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Ramon Untersander Der Verteidiger freut sich auf die Rückkehr der Zuschauer

«ES IST JEDER SOFORT INS BOOT EINGESTIEGEN»

Ramon Untersander gehört zur Leadergruppe des Teams und ist mit 30 Jahren reich an Erfahrung, auch bezüglich schwieriger Situationen. Der Verteidiger freut sich sehr auf die Rückkehr des Publikums und ist begeistert von der neuen Trainercrew um Johan Lundskog.

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Die Pause war kurz, wie gross ist die Belastung? Die Belastung an sich war nicht grösser als sonst. Da wir einige Spiele weniger hatten als sonst und die Playoffs auch bereits nach neun Spielen beendet waren. Aber die ständigen Unterbrüche und Änderungen, die uns das Leben aufgrund der Pandemie erschwerten, waren eine enorme Belastung – auch weil es für uns alle eine neue Situation war. Trotzdem waren wir immer froh und dankbar, unseren Sport ausüben zu können. Auch die Weltmeisterschaft war sehr speziell. Drei Wochen vor dem Start bereits in einer Bubble zu leben und danach in Riga nochmals fast drei Wochen nur im Hotel und in der Eishalle zu sein, war eine mentale Belastung. Anderseits ist man sehr privilegiert, sein Land an einer Weltmeisterschaft vertreten zu dürfen. Ich habe die Zeit trotz allem genossen und auch sehr viele neue Erfahrungen gemacht, was mir sicher irgendwann im Leben helfen wird.

Der Druck auf Spitzensportler ist hoch. Es gibt beispielsweise Topathleten wie den 23-fachen Schwimm-Olympiasieger Michael Phelps, der unter starken Depressionen litt, oder die Turnerin Simone Biles, die in Tokio dem Druck nicht mehr standgehalten und den Wettkampf aufgegeben hat. Und in der Schweiz hat sich kürzlich mit Perttu Lindgren ein Berufskollege von dir über seine Depressionen geäussert. Wie reagierst du auf solche Meldungen?

Ich finde es sehr stark, dass sich diese Athleten offen aussprechen und sagen, wie es ihnen geht. Insbesondere hat mich beeindruckt, dass sich mit Perttu Lindgren einer aus unserer Liga zu seinen Problemen geäussert hat. Wir sind alle nur Menschen, und es wird sehr viel erwartet. Von diesen Topathleten wird erwartet, dass sie immer wieder neue Rekorde aufstellen und Medaillen gewinnen. Aber irgendwann kommt jeder an seine Grenzen. Sich dann hinzustellen und zu sagen, man sei nicht in der Lage zu performen, braucht ganz viel Mut. Genau das zeigt mir, wie stark diese Athleten wirklich sind. Es geht nicht immer nur um das rein sportliche, sondern auch um ganz viele andere Dinge wie beispielsweise die Gesundheit. Vor allem die mentale Gesundheit ist enorm wichtig. Wenn es im Kopf nicht stimmt, ist man nicht fähig, eine gute Leistung zu zeigen.

Ist das in erster Linie ein Problem von Einzelsportlern oder gibt es das auch im Teamsport? Ich denke, das gibt es in jedem Sport. Auch das Niveau spielt dabei keine Rolle. Jeder Mensch kann sich selbst diesen Druck aufsetzen. Auch ausserhalb der Sportwelt, z.B. in der Privatwirtschaft, kann das genauso passieren. Unsere Gesellschaft wird immer schneller, alles muss stets jetzt sofort sein. Das ist aus meiner Sicht nicht gut.

Du hast selbst vor bald drei Jahren eine sehr schwierige Situation mit einer langwierigen Verletzung erlebt und musstest auf dem Weg

21. Januar 1991

Beim SCB seit 2015/16 291 Spiele, 55 Tore, 117 Assists

Vierfacher Schweizer Meister (3 x SCB, 1 x HCD) Swiss Cup Sieger 2021 WM-Silbermedaille 2018

80 Länderspiele, 10 Tore, 27 Assists

zurück eine Pause einlegen. Hast du dich rückblickend damals selbst unter zu viel Druck gesetzt? Bestimmt. Ich versuchte zwei Mal zurückzukommen, obwohl ich noch nicht bereit war. Aber in mir drin sagte eine Stimme, du musst jetzt zurück, deine Teamkollegen brauchen dich. Man lügt sich selbst an und blendet einfach gewisse Dinge aus. Aber die holen dich immer wieder ein. Das Problem ist nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Auf diese Weise wird es immer schwieriger. Und der Preis, den man später dafür zahlen muss, wird grösser.

In den beiden letzten Jahren warst du dann der Spieler mit der meisten Eiszeit beim SCB. Was bedeutet dir das? Es freut mich, dass unsere Coaches immer sehr auf mich setzen. Es ist einfacher selbst zu spielen, als von der Bank aus zuzuschauen. Es braucht viel mehr Nerven, wenn man das Heft nicht selbst in die Hand nehmen kann.

RAMON UNTERSANDER

«VOR DIESER WAND ZU STEHEN UND UNTER TOSENDEM JUBEL AUFS EIS ZU LAUFEN, BESCHERT MIR JEDES MAL GÄNSEHAUT. »

Ist diese Verantwortung vor allem Ehre und Freude oder manchmal auch Last? Eine Last ist es für mich nicht. Im Gegenteil, es ist Ehre und Freude. Ich übernehme gerne Verantwortung. Auch wenn es dann mal in die Hose geht, kann ich mich selbst anschauen und sagen, dass ich alles gegeben und mich nicht versteckt habe.

Zwei einigermassen enttäuschende Jahre liegen hinter uns. Kann man die Ränge 9 aus den Saisons 2019/20 und 2020/21 vergleichen? Nein. Man kann nie zwei Saisons miteinander vergleichen. In jedem Jahr sieht eine Gruppe anders aus. Es ist niemals die gleiche Ausgangslage, da es immer Wechsel gibt auf verschiedenen Positionen. Es gibt immer wieder neue Herausforderungen, die immer anders sind als in der Saison zuvor. Deshalb bin ich der Meinung, dass man solche Vergleiche nicht machen sollte.

Mit Distanz, was waren die Hauptgründe für die Misserfolge? Wir haben es nicht geschafft, als Mannschaft das Eishockey zu spielen, das wir wollten. Die Umsetzung auf das Eis fehlte. Wir haben viel unternommen und gesprochen. Aber das ist auch spannend am Sport. Gäbe es ein Rezept, das genau vorschreibt, wie man zum Erfolg kommt, würden das alle umsetzen. Aber am Schluss könnte trotzdem nur ein Team zuoberst stehen. Misserfolge gehören im Sport einfach dazu. Erklärungen dafür gibt es nicht immer. Aber klar ist, wir waren nicht gut genug.

Wie war es in einer Phase des Misserfolgs möglich, anderseits auf überzeugende Weise den Cup zu gewinnen? Man spricht immer von Turniermannschaften oder dass einige Teams nur in gewissen Wettbewerben gut sind und so weiter. Für mich geht es in die gleiche Richtung wie die letzte Frage. Es ist Sport. Und Sport ist manchmal, Gott sei Dank, nicht zu erklären und bleibt deshalb immer spannend. Für uns lief es im Cup gut. Und vielleicht war dort das Puck-Glück mehr auf unserer Seite als in der Meisterschaft. Es kann vieles sein: ein anderes Trikot, und man ist vielleicht gleich etwas selbstbewusster. Ich kann es nicht erklären, aber wir haben im Cup unsere Leistung gezeigt.

Im letzten Jahr habt ihr mehrheitlich ohne Zuschauer gespielt. Was hat das für euch Spieler verändert? Weniger Druck, aber auch weniger Antrieb? Wieso weniger Druck? Für mich ist es kein Druck vor Zuschauern zu spielen, sondern eine Ehre, dass so viele Menschen ins Stadion kommen, um uns spielen zu sehen und uns zu unterstützen. Sie wollen uns ja helfen und nicht Angst machen. Für uns Spieler hat sich ohne Zuschauer einiges verändert. Es fehlte ohne die Zuschauer das Feuer von aussen. Wir versuchten selbst, dieses Feuer zu entfachen und Emotionen reinzubringen. Aber das ist nicht das Gleiche. Es ist unglaublich viel motivierender in einer vollen Hütte zu spielen als in einem totenstillen Stadion.

Man darf hoffen, dass wieder mit voller Zuschauerkapazität gespielt wird. Was erwartest du diesbezüglich? Ich erwarte nichts. Ich hoffe einfach für unseren Sport und unsere Community, dass wir langsam zur Normalität zurückkehren und alle zusammen unseren tollen Sport feiern können. Wir alle leben von den Emotionen, die wir zusammen in den Stadien erleben. Wenn wir mit Zuschauern starten, freue ich mich vor allem auf unser erstes Heimspiel und auf den Moment, im Bärengraben zu stehen und zu warten, bis ich aufs Eis kann. Ich liebe diesen Moment. Vor dieser Wand zu stehen und unter tosendem Jubel aufs Eis zu laufen, beschert mir jedes Mal Gänsehaut. Deshalb kann ich es nach dieser langen Zeit ohne dieses Gefühl kaum erwarten, was mit mir passieren wird, wenn dieser Moment zurückkehrt. Bereits der Gedanke daran sorgt für Gänsehaut.

In den erfolgreichen Jahren hiess es immer, beim SCB sei die Kerngruppe extrem gut. Du bist seit 2015 beim SCB und gehörst damit zu den dienstältesten Spielern. Weisst du, wieviele Spieler schon länger als du beim SCB sind? Sechs Jungs sind es, glaube ich. Eric Blum, Beat Gerber, Alain Berger, Simon Moser, Thomas Rüfenacht und Tristan Scherwey.

Genau richtig. Wie würdest du den Spieler und Menschen Ramon Untersander von 2015 beschreiben und wie jenen von heute? Ich denke, dass ich noch immer derselbe Junge wie damals bin. Einige Jahre älter zwar, aber ich fühle mich noch gleich jung. Ich habe bestimmt mehr Erfahrung, aber als Spieler bin ich noch der gleiche. Bereits damals wollte ich in jeder Situation auf dem Eis stehen, so wie auch noch heute.

Inwieweit hat sich der Kern der Mannschaft in dieser Zeit verändert? Wir wurden alle älter und haben gewisse Rollen von unseren Vorgängern übernommen, um die Kultur, die den SCB auszeichnet, weiter zu leben und weiter zu geben.

Und das Spiel? Das Spiel ändert sich jeweils mit neuen Trainern. Manchmal werden nur kleine Sachen angepasst oder dann wird das ganze

System umgestellt. Aber das Eishockey an sich hat sich verändert.

Inwiefern? Unsere neuen Coaches wollen modernes Eishockey spielen, das auf Puckbesitz und Druck basiert: Überlegt mit dem Puck umgehen und wenn wir die Scheibe nicht besitzen, sehr hohes Pressing ausüben. Wir wollen überall auf dem Eis zu fünft kompakt sein und den Gegner zu Fehlern zwingen, damit wir die Scheibe so schnell wie möglich zurückerobern und im Idealfall den nächsten Angriff starten können, der nicht einen Laufweg von 60 Metern erfordert.

Du hast Kari Jalonen sehr geschätzt. Nun wird der SCB von einer komplett neuen Trainercrew geführt. Was ist anders und wie hast du die Crew von Johan Lundskog bisher erlebt? Ich bin sehr begeistert von unserer neuen Coaching-Crew. Sie ist sehr ähnlich wie Kari, einfach noch etwas moderner. Die Art und Weise, wie die Trainer uns coachen und die ganze Planung erstellen, um jeden individuell besser zu machen, hat für uns alle Sinn. Es ist sofort jeder ins Boot eingestiegen. Das ist sehr wichtig. Denn wenn nicht alle vom Weg überzeugt sind, wird es schwer für die Coaches. Ich freue mich sehr auf jeden weiteren Tag mit unseren Trainern. Es macht richtig Spass, in diesem Umfeld zu arbeiten.

Auch die Mannschaft ist verändert worden. Was darf man vom neuen Team unter dem neuen Headcoach erwarten? Wir werden versuchen, überall auf dem Eis Druck zu machen und dem Gegner keine Luft zu geben. Das wird allen bestimmt ganz viel Spass machen. Den Spielern wie auch den Fans.

Du stehst vor deiner siebten Saison in Bern und hast soeben deinen Vertrag beim SCB um drei Jahre verlängert. Der SCB und Bern scheinen dir ans Herz gewachsen zu sein... Es gefällt meiner Familie und mir sehr gut hier. Wir haben in Bern ein neues Zuhause gefunden. In der Organisation des SCB fühle ich mich ausgesprochen wohl. Man kann es gar nicht richtig beschreiben, wie es ist, für diesen Club, vor diesen Fans, in dieser Arena spielen zu können. Es hat für mich einen grossen Wert, das Logo des SCB vertreten zu dürfen. (dk)

GARDEROBENCHECK

Was sind die wichtigsten Regeln in der Garderobe? Das Leben in der Garderobe ist das Wichtigste, denn die Vibes, die dort sind, finden sich auch auf dem Eis wieder. Es gibt einige kleine Regeln wie: kein Handy in der Garderobe und im Kraftraum, seinen Platz ordentlich halten, pünktlich sein und respektvoll miteinander umgehen.

Wer stellt diese Regeln auf? Ich weiss nicht, wer diese Regeln aufgestellt hat, aber sie gelten schon einige Jahre.

Was ist ein absolutes NoGo in der Garderobe? Mitten in unserer Garderobe ist auf dem Boden unser Club-Logo. Darauf darf man nicht stehen, das wäre ein absolutes No-Go. Es gehört sich auch überhaupt nicht, das Trikot auf den Boden zu legen. Das macht man aus Respekt gegenüber dem Logo nicht.

Welche Bedeutung hat die Musik in der Garderobe? Musik kann so vieles bewirken. Es ist ein sehr wichtiger Bestandteil. Ob im Kraftraum, vor dem Spiel, nach dem Spiel, während wir uns anziehen, es läuft immer etwas anderes, je nach Stimmung des Teams wird auch die Musik dazu gespielt. Wir haben auch eine Playlist, in der jeder seine Musik reinstellen kann und somit jeder auch etwas von seiner Musik hören kann. Die Musik gibt natürlich auch immer zu reden.

Wer wählt den DJ bzw. bist immer noch der Musicman? Den wählt man nicht, irgendwie rutscht man da einfach rein. Aber man muss es auch ertragen können, denn es ist auch mit etwas Druck verbunden (lacht). Wenn es auf dem Eis nicht so läuft, ist schnell mal die Musik schuld respektive der DJ. Ich denke, ich bin noch der DJ. Musik spielt bei mir eine grosse Rolle, ich höre fast überall Musik und mache gerne neue Playlists für unser Team.

Der Garderobenbereich wird nicht nur zum Umziehen benützt. Es gibt auch einige Spieler, die dort jeweils vor dem Training Warm up-Übungen machen. Wer und warum? Die meisten gehen zuerst aus der Garderobe, um sich warm zu machen. Jeder hat so seine Plätze in jedem Stadion, wo er sein Routine-Warm up macht. Simon Moser, Dustin Jeffrey, Cory Conacher und ich sind meistens in der Garderobe oder im Kraftraum, um uns warm zu machen. Ich gehe nicht mehr Fussball spielen, da ich mir bereits zwei, drei Mal den Fuss vertreten habe. Das macht direkt vor einem Spiel keinen Spass, vor allem auch den Coaches nicht. Deshalb habe ich mir eine neue Warm up-Routine angeeignet und gehe nicht mehr aus der Garderobe.

Ist die Garderobe auch eine Tratschküche? Natürlich. Wir sprechen über alles in der Garderobe. Es soll sich jeder wie zuhause fühlen und ein Gefühl von Familie haben. In Familien spricht man auch über alles. (dk)

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