Der Engel mit dem einen Fl端gel
Jorge Parada
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ein k t s i Dies , sondernk BuchGeschen ls ein Schicksa der f端r dich.
Autor Jorge Parada Künstlerische Leitung Jorge Parada Illustrationen Patricia Ballesteros Amat Übersetzt von Yvonne Zumpe
Pintor Sorolla 22 46002 – Valencia – Spain inlibris.es
I.S.B.N. 978-84-941792-5-9
Der Engel mit dem einen Fl端gel Jorge Parada
Stell dir vor die Seele wäre ein schöner Vogel und unser Körper ein Käfig. Stell dir einen schönen Vogel in einem Käfig vor, ohne dass er seinen Gesang hätte. Wie gefangen muss er sich fühlen? Der Autor
Kapitel 1.
Die Geburt
I
mmer wenn ich den Leib einer werdenden Mutter sehe, verstehe ich die Bedeutung der Existenz. Ich spüre, wie
in einem Leben, ein anderes geboren wird, als wäre es ein geheimnisvolles Band, dass bis in die Ewigkeit hineinreicht. Als Kind stellte ich mir vor, dass sich im Inneren eines solchen Bauches Städte und Spielplätze verbergen und wenn ich mir Spiele ausdachte, kam es mir so vor, als ob ich meinen Drachen steigen lassen könnte und schon... war es ein Leib mit einem Himmel und einer strahlenden Sonne. Immer, wenn die Sonne scheint, gibt es herrliche Wolken. Heute, da ich außerhalb dieser Stadt spiele, ziehen mich die Wolken immer wieder in ihren Bann und wecken meine Fantasie. Wenn ich in den Himmel schaue, mit seinen Wolken in all den Formen, dann kann ich mir einfach alles vorstellen. Das Warum der Wolken und das Warum dieser Geschichte
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Sie, die zukünftige Mutter, spürte in sich strahlend weiße Wolken, gläsern und federweich; ein Bauch, der ihren Körper leichter machte. Manchmal, in ihren Träumen, fürchtete sie, dass ihr Leib davonschweben könnte, wie die Ballons, die die Kinder im Park verlieren und die sie nicht wieder erhaschen können, mit ihren nackten Händen. Aber schließlich, kam der Moment, dieses Wesen loszulassen und von nun an würde es von allen sein. Seine Ankunft war wie das Öffnen eines Fensters, damit das Licht eintreten kann, um mit seinem Glanz in allen Winkeln zu spielen, die die Dunkelheit der Leere nicht sehen lässt. Seine Eltern brauchten dieses Kind und es wollte glücklich wachsen, mit all der magischen Kraft der Liebe.
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Kapitel 2.
Vom Merkw端rdigen zum Aufbruch
E
s war an diesem Morgen, als die Eltern etwas Seltsames an ihrem Kind bemerkten. Es hatte
auf der rechten Seite seines Rückens einen auffallenden Buckel, bedeckt von einer feinen Schicht aus Flaum. Besorgt befragten sie viele Ärzte und Spezialisten, um herauszufinden, ob das sein Leben beeinflussen würde. Aber keiner von ihnen konnte eine Diagnose stellen, eine Behandlung vorschlagen und noch viel weniger, etwas über die Entwicklung voraussagen. Es gibt keine schlimmere Sorge, als zu warten, dass sich die Krankheit unserer Kinder günstig entwickelt. Mit innigster Liebe hegten sie ihr Kind, ihre Verzweiflung verhüllend und die Zeit, die nicht weiß, dass sie existiert, vergrößerte ihre Schritte und schon bald wurde aus dem grauen Buckel ein prächtiger, strahlend weißer Flügel.
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Es
war
schwer,
mit
soviel
Ungewissheiten
zurechtzukommen, ebenso wie das Kind von einem Ort zum anderen zu bringen, es zu pflegen und so vieles mehr. Die Hoffnung, einen zweiten Flügel zu bekommen, verlor sich mit der Zeit, so wie sich die kleinen Wolken einfach auflösen, wenn der Wind sie anstößt.
“Angelo”, mit dem offenen Lächeln, so war sein Name, spürte, dass in seinem Inneren Winde wehten und dass diese seine eigene Wolke in eine Richtung bliesen, “gen SÜDEN”.
Eines Nachts, während er schlief, wies ihm der Himmel in seinen Träumen einen Weg.
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War das die Stunde des Auf bruchs? Es war an einem Frühlingsnachmittag, als er sich von seinen Freunden, die ihn so liebten, verabschiedete. Seine Mutter spürte, dass der kleine Ballon aus ihren Träumen diesmal wirklich aufsteigen würde und der Vater, betrübt über sein Weggehen, bestärkte sein Herz in Gedanken an die Zukunft seines geliebten Sohnes. Lächelnd und ohne Tränen verließ der Junge sein Dorf, der Spur folgend, die er, wie ein Wanderer, auf der Suche nach dem SÜDEN, gewählt hatte. Nur manchmal hielt er kurz an, weil ein Stein in seinen Schuh geraten war. Sein Mut und seine innere Überzeugung gaben ihm Kraft, so als ob die große Anstrengung seiner Wanderung ewig dauern würde.
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Kapitel 3.
Der Greis ohne Hoffnung
N
ach langem Gehen, erreichte er das erste Dorf, in dem er einen sehr alten Mann traf, dem ein
Bein fehlte. Erfreut über diese Begegnung, grüßte er ihn freundlich: — Wie geht es Ihnen? Lustlos und ironisch antwortet der Alte: — Sehr gut! Aber vielleicht ein wenig traurig, so wie du... Durch diese Antwort verwirrt, fragte Angelo: — Warum sagen Sie das? Sich auf sein Holzbein stützend, senkte der Alte lächelnd seinen Blick. — Wie ich sehe, fehlt dir ein Flügel. Als hätte jemand versucht, ihn mit einer leichten Brise
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zu verletzen, erwiderte Angelo: — Das ist kein Problem, denn ich bin auf dem Weg gen SÜDEN, um ihn zu finden. Der Alte brach in spöttisches Gelächter aus und erwiderte wild gestikulierend: — Niemals kann man etwas wiedererlangen, das entzwei gegangen ist. Ich habe mein Bein bei einem Unfall unter dem schweren Rad eines Wagens verloren und glaube nicht daran es jemals wiederzubekommen; selbst nicht, wenn ich zum Mond reisen würde. Angelo sagte selbstbewusst: — Ich habe meinen Flügel nicht verloren; ich habe ihn nie gehabt. Der Alte erwiderte mit harter Stimme: — Wie kann man nur einen Teil besitzen, ohne den
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anderen verloren zu haben? Wie der Einäugige, der Einarmige, der Lahme... — Weißt du, wie man einen Engel nennt, dem ein Flügel fehlt? Angelo betrachtete den alten Mann und bemerkte, dass seine Augen leer waren vom vielen Schauen auf die falsche Seite der Dinge und antwortete ihm: — Ich weiß es nicht und ich weiß auch nicht, wie ein Kind heißt, das einen Flügel zu viel hat. Verärgert und um dem Gespräch ein Ende zu machen, sagte der Alte: — Um das zu erfahren, müsstest du wissen, was du bist. Und mit lautem Gelächter verabschiedete er sich von Angelo.
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— Geh du nur weiter gen SÜDEN, diesem Ort, wo ich mein Bein verloren habe. Ein wenig betrübt durch diese Begegnung, die einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen hatte, ging Angelo festen Schrittes weiter auf seinem Weg, ohne das ihn dieses Ereignis geschwächt hätte. Der Weg seiner Suche bleibt beschwerlich und seine Sehnsucht etwas Besseres zu finden, erlaubt es ihm nicht, über diesen alten Mann zu urteilen, der ohne jegliche Hoffnung lebt.
Kapitel 4.
Der Junge
A
ngelo, wieder unterwegs und unermüdlich, machte in der Ferne ein zweites Dorf aus,
wo er zu seiner großen Freude einen Jungen, in etwa seinem Alter traf. Dieser, ganz hingerissen von dem strahlend weißen Flügel, fragte ihn: — Darf ich ihn mal anfassen? Angelo breitete seinen Flügel aus und streifte die Hand des Jungen, als ob er die kleinen Finger berühren wollte. Dieser sagte staunend: — Wie weich er ist, weicher als die Flügel von dem Fasan meines Onkels. Angelo erwiderte bescheiden: — Das scheint dir nur so, aber sie sind ganz gewiss gleich.
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Der Junge, der noch ganz verwundert war über diese Begegnung, sagte: — Ich gäbe alles, um einen Flügel, wie diesen zu haben. — Was würdest du mit ihm machen? Der Junge antwortete zum Himmel schauend: — Ich würde hinauffliegen, um ferne Orte zu erblicken und über den Wolken schweben, um ihren frischen Duft zu atmen. Angelo erwiderte ruhig: — Ich kann nicht fliegen. Sicher könnte ich es,
wenn ich meinen zweiten Flügel hätte. Der Junge, der aufmerksam zugehört hatte, sagte: — Wenn du mit dem einem Flügel nicht fliegen kannst, wozu nützt er dir dann? Angelo, vielleicht ein wenig traurig: — Ich weiß es nicht. Der Junge, der die Situation verstanden hatte, beruhigte ihn: — Mach dir nichts daraus. Ich habe ein Auge, das nicht weinen kann. Angelo, der durch diese Bemerkung neugierig geworden war, sagte vorsichtig und mit ruhiger Stimme, um den Jungen nicht zu verletzen: — Erzähl mir von deinem Auge, das nicht weinen kann!
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Der Junge holte tief Luft und erzählte: — Wenn ich traurig bin oder Schmerzen habe, dann weint nur mein rechtes Auge, aber wenn ich, so wie du, nur einen Flügel hätte, mit dem ich nicht fliegen kann, dann würde ich vor Traurigkeit unaufhörlich aus beiden Augen weinen. Angelo erwiderte ohne Betrübnis: — Ich habe weder geweint, noch bin ich traurig, denn ich reise gen SÜDEN, um meinen anderen Flügel zu finden. Wenn du mich begleiten möchtest, kannst du vielleicht die Tränen für dein Auge finden. — Wäre ich dir nicht lästig auf deinem Weg? Angelo lächelte nur, nahm ihn bei der Hand und sie gingen den Weg gemeinsam weiter.
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Kapitel 5.
Die Hexe
A
Als sie das dritte Dorf erreichten, stießen sie auf eine häßliche Frau, vielleicht zu häßlich, um
wahr zu sein oder sogar noch häßlicher. Angelo wandte sich freundlich an sie und stellte seinen Freund vor. — Wir sind auf dem Weg gen SÜDEN, um das zu suchen, was uns fehlt; der Junge sein Weinen und ich meinen Flügel. Mit schnellen Bewegungen und Gesten, die nichts sagten, nahm sie Angelos Hand und flüsterte ihm ins Ohr: — Wenn du willst, kann ich den Jungen in deinen linken Flügel verzaubern, aber da er nur ein Auge hat, das weinen kann, lässt dich dieser Flügel vielleicht nicht fliegen. Angelo, der ihr Verhalten nicht verstand, riss sich schnell von ihr los und erwiderte scharf:
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— Ich würde meinen Freund niemals für einen Flügel eintauschen, selbst dann nicht, wenn ich damit fliegen könnte. Die Frau wendete sich, wie ein wildes Tier, das seine Beute verloren hat, an den Jungen und sagte zu ihm mit leiser Stimme: — Wenn du willst, kann ich deinen Freund in Tränen für dein Auge verwandeln, aber da ihm ein Flügel fehlt, kannst du vielleicht nicht sehen, während du weinst. Mit großer Empörung widersprach der Junge: — Angelo ist mein Freund und die einzige Hoffnung, meine Tränen zu finden. Selbst wenn mich diese Tränen sehen lassen würden, tauschte ich ihn nicht ein. Die Frau, die in Wirklichkeit eine Hexe war, verschwand im Handumdrehen.
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Kapitel 6.
Lebende Marionetten
B
eide nahmen sich ganz fest bei der Hand, als ob sie damit einen brüderlichen Freundschaftspakt
besiegeln würden. So gingen sie ihren Weg weiter; manchmal rasteten sie, um ihre Beine auszustrecken, Wasser im Schatten eines Baumes zu trinken und so ein wenig auszuruhen von dem beschwerlichen Weg, der sie zum vierten Dorf führte. Erstaunt darüber, niemanden zu treffen, nachdem sie schon durch alle Gassen gelaufen waren, sagte Angelo nachdenklich: — Wo könnten sie nur alle sein? — Vielleicht sind sie gen SÜDEN aufgebrochen., sagte der Junge verwundert. Angelo erwiderte mit der Erfahrung eines Wanderes: — Der SÜDEN existiert nicht für alle. Es ist ein besonderer Ort, der schwierig zu erreichen ist und es braucht viel Willenskraft und inneren Antrieb, der
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uns bei unserer Suche den Weg weist. — Ich wusste nichts vom SÜDEN; ich brauchte dich dazu. Aber die anderen Menschen; wie können sie davon erfahren? — Vielleicht muss man sich merkwürdig fühlen... — Meinst du traurig? — Wir fühlen uns traurig, wenn uns etwas fehlt, was wichtig für uns ist. Aber wenn wir nichts verloren haben, ist dieses Gefühl so verborgen, dass wir es nicht greifen können. Die Antwort verstehend, antwortete der Junge: — Ich bin ganz sicher, dass mein Gefühl Traurigkeit ist. Wenn es regnet, schmerzt mein Auge, weil es sich anstrengt, es diesen kleinen Tropfen nachzumachen. Aber wenn ich nach oben schaue und ein kleiner Regentropfen in mein Auge gelangt, dann beginnt es
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zu atmen, so wie die Pflanzen, Bäume und Blumen, wenn sie das erfrischende Wasser berührt. Ich spüre das Verlangen, dass sich mein Auge mit diesen kleinen Tropfen aus Tränen füllt, die in meiner Brust drücken, um so die verborgene Traurigkeit herauszulassen. Angelo versuchte das Gefühl des Jungen zu verstehen: — Und das weinende Auge; lässt es die Traurigkeit nicht heraus? — Ein wenig, aber es reicht nicht. Überrascht sahen sie plötzlich ein hell erleuchtetes Schild, das die Vorstellung lebender Marionetten im Theater ankündigte. Sie gingen schneller und traffen auf eine lange Menschenschlange, in der alle darauf warteten, eine Eintrittskarte
zu
bekommen...
wahrscheinlich
alle
Bewohner des Dorfes. Der Letzte in der Reihe war ein Vater mit einem reizenden
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Mädchen auf seinen Schultern. Angelo grüßte ihn höflich: — Guten Tag! Der Mann schaute sie an und dachte, dass er nun nicht mehr der Letzte in der Reihe sei und zeigte nach oben zu dem kleinen Mädchen. Dieses rief: — Hallo, ich bin sehr groß und mein Name ist Rosario. Das Mädchen, das sich wie auf dem höchsten Berg fühlte und gleichzeitig beschützt von den Schultern ihres Vaters, zeigte mit ihrem Finger, den, den wir benutzen, um auf etwas zu deuten und fragte: — Wer ist das? Angelo antwortete mit einem Lächeln: — Das ist mein Freund, der mich in den SÜDEN
begleitet. Etwas verlegen sagte der Mann: — So weit! Ich warte lieber auf die Aufführung. Das ist sicher interessanter. — Die Vorstellung muss sehr schön sein, wenn so viele Menschen kommen., sagte der Junge erstaunt. Der Vater schaute nach unten und anwortete etwas zaghaft: — Wir wissen es nicht. Es ist die erste Aufführung in diesem Dorf. Angelo fragte unsicher: — Wartet ihr schon lange hier? Der Vater, der sich fühlte, als ob jemand in seinem verletzten Körper herumstocherte, antwortete: — Seit vielen Jahren schon; aber es gibt Leute, die
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schon viel länger hier sind. Ich bin der Letzte in der Reihe, weil ich lange zweifelte. Aber dann habe ich mich doch entschlossen und bin sehr froh, denn ich mache meiner Tochter damit eine große Freude und lindere ihr Leiden, denn sie ist etwas ganz Besonderes. Von Geburt an kann sie nicht laufen und das Warten auf meinen Schultern gibt ihr Sicherheit. Zuvorkommend und bereit alles zu tun, was nötig wäre, bat ihnen der Junge an, den Weg gemeinsam zu gehen, den sie begonnen hatten. Vielleicht könnte das Mädchen so eine Lösung finden und ihr bliebe das lange Warten erspart. Der Vater bedankte sich: — Ich war der Letzte, der sich entschieden hat und ich kann nicht all diese Zeit vergeuden, um jetzt wegzugehen. Ich bin sicher, das ich auf die große Vorstellung warten möchte.
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Kapitel 7
Die Lehrerin
S
ie nahmen Abschied, ohne sich umzuschauen, damit ihnen dieses traurige Bild nichts anhaben
konnte. Angelo ging schneller und sagte: — Ich glaube, dass wir die Einzigen sind, die bei der großen Aufführung dabei sein werden. Zum Glück wissen wir, dass es den SÜDEN gibt. Der Junge, der noch ganz vom Anblick des Mädchens gefangen war, erwiderte: — Was für ein zauberhaftes Mädchen! Ich wäre dort geblieben, nur um bei ihr zu sein, selbst als der Letzte in der langen Reihe. Wenn es wirklich etwas nach dem Süden gibt, dann werde ich zurückkehren, um an ihrer Seite zu sein! Angelo sah die Aufrichtigkeit in den Gefühlen des
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Jungen und war sich ganz sicher, dass er seine kostbaren Tränen finden würde. Sie folgten ihrem Weg durch Kälte und Regen, auf überschwemmten Wegen, bis sie das fünfte Dorf ausmachten. Bei ihrer Ankunft war alles sehr sauber und ordentlich. Beide atmeten diese Luft, die ihnen so bekannt vorkam und ihre Seelen füllten sich mit Gefühlen und Erinnerungen. — Was macht ihr Jungs hier, während der Unterrichtszeit, außerhalb der Schule? Angelo antwortete überrascht: — Wir reisen gen SÜDEN. — Kommt nicht in Frage. Die Frau stellte eine Schulbank mit Stühlen und Schulsachen auf und bat die Jungen, sich ihre Hände
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zu waschen. — Wir sind Ihnen sehr dankbar, aber unser Weg führt uns nach SÜDEN. Die Lehrerin erwiderte mit strenger Stimme: — Keiner kann euch von eurem Weg abbringen, aber zuerst müsst ihr eure Lektion lernen. Sie begann mit den Worten: — Wissen ist entscheidend, um im Leben etwas Besonderes zu werden. — Aber wir sind schon zur Schule gegangen , sagte Angelo.
Die Lehrerin erwiderte mit der Strenge der Wissenden: — Wenn ihr zur Schule gegangen seid und eure Lektion gelernt habt, dann sagt mir, was der SÜDEN ist. Beide waren überrascht, weil sie dachten, von ganz unterschiedlichen Realitäten auszugehen. — Ich weiß es nicht, antwortete der Junge. —Angelo sagte mir, es wäre der Ort, wo ich meine Tränen finden werde und er seinen fehlenden Flügel. Die Lehrerin mit bedächtiger Stimme: — Wir denken immer, dass es einen Ort gibt, an dem sich all unsere Fragen beantworten. Aber die Antworten tragen wir immer in uns selbst. — Der SÜDEN ist ein symbolischer Ort und existiert immer dann, wenn wir den richtigen Weg wählen,
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mit visionärem Geist, Beharrlichkeit, Freude und Bescheidenheit. Den SÜDEN, den ihr sucht, habe ich hier gefunden und es macht mich sehr zufrieden, dass ihr ihn jetzt kennt. So habe ich meine Aufgabe erfüllt. — Ich könnte in keinem anderen SÜDEN leben, als in dem meinen... Mit einem liebvollen Ausdruck in den Augen und ihrer strengen Haltung läutete sie die Schulglocke. — Kinder, der Unterricht ist zu Ende. Nehmt eure Sachen und macht euch auf den Weg!
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Kapitel 8.
Eine besondere Vorstellung
F
röhlich, aber mit einigen Fragen, setzten sie ihren mühsamen Weg fort. Erschöpft erblickten
sie das sechste Dorf, das wie ein großes Zelt aussah. Am Eingang stand ein sehr kleiner Mann mit einem grünen Block in der Hand und bat ihnen eine Eintrittskarte für die Aufführung an, die er als die beste anpries. — Bitte nehmt die Karten und verliert sie nicht. Am Schluss der Vorführung werden wir zwei großartige Preise verlosen. — Aber wir haben kein Geld, um die Karten zu bezahlen., sagte Angelo. — Das ist kein Problem. Ihr seid die einzigen und meist erwarteten Zuschauer. Also beeilt euch. Die Aufführung beginnt. Voller Erwartung betrachteten sie das
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Angehen der Lichter und eine große Bühne erschien vor ihnen. Die Augen des Jungen waren ebenso weit offen, wie sein Mund. Eine Gruppe aus gehörlosen Musikern spielte Akkorde, so zart und beseelt, wie es unsere beiden Wanderer nie erwartet hätten. Plötzlich wurde die Mitte der Bühne erleuchtet; der Zeremonienmeister erschien und kündigte die Vorführungen der einzelnen Darsteller an. Die überraschten Zuschauer verstanden ihn, obwohl er nur mit seinen Händen sprach. Offensichtlich war er stumm. Aber wie konnten sie ihn nur hören, wenn seine Wörter doch keinen Klang hatten? Die Magie seiner Bewegungen war es, die direkt mit den Seelen unserer beiden Wanderer Kontakt aufnahm.
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Um die Bühne herum tanzte eine Gruppe Kinder, einige von ihnen mit fernöstlichen Zügen, die die Intelligenz der Liebe gewählt hatten und sie überall verteilten, ohne darüber nachzudenken an wen, denn sie reichte
für alle Zuschauer. Danach beleuchtete ein smaragdgrünes Licht den Hauptdarsteller Minus. Es war ein Kind, das mit nur zwei Bewegungen seines Kopfes, wie die eines Autisten, seine Gefühle mit unvergleichbarer Vielfalt ausdrückten konnte. Aus jeder Pore seiner Haut drangen wunderschöne Träume; sein Blick, sein Atem begleiteten die Unschuld eines himmlischen Wesens, das voller Dankbarkeit für sein Leben war. Warum waren die Worte, die Blicke, die Gesten und Bewegungen verloren gegangen? Alle waren auf ihre Weise behindert, einige ohne Beine, andere ohne Arme, ohne Augen, ohne Stimme und wieder andere ohne all dies. Am Schluss der Vorstellung teilte der Zeremonienmeister mit, dass zwei Karten gelost wurden und die Gewinner
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seien ein Junge und ein halber Engel. Man gratulierte ihnen, da sie einen unglaublichen Preis gewonnen hatten und Angelo fragte überglücklich: — Was ist der Preis? Begeistert sagte man ihnen, dass sie die neuen Bewohner des Dorfes seien. — Angelo, du wirst mit deinem einen Flügel fliegen und du Junge wirst mit deinem tränenlosen Auge weinen. Angelo, der sich sehr geehrt fühlte, bedankte sich: — Ihr seid alle großartig und in eurer Nähe zu leben, wäre, einen Traum, Realität werden zu lassen. Aber wir können das nicht annehmen, denn wir sind auf der Suche nach dem SÜDEN. Der Zeremonienmeister erwiderte:
— Das hier ist der SÜDEN und wir bieten ihn euch an. Mit tränengefüllten Augen und zutiefst gerührt, nahm Angelo mit einer herzlichen Umarmung Abschied.
Kapitel 9.
Die Ankunft
U
nd so begann der härteste Auf bruch; ein schwerer Weg, wie all die anderen; vielleicht
aber der längste von allen. — Meine Füße schmerzen so, Angelo. Kannst du mich ein wenig tragen? Angelo, der auch erschöpft war, vorallem, weil er die ganze Zeit seinen schweren Flügel mit sich tragen musste, versuchte den Jungen zu heben. Aber dieser gewann durch Angelos Beispiel seine Kraft wieder und ging mit Behaarlichkeit weiter. — Ich hätte in dem Zelt bleiben sollen, denn ich spürte, wie eine kleine Träne aus meinem Auge floss. Angelo, der immer noch ganz gerührt war, fragte: — Möchtest du zurückkehren?
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— Nein ich gehe weiter, bis zum Ende, antwortet der Junge. —Nach all dem will ich ein großes Weinen für mein Auge. Sie erreichten das siebte Dorf, das in mitten eines dichten Waldes lag, mit großen Bäumen, kleinen Hütten,
aus
deren
Schornsteinen Rauch aufstiegt und Gärten, die die Wiesen und Felder mit frischem Duft erfüllten. Die erste Person, der sie auf ihrem Weg durch den Wald begegneten, war ein Maler, der ihnen, erfreut darüber, sie empfangen zu können, sein Atelier zeigte.
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Angelo, der sich freute, einen Künstler kennenzulernen, fragte: — Gefällt es dir, ein Künstler zu sein? — Ja, man fühlt eine große Befriedigung, wenn man seine Ideen verwirklicht. Sie betraten das Atelier und der Junge, der sich alles anschaute, fragte ebenfalls: — Warum ist man eigentlich ein Künstler? Dieser, in sich hineinhorchend, antwortete: — Die Fülle der Empfindungen in meinem Inneren ist so groß, dass sie durch die Malerei fließen kann. So kann ich all die Gefühle ausdrücken, die sonst keinen Weg aus mir herausfänden. Es ist, als ob meine Seele die Werke schüfe. Der Junge, der alles durchstöberte, stieß plötzlich auf
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ein Bild von außergewöhnlicher Schönheit. Als Angelo es betrachtete, war er verblüfft und rief mit großer Freude aus: — SIE IST ES, DIE ICH SUCHE. Ohne es zu wissen, hatte er seinen langen Weg begonnen, um mit ihr zusammenzutreffen. Das Bild zeigte ein schönes Mädchen mit einem Flügel auf ihrer linken Seite. Der Künstler rief: — Das ist meine Tochter und sie ist hier! Meine Bitten wurden endlich erhört. Der Maler erklärte Angelo, wo er sie finden konnte, denn sie pflückte gerade Blumen und suchte dabei Ideen für ihre Gedichte. Angelo riss sich, wie noch nie, von der Hand seines Reisegefährten los. Als er in den
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Wald kam, sah er sie. Da war sie... Ganz außer Atem, näherte er sich, nahm ihre Hände und mit einem gedankenlosen Flügelschlag erhoben sich beide in den Himmel, so blau, wie die Augen des Jungen, die sich bei diesem wundervollen Anblick mit unendlichen Strömen aus Tränen füllten. Er hatte verstanden, dass sein Auge nicht aus Traurigkeit, wohl aber aus tiefster Freude weinte.
Finde deinen SÜDEN und du wirst den Sinn deines Lebens finden. Wenn dir etwas fehlt, ist es, weil du etwas zu viel hast. Und wenn du etwas zu viel hast, dann finde jemanden, mit dem du es teilen kannst. Finde deinen SÜDEN !!!
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Du hast dieses beflügelte Buch zu Ende gelesen und ich möchte mich bedanken, dass du die wundervolle Reise mit mir geteilt hast. Andere einfühlsame Geschichten erwarten dich auf der Webseite meines Autors: HYPERLINK “http://www.jorgeparada.org”, “www. jorgeparada.org” . Dort kannst du mit Jorge Kontakt aufnehmen und seine Werke kennenlernen. Es gibt viele Botschaften zu entdecken. Außerdem kannst du den Sätzen und Gedanken Jorges unter facebook.com/jorgeparadaautor folgen. Hier kannst du auch andere Leser treffen und mit ihnen die Erfahrungen austauschen, die du beim Lesen meiner Geschichte gemacht hast. Jorge und ich laden dich herzlich ein, weiter mit uns zu fliegen.
Diese Reise ist noch nicht zu Ende...
Angelo und Jorge.
Dieses Buch wurde am .... 2013 herausgegeben, w채hrend ein Regen aus Federn in der Stadt niederging.
“— Weißt du, wie man einen Engel nennt, dem ein Flügel fehlt? -Ich weiß es nicht und ich weiß auch nicht, wie ein Kind heißt, das einen Flügel zu viel hat.”
D
er Engel mit dem einen Flügel,
erzählt die
Geschichte eines Engels, der nicht fliegen kann, da er nur einen Flügel besitzt. Um das zu ändern, entschließt er sich, zu einer erstaunlichen Reise
aufzubrechen. !!! Wunderbar !!! Auf seinem Weg begegnet er Menschen, die ebenfalls etwas suchen. In jeder dieser Figuren entfaltet sich eine Vielzahl von Fähigkeiten, aber auch Unterschieden, die den Leser in einer offenen und emotionalen Art ansprechen. Die Geschichte trägt eine lehrreiche Botschaft in sich, die sie besonders geeignet macht, um sie im Rahmen der Familie und in Schulen zu lesen. Aber vorallem ist sie für sensible und gefühlvolle Menschen geschrieben. Aus einer sehr menschlichen Sichtweise heraus wird versucht, eine Thematik aufzugreifen, die sehr schwierig anzugehen ist, aber eben sehr wichtig, in einer Gesellschaft, die immer mehr auseinanderdriftet.
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