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Staubwedel raus: Make IPPNW cool again! Wie die IPPNW sich verändern muss, um heute noch Gehör zu finden

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Staubwedel raus: Make IPPNW cool again!

Wie die IPPNW sich verändern muss, um heute noch Gehör zu finden

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Selbst Reagan und Gorbatschow lobten in der 80er-Jahren anerkennend die Arbeit der IPPNW, die bereits fünf Jahre nach ihrer Gründung den Friedensnobelpreis erhielt. Als aber nach dem Mauerfall das Thema Atomwaffen abgehakt schien, verschwanden die IPPNW und ihr unerschöpflicher Einsatz für eine atomwaffenfreie Welt aus dem öffentlichen Bewusstsein – und aus dem Bewusstsein der Medizinstudierenden. Das soll sich ändern!

Hey, my name is Ella! These are three reasons to join IPPNW“, erklärt Ella Faiz in einem kurzen Tiktok-Video. Ella kommt aus Frankreich und ist eine der beiden europäischen Studisprecher*innen der IPPNW. Ihr Video ist Teil der internationalen IPPNW Studi-Kampagne „Make ippnw cool again“.

Zugegeben, Abklatsche von Trumps „Make America Great Again“-Kampagne sind eigentlich überhaupt nicht cool. Trump zielt mit seinem Slogan darauf Amerika wieder zurück in die Zeit der 50er zu katapultieren – in eine Zeit ohne Geschlechtergleichstellung, ohne Anerkennung der LGBTQ* und ohne „Black Lives Matter“. Die geschichtliche Rückbesinnung auf die Ursprünge der IPPNW bedeutet aber in der Tat etwas anderes als Trumps „Make America Great Again“. Die Studi-Kampagne will die IPPNW und ihr Anliegen wieder in die Öffentlichkeit rücken, will verdeutlichen, dass damals wie heute Atomwaffen eine Bedrohung für die globale Sicherheit darstellen. Und sie will Student*innen dazu aufrufen, sich in der IPPNW zu engagieren und mit dem Ziel „atomwaffenfreie Welt“ zu identifizieren. Denn an einer breiten studentischen Basis mangelt es der IPPNW. Doch warum eigentlich?

Politische Influencer der 2020er – die IPPNW gehört nicht dazu

Dominik Stosik, der ebenfalls europäischer Studisprecher der IPPNW und in der IPPNW in Polen aktiv ist, sagt dazu: „Die IPPNW hat meiner Meinung nach weniger ein Nachwuchsproblem, sondern vielmehr ein Problem [damit], überhaupt wahrgenommen zu werden.“ In einer Welt der medialen Reizüberflutung gehe die IPPNW schlichtweg unter. Das leuchtet ein. Wenn niemand die IPPNW kennt, dann finden sich so auch schlecht neue Unterstützer*innen. Womöglich hat die IPPNW an dieser Stelle den Sprung in die Digitalisierung verpasst. Junge Menschen erreicht man im Jahr 2020 vor allem über das Internet und über die sozialen Medien: Hier ist die IPPNW zwar vertreten, aber nicht stark und auch nicht einheitlich. Vergleicht man die Followerzahlen des instagram-accounts @ippnwgermany (1.049 Abonnent*innen)1 mit denen von Influencern wie @bibisbeautypalace (7.673.927 Abonnent*innen) wird klar, dass das Engagement der IPPNW in den sozialen Medien praktisch unsichtbar ist. Ein Grund dafür liegt in der dezentralen Organisationsstruktur der Ärztevereinigung: Es gibt keine offizielle internationale Marketing- und Image-Kampagne. Anders als bei ICAN zum Beispiel.

Ein weiterer Grund kann auch in dem aktuellen Wandel der Wahrnehmung politischen Engagements in der Öffentlichkeit liegen. Der Focus liegt hier mittlerweile weniger auf dem politischen Handeln einer Gruppe oder einer Einzelperson, sondern Politik wird zum Lifestyle von Influencern und Stars. Ein Beispiel hierfür: Kanye Wests Kandidatur zur US-Präsidentschaft. Auch Donald Trump, ein Businessman, der sein Amt weniger als Verantwortung, sondern mehr als Bühne versteht, ist ein Resultat der Personalisierung der Politik. Deutschlands Verschwörungstheoretiker Nr. 1, Attila Hildmann, wurde als Koch bekannt. Es sind die Gesichter, die im Vordergrund stehen, die Politik bietet ihnen eine weitere Showbühne. Eine Organisation mit einem sehr langem Namen – „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“, das sind stolze 47 Buchstaben – und ohne Gesicht kann dabei schlecht mithalten. Hier beginnt eine mediale Abwärtsspirale, da es in der Logik der sozialen Medien jemand ohne Follower auch nicht wert ist, abonniert zu werden. Wichtigkeit entsteht durch Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit durch Wichtigkeit. Und dieser Zirkelschluss speist sich aus aggressivem Marketing und Geld, um somit letztlich ein öffentlichkeitswirksames Image zu konstruieren.

„Bedrohung durch Atomwaffen? Ja – vor 40 Jahren!“

An einem neuen Image wollen Studisprecherin Ella und ihr Kollege Dominik arbeiten. „Wir brauchen ein Image. Wenn jemand das Logo der IPPNW sieht, dann soll dies positive Emotionen hervorrufen und nicht die Frage ‚Was ist das‘?“, sagt Dominik dazu. Momentan werden mit dem Kampf gegen Atomwaffen die 80er-Jahre assoziiert, ein Problem des aktuellen Millenniums sind sie für die Öffentlichkeit nicht. Das Image der IPPNW ist, wenn es denn für die breite Masse existiert, ein leicht angestaubtes. Das bestätigt auch der Altersdurchschnitt der Mitglieder, der liegt gefühlt bei mindestens über 50. Wer sich heute engagieren und die Welt retten will, schwänzt freitags Schule oder Uni für das Klima – nicht für eine atomwaffenfreie Welt. Wenn junge Menschen, die sich für die nukleare Abrüstung einsetzen, von ihrem Engagement erzählen, reichen die Reaktionen von positiver Überraschung bis zu mitleidigem belächelt werden und schrägen Blicken.

Dabei ist das Anliegen der IPPNW ganz und gar nicht historisch. Neben dem durchgehend aktuell bleibendem Kampf gegen die nukleare Aufrüstung gibt es eine Vielzahl an friedenspolitischen Themen und gesellschaftliche Debatten, zu denen die IPPNW sich äußert, wie Ella betont: „[Das Engagement der IPPNW] erstreckt sich auch auf Themen, die uns alle etwas angehen: Umwelt, Gleichstellung von Mann und Frau, die familiären und gesellschaftlichen Gewalttaten – allesamt Themen, auf die unsere Generation sensibilisiert ist.“ Mit Analysen des Syrienkriegs oder Untersuchungen der Folgen von Drohneneinsätzen prägt die Ärztevereinigung auch Debatten im Bundestag. Der Beigeschmack von staubiger Friedensbewegung bleibt dennoch. Doch das liegt nicht nur an der IPPNW selbst, sondern auch der medialen Nicht-Präsenz von konstruktivem Friedensjournalismus. Seit Frieden durch die Festung Europa monopolisiert wurde, ist das Thema Krieg zu abstrakt geworden. Die globale Bedrohung durch Atomwaffen existiert – nicht aber in den Köpfen. Dabei sind in Deutschland, den Niederlanden und Italien US-amerikanische Atombomben stationiert, die auch noch modernisiert werde sollen. Unser Nachbar Frankreich besitzt „die Bombe“. Und die Atomwaffenstaaten Großbritannien, Israel und Russland sind nur einen Katzensprung von der EU entfernt. Trotzdem herrscht gesellschaftliches Schweigen. Atomwaffen gibt es in der heilen Welt Europas nicht. Dieses Schweigen trägt zum staubigen, historischen Image der IPPNW bei, weil es indirekt die Notwendigkeit ihres Engagements infrage stellt.

Liebe Studis, „Be the change you wish to see in the world“ xoxo, IPPNW

Es ist also Zeit, sich neu zu erfinden und der IPPNW ein neues, junges und attraktives Gesicht zu geben. Sergej Kolesnikov, Mitglied der russischen Sektion der IPPNW, trifft es im Interview mit Amatom-Autorin Gesa Baum auf den Punkt: „[I]ch kann jetzt schon nicht mehr so aktiv an der Bewegung mitwirken [...] wo ich mithelfen kann, helfe ich mit, aber langsam ist es auch an der Zeit, dass die Jugend sich damit beschäftigt.“ Ja, es ist an der Zeit, dass die Jugend sich damit beschäftigt, dass die Jugend die IPPNW in den 2020ern ankommen und aufblühen lässt. Denn wer, wenn nicht die Studis, ist dazu in der Lage, die IPPNW cooler zu machen und ihr Image zu modernisieren?

Projekte und Ideen gibt es dahingehend schon einige. Wichtig bleibt dennoch: Ein einheitliches Vorgehen der Kampagne und „dass wir uns mehr zusammentun sollten und nicht jeder ‚sein Süppchen kocht‘ “, wie es Dominik formuliert. Er schlägt vor, die Welle der personalisierten Politik zu reiten – indem zum Beispiel Personen des öffentlichen Lebens überzeugt werden, bei Events Shirts mit einem IPPNW-Logo zu tragen. Schleichwerbung sozusagen. „Denn wenn wir erst mal im kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft angekommen sind, dann erst sind wir in der Lage, ihnen unsere Ziele zu präsentieren – nicht andersherum“, so Dominik. „Vielleicht bin ich da etwas zu maßlos, aber ich verstehe die Angst davor nicht, in die Welt herauszutreten und etwas offensiver darum zu kämpfen, dass man wahrgenommen wird. Wenn wir es nicht tun, dann tut es jemand anderes, so ist es leider nun mal.“ Ella hat die ergänzende Idee, öffentliche Events für Studierende zu organisieren, an denen jede*r teilnehmen kann: „Wie ein Konzert zum Beispiel, wo der Text dem Kampf gegen Atomwaffen gewidmet wäre und die Spenden der IPPNW zugutekämen.“

All we want for Büchel – is you!

Die Nuke-Girls

Konzerte? Musik und Engagement gegen Atomwaffen? Das erinnert uns doch ganz stark an das musikalische Studi-Quartett aus Düsseldorf: Die Nuke-Girls! Die vier mutigen Düsseldorferinnen warben dieses Jahr auf Youtube mit ihrem ersten Hit für Teilnahme am Aktionsfestival in Büchel. Genau dort haben sie sich auch vor knapp zwei Jahren gegründet. Ihr Ziel: kreativer Protest. Nicht nur in Büchel, auch international. So waren die vier Mädels im September 2020 das erste Mal im Ausland unterwegs und traten in den Niederlanden vor der Airbase Volkel auf. Im Gespräch mit dem Amatom sagen sie: „Positiver Aktivismus wird bei uns großgeschrieben, weshalb wir versuchen, mit unserer Musik sowohl zum Tanzen als auch zum Nachdenken anzuregen.“ Mit Liedern wie dem Mamma-Mia-Cover „Raus aus Büchel – packt die Bomben ein!“ tun sie das auf jeden Fall. Übrigens, für alle Fans – bereits für dieses Jahr sollen laut Aussage der Gruppe noch weitere Projekte geplant sein.

Die Nuke-Girls verkörpern mit ihrer Musik und ihren Auftritten Aktivismus, Kreativität, Girlpower und den von Dominik geforderten Mut, öffentlich zu seiner politischen Überzeugung zu stehen – genau davon brauchen wir mehr! Das heißt nicht, dass jede*r IPPNW-Studi sofort eine Youtube-Karriere hinlegen muss, doch Aktionen, die die Sichtbarkeit in den sozialen Medien erhöhen, sind für das Makeover der IPPNW essenziell. Memes gehören natürlich dazu. Und Videostatements wie das von Ella. Mit einer Smartphone-Kamera bewaffnet ist das für jede*n ein durchaus realisierbares Projekt: Konkret geht es darum, in 30 bis 120 Sekunden kurz und knackig auf eine oder mehrere der folgenden Fragen zu antworten: Wieso bist du der IPPNW beigetreten? Weshalb sollten wir uns im Jahr 2020 noch auf den Kampf gegen Atomwaffen konzentrieren? Warum sollte nukleare Abrüstung an erste Stelle stehen, wenn wir gleichzeitig von Klima- und Corona-Krise bedroht werden? Zu finden sind die Videostatements schließlich auf dem offiziellen Instagram-Account @IPPNW_students der internationalen Studis, wo sie nach Zusendung veröffentlicht werden.

Für Studenten, die nicht gern im Rampenlicht der sozialen Medien stehen, gibt es gleichermaßen Möglichkeiten, sich einzubringen und das neue Gesicht der IPPNW mitzugestalten. Vor allem das persönliche Engagement jedes und jeder Einzelnen ist und bleibt wichtig. Laut Ella ist das gerade in Frankreich Teil des Nachwuchsproblems: „In Frankreich [wird] die Zugehörigkeit zu einem Verein eher als ‚kräfteraubender Zeitvertreib‘ wahrgenommen. Das, obwohl die Vereinsarbeit, ganz im Gegenteil, neue Gelegenheiten und neue Bekanntschaften mit sich bringt. [...] In den medizinischen Fakultäten Frankreichs wird uns [jedoch] die Vorstellung gelehrt, dass unsere Zeit allein aufs Studium ausgerichtet sein muss und dass zusätzliche Aktivitäten wie Freizeit und Vereinsarbeit unsere Karriere nicht unbedingt fördern.“

Es ist notwendig, dass das Thema Atomwaffen wieder zu einer öffentlichen Debatte wird. Dafür müssen wir Studis die IPPNW die Sprache unserer Generation sprechen lassen – nur so können wir die Gesellschaft direkt adressieren und Gehör finden, wenn wir mit Nachdruck das Ende der nuklearen Teilhabe Deutschlands und die Abrüstung aller Atomwaffen weltweit fordern. „Ich bin überzeugt, dass viele junge Studierende, wenn sie denn etwas über die IPPNW wüssten, bereit wären, sich in dieser Sache zu engagieren“, sagt Dominik. Dafür müssen wir Studis die IPPNW cooler machen. Und bekannter.

Die Autorin: Sophia Christoph, 8. Semester Humanmedizin, Universität des Saarlandes.

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