Praktische Bachelorarbeit
Lea Tschanz
Frühlingssemester 2023
Hochschule Luzern, Design und Kunst
Praktische Bachelorarbeit
Lea Tschanz
Frühlingssemester 2023
Hochschule Luzern, Design und Kunst
In den letzten Jahren zog es mich immer wieder in die weite Welt. Mich fasziniert die Vielfalt der Menschen, ihre Lebensweisen, Traditionen und Bräuche. Besonders interessiert mich, wie sie wohnen, wie sie sich kleiden und wie sie Schmuck als Ausdrucksmittel ihrer Identität, als Statussymbol und als Zeichen der Zugehörigkeit verwenden. Für mich persönlich ist die visuelle Körperbemalung die aussagekräftigste Form, um mehr über einen Menschen zu erfahren. Ob es sich um einen roten Punkt auf der Stirn, ein Muster auf dem Kinn oder das Abzeichen des Lieblingsvereins auf der Wange handelt, diese Formen der Körperbemalung ermöglicht den Menschen einen kleinen Teil ihrer Identität preiszugeben. Es ist faszinierend zu sehen, wie diese individuellen Markierungen eine Geschichte erzählen und uns Einblicke in die Vielfalt und Einzigartigkeit der Menschen geben.
Die Haut verbindet uns – mit ihrer Hilfe spüren wir uns und andere – auf unserer Haut setzen wir Zeichen.
Der Ausgangspunkt für mein Bachelorprojekt ist die menschliche Haut. Die Haut ist unser grösstes Sinnesorgan und spielt nicht nur als Wahrnehmungsorgan eine zentrale Rolle, sondern auch als Ort des Ausdrucks von Emotionen, der Identitätszuschreibung und der Identitätsfindung. Die Haut ist eine durchlässige Membran, aber auch eine Art Leinwand, die Menschen aus allen Kulturen, in der Vergangenheit wie heute, bemalen. Dabei werden Pigmente (als Lippenstift, Lidschatten, als Körper- oder Kriegsbemalung und als Zeichnung) temporär aufgetragen oder permanent als Tattoo oder Ziernarbe unter die Haut gebracht. Die Haut wird bemalt, um Themen zu setzen. Es geht dabei um persönliche Identität, künstlerischen Ausdruck, um politische und soziale Botschaften zu senden, Emotionen und Gefühle sichtbare zu machen. Schliesslich werden auch kulturelle und religiöse Rituale hautnah gefeiert oder durch Gesichtsbemalungen in Gruppen- oder Leistungssport.
In meiner Bachelorarbeit plane ich ein Objekt / Werkzeug zu schaffen, das als temporärer Stempel funktioniert und sich durch Farbe auf der Haut abdruckt. Jeder Träger kreiert durch seine persönliche Identität, im Sinne von einzigartigen Bewegungen und unterschiedlichen Ritualen, ein temporäres Muster auf der Haut, das wie ein Tagebuch in einer neuen Sprache wirkt. Diese temporäre Hautkunst erzählt eine Geschichte von Identität und Ausdruck. Das eigentliche Schmuckstück wird zum Werkzeug und die Bemalung wird zum Schmuck. Die Vergänglichkeit der Hautbemalung unterstreicht die Einzigartigkeit jedes individuellen Moments und jeder persönlichen Erfahrung. Jeder Abdruck auf der Haut wird zu einem symbolischen Zeugnis eines bestimmten Augenblicks im Leben einer Person, das sowohl körperliche als auch emotionale Spuren hinterlässt.
Als Einstieg in meine Arbeit habe ich mir eine Sammlung von Methoden zusammengestellt, wie man sich die Haut durch ein Hilfsmittel temporär bemalen kann. Bei der ersten Methode habe ich mit dem Laser eine Schablone aus einer Folie gelasert. Danach habe ich die Folie auf meine Haut geklebt und mit einem, in Farbe getränkten Schwamm, betupft. Mit Hilfe von durchsichtigem Klebeband konnte ich die Bemalung von meiner Haut lösen und haltbar machen. Bei der zweiten Methode verwendete ich Acrylfarbe, die ich freihändig mit einem Pinsel auf meinen Unterarm malte. Wie bei der ersten Methode konnte ich das Muster von meiner Haut abziehen und auf einem Stück Aluminium verewigen. Bei der dritten Methode habe ich mit dem Laser eine einfache Form aus Moosgummi geschnitten. Den Moosgummi anschliessend mit Acrylfarbe bepinselt und auf meine Haut gestempelt. Durch diese ersten Versuche bekam ich ein Gefühl für meine Arbeit. Es war mir aber zu kontrolliert. Mir wurde klar, dass ich eine Bemalung kreieren möchte, die viel mehr mit dem Körper interagiert.
In meinen fortlaufenden Experimenten habe ich mein Interesse an den Menschen und ihrer vielfältigen Lebensweise weiter verfolgt. Dabei habe ich begonnen verschiedene Objekte und Schmuckstücke zu verwenden, um die Bewegungen des menschlichen Körpers aufzuzeichnen. Um diesen Effekt zu erzielen, habe ich die Objekte zunächst in tragbare Stücke umgewandelt. Anschließend habe ich sie mit schwarzer Acrylfarbe bepinselt und angezogen. Während ich diese Schmuckstücke trug, übertrug sich die Farbe von der Oberfläche des Stückes auf meine Haut und zeichnete so die Bewegungen meines Körpers ab. Ich trug die Schmuckstücke während alltäglichen Tätigkeiten wie Staubsaugen, Wäschewaschen, Zähneputzen, Kochen, etc.
Diese experimentelle Methode eröffneten mir eine neue Art, menschliche Bewegungen zu erfassen und darzustellen. Durch die Kombination von Schmuck und Körperbewegung entstanden faszinierende performative Aufzeichnungen. Diese Muster sind nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern sie reflektieren auch die individuelle Ausdruckskraft und Dynamik meiner Bewegungen. Jedes Schmuckstück wird zu einem einzigartigen Kunstwerk, das eine Geschichte von Bewegung und Selbstausdruck erzählt.
Durch die zahlreichen Versuche klärten sich viele meiner Fragen. Das Muster wird genauer abgezeichnet, wenn die Struktur der Form feiner ist. Das Objekt braucht ein gewisses Gewicht und soll nicht aufwendig in der Herstellung sein, damit es für jeden zugänglich ist. Der Abdruck kommt auf dem Dekolleté am besten zur Geltung. Die Farbe zeichnet sich optimal ab, wenn sie direkt auf die Objekte gepinselt wird. Fragen nach Wert und Wertigkeit kamen auf. Was bedeutet Wertigkeit? Wann ist etwas wertvoll? Wie viel Wert bist du dir selbst?
Mit zusätzlichen Experimenten versuchte ich den Wert der Objekte auf mich zu übertragen. Zu diesem Zweck setzte ich Farben ein, die eine tiefe Bedeutung und Geschichte verkörpern, wie zum Beispiel Blau und Rot. Ausserdem verwendete ich Gold und Silber, die in ihrer Symbolik und ihrem Wert eine reiche Tradition haben.
Im Verlauf der Experimente wurde mir bewusst, dass es nicht darum geht, einen bestimmten finanziellen Wert einzubringen. Vielmehr ist es der Wert meiner eigenen Person, der von Bedeutung ist. Ich habe erkannt, dass ich den Wert in meiner Arbeit anders interpretieren muss. Statt ihn als rein monetären Wert zu sehen, geht es vielmehr um die Wertschätzung meiner selbst.
Nebenbei habe ich mich damit beschäftigt, eine Farbe herzustellen, die gleichzeitig ausreichend haltbar ist, um als Schmuckstück getragen zu werden. Diese Farbe soll sich auch leicht auf der Haut abtragen. Dabei habe ich verschiedene Rezepte ausprobiert und verschiedene Materialien verwendet, darunter Vaseline, Reisstärke, Mehl, Plextol, Kluster, Glutolin, Zucker, Pigmente und Henna. Leider konnte ich jedoch keine Mischung finden, die meinen Ansprüchen gerecht wurde.
Nachdem meine bisherigen Experimente nicht meinen Ansprüchen genügten, musste ich mir etwas Neues einfallen lassen. In einem Mentoren-Meeting wurde mir der Gedanke nahegelegt: Warum etwas erfinden, das bereits existiert? Wie zum Beispiel die Kosmetikprodukte Lippenstifte, Wimperntusche und Lipgloss. Die Zusammensetzung der Farben ist bereits hautverträglich und durch die Behälter bleibt die Farbe stets frisch. Aus Interesse hängte ich einfache Wimperntusche und Lipgloss um meinen Hals, um zu sehen, welches Muster sich ergibt. Allerdings war das Ergebnis für meinen Geschmack zu unspektakulär. Daher entschloss ich mich, meinen eigenen Behälter/Kosmetikartikel zu entwerfen.
Während der Entwicklung wurde mir klar, dass das Wesentliche meiner Arbeit nicht im Design liegt, sondern im Poetischen. In meiner Arbeit geht es um das Zusammenspiel von Körper und Objekt, um die Schönheit des Vergänglichen zum Ausdruck zu bringen. Zurück zum Archaischen.
Mit dieser Erkenntnis begann ich mich für Objekte aus der Natur zu interessieren. Von Zweigen über Blätter bis hin zu Blumen probierte ich alles aus und legte sie auf meine Haut. Dabei beobachtete ich gespannt, welche Abdrücke sie hinterliessen und welche Wirkung sie erzeugten. Es faszinierte mich, wie durch die Verwendung von natürlichen Materialien meine Arbeit für jeden zugänglich wird und jeder in der Lage ist seine eigenen Werkzeuge herzustellen. Zudem spiegelte sich in der Nutzung natürlicher Objekte der Aspekt der Vergänglichkeit auf beeindruckende Weise wieder.
Ich begab mich auf die Suche nach verschiedenen Pflanzen, die sich für mein Projekt eigneten. Meine Familie diente dabei als meine Modelle. Jeder von ihnen durfte sich eine Pflanze auswählen, die ihnen persönlich gefiel. Diese Pflanzen funktionierte ich in Werkzeuge/ Gegenstände/ Utensilen um. Danach wurden die Stücke mit Farbe bepinselt, angezogen und für eine Weile getragen, bevor ich die entstandenen Muster fotografisch festhielt. Am Ende hatte ich über 300 Fotos, die ich für meine Präsentation verwenden konnte. Die finalen Aufnahmen bearbeitete ich mit Adobe Photoshop und liess sie auf A2 grosses Fotopapier drucken.
Bei der Ausstellung will ich den Besuchern die Möglichkeit geben, diese einzigartige Erfahrung selbst auszuprobieren. Aus diesem Grund entwarf ich einfache Boxen, in denen die Besucher ihre mit Farbe bepinselten, getragenen Werkzeuge/ Gegenstände/ Utensilien mit nach Hause nehmen können. Somit haben die Besucher eine Erinnerung an das Erlebnis, denn das Muster auf der Haut wird mit der Zeit verschwinden.
Menschen sind in ständiger Bewegung
–jeder Körper auf einzigartige Weise–in seinem eigenen Takt. Ich platziere kleine, mit Pigmenten getränkte
Gegenstände, Utensilien und Werkzeuge an die Körper meiner Familie, an mich selbst. Diese nehmen ihre Bewegungen
auf wie Seismografen. Es entstehen
einzigartige Spuren, unerwartete Muster
auf der Haut. Ich habe sie fotografiert, um mich zu erinnern. Farbe auf der Haut
ist für mich Schmuck, ganz archaisch, ganz ursprünglich und ganz im Jetzt.
In meiner Bachelorarbeit habe ich eine neue Methode entwickelt, um die Verbindung zwischen Natur, Mensch und Identität durch Bewegung zum Ausdruck zu bringen. Durch meine Arbeit habe ich eine neue Sichtweise auf die Individualität der Menschen und die Schönheit der Natur erlangt. Ich widme mein Augenmerkt nun viel mehr den kleinen unscheinbaren Details und den unbewussten Bewegungen. Während meines Prozesses habe ich verschiedene Aspekte erforscht, von denen einige letztendlich nicht relevant waren, wie die Entwicklung eines eigenen Behälters oder die Herstellung eigener Farben. Dennoch haben mir diese Schritte geholfen, meine Herangehensweise zu überdenken und den Schwerpunkt von reinem Design auf die poetische und archaische Qualität meiner Arbeit zu legen.
Ein grosses Dankeschön richte ich an Christoph Zellweger und Salome Burggisser für die stetige Unterstützung, Organisation und Vertrauen in den letzten drei Jahren. Vielen Dank auch an Ilona Schwippel, Anina Schenker und Thai Hua für die kritischen Stimmen und konzeptionellen Inputs. Grossen Dank an Monica Gaspar für die fachliche Hilfe bei der theoretischen Arbeit. Danke der talentierten Raisa Durandi für die grossartigen Fotos. Ein riesengrosses herzliches Dankeschön an meine Familie und Freunde, die mich während dieser Zeit immer bedingungslos unterstützt haben. Und natürlich danke ich meinen Mitstudentinnen und Mitstudenten für die tollen drei Jahre.