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IRRWITZIG EINFLUSSREICHE BAND THE SPARKS BROTHERS
ThE SPaRKS BROThERS
Irrwitzig einflussreiche Band
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Die Band Sparks erlebt mit dem aktuellen Dokumentarfilm und mit dem in Cannes präsentierten Film ANNETTE (Kinostart am 16.12.) von Leos Carax gerade den dritten bis vierten Höhepunkt ihrer Karriere, nach den Glam-Rock-Hits in den siebziger Jahren, den Elektropop-Alben mit Giorgio Moroder und dem Comeback und der Zusammenarbeit mit Franz Ferdinand in den letzten Jahren. Edgar Wright (SHAUN OF THE DEAD, BABY DRIVER) hat mit THE SPARKS BROTHERS einen langen Film über die sehr lange Karriere der Band der Brüder Ron und Russel Mael gedreht. Ein großer Teil der Pop-Prominenz der letzten sechs Jahrzehnte huldigt hier den Brüdern, von der Psychedelic-Legende Todd Rundgren, der das erste Album der Band produzierte, über New Order, Jane Wiedlin von der Power-Pop-Girl-Group The Go-Go’s, Duran Duran, Vince Clark von Depeche Mode und andere Elektropop-Prominenz der 80er Jahre bis hin zu Beck und Alex Kapranos von Franz Ferdinand. Das Denkmal für Sparks ist mehr als verdient und sehr unterhaltsam, was weniger an der Form liegt als am Charme von Ron und Russel Mael selbst, die auch Niederlagen und gescheiterte Experimente mit der Souveränität von Elder Statesmen des Pop kommentieren. Der Film klappert die einzelnen Alben der Brüder in chronologischer Reihenfolge ab und garniert Konzertausschnitte, TV-Auftritte und Musikvideos
Großbritannien 2021 D 135 min D R: Edgar Wright D K: Jake Polonsky D S: Paul Trewartha D V: Universal Pictures
mit Animationen, die die Erzählungen der vielen Talking Heads illustrieren. So ganz hinter das Geheimnis der ironisch-humorvollen, manchmal auch bitteren Texte von Ron Mael dringt der Film aber nur selten, etwa wenn Ron erzählt, dass sie früher alte Filme immer nur zum Teil gesehen hätten, weil ihre Mutter nie auf die Anfangszeiten im Kino geachtet hätte. Den fehlenden Teil der Geschichten hätten sie sich ausgedacht. Das erklärt zum Teil die Montage-Technik in der irrwitzigen Drei-Minuten-Pop-Oper „This Town ain’t Big Enough for Both of Us“, in der sich Szenen über männliche Unsicherheit und Killer-Fantasien aus Hollywood-Filmen aneinanderreihen. Sparks waren sicher ihrer Zeit voraus, weil sie immer wieder Spott über Konventionen der Männlichkeit in der Pop-Kultur in ihre Songs eingewoben haben, aber Ron Maels Lyrics zählen auch formal zum Aufregendsten, was die Popgeschichte zu bieten hat. Eine gute Einführung in das Werk einer irrwitzig einflussreichen Band. D Tom Dorow
¢ Start am 7.10.2021
Edgar Wright (SHAUN OF THE DEAD, BABY DRIVER) has made a long and very entertaining film about the very long career of the band of brothers Ron and Russel Mael.
Großbritannien 2020 D 95 min D R: Harry Macqueen D B: Harry Macqueen D K: Dick Pope D S: Chris Wyatt D M: Keaton Henson D D: Stanley Tucci, Colin Firth, James Dreyfus, Ian Drysdale D V: Weltkino
SuPERNOVa
Kostbare Momente
Solange es Filme wie SUPERNOVA von Harry Macqueen gibt, müssen sich auch mittlerweile über sechzigjährige Stars wie Colin Firth und Stanley Tucci keine Sorgen um tolle Angebote machen. Natürlich bringt ein kleiner britischer Film wie dieser sicher nicht die größte Gage ein. Aber allein die Qualität des Drehbuchs dürfte alle Beteiligten über jenes Detail hinwegtrösten. Mit seiner Geschichte über ein schwules Ehepaar mittleren Alters, das sich auf eine letzte gemeinsame Reise durch England begibt, nachdem Tusker (Tucci), ein Schriftsteller, an Demenz erkrankt ist, reiht sich Macqueens bewegendes Drama zunächst nahtlos in die bereits seit einer ganzen Weile Konjunktur habenden Filme zum Thema ein. Doch während beispielsweise Florian Zellers Oscar-Gewinner THE FATHER eher auf die zermürbenden Konflikte setzt, die sich mit zunehmendem Gedächtnisschwund zwangläufig zwischen dem Erkrankten und seinem unmittelbaren Umfeld ergeben, konzentriert sich SUPERNOVA in erster Linie auf die kostbaren Momente der noch verbleibenden Zeit. Zu diesem Zweck hat Tuskers Partner Sam (Firth), seine Karriere als erfolgreicher Pianist aufgegeben. Ein Trip im Wohnmobil, um noch einmal Familie und Freunde zu besuchen, soll einen angemessenen Abschied bieten. Auf dem Weg kommt es natürlich trotzdem immer wieder auch zu Problemen, schließlich gehören kleine Stichelleien und Streitigkeiten selbst zu besten Zeiten gerne und regelmäßig zum Programm in der sonst zutiefst liebevollen Ehe der beiden Männer. Zugleich bewegen sich Firth und Tucci in jeder Einstellung stets wie zwei Seelenverwandte durch diesen Film, der nicht nur zu Tränen rührt, sondern in seiner klugen Auseinandersetzung mit der Krankheit wie mit dem Tod zugleich ausgesprochen nachdenklich stimmt. D Pamela Jahn
¢ Start am 14.10.2021
Sam (Colin Firth) and Tusker (Stanley Tucci) travel across England in their caravan and visit the places of their childhood. It is a goodbye trip because Tusker has dementia. Originaltitel: Gli anni più belli D Italien 2020 D 135 min D R: Gabriele Muccino D B: Gabriele Muccino, Paolo Costella D K: Eloi Molí D S: Claudio Di Mauro D M: Nicola Piovani D D: Pierfrancesco Favino, Micaela Ramazzotti, Kim Rossi Stuart, Claudio Santamaria D V: Prokino
auF aLLES, WaS uNS gLÜCKLICh MaChT
Paolo, Giulio & Ricardo … und Gemma Das melodramatische italienische Generationen-Epos AUF ALLES, WAS UNS GLÜCKLICH MACHT handelt von Liebe, Freundschaft, Konkurrenz und Klassenkonflikten zwischen drei Männern und einer Frau, die sich 1982 als Teenager kennenlernen. Der Film erzählt in leuchtenden Farben aus der zurückblickenden Perspektive von Giulio, dem erfolgreichsten, aber auch unglücklichsten der Freunde. Der sensible Paolo und der draufgängerische Giulio retten den verletzten Ricardo, als sie aus Versehen in eine Demo geraten, die von der Polizei gewalttätig auseinandergetrieben wird. Ricardo überlebt und erhält den Spitznamen „Sopravissuto“, der Überlebende. Die erotischen Interessen der jungen Männer konzentrieren sich auf die schöne Gemma, die aus Gründen kurz nach dem ersten Kuss mit Paolo die Stadt verlassen muss und auf die schiefe Bahn gerät. Paolo sehnt sich und will Gemma retten, Giulio macht Karriere und wird korrupt, Ricardo scheitert immer wieder, bleibt aber ungebrochen integer. In seinem bewusst altmodischen, symbolbeladenen Stil erinnert AUF ALLES, WAS UNS GLÜCKLICH MACHT an die späten Fassbinder-Melodramen, die sich wiederum an den Douglas Sirk-Filmen der Vierziger und Fünfziger Jahre orientierten. Paolo züchtet Vögelchen, die entsprechend seiner Gefühlslage fröhlich herumzwitschern, ausfliegen und tragisch gegen Scheiben prallen. Der Popsong „Dreams are My Reality“ aus dem Teenie-Film LA BOUM (1980) ist das Leitmotiv der Geschichte, in die immer wieder historische Aufnahmen aus den vergangenen Jahrzehnten eingeflochten sind. Der italienische Publikumserfolg ist optimistischer und versöhnlicher als Fassbinder. Trostkino fürs Herz einer Generation, die heute zwischen 50 und 60 ist – und ein wenig Politik. D Tom Dorow
¢ Start am 14.10.2021
The melodramatic Italian generational epic AUF ALLES, WAS UNS GLÜCKLICH MACHT, is about love, friendship, competition, and class conflicts between three men and a woman who met as teenagers in 1982.
Deutschland 2021 D 89 min D R: Lisa Eder D K: Tobi Corts, Heiko Knauer, Dietmar Nill, Robin Jähne D S: Georg Michael Fischer D M: Sebastian Fillenberg D V: mindjazz Pictures
DER WILDE WaLD
Nationalpark ohne menschlichen Einfluss
Noch knapp 1% der Fläche Europas ist frei von menschlichem Einfluss. So steht es im Dokumentarfilm DER WILDE WALD, in sachlichen Buchstaben über das Bild einer vielbefahrenen Brücke gelegt. Der Nationalpark Bayerischer Wald, der sich über 900 km2 bis nach Tschechien erstreckt, ist Teil dieses Prozents. Einer Revolution gleich sei die Idee in den 1970ern gewesen, den Park ohne Eingriff durch den Menschen sein Ding machen zu lassen, und es war auch nicht immer schön anzusehen. Die Zerstörung durch den Orkan „Wiebke“ 1990 und den darauf folgenden Borkenkäferfraß musste nicht nur der Wald, sondern auch der Mensch aushalten. Den Bayern fiel es schwer, der „zerstörerische Umweltschutz“ wurde zum Politikum, aber die Leitung des Naturparks blieb standhaft, und der Wald rettete sich selbst. Denn was dem gewöhnlichen Waldnutzenden als Katastrophe erscheint, nennen Naturpark-Profis Dynamik. Lisa Eder bietet fantastische Naturaufnahmen und lässt Wald-Forschende und -Liebende zu Wort kommen. Eine Öko-Philosophin, die bayerische und tschechische Parkleitung, eine Borkenkäferforscherin, einen nachhaltigen Forstwirt, einen wandernden Fotografen. Sie alle sind sich einig: Der Wald kommt ohne uns gut aus, aber wir nicht ohne ihn. Das gespaltene Verhältnis zeigt auch ein Blick ins angrenzende Dorf Bodenmais. Hier ziehen die Bewohner seit 300 Jahren lärmend durch die nächtlichen Straßen um die Wolfsaustreibung zu zelebrieren. Der Wolf kam trotzdem zurück und mit ihm der Luchs. Im Dorf sieht man das skeptisch. Im Kontrast dazu: Bilder von Sonntagsausflüglern im Nationalpark. 2018–2020 verendeten 18 Millionen Bäume in Deutschland aufgrund von Hitze, Brand, Sturm und Borkenkäfern. Auch den Bayerischen Wald hat es getroffen. Klimaveränderungen machen sich
nichts aus Nationalparkgrenzen. D Clarissa Lempp ¢ Start am 7.10.2021
In the 70s it was decided that there should be no regulative intervention in the eco system of the Bavarian forest natonal park. After hurricanes and bark beetle infestations, the result wasn’t always pretty and there was talk of the “destructive enironmental protection”.
„Janna Ji Wonders erzählt berührend, voller Liebe und Humor.“
rbb inforadio
„Ein emotionales und tief berührendes Generationenporträt.“
BR Kulturmagazin Capriccio
„Ein Bayerisches Epos. Ein absoluter Höhepunkt auf der Berlinale.“
Abendzeitung Zum Trailer
Frankreich/Italien 2019 D 107 min D R: Robert Guédiguian D B: Robert Guédiguian, Serge Valletti D K: Pierre Milon D S: Bernard Sasia D D: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan, Anaïs Demoustier D V: Film Kino Text
gLORIa MuNDI
Arbeiterklassentragödie
Schon Robert Guédiguians letzter Film DAS HAUS AM MEER war eine Familiengeschichte, die sich immer mehr in eine Tragödie verwandelte und schließlich mit einer großen Geste endete. GLORIA MUNDI beginnt mit einer Geburt, auch wenn der Titel auf den Tod verweist: Sic transit Gloria Mundi („So vergeht der Ruhm der Welt“). Daniel war über 20 Jahre im Gefängnis. Jetzt wird er entlassen, kurz nachdem seine Tochter Mathilda ein Baby bekommen hat. Um die kleine Gloria zu sehen, fährt er nach Marseille zu seiner Ex-Frau Sylvie, die nachts im Krankenhaus putzt und mit dem Busfahrer Richard verheiratet ist. Die Verkäuferin Mathilda will eigentlich nichts von ihrem biologischen Vater wissen, Richard hat sie aufgezogen. Aber sie willigt ein, Daniel zu treffen, und bald wird seine Fürsorge gebraucht: Mathildas Ehemann Nico hat sich ein teures Auto gekauft, um als Uber-Fahrer zu arbeiten, und wird von feindseligen Taxifahrern zusammengeschlagen. So lange Daniel im Krankenhaus liegt, fährt Daniel die kleine Gloria spazieren. Aber bald kommen weitere kleine Katastrophen mit großen Auswirkungen auf die Familie zu. Guédiguians Hang zur Tragödie und zum christlichen Opfermythos unterscheidet seinen Stil von materialistischeren britischen Regisseuren wie Mike Leigh oder Ken Loach. Auch Guédiguian zeigt, wie Kleinigkeiten für Menschen in prekären Arbeits- und Klassenverhältnissen gewaltige Folgen haben können. Die Passagen in Marseille porträtieren nebenbei eine Stadt zwischen Migrationskrise, Rassismus und Terrorangst – überall patrouillieren bewaffnete Soldaten. Das Finale bietet dagegen eine bewusst exzessiv theaterhafte Auflösung, so schicksalhaft und deterministisch, dass durch sie selbst die vorgeblich erreichte Rettung in Zweifel gezo-
gen wird. Harter Stoff. D Hannes Stein ¢ Start am 21.10.2021
Saleswoman Mathilda and Uber driver Nicolas are having a baby. They‘re happy, but money is scarce for them and their friends. Österreich/Luxemburg 2021 D 99 min D R: Stefan Ruzowitzky D B: Robert Buchschwenter, Hanno Pinter, Stefan Ruzowitzky D K: Benedict Neuenfels D D: Murathan Muslu, Liv Lisa Fries, Max von der Groeben, Marc Limpach, Margarethe Tiesel D V: Square One
hINTERLaND
Expressionismus digital
1920 war ein wichtiges Jahr für den Expressionismus. Nach dem Ersten Weltkrieg, kurz nach Gründung der ersten Republiken in Deutschland und Österreich explodierte diese Stilrichtung förmlich. In allen Kunstgattungen drängten subjektive Wahrnehmung und die oft schräg-verzerrte Darstellung der radikal veränderten Wirklichkeit in den Vordergrund. Mit DAS CABINET DES DR. CALIGARI wurde der expressionistische Film schlechthin gedreht. In diesem historischen Moment spielt HINTERLAND. Der Film nimmt ästhetisch den expressionistischen Stil auf und erzählt aus der Perspektive der Geschichtsverlierer. Der ehemalige Kriminalpolizist Perg (Murathan Muslu) kehrt mit seiner Truppe nach verlorenem Krieg aus der Gefangenschaft zurück in ein Wien, das aus den Fugen ist. Der Kaiser und das alte Wertsystem sind verschwunden, die neue Welt ist den kriegstraumatisierten Männern ein Rätsel. Durch eine brutale Mordserie an Bekannten aus der Kriegszeit wird Perg von der Vergangenheit eingeholt und muss ermitteln, um sich zu schützen. Regisseur Stefan Ruzowitzky versucht, den Expressionismus mit heutigen Mitteln wieder aufleben zu lassen. Der Film wurde vor einem Bluescreen gedreht, die Hintergründe digital eingefügt – schräg ineinander stürzende Stadtlandschaften, verzerrte Perspektiven, manche Bilder wirken gemalt wie altertümliche Theaterkulissen. Die Referenz an CALIGARI ist deutlich, und der Effekt funktioniert: Man taucht ein in die verstörte, depressive Wahrnehmung der vom Lauf der Geschichte überrollten Ex-Soldaten. Dabei bleibt es, mit diesem Weltbild passiert genau so wenig Auseinandersetzung wie mit Pergs Verklärung der Soldatenehre. Auch die reißerisch inszenierte Brutalität hat einen unangenehmen Beigeschmack. Ein kritischerer Umgang mit den Bildern
fehlt. D Susanne Stern ¢ Start am 7.10.2021
In 1920, former detective Perg and his troop return to Vienna from imprisonment after the lost war. The past catches up with Perg when a brutal series of murders kill his wartime friends. Digitally added backgrounds of slanted, falling city landscapes invoke expressionism.