HSLU Design & Kunst Objektdesign Bachelor-Thesis
Stefan Hensel
stefan.hensel@kleinsinn.ch
Abgabe: 12. Juni 2023
Mentorat: Mònica Gaspar
Florian Hauswirth
Einleitung
Wenn eines innerhalb der Konsumgesellschaft absolut beständig ist, ist es das Flüchtige; Das Laptop, welches den Anforderungen der neusten Programme nicht mehr stand hält; Die neuen Hightech-Gadgets des aktuellen iPhone, das zu regelmässigen Neuanschaffungen führt; Das Facelift eines Autos, welches nach zwei, drei Jahren notwendig wird, damit die Marke nicht den Anschluss auf dem Markt verliert und zudem den Käufer:innen, bzw. Leaser:innen ihre gesellschaftliche Stellung durch den Kauf eines schnittigen, neuen Autos festigt; Das Outfit, welches diesen Sommer den Modetrends entspricht, in der nächsten Badesaison jedoch schon nicht mehr in ist; Das extravagante Brillengestell, welches im Frühjahr gegen ein neues ersetzt werden muss; Das Sofa, welches zwar stylisch aussieht, aber relativ schnell aufgrund der vom Hersteller gewählten Materialität an Glanz und Sitzkomfort verliert; Oder die Neugestaltung einer Tasche, welche sich einzig in der Farbgebung, formal jedoch gar nicht von ihren Vorgängerinnen unterscheidet.
Das Flüchtige scheint in unserem Alltag unabdingbar zu sein und ist, wie in meiner schriftlichen Arbeit untersucht, mitunter auf die Kommodifizierung bzw. die Rekommodifizierung zurückzuführen, welche eine ständige Neudefinition des eigenen Seins mit sich bringt. Dabei werden die Aufgaben, Erwartungen und Wünsche, die an das Design und damit an die Designer:innen gestellt werden, immer komplexer:
Muss das Design zeitlos schön sein um möglichst lange in Gebrauch zu sein? Erlaubt es die Qualität, über zwei oder drei Hände weitergegeben zu werden? Muss das eine oder andere, wenn es schon nicht dauerhaft ist, in der Kreislaufwirtschaft eingebettet sein? Sprich, sind die Herstellungsbedingungen mit der gegenwärtigen SDG-Politik übereinstimmend?
Und sind alle diese Punkte mit einem günstigen Preis vereinbar?
Motivation
Die Motivation für meine gestalterische, praktische Arbeit umfasst die Auseinandersetzung mit genau diesen flüchtigen Alltagspraktiken, die unsere Gesellschaft formt. Der darin eingebettete Konsum bzw. die Konsumpraxen, welche sich darin abzeichnen, stellen dabei ein zentrales Element der Auseinandersetzung und des Spannungsfeldes, in dem ich mich als Designer befinde, dar. Die Frage, ob Design ausschliesslich für kommerzielle Belange dienlich sein muss, oder auch als Ausdrucksform von Wertevorstellungen gelesen werden kann, wird mich in meiner Arbeit stetig begleiten. Der Moment kurz vor dem Abschluss stellt für mich einen idealen Zeitpunkt dar, um mir meine eigenen Werte und die Positionierung in der Arbeitswelt nochmals vor Augen zu führen.
Präzise
In meiner praktischen Arbeit, die den Arbeitstitel Ephemer trägt, möchte ich das oben skizzierte Spannungsfeld zwischen den Vorzügen von Design und den kritsch zu hinterfragenden Zusammenhängen vom Konsum visuell darstellen und Ausdruck verleihen.
Dabei bediene ich mich dem Phänomen der Vergänglichkeit als Zeitraffer um diesen weitläufigen Diskurs überspitzt, prägnant zusammenzufassen.
Die Umsetzung der praktischen Arbeit zielt auf eine konkrete, genau ausgearbeitete Objektserie ab, welche in meinen Augen den Konsum - im speziellen die dazugehörige Wegwerfmentalität als negativen Aspekt - im Alltag repräsentiert. Die Objekte sollen aus einem vergänglichen Material z.B. Papier hergestellt werden um sie in einer Performance zerfallen zu lassen (z.B. durch Wasser oder Feuer).
Das passende Objekt für eine Serie:
Im Vorhaben noch als Objektserie undefiniert beschrieben, konnte ich das Objekt als solches ziemlich schnell als Tasche identifizieren. Die in meiner schriftlichen Arbeit beleuchtete Rekommodifizierung und der daraus resultierende Konsumzwang scheint perfekt mit meiner Vorstellung einer Taschenkollektion zu harmonieren; Denn sind die Taschen nicht die Komplizen des Konsums? Und stellen sie nicht perfekte Requisiten dar um uns Identität zu verleihen?
Bern, Zentrum Paul Klee, 30.03.2023, 12:00 Uhr;
Recherchephase
Während meine Gedanken um das Ephemere und die Faszination des Material Papier sowie dessen ästhetische Wirkung kreisten, begann ich verschiedenste Bücher zu durchforsten. Obwohl einige Herstellungsverfahren in ihrer Wirkung sehr vielversprechend wirkten, erschienen sie mir innerhalb der vorgegeben Zeit kaum umsetzbar. Ich musste einen Weg wählen, der zeitlich mit meiner Kapazität vereinbar war und wofür ich sämtliche Werkzeuge selber herstellen konnte. Ich besuchte das Materialarchiv in Winterthur und vereinbarte Termine mit Fachpersonen um tiefer in die Materialität einzutauchen.
Klucel® E; Klucel® G; M; G; GF; Auf der Suche nach passenden Papieren gab mir heute Myriam Weber, Restaurateurin im Zentrum Paul Klee einen Überblick über eine Reihe von Bindemitteln, welche in der Papierherstellung Anwendung finden. Insbesondere die Häute, die entstehen, wenn diese Bindemittel bzw. Verdickungsmittel eintrocknen, faszinierten mich.
Basel, Papiermühle, 30.03.2023, 14:00 Uhr;
René von Arb, Leiter der Papiermacherei, gab mir eine kleine Führung durchs Haus. Er zeigte mir den Schöpfprozess, welche Werkzeuge ich dabei benötige und welche Rohmaterialien in der westlichen Papierschöpfkultur verwendet werden.
16:00 Uhr;
Überflutet und überfordert von der Menge an Informationen, löse ich mich von dem Gedanken Papier zu schöpfen.
„Es hat mich eine enorme Anstrengung, eine grosse innere Anspannung gekostet, um jene Leere zu erreichen, die ich haben wollte.“ Leere, Joan Miró
Zürich, Atelier, 31.03.2023; 02.04.2023;
Die Häute, die ich bei Myriam Weber gesehen habe, gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich starte mit ersten Versuchen. Dafür halte ich mich an die im Datenblatt exakt angegebene Mengenverteilung: 3g Klucel® E oder G zu 97g Wasser, welches auf mindestens 60°C erhitzt werden muss. Je höher der Buchstabe im Alphabet, desto zähflüssiger die Lösung.
Die Lösung, die ich in Take-Away Kaffeebecherdeckel und probeweise mit Hilfe eines Metallringes auf ein Stück Leder gefüllt habe, sind getrocknet und haben die Schriften, die im Deckel eingeprägt sind bzw. die Lederstrukturen sehr gut übernommen. Weitere Experimente mit Pigmenten sind angedacht.
Luzern, HSLU, OD Küche, 03.04.2023;
„Die Häute sind schon schön aber bist du jetzt ganz weg vom Papier?“
Nach dem Mentorengespräch mit Florian bin ich etwas unsicher geworden. Die Häute sind wirklich sehr interessant, zumal sie sich bei Kontakt mit Wasser auflösen und so genau mit meiner Vorstellung des Zersetzens übereinstimmen. Nur haben sie, obwohl sie aus Zellulose – genauer aus Methylcellulose – bestehen, optisch rein gar nichts mit Papier zu tun. Florian gab mir den Tipp Anita aufzusuchen.
Luzern, HSLU, Farbraum, 18.04.2023;
Tylose® MH 1000 P2; Tylose® MH 300 P2; Gelatine; Agar-Agar; etc.
Anita Wanner gab mir einen kleinen Überblick über weitere Bindemittel und stellte mir einen Eimer Arbocel® zur Verfügung.
Luzern, HSLU, Farbraum, 20.04.2023;
Nach weiteren Experimenten mit den von Anita bereitgestellten Bindemitteln, zeichneten sich die Tylose® 300 und Tylose® 1000 - noch vor Klucel® E und G – als interessantes Material ab. Es ist flexibler und schwindet aufgrund der Viskosität weniger stark als Klucel® E und G. Mit der Frage von Florian im Kopf experimentiere ich weiter mit Tylose® und Arbocel® (Zelluloseflocken).
Luzern HSLU, Farbraum, 21.04.2023;
Das Ergebnis ist erstaunlich! Es sieht aus wie das zuvor im Buch recherchierte Extrusionsverfahren mit Papier, nur ohne Extruder und Metallnegativform. Es übernimmt die Prägungen des Kaffeedeckels, sowie zeichnet es genau die Strukturen des Leders ab.
„Probier’s mal mit Glycerin! Dann wir das Papier flexibler.“ Meri Zirkelbach
Ich wollte weiteres Zellulose-Material bei Meri abholen und nahm meine Proben gleich mit. Da die doch eher poröse Struktur mich störte und mich womöglich im späteren Prozess noch stören könnte, fragte ich Meri was man dagegen unternehmen könnte. Sie gab mir den Tipp mit dem Glycerin.
Die vorläufige Zusammensetzung/Rezeptur, die ich in der Experimentierphase herausgefunden habe und mit der ich in der Lage bin Leder zu imitieren besteht aus folgende drei Komponenten:
- 3%ige Lösung Tylose® 300 (100g)
- Arbocel® (5g)
- Glycerin (4g)
Luzern, HSLU, 25.4.2023;Kroatien, Vrsar
30.04. – 07.05.2023
Entwurfsphase
Mit meinen gesammelten Kenntnissen über das Material und der Idee Leder zu imitieren, verlagerte ich meinen Arbeitsort für die Entwurfsphase nach Vrsar um mit möglichst viel Inspiration, die mir die Weitsicht, das Kultivieren der Olivenbäume und die gemeinsame Zeit mit Freund:innen versprechen sollte, für meine Entwürfe, zu nutzen. Allerdings war das nur eine Wunschvorstellung. Zu viele Gedanken, die unter einen Hut Platz finden mussten, aber nicht so recht zusammenpassten; Der eigene Anspruch selber Taschen zu designen; Die schöne aber enorm unübersichtliche Vielfalt an Farben und Formen; Die unterschiedlichen Herstellungsmöglichkeiten, die sich mir ergeben; Die eigene Unsicherheit über das, was ich da mache und die Erwartungshaltung der Dozierenden über die zu Beginn kommunizierte Idee der Zerstörung. All jene Gedanken, die mich innerlich enorm angespannt und in meiner Entwurfsarbeit blockiert haben.
Kroatien, Vrsar, 06.05.2023, Der Entschluss
Am Ende dieser Woche, als meine lösungsorientierte Gedanken und schwer zu fassende Vorstellungen immer näher gerückt sind und zunehmend dieselbe Sprache fanden, löste ich mich vom anfänglichen Konzept, Papiertaschen anzufertigen, die nur für die reine Zerstörung vorgesehen waren.
Es war an der Zeit grundlegend meine Werte als Designer zu reflektieren und ins Bewusstsein zu rufen.
Der Akt das Ephemere, das bereits durch das Papier versinnbildlicht wird, zusätzlich durch die Zerstörung zu inszenieren, kam mir zu laut, zu mahnend und irgendwie sinnfrei vor; Denn konsumiere ich nicht auch und könnte es sein, dass ich nicht berechtigt bin, derart wertend zu agieren? Es war genau diese Auseinandersetzung, die es mir in dieser Woche unmöglich machte mein eigentliches Ziel – das Entwerfen – mit Überzeugung und Selbstsicherheit in Angriff zu nehmen.
„Ich arbeite wie ein Gärtner [...] Die Dinge entfalten sich langsam.[...] Die Dinge folgen ihrem natürlichen Lauf. Sie wachsen, sie reifen. Das Reifen geschieht in meinem Kopf.“
Joan MiróKlemens Grund, Dozierender im ersten Studienjahr, sagte mir, als ich heulend vor dem alten Klärbecken stand und krampfhaft nach einer Idee suchte, dass ich mit dem, was gegeben ist zu arbeiten habe. Irgendwie ironisch in Anbetracht meiner schriftlichen Arbeit und den zitierten Gedanken zu der Taktik die De Certeau gemacht hat. (Fussnote von meiner Arbeit S. 20)