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ippnw thema
Juni 2021 internationale ärzt*innen für die verhütung des atomkrieges – ärzt*innen in sozialer verantwortung
Grund zur Freude: Das UN-Atomwaffenverbot ist in Kraft
Was passiert in Büchel? Interview mit Dr. Brigitte Hornstein zum geplanten Umbau des Atomwaffenstützpunktes
Was ist bekannt über die Pläne, Büchel als Atomwaffenstandort auszubauen und die Atombomber nach Nörvenich umzuziehen? Ab Juni 2022 bis Februar 2026 sollen die Soldat*innen und Flugzeuge aus Büchel nach Nörvenich ausgelagert werden. Der Fliegerhorst soll parallel zum geplanten Kauf neuer Atombomber „modernisiert“ werden – das bedeutet nach einem Bericht der Rheinzeitung die Sanierung der Flugbetriebsflächen und -einrichtungen und den Neubau verschiedener Anlagen für insgesamt 259 Millionen Euro. Die Menschen in der Region Nörvenich müssen nach Angaben der Bundesregierung während dieser Zeit jährlich mit 18.000 militärischen Flugbewegungen rechnen. Was mit den Bomben in dieser Zeit passieren soll, unterliegt der Geheimhaltung – eine Anfrage von Linksparteiabgeordneten aus dem März 2021 diesbezüglich wurde von der Bundesregierung nicht beantwortet.
Was für Aktionen plant Ihr in Büchel? Auch in diesem Sommer zeigen in Büchel verschiedene Gruppen Präsenz. Vor den IPPNW-/ICAN-Aktionstagen wird am 3. Juli der Kirchentag in Büchel sein, und im Anschluss wird eine Gruppe von internationale Aktivist*innen vor Ort protestieren. Unsere Planung für die IPPNW-/ICAN-Aktionstage ist natürlich von der Coronasituation abhängig – wir hoffen, dass unser Protestcamp mit Workshops zu verschiedenen Inhalten wie letztes Jahr stattfinden kann. Wir wollen in Büchel am 7. Juli wieder den Geburtstag des Atomwaffen-
verbots feiern. Unser Ziel ist, die Basis der Proteste zu verbreitern, indem wir der Kultur mehr Raum geben und mit Kunststudierenden der Universität der Künste Berlin zusammenarbeiten. Wir wollen neue Wege finden, die Sinne anzusprechen, um unser politisches Thema zu transportieren. Am 10. Juli 2021 ist ein Workshop zur Kampagne „Sicherheit neu denken“ geplant, was ich persönlich sehr gut finde. Bei dieser Kampagne geht es nicht nur um Krieg und Frieden, sondern auch um gerechte Außenhandelsbeziehungen, zivile Konfliktbearbeitung und langfristig um die Vision eines Landes, das keine Bundeswehr mehr braucht. Die Schritte zu diesem Ziel werden relativ konkret dargestellt. „Sicherheit neu Denken“ beinhaltet einen positiven Ausblick, den die Teilnehmer*innen hoffentlich in ihren Alltag mitnehmen können.
Wie kann die Antiatomwaffenbewegung ihren Radius erweitern? Wichtig ist für uns die Zusammenarbeit mit verschiedensten Kooperationspartner*innen. Ein Beispiel ist Prof. Karl Hans Bläsius von der FH Trier als langjähriger Experte aus dem Bereich Künstliche Intelligenz. Er hat sich für unsere Gerichtsprozesse als Atomwaffen-Sachverständiger zur Verfügung gestellt. Er versucht das Thema in verschiedene Kreise einzubringen, z.B. bei Musiker*innen, um breitere Teile der Bevölkerung anzusprechen. Gerade das Thema „Atomkrieg aus Versehen“ ist ein wichtiger Punkt, weil es über die humanistischen und als „emotional“ belächelten Argumente gegen einen Atomkrieg hinausgeht und die technische Entwicklung 2
in den Blick nimmt, die mit harten Fakten daherkommt: Diese Entwicklung führt uns in eine erschreckende Zukunft, wo kaum noch Vorwarnzeit besteht, um einen vermeintlichen Angriff, der auch ein technisch ausgelöster Fehlangriff sein kann, zu prüfen und zu überlegen, ob man reagiert oder nicht. Die Waffensysteme sind auf Reaktion gepolt – der Mensch hat kaum noch die Möglichkeit, einzugreifen. Diesen Schwerpunkt in der Argumentation halte ich neben juristischen, humanistischen und medizinischen Ansätzen für besonders wichtig,
Du wurdest wegen der Teilnahme an einem „Go-in“ verurteilt – wie geht das Verfahren weiter? Bei unserem Berufungsprozess in Koblenz wurde die Verurteilung zu 30 Tagessätzen u. a. wegen „Hausfriedensbruchs“ bestätigt – ich habe Revision dagegen eingelegt und bin optimistisch bezüglich des Ausgangs. Das neue Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum „Klimapaket“ rügt die Bundesregierung, weil die nicht zu Ende gedachten Maßnahmen in Zukunft eine Bürde für die jungen Menschen sein werden. Das Bundesverfassungsgericht betont eine Unumkehrbarkeit und die starken Einschränkungen der Freiheit und Gesundheit der kommenden Generationen, die notwendig sein werden, wenn jetzt nicht zukunftsweisend gehandelt wird: Genauso wäre es aber auch bei einem Atomkrieg. Auf diesen Sachverhalt hat mein Anwalt seine Argumentation ausgelegt. Wir sind zuversichtlich, dass diese Argumentation vor Gericht Erfolg haben kann.
ATOMWAFFENVERBOT
„Statt der Atomwaffen wird der Versammlungsleiter angeklagt!“ Wegen zivilen Ungehorsams vor Gericht
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Was sind für Dich zentrale Forderungen hinsichtlicher Bundestagswahl? Ich persönlich wünsche mir eine Regierung, die die nukleare Teilhabe beendet und einen mutigen Schritt nach vorne geht. Als wichtiger europäischer Staat kann Deutschland ein Zeichen setzen, die Atombomben aus Deutschland abziehen lassen und die Regelungen aus dem Atomwaffenverbot umsetzen, also die Finanzierung, den Transport und logistische Unterstützung von Atomwaffen unterbinden. Deutschland kann medizinisch und finanziell einen Beitrag dazu leisten, die Opfer weltweiter Atomwaffenversuche zu entschädigen, die immer noch auf Wiedergutmachung warten. Ich erwarte von der neuen Bundesregierung auch einen Verzicht auf Auslandseinsätze und eine klare Ausrichtung auf zivile Konfliktlösung. Wichtig ist: Zivile Konfliktprävention muss weit im Vorfeld passieren – man darf nicht warten, bis nur noch die militärische Option möglich ist. Ein Beispiel ist für mich die Situation 2014 im Irak, als die Jesiden in Sindschar vom IS angegriffen wurden: Zu diesem Zeitpunkt kam natürlich jede Hilfe zu spät. Wenn man hier im Vorfeld anders gehandelt hätte, hätte es den IS überhaupt nicht gegeben – viele Entwicklungen, die zu dieser zugespitzten Situation führten, hätte man mit Weitblick und politischen Willen sicherlich anders handhaben und beeinflussen können. Alles zu den Aktionstagen von IPPNW und ICAN unter: buechel.nuclearban.de
Das Interview führte Regine Ratke.
üchel, 2018: Im Rahmen der jährlich stattfindenden IPPNWWoche hatten wir eine tägliche Mahnwache auf dem Kreisel vor dem Haupttor des Fliegerhorstes Büchel ordnungsgemäß angemeldet. So auch am 18. Juni um sechs Uhr. An diesem Tag allerdings waren auch kreative Aktionen Zivilen Ungehorsams gegen die völkerrechtswidrige atomare Teilhabe Deutschlands angekündigt. Die angemeldete Mahnwache hatten wir gegen 7:30 Uhr beendet. Später setzte sich eine andere Gruppe von Demonstrant*innen für eine kurze Zeit vor das Haupttor. Ich als Leiter der schon beendeten Versammlung wurde später angeklagt, weil ich diese Blockade nicht verhindert hätte. Als Akt des Zivilen Ungehorsams hätte diese aber gar nicht angemeldet werden können. Das Amtsgericht Cochem hat mich 2019 zu 70 Tagessätzen verurteilt – mit der Begründung, ein Versammlungsleiter sei auch verantwortlich für das, was nach der Versammlung geschehe. Offensichtlich soll hier ein abschreckendes Signal gesetzt werden, um Anmeldungen von Protestveranstaltungen zu erschweren. Ich habe mich vor Gericht nicht ausdrücklich von der Aktion am Tor distanziert, dafür aber klargestellt, dass Mahnwachen und ziviler Ungehorsam ganz verschiedene Aktionsformen sind, auch wenn sie inhaltlich das gleiche Ziel haben. Ich bin gegen dieses Fehlurteil in Berufung gegangen – mein Ziel ist, freigesprochen zu werden, damit hier kein Präzedenzfall entsteht. Mein Berufungsprozess ist von März auf den 1. Dezember 2021 verlegt worden – er findet um 14 Uhr im Landgericht Koblenz statt. Geplant ist an diesem Tag eine 3
Mahnwache vor Ort. Möglichst viele sind aufgerufen, ein öffentliches Zeichen zu setzen. Aktionen des Zivilen Ungehorsams sind angesichts des drohenden Massenmordes durch Atomwaffen durchaus berechtigt, auch wenn sie nicht legal sind. Die unterschiedlichen Aktionsformen dürfen nicht in einen Topf geworfen und juristisch verfolgt werden. Ansonsten steht zu befürchten, dass in Zukunft vom Versammlungsgesetz gedeckte Proteste wegen drohender juristischer Verfolgung nicht mehr angemeldet und durchgeführt werden können. Bundesweit sehen wir derzeit Angriffe auf das Versammlungsrecht. So sieht etwa der Entwurf für das neue Versammlungsgesetz in NordrheinWestfalen vor, dass Versammlungsleiter*innen zukünftig belangt werden können, wenn Demos anders ablaufen, als sie vorher angemeldet waren. Weitere Verfahren stehen noch aus. Für uns sind sie ein Mittel, um auch vor Gericht eine Klärung des Unrechts zu fordern, das hier in Büchel geschieht. Von der Büchel-17-Gruppe wurden, soviel ich weiß, mehrere Teilnehmer*innen zu Strafen von 30, manche sogar zu 60 Tagessätzen verurteilt. Auch hier wird es weitere Berufungsverfahren geben. Vier Verfassungsklagen gegen Atomwaffen wurden bis jetzt nicht angenommen. Bußgeldverfahren gegen IPPNW- und ICAN-Mitglieder aus dem Sommer 2018 hat das Amtsgericht Bonn inzwischen bis auf einen Fall eingestellt. Nur eine Person wurde verurteilt, hat aber bis jetzt nichts mehr vom Gericht gehört.
Ernst-Ludwig Iskenius ist IPPNW-Mitglied und bereitet die Aktionswoche mit vor.
ATOMWAFFENVERBOT
Autonome (atomare) Waffensysteme stoppen! Deutschland und Frankreich treiben das Future Combat Air System voran
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m 23. Juni 2021 soll der Haushaltsausschuss des Bundestages über die weitere Finanzierung der Entwicklung des Future Combat Air Systems (FCAS) abstimmen. FCAS besteht aus einem neuartigen Kampfjet mit Tarnkappen-Technologie, begleitenden Drohnenschwärmen und einer Vernetzung durch eine „Gefechts-Cloud“ – wie Netzpolitik schreibt. FCAS wird von Frankreich, Spanien und Deutschland gemeinsam entwickelt. Alleine die Entwicklungskosten werden auf über 100 Milliarden Euro geschätzt, die Gesamtkosten könnten sich auf 500 Milliarden Euro belaufen.
or dem Hintergrund eines drohenden Wettrüstens im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI), wie es die Entwicklung des FCAS skizziert, ist davon auszugehen, dass es letztlich notwendig zu einem System mit autonomen Waffen weiterentwickelt wird. Es liegt in der Logik dieser Waffen, die längere Reaktionszeit des Menschen durch die kürzere der künstlichen Intelligenz zu ersetzen. Unter Umständen wird die Umwandlung zu autonomen Waffen durch das einfache Auswechseln der Software möglich sein. „Der Einstieg in diese Technologie führt auf eine schiefe Ebene, an deren Ende Computer und nicht mehr Menschen über den Waffeneinsatz, Leben und Tod entscheiden“, so Dr. Jakob Foerster, der zur Künstlichen Schwarmintelligenz forscht. Zunehmende Automatisierung bis hin zur Autonomie von Waffensystemen könnte im Rahmen einer Eskalationsspirale unkontrollierbar in einen sogenannten „Flash War“ führen, heißt es im Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu Technikfolgenabschätzung Autonomer Waffensysteme vom 21. Oktober 2020. Im Kalten Krieg gab es wiederholt nukleare Fehlalarme, die nur durch menschliches Überlegen und Entscheiden aufgedeckt wurden, so dass die atomare Katastrophe ausblieb. Zum Beispiel meldete 1983 ein Satellit des russischen Frühwarnsystems fünf angreifende Interkontinentalraketen. Der diensthabende russische Offizier Stanislaw Petrow hielt einen Angriff der Amerikaner mit nur fünf Raketen aber für unwahrscheinlich und entschied, dass es sich um einen Fehlalarm handeln müsste. Für die Entscheidung, den Alarm nicht weiterzuleiten, ist Petrow als „der Mann, der die Welt gerettet hat“, bekannt und vielfach ausgezeichnet worden, u. a. mit dem World Citizen Award der UN.
Laut einem öffentlichen Dokument des französischen Parlaments soll FCAS „sowohl die französische(n) Atomwaffe(n) als auch die von Deutschland implementierte(n) NATO-Atomwaffe(n) tragen“ können. Deutschland, Frankreich und Spanien wollen sich mit FCAS eine Vorreiterrolle in der autonomen Kriegsführung sichern. „Das militärische Ziel ist es, über eine Kampfüberlegenheit in der Luft auch den Krieg an Land und auf dem Meer zu gewinnen“, schreibt Lühr Henken von der Informationsstelle Militarisierung.
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er Einstieg in die Entwicklung des FCAS soll zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem die Welt mit den Folgen der CoronaPandemie und der Klimakatastrophe zu kämpfen hat. Internationale Zusammenarbeit und Solidarität sind das Gebot der Stunde. Die für das FCAS veranschlagten Milliarden brauchen wir dringend für eine ökologisch-soziale Transformation. Stattdessen wird erwogen, angesichts der immensen Entwicklungskosten von über
PROTESTAKTION VON DFG-VK UND IPPNW GEGEN DIE EURODROHNE, MÄRZ 2021. 4
Grafik: Airbus
PRODUKTWERBUNG VON AIRBUS FÜR FCAS
und zerstören. AWS könnten auch als Trägerplattformen für Atomwaffen verwendet werden, beispielsweise in Form von autonomen Unterwasserfahrzeugen. Diese könnten schneller, überraschender und koordinierter als bisherige Trägersysteme zuschlagen und vorhandene Verteidigungsmaßnahmen aushebeln. Eine solche Nutzung von AWS würde die strategische Stabilität massiv infrage stellen. Dies wiederum könnte weitere nukleare Abrüstung unmöglich machen und eine Ära nuklearer Modernisierung oder gar nuklearer Aufrüstung einläuten“, schreiben die Autoren Reinhard Grünwald und Christoph Kehl.
100 Milliarden Euro, diese nicht aus dem Verteidigungsetat, sondern „über einen anderen Topf zu finanzieren“ (Reinhard Brandl, Mitglied im Verteidigungs- und Haushaltsausschuss des Bundestages). Die Gesamtkosten des Waffensystems werden so hoch sein, dass diese nach einem Dokument des französischen Senats nur durch Rüstungsexporte gedeckt werden können. Zu FCAS wird gelegentlich mit dem Hinweis argumentiert, dass der Tornado veraltet sei und ersetzt werden müsse. FCAS ist aber mehr als nur ein neuartiger Kampfjet, nämlich ein mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz betriebenes System, das auch Atomwaffen tragen soll und von Drohnen-Schwärmen begleitet wird. FCAS ist nach Worten des Luftwaffeninspekteurs „das größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt“.
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m Fazit des Berichts heißt es: „Derzeit existiert ein Fenster von Möglichkeiten, um mit einem international abgestimmten, zielgerichteten Vorgehen die möglichen Gefahren einzuhegen, die AWS mit sich bringen könnten. Dieses Fenster schließt sich sukzessive mit fortschreitender technologischer Entwicklung und der kontinuierlichen Integration autonomer Funktionen in Waffensysteme aller Art.“ Es erscheine „dringend geboten, diese Herausforderung unverzüglich anzugehen und Lösungen zu entwickeln.
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ach dem schon erwähnten französischen Senatsbericht wird FCAS „das gesamte Verteidigungsinstrument auf europäischer Ebene strukturieren“, und zwar für den Zeitraum des geplanten Einsatzes von 2040 bis wahrscheinlich 2080. Es soll ein „Rotes Team“ aus „Science-Fiction-Autor*innen oder Zukunftsforscher*innen gebildet“ werden, um die Anpassungsfähigkeit von FCAS an „neue und unvorhersehbare“ Szenarien zu überprüfen. Katastrophenszenarien werden so ein Wettrüsten antreiben, das diese Szenarien im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung bestätigen wird. Im Bericht zur Technikfolgenabschätzung Autonomer Waffensysteme (Bundestagsdrucksache 19/23672 vom 21.10.20) wird ausgeführt, dass durch potente autonome Waffensysteme auch das strategische Gleichgewicht zwischen den Atomwaffenstaaten massiv infrage gestellt und dadurch nukleare Abrüstung unmöglich gemacht werden könnte.
Weitere Informationen: » ippnw.de/bit/drohnen » ippnw.de/bit/fcas
„Es wäre vorstellbar, dass sehr potente autonome Waffensysteme (AWS) zukünftig als konventionelle Erstschlagwaffen zur Zerstörung gegnerischer Nuklearwaffenarsenale eingesetzt werden könnten, die mögliche Ziele (Raketensilos oder mit Nuklearwaffen bestückte U-Boote) selbstständig aufklären, in deren Nähe unentdeckt verweilen und auf Befehl koordiniert diese Ziele angreifen
Ralph Urban und Ute Rippel-Lau sind Mitglieder des IPPNW-Vorstandes. 5
ATOMWAFFENVERBOT
...dann ziehe ich nach Wien! Der Atomwaffenverbotsvertrag und die Rolle Österreichs
Eigentlich ist es – um gleich damit herauszurücken – fast schon etwas peinlich: als Friedensforscher der österreichischen Außenpolitik in Sachen Atomwaffenverbot nahezu unkritisch gegenüberzustehen. Österreich stand bei der Konzeption und Ausarbeitung des Verbotsvertrages in der ersten Reihe und wird vom 12.–14. Januar 2022 die erste Staatenkonferenz in Wien ausrichten. „Atomfreies Österreich“ Die neutralen Staaten in Europa waren stets Impulsgeber für atomare Abrüstung und Rüstungskontrolle. In Österreich war und ist auch die zivile Nutzung von Kernenergie seit jeher hochgradig unpopulär: in der Volksabstimmung 1978 wurde die Inbetriebnahme des fertiggestellten AKW Zwentendorf vereitelt. Atomwaffen waren ein wichtiger Grund, warum in der Bevölkerung der in den 1990ern debattierte NATO-Beitritt nicht auf Gegenliebe stieß. Die Friedensbewegung befürchtete 1999 nach dem NATO-Beitritt Ungarns, dass Atomwaffen durch Österreich transportiert werden könnten. Die gestartete Petition führte in einem Allparteienantrag zum „Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich“. Atomwaffen dürfen demnach „nicht hergestellt, gelagert, transportiert, getestet oder verwendet werden.“ Auch die zivile Nutzung ist per Verfassungsgesetz untersagt. Trotz der umfassenden gesetzlichen Regelung blieben Atomwaffen auf der Agenda der Zivilgesellschaft. Die Kundgebungen zu den Jahrestagen des Abwurfes der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki genossen über Dekaden eine breite gesellschaftliche Unterstützung. Eine wichtige Kritik der Hiroshima-Tage war, dass die Atomwaffenstaaten ihrer
Verpflichtung zur vollständigen Abrüstung gemäß Artikel VI des Nichtweiterverbreitungsvertrages (NPT) nicht nachkamen.
Humanitäre Initiative Die Konferenzen von Oslo, Nayarit und Wien der Jahre 2013 und 2014 verdeutlichten die humanitären Konsequenzen von Atomwaffen. Dass die medizinischen, sozialen, wirtschaftlichen oder ökologischen Folgen unkontrollierbar sind, führte zur Ansicht, dass Atomwaffen verboten werden müssten. Diplomatische, wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Debatten ergänzten sich. Österreich warb bei rund 130 Staaten erfolgreich für den „Humanitarian Pledge“, der in Verhandlungen bei den Vereinten Nationen mündete. In Fragen Atomwaffenpolitik ist es zweifellos ein Wechsel im Diskurs, dass die Mehrheit den Ton vorgibt: „Ja, dürfen’s denn des?“ war in einem anderen Zusammenhang die Frage des Habsburgerkaisers Ferdinand. Ja, sie dürfen. Nicht nur der Rückzug von Investmentgesellschaften aus Atomwaffendeals und der Druck der USA auf einzelnen Staaten, Ratifikationen zum Vertrag zurückzuziehen, sprechen dafür, dass der Vertrag mehr als nur Symbolwirkung hat. „Auch bei anderen Waffengattungen, von Chemiewaffen bis Biologiewaffen über Antipersonenminen 6
und Streumunition wurde zuerst ein völkerrechtliches Verbot als Basis für die Eliminierung dieser Waffen etabliert“, so Botschafter Alexander Kmentt, seit 2021 Leiter der Abteilung Abrüstung im Außenministerium. Könnten auf diesem Weg auch autonome Waffensysteme ohne menschliche Kontrolle international verboten werden?
EU-Position 122 Staaten nahmen am 7. Juli 2017 ein rechtlich bindendes Instrument an, welches Entwicklung, Erprobung, Besitz, Transport, Anwendung oder Drohung mit der Anwendung von Atomwaffen verbietet. Von den damals 28 EU-Mitgliedstaaten waren 22 auch NATO-Mitglieder. Die NATO-Staaten – die Niederlande war die Ausnahme – blieben den Verhandlungen fern und beklagten später, dass der Vertrag ohne die Atomwaffenstaaten keine Wirkung hätte. Das EU-Parlament hatte eine Entschließung angenommen, nach der sich die Staaten konstruktiv beteiligen sollten. Nicht zum ersten Mal haben diese Staaten eine NATO-Meinung und eine davon unterscheidbare EU-Meinung. Bislang haben innerhalb der EU nur die Neutralen Österreich, Irland und Malta den Vertrag ratifiziert. Die Neutralität ist – sofern sie für aktive Friedenspolitik klug und engagiert genützt wird – mehr als nur eine Nichtmitgliedschaft in der NATO.
Umfassendes Engagement Österreich engagiert sich nicht nur für den Verbotsvertrag und verweist auf ein Verfassungsgesetz, sondern stellt dies in der Amtssitzpolitik (Wien als Sitz der Atomenergiebehörde IAEA oder der nuklearen Teststopporganisation CTBT PrepCom) und als Gastgeber von Verhandlungen (IranAbkommen, New-START-Gespräche) unter Beweis. Auch das aktuelle Regierungsprogramm dokumentiert das Engagement um den „Einsatz für eine Welt ohne Atomwaffen“ und appelliert an die Staatengemeinschaft, den Atomwaffenverbotsvertrag zu ratifizieren. Der Botschafter i. R. Thomas Hajnoczi, der bis Ende 2020 im Außenministerium für Abrüstung zuständig war, erklärt: „Durch den Vertrag werden zudem die Sicherheitsabkommen der Atomenergiebehörde (IAEA) gestärkt“. Ein Gutachten des Deutschen Bundestages sieht den Nichtweiterverbreitungsvertrag und den Atomwaffenverbotsvertrag „weniger in einem rechtlichen Konkurrenz-, als in einem Komplementärverhältnis zueinander stehen.“ Hajnoczi blickt auf die Verhandlungen zurück und führt aus, es sei größte Sorgfalt darauf gelegt worden, dass der TPNW im vollen Einklang mit dem NPT steht.“ Außenpolitische Fragen sind in Österreich auch außerhalb der Pandemie nicht im Rampenlicht. Das Inkrafttreten des Verbotsvertrages wurde weder parteipolitisch noch medial besonders gewürdigt. Lediglich ein Video des Außenministeriums, welches die humanitären Folgen eines fiktiven Abwurfes einer Atombombe über
AM WIENER HELDENPLATZ UNTERSTÜTZEN IPPWN ÖSTERREICH, ICAN ÖSTERREICH UND DER ÖSTERREICHISCHE VERSÖHNUNGSBUND DIE AUSRICHTUNG VON GESPRÄCHEN ZU NEW START – JUNI 2020.
Wien veranschaulichen sollte, führte zu massiver Kritik: Es sei unverantwortlich, den von der Pandemie psychisch so belasteten Menschen auch noch Angst vor einem Atombombenabwurf zu machen, so politische Mitbewerber der Opposition und zahlreiche Kommentator*innen. Das außenpolitische Leuchtturmprojekt wurde zum innenpolitischen Irrlicht. „Österreich“, so der Schauspieler Helmut Qualtinger einst, „ist ein Labyrinth, in dem sich jeder auskennt“.
Zivilgesellschaftliche Erwartung
Rund um die Vertragsstaatenkonferenz sind NGO-Aktivitäten geplant, die einen Austausch zwischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Diplomatie und Öffentlichkeit intensivieren sollen. Im Zentrum dabei: ein starkes Verbot, um – wie es der Vertrag selbst ausdrückt – „diese Waffen vollständig zu beseitigen“. Mit dem Vertrag ist eine überaus wichtige Etappe genommen und – wie Alexander Kmentt ausführt – „ein Paradigmenwechsel in den internationalen Bemühungen, das Atomwaffenproblem zu regeln.“ Aber es bleiben auch Fragen offen. Soll ein neues EU-Kampfflugzeugsystem mit US-amerikanischen Atomwaffen bestückt werden? Wie können die Mehrheiten in der Bevölkerung für vollständige Abrüstung in der Politik besser verankert werden? Sicherheitspolitik ohne Massenvernichtungswaffen weiter zu denken, bleibt eine zentrale Herausforderung.
Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) engagiert sich im Hinblick auf die erste Staatenkonferenz im Jänner 2022 in einem breiten Bündnis dafür, dass die im Vertrag vorgesehene Hilfe für Opfer von Atomwaffeneinsätzen und -tests sowie Maßnahmen zur Sanierung der Umwelt der kontaminierten Gebiete (Artikel 6) konkretisiert werden. Neben dem wichtigen Ziel der Verbreite- Gustav Mahler meinte „Wenn die Welt einrung der Unterstützung durch die Staaten mal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, sind auch vertragstechnische Fragen zu denn dort passiert alles 50 Jahre später.“ klären: welche Regeln gelten, wenn Atom- In Fragen des Verbots von Atomwaffen ist waffenstaaten abrüsten und dem Vertrag Wien der Welt jedenfalls ein Stück voraus. beitreten? Wie kann – mit Blick auf die Damit die Welt nicht untergeht. sicherheitspolitische Großwetterlage – Vertrauen in Abrüstungsprozesse gestärkt werden? Der Fokus auf Opferschutz und Thomas Roithner Umweltsanierung zeigt auch, dass Siist Friedensforscher, Privatdocherheit nicht nur aus nationalstaatlicher für PolitikwisSicht betrachtet wird, sondern der Begriff zent senschaft an der „menschliche Sicherheit“ prägend ist. Die Universität Wien Türe zu Verhandlungen in Wien ist nicht und Mitarbeiter im Versöhnungsbund nur für Vertragsstaaten, sondern auch für Österreich: www. Beobachterstaaten offen. thomasroithner.at 7
Foto: © Alex Papis / ICAN
Foto: © Thomas Roithner
„ABRÜSTUNG“ EINER ATOMRAKETE AUF DEM STEPHANSPLATZ – HIROSHIMATAG 2020
ATOMWAFFENVERBOT
Japan und Atomwaffen Geschichte eines ambivalenten Verhältnisses
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m August 1945 haben die USA Atombomben auf die Städte Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Damit ist Japan das einzige Land, in dem Atomwaffen bis jetzt zum Einsatz gekommen sind. Auch wenn die Bevölkerung Atomwaffen überwiegend ablehnt, bleibt das Verhältnis des Landes zu Atomwaffen ambivalent. Diese Ambivalenz resultiert aus den Sicherheitsdilemmata von Japans Nachkriegsgeschichte: Während im Land ab den 50er Jahren US-amerikanische Atomwaffen stationiert waren, wurden 1967 drei „Anti-Nuklearprinzipien“ bzw. Anti-Atomwaffen-Prinzipien etabliert.
Nachdem Japan 1945 durch die Alliierten besetzt worden war, erhielt es 1952 mit dem Friedensvertrag von San Francisco formell seine Souveränität zurück. Die Insel Okinawa und einige weitere, kleinere Inseln waren immer noch vollständig unter amerikanischer Besatzung und damit auch in Regierungsgewalt. Die Situation in Asien war weiterhin instabil und damit eine Herausforderung für das neu gegründete Japan. Beispiele sind der Koreakrieg und die Auseinandersetzung um Taiwan in den 1950er Jahren. In dieser Situation stützte sich die japanische Regierung auf die Sicherheitsgarantien der USA.
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S-amerikanische Atomwaffen spielten durchgängig eine wichtige Rolle für die Sicherheitspolitik Japans. Schon 1953 entsandten die USA ihren ersten atomwaffenfähigen Flugzeugträger, die USS Oriskany, nach Japan. Zusätzlich fing die Regierung Eisenhower an, Atomwaffen in
Japan zu stationieren. Auf US-Stützpunkten auf der Hauptinsel wurden Bestandteile von Atomwaffen gelagert. Von etwa 1954 an bis zur Rückgabe Okinawas an Japan 1972 wurden 18 verschiedene Typen einsatzbereiter Atomwaffen auf die Insel gebracht. Freigegebene US-Regierungsdokumente belegen, dass dies zum Höhepunkt 1967 etwa 1.300 Waffen betraf.
ments setzten eine Resolution durch, die ein Verbot der militärischen Nutzung der Atomenergie beinhaltete. Zudem starteten Frauen im Tokioer Stadtteil Suginami eine Unterschriftenaktion, um die Welt über den japanischen Wunsch nach einem Verbot von Atom- und Wasserstoffwaffen zu informieren. An dieser beteiligten sich in ganz Japan 32 Millionen Menschen, also mehr als ein Drittel der Bevölkerung.
Parallel dazu etablierte und verhärtete sich die Haltung der japanischen Bevölkerung gegen Atomwaffen. 1952, erst sieben Jahre nach Hiroshima und Nagasaki, erfuhr die Öffentlichkeit Details über Auswirkungen und Folgen der Atombombenabwürfe, nachdem die amerikanische Besatzungsbehörde GHQ ihre Zensur zu diesem Thema aufgehoben hatte. Ein weiterer Vorfall am 1. März 1954 trieb mehr Menschen in das anti-nukleare Lager. 23 Fischer waren mit dem Kutter „Daigo Fukuryu Maru“ vor der Küste des Bikini-Atolls unterwegs, während dort gleichzeitig der US-amerikanische Atomwaffentest „Bravo“ stattfand. Die Explosion war weitaus stärker als ursprünglich berechnet. Obwohl sie sich außerhalb der offiziell deklarierten Gefahrenzone befanden, erkrankten die Mitglieder der Besatzung an schwerer Strahlenkrankheit – der Funker Aikichi Kuboyama, der schon vor dem Vorfall an Leberversagen gelitten hatte, verstarb sechs Monate später.
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Anschließend kam es zu einem Umbruch in der japanischen Politik. Lokale Regierungen und beide Kammern des Parla8
uch aufgrund dieses öffentlichen Drucks gaben die USA die Stationierung von Atomwaffenteilen auf dem japanischen Festland auf. Die vermutete Stationierung von Atomwaffen auf japanischen Inseln beunruhigte die Regierung und machte es erforderlich, das Thema in die Verhandlungen um eine Rückgabe mit einzubeziehen. 1967 verkündete der damalige Premierminister Eisaku Sato in der Unterhauskammer die drei „Anti-Nuklearprinzipien“ Japans. Nach den Prinzipien verpflichtet sich Japan, (1) keine Atomwaffen zu besitzen, (2) keine Atomwaffen herzustellen (3) und die Einfuhr von Atomwaffen nach Japan nicht zuzulassen. 1974 wurde Sato mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, unter anderem für diese drei Prinzipien. In der japanischen Originalversion ist explizit klar, dass die Prinzipien auch für die noch zurückzugebenden Inseln gelten sollen. In der Bevölkerung erfuhren die Prinzipien Zustimmungs-
Foto: Dennis Amith / CC BY-NC 2.0
PSEUDOZIZEERIA MAHA / PALE GRASS BLUE BUTTERFLY
HIROSHIMA MIT DEM A-BOMB DOME (2019)
raten von über 70 Prozent. Gleichzeitig zweifelten die Menschen schon früh daran, dass die Regierung sie vollständig befolgen würde. Während die Einhaltung der ersten beiden Prinzipien bis heute unstrittig ist, steht die Einhaltung des dritten Prinzips in Frage. Das Problem dabei waren US-amerikanische, potenziell atomar bewaffnete Kriegsschiffe in japanischen Häfen. Die japanische Regierung hatte explizit erklärt, dass eine „Einfuhr“ jede Durchfahrt durch japanische Territorien und Hoheitsgewässer einschließe. Daraus folge, dass mit Atomwaffen ausgestattete amerikanische Schiffe keine japanischen Häfen anlaufen konnten.
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bwohl Schiffe der US-Marine regelmäßig japanische Häfen anliefen, war das Vertrauen in die erklärten Prinzipien zunächst weitgehend intakt. Selbst als der ehemalige US-Offizier La Rocque im Ruhestand und der ehemaliger amerikanische Botschafter in Japan Reischauer erklärten (1974 und 1981), dass eine mündliche Vereinbarung atomwaffenfähige Schiffe in japanischen Häfen erlauben würde, wies die Regierung diese Anschuldigungen zurück – mit folgender Argumentation: Nach den zusätzlichen Ausführungen (Records of Discussion) zu den Sicherheitsabkommen hätten die USA größere Änderungen an ihrer Ausrüstung in Japan in „Vorabberatungen“ besprechen müssen. Solche „Größeren Änderungen an der Ausrüstung“ beinhalten auch die Einfuhr von Atomwaffen. Da solche „Vorabberatungen“ nie stattgefunden hätten, seien alle japanischen Regierungen davon
ausgegangen, dass keine Atomwaffen in Japan waren und die Anti-Nuklearprinzipien eingehalten worden seien. 2009 wurden weitere Informationen bekannt. Nach Berichten eines Journalisten bestätigten vier pensionierte Vizeminister des Außenministeriums die Existenz einer geheimen Sondervereinbarung. Ein Expertenausschuss, der von einer neuen japanischen Regierung mit der Untersuchung der „geheimen Abkommen“ beauftragt wurde, fand zwar keine Belege dafür, konnte aber die US-amerikanische Interpretation der Abkommen klären. Die oben erwähnten Records of Discussions enthielten eine weitere Klausel, die besagte, dass sich neue Regeln nicht auf die bereits praktizierte Verfahrensweise auswirken würden. Der damalige Botschafter hatte dem japanischen Außenminister angedeutet, dies gelte auch für das Einlaufen von Schiffen in Häfen. Da US-Schiffe japanische Häfen bereits mit Atomwaffen angelaufen hätten, ginge dies auch in Zukunft. Die USA hätten keine Notwendigkeit für „Vorabberatungen“ gesehen, und ihre Schiffe waren mutmaßlich weiterhin atomar bewaffnet. Zumindest konnte die ursprüngliche Logik der Regierung zur Atomwaffenfreiheit nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Expertenkommission kritisierte die vorherigen japanischen Regierungen, da sie nicht versucht hatten, die beiden unterschiedlichen Interpretationen zusammenzuführen. Seit 1991 ist die Diskussion darüber, ob es in Japan Atomwaffen und/oder atomwaffenfähige Schiffe gibt, hinfällig. Damals hat US-Präsident George W. Bush 9
durch die Presidential Nuclear Initiative den Einsatz aller nicht strategischen Atomwaffen auf Schiffen, U-Booten und landgestützten Marinefliegern eingestellt. Das Sicherheitsdilemma und die daraus entstehende Ambivalenz halten bis heute an. Im letzten Jahr erklärte der japanische Premierminister Yoshihide Suga vor der UN-Generalversammlung: „Hiroshima und Nagasaki dürfen sich niemals wiederholen. Diesen festen Entschluss verinnerlichend hält Japan an den drei Anti-Nuklearprinzipien fest und engagiert sich mit Nachdruck für die Verwirklichung einer Welt ohne Atomwaffen.“ Andererseits ist Yoshihide Suga erst im April 2021 mit US-Präsident Joe Biden vor die Kamera getreten, der erklärte, die USA würden Japans Verteidigung mit allen Mitteln unterstützen, „auch mit Atomwaffen“. Gegen die unbeständige Realität der Region hält die japanische Regierung den „nuklearen Schirm“ der USA noch immer für notwendig und will derzeit dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beitreten. Und das, obwohl viele Umfragen konsistent zeigen, dass sich fast 60 Prozent der Menschen für einen Beitritt aussprechen.
Jun Saito ist Rechtswissenschaftler und absolviert derzeit den Masterstudiengang Peace and Security Studies in Hamburg.
Weiterführende Informationen: •
www.ippnw.de/atomwaffen
•
Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen: www.icanw.de
•
Alles rund um das Thema Atomwaffen mit Glossar: www.atomwaffenA-Z.info
•
Kauf neuer Atomwaffenträger für die Bundeswehr: atombomber-nein-danke.de
•
Informationen über die Folgen der Nuklearen Kette: hibakusha-worldwide.org/de
•
Petition an die Bundesregierung den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen: aktion.nuclearban.de/unterzeichnen
Sie wollen mehr? Die Artikel und Fotos dieses Heftes stammen aus unserem Magazin „IPPNW-Forum“, Ausgabe Nr. 166, Juni 2021. Im Mittelpunkt der Berichterstattung des IPPNW-Forums stehen „unsere“ Themen: Atomenergie, Erneuerbare Energien, Atomwaffen, Friedenspolitik und soziale Verantwortung in der Medizin. In jedem Heft behandeln wir ein Schwerpunktthema und beleuchten es von verschiedenen Seiten. Darüber hinaus gibt es Berichte über aktuelle Entwicklungen in unseren Themenbereichen, einen Gastkommentar, Nachrichten, Kurzinterviews, Veranstaltungshinweise und Buchbesprechungen. Das IPPNW-Forum erscheint viermal im Jahr. Sie können es abonnieren oder einzelne Ausgaben in unserem Online-Shop bestellen.
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Zehn Jahre Leben mit Fukushima: Die fortgesetzte Atomkatastrophe
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