenheit der Kapitelumfänge den Eindruck eines – wenn auch gewichtigen – Textfragments. Auch eine feinere Abstimmung der Textteile untereinander wäre für Lesende vorteilhaft, die

das Buch als Gesamtentwurf wahrnehmen möchten. Diese handwerklichen Mängel schmälern jedoch nicht die inhaltliche Bedeutung des Textes. „Beziehungspädagogik“ kann als Bereicherung der gegenwärtigen erziehungswissenschaftlichen Debatten gesehen werden und vermittelt der Frühen Bildung wertvolle Impulse, an diese anzuschließen. Es bleibt zu wünschen, dass das Buch breit rezipiert wird und damit einen Beitrag zur kritischen Weiterentwicklung von Theorie und Forschung leistet. Literatur Liegle, L. (2017). Beziehungspädagogik. Erziehung, Lehren und Lernen als Beziehungspraxis. Stuttgart: Kohlhammer. Rezensentin: Anke König, Deutsches Jugendinstitut, Nockherstr. 2, 81541 München, koenig@dji.de https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000365

Emotionale Entwicklung und kultureller Kontext Hartmut Rübeling Gabriel Scheidecker (2017) Kindheit, Kultur und moralische Emotion. Zur Sozialisation von Furcht und Wut im ländlichen Madagaskar. Bielefeld: transcript Verlag, 438 Seiten, EUR 59,99 ISBN 978-3-8376-3428-0

Wovor wir uns fürchten, worüber wir uns freuen, was uns traurig stimmt – und wie wir unsere Emotionen zum Ausdruck bringen, – das lernen wir von früher Kindheit an in sozialen Interaktionen mit Anderen. Bislang wurden die Bedingungen und Mechanismen der Sozialisation von Emotionen nahezu ausschließlich aus einem westlichen (europäisch-amerikanischen) Blickwinkel untersucht. In jüngster Zeit hat die kulturvergleichende Entwicklungs­ psychologie jedoch die universelle Gültigkeit dieser Perspektive in Frage gestellt. Und dies umso nachdrücklicher, als die übergroße Mehrheit der Weltbevölkerung nicht in den uns vertrauten westlich-urbanen kulturellen Kontexten lebt. Doch systematische Studien zur Sozialisation von Emotionen in Gemeinschaften, deren physische, ökono­ mische und soziale Lebensrealitäten sich deutlich von unseren westlichen unterscheiden, sind bisher rar. Hierzu © 2018 Hogrefe Verlag

l­iefert Gabriel Scheideckers Monografie einen wertvollen und faszinierenden Beitrag. Als Teil eines umfassenderen Forschungsprojektes, das sich mit der „Sozialisation und Ontogenese von Emotionen im Kulturvergleich“ befasst (s. Funk, Röttger-Rössler & Scheidecker, 2012), stellt sie einen Brückenschlag dar zwischen der ethnologischen ­ Emotionsforschung und der kulturellen Entwicklungspsychologie. Damit wendet sie sich an Leser_innen, deren gemein­sames Interesse sich darauf richtet, wie das emotionale ­Leben im Verlauf der Kindheit durch Erziehung und Sozialisation kulturell geprägt wird. Dem Konzept ethnologischer Feldstudien folgend hat Scheidecker als „teilnehmender Beobachter“ mehr als ein Jahr im Süden Madagaskars in dörflichen Gemeinschaften der Gemeinde Menamaty verbracht, deren Bewohner in der savannenähnlichen Landschaft Viehhaltung und ReisFrühe Bildung (2018), 7 (1), 58–61


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anbau betreiben. In diesen Gemeinschaften haben die Emotionen der Furcht und Wut eine herausragende „moralische“ Funktion. Das mag überraschen, werden sie doch oft den sog. Basisemotionen zugerechnet, die primär grundlegenden bio-psychischen Verhaltensanpassungen dienen. Doch Scheidecker gelangt nach der kritischen Sichtung ethnologischer, emotions- und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse zu dem Schluss, „dass bio-psychische und soziokulturelle Dimensionen das Emotionale gleichermaßen konstituieren“ (S. 21). Und er belässt es nicht bei dieser These, sondern macht sich zur Aufgabe, die Einbettung von Furcht und Wut in die sozialen Beziehungs- und Interaktionsmuster der Dorfgemeinschaften von Menamaty aufzuklären. Damit verfolgt er einen originellen Ansatz, denn bisher richtete sich der Blick beim Studium der Emotionsentwicklung und -sozialisation fast ausnahmslos auf einen begrenzten Erfahrungsausschnitt, wie z. B. die Mutter-Kind Dyade. Scheideckers Aufmerksamkeit gilt dagegen der gesamten sozio-kulturellen Umwelt von Kindern und Jugendlichen. In dieser „Entwicklungsnische“ findet er bei den Bewohnern von Menamaty zwei disparate Beziehungs- und Interaktionsmuster, deren Koexistenz sich als Schlüssel für das Verständnis der Emotionssozialisation erweist: Hierarchische Beziehungen innerhalb der eigenen väterlichen Verwandtschaftsgruppe – und egalitäre Beziehungen zwischen nicht-verwandten Personen, insbesondere auch zwischen gleichaltrigen Kindern (peers). Er liefert eine Fülle eindrucksvoller Belege dafür, dass sich die Emotionen der Furcht und Wut entlang dieser Sozialrelationen differenzieren: Durch Erziehung zu Furchtsamkeit (i. S. furchtsamer Respektierung von Autoritätspersonen) sollen Kinder lernen, sich in das hierarchische Beziehungsgefüge einzufügen. Furcht, vor allem vor körperlichen Sanktionen, hat dabei eine sozialisierende Funktion. Sofern Kinder Wutreaktionen gegenüber Autoritätspersonen äußern, sollen diese durch Furcht vor Bestrafung gehemmt werden. Dagegen werden furchtlose und intensive Äußerungen von Wut und Ärger in egalitären (peer-) Beziehungen als Demonstration individueller Durchsetzungskraft und Autonomie akzeptiert. Gestützt auf die detaillierte Analyse des lokalen Emotionsvokabulars zeigt Scheidecker, dass sich Wut und Furcht im Laufe der Ontogenese zu einer „Wut- bzw. Furcht-Familie“ auffächern und so auf markante Veränderungen der Interaktionsmuster abgestimmt werden. Scheideckers Beobachtungen stehen nicht nur in scharfem Kontrast zu unseren westlich geprägten Erfahrungen und Auffassungen, sie stellen auch die Brauchbarkeit der herkömmlichen Differenzierung zwischen westlichen und nicht-westlichen Sozialisationsmodellen (Markus und Kitayama, 1991) in Frage. Denn sie zeigen, dass die Erziehung innerhalb der (nicht-westlichen) ländlichen Region im südlichen Madagaskar sowohl auf respektvolle EinordFrühe Bildung (2018), 7 (1), 58–61

nung in die soziale Hierarchie der Verwandtschaftsgruppe ausgerichtet ist, als auch auf die (in westlichen Kulturen wertgeschätzte) Entwicklung von Autonomie und Individualität. Zwar wurde die Pa­ rallelität unterschiedlicher ­Sozialisationsziele auch bisher schon thematisiert, etwa im kulturellen Milieu nicht-westlicher städtischer Mittelschichten (Kağitçibaşi, 2007), dort jedoch als Ausdruck der Überlagerung unterschiedlicher öko-sozialer Kontexte. Scheideckers funktionale Einbettung der Emotions­ sozialisation in die Beziehungs- und Interaktionsmuster der Gemeinschaft geht weit darüber hinaus. Sie ermöglicht es, aus einer entwicklungspsychologischen Perspektive die Transformationen der Wut- und Furchtregulation als charakteristische Entwicklungspfade zu rekonstruieren. Dass er dabei dem Säuglingsalter und der frühen Kindheit besondere Beachtung schenkt, liegt auf der Hand, denn hier werden spätere Sozialisierungsprozesse angebahnt. Möglich ist dies, weil die Kinder von Menamaty von Beginn an in ein dichtes soziales Netz hineingeboren werden, in dem sie bereits verschiedenartigste Sozialerfahrungen machen. Mit Hilfe gezielter Befragungen von Müttern, Videografien und systematischer Verhaltensbeobachtungen – in Anlehnung an Konzepte der kulturvergleichenden Entwicklungspsychologie (Keller, 2007) – gelingt es ihm, die frühe Erfahrungswelt der Kinder von Menamaty mit ungewöhnlicher Detailgenauigkeit zu erfassen. Von den zahlreichen eindrucksvollen Ergebnissen seien hier nur die Analysen körperzentrierter Betreuungsformen (Körperkontakt, Körperstimulation, Stillen) genannt, die sich dadurch auszeichnen, dass „… die Bezugsperson klar eine gebende, aktive und das Kind eine empfangende, passive Rolle (übernimmt)“ (S. 275). So betrachten etwa die Mütter von Menamaty, anders als Mütter in westlich-urbanen Milieus, das Stillen nicht als eine Gelegenheit zu intimer Zuwendung und emotionalem Austausch, sondern ausschließlich als Mittel, den Säugling mit Nahrung zu versorgen und so sein körperliches Gedeihen zu fördern und ihn bei Unbehagen rasch zu beruhigen. Scheidecker vermutet, dass die verlässliche, auf die aktuellen körperlichen Bedürfnisse des Säuglings abgestimmte Versorgung mit Nahrung „eine zentrale Basis für die Sozialisation des hierarchischen Beziehungsmodells schaff(t).“ (S. 259). Denn auch in späterem Alter werden in der Gemeinschaft der Bewohner von Menamaty hierarchische Beziehungen ­generell „über die Weitergabe von Nahrung und Segen oder Lebenskraft an die Nachkommen konzeptualisiert“ (S. 259). Daher ist es nur konsequent, dass auch die Erziehung zur Furchtsamkeit während der Kindheit mit z. T. intensiven körperlichen Konsequenzen verbunden ist. Gabriel Scheidecker hat eine ambitionierte Monografie verfasst, die mehr ist als eine nüchterne wissenschaftliche Untersuchung der Emotionsentwicklung in den dörflichen Gemeinschaften des südlichen Madagaskar. Dabei geht es © 2018 Hogrefe Verlag


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ihm nicht darum, die Erziehungspraktiken der Menamaty Bewohner aus der Perspektive der eigenen Herkunftskultur moralisch zu bewerten, sondern sie im Kontext der sozialen, physischen und ökonomischen Lebensrealitäten begreiflich zu machen. Seine umfassende Analyse der kindlichen Entwicklungsnische und die detaillierte Rekonstruktion von Entwicklungspfaden stellt zahlreiche Annahmen und Konzepte der westlich geprägten Sozialisationsforschung und Kulturanthropologie auf den Prüfstand. Auch wenn sich die Ergebnisse seiner Untersuchungen zunächst auf die Bewohner einer ländlichen Region im ­Süden Madagaskars beziehen, so treffen sie in einigen zentralen Aspekten auch auf viele andere, nicht-westliche kulturelle Gruppen zu. Daher können sie uns wichtige ­Impulse zur Reflexion unserer eigenen, vertrauten Erziehungsziele und -praxis vermitteln, insbesondere angesichts der steigenden Anzahl von Kindern in frühpädagogischen Einrichtungen, deren Eltern in einem ländlichen, nicht-westlichen kulturellen Kontext aufgewachsen sind (vgl. Schneewind und Landowsky, 2016). So kann vor allem die von Kindern geforderte gehorsame Respektierung von Beziehungshierarchien in Konflikt geraten mit der bei uns vorherrschenden hohen Wertschätzung von Eigenständigkeit und Individualität. Für viele Eltern dürfte zudem auch die Forderung nach einer aktiven Mitwirkung in frühpädagogischen Einrichtungen eher eine distanzierend-passive Haltung hervorrufen, wird doch der_die ­Erzieher_in oft gerade nicht als Teil einer eng verbundenen kulturellen Gemeinschaft wahrgenommen, wie sie z. B. bei den ländlichen Menamaty-Bewohnern anzutreffen ist. Diese und weitere mögliche Konfliktfelder erfordern einen kultursensitiven Umgang mit Kindern und Eltern (Borke und Lamm, 2016), der den Anspruch auf die bestmögliche individuelle Förderung mit der Anerkennung kultureller Unterschiede verbindet.

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Wenngleich Scheideckers Monografie in erster Linie eine wissenschaftlich-objektive Untersuchung der Emo­ tionssozialisation ist (was allein sein breites Methodeninventar erkennen lässt), so gelingt es ihm doch, seinen Leser_innen mit der Schilderung persönlicher Erfahrungen und subjektiver Eindrücke ein lebendiges Bild des sozialen und physischen Lebenskontextes der Menschen aus Menamaty zu vermitteln. Dazu tragen auch die zahlreichen informativen Fotos bei. Die Monografie ist daher eine lohnende Lektüre für jeden, der durch die Konfrontation mit einer fremden Kultur seine Sensibilität für die Wahrnehmung der eigenen schärfen möchte. Eiligen Leser_innen seien die Zusammenfassungen am Ende der Kapitel und insbesondere die Schlussdiskussion empfohlen (ab S. 388). Literatur Borke, B. & Lamm, B. (2016). Kultursensitive Arbeit in der Krippe – Zentrale Alltagssituationen und wie Sie damit umgehen. In J. Schneewind & T. Landowsky (Hrsg.), Die Kita in der Einwanderungsgesellschaft (S. 79 – 90). Köln / Kronach: Carl Link. Funk, L., Röttger-Rössler, B. & Scheidecker, G. (2012). Fühlen(d) lernen: Zur Sozialisation und Entwicklung im Kulturvergleich. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft,15, 217 – 238. Kağitçibaşi, C. (2007). Family, Self, and Human Development across Cultures: Theories and Applications (2nd ed.). Mahwah, NJ: ­Lawrence Erlbaum Associates. Keller, H. (2007). Cultures of Infancy. Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates. Markus, H. R. & Kitayama, S. (1991). Culture and the Self: Implications for Cognition, Emotion, and Motivation. Psychological ­Review, 98, 224. Schneewind, J. & Landowsky, T. (Hrsg). (2016). Die Kita in der Einwanderungsgesellschaft. Köln / Kronach: Carl Link. Rezensent: Hartmut Rübeling, Universität Osnabrück, Institut für Psychologie, Karl-Arnold-Str. 38, 49090 Osnabrück, h ­ artmut. ruebeling@uos.de https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000366

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Mitteilungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern Gesetz zur Qualität in der ­Kindertagesbetreuung Mehr als 50 Professorinnen und Professoren aus den Bereichen frühkindliche Entwicklung, Bildung und Erziehung fordern die Bundesregierung auf, ein Gesetz zur Verbesserung der Qualität in Kita und Kindertagespflege auf den Weg zu bringen. „Um allen Kindern unabhängig von Herkunft und Wohnort gleiche Chancen zu ermöglichen, muss jede künftige Bundesregierung sicherstellen, dass auch in finanzschwachen Regionen ein bedarfsgerechter quantitativer und qualitativer Ausbau von Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege ermöglicht wird“, heißt es in dem Aufruf. „Es sollte dabei sichergestellt werden, dass die Mittel tatsächlich in der Kindertagesbetreuung und bei den Kindern ankommen.“ Initiiert wurde der Aufruf von Prof. Dr. Susanne Viernickel, Professorin für Frühpädagogik an der Universität Leipzig, Prof. Dr. Rahel Dreyer, stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit (BAG BEK) e.V. und Prof. Dr. Irene Dittrich, Sprecherin des Studiengangstags Pädagogik der Kindheit, welche damit die Initiative des Bündnisses für ein Bundesqualitätsgesetz von AWO, DCV / KTK und GEW unterstützen. „Quantität allein genügt nicht, wenn wir den Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege ernst nehmen wollen“, sagt Susanne Viernickel. Nur, wenn die pädagogische Qualität stimme, profitierten Kinder in ihrer sozialen, emotionalen und kognitiven Ent-

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wicklung. „Je schlechter der Personalschlüssel, umso höher ist das Risiko, dass Zuwendung und Bildungsanregung leiden und dass Kinder eben keine angemessene Förderung erfahren“, konstatiert Viernickel. Besonders verletzlich seien hier die unter dreijährigen Kinder. Rahel Dreyer kritisiert die großen Betreuungsunterschiede zwischen den Bundesländern – vor allem bei den jüngeren Kindern. Sie müssten bundesweit den individuellen Bedürfnissen der Kinder angepasst werden, sagt die Hochschullehrerin: „Nur dann kann sichergestellt werden, dass das Wohlbefinden insbesondere der unter Dreijährigen nicht aus den Augen verloren wird, und die ,KrippenGarantie‘ – wie es von der Politik formuliert wird – auch für sie erfüllt wird.“ Irene Dittrich mahnt zudem mehr Forschung zu konkreten Wirkungen pädagogischer Konzepte und Förderprogramme an: „Kein Medikament wird zugelassen, ohne dass es in zahlreichen Forschungsprojekten seine Wirkung belegt und die Nebenwirkungen so gut wie möglich ausgeschlossen wurden. Die lebenslangen Wirkungen pädagogischer Konzepte prüfen wir nicht.“ Nachzulesen ist der Aufruf mit einem Forderungskatalog an die Politik und mit der Liste aller Erstunterzeichnenden auf der Webseite der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit e. V.: http://www. bag-bek.eu https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000368

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Gutachterinnen und Gutachter 2017 Das Herausgeberteam möchte den folgenden Personen, die Gutachten für Frühe Bildung verfasst haben, für das Einbringen ihrer Expertise im Jahr 2017 danken. Ihre umsichtigen und fachgerechten Beurteilungen sind sehr geschätzt und wichtig für die Aufrecht­erhaltung der hohen Qualitätsstandards der Zeitschrift. Birgit Becker Michael Behr Dagmar Bergs-Winkels Sabine Bollig Simone C. Ehmig Michael Glüer Catherine Gunzenhauser Ulrich Heimlich Claudia Hruska Dieter Isler Tanja Jungmann Bernhard Kalicki Gisela Kammermeyer Anke König Susanne Körber Friederike von Lehmden Aline Lenel

Anne Lohmann Christian Lüders Christoph Mischo Anja Müller Frank Niklas Susanna Roux Maria von Salisch Daniel Schmerse Adelheid Smolka Nadine Spörer Anke Walzebug Andreas Wildgruber Michael Wünsche Ivo Züchner

https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000367

Erste Hilfe.

Selbsthilfe.

Wer sich selbst ernähren kann, führt ein Leben in Würde. brot-fuer-die-welt.de/selbsthilfe, IBAN: DE10 1006 1006 0500 5005 00

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Hinweise für Autorinnen und Autoren Die Zeitschrift Frühe Bildung versteht sich als multidisziplinäres Forum der wissenschaftlichen und praktisch-relevanten Diskussion aller Themen der frühen Bildung einschließlich des Schulübergangs und der Schuleingangsstufe. Sie repräsentiert mit theoretischen und empirischen Beiträgen den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung im Hinblick auf, Erziehung, Bildung und Betreuung im Kindesalter. Aufgegriffen werden Fragen der Professionalisierung von pädagogischen Fachkräften, der organisatorischen Verankerung früher Bildung sowie der individuellen Entwicklung von Kindern in frühen Bildungskontexten. Publiziert werden auch aktuelle Diskurse, Projekte und Innovationen der Frühpädagogik. Veröffentlicht werden in der Frühen Bildung die Rubriken: Schwerpunktbeiträge, Freie Beiträge, Diskussionen, Innovationen, Informationen und Rezensionen. Einsendung von Manuskripten. Alle Manuskripte sind in elektronischer Form an die geschäftsführende Herausgeberin zu senden: Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll, E-Mail: FrueheBildung@ifp. bayern.de Detaillierte Hinweise für Autoren finden Sie unter http://www. hogrefe.com/j/zfb Urheber- und Nutzungsrechte. Urheber- und Nutzungsrechte. Der Autor bestätigt und garantiert, dass er uneingeschränkt über sämtliche Urheberrechte an seinem Beitrag einschließlich eventueller Bildvorlagen, Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen und Tabellen verfügt, und dass der Beitrag keine Rechte Dritter verletzt. Der Autor räumt – und zwar auch zur Verwertung seines Beitrages außerhalb der ihn enthaltenen Zeitschrift und unabhängig von deren Veröffentlichung – dem Verlag räumlich und mengenmäßig unbeschränkt für die Dauer des gesetzlichen Urheberrechts das ausschließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung bzw. der unkörperlichen Wiedergabe des Beitrags ein. Der Autor räumt dem Verlag ferner die folgenden ausschließlichen Nutzungsrechte am Beitrag ein:

a) Das Recht zum ganzen oder teilweisen Vorabdruck oder Nachdruck – auch in Form eines Sonderdrucks, zur Übersetzung in andere Sprachen, zu sonstiger Bearbeitung und zur Erstellung von Zusammenfassungen (Abstracts); b) das Recht zur Veröffentlichung einer Mikrokopie-, Mikroficheund Mikroformausgabe, zur Nutzung im Weg von Bildschirmtext, Videotext und ähnlichen Verfahren, zur Aufzeichnung auf Bildund/ oder Tonträger und zu deren öffentlicher Wiedergabe – auch multimedial – sowie zur öffentlichen Wiedergabe durch Radio- und Fernsehsendungen; c) das Recht zur maschinenlesbaren Erfassung und elektronischen Speicherung auf einem Datenträger (z. B. Diskette, CDRom, Magnetband) und in einer eigenen oder fremden OnlineDatenbank, zum Download in einem eigenen oder fremden Rechner, zur Wiedergabe am Bildschirm – sei es unmittelbar oder im Wege der Datenfernübertragung – sowie zur Bereithaltung in einer eigenen oder fremden Online-Datenbank zur Nutzung durch Dritte; d) das Recht zu sonstiger Vervielfältigung, insbesondere durch fotomechanische und ähnliche Verfahren (z. B. Fotokopie, Fernkopie) und zur Nutzung im Rahmen eines sogenannten Kopienversands auf Bestellung; e) das Recht zur Vergabe der vorgenannten Nutzungsrechte an Dritte in In- und Ausland sowie die von der Verwertungsgesellschaft WORT wahrgenommenen Rechte einschließlich der entsprechenden Vergütungsansprüche. Nutzungsrichtlinien für Hogrefe Zeitschriftenartikel. Hinweise für Autoren zur Online-Archivierung einer elektronischen Version Ihres Manuskriptes finden Sie auf unserer Homepage unter http://hgf.io/nutzungsrichtlinien.

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Frühe Bildung Interdisziplinäre Zeitschrift für Forschung, Ausbildung und Praxis g

Jahrgang 6 / Heft 1 / 2017 Herausgeber Marcus Hasselhorn Yvonne Anders Fabienne Becker-Stoll Klaus Fröhlich-Gildhoff Iris Nentwig-Gesemann Franz Petermann Hans-Günther Roßbach Wolfgang Schneider Susanne Viernickel

Frühe Bildung Interdisziplinäre Zeitschrift für Forschung, Ausbildung und Praxis Schwerpunkt Zusammenarbeit mit Eltern

Wir freuen uns über die Einreichung von Beiträgen für unsere Zeitschrift. Weitere Informationen zur Zeitschrift sowie alle notwendigen Hinweise für die Einreichung von Manuskripten (Autorenhinweise) finden Sie auf unserer Homepage.

www.hogrefe.com/produkte/zeitschriften

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Kreativ Gefühle und Gedanken äussern

Pooky Knightsmith / Emily Hamilton

Das Coping-Colouring-Buch Ausmal- und Tagebuch für Jugendliche Übersetzt von Prisca Derungs. Bearbeitet von Lisa Marie Hempel. 2017. 216 S., Gb € 17,95 / CHF 24.50 ISBN 978-3-456-85827-2

Vollgepackt mit kreativen Aktivitäten, Bewältigungs- und Copingstrategien ist dieses Mal- und Tagebuch der perfekte Begleiter für dich, wenn es darum geht, dem Alltagschaos zu entfliehen, alles, was dich belastet, zu verarbeiten und die schönen Dinge festzuhalten. Egal, ob du von zu Hause oder der Schule gestresst bist, Angst hast oder einfach ein bisschen Entspannung brauchst, dieses Arbeitsheft bietet dir den Raum dazu, dir auf unterschiedlichen Wegen deiner Gefühle und Gedanken bewusst zu werden. Du entscheidest, ob du dies malend, lesend, schreibend oder zeichnend tun willst.

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Dieses Buch ermöglicht dir, deine Gefühle zu äußern und sie mit etwas Distanz noch einmal anzuschauen und zu erleben. Es ist erlaubt, zu weinen, zu lachen und zu genießen, viel mehr noch, es ist ausdrücklich erwünscht. Die Autorinnen unterstützen dich mit inspirierenden Zitaten, Gedichten, praktischen Ratschlägen, schönen Bildern und vor allem mit viel Platz zum Kreativwerden. Leg einfach los!


ESV 3-6 Emotionale und soziale Verhaltensweisen 3- bis 6-Jähriger

Emotionsregulationstraining (ERT) für Kinder im Grundschulalter

Ratingskala für pädagogische Fachkräfte C. Kiese-Himmel

Nina Heinrichs Arnold Lohaus Johanna Maxwill

Einsatzbereich: Für pädagogische Fachkräfte in Kitas, um erste Anhaltspunkte für mögliche emotionale und soziale Auffälligkeiten zu gewinnen. Das Rating ist keine spezifische Entwicklungsstandbestimmung. Das Verfahren: Störungen des emotionalen und sozialen Verhaltens zeichnen sich bereits im Kindergartenalltag ab und können die Ursache für spätere Lernstörungen, kognitive Störungen und Schulleistungsprobleme sein. Eine frühe Entdeckung ist daher unerlässlich. Die Ratingskala ESV 3-6 listet verschiedenste Verhaltensweisen eines Kindes in einer Kita auf. Aufgabe der pädagogischen Fachkraft ist es, deren Auftretenshäufigkeit in den letzten vier Wochen einzuschätzen. Empirisch wurde gezeigt, dass die Verhaltensliste inhaltlich ausdifferenziert ist und mit zwei Skalen die Konstrukte „internalisierende Verhaltensweisen“ (Skala 1) sowie „externalisierende Verhaltensweisen“ (Skala 2) erfasst. Aus der Addition der beiden Skalensummenwerte resultiert der Gesamtskalenwert. Für alle Skalenwerte kann bestimmt werden, ob die Häufigkeiten, in der ein Kind die beschriebenen Verhaltensweisen gezeigt hat, im Vergleich mit Jungen und Mädchen derselben Altersstufe auffällig oder unauffällig erscheinen. Bearbeitungsdauer: Durchführung: ca. 10 Minuten; Auswertung: ca. 5 Minuten.

01 545 01 Test komplett

www.hogrefe.com

78,00 €

Nina Heinrichs / Arnold Lohaus / Johanna Maxwill

Emotionsregulationstraining (ERT) für Kinder im Grundschulalter (Reihe: „Therapeutische Praxis“). 2017, 84 Seiten, Großformat, inkl. CD-ROM, € 39,95 / CHF 48.50 ISBN 978-3-8017-2766-6 Auch als eBook erhältlich

Therapeutische Praxis

Das Manual beschreibt die Durchführung eines Emotionsregulationstrainings (ERT) für Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren. Das ERT enthält Übungen zur Wissensvermittlung über Emotionen sowie Übungen zu den Teilprozessen der Emotionsregulation. Auf spielerische Weise werden Strategien zur Situationsselektion, Situationsmodifikation, Aufmerksamkeitslenkung, kognitiven Veränderung und Reaktionsmodulation vermittelt. Zahlreiche Arbeitsblätter liegen auf CD-ROM vor. Zusätzlich zum Manual sind Materialien zur Durchführung des Trainings über die Testzentrale (www.testzentrale.de) erhältlich.

Franz Petermann / Nicole Gust

Emotionale Kompetenzen im Vorschulalter fördern Das EMK-Förderprogramm Franz Petermann Nicole Gust

Emotionale Kompetenzen im Vorschulalter fördern Das EMK-Förderprogramm

2016, 74 Seiten, Großformat, inkl. CD-ROM, € 59,95 / CHF 75.00 ISBN 978-3-8017-2794-9 Auch als eBook erhältlich

Das Gruppenprogramm dient der gezielten Förderung emotionaler Kompetenzen bei Vorschulkindern. Unter Anleitung der pädagogischen Fachkraft lernen die Kinder spielerisch, Emotionen zu erkennen und zu benennen, Emotionen mimisch auszudrücken und die Ursachen von Emotionen zu verstehen. Darüber hinaus werden auch Spiele zum Umgang mit Emotionen und zur Förderung des prosozialen Verhaltens, der Empathie und der Selbstregulation durchgeführt.

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Aktuelle Sachbücher und Ratgeber Julia Weber

Ich fühle, was ich will Wie Sie Ihre Gefühle besser wahrnehmen und selbstbestimmt steuern 2017. 216 S., 3 farbige Tab., 45 Abb., Gb € 24,95 / CHF 32.50 ISBN 978-3-456-85557-8 Auch als eBook erhältlich

Laut einer aktuellen Studie sind ca. 10 % der Bevölkerung Deutschlands von „Gefühlsblindheit“, der sogenannten Alexithymie, betroffen. Julia Weber geht den Gefühlen mittels des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM®) auf den Grund und erklärt leicht verständlich und fundiert das Konzept der Alexithymie und ihrer Entstehung.

Hans Rudolf Olpe / Cora Olpe

Hirnwellness Alzheimer, Hirnschlag und Depressionen – von den Risiken zu präventiven Möglichkeiten 2017. 184 S., 3 Abb., Kt € 19,95 / CHF 26.90 ISBN 978-3-456-85605-6 Auch als eBook erhältlich

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Bei der Entstehung der schweren Hirnerkrankungen Alzheimer, Hirnschlag und Depressionen sind biologische, psychische und soziale Faktoren maßgeblich beteiligt. Diese Faktoren sind eng mit unserem Lebensstil verbunden und wir können sie daher selbst verändern. Ziel dieses Buch ist es, auf das große Potenzial präventiver Maßnahmen gegen die drei Krankheiten hinzuweisen.

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Embodiment Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen 3., unveränd. Aufl. 2017. 184 S., 34 Abb., Gb € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-456-85816-6 Auch als eBook erhältlich

Warum fällt es vielen Menschen so schwer, achtsam mit dem eigenen Körper umzugehen? Die vier Autoren gehen in „Embodiment“ dieser und anderen Fragen nach und kommen einmütig zum Schluss: Es ist höchste Zeit, das wichtigste Erfahrungsinstrument des Menschen zurückzuerobern: den Körper.

Georg H. Eifert et al.

Mit Ärger und Wut umgehen Der achtsame Weg in ein friedliches Leben mit der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) Übersetzt von Matthias Wengenroth. Mit einem Vorwort von Steven C. Hayes. 3., unveränd. Aufl. 2017. 248 S., 2 Abb., Gb € 24,95 / CHF 32.50 ISBN 978-3-456-85833-3 Wutanfälle sind überflüssig und peinlich. Auf Basis der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) zeigen die Autoren, dass es sinnlos ist, emotionale Reaktionen wie Wut und Ärger zu unterdrücken, sondern dass man lernen kann, sich diesen Gefühlen mit Verständnis und akzeptierender Achtsamkeit zuzuwenden.


Autismus-SpektrumStörungen

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Hannah Cholemkery / Janina Kitzerow / Sophie Soll / Christine M. Freitag

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Ratgeber AutismusSpektrum-Störungen

Christine M. Freitag Janina Kitzerow Juliane Medda

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Ratgeber Autismus-SpektrumStörungen Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher

Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher

Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie

(Reihe: „Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie“, Band 24). 2017, IX/162 Seiten, € 24,95 / CHF 32.50 (Im Reihenabonnement € 17,95 / CHF 24.50) ISBN 978-3-8017-2704-8 Auch als eBook erhältlich Der Leitfaden bietet in Form von Leitlinien einen umfassenden Überblick über die Diagnostik und Behandlung von Autismus-Spektrum-Störungen bei Kindern und Jugendlichen.

Marc Allroggen / Jelena Gerke / Thea Rau / Jörg M. Fegert

Marc Allroggen Jelena Gerke Thea Rau Jörg M. Fegert

Umgang mit sexueller Gewalt in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche Eine praktische Orientierungshilfe für pädagogische Fachkräfte

Umgang mit sexueller Gewalt in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche Eine praktische Orientierungshilfe für pädagogische Fachkräfte

(Reihe: „Ratgeber Kinder- und Jugendpsychotherapie“, Band 24) 2017, 62 Seiten, Kleinformat, € 9,95 / CHF 13.50 ISBN 978-3-8017-2705-5 Auch als eBook erhältlich Der Ratgeber informiert über Autismus-SpektrumStörungen und ihre Ursachen sowie häufig auftretende Schwierigkeiten im Alltag. Zudem werden Förder-, Behandlungs- und Unterstützungsmaßnahmen vorgestellt.

Anke Beyer / Arnold Lohaus Stressbewältigung im Jugendalter

Stressbewältigung im Jugendalter Ein Trainingsprogramm

Anke Beyer Arnold Lohaus

Ein Trainingsprogramm 2., überarbeitete Auflage

Therapeutische Praxis

2018, 110 Seiten, € 19,95 / CHF 26.90 ISBN 978-3-8017-2839-7 Auch als eBook erhältlich Der Band informiert Fachkräfte in pädagogischen Einrichtungen über Formen und Folgen sexualisierter Gewalt. Der Schwerpunkt liegt auf konkreten Handlungsempfehlungen zur Prävention von und zum Umgang mit sexueller Gewalt.

www.hogrefe.com

(Reihe: „Therapeutische Praxis“) 2., überarbeitete Auflage 2018, 130 Seiten, Großformat, inkl. CD-ROM, € 36,95 / CHF 45.90 ISBN 978-3-8017-2858-8 Auch als eBook erhältlich Das Stresspräventionsprogramm unterstützt Jugendliche dabei, aktuelle Belastungssituationen besser zu bewältigen und sich auf den Umgang mit zukünftigen Stresssituationen vorzubereiten.


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