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NACHBILD

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Weil es eine heikle Balance ist, angesichts der Lage im Iran über meinen Film zu sprechen, in den ich 15 Jahre harte Arbeit gesteckt habe und der sehr viel mehr künstlerische Facetten hat als bloß ein gesellschaftspolitischer Kommentar zu sein. Und es ist mitunter auch nicht gerade einfach, immer wieder mit Journalist*innen über die Proteste sprechen zu müssen. Einerseits tue ich das gerne und weiß, dass man gar nicht genug Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken kann. Aber es bricht mir eben auch das Herz. Heute morgen sah ich ein Video der verzweifelten Mutter des jungen Mannes, der als erster Demonstrant seit Beginn der Massenproteste hingerichtet wurde. In solchen Momenten fehlen einem dann einfach die Worte. Ich sitze hier und rede, während dort das Regime die Bevölkerung umbringt. Da spüre ich schon viel Hilfs- und Aussichtslosigkeit.

Kann Ihr Film aber in dieser Zeit nicht auch eine Hilfe sein?

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Interessanterweise verbreitete sich vor einigen Wochen wohl online eine Raubkopie des Films im Iran. Mir war immer klar, dass das irgendwann passieren würde, aber das Timing ist natürlich spannend – und selbstverständlich gaben die Staatsmedien mir die Schuld. Auf Twitter die ungefilterten iranischen Reaktionen auf den Film zu lesen, war sehr interessant. Natürlich gab es das Lager, das HOLY SPIDER als westliche Propaganda ablehnte, als pervers und anti-islamisch beschrieb und mich den neuen Salman Rushdie nannte. Aber ein Großteil der Leute fand, er zeige das wahre Gesicht der Islamischen Republik und erkannte in dem Film eine Ehrlichkeit, die es in iranischen Filmen vermisst. Manche sagten auch, er sei eine gute Motivation, um am nächsten Tag wieder gegen das Regime auf die Straße zu gehen. Wobei ich nicht glaube, dass es dazu unbedingt den Film braucht. Diese Teenager, die dort bereit sind, sich für ihren Kampf verhaften und erschießen zu lassen, die sind in ihrer Wut und Verzweiflung längst viel weiter.

Wir sprachen eben schon über die recht deutliche Gewalt im Film, aber Sie sind auch in Sachen Sex und Nacktheit ziemlich explizit. Das war doch sicherlich eine bewusste Entscheidung, quasi als Provokation in Richtung Ihrer früheren Heimat? Gewisse Themen muss man einfach auf bestimmte Weise erzählen. Der Fall, um den es im Film geht, mag 20 Jahre zurückliegen, doch er ist bis heute radioaktiv, um es mal so auszudrücken. Die Strukturen und Mechanismen, die ich mit dieser Geschichte aufzeige, existieren immer noch; die Relevanz ist spürbar. Wenn ich das nicht deutlich mache in meinen Bildern, dann hätte ich etwas falsch gemacht, würde ich sagen. Und was Sex und Nacktheit angeht, war mir auch wichtig, dass ich mich nicht einfach der Zensur des iranischen Regimes unterwerfe. Ich will ja gerade an diesem bestehenden Tabu bezüglich weiblicher Körper rütteln und es nicht noch bestärken. Ohnehin muss ich sagen, dass ich – selbst wenn das nun arrogant klingen mag – nicht viele Gedanken an die Regierung im Iran und ihre Reaktion verschwendet habe. Ich trete nicht mit ihr in einen Dialog, sondern mit dem iranischen Volk.

Wo Sie gerade die Radioaktivität der Geschichte erwähnen: Wie wirkte die sich bei der Suche nach iranischen und iranisch-stämmigen Schauspieler*innen aus?

Enorm, weswegen sich die Suche sehr schwierig und aufwändig gestaltete. Ich habe mich mit vielen getroffen, die im Iran leben und arbeiten, und meistens war die Reaktion eine, die ich sonst vor allem aus Hollywood-Meetings kenne: Wir finden dich super und würden wahnsinnig gerne mal mit dir arbeiten, aber vielleicht lieber beim nächsten Projekt. Da klar war, dass unser Film nicht von der iranischen Regierung abgesegnet werden würde, haben fast alle abgewunken. Manchmal erst ganz spät, wie etwa die eigentlich vorgesehene Hauptdarstellerin, die erst kurz vorm Dreh doch abgesagt hat. Deswegen sprang dann Zar Amir Ebrahimi ein, die bis dahin als Casting Director für den Film im Einsatz war.

Eine Ausnahme ist Ihr Hauptdarsteller Mehdi Bajestani…

Auf den fiel meine Wahl, weil ich unbedingt jemanden wollte, der aus der Region kommt, in der die Geschichte spielt. Der diesen Dialekt spricht und einem ähnlichen Milieu entstammt, um wirklich für möglichst viel Authentizität zu sorgen. Als ich ihn besetzte, lebte er noch im Iran. Heute allerdings nicht mehr. Es wäre zu gefährlich für ihn gewesen, wieder dorthin zurückzukehren. Für die Besetzung der anderen Rollen haben wir auf der ganzen Welt gesucht, denn iranische Schauspieler*innen leben ja überall, von Paris und Berlin bis Istanbul, Toronto oder Sydney. Und für manche Rollen und Szenen, etwa die, in der es einen Blowjob zu sehen gibt, war mir auch klar, dass ich keine iranische Schauspielerin dazu würde überreden können. Selbst wenn sie längst im Ausland lebt, denn die kulturelle Verankerung wäre zu groß und der Bruch damit zu krass gewesen. Weswegen ich für die Rollen der Sexarbeiterinnen dann konkret Ausschau hielt nach jener neuen Generation, die schon in Europa geboren wurde und mit den dortigen Werten aufgewachsen ist.

Sie selbst kamen erst als Student nach Europa, inzwischen haben Sie den dänischen Pass. Verstehen Sie sich als europäischer Filmemacher?

Europäisches Kino ist für mich keine Frage der Sprache, sondern hat eher damit zu tun, mit welcher Haltung man an seine Geschichten herangeht. Deswegen verstehe ich mich definitiv nicht als iranischer Filmemacher. Natürlich ist vieles an mir noch immer iranisch, aber die Art und Weise, wie ich Filme drehe, hat im Iran keine Tradition. Da sind mir Buñuel, Lars von Trier oder Pasolini sicherlich näher.

Was macht für Sie denn einen europäischen Film aus?

Zum einen das Prinzip der Meinungs- und Kunstfreiheit. Bei jedem meiner Filme gab es irgendwann den Punkt, wo sich Verleiher aus nicht-europäischen Ländern meldeten, und zwar Interesse hatten, aber fragten, ob man nicht die eine oder andere Szene entfernen könne. Etwa weil da ein Penis zu sehen war oder so. Das habe ich in Europa eigentlich noch nicht erlebt. Zum anderen die Tatsache, dass in Europa das Kino und allgemein die Kultur auch als öffentliche Dienstleitung gesehen wird. Nicht ohne Grund wurden nach dem Zweiten Weltkrieg überall Kultureinrichtungen gegründet und öffentliche Gelder bereitgestellt, in der Hoffnung, dass kulturelle Bildung eine Wiederholung etwa des Nationalsozialismus verhindern könnte. Das sollte nun heute nicht dadurch unterlaufen werden, dass wir plötzlich anfangen, mit Fördergeldern nur noch halbherzige Marvel-Imitate statt schwieriger Stoffe zu unterstützen.

Apropos Marvel: hat Hollywood denn bei Ihnen schon angeklopft oder könnten Sie sich die Arbeit an einem US-Blockbuster ohnehin nicht vorstellen?

Fluch und Segen meiner Karriere ist es, dass ich mir erst einmal alles vorstellen kann und überall Potential sehe. Ich habe Hardcore-Arthouse-Kollegen hier in Europa, die sich beim Gedanken an einen Superhelden-Film von vorherein naserümpfend abwenden. Aber da bin ich anders. Zu den passenden Bedingungen könnte ich mir durchaus vorstellen, sehr gerne einen HULK-Film zu drehen. Worüber ich übrigens tatsächlich mit Marvel gesprochen habe. Ob man dort dann allerdings wirklich bereit wäre, mir eben diese passenden Bedingungen zu garantieren? So richtig kann ich es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Aber wer weiß, offen bin ich auf jeden Fall erst einmal für alles.

Dänemark/Deutschland/Frankreich/Schweden 2022 D 115 min D R: Ali Abbasi D B: Ali Abbasi, Afshin Kamran Bahrami D K: Nadim Carlsen D S: Olivia Neergaard-Holm D M: Martin Dirkov D D: Zar Amir-Ebrahimi, Mehdi Bajestani, Arash Ashtiani, Forouzan Jamshidnejad, Sina Parvaneh D V: Alamode Film

HOLY SPIDER blurs the boundaries between social drama and thriller. In the pilgrimage site Mashhad, deeply religious serial killer Saeed is killing prostitutes in order to “purify“ the city.

holy spIDER

Religiöser Wahn

HOLY SPIDER, der in der iranischen Stadt Maschhad spielt – jener Stadt, in der im September die 22-jährige Mahsa Amini von der „Sittenpolizei“ erschlagen wurde, weil sie ein Kopftuch nicht korrekt trug – ist ein Film von ungeplanter, beklemmender Aktualität. Ali Abbasi (BORDER) erzählt, angelehnt an reale Ereignisse, vom Serienmörder Saeed Hanaei, der in der Pilgerstadt Maschhad Prostituierte umbringt und „Spinnenmörder“ genannt wird. Saeed (Mehdi Bajestani) ist ein tiefreligiöser Familienvater und Bauunternehmer bei Tage. Abends, wenn Frau und Kinder bei den Großeltern sind, steigt er auf seinen Motorroller, sammelt auf der Straße Prostituierte auf, bringt sie nach Hause und erdrosselt sie. In seinen vielen Nachtszenen folgt der Film Saeed wiederholt bei der Ausübung seiner „Mission“. Abbasi filmt die Morde mit großer, verstörender Genauigkeit. Immer lernt man die Frauen zunächst kurz in ihrer Persönlichkeit und Lebenssituation kennen, dann begegnen sie Saeed, dessen kalter Fanatismus keine Individuen sieht, nur „Schmutz“, den er auslöschen will. Immer wieder hofft man, sie mögen nicht auf den Roller aufsteigen. In diesen Szenen wird einem schmerzlich bewusst, wie ausgeliefert die Frauen – nicht nur die Sexarbeiterinnen, sondern alle Frauen und nicht nur bei Nacht allein auf der Straße, sondern eigentlich in allen öffentlichen und privaten Situationen ihres Lebens – sind. Mit Glück begegnen sie keinem Mörder, aber auch einem Schläger oder Lügner wären sie recht- und schutzlos ausgeliefert. Das geht auch der Journalistin Rahimi (Silberne Palme in Cannes für die beste Hauptdarstellerin: Zar Amir Ebrahimi) so, die in einem parallel erzählten Handlungsstrang den Fall recherchiert und überall auf Widerstand stößt, und peinlich genau darauf achtet, niemals allein mit einem Mann zu sein. Einige der Hürden, die ihr in den Weg geworfen werden, sind misogyn gegen die moderne Frau gerichtet, andere sind politisch-religiös motiviert: Der „Spinnenmörder“ scheint von den Machthabern der Stadt wenn nicht aktiv unterstützt so doch geduldet zu sein. Der Verdacht erhärtet sich beim anschließenden Prozess, als Saeed bei Teilen der Bevölkerung zum Helden wird. HOLY SPIDER bewegt sich auf der Grenze zwischen Sozialdrama und Thriller. Fast beklemmender als die physische Gewalt ist dabei die Atmosphäre von religiösem Wahn und totaler Unterdrü-

ckung aller Frauen der Stadt. D Hendrike Bake ¢ Start am 12.1.2023

Originaltitel: Heojil kyolshim D Südkorea 2022 D 138 min D R: Park Chan-wook D B: Park Chan-wook, Seo-kyeong Jeong D K: Ji-yong Kim D D: Tang Wei, Park Hae-il, Go Kyung-pyo, Lee Jung-Hyun D V: Koch Films

Park Chan-wook bleibt der koreanische Regisseur, dem es am besten gelingt, die klassische Erzähltechnik um innovative Elemente zu ergänzen. Für seinen Film DECISION TO LEAVE bzw. DIE FRAU IM NEBEL bekam er beim Filmfestival in Cannes die Goldene Palme für den besten Film und die beste Regie. DIE FRAU IM NEBEL ist Polizeifilm, Thriller und ein Melodram über Obsession und Täuschung. Der Polizist Jang Hae-joon (Park Hae-il) leidet an Schlaflosigkeit. Die Fernbeziehung zu seiner Ehefrau ist zu einem streng geregelten Ritual geworden. Als er den Fall eines beim Bergsteigen in den Tod gestürzten Beamten übernimmt, verdächtigt er zunächst dessen Witwe, die Altenpflegerin Song Seo-rae (Tang Wei). Die aber hat ein scheinbar wasserdichtes Alibi. Hae-joon beginnt, sie nachts zu überwachen, nicht nur aus professionellem Interesse. Park zeigt, wie Hae-joon sich während des Blickes durch sein Fernglas in ihre Nähe träumt: Er sitzt plötzlich neben ihr oder steht hinter ihr und redet mit ihr. Sie sitzt am Tisch, blickt auf, und es ist, als ob sich ihre Blicke kreuzten, dabei sitzt Hae-joon hunderte von Metern entfernt in seinem Auto. Morgens ist er dort eingeschlafen. Dort findet Seorae ihn. Jetzt beobachtet sie ihn, und es entsteht ausgerechnet aus Verdacht und Überwachung eine Art Vertrauen und Nähe, bevor Wendungen und weitere Wendungen die Schichten der Geschichte zerlegen und immer neue Perspektiven eröffnen. Park inszeniert seine Liebes- und Mordgeschichte in Bildern, die reines Gefühl sind. Der größte Teil des Films spielt in Innenräumen, in denen die Figuren wie eingesperrt herumstehen. Erst als Hae-joon und Seo-rae sich ihre Liebe gestehen, öffnet sich der Kamerablick und lässt Luft in die Bilder und Seelen. Dann wieder führt Park Unsicherheiten ein: Ist ein Blick, eine Großaufnahme ein Hinweis auf zärtliches Interesse, oder enthüllt sich ein Indiz? Vielleicht sogar – tragischerweise – beides? DIE FRAU IM NEBEL berührt politische Themen wie die illegale Migration von China nach Korea, die Ausbeutung von Migrant*innen, misogyne Gewalt und Korruption. Vor allem aber geht es um ein Dickicht des Begehrens und der Selbstzerstörung. Park war den Filmen seines Vorbildes Alfred Hitchcock selten näher. DIE FRAU IM NEBEL ist großes, virtuoses Kino mit einem so spektakulären wie schockierendem Finale. D Tom Dorow

¢ Start am 2.2.2023

DECISION TO LEAVE is a detective story, a thriller and a melodrama about obsession and deceit.

DIE FRAU Im NEBEl

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