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Saiteninstrumente mit Charakter
IM GEIGENBAU-ATELIER Text Michèle Freiburghaus, Fotos Remo Eisner
Seit 1690 ist das Handwerk des Geigenbaus stets gleich geblieben. Der Beruf erfordert nicht nur die Liebe zum Detail, sondern auch eine grosse Leidenschaft. Wir haben zwei junge Berufsleute in ihrem Atelier besucht.
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Geschichte der Geige
Der erste Instrumentenbauer, der nachweislich auf die Herstellung von Violini (Violinen/Geigen) spezialisiert war, war Battista Doneda (1529 – 1619) aus Brescia. Neben Brescia fanden sich auch in Cremona schon früh Geigenbaumeister. Dank der dort ansässigen Familien Amati, Stradivari und Guarneri avancierte diese Stadt zum weltweit bedeutendsten Zentrum für Geigenbau. Der bekannteste aller Geigenbauer ist Antonio Stradivari (1644/9 – 1737), er gilt seit Ende des 18. Jahrhunderts als Bester seines Faches. Seine Instrumente zeichneten sich durch eine solche klangliche Qualität, äusserlicher Schönheit und Symmetrie sowie feiner Ausarbeitung aus, dass sie sich grösster Beliebtheit erfreuten, deshalb wurde er bereits zu seinen Lebzeiten ein reicher Mann. Von seiner gesamten Produktion sind heute noch etwa 650 Instrumente erhalten, von denen viele von bedeutenden Virtuos*innen gespielt werden.
Das Handwerk
Auch die Schülerinnen und Schüler der Stiftung Geigenbauschule Brienz schaffen ihre Werke nach der sogenannten Cremona-Methode. Die 1944 gegründete private Geigenbauschule Brienz ist die einzige Vollzeitfachschule für Geigenbau in der Schweiz. Der Beruf des Geigenbauers ist seit 1690 gleich geblieben und umfasst die Pflege, Wartung, Reparatur und Herstellung von Streichinstrumenten; neben der Violine auch die Bratsche, das Violoncello, den Kontrabass und andere Instrumente der Gambenfamilie. Für den Geigenbau sind manuelle Geschicklichkeit, gutes Form- und Farbempfinden, räumliches Vorstellungsvermögen, gute Augen und ein sehr gutes Gehör sowie natürlich die Fähigkeit zu geduldiger Kleinarbeit erforderlich. Die Liebe zur Musik ist eine Voraussetzung für den Beruf. Um den Klang einer Geige beurteilen zu können, ist es zwar nicht unbedingt nötig, ein*e professionelle*r Musiker*in zu sein, doch man sollte in der Lage sein, auf einem Instrument zu spielen.
Das Geigenbauatelier
Der grosse, lichtdurchflutete Raum ist Werkstatt und Verkaufsraum in einem. Auch Rahel Widmer und Thiemo Schutter von Schutter Widmer Krieger Geigenbau haben ihr Handwerk in Brienz gelernt – eine höchst anspruchsvolle Ausbildung, die in jeder Hinsicht viel
«Die Funktionalität kommt vor der Schönheit – unsere Instrumente finden die passenden Musiker*innen.»
Leidenschaft für den Beruf erfordert. In ihrem Berner Atelier wird das Hauptaugenmerk auf die Anfertigung von neuen Instrumenten gelegt, Reparaturen, Neueinstellungen oder Bogenbespannungen machen nur einen kleinen Teil der täglichen Arbeit aus. Nicht nur in Anbetracht der Konkurrenz aus Fernost ist es ihnen besonders wichtig, bei ihrem Handwerk das Bestmögliche herauszuholen und ein Instrument zu schaffen, das keine Wünsche übriglässt: «Funktion vor Schönheit», betont die junge Geigenbauerin. An einem kürzlich fertiggestellten Cello nach Andrea Guarneri wurde beispielsweise seit November bis zur Perfektion gearbeitet und für die Herstellung einer neuen Geige werden gut 200 Arbeitsstunden benötigt. Dies erklärt den Preis von um die 20 000 Franken – ein Betrag, den in der Regel nur professionelle Musiker*innen für ein Instrument auszugeben bereit sind. Dabei wird nicht nach Auftrag gearbeitet – «die Geige kommt zum passenden Musiker», hält Thiemo Schutter fest und Rahel Widmer ergänzt: «Der Kaufentscheid wird aber in der Regel nicht hier im Laden gefällt, das Instrument kann mitgenommen und ausgiebig getestet werden.» Wichtig sei, dass sich die Musikerin oder der Musiker mit dem Instrument wohlfühlt.
Die Fertigung
Das richtige Holz ist für den Bau von Streichinstrumenten von zentraler Bedeutung, Rahel Widmer und Thiemo Schutter beziehen es von Tonholzhändlern aus dem Bergün oder dem Jura. Tannenholz und Bergfichten, die langsam und gerade gewachsen sind, eignen sich für den Körper. Der Boden wird aus Bergahorn gefertigt, der mit seinem charakteristischen sogenannten «Wimmerwuchs» für die markanten Streifen verantwortlich ist. Jedes Holzstück hat einen anderen Charakter – eine andere Flexibilität, Dichte und ein anderes Gewicht –, es gilt, dieses Holz zu «spüren» und seine Arbeit darauf einzustellen. Schon bei den ersten Hobelstössen haben die beiden Handwerker*innen eine Vorstellung davon, welche Wölbung das Holz haben sollte, damit es optimal funktioniert. Das Ziel ist es, ein Instrument zu schaffen, dass so stabil, aber auch so leicht und perfekt wie möglich ist.
Der Klang hingegen kann erst nach Fertigstellung des Instruments beurteilt werden, aber auch dann gibt es noch Möglichkeiten, diesen zu beeinflussen. So kann es beispielsweise Korrekturen am Steg geben, um die Frequenzen zu verändern. Von zentraler Bedeutung für den Klang ist aber der Stimmstock, der zwischen Boden und Decke eingeklemmt wird und die Schwingungen erzeugt. Dieser Stimmstock wird im Italienischen als «anima» – die Seele der Geige – bezeichnet. Gilt die Stradivari-Geige heute noch als Vorbild für Geigenbauer*innen? «Wir fertigen immer noch sehr genaue Kopien bekannter Instrumentenbauer an, um weiter zu lernen», meinen die beiden. «Wenn man eine Kopie herstellt, muss aber jedes gestalterische Detail stimmen, denn man kann keine Stilelemente mischen. Unsere Arbeit verstehen wir aber eher als Prozess auf der Suche nach unserem eigenen Stil.»