4 ERSTER WELTKRIEG
ERSTER WELTKRIEG 5
SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. JUNI 2014
Die Kriegsziele der Staaten Mittelmächte
Wie die Welt in einen Krieg taumelte 1914–1918. Der Erste Weltkrieg brachte eine vorher nie gekannte Brutalität, er stürzte Monarchien, veränderte Landkarten, beförderte Revolten und Revolutionen. Einen echten Frieden brachte er nicht. Nach einem Wort des früheren US-Diplomaten George F. Kennan war er die „Urkatastrophe des 20. Jahrunderts“. Die kostete mindestens 17 Millionen Menschen das Leben. M CumurijaBrücke
1914 Traum vom schnellen Sieg
a iljack povich Philip Platz
-
LateinerBrücke
ENGLAND
SCHWEDEN
FRANKREICH Es sieht die Chance, das im Krieg von 1870/71 verlorene ElsassLothringen wiederzugewinnen.
Rückfahrt vom Rathaus Das Fahrzeug biegt falsch ab und bleibt stehen. Gavrilo Princip begeht das Attentat auf Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie Chotek von Chotkowa.
Paris
4
1
ElsassLothringen
SERBIEN BULGARIEN
5
ALBANIEN
Sonntag, 28. Juni 1914
N
Die Risiko-Tour
Der Wagen mit dem österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie fährt durch Sarajewo und ist im Visier serbisch-bosnischer Nationalisten. Einer wirft eine Granate. Sie rollt unter den folgenden Wagen und explodiert. Dabei wird ein Offizier verletzt. Doch Franz Ferdinand setzt das Programm mit einem Empfang im Rathaus fort. Nächstes Ziel: Der Gouverneurspalast. Aber der Thronfolger ändert die Route, um den Offizier im Hospital zu besuchen. An der Lateinerbrücke kommt es zu einem kurzen Stopp. Dort sitzt zufällig der serbisch-bosnische Extremist Gavrilo Princip (19) in einem Café. Jetzt sieht er eine neue Chance und schießt zweimal mit seiner Browning-Pistole.
4 Gouverneur Oskar Potiorek
Anfang vom Ende
ENGLAND
Brüssel
Grausame Ägäis
Die Alliierten wollen Konstantinopel (heute Istanbul) einnehmen. Auf der Halbinsel Gallipoli landen sie Ende April mit Truppen aus dem britischen Weltreich, darunter Australier, Neuseeländer und Inder. Sie scheitern an türkischer Gegenwehr. 100 000 Gefallene bleiben zurück.
Deutscher Angriff bei Verdun LUXEMBURG Luxemburg
Paris Verdun
Front 1914-15 Juli 1918 Oktober 1918 FRANKREICH November 1918 von deutschen Truppen besetztes Gebiet (Herbst 1914)
DEUTSCHESREICH
Schlachtkreuzer am Skagerrak
Verlauf der Westfront 1914-1918
Schlacht am Isonzo GRAFIK: Cyprian Lothringer / www.cyplot.de
In allen kriegführenden Staaten ist ein Großteil der Bevölkerung kriegsmüde. In Deutschland erhebt sich die Forderung nach Demokratisierung. Die Macht des Kaisers erschlafft, die wirkliche Regierungsgewalt hat jetzt die Oberste Heeresleitung (OHL) unter den Generälen Hindenburg und Ludendorff.
Seeschlacht
Ende Mai wagen die kaiserlichen Schlachtschiffe einen Vorstoß Richtung Südnorwegen. Dabei treffen sie vor Jütland am Skagerrak auf britische Schiffe, die in der Überzahl sind. Die Briten verlieren 14, die Deutschen elf Schiffe. Insgesamt sterben 8645 Menschen.
Am Fluss Somme in Nordfrankreich gibt es zwischen Juli und Mitte Novem- ber rund 500 000 Gefallene, Verwundete und Vermisste auf beiden Seiten. Ausgedacht haben sich die Offensive Briten und Franzosen, um die Front bei Verdun zu entlasten.
Britischer Angriff an der Somme
QUELLEN: DHM Deutsches Historisches Museum, Berlin; Bundesarchiv Bildarchiv, dpa, Wikipedia;
Vor allem die Deutschen hungern, weil sie durch die bri- tische Seeblockade vom wichtigen Lebensmittel-Import abgeschnitten sind. Nahrungsmittel werden rationiert. Die Steckrübe, eine Art Kohl, wird im harten Winter 1916/1917 zu einer Art Hauptnahrungsmittel. Daher spricht man vom Steckrübenwinter.
US-Präsident Wilson
Revolutions-Poker
Ende Februar beginnt der Umsturz in St. Petersburg. Der Zar dankt im März ab, die Regierung will den Krieg fort- setzen. Die deutsche OHL nutzt die Chance: Sie setzt den russischen Revolutionär Wladimir Uljanow, genannt Lenin, in einen Sonderzug nach St. Petersburg. Im Herbst geht der Plan auf. Lenins Bolschewiki sind an der Macht und bieten den Mittelmächten Frieden an. Revolutionär Lenin
Meuternde Matrosen
Bilanz des Krieges: Fast 9 Millionen Gefallene. Zivile Opfer erhöhen die Zahl auf rund 17 Millionen Tote.
2 Millionen 1,8 1,3 1,1
Schicksalstag
Wilhelm II. räumt den Thron, Philipp Scheidemann (SPD) ruft am 9. November die Republik aus. Friedrich Ebert wird der erste Kanzler. Die Alliierten beordern die deutsche Delegation nach Compiègne bei Paris. Dort wird am 11. November der Waffenstillstand unterschrieben. Scheidemann
Deutschland erklärt den U-Boot-Krieg uneingeschränkt gegen jedes fremde Schiff. Die USA reagieren darauf am 6. April mit einer Kriegserklärung und bringen Truppen an die Westfront nach Frankreich. Amerikaner an der Front
Gefallene
Die kaiserliche Flotte soll zu einem heroischen Endkampf gegen die britische Grand Fleet auslaufen. Die Matrosen wollen keinen Opfergang und meutern. Von Kiel und Wilhelmshaven verbreiten sich Revolten wie ein Lauffeuer nach Süden.
Mann aus Übersee
Deutsche stehen um Brot an
Die deutsche OHL verlangt im September von der Politik, den Alliierten einen Waffenstillstand anzubieten. Jetzt sollen andere die Suppe auslöffeln. Man wendet sich an den US-Präsidenten Woodrow Wilson. Von ihm erhofft man mehr Verhandlungsbereitschaft. Österreich-Ungarn steigt Anfang Oktober aus dem Krieg aus.
England setzt Panzer ein
Ohne uns
Reichstag damals
Nichts zu essen
Auch Italiens Krieg gegen Österreich erstarrt in Stellungen. Die Kämpfe tragen den Namen des Flusses Isonzo (heute Slowenien). Allein 1915 gibt es dort fünf Schlachten. Dabei verlieren die Italiener 175 000 Mann, die Österreicher rund 123 000.
Der Schwarze Peter
Wendepunkt des Krieges Erschöpfung
Eine Million Mann Verluste
Die Alpen-Front
Kämpfe auf Gallipoli
1917
Im dritten Kriegsjahr entbrennt eine Schlacht, die an Grausamkeit alle früheren übertrifft: Verdun. Dieser Name steht für den industrialisierten Krieg, der in der Materialschlacht einen mörderischen Höhepunkt entfaltet. Es sterben 167 000 Franzosen und 150 000 Deutsche. Der Frontverlauf bleibt fast der Gleiche wie vor der Schlacht.
Ypern
Tödlicher Nebel
Die Opfer verbluten kurz darauf. Princip wird festgenommen, zu 20 Jahren Haft verurteilt und kommt in die Festung Theresienstadt. Er stirbt im April 1918.
Im Westen nichts Neues
NIEDERLANDE
BELGIEN
Der Schrecken der Materialschlacht
7 Attentäter Gavrilo Princip, der zwei Schüsse abgibt.
Kämpfe in Berlin
0,8 0,7 0,5
Kein Krieg, kein Frieden
Chaos in Deutschland. In Berlin toben Kämpfe zwischen Revolutionären und ultrarechten Freikorps, die Söldnertruppe der Regierung. Einen schweren Stand hat die Demokratie nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Versailles im Juni 1919: Deutschland verliert ein Siebtel seiner Fläche. Es drohen immense Reparationszahlungen. Auch sollen die Deutschen allein am Krieg schuld sein. Das nutzt den Extremisten, vor allem der Nazi-Partei Adolf Hitlers.
0,2 Italien
1916
Giftgas und ein neuer Gegner
Im August zwingen die Alliierten die Deutschen im Westen in die Defensive. Dabei kommt erstmals in größerem Umfang eine neue Waffe zum Einsatz: der Panzer. Das deutsche Heer wird zum Rückzug nach Osten gezwungen. Mitte August muss der deutsche Generalstab den Offenbarungseid leisten: Der Krieg ist nicht mehr zu gewinnen.
England
Soldaten in Schützengräben
5 Chauffeur Leopold Lojka 6 Franz Graf von Harrach, Besitzer des Wagens
Türkei
Trittbrett neben Franz Ferdinand und ist um das Auto herumgelaufen. Er kommt zu spät, um noch eingreifen zu können.
Deutsche vor der Offensive
USA
3 Der Hofbedienstete Gustav Schneiberg stand zuerst auf dem
Zwischen März und Juli will die deutsche Heeresleitung eine Entscheidung im Westen erzwingen und startet die Offensive Michael. Sie bleibt nach 50 Kilometern stecken. Deutschland ist mit seinen Kräften am Ende.
Abwehr
Die deutsche Seite setzt im April bei Ypern erstmals Giftgas ein. Tausende Soldaten ersticken, weil sie keine Schutzmaske haben.
Letzte Kraftanstrengung
1 Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich 2 Gemahlin des Thronfolgers Sophie Chotek von Chotkowa
Das Auto war ein sogenannter Doppelphaeton des österreichischen Herstellers Gräf & Stift. Es hatte sechs Sitze und 32 PS. Heute steht der Wagen im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien.
Diktat im Osten
Gegenüber Russland tritt Deutschland als Sieger auf und diktiert im Frieden von Brest-Litowsk die Bedingungen. Russland muss das Baltikum und Polen aufgeben und Reparationen zahlen.
Österreich-Ungarn
Plan: Über Belgien nach Frankreich
1918 Der Zusammenbruch
Frankreich
Armee
DEUTSCHESREICH
FRANKREICH
Rom will ab 1915 die Chance nutzen, durch den Kampf gegen ÖsterreichUngarn eine neue Machtstellung an der Adria zu erringen.
Russland
Paris
Das Osmanische Reich ist politisch vor allem durch Russland an den Rand gedrängt worden und sieht an der Seite von Berlin und Wien eine Chance auf Revanche.
ITALIEN
Sarajewo
500 m
NIEDERLANDE
TÜRKEI
Dardanellen
6
Sarajewo 1914 1 2 3 4 5 6 7 8
Der Stellungskrieg begünstigt die Verteidiger. Eine mörderische Rolle spielt das Maschinengewehr. In einer einzigen Schlacht gibt es so viele Tote und Verwundete, wie zuvor kaum in einem ganzen Krieg. So fallen bereits in der ersten Schlacht um Ypern (Belgien) im Herbst 1914 auf deutscher Seite 100 000 Soldaten oder werden verwundet. Die Briten haben 58 000, die Franzosen 50 000 Mann Verluste.
Konstantinopel
MONTENEGRO
Zunächst sieht es nach einem schnellen deutschen Sieg über Frank- reich aus. Aber kurz vor Paris, an der Marne, bleibt der Angriff liegen. Die Deutschen ziehen sich etwas zurück und graben sich in Nord- frankreich in die Erde ein. Die Front im Westen erstarrt bis 1918.
Sieg der Defensive
Sofia
Rom
OSMANISCHES REICH
Sackgasse
Russland marschiert in Ostpreußen ein und bedroht Königsberg. Doch die Generäle Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff besiegen die russischen Armeen in den Schlachten von Tannenberg und an den Masurischen Seen. Im Süden gegen Österreich sind die Russen erfolgreicher. Gekämpft wird in einem Bogen vom heutigen Südpolen bis in die Karpaten.
Das Zarenreich will den Zerfall Österreich-Ungarns. So würde der Zar mehr Einfluss auf dem Balkan gewinnen. Auch die Kontrolle über die Dardanellen wird angestrebt.
Deutschland
Obwohl Belgien Deutschland den Durchmarsch verwehrt, rücken mehrere Armeen ein. Berlin glaubt, England werde neutral bleiben. Doch London steht den Belgiern und Franzosen bei. „Gott strafe England!“ heißt es jetzt in Deutschland.
RECHERCHE & TEXT: Alexander Michel, Südkurier
SPANIEN
RUSSLAND
RUMÄNIEN
Sarajevo
GRIECHENLAND
Wilhelm II.
Vabanquespiel
Soldaten mit Gasmasken
SCHWEIZ
2
GOUVERNEURSPALAST
BELGIEN
RUSSISCHES REICH
Wien ÖSTERREICH - UNGARN
HOSPITAL
Für die Eskalation mitverantwortlich ist, dass in Berlin jetzt der Generalstab Politik macht. Der drängte auf Eile. Man will dem Zwei- frontenkrieg begegnen, indem man Frankreich binnen Wochen besiegt, um sich dann gegen Russland zu wenden. Das funktioniert nur, wenn das Gros der deutschen Armee über das neutrale Belgien in Nord- frankreich einfällt, um in einem „Sichelschnitt“den Gegner zu um- fassen. Dieser starre Plan macht Diplomatie unmöglich. Am 1. August erklärt Deutschland Russland den Krieg, am 3. August Frankreich.
Westfront: Hier stand einmal Wald
Berlin DEUTSCHES REICH
BELGIEN
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RATHAUS
Die heiße Phase beginnt in der letzten Juliwoche mit Österreichs 48-Stunden-Ultimatum an Serbien. Das soll Beamten aus Wien gestatten, im Land zu ermitteln. Belgrad kann das nur ablehnen. Am 28. Juli erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Die jeweiligen Bündnispartner Russland und Deutschland greifen ein und ordnen die Mobilmachung ihrer Armeen an.
1915
London
In Wien geht es um den Erhalt eines fragilen Vielvölkerstaats. Man will dem „Unruhestifter“ Serbien eine Lektion erteilen, um auf dem Balkan Stabilität herzustellen.
Moskau
NIEDERLANDE
Franz Joseph I.
Deutschlands Eile
ÖSTERREICH
DÄNEMARK
PORTUGAL
Risikospiel
Paul von Hindenburg
NORWEGEN
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Man hört oft, das Attentat von Sarajewo sei der Funke in ein Pulverfass gewesen. Ganz so einfach war es nicht. Denn vom Attentat am 28. Juni bis zu den Kriegserklärungen Anfang August vergingen fünf Wochen. Es wäre genug Zeit gewesen, die Krise beizulegen.
Kanone Dicke Bertha in Belgien
Das Kaiserreich fühlt sich vom Bündnis aus Frankreich, England und Russland eingekreist. Ein Krieg, so hofft man, könnte den Ring sprengen.
Es verfolgt keine aggressiven Ziele. Was es nicht will: ein Deutschland, das Europa dominiert, und eine Kaiserliche Marine, die immer mehr Schlachtschiffe vom Stapel laufen lässt.
Fahrt zum Rathaus
Fünf Wochen Krise
Zar Nikolaus II.
neutrale Staaten
DEUTSCHLAND
Anschlag auf die Fahrzeugkolonne. Eine Bombe detoniert unter einem Folgefahrzeug.
Café
Entente Mächte