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Die 1962 in New York geborene Phyllis Nagy schreibt Theaterstücke und Drehbücher. Ihre Karriere begann sie als writer-in-residence am Royal Court Theatre London bei Stephen Daldry. Am bekanntesten wurde sie mit ihrer Filmadaption von Patricia Highsmiths „Salz und sein Preis“, die Todd Haynes 2014 als CAROL verfilmte. CALL JANE ist ihre zweite Regiearbeit. Patrick Heidmann hat sich mit Phyllis Nagy über CALL JANE unterhalten.
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Interview mit Phyllis Nagy zu CALL JANE
INDIEKINO: Ms. Nagy, man kennt Sie vor allem als Theater- und Drehbuchautorin; für Carol waren Sie für den Oscar nominiert. Wie kommt es, dass Sie nun ausgerechnet bei CALL JANE, Ihrem Kinodebüt als Regisseurin, nicht selbst das Skript verfasst haben?
Phyllis Nagy: Ein Drehbuch zu schreiben und es dann selbst zu verfilmen, ist eine ganz großartige Erfahrung. Bei meinem ersten Film, der TV-Produktion „Mrs. Harris“, durfte ich die schon machen. Aber es ist auch gar nicht so einfach, ein eigenes Projekt überhaupt auf den Weg zu bringen. Schon gar nicht als Frau. Deswegen habe ich schon vor einer Weile beschlossen, dass ich auch gerne mal jemand anderes Skript inszeniere, wenn ich das Gefühl habe, dass dahinter jemand steht, der für seine Geschichte brennt, und ich mich davon angesprochen fühle. Nur Regie zu führen war bei CALL JANE auch ein Weg, meine kreativen Batterien wieder aufzuladen. Sie fanden die Erfahrung erholsam?
Zumindest kostete sie mich nicht so viel Kraft und Energie wie das Schreiben. Das ist nämlich unglaublich anstrengend, und manchmal verfluche ich, dass ich offenkundig das Zeug dazu habe. Denn das bedeutet für mich, dass ich es tun muss. Mich zur Abwechslung mal auf etwas anderes konzentrieren zu können, war also auf jeden Fall inspirierend.
Als Auftragsregisseurin hat man aber natürlich nicht alle Fäden in der Hand. Wie erging es Ihnen damit bei CALL JANE?
Mir war klar, worauf ich mich einlasse. Dass Elizabeth Banks die Hauptrolle spielt, stand beispielsweise schon fest, bevor ich an Bord kam. Doch ich kannte Elizabeth ein bisschen und hatte das Gefühl, dass sie gut in diese Rolle passt. Man kennt sie zwar vor
allem aus komödiantischen Rollen, aber ich habe größten Respekt vor Leuten, die gut in Comedy sind. Und in Elizabeth erkannte ich eine Unbeugsamkeit und einen Mangel an Sentimentalität, die ideal waren für ihre Figur in CALL JANE.
Der Film basiert auf wahren Begebenheiten: In den sechziger Jahren gab es in Chicago ein Frauen-Netzwerk namens „The Janes“, an das man sich wenden konnte, wenn man eine – damals fast überall in den USA verbotene – Abtreibung brauchte. Wie viel wussten Sie darüber?
Nicht allzu viel. Selbst im Kontext der damaligen Frauenbewegung ist die Organisation nicht wirklich eine, über die man etwas in amerikanischen Schulbüchern finden würde. Aber je mehr ich mich in die Materie vertieft und das Drehbuch weiterentwickelt habe, desto faszinierter war ich.
Parallel zu CALL JANE feierte in Sundance auch der Dokumentarfilm THE JANES (in Deutschland zu sehen bei Sky/Wow) Premiere, wenig später kam Audrey Diwans DAS EREIGNIS in die deutschen Kinos. Warum ist das Thema Abtreibung aktuell auf der Leinwand so präsent?
Zunächst einmal will ich festhalten: Für mich ist das Thema von CALL JANE nicht Abtreibung, sondern es geht um Schwesternschaft, um weiblichen Zusammenhalt, um Frauen, die gemeinsam daran arbeiten, ein Problem aus der Welt zu schaffen. Und davon abgesehen sprechen wir von drei thematisch leicht ähnlichen Filmen in 12 Monaten. Wie viele Filme über weiße Männer in der Midlife-Krise sehen wir jedes Jahr? Da sprechen wir doch auch nicht gleich von einem Trend oder fangen sofort an, sie miteinander zu vergleichen. Nur wenn es mal mehr als eine Geschichte über Frauen, People of Color oder queere Menschen gibt, steht immer gleich die Frage im Raum: Ist da jetzt nicht ein bisschen viel? Darüber ärgere ich mich immer wieder sehr. Ganz unabhängig davon, dass ich DAS EREIGNIS wirklich ausgesprochen gut finde und auch THE JANES mit Interesse geguckt habe. Schon weil mir die Doku gezeigt hat, wie richtig wir bei CALL JANE mit allem lagen.
Gleichzeitig ist aber nun einmal das Thema Abtreibung dieser Tage leider auch in der Tagespolitik wieder so präsent wie seit Jahrzehnten nicht, gerade in den USA. Sind Sie erschrocken, wie relevant die Geschichte von Call Jane plötzlich wieder ist?
Ich bin nicht überrascht, leider. Wer in den zurückliegenden Jahren genau hingesehen hat, was politisch und gesellschaftlich in den USA und anderswo passiert ist, wird wohl damit gerechnet haben, dass das Recht auf Abtreibung – wie so viele Rechte, die wir uns über die Jahrzehnte mühsam erkämpft haben – wieder in Frage gestellt wird. Roe vs. Wade, die Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA zum Thema Schwangerschaftsabbruch, wurde vom ersten Tag nach Inkrafttreten 1973 immer wieder attackiert. Was mich jetzt wirklich erstaunt hat, war, wie schnell der Supreme Court das Urteil in diesem Jahr aufgehoben und zur Sache der Bundesstaaten gemacht hat. Das ging mit deutlich weniger Widerstand über die Bühne, als ich gehofft hatte.
Sehen Sie Ihren Film dadurch plötzlich in einem neuen Licht?
Sicherlich hat er eine ganz neue Dringlichkeit bekommen. In den USA liegt der Kinostart von CALL JANE unmittelbar vor den Midterm-Wahlen Anfang November. Das könnte natürlich passender nicht sein, um einen kleinen Teil dazu beizutragen, den Fokus auf dieses wichtige Thema zu richten.
Auch wenn Sie vorhin sagten, Abtreibung sei nicht das eigentliche Thema des Films, wird man in CALL JANE Zeuge eines solchen medizinischen Eingriffs, den Sie quasi in Echtzeit zeigen. Warum war Ihnen das wichtig?
Ich fand es essentiell, zu Beginn des Films einmal den kompletten Vorgang einer solchen Abtreibung zu zeigen, vom Moment der Abholung durch eine der Janes über die Fahrstuhlfahrt und das Warten auf den Arzt bis hin zu den Minuten, die dann der eigentliche Schwangerschaftsabbruch dauert. In anderen Filmen habe ich so etwas immer nur in Bruchteilen gesehen. Dabei ist es so wichtig, dass jede Zuschauerin und jeder Zuschauer wirklich weiß, worum es hier geht und wovon die Rede ist. Entscheidend war es auch, dass es die Abtreibung unserer Protagonistin Joy ist, die nicht problemlos verläuft. Damit musste der Gegensatz etabliert werden dazu, wie unkompliziert das Prozedere auch vonstatten gehen kann, als die Frauen die Sache später selbst in die Hand nehmen.
So schwierig die erste Abtreibung verläuft, so vergleichsweise undramatisch kommt der Rest des Films daher. Die ganz große Tragödie bleibt aus …
Ganz bewusst. Nicht nur, weil auch die Realität so aussah: Die Janes hatten keine Abtreibung, die komplett schiefging. Sondern auch, weil ich es satthabe, dass es zu den ungeschriebenen Gesetzen von Filmen dieser Art gehört, dass Frauen immer leiden müssen. Wie schon gesagt: Mir ging es in erster Linie darum, Frauen zu zeigen, die mit viel Geschick zusammenarbeiten und Bemerkenswertes schaffen. Für mich sollte CALL JANE ein Film sein, der Mut macht und eine Erfolgsgeschichte erzählt. Auch weil es mir nicht um radikalen Aktivismus ging, sondern um Arthouse-Mainstream, der ein breites Publikum erreicht, zu dem vielleicht auch Menschen gehören, die mit dem Thema Abtreibung womöglich Berührungsängste haben. Dass mir nun ernsthaft schon Leute vorgeworfen haben, ich würde das Thema nicht ernst nehmen, weil die Geschichte allzu glatt verlaufe, lässt mich einigermaßen verblüfft zurück.