
7 minute read
Lasst Euch nicht einschüchtern! Mein Plädoyer für zivilen Ungehorsam gegen Massenvernichtungswaff en
Lasst Euch nicht einschüchtern!
Mein Plädoyer für zivilen Ungehorsam gegen Massenvernichtungswaffen
Advertisement
2018 nahm ich an meiner allerersten Protestaktion am Fliegerhorst in Büchel teil, indem ich das Haupttor mit meinen Mitstreiter*innen friedlich blockiert habe. Dafür wurden wir im Verlauf der letzten Jahre immer wieder auf höchst herabsetzender Art und Weise juristisch schikaniert. So wurde versucht, jeden von uns separat und sehr ungleich mit rechtlichen Mitteln einzuschüchtern. Mal mit Vorladung, mal mit Bußgeld, immer unterschiedlich. Ich war der letzte Fall, der noch ausstand, und sollte nach zwei Gerichtswechseln und zwei Jahren Warten endlich am 17. August 2020 vor Gericht in St. Ingbert erscheinen. Doch auch dies entpuppte sich als Schikane, weil dem Gericht erst drei Tage vor der Verhandlung und einer großen Mobilisation unsererseits einfiel, dass mein Fall mittlerweile verjährt sein könnte und alles abgesagt werden musste. Mit diesem einst ans Gericht gewandten Plädoyer möchte ich mich nun insbesondere an alle neueren Aktivist*innen und potenziellen Opfer solcher Schikane richten und euch ein paar deutliche Worte des aktivistischen Selbstbewusstseins mitgeben. Ziviler Ungehorsam ist wichtig: Lasst Euch nicht einschüchtern!
1. Die nukleare Katastrophe oder: wenn alle Hilfe zu spät ist
75 Jahre Hiroshima-Nagasaki, 2058 Atomwaffentests, zig Millionen von Opfern, 100 Sekunden vor Mitternacht. Die Zündung einer einzigen von den 20 in Büchel stationierten US-Wasserstoffbomben entfesselt im Bruchteil von Millisekunden Energien, die beide Anschläge der USA gegen Japan 1945 um etwa das 13-fache übersteigen. 600 Meter im Umkreis dieser Detonation wird alles und jeder in seine atomaren Bestandteile zerstückelt, während der Feuerball mit einer Temperatur von 1000 Sonnenoberflächen unaufhaltsam um sich greift. Was bleibt, sind keine Leichen, nur Kohlenstoffschatten auf zersprengtem Asphalt. Die Schatten Hundertertausender Menschen – das sind die Glücklichen. Weitere Hundertertausende werden von der kilometerweiten Überschalldruckwelle erfasst, unter Gebäudefragmenten begraben, durch Feuerstürme aus Geröll, radioaktivem Staub und ihren eigenen halb abgetrennten Gliedmaßen versengt, kontaminiert, gefoltert. Zu betonen ist, dass etliche von ihnen im Vorfeld durch die Explosion ihr Augenlicht verloren haben werden, folglich blind durch die Gegend geschleudert werden, desorientiert, hilflos, ihrer Würde beraubt. Jene, die weit genug entfernt waren oder kurzfristig unterkommen konnten, werden in den Folgetagen erleben, wie sich ihre Haut, Haare, Zähne, Gedärme und Innereien langsam qualvoll durch die Strahlenkrankheit zersetzen. Weitere zahllose Menschen auf der ganzen Welt werden durch den folgenden Fallout an diversen Krebserkrankungen in Agonie zugrunde gehen. Wir Ärzt*innen werden euch nicht helfen können.
Umso begrüßenswerter war mithin der nahezu einstimmige Beschluss des Bundestags vom 24. März 2010, ein Zeichen gegen die ca. 15.000 weltweit verfügbaren Atomsprengköpfe zu setzen und die illegal auf deutschen Boden stationierten Massenvernichtungswaffen restlos abziehen zu lassen. Umgesetzt wurde das genaue Gegenteil: Passiv billigend wurde die Aufkündigung des INF-Vertrages in Kauf genommen und fleißig eingekauft. So ist geplant, die oben beschriebenen frühen Generationen der B61-Bomben in Büchel durch ihre modernisierte und noch gefährlichere Variante, die neue B61-12-Bombe, zu ersetzen – einer präzisionsgelenkten Wasserstoffbombe mit dramatisch gesteigertem Vernichtungspotenzial trotz geringerer Sprengladung. Die Anschaffung einer solchen Waffe kann nur ein einziges glaubhaftes Ziel verfolgen: Atomkrieg auf den künftigen Schlachtfeldern Europas und der Welt salonfähig zu machen.
Diese Waffensysteme wurden nicht für Abschreckungszwecke entwickelt, sondern speziell für die Ausführung strategischer Angriffe gegen befestigte Anlagen an der Front.
Hintergrund solcher Entwicklungen ist die bittere Faktizität eines neuen, weltweiten, atomaren Wettrüstens und wir alle hier werden zur Komplizenschaft genötigt, denn in unserem Namen bricht die BRD Vertrag um Vertrag, das eigene Staatsrecht, ja sogar das Grundgesetz.
Im folgenden werde ich ebendiese rechtliche Dimension des gegebenen Sachverhalts und meiner resultierenden Handlungen am Fliegerhorst näher beleuchten.
2. Vom strukturalisierten Unrecht in Deutschland und der bürgerlichen Pflicht zu handeln
Am 18. Juni 2018 nahm ich vor den Toren des Fliegerhorstes in Büchel gemäß Artikel 5 und Artikel 8 des Grundgesetzes Gebrauch von meinen Rechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um durch organisierten friedlichen zivilen Ungehorsam das an jenem Ort verübte multidimensionale Unrecht öffentlich mit meinen Mitbürger*innen anzuprangern.
Im Sinne der Vorbereitung eines offenen Angriffskrieges werden in Büchel Atomwaffen allzeit einsatzbereit gelagert und modernisiert, ihr Einsatz durch deutsche Pilot*innen permanent geübt. Die geplante Anschaffung neuer Trägersysteme durch Annegret Kramp-Karrenbauer und die geplante Stationierung taktisch offensiver B61-12-Systeme bestätigen ein offensichtliches Zuwiderhandeln mit Inlandsbezug gegen die UN-Charta, gegen den Artikel 8 der Römischen Statute des Internationalen Strafgerichtshofs und folglich gegen Artikel 13 des Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Im Lichte dieses Verstoßes gegen Völkerrecht nahm ich meine laut Artikel 25 des Grundgesetzes erzeugte Pflicht wahr, die verfassungswidrige Vorbereitung eines Angriffskrieges (siehe Artikel 26 Grundgesetz) zu verhindern. Ferner berufe ich mich auf Artikel 20 des Grundgesetzes als Ultima ratio nach Ausschöpfen aller juristischen, politischen und kommunikativen Kanäle im Verkehr mit der Bundesregierung. Somit leistete ich Widerstand gegen die andauernde Missachtung der vom Bundesverfassungsgericht genannten Prinzipien der freiheitliche demokratische Grundordnung; allem voran die Prinzipien der Volkssouveränität und der Verantwortlichkeit der Regierung. Ersteres durch Nichtbefolgen des Beschlusses eines vom Volk gewählten legislativen Organs und Letzteres durch wiederholte Ausweichmanöver und Doppelzüngigkeit der Bundesregierung im Kontext der deutschen atomaren Teilhabe.
Diese Teilhabe ist ein wiederkehrendes Zeugnis deutscher Unverantwortlichkeit und Illegalität, denn sie verstößt de jure und de facto gegen Artikel 2 und Artikel 6 des Nichtproliferationsvertrags (NPT) sowie gegen Artikel 3 Absatz 1 des Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland.
Nicht zuletzt sah und sehe ich mich als Medizinstudent auf ähnlicher Art und Weise durch die immerzu wachsende Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung mit deutscher Beteiligung in den rechtfertigenden Notstand gemäß Artikel 16 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) versetzt, die ultimative gesundheitliche Gefahr eines Angriffskriegs von meinen Mitbürger*innen abzuwenden. Durch meine auf den ersten Blick geringere Ordnungswidrigkeit konnte ich für einen kurzen Zeitraum meine Mitbürger*innen einerseits schützen vor dem Betreten eines potenziellen strategischen Ziels von Terror- oder Militäranschlägen und andererseits schützen vor einem atomaren Angriff, ausgehend vom besagten Fliegerhorst.
Dieses Räsonnement fußt unweigerlich auf zwei Begriffen, die das philosophisch-ethische Agens und Movens meines Handelns ausmachen: die ärztliche Pflicht und die soziale Verantwortung.
3. Mehr als Politik – wieso in Büchel der medizinische Ethos und ziviler Ungehorsam Hand in Hand gehen
Als angehender Arzt habe ich eine staatliche und selbstauferlegte professionelle Pflicht. „Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein“, gemäß dem Genfer Gelöbnis. Erhaltung und Prävention erachte ich hierbei als koextensive Begrifflichkeiten; insbesondere wenn es um die reale existenzielle Gefahr einer vermeidbaren atomaren Katastrophe geht, die meine künftigen Kolleg*innen und mich vor die vollendete Tatsache des „Nichtmehrhelfenkönnens“ stellen würde.
Hier erwächst sodann in meiner gut gewillten Wahrnehmung der kategorische Imperativ, der Maxime des Erhalts gesundheitlicher Unversehrtheit folgend, dem Eintreten der besagten vollendeten Tatsache vorzubeugen.
Die Konsequenzen meines Handelns oder Nichthandelns wiederum sind rechtlicher Gegenstand meiner sozialen Verantwortung als mündiger, handlungsfähiger und medizinfachkundiger Staatsbürger gegenüber meinen Mitbürger*innen.
Eingedenk der in Abschnitt eins und zwei dargelegten politischrechtlichen Gesamtsituation, eingedenk des kategorischen Imperativs, vorbeugend zu handeln, und eingedenk meiner sozialen Verantwortung als künftiger Arzt entschied ich mich für eine vermeintliche Anomalie des Gesetzes: den Zivilen Ungehorsam. Vermeintlich, weil es scheint, als sei ein Recht auf kalkulierten Rechtsverstoß einfach nur absurd; jedoch entgeht einem hierbei meines Erachtens nach ein wichtiger Unterschied zwischen liberalen und illiberalen Staatssystemen. In „The Authority of Law“ (1979) argumentiert Joseph Raz: in einer illiberalen Gesellschaft würden die in Abschnitt 2 ausgeführten Grundrechte den Bürger*innen versagt, der Unrechtsstaat würde dem inhärenten Anspruch des Bürgers auf Partizipation und Freiheit nicht gerecht. Ergo der Bürger, die Bürgerin hätte das universelle Menschenrecht, wenn nicht gar die moralische Obligation, derartigen Widerstand gegen die versagenden Gesetze zu leisten. In unserer liberalen Gesellschaft allerdings möge ziviler Ungehorsam dem ersten Anschein nach unrecht erscheinen. Doch dies sei allein der Tatsache zu verdanken, dass er nicht als Recht, sondern als konstitutives, stabilisierendes Element in die freiheitliche demokratische Grundordnung und unseren Rechtsstaat impliziten Einzug gefunden hat.
Im Einklang mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung und dem Gedankengut von John Rawls und Hannah Arendt grenze ich ferner zivilen Ungehorsam als außerordentliches Mittel politischer Partizipation folgendermaßen gegenüber Straftaten und Gewissensverweigerung ab:
» Pluralität: hinter zivilem Ungehorsam steht nie eine einzige Person.
» Öffentlichkeit: Es ist eine politische Handlung mit klarer Intention, ein größeres Unrecht gesamtgesellschaftlich anzuprangern und zu ändern.
» Gewaltlosigkeit: Gewalt zeugt von Frustration im Angesicht politischer Ohnmacht. Macht folgt aus Pluralität, aus Mehrzahlen. Gewalt negiert Macht und vice versa. Nur gewaltlos können wir nach und nach die Macht erlangen, demokratisch das Unrecht zu beheben. » Kommunikation: Der Dialog mit der Staatsmacht, den Behörden und Bürger*innen ist der Inbegriff des zivilen Ungehorsams.
» Bejahte Justiziabilität: In unserem zivilen Ungehorsam verstehe ich mich in der Pflicht und der konsequenzträchtigen Verantwortung, die institutionelle Behebung alles genannten Unrechts im Zusammenhang mit der deutschen atomaren Teilhabe zu erwirken.
Ich danke Ihnen, Euer Ehren, für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf ein gerechtes Urteil.
Der Autor: Alexej Silenko, 7. Semester Humanmedizin, Universität des Saarlandes.

Titelfoto: Räumung der IPPNW-Blockade des Haupttors des Atomwaffenstützpunktes Büchel am 18. Juni 2018. Foto: Xanthe Hall / IPPNW