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Parkourparks als Bewegungsangebot
from sb 6/2022 (deutsch)
by IAKS
INTERVIEW MIT MARTIN GESSINGER, TRACEUR UND PARKOUR-UNTERNEHMER
Martin Gessinger, deutscher Parkourpionier, Unternehmer und Fachplaner aus Berlin, hat aus seinem Hobby Parkour einen Beruf gemacht. Neben seiner Tätigkeit als Coach und Supervisor bei ParkourONE, plant er Bewegungsräume mit dem Designbüro TraceSpace.
sb: Herr Gessinger, Parkour ist ein Thema, was in aller Munde ist. Allerdings gehen die Vorstellungen darüber doch weit auseinander. Was verstehen Sie unter Parkour? Martin Gessinger: Wir haben in unserer eigenen Geschichte eine enorme Wandlung der öffentlichen Wahrnehmung und des Interesses an Parkour ausmachen können. Ganz am Anfang, also zu Beginn der 2000er Jahre, kannte fast niemand Parkour. Damals war es uns bereits sehr wichtig, auf die Prinzipien und die Ernsthaftigkeit, aber auch das große Potential von Parkour aufmerksam zu machen – der „Kunst der effizienten Fortbewegung“, wie wir es nannten. Wir haben gemerkt, wie wir uns durch das Training positiv veränderten, selbstbewusster wurden, die Welt mit anderen Augen sahen, einen Wertekompass entwickelten, Kontakte knüpften und einfach auch „fitter“ und gesünder wurden. Wir haben uns bemüht, das hochzuhalten, und mit Gleichgesinnten „ParkourONE“ als Organisation und Parkourschule gegründet.
In dieser Zeit gab es auch medial eine große Aufmerksamkeit für unsere Bewegungskunst. Mithilfe von YouTube und Co. führte dies zu einer rasanten und weltweiten Verbreitung von Parkour. Die Verbreitung in Werbung, Actionfilmen, Computerspielen, im Spitzen- und Breitensport und die Identifikation mit sehr erfolgreichen Parkour-Influencern führt heutzutage zu einer sehr diversen Szene mit unterschiedlichen Ideen und Trainingsschwerpunkten. Allen gemein ist sicherlich die Idee von individueller und kreativer Auseinandersetzung mit dem Raum, der Wunsch, sich durch die Arbeit an den individuellen Grenzen und Fähigkeiten weiterzuentwickeln, und auch ganz einfach der Spaß an der Bewegung und Herausforderung.
Foto: TraceSpace
Parkourläufer:innen nutzen häufig die vorhandene Umgebung für den Sport. Warum braucht es Parkourparks? Eine gute Frage. Eigentlich ist Parkour ja genau dadurch entstanden, dass bestehende Räume in den brutalistisch gestalteten Pariser Vororten von den Jugendlichen anders und neu interpretiert wurden – als riesiger Spielplatz und Trainingsraum. Das ist gewissermaßen immer noch die Essenz von Parkour: Inspiration durch den Raum, Interpretation der Möglichkeiten und eine Anpassung der Bewegungen auf Basis der eigenen Möglichkeiten – dafür braucht es nichts eigenes Geplantes.
Aus Sicht eines Planers kommt nun ein größeres „Aber“: Eigens für Parkour gestaltete Flächen und Räume bieten ein deutlich klareres Angebot an die Menschen, sich neugierig mit dieser Umgebung durch Bewegung auseinanderzusetzen. Sie lassen im besten Falle durch eine vielseitige Gestaltung „Begegnungsräume“ entstehen, die verschiedene Alters- und Szenegruppen zusammenkommen lassen. Sozialer Austausch wird so unmittelbar gefördert, und die Parkourszene profitiert gleich mehrfach. Auch bieten diese Räume vielseitige Möglichkeiten der Bürger:innenbeteiligung in der Planungs- und Nutzungsphase. Die besten „Parkourparks“ sind für uns Bewegungsräume, in denen „Ownership“ einer breit gefächerten Zielgruppe entsteht.
Sie planen Parkourparks, oder Bewegungsräume, wie Sie es nennen. Was ist Ihre Philosophie und worauf achten Sie bei der Planung von Parkourparks? Unsere Bewegungsräume sollen inspirieren, neugierig machen, zum Erkunden einladen und dabei möglichst verschiedenen Zielgruppen einen Raum bieten. Zum Training, zum Spielen, zum gemeinsamen Bewegen. Wir schlagen Brücken zwischen Parkour, Calisthenics, Bouldern, Fitnesstraining und Abenteuerspielplätzen. Dabei nutzen wir eine umfängliche Vielfalt in Materialien und Strukturen und planen bestenfalls ein ganz individuelles Design mit Hilfe von Beteiligungsformaten. Dadurch können wir einen wirklich einzigartigen Raum entwickeln, der den Bedürfnissen der Nutzer:innen und den Gegebenheiten vor Ort wirklich gerecht wird.
Foto: TraceSpace
Es ist also möglich einen Parkourpark zu planen, der gleichzeitig auch für viele andere Gruppen attraktiv ist? Definitiv. Wo Traceure (Parkourläufer:innen) hangeln und schwingen, können Fitnessenthusiasten Klimmzüge machen. Wo Boulderer klettern, finden Traceure anspruchsvolle dynamische Challenges. Wo klassische Parkourbewegungen an Mauern trainiert werden, finden Kids einen echten Abenteuerpark vor. Das sind Beispiele, die den multiperspektivischen Ansatz unserer Planung ganz gut verdeutlichen. Wir denken und gestalten automatisch generations- und zielgruppenübergreifend.
Was ist eine gute Herangehensweise, wenn man in seiner Stadt / Kommune einen Parkourpark entwickeln möchte? Wir haben sehr gute Erfahrungen mit echten Beteiligungen durch die zukünftigen Nutzer:innen während der Planungsphase gemacht. Abgesehen von der dort entstehenden Wertschätzung für das Gegenüber, also Kommune vs. Bürger:in vs. Planungsbüro, legen wir schon hier den Grundstein für einen Bewegungsraum, der den Wünschen der Nutzer:innen und Institutionen entspricht und schon in der Planungsphase eine hohe Identifikation entstehen lässt. Diese Projekte werden letztlich einfach viel besser angenommen und genutzt, das Geld wurde dementsprechend sinnvoll ausgegeben, und der Kontakt zwischen Nutzer:innen und Kommune oder Bauträger wirkt auch nach Fertigstellung positiv auf die Fläche. Das Ganze klappt natürlich bei echten planerischen Freiräumen und individuellem Designs am besten. Als Fachplaner möchten wir auch betonen, dass es sicherlich einen erheblichen Unterschied macht, ob man bereit ist, die extra Meile für eine solche Fachplanung zu gehen. Unserer Meinung nach entfalten sich erst so die wirklichen Potenziale, die ein Parkourpark oder jegliche andere Bewegungsräume bieten.