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„WENN mAN DEN TäTEr AN DAS PUBLI KUm ÜBErFÜHrT, STELLT SICH Am ENDE DAS GEFÜHL EIN, ALS SEI DAmIT ALLES GErEGELT“

Interview mit Dominik Moll über IN DER NACHT DES 12.

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Der in Bühl (Baden-Baden) geborene französische Filmregisseur Dominik Moll drehte über zehn Jahre lang Dokumentar- und Kurzfilme, bevor er mit HARRY MEINT ES GUT MIT DIR (2000), in dem sich ein alter Freund in eine Familie einschleicht und deren Mitglieder nach und nach umbringt, den ersten seiner surreal-düster-komischen Thriller drehte. In seinem vermutlich bekanntesten Film, LEMMING (2005) bringt das gleichnamige, möglicherweise nur symbolische Tier, das Leben zweier Paare aus der Spur, in DIE VERSCHWUNDENE (2019) erzählt Moll vom Verschwinden einer Frau aus mehreren Perspektiven. IN DER NACHT DES 12. ist Molls bisher geradlinigster Film, und der erste, der sich der Polizeiarbeit widmet. Pamela Jahn hat mit Dominik Moll über sein jüngstes Werk gesprochen. INDIEKINO: Das Rätselhafte, Mysteriöse, Irrationale ist in Ihren Filmen stets präsent. Was war neben dem Buch von Pauline Guena der Ausgangspunkt für die Geschichte?

Domninik Moll: Ich habe bisher noch keinen Krimi gedreht, der sich auf die Arbeit der Polizei konzentriert. Die hat in meinen Filmen, wenn überhaupt, bisher immer nur im Hintergrund eine Rolle gespielt. Aber ich habe mir nicht gesagt, ich will jetzt mal was über die Polizei machen. Es ging alles von Pauline Guenas Buch aus, das weder ein Roman ist noch eine rein journalistische Abhandlung. Sie hat ein Jahr lang bei der Kripo in Versailles verbracht, Tag und Nacht. Sie hat die Beamten sowohl auf ihren Einsätzen als auch im Alltag begleitet. Im Buch teilt sie ihre Beobachtungen mit. Aber in der Art und Weise, wie sie das literarisch arrangiert, steckt doch auch etwas sehr Fiktionales.

Wie sind Sie auf das Buch aufmerksam geworden?

Ich war auf der Suche nach neuem Lesestoff und bin auf einen Satz gestoßen, der hinten auf dem Buchdeckel stand. Da hieß es, dass jeder Kriminalbeamte früher oder später auf einen Fall stößt, der ihn nicht mehr loslässt. Diese Aussage hat meine Neugier

geweckt, daraufhin habe ich das Buch gekauft und gelesen. Aber es ist ein sehr umfangreiches Buch, 500 Seiten lang, mit vielen super interessanten Details. Und erst in den letzten beiden Kapiteln geht es um diesen Polizisten, der sich immer mehr in einen bestimmten Fall hineingesteigert hat, weil es ihm einfach nicht gelang, den Schuldigen zu finden. Und ich dachte mir, da ist was dran. Denn normalerweise hat man ja bei einem Krimi am Ende immer den Mörder. Bei Columbo steht sogar von vornherein fest, wer der Täter ist. Stattdessen dreht sich alles darum, wie ein dem Publikum bekannter Mörder schließlich gefasst und entlarvt wird. Aber mich hat die Frage fasziniert, was es mit den Ermittlern macht, wenn das halt nicht passiert. Wenn man vor einem Fall steht, den man nicht aufklären kann, obwohl man vielleicht sogar mehrere Verdächtige hat. Was löst das in einem Menschen aus? Frust, Wut, Selbstzweifel?

Ein Schwerpunkt im Film ist das Thema Femizid und Gewalt gegen Frauen, aber auch das Ungleichverhältnis zwischen Männern und Frauen innerhalb der Polizei. um eine Kriminalgeschichte handelt, aber das eigentliche Thema das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist, weil die Kripo einfach so eine extreme Männerwelt ist. Ich war im Zuge unserer Recherche selbst eine Woche lang in Grenoble bei der Polizei, und es gab dort auch nur Männer. Im Fernsehen sieht man jetzt öfter schon mal weibliche Ermittlerinnen, aber in der Realität gibt es die fast noch gar nicht oder nur sehr selten. Es ändert sich ein bisschen, aber nicht so schnell, wie man es sich wünschen würde. Und die Polizisten müssen dann oft Verbrechen ermitteln, die von Männern begangen wurden und sich gegen Frauen richten. Was uns interessierte, war, was diese enorme Gewaltbereitschaft von männlicher Seite bei den Beamten auslöst, wie sie damit umgehen, und ob sie sich und ihr Verhalten vielleicht selbst auch infrage stellen oder nicht.

Sie sind in den 1960er und 1970er Jahren in Deutschland aufgewachsen. War der sonntägliche Tatort Teil Ihrer Kindheit?

Nein, eigentlich nicht. Ich durfte gar nicht so viel fernsehen. Tatort habe ich vielleicht ein, zwei Mal gesehen. Mich haben später die Krimis im Kino gepackt, aber vor allem die, die nicht dahin gehen, wo man es erwartet. Also zum Beispiel ZODIAC von David

Fincher, wo man am Schluss auch nicht genau weiß, wer jetzt der Mörder ist, weil es eigentlich noch um etwas ganz anderes geht. Denn im Grunde genommen stellt sich, wenn man den Täter an das Publikum überführt, am Ende das Gefühl ein, als sei damit alles geregelt. Aber in Wirklichkeit ist gar nichts in Ordnung, weil die Gewalt von Männern gegenüber Frauen ein großes Problem ist. Und das löst man nicht, nur weil man vielleicht einen Typen ins Gefängnis bringt.

Den Fall nicht zu lösen, gibt einem als Drehbuchautor eine gewisse Freiheit, stellt Sie andererseits aber auch vor die Herausforderung, trotzdem irgendwie zu einem Ende finden zu müssen. Wie sind Sie und Gilles Marchand damit umgegangen?

Wir wollten verhindern, dass die Tatsache, dass der Schuldige nicht gefunden wird, dazu führt, dass man das als Versagen der Polizei werten kann. Also am Schluss sollte schon etwas Positives dabei herauskommen. Deshalb sind die Frauenfiguren so wichtig, die eigentlich erst später im Film auftauchen und nicht sehr oft. Aber was sie zu sagen haben, ist das Entscheidende, auch in Bezug auf Yohan, den Hauptermittler. Seine Arbeit bekommt dadurch einen neuen Schwung, eine neue Energie, damit er nicht sagt, okay, lassen wir es bleiben, es hat sowieso alles keinen Sinn. Stattdessen macht er weiter, mit oder ohne Aussicht auf Erfolg. Das Wichtige ist, an der Sache dran zu bleiben und weiter zu machen.

Worin genau liegt Ihrer Ansicht der Grund für die große Gewaltbereitschaft von Männern gegenüber Frauen? Haben Sie mit den Polizisten, die Sie im Rahmen Ihrer Recherche begleitet haben, konkret darüber gesprochen?

Nein, ich war ja nur eine Woche dort und das war zu kurz, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das es mir erlaubt hätte, solche Fragen zu stellen. Aber das Problem ist die Frauenfeindlichkeit im Allgemeinen, die sich jetzt nicht unbedingt nur in Mord ausdrückt. Man erlebt sie bei den Verhören immer wieder und auf verschiedenste Weise. Da sagt dann zum Beispiel einer: „Ja, ich habe mit ihr geschlafen, obwohl sie es nicht wollte, aber es war mir egal.“ Oder ein anderer schlägt grundlos seine eigene Frau bis zur Bewusstlosigkeit. Und dazu gehört auch der Reflex von den Polizisten zu sagen, ja, das Mädchen wurde umgebracht, aber sie hatte eben sehr viele Sexpartner, also war sie wahrscheinlich irgendwie auch ein bisschen selbst schuld daran. Dieser Gedanke, der dann hochkommt, der aber natürlich völlig absurd ist.

Es gibt im Film eine Szene zwischen Yohan und Claras bester Freundin, die darauf anspielt.

Genau, es ist eine zentrale Szene. Und ich sage zentral, weil sie wirklich in der Mitte des Films vorkommt, aber auch, weil sie bei Yohan etwas auslöst in dem Moment, wo Claras Freundin sagt: „Sie war es nicht. Verstehen Sie das nicht? Sie hat nichts getan.“ Denn es hat ja nichts damit zu tun, mit wem Clara geschlafen hat oder nicht. Sie steht nicht auf der Anklagebank. Sie wurde umgebracht und jetzt tun alle so, als hätte sie das irgendwie provoziert. Oder als hätte sie das gewollt. Und als Yohan damit konfrontiert wird, lassen sich bei ihm erste Brüche im Denken erkennen. Von da an stellt er sich selbst immer mehr Fragen.

Sie sind in Ihren Filmen bisher immer sehr erfindungsreich gewesen, sowohl visuell als auch erzählerisch. War es eine besondere Herausforderung für Sie, diesmal den richtigen Ton zu finden?

Die Schwierigkeit bestand darin, ein Gleichgewicht zwischen dem Dokumentarischen und dem Fiktionalen herzustellen. Ich wollte eine Atmosphäre schaffen, die der tatsächlichen Arbeit der Polizisten ähnelt und ihrem Alltag gerecht wird. Dazu gehört zum Beispiel, dass sie wahnsinnig viel Papierkram ausfüllen müssen und eigentlich 80 % ihrer Zeit damit verbringen, Buchstaben auf der Tastatur zu tippen. Und wenn sie dabei einen Fehler machen, etwa eine Uhrzeit falsch dokumentieren, kann das alles zunichtemachen. Da ist also einerseits dieser Druck, der auf ihnen lastet. Und gleichzeitig wollte ich das Visuelle, das Kinematographische ebenfalls beibehalten, um im Spielfilm zu bleiben.

Welche Überlegungen gab es, als es darum ging, die Tat an sich darzustellen?

Ich weiß noch, als wir den Produzenten die erste Drehbuchversionen vorlegten, hieß es von allen Seiten, den Mord dürfe man nicht zeigen, um dem Vorwurf zu entgehen, dass irgendeine Art von Sensationslust dahinter steckt. Aber ich habe daran festgehalten. Ich habe gesagt: „Nein, es ist ein schrecklicher Mord, und trotzdem muss man ihn irgendwie darstellen.“ Aber natürlich nicht auf eine reißerische, sensationelle Art. Für mich stand von vornherein fest, dass es etwas Abstraktes sein sollte, eigentlich völlig unspektakulär. Dennoch hat das Bild etwas Seltsames, Ambivalentes, weil es gewissermaßen schön und schrecklich zugleich ist. Und dazu gehört auch, dass wir den Ton ganz rausgenommen haben, dass nur die Musik da ist und man ihre Schreie nicht hört.

Gab es einen Punkt, wo Sie sich gewünscht hätten, den eigentlichen Mörder zu kennen, um den Fall am Ende doch aufklären zu können?

Nein, denn so ist es eben im Leben. Man kann nicht immer alles erklären. Und ich wusste ja von Anfang an, dass ich es so haben wollte, weil es uns die Möglichkeit eröffnete, über den Fall hinaus auch noch woanders hinzuschauen. Was den eigentlichen Mord betrifft, ist sich die Polizei übrigens ziemlich sicher, dass einer der Verdächtigen der Täter ist. Aber es ist keiner der Männer, die im Film vorkommen, sondern noch eine zusätzliche Person. Nur haben die Ermittler keine handfesten Beweise. Sie haben auch keine Zeugen, gar nichts. Und deshalb können sie nichts machen. Ohne Beweise kann man nichts machen.

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