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LITERATUR

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KUNST

KUNST

Kraftlesefutter für dunkle Tage

Jetzt noch Last-Minute-Gedanken- Kururlaube buchen: Auf diese Buch- und Autoren-Erlebnisse darf man sich freuen

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Auf in den gemütlichen Literaturkuschelherbst: Gleich doppelt Lust auf neue Leseabenteuer, spannende Wiederentdeckung und den frechen Kitzel des Frivolen bekommt man, wenn die vielbeschäftigte, wandlungsreiche Dresdnerin Claudia Michelsen, bekannt vom Fernsehzweiteiler „Der Turm“, aber auch als „Polizeiruf 110“-Ermittlerin in Magdeburg, aus den Kurzgeschichten von Dorothy Parker liest. Dann trifft Scharfzüngigkeit auf Geist. Und auf Formulierungen, die nur die Königin der amerikanischen Kurzgeschichte so fein drechseln konnte: „Als das Telefon nicht klingelte, wusste ich, dass du es warst.“ Manchmal ist das ja so. Bleibt mehr Zeit zum Lesen. (Kleines Theater Haar, 5.11.) Er ist der Superstar der heimischen Krimiszene. Und Lesungen verwandelt er schon mal in Shows, die Pop-Größen neidisch machen könnten. So auch bei der Vorstellung des neuen Psychothrillers „Mimik“, die Sebastian Fitzek in eine interaktive Multimedia-Live-Sause mit vielen Überraschungen und einem im Vorfeld noch nicht bekannt gegebenen Stargast verwandelt. Thematisch dreht sich das Buch um eine Mimikresonanz-Expertin, die sich selbst plötzlich nicht mehr trauen kann. Der Autor erwartet, dass ähnlich verstörende Effekte auch nach der Lese-Show eintreten. Zum Trost gibt es aber auch Volksnahes in einer Art Abkühlbecken: Fitzek ist dafür bekannt nicht zu gehen, bis nicht das letzte Buch signiert und das letzte Selfie geschossen wurde. (Gasteig HP8, 6.11.)

Noch nicht ganz so weltberühmt ist Münchens Kleinkunstheld Bumillo, der aber immerhin über ein prall gefülltes Adressbuch und beste Szenekontakte verfügt. Die Besten der Besten trommelt er aktuell mal wieder für den Schwabinger Poetry Slam zusammen. Und das am kongenialen Ort – im Lustspielhaus. Denn ganz nebenbei möchte Bumillo auch noch die Trennwand zwischen Poesie und Pointe, zwischen Slam und Kabarett einreißen – so es sie denn je wirklich gegeben haben sollte. Pflichttermin! (Lustspielhaus, 7.11.)

Dass Kim de l’Horizon sich zu den ganz Großen zählen darf, hat er seit Mitte Oktober amtlich: Dann nämlich setzte er sich bei dem in diesem Jahr besonders spannenden Rennen um den Deutschen Buchpreis durch – in einem Teilnehmerfeld, in dem auch unter anderem Eckhart Nickel und Fatma Aydemir mit angetreten waren. Nun stellt der Autor ganz frisch den etwas anderen Familienroman „Blutbuch“ vor. (Literaturhaus, 7.11.)

Schon längst alle englischen Schäfchen ins Trockene gebracht hat natürlich Robert Harris, der sich mit intelligenten, historisch solide abgesicherten, bestens recherchierten Pageturnern wie „Imperium“, München“, „Vaterland“ oder zuletzt „Vergeltung“ Buchregalstammplätze gesichert hat. Im neuen Roman „Königsmörder“ geht es zurück ins England des 17. Jahrhunderts. Karl II. hat gerade einen Erlass herausgegeben, der die titelgebenden „Königsmörder“, die Hochverräter, die einst das Urteil zur Enthauptung seines Vaters mit unterschrieben hatte, des Landes verweist. Sie können gerade noch in die

neuen Kolonien nach Amerika fliehen. Doch dort treffen sie auf eine angespannte Stimmung, in der pietistische Furore das Sagen hat und man sich gerade vom Mutterland abspalten möchte. (Literaturhaus, 9.11.)

Auf dem Weg zum literarischen Weltruhm befindet sich Moritz Hürtgen, bis vor kurzem noch „Titanic“-Chefredakteur. Wie so viele Journalisten hat er jetzt auch einen Roman, einen Krimi, geschrieben. „Boulevard des Schreckens“ erzählt von einem Schreiberling, der zu faul ist, ein Interview mit einem Künstler tatsächlich zu führen, sondern es lieber mal einfach so erfindet – und

HÖRBUCH

Der Report der Queen

— Homers reaktionäre Hexameter-Orgie vom dekadigen Heimgeeiere des Holzpferdschraubers Odysseus - die nebenbei nahelegt, die Deutsche Bahn habe in der Antike eine Reederei betrieben - offenbart sich als äußerst oldschoolmännlich geprägte Sicht auf einen Stoff, der vor seiner schriftlichen Fixierung mitunter ganz anders erzählt wurde. Saga-D.J. Maggie@wood befördert Penelope, die bei Homer die pleasantvillsche Heim-und Herdnebenrolle erfüllt, zur Cheffigur und iVoice, begleitet vom Chor der zwölf Mägde, denen Homers selbstgerechter Ziegeninselkapitän und griechische Münchhausen am Ende der Gesänge das untere Radieschenpanorama aufnötigt. Penelope bleibt auch im Remix eine wenig originelle Spaßsparkassenangestellte, ständig bemüht, sich zu rechtfertigen, ihre Klugheit zu loben und allzeit bereit für Zickenbattles mit ihrer Model-Cousine Helena, der sie die Schuld antackert für Odysseus’ semifreiwilliges Marathonkippenholen. Damit kuckt Penelope aber durch ein äußerst blödmännliches Auge. Menelaos hätte auch sagen können „So the fuck what?“ anstatt Troja zu bekriegen. Offenbar ging es der Autorin weniger darum, Penelope einen feministischen Möglichkeitsraum zu öffnen und sie zu einer antiken Pippi Langstrumpf zu tunen, als Odysseus’ Heldenstatus abzusockeln. Sonst hätte Penelope 2.0 die Zwanzig-Jahre-Auszeit ihres Vertragshengstes dazu genutzt, den Pan flöten zu lassen. Sie wäre mit einer scharfen Magd ausgebüxt, hätte das Surfbrett erfunden oder echte Demokratie, Workshops gegeben à la Bitchcraft - kreatives Weben für Powerluder oder Ratgeber verfasst: Prollfreier abzocken für Fakewitwen oder Komfortzonenmassage – Dein Weg zur göttlichen Müßigkeit. Oder hätte als Chor-D.J. P-Lope die Tempel wackeln und die Olympischen um Gnade flehen lassen. Penelope war eine verdammte Königin und hatte Möglichkeiten. Immerhin interessiert sich Atwoods Penelope für das Schicksal der Mägde, wenn auch posthum und rückblickend aus dem 21. Jahrhundert, quasi live aus der Hades-Arena. Am Ende kommt es zu einem schrägen Strafprozess gegen Odysseus. Ein Satz dort sagt alles über die kranke Männerwelt, die bis heute bestand hat: „Was Odysseus so aufbrachte, war auch nicht ihre Vergewaltigung, sondern der Umstand, dass sie [die Mägde] unerlaubt vergewaltigt wurden.“ Nimm das, Odysseus! JONNY RIEDER

in die Redaktion schickt. Am nächsten Tag ist der Künstler tot. Und der Journalist muss viele offene Fragen beantworten. (Volkstheater, 10.11.)

Als einer der aufmerksamsten Beobachter des deutsch-israelischen Miteinanders gilt Tom Segev. Kein Wunder, lebte er doch lange im Lande und bekam hautnah die letzten Tage der DDR mit. „Jerusalem Ecke Berlin“ erzählt von vielen spannenden Erlebnissen und von Begegnungen mit Hannah Arendt und Willy Brandt, aber auch mit Fidel Castro und Nelson Mandela. (Literaturhaus, 10.11.)

Es wird wieder bunt: Schon zum dritten Mal kann man auf der Super Books 3-Schau autonome Künstlerpublikationen bestaunen – von alternati-

ven Verlegerinnen und Verleger. Neben viel Kunst und tollem Design darf man sich auch auf ein Live-Programm von Radio 80000 mit Djs, Performance und schrägen Klängen aus dem Pop-up-Studio freuen. (Haus der Kunst, 12.11.)

Familie Mann meint man zu kennen. Monika Mann, die Tochter von Thomas Mann, die lange im Schatten ihrer berühmten Geschwister stand, sollte man sich endlich mal näher vornehmen. Kerstin Holzer, Italien-Kennerin und Journalistin, erzählt in „Monascella“ von Monikas spätem Liebesglück auf Capri. Hach! (Bürgerhaus Pullach, 17.11.)

Wenn Michaela May strahlt, geht die Sonne auf. Und doch gibt es auch bei ihr Geschichten, von denen bislang noch niemand etwas wusste. Etwa vom fürchterlichen Trauma durch die Suizide ihrer Geschwister. „Hinter dem Lächeln“ ist eine mutige Autobiografie, die ein Film-, Serien- und vor allem May-Fan kennen muss. (Hofspielhaus, 27.11.)

Und dann strahlt auch noch Bernhard Blöchl, der geschätzte Kulturkollege, der für die „Süddeutsche Zeitung“ durchs Kreativleben dieser Stadt trüffelt. Wer ihn besser kennt, weiß natürlich, dass Blöchl nicht nur tolle Interviews führte und beruflich pointiert schreibt, er hat auch selbst viel zu erzählen. Sein neuer Roman „Eine göttliche Jugend“ kommt dabei dem, was ihn als Mensch und Bayer ausmacht, bislang am nächsten. Erzählt wird von dem Wunsch, aus der Enge auszubrechen und die konservative Heimat mal gegen ein Sehnsuchtsland auszutauchen: das Amerika, in dem Superstar Madonna für alle Freiheiten steht. Kein leichter Aufbruch. Bernhard Blöchl feiert all das mit Leichtigkeit – und mit der Unterstützung eines liebenswerten Co-Stars: Bei der Buchpremiere tritt Claudia Koreck auf. (Vereinsheim, 28.11.) rupert sommer

Ermittelt im Künstler- Milieu: MORITZ HÜRTGEN

ren. „Der Wind bringt die Uhrzeiger an der Gedächtniskirche zum Schaukeln. / Wir fahren nirgendwohin, wir leben auf einem Haufen inmitten der Deutschen wie ein See inmitten seiner Ufer. / Wenn man mir sagen würde ‚Du kannst zurück‘ – ich würde nach Hause gehen, ohne mich umzudrehen und ohne erst meine Manuskripte einzupacken.“ Alltag im Exil, zwischen all den anderen gut 300.000 russischen „Emigranten und Halbemigranten“: Maxim Gorki, Ilja Ehrenburg, El Lissitzky, Boris Pasternak, der beste Freund: Roman Jakobson, aber der ist weiter gezogen, nach Prag. „Ich habe keine Angst, ich weiß, wie man einen ‚Don Quixote‘ macht.“ Skizze, Satire, Verdichtung, Varieté … „Buch und Leben sind unentwirrbar verflochten“. Wunderbar übersetzt (und erläutert) von Olga Radetzkaja, mit einem Essay von Marcel Beyer. Gewinner der Hotlist 2022 der unabhängigen Verlage! Ein Geschenk.

HERMANN BARTH

KONRAD BOGUSŁAW BACH

Der Wisent

(Blessing) Gajerudki ist ein kleiner Ort mitten in Polen und hier lebt es sich langsam und bescheiden. Für manche etwas zu bescheiden: Putzfrau Beatka will höher hinaus, ihre 36jährige Ehe mit dem Automechaniker Heniek stagniert in Langeweile, und als sich eine Saisonarbeit in Holland anbietet, greift sie zu. Wieder zurück, fordert sie vom immer noch verliebten Ehemann Geld für diverse Schönheits-Operationen, eines Tages ist sie aber endgültig fort. Heniek und sein bester Freund Andrzej brechen auf und folgen der A2, der „Autobahn der Freiheit“, gen Westen, sie wollen Beatka zurückholen. Was nun kommt ist ein irrwitziger Roadtrip: Als ihr „geliehener“ Mercedes nach einem Wildwechselunfall hinter der deutschen Grenze liegenbleibt, geht es ohne Geld zu Fuß weiter. Aber hey, Polen sind doch Weltmeister im improvisieren und organisieren und es wäre doch gelacht, wenn die beiden via Berlin nicht ihr Ziel erreichen würden ... Tragikomisch und schwer unterhaltsam lässt der Autor Andrzej und Heniek diverse Abenteuer mit Neonazis, spanischen Studenten, einem schwedischen Hipster und dem gut bestückten deutschen Jäger erleben – dass sich die beiden dabei neu kennenlernen, man humorvoll in die polnisch-deutschen Beziehungen eintaucht und plötzlich auch noch das titelgebende Tier im Wald steht – pures Lesevergnügen.

RAINER GERMANN Wir verlosen drei Bücher auf www.inmuenchen.de

COMIC

Beim Trondheim!

— Der französische Comiczeichner Lewis Trondheim schickte seine anthropomorphe Figur Herr Hase schon in allerlei verrückte Abenteuer, doch diesmal setzt er seiner Reihe den Federhelm auf: Beim Teutates! (Reprodukt) lässt den pazifistisch eingestellten Vegetarier mitten im Wildschwein-Römer-Wald in der Nähe des wohl berühmtesten Dorfes an der Seite des wohl berühmtesten Dickwanst (wer ist hier dick?!) der Comicgeschichte aufwachen – im Kostüm des berühmtesten Galliers überhaut: Asterix! „Wer ist dieser Gérard Depp-Adjöh?“, fragt Obelix ziemlich am Anfang dieser „Parodix“, und während sich Herr Hase/Asterix noch in einem Themenpark wähnt, nimmt eine wahnwitzige Folge an Verwechslungen, Zitaten und Verweisen ihren köstlichen Lauf. Der eigentliche Plot (Verschwörungstheoretiker in Göttergestalt, der das Geheimnis des Zaubertranks stehlen möchte) rückt hier eher in den Hintergrund, wie auch in den neueren „echten“ Asterix-Bänden Verweise in die Neuzeit meist schiefgehen – all das macht gar nichts angesichts dieses Lesevergnügens, auch wenn es die Römer auf Patrouille beim Gallier-Kontakt nicht nur aus den Sandalen haut, sondern sie im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf verlieren. „Die spinnen, die Comiczeichner:innen“ steht auf dem Rückumschlag. Den Göttern sei Dank.

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