IPPNW forum 142/2015 – Die Zeitschrift der IPPNW

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ippnw forum

das magazin der ippnw nr142 juni2015 3,50€ internationale ärzte für die verhütung des atomkrieges – ärzte in sozialer verantwortung

- Ukraine: Frieden nur mit Russland - Pflege-Streik und Globale Gesundheit - Protestaktion „Büchel65“

Atomarer Schrecken: 70 Jahre Hiroshima und Nagasaki


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IPPNW Deutsche Sektion Körtestraße 10 10967 Berlin

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EDITORIAL Inga Blum ist Mitglied im Vorstand der deutschen Sektion der IPPNW.

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m August diesen Jahres jähren sich die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum 70. Mal. Es leben nur noch wenige Zeitzeugen, die uns von den Schrecken des Einsatzes erzählen können.

Wer ihre Geschichten hört, von dem Grauen der Zerstörung menschlichen Seins, von den furchtbaren Leiden – körperlich und seelisch -, der kann sich der Einsicht nicht entziehen, dass sich dieses Leid niemals wiederholen darf. Daher ist es so wichtig und notwendig, diese Zeugnisse an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Im Juni wird Setsuko Thurlow, eine Hibakusha, wie sich die Überlebenden der Atombombenabwürfe nennen, zu Gast in Berlin sein und auch zu Schülern und Schülerinnen von ihren Erlebnissen sprechen. Setsuko Thurlow war 13 Jahre alt, als 1945 die Atombombe „Little Boy“ über ihrer Heimatstadt Hiroshima abgeworfen wurde. Sie widmet seitdem einen Großteil ihrer Arbeit der nuklearen Abrüstung und der Ächtung von Atomwaffen. Setsuko ist international die wohl bekannteste Hibakusha, sie sprach bereits vor den Vereinten Nationen, auf verschiedenen Staatenkonferenzen und Anlässen der Zivilgesellschaft. In diesem Forum erinnert sie sich an die schrecklichsten Tage in ihrem Leben. Der Autor Ward Wilson schreibt in seinem Artikel über neueste Forschungsarbeiten, die belegen, dass Japan im Zweiten Weltkrieg nicht wegen der Atombombenangriffe kapituliert hat und unsere Atomwaffenexpertin Xanthe Hall berichtet über das Scheitern der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New York. Die gute Nachricht in ihrem Artikel ist aber, dass inzwischen mehr als 100 Staaten den „Humanitarian Pledge“ unterstützen, eine von Österreich eingebrachte Erklärung zur Einleitung völkerrechtlicher Schritte für ein Verbot von Atomwaffen. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre dieses Forums. Ihre Inga Blum

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INHALT 8. Mai 2015: Der Schwur von Buchenwald ist hochaktuell

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THEMEN Ukraine: Frieden nur mit Russland.............................................................8 8. Mai 2015: Der Schwur von Buchenwald ist hochaktuell.....10 Das friedliche Gehirn: Präventionsansätze......................................... 12 Mehr von uns ist besser für alle!..............................................................14 Büchel 65: Ein Tag Mahnwache am Atomwaffenstandort.........16 Eröffnung der Austellung „Hibakusha Weltweit" in Mainz........17

SERIE Mehr von uns ist besser für alle: Charité-Streik und Globale Gesundheit

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Die Nukleare Kette: Nagasaki.................................................................... 19

Foto: Thomas Bryans/creativecommons.org/licenses/by/2.0

SCHWERPUNKT Fotografen der ersten Stunde.................................................................... 20 Ich habe die Bombe überlebt: Eine Hibakusha erzählt ............ 22 „Kein militärischer Nutzen“.........................................................................24 Wo der Wille der Wenigen herrscht........................................................ 26 Geschichte der Bewegung gegen Atomwaffen................................. 28

WELT Fotografen der ersten Stunde: Atombombenabwurf auf Hiroshima

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Das World Uranium Symposium in Québec....................................... 30

RUBRIKEN Editorial.......................................................................................................................3 Meinung......................................................................................................................5 Nachrichten..............................................................................................................6 Aktion........................................................................................................................31

Quelle: UN Photo / DB

Gelesen, Gesehen.............................................................................................. 32 Gedruckt, Geplant, Termine........................................................................ 33 Gefragt..................................................................................................................... 34 Impressum/Bildnachweis.............................................................................. 33


MEINUNG

Carlotta Conrad ist Mitglied im Vorstand der IPPNW und arbeitet im Arbeitskreis Flucht & Asyl mit.

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Die Reaktion der europäischen Regierungen auf das Sterben von Tausenden von Flüchtlingen im Mittelmeer ist zutiefst beschämend.

olange die Notlage der Menschen, die vor Gewalt, Krieg, Verfolgungen und Menschenrechtsverletzungen aus Ländern wie Syrien, Mali, Eritrea, Somalia, Nigeria und dem Irak fliehen, anhält, sind Seenotrettung, die Schaffung legaler Zugangswege wie humanitäre Aufnahmeprogramme, die Erteilung humanitärer Visa und erweiterte Familienzusammenführung das Gebot der Stunde. Der vom europäischen Rat im April beschlossene Zehn-Punkte-Plan ist zu kritisieren. Er zielt vorrangig darauf ab, Flüchtlinge von der Flucht abzuhalten und die „Festung Europa“ weiter hochzurüsten. Der Flüchtlingsschutz kann nicht in nordafrikanische Staaten ausgelagert werden, Flüchtlinge müssen ihren Asylantrag in Europa stellen können. Zudem muss die Dublin-Verordnung abgeschafft werden, damit der EU-Staat, in dem der oder die Geflüchtete ihren Antrag stellen möchte, für das Asylverfahren zuständig ist. Flüchtlingen muss die Weiterreise aus den Grenzstaaten der EU ermöglicht werden, da diese mit der Bearbeitung der Asylanträge überfordert sind und teilweise keinen ausreichenden Schutz mehr für Flüchtlinge gewährleisten können.

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eutschland und die EU tragen eine erhebliche Mitverantwortung an den Fluchtursachen. Durch ihre Rüstungsexportpolitik feuern sie bestehende Konflikte weiter an und liefern Grenzsicherungsanlagen und Überwachungselektronik an europäische Außengrenzen. Der Schriftsteller Navid Kermani sieht die Hauptursache für den aktuellen Anstieg der Flüchtlingszahlen im Zerfall der staatlichen Ordnung in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens. „Europa hat diesen Verfall nicht etwa aufgehalten, sondern selbst befördert, indem es über Jahrzehnte und noch inmitten der arabischen Aufstände skrupellose Tyrannen massiv unterstützte“, schrieb er Ende Mai in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Eine Neuregelung der Verteilung der ankommenden Flüchtlinge scheint dringend notwendig. Die Gegner der Quote wollen vor allem die Einreise über das Mittelmeer verhindern und schlagen laut Guardian sogar militärische Operationen auf libyschem Territorium vor. Das Flüchtlingswohl scheinen sie dabei nicht im Auge zu haben.

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NACHRICHTEN

Keine Investitionen in Kohle, Öl und Gas

„TTIP“:

Transatlantische Partnerschaft geht anders

Vergewaltigungen im Krieg: Neue Studie von Medica Mondiale

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ahlreiche IPPNW-Mitglieder haben die Berliner Ärzteversorgung aufgefordert, alle Investitionen in die Kohle- , Öl- und Gasindustrie innerhalb von fünf Jahren zu beenden und die frei werdenden Mittel in Anlagen für eine nachhaltige und gesunde Zukunft zu investieren. Bislang unterstützen 96 Ärztinnen und Ärzte den Brief von Dieter Lehmkuhl (IPPNW Regionalgruppe Berlin) und Eckhard Schreiber (MEZISVorstandsmitglied). Die durch Verbrennung fossiler Brennstoffe (mit)verursachte Luftverschmutzung führt schon jetzt zum vorzeitigen Tod von Millionen von Menschen. Daher sei es moralische Verantwortung von ÄrztInnen und ärztlichen Organisationen, nicht weiter in eine Industrie zu investieren, die in großem Maße der Gesundheit schade und zum Klimawandel beitrage. Außerdem würden diese Investitionen erheblich an Wert verlieren und damit den ärztlichen Pensionsfond belasten, denn 60-80 % der Kohle-, Öl- und Gasreserven sollen zur Beschränkung des Temperaturanstiegs auf zwei Grad im Boden bleiben. Weltweit haben sich bereits etwa 190 institutionelle Investoren diesem Deinvest-Appell angeschlossen. Nach Hans-Joachim Schellnhuber, dem Direktor des PotsdamInstituts für Klimafolgenforschung, ist die Kampagne „Fossil Free Health“ das wichtigste Instrument für den Klimaschutz. Infos zur Medact-Kampagne (Englisch): www.medact.org/campaign

ie IPPNW hat sich einem Bündnis zahlreicher Nicht-Regierungsorganisationen angeschlossen, um die Verhandlungen zu dem geplanten „Transatlantischen Freihandels- und Investitionsabkommen“ (Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP) zwischen der EU-Kommission und der US-Regierung kritisch zu begleiten. Das Bündnis kritisiert an dem geplanten Abkommen insbesondere, dass Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Finanzmarktkontrolle für die Geschäftsinteressen internationaler Konzerne ausgehöhlt werden. Die Ärzteorganisation wehrt sich gegen das TTIP-Abkommen, weil es Regierungen Handschellen anlegt und politischen Spielraum einengt. „Wenn Tabakunternehmen Regierungen auf Kompensation für entgangene Gewinne verklagen können, nachdem aus berechtigten Gründen neue Zigarettenverpackungen eingeführt wurden, läuft etwas fundamental falsch in der Welt“, wie Margaret Chan, Generaldirektorin der WHO, bei ihrer Rede auf der Weltgesundheitsversammlung 2014 erklärte. Auch die Ärzteverbände haben in einer gemeinsamen Erklärung vor den Gefahren von TTIP für das Gesundheitswesen gewarnt. „Freihandelsabkommen dürfen die Behandlungsqualität, den schnellen Zugang zur Gesundheitsversorgung und das hohe Patientenschutzniveau in Deutschland und der EU nicht beeinträchtigen“, so die VertreterInnen von Ärzten und Apothekern. Weitere Informationen: www.ttip-unfairhandelbar.de 6

ährend des Krieges in Bosnien und Herzegowina (BuH) wurden zwischen 20.000 und 50.000 Frauen und Mädchen systematisch vergewaltigt oder waren sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Es gibt kaum Forschung zu den Langzeitfolgen von Kriegsvergewaltigungen. Deshalb führten die Frauenrechtsorganisationen Medica Mondiale und ihre bosnische Partnerin Medica Zenica von Juni 2013 bis Februar 2014 eine Studie in BuH durch. 51 betroffene Frauen im Alter zwischen 33 und 81 Jahren wurden befragt, wie es ihnen 20 Jahre nach den Kriegsvergewaltigungen geht. Über 93 Prozent der Frauen haben nach wie vor gynäkologische Probleme, 76 Prozent berichten von Schlafstörungen und 57 Prozent leiden unter Posttraumatischen Belastungsstörungen. Mehr als 70 Prozent der Befragten gaben an, die Vergewaltigungen beherrschten ihr Leben immer noch, in Form von belastenden Erinnerungen, Nervosität und Problemen in engen Beziehungen. Das Trauma habe außerdem das Leben ihrer Kinder vollständig beeinflusst. Diese Resultate belegen die destruktiven Langzeiteffekte von Kriegsvergewaltigungen. Deswegen fordern die Frauenrechtsorganisationen, die Opferunterstützung in BuH zu verbessern. Außerdem müsse das gesellschaftliche Stigma der Überlebenden sexualisierter Kriegsgewalt überwunden werden.

Mehr Infos unter: medicamondiale.org


N ACHRICHTEN

Ärztlicher Appell für unabhängige Leitlinien: Jetzt unterzeichnen!

Schließung des Büros der Health Work Commitees Ost-Jerusalem

Protestaktion während der Hauptversammlung von Rheinmetall

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linische Leitlinien sollen ÄrztInnen und Patientinnen helfen, die bestmögliche Behandlung für eine Krankheit zu finden. Sie sollen sich ausschließlich auf die verfügbare wissenschaftliche Evidenz stützen und dürfen nicht vom Gewinnstreben der Hersteller von Arzneimitteln und Medizinprodukten beeinflusst werden. Die ärztlichen Autoren medizinischer Leitlinien sind jedoch häufig mit der Industrie verflochten, beispielsweise durch Beraterverträge, Vortragshonorare und industriefinanzierte Studien. Eine Produktempfehlung durch eine Leitlinie ist ein unschlagbares Marketingargument für die Pharma- und Geräteindustrie. MEZIS, Transparency Deutschland und NeurologyFirst engagieren sich für eine industrie-unabhängige Medizin. Gemeinsam haben sie im Mai eine Kampagne gestartet, um die Unabhängigkeit von Leitlinienempfehlungen zu sichern und konkrete Regeln für den Umgang mit Interessenkonflikten vorzuschlagen. Adressaten sind die medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland und ihre Dachorganisation, die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Innerhalb weniger Wochen haben mehr als 700 Ärztinnen und Ärzte unterzeichnet. Auf der Webseite werden weitere Unterschriften gesammelt. Ziel sind deutlich über 1.000 UnterstützerInnen. Deshalb: Mitmachen und Weitersagen! Mehr Infos unter: www.neurologyfirst.de

itte Mai haben israelische Militärund Polizeikräfte das örtliche Büro der Health Work Commitees besetzt und geschlossen. Die IPPNW appellierte in einem Schreiben an Außenminister Frank-Walter Steinmeier, sich gegenüber der israelischen Regierung dafür einzusetzen, dass die MitarbeiterInnen des Büros wieder ihre Arbeit aufnehmen können. Die israelischen Behörden haben die Maßnahme mit dem Gesetz gegen den Terror von 1948 begründet. Der Vorwurf lautet, dass die Einrichtung für terroristische Aktivitäten benützt werde. Daher sei seine Schließung für ein Jahr verfügt worden. Die IPPNW kennt die Health Work Committees von ihren regelmäßigen Begegnungsreisen nach Palästina und Israel und hält den Vorwurf für unbegründet. Die Health Work Commitees betreiben Dienste für die schulischen Gesundheitsprogramme in Ostjerusalem und versorgen Tausende von arabischen SchülerInnen sowie LehrerInnen und Eltern. Eine der wichtigsten Aufgaben der Health Work Commitees ist die regelmäßige Grundimpfung der Schüler, da die israelischen Behörden den palästinensischen Gesundheitsbehörden der Westbank den Zutritt nach Ostjerusalem verbieten und somit kein Impfprogramm durchgeführt werden kann. Schwerwiegende Folgen der Schließung des Büros für die Versorgung der Kinder liegen auf der Hand. Langfristig stellt die Nicht-Impfung der arabischen Kinder in Jerusalem eine Gefährdung Aller dar.

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utzende RüstungsgegnerInnen protestierten Mitte Mai in Berlin anlässlich der Jahreshauptversammlung von Rheinmetall, dem größten deutschen Rüstungskonzern. Aktuell rüstet Rheinmetall die Bundeswehr für Auslandseinsätze aus. Infanteriepanzer Puma und Boxer, Panzerhaubitzen 2000, Radpanzer Fuchs und die Infanteristenausstattung Gladius enthalten wichtige Komponenten von Rheinmetall. Für die Leopard-2-Kampfpanzer liefert Rheinmetall die Glattrohrkanonen, Feuerleitanlagen und Munition. Zwei Drittel des Umsatzes erzielt Rheinmetall im Ausland – mit Rüstungsexporten nach Katar, Saudi-Arabien und Algerien. Peter Grottian, kritischer Rheinmetall-Aktionär, kritisierte den Konzern bei der Protestaktion wegen Lobbyarbeit und Korruption. Der Bundestagsabgeordnete Alexander Neu von der Fraktion Die Linke wies in seiner Rede auf das problematische Geschäftsgebaren des Konzerns in Griechenland hin. Ulrich Cremer von der Grünen Friedensinitiative kritisierte, dass der ehemalige Entwicklungshilfeminister Niebel seit Juli 2014 bei Rheinmetall für den Aufbau globaler Regierungsbeziehungen zuständig sei. Rüstungslieferungen und Militärausbildung würden nun zu „Entwicklungshilfe“. Der stellvertretende IPPNW-Vorsitzende Alex Rosen erinnerte an die Opfer deutscher Waffen in den Krisengebieten dieser Welt. Mindestens acht kritische Rheinmetall-Aktionäre nahmen an der Hauptversammlung teil und stellten einen Gegenantrag.


Foto: UNHCR/Y.Gusyev/creativecommons.org/licenses/by/2.0

FRIEDEN

EINE FRAU VOR IHREM ZERSTÖRTEN HAUS, OST-UKRAINE IM MÄRZ 2015

Ukraine: Frieden nur mit Russland Vorstandsposition der deutschen IPPNW

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n der Ukraine hat sich aus anfänglich sozialen und politischen Protesten eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen ukrainischen Truppen mit westlicher Rückendeckung und Aufständischen mit russischer Unterstützung entwickelt. Die Angaben zur Zahl der getöteten Kämpfer und Zivilisten liegen zwischen ca. 6.000 und 50.000. Das schon vor dem Krieg schwache ukrainische Gesundheitssystem kann wegen fehlendem Personal und Materialmangel weder die lokale Bevölkerung und die Verwundeten, noch die vom UNHCR inzwischen auf 1,1 Millionen geschätzten Binnenflüchtlinge angemessen versorgen.

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Die Situation ist insbesondere in der Ostukraine katastrophal. In den von Separatisten kontrollierten Gebieten leidet die Bevölkerung besonders, unter anderem da Sozialleistungen der ukrainischen Zentralregierung eingestellt wurden und nicht adäquat durch die lokalen Behörden ersetzt werden können. Die Zahl der ins Ausland geflohenen Menschen wird vom UNHCR auf 675.000 geschätzt, von ihnen sollen 540.000 nach Russland und 80.000 nach Weißrussland geflohen sein.

Die Stationierung von US-Truppen in Osteuropa und provokative Militärparaden direkt an der russischen Grenze, geplante Beschlüsse zum Aufbau von sechs neuen Stützpunkten in den östlichen NATO-Ländern Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und Bulgarien sowie Vereinbarungen zur Raketenabwehr in Polen und Rumänien, die Aufstellung einer schnellen Osteuropa-Eingreiftruppe unter maßgeblicher Beteiligung Deutschlands sind nur einige der Provokationen, die dabei von der NATO ausgehen. Besonders bedrohlich wird diese gegenseitige Kräftedemonstration durch die sehr reale Gefahr einer beabsichtigten oder versehentlichen nuklearen Eskalation. Bis zum heutigen Tag stehen auf Seiten der USA und Russlands insgesamt geschätzte 2.000 strategische Atomwaffen in höchster Alarmbereitschaft. Sie könnten binnen Minuten zum Einsatz kommen und eine globale Katastrophe auslösen.

ie deutsche IPPNW ist sehr besorgt über die internationale Dimension des Krieges und die Konfrontation der Atomwaffenmächte Russland und NATO. Statt strikter Deeskalation setzen derzeit beide Seiten auf militärische Drohgebärden und heizen den Krieg in der Ukraine weiter an, z. B. durch Kriegspropaganda, Manöver mit atomwaffenfähigen Systemen rund um das Baltikum, im Schwarzen Meer und in der Arktis, Waffenlieferungen an beide Konfliktparteien in der Ukraine sowie deren militärische Beratung. Hinzu kommt die völkerrechtlich umstrittene Abspaltung der Krim und deren Integration in die Russische Föderation.

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eutrale internationale Hilfe und ein sofortiger Stopp aller Kampfhandlungen sind dringend notwendig. Alle diplomatischen Anstrengungen müssen unterstützt werden, um Waffenstillstände als Grundlage von Friedensverhandlungen zu erreichen. Waffenstillstände bereiten den Boden für politische Prozesse und für einen gewaltfreien, fairen Ausgleich legitimer Interessen. Dass sie oft nicht sofort zufriedenstellend umgesetzt werden, ist aus vielen Kriegen bekannt und darf nicht benutzt werden, um den Verhandlungsweg zu diskreditieren.

Außerdem muss auf die oft unterschätzte Gefahr eines schweren Reaktorunglücks in einem der 15 Atomkraftwerke des Landes durch die anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen hin8


Fotos: Marlene Pfaffenzeller/IPPNW

bestätigen, zeigt sich derzeit eine neue Runde und eine neue Qualität des Wettrüstens.

gewiesen werden. Das Atomkraftwerk Saporischschja mit insgesamt sechs Reaktoren befindet sich gerade einmal 250 Kilometer von Donezk entfernt. Schon ein Militärschlag gegen eine einzelne Anlage hätte schwerwiegende Folgen für Menschen und Umwelt.

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as Haus Europa braucht Kooperation. Die IPPNW begrüßt die Bemühungen der Bundesregierung, diplomatische Initiativen zur Beendigung der gewaltsamen Auseinandersetzungen zu fördern. Im Gegensatz dazu lehnen wir Sanktionen ab und befürworten deren Aussetzung. Das Minsker Abkommen, zu dem die Bundesregierung beigetragen hat, sehen wir als Chance, einer friedlichen Lösung im Ukraine-Konflikt näherzukommen und das Blutvergießen zu beenden.

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ie Auswirkungen der Ukraine-Krise beeinflussen sowohl die internationalen Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle als auch die Grundpfeiler der europäischen Sicherheitsstruktur. Dazu gehören u. a. die NATO-Russland-Grundakte, die eine Vereinbarung enthält, keine Atomwaffen in neuen NATOMitgliedsländern zu stationieren, der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa, den Russland kürzlich ausgesetzt hat, und der Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag), der die Produktion, den Besitz und die Erprobung bodengestützter Atomraketen mit Reichweiten von 500 bis 5.500 Kilometern verbietet.

Die US-Pläne, eine Raketenabwehr in Europa aufzubauen sowie die stete Osterweiterung von NATO und EU haben entscheidend dazu beigetragen, in Russland berechtigtes Misstrauen gegenüber den Intentionen des westlichen Bündnisses entstehen zu lassen. Darüber hinaus gibt es aus russischer Sicht eine militärische Schieflage, da USA und NATO konventionell besser gerüstet sind und mit ihrem Potenzial, Waffen sofort und weltweit einzusetzen, deutlich mehr Interventionsoptionen haben als Russland.

Tatsächlich gibt es zwischen Russland und den USA schon seit 2010 keine Abrüstungsgespräche mehr. Sowohl die NATO als auch Russland investieren stattdessen Milliarden in die Modernisierung ihrer nuklearen Arsenale. Das betrifft auch die US-Atombomben des Typs B61, die auf dem deutschen Fliegerhorst in Büchel gelagert werden und im Kriegsfall von deutschen Kampfjetpiloten abgeworfen werden sollen. Der vom Bundestag beschlossene Wunsch nach einem Abzug dieser Atombomben wird laut Außenminister Steinmeier wegen der Krise in der Ukraine nicht mehr verfolgt. Zudem kündigten die NATO-Staaten 2014 auf ihrer Tagung in Wales an, ihre Rüstungsetats in den kommenden Jahren konsequent zu erhöhen. Und auch Russland gibt Rekordsummen für die Modernisierung seines Militärs aus. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Ukraine ist jede Aufrüstung als eskalierende Drohung zu verstehen.

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icherheit und Frieden in Europa gibt es nur mit, aber nicht gegen Russland. Alle Staaten in Europa, inklusive Russland, haben ein legitimes Bedürfnis nach Sicherheit. Wir sollten den Grundgedanken von Michail Gorbatschow und Egon Bahr wieder aufnehmen, dass wir alle in einem gemeinsamen europäischen Haus leben und daher eine gemeinsame Sicherheit brauchen. Die NATO muss Russland gegenüber klarmachen, dass sie das Land weder bedrängen noch umzingeln will und entsprechende Schritte rückgängig machen. Die Osterweiterung der NATO, die Interventionen und Truppenstationierungen von NATO-Staaten auf dem Balkan, in Zentralasien und im Nahen Osten lehnen wir aus friedenspolitischer Sicht ab. Auch wenn der Weg der Verständigung nicht leicht zu gehen sein wird, ist er der einzige, der zu einem wirklichen Frieden führen kann. Eine militärische Lösung der Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland oder des Konflikts in der Ukraine kann es nicht geben.

Russische Medien berichten, eine neue Generation von seegestützten Marschflugkörpern sei in Bau, die eine Reichweite von über 1.500 Kilometern haben. Da diese auf Schiffen stationiert seien, würden sie nicht unter die Regelungen des INF-Vertrags fallen. Aus russischer Sicht ist dies eine Antwort auf die Bedrohung von Seiten der NATO. Unabhängig davon, ob sich diese Berichte tatsächlich

Den vollständigen Text finden Sie unter: http://tiny.cc/ukraine 9

Foto: Vladimir Varfolomeev/creativecommons.org/licenses/by/2.0

FRIEDENSDEMONSTRATION IN MOSKAU IM MÄRZ 2015


FRIEDEN

8. MAI 2015: TAG DER BEFREIUNG IM TREPTOWER PARK

8. Mai 2015 Erinnern – Bewahren – Frieden schaffen: Der Schwur von Buchenwald ist hochaktuell Erinnern – Bewahren – Frieden schaffen: Der Schwur von Buchenwald ist hochaktuell

Es waren vielleicht die bewegendsten Eindrücke des 8. und 9. Mai 2015: Zehntausende Menschen, Familien, Junge und Alte, deutsche und ausländische MitbürgerInnnen zogen stundenlang durch Berlin zu den beiden Mahnmalen im Tierpark und im Treptower Park.

S

ie legten Blumen nieder – „Blumen für den Frieden“. Sie verharrten in Ruhe, Gedenken sowie Trauer und gedachten der Toten des Zweiten Weltkrieges, sicher besonders der 27 Millionen Toten der Sowjetunion. Die Menschen waren aber auch fröhlich und optimistisch, sie erinnerten sich an die Befreiung Europas von der Geißel des Faschismus und feierten diesen Sieg der Völker. Eine tiefe Sehnsucht nach Frieden prägte die stundenlangen Züge von Menschen zu beiden Ehrenmälern. Besorgnis über die aktuelle Situation prägte viele Gespräche. Immer wieder wurde betont: Friede und Partnerschaft mit Russland ist das Unterpfand einer friedlichen Entwicklung in Europa.

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iele – aber lange nicht alle – kamen aus den verschiedenen Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Ausländische KollegInnen, oft aus Ländern, die 1945 noch kolonial unterjocht waren, nahmen aktiv teil. Bringen sie einen neuen Friedenswillen in die deutsche Gesellschaft, werden auch sie aktiver, engagierter für den Frieden?

Gedanken, die einer vertiefenden Diskussion bedürfen. Matthias Platzeck sprach auf Einladung der Initiative Kontakte – контакты am Ehrenmal im Berliner Tiergarten und warnte davor, diesen Tag umzudeuten. Wenn schon unsere östlichen Wertenachbarn sich alle Mühe geben, einige Seiten aus dem Geschichtsbuch zu zerren, sollten wir (Deutschland) uns der Verantwortung umso mehr stellen.

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m Treptower Park feierten am 9. Mai schon traditionell viele u.a. mit der VVNBdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) unter dem Motto „Wer nicht feiert, hat verloren“. Beeindruckend, vor allem durch die vielen Menschen, die spontan vorbeikamen und dabei blieben, war das Friedensfestival, das vom 8. bis 10. Mai auf dem Breitscheidplatz mit der Unterstützung der Gemeinde der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis Kirche durchgeführt wurde. Tausende TeilnehmerInnen diskutierten aktuelle friedenspolitische, aber auch humanistische 10

Herausforderungen und beteiligten sich aktiv und passiv an vielfältigen kulturellen Aktivitäten. Eine sinnvolle Veranstaltung, gerade um Interessierte, aber noch nicht Aktive einzubeziehen und die Gesellschaft weiterhin für den Frieden zu sensibilisieren. Über 60 dezentrale Veranstaltungen vervollständigten das Berliner Programm. Beendet wurden diese vielfältigen Erinnerungs- und Friedensaktionen in Berlin durch die Demonstration, die von der Berliner Friedenskoordination organisiert wurde und auf eine breite Unterstützung durch viele Friedensinitiativen und Organisationen weit über Berlin hinaus stieß. In ihrem Mittelpunkt standen unter dem Motto „70 Jahre Befreiung – Nein zu Krieg und Faschismus – Für eine Politik der Verständigung und Konfliktlösung“ die aktuellen friedenspolitischen Herausforderungen. 2.000 Menschen demonstrierten am 10. Mai 2015 in Berlin. Ihre zentrale Aussage war: Wir müssen den Frieden, die Abrüstung und besonders das Nein zum Krieg gegen die offizielle Politik durch mehr Druck auf der Straße erstreiten. In den beeindruckenden Worten der 90-jährigen Antifaschistin Erika Baum hieß es: „Ihr müsst den Frieden fest in Eure Hände nehmen, das ist die Lehre des 8. Mai 1945“. Peter Sodann, unterstützt von Dieter Dehm, verwies (in sehr persönlichen Erinnerungen) auf die Notwendigkeit der Freundschaft mit Russland heute und die Zurückweisung der


„NEIN ZU KRIEG UND FASCHISMUS“, 10. MAI 2015

interessensgebundenen Hetze. Per Video zugeschaltet, sprach Oskar Lafontaine von der Notwendigkeit, die Friedensbewegung neu zu entwickeln und zu stärken. Sein Verweis auf den französischen Sozialisten Jean Jaurès unterstrich den untrennbaren Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg. Rolf Becker, Schauspieler und aktiver Gewerkschaftler, verdeutlichte in eindringlichen Worten den Zusammenhang von Krieg und Faschismus. Antifaschismus ist die Grundlage aller Friedensaktionen. In Worten und Taten zog sich dieses wie ein roter Faden durch die Redebeiträge und die beeindruckenden kulturellen Beiträge dieser Demonstration.Deutlich war auf der Demonstration auch die Trennung von allen, die nicht zur Friedensbewegung gehören. Die großspurigen Ankündigungen von Rechtsradikalen und FaschistInnen, in Berlin aufzumarschieren und den Reichstag „zu stürmen“, waren Luftblasen. Die Anzahl der Rechtsradikalen war minimal. Es bleibt aber die Notwendigkeit tagtäglicher Aufmerksamkeit – „Wehret den Anfängen“.

Aktionen an anderen Orten Viele der Aktionen in Deutschland wurden in breiten Bündnissen und Koalitionen vorbereitet, die oft von der VVN-BdA initiiert wurden. Hier einige kurze Beispiele: Frankfurt am Main: Eine Aktionswoche mit dem Abschluss einer Demonstration zum Römer und einem Konzert prägten die Aktionen in Frankfurt. Stuttgart: Eine Demonstration am 9. Mai in Stuttgart „Tag der Befreiung. Unser Auftrag für Demokratie, Solidarität und Frieden“ war der Höhepunkt vielfältiger Aktionen. Tübingen: Demonstration und Kundgebung prägten die Aktionen.

Düsseldorf: Ca. 300 TeilnehmerInnen zogen in einer antifaschistischen Friedensdemonstration, die ein breites Bündnis neben einer ganzen Reihe von Veranstaltungen vorbereitet hatte, durch Düsseldorf. Bochum: Ca. 500 TeilnehmerInnen folgten dem Aufruf der neugegründeten Initiative „Gewerkschaftlerinnen und Gewerkschaftler für Frieden und Solidarität“.

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iele weitere dezentrale Aktionen prägten in zahlreichen Städten und Dörfern das Bild des 70. Jahrestages der Befreiung. Geprägt vom Dank an die Befreier und tiefer Sorge um die Bedrohung des Friedens, besonders durch den Konfrontationskurs des Westens gegenüber Russland, waren diese Veranstaltungen und Aktionen die Antwort auf die Politik der Bundesregierung, diesen Tag mehr zur Anklage gegen Russland als zur Entwicklung einer Politik des Dialogs und der gemeinsamen Sicherheit umzudefinieren. Offizielle Feierlichkeiten, z.B. in Städten und Kommunen, waren eher die Ausnahme, gewerkschaftliches und kirchliches Engagement eher selten. In das Bild der Verweigerung des Dankes an die Befreier passt der sogenannte „Ball des Heeres“ am 9. Mai in Berlin, um den Beitritt der BRD zur NATO vor 60 Jahren zu feiern. Über 100 FriedenaktivistInnen machten mit ihrem Protest und besonders mit lauten Trillerpfeifen deutlich, was sie davon hielten. Die Gefahr der Uminterpretation des 8. Mai und die vielfältigen Gefahren eines Geschichtsrevisionismus sind bei vielen offiziellen und medialen Diskussionen um diesen Tag deutlicher als zuvor hervorgetreten. Ihnen gilt es überall entschieden 11

entgegenzutreten, sind sie doch auch untrennbar mit einer weiteren Militarisierung der Gesellschaft verbunden.

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ie aktuellen Kriege und die Gefahren, die von einer Politik der Konfrontation des Westens gegen Russland ausgehen, sind aktuell drängende und bewegende friedenspolitische Herausforderungen. Werden wir diesen als Friedensbewegung gerecht? Diese Fragen stellen, heißt sie auch im Zusammenhang mit den Aktionen um den 8. Mai, angesichts der doch relativ eingeschränkten TeilnehmerInnenzahlen, mit „Nein“ zu beantworten. Ein Blick in die Geschichte des 50. und 60. Jahrestages der Befreiung zeigt, dass gerade diese mit großen, eindrucksvollen Demonstrationen unter Beteiligung der Friedensbewegung verbunden waren.

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eschichte wiederholt sich nicht, aber wir können möglicherweise aus ihr lernen, dass wieder mehr und gemeinsame Aktionen sinnvoll wären.

Ein Artikel von Kristine Karch, International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES); Reiner Braun, International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA); Pascal Luig, NaturwissenschaftlerInnen-Initiative (NatWiss); Lucas Wirl, NaturwissenschaftlerInnen-Initiative (NatWiss)


FRIEDEN

Das friedliche Gehirn: Präventionsansätze Die Neurowissenschaften liefern wesentliche Erkenntnisse zum Ursprung von Gewalt

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s gibt eine Reihe von Erklärungsmodellen für die Entstehung von Krieg (z.B. ökonomische Gesetzmäßigkeiten, geostrategische Interessen, historische Entwicklungen, Theorien über menschliche Aggression). Seit etwa zwanzig Jahren liefern auch die Neurowissenschaften wesentliche Erkenntnisse zum Ursprung von Gewalt.

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Durch die Untersuchung der Aktivierungsmuster bestimmter Hirnstrukturen und der Ausschüttung von Hormonen und Botenstoffen konnte das psychoanalytische Konzept des Triebes weiter entwickelt werden. „Trieb“ ist danach der Antrieb, sich so zu verhalten, dass ein „Belohnungsystem“ im Gehirn aktiv wird und „Wohlfühlbotenstoffe“ (Dopamin, Opiode, Oxytocin) ausgeschüttet werden.

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ggressive Handlungen führen bei psychisch durchschnittlich gesunden Menschen nicht zu einer solchen Belohnung. Von einem Aggressionstrieb müsste ausgegangen werden, wenn unprovozierte Aggression ein „gutes Gefühl“ im Menschen auslösen würde. Aggression ist aber vielmehr (wie Angst) ein reaktives Verhaltensprogramm. Einer der Auslösereize dafür ist willkürlich zugefügter Schmerz. Er aktiviert im Gehirn die Angstzentren (Mandelkerne) und das Ekelzentrum (Insula), einbezogen werden der Hypothalamus (Stresszentrum) und der Hirnstamm (vegetative Erregung). Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Demütigung führen zu ähnlichen Aktivierungsmustern wie körperlicher Schmerz. Die Aktivierung erfolgt nicht nur bei eigener körperlicher oder seelischer Verletzung, sondern auch, wenn diese bei anderen beobachtet wird.

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evor es zu aggressiven Akten kommt, wird im Normalfall eine neurobiologische Kontrollschleife durchlaufen. Im Stirnhirn (Präfrontaler Cortex) werden die Folgen für die eigene und andere Personen abgeschätzt. Im Cingulären Cortex, zu

dem auch ein „Empathiezentrum“ gehört, wird der aggressive Impuls mit dem Einfluss der Hirnrinde integriert, meist im Sinne einer Mäßigung. Dies gilt für die Phase vor dem aggressiven Akt; wenn dieser erst in Gang gekommen ist, kann der präfrontale Cortex deutlich weniger ausrichten. Wenn sich die Aggression nicht gegen ihre Ursache richten kann, erfolgt eine Verschiebung auf ein anderes Ziel oder einen anderen Zeitpunkt. Dadurch erscheinen Aggressionsausbrüche oft auf den ersten Blick unerklärlich. Die häufig zitierten Kronzeugen eines evolutionär herausgebildeten Aggressionstriebes müssen genauer betrachtet werden. Freud entwickelte seine These vom 12

Todestrieb unter dem Eindruck des ersten Weltkriegs. Der prominente Vertreter des „Rechts des Stärkeren“, Konrad Lorenz, hatte sein Leben lang ein große Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut. Charles Darwin dagegen beschrieb keine unmotivierte triebhafte Aggression, dafür aber das Bedürfnis nach Gemeinschaft als grundlegende Motivation.

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nteressant ist auch das Milgram-Experiment. Probanden übernahmen die Rolle von Lehrern, die bei schlechten Leistungen Stromstöße in ansteigender Stärke verabreichen sollten. 63 % der Probanden waren trotz Schmerzensäußerungen der (nicht sichtbaren) Schüler bereit, die Strafen immer weiter zu steigern. Wenig be-


Der Blick auf die Geschichte der Menschheit lässt vermuten, dass wir Menschen während der überwiegenden Zeit unserer Entwicklung gejagte und gefährdete Wesen waren. kannt ist, dass hinter ihnen weißbekittelte Autoritätspersonen standen, die mit Äußerungen wie „Machen Sie schon weiter. Das gehört zum Experiment!“ drängten. Wenn eine zweite Autoritätsperson mit Äußerungen wie „Sie müssen nicht weitermachen“ eingriff, steigerte keine einzige Testperson die Stromstöße.

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er Blick auf die Geschichte der Menschheit lässt vermuten, dass wir Menschen während der überwiegenden Zeit unserer Entwicklung gejagte und gefährdete Wesen waren. Der Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft waren überlebenswichtig. Das ist die evolutionstheoretische Erklärung dafür, dass unser internes Belohnungssystem aktiv wird, wenn wir uns kooperativ verhalten oder kooperatives Verhalten beobachten. Aber auch Aggression ist zunächst einmal ein sinnvolles Verhaltensprogramm. Wenn auf Schmerz oder Verlassenwerden mit aggressiven Signalen und Gegenwehr reagiert wird, hat das eine kommunikative Funktion. Erst wenn diese Funktion verfehlt wird, sei es auf Seiten des Senders oder des Empfängers, wird Aggression destruktiv. Die Suche nach verletzten elementaren Bedürfnissen kann Wege zur Eingrenzung und Prävention von Gewalt eröffnen, nicht aber Gegengewalt und Repression. Eine zeitgemäße und realistische Analyse von Aggression, Gewalt und Krieg schafft diese nicht aus der Welt, kann aber helfen, sie zu entschärfen. Allerdings hat der menschliche Wunsch nach Zugehörigkeit eine traurige Kehrseite. Er kann dazu führen, dass Menschen sich an Aktivitäten beteiligen, die auf Kosten der „Anderen“ oder „Fremden“ gehen. Aggression dient dem Erhalt von Bindungen und das Risiko für Aggression steigt, wenn der Zusammenhalt einer Gruppe von innen oder außen bedroht ist.

Die Kehrseite der internen Verbundenheit besteht oft in Abgrenzung und Aggressivität gegenüber anderen.

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s spricht einiges dafür, dass das Zusammenleben der Menschen lange von Gleichheit, dem Teilen aller Ressourcen und gegenseitiger Fürsorge bestimmt war. Vor etwa 12.000 Jahren begann eine Wende. Sesshaftigkeit in größerem Ausmaß, handwerklicher Fortschritt, Bevölkerungswachstum, ökologische Probleme (z.B. Abholzung) zusammen mit Klimaveränderungen führten zu Ressourcenknappheit. Es kam zur Entwicklung von Privateigentum und zur festen Zuordnung in Familien, denn die menschliche Arbeitskraft wurde ebenfalls zur knappen Ressource. Die Entstehung größerer Siedlungseinheiten verbunden mit geringerer sozialer Kontrolle und weniger Empathie gegenüber den entfernteren Mitgliedern verschärfte soziale Konflikte, die zunehmend mit Gewalt ausgetragen wurden.

und Abschaffung des Militärs als Quelle von Demütigung und Verletzung sind wissenschaftlich begründbar. Neurophysiologische Fakten untermauern, dass Gewaltfreiheit und der Verzicht auf Demütigung im Umgang mit dem (politischen) Gegner nachhaltige Konfliktlösungen ermöglichen. Die Friedensbewegung kann sich durch die Neurowissenschaften in ihrer Sicht bestätigt und in ihrem Engagement ermutigt fühlen. Die neurowissenschaftlichen Grundlagen der Entstehung von Aggression und Gewalt sind u.a. Thema der IPPNWKonferenz „Unser Rezept für Frieden: Prävention“ vom 2.-4. Oktober 2015 in Frankfurt a.M. Programm und Online-Anmeldung: www.kultur-des-friedens.de

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ir können nicht genau wissen, wie dieser Prozess verlief. Aber wir müssen akzeptieren, dass wir heute in anderer Weise miteinander leben als vor dieser Wende und in anderer Weise, als es unserer „Natur“ entspricht. Unser Hirn ist aber weiterhin stärker von den ersten 200.000 Jahren des Homo sapiens geformt als von den letzten 10.000. Die Berücksichtigung der sozialen Kompetenz und der sozialen Verletzlichkeit des Menschen kann genutzt werden, um Aggressionsdynamiken zu begrenzen. Die Funktionsweise des menschlichen Gehirns zeigt, dass eine gerechte Güterverteilung und Armutsbekämpfung für ein friedliches Zusammenleben unverzichtbar sind. Forderungen nach gewaltfreier Erziehung, nach Förderung der Empathiefähigkeit

Der Artikel beruht vor allem auf Vorträgen und Publikationen von Professor Joachim Bauer, Abteilung Psychosomatische Medizin der Universtätsklinik Freiburg (unter anderem „Schmerzgrenze“, 2013) sowie auf dem Buch von Christopher Ryan und Cacilda Jethá „Sex at Dawn“, 2010. 13

Susanne Grabenhorst ist Vorsitzende der deutschen IPPNW.


SOZIALE VERANTWORTUNG

ÄRZTE STREIKEN IN RABAT, MAROKKO, APRIL 2011

Mehr von uns ist besser für alle! Was der Charité-Streik mit Globaler Gesundheit zu tun hat

Die Bundesregierung wirbt nicht nur in Südeuropa, sondern auch in Ländern wie Vietnam, Indien, Indonesien und Marokko Gesundheitspersonal ab. Der „Pflegenotstand“ hierzulande sorgt also auch für einen Notstand andernorts.

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nde April haben mehrere Hunderte Beschäftigte der Charité ihre Arbeit niedergelegt und unter diesem Slogan protestiert, um verbindliche Personalstandards tariflich durchzusetzen. Dies klingt erstmal nicht so besonders: In der letzten Zeit wurde dauernd irgendwo gestreikt. Aber Halt: Das ist etwas Besonderes! Es geht das erste Mal nicht um mehr Geld, sondern um mehr Personal in der Pflege! Laut Forderungen von Ver.di fehlen circa 600 Arbeitskräfte in der Pflege allein in der Charité, um eine ausreichende Besetzung der Stationen zu gewährleisten. Gefordert wird ein verbindlicher Personalschlüssel von eins zu fünf auf Normal- beziehungsweise eins zu zwei auf Intensivstationen. Da die Notfallbesetzung während des Streiks häufig schon Standardbesetzung war, konnten sich nicht alle am Streik beteiligen. So haben sich viele Beschäftigte, aber auch Ärztinnen und Ärzte der IPPNW und Bürgerinnen und Bürger mit Unterschriftenaktionen mit den streikenden Pflegekräften solidarisiert.

„... ist besser ...“ Die Zustände besonders im pflegerischen Bereich sind so unhaltbar geworden, dass sie sich nicht mehr mit „mehr Gehalt“ ausgleichen lassen. Burnout, chronische Rückenschmerzen und andere durch Stress bedingte oder beeinflusste Erkrankungen auf Seiten der Arbeitnehmerinnen

und Arbeitnehmer sowie schlecht versorgte und zum Teil sogar gesundheitlich in Gefahr gebrachte Patientinnen und Patienten auf der anderen Seite führten zum größten Warnstreik in einem deutschen Krankenhaus. Die Bedingungen müssen besser werden, für das Personal und für die Patientinnen und Patienten. Die Charité hat zwar Signale gesendet, dass sie sich des Problems annehmen will. Die angebotenen verbindlichen Personalschlüssel für Intensiv- und Nachtdienste reichen jedoch nicht. Und eine Einzelfalllösung nur für die Charité reicht auch nicht. Es kommt also vermutlich zu weiteren Streiks.

... für wen ? Aus Sicht der „Deutschen Plattform für Globale Gesundheit“ (kurz: Plattform), in der die IPPNW Mitglied ist, wird in der öffentlichen Debatte folgende Dimension des Problems ausgelassen: Die Wechselwirkungen zwischen deutscher Gesundheitspolitik und globaler Gesundheit. Aufgrund der sich hierzulande unter wirtschaftlichem Druck verschlechternden Arbeitsbedingungen (insbesondere) für Pflegekräfte, kam es trotz hervorragender

Aussicht auf eine Anstellung zu immer weniger ausgebildeten und arbeitswilligen Fachkräften im Inland. Anstatt dies zu erkennen und an den Ursachen der schlechter werdenden Bedingungen anzusetzen, hat die Bundesregierung u.a. mit dem Gesetz zur Erleichterung der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ein Programm aufgelegt, das, quasi symptomatisch, den „Import“ von Pflegekräften erleichtern soll. Es werden Pflegekräfte aus südeuropäischen Ländern, aber auch aus Vietnam, Tunesien oder Indonesien durch Internetauftritte oder auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit angeworben – allesamt Länder, die ihrer Bevölkerung eine deutlich schlechtere Gesundheitsversorgung bieten als Deutschland.

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u den Zahlen: 83 der WHO-Mitgliedsstaaten berichten, weniger als 2,3 Gesundheitsfachkräfte (Ärztinnen/Ärzte, Pflegekräfte, Hebammen) pro 1.000 Einwohner zu haben. In Deutschland waren es 2013 150,7 pro 1.000 Einwohner. Damit liegen diese Staaten unter dem von der WHO festgesetzten Mindeststandard zur Aufrechterhaltung der Gesundheits-

Foto: Thomas Bryans/creativecommons.org/licenses/by/2.0

„Mehr von uns ...“


Foto: © A. Thomasß

PFLEGESTREIK AN DER CHARITÉ BERLIN, 28. APRIL 2015

Hintergrundinfos: Verdi-Seite zum Charité-Streik: http://gesundheit-soziales.verdi.de Dichte der Gesundheitsfachkräfte in verschiedenen Ländern – Statistik der WHO: www.who.int/gho/health_workforce/nursing_midwifery_density Fachkräfte-Offensive: www.fachkraefte-offensive.de Anwerbeportal der Bundesregierung: www.make-it-in-germany.com Kleine Anfrage im Bundestag vom 16. August 2013: „Abwerbung von Fachkräften aus den Ländern des Südens im Pflege- und Gesundheitsbereich“: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/147/1714716.pdf

versorgung der Bevölkerung. In einem Verhaltenskodex, den auch Deutschland unterzeichnet hat, verpflichten sich die Mitgliedsstaaten, kein Personal aus diesen unterversorgten Ländern abzuwerben. Die Bundesregierung tut dies jedoch trotzdem in mehreren Ländern wie zum Beispiel Vietnam, Indien, Indonesien und Marokko, auch wenn sie es bestreitet (siehe unter anderem Kleine Anfrage vom 16. August 2013) bzw. sich auf veraltete Statistiken beruft, nach denen es in den betreffenden Ländern keine Unterversorgung gäbe. Auch in den jeweils angrenzenden Ländern mit gegebenenfalls noch schlechterer Versorgungslage verursacht die Abwerbung einen Schneeballeffekt. Das heißt, Gesundheitspersonal dieser Länder verlässt das eigene Land zu Gunsten des Nachbarstaats. Der „Pflegenotstand“ hierzulande sorgt also auch für einen Pflegenotstand oder

allgemeiner ausgedrückt, einen Gesundheitsfachkräftemangel, in anderen Ländern. Besonders problematisch ist hierbei eben, dass dort kein Überfluss herrscht, sondern im Gegenteil, eine Entwicklung im Gesundheitsbereich durch Personalmangel in jeder Hinsicht erschwert wird. Bemühungen der Entwicklungspolitik und des Aufbaus von Gesundheitssystemen können so innerhalb von kurzer Zeit wieder zunichte gemacht werden. Insbesondere an den Kindersterblichkeitszahlen konnte gezeigt werden, dass ein zusätzlicher Arzt auf 1.000 Einwohner die Kindersterblichkeit mittelfristig um 15 Prozent und langfristig um 45 Prozent senken kann.

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aher hat sich die Plattform in einem Brief an den Berliner Senat gewandt, insbesondere an den Senator für Gesundheit und Soziales, Mario Czaja, der für den kommenden Krankenhausplan 2016-20 hauptverantwortlich ist. Darin wurde er auf15

gefordert, sich der Forderungen der Berliner Pflegekräfte anzunehmen und dabei seine Verantwortung für die globale Situation zu erkennen. Erfreulicherweise wurde das Gesprächsangebot seitens der Plattform angenommen: Im Juni 2015 werden Gespräche mit Senator Czaja und weiteren Politikern des Berliner Senats stattfinden. Darin werden wir uns für eine präventive Politik mit Blick für lokale, nationale und internationale Bedingungen einsetzen und das heißt in diesem Fall: mehr Pflegekräfte zu besseren Bedingungen ohne eine Anwerbung von Fachkräften aus bereits unterversorgten Ländern.

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n diesem Sinne gewinnt auch der Streikslogan eine andere Dimension und wahrscheinlich haben die Streikenden bei „alle“ nicht an alle Menschen weltweit gedacht. Aber genau dieser Zusammenhang besteht und muss öffentlich gemacht werden, um eine „Globale Gesundheit“ zu erreichen.

Mehr von uns ist besser für alle!

Katja Goebbels ist Mitglied des Vorstands der deutschen IPPNW.


Fotos: Sakine Kizilhan

FRIEDEN

Büchel 65 Ein Tag Mahnwache am Atomwaffenstandort

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m 15. April 2015 trafen wir drei Bremer IPPNW-ÄrztInnen – Amei und Peter Gnändiger, Stefan Kette – uns gemeinsam mit Hütehündin Momo am Haupttor des Bundeswehr-Fliegerhorstes Büchel, um einen Tag lang den Abzug der dort gelagerten US-Atombomben und die weltweite Ächtung der Atomwaffen anzumahnen. Um 7 Uhr morgens empfing uns Carsten Orth im Protestcamp der Aktion Büchel65 gegenüber dem Haupttor. Er ist ein ehrenamtlicher Friedensaktivist, der zum fünften Mal die Protestaktionen in Büchel mitorganisiert. Er war der „gute Geist“ unserer Mahnwache, half beim Aufbau unserer Transparente und unseres Standes zwischen dem Verkehrskreisel vor dem Haupttor und einer winzigen Kapelle, die der Heiligen Barbara gewidmet ist, der Schutzpatronin u.a. der Ärzte.

tion. Sie erzählte uns von der Apothekerin Dr. Elke Koller, die 3,5 Kilometer vom Atomwaffenlager entfernt wohnt. Sie habe gegen die Lagerung vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt, da diese niemals angemeldet und genehmigt worden sei. Demzufolge gibt es im Landkreis auch keinen Katastrophenplan für einen Strahlenunfall. Somit sei die Lagerung gesetzeswidrig.

lisch im Gleichgewicht halte, erzählt er von seinem anstrengenden Leben als selbstständiger Tischler. Jetzt fühle er sich als ehrenamtlicher Friedensaktivist besser, obwohl er keine finanzielle Sicherheit mehr habe.

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m 17 Uhr verließen wir unseren Platz vor dem Bauzaun und setzten uns mit Carsten zusammen, um den Tagesbe-

DIE BREMER IPPNW IN BÜCHEL. FOTO: CARSTEN ORTH

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er Besucherparkplatz vor dem Haupttor des Fliegerhorstes war durch einen Bauzaun gegen Eindringlinge geschützt. Die Einfahrt wurde durch vier junge PolizistInnen bewacht, die uns im Blick hatten. Auf einer kleinen Wiese am Verkehrskreisel waren zwei Mannschaftswagen der Polizei abgestellt, in denen weitere Polizisten saßen. Ein Bundeswehrmannschaftswagen mit Soldaten stand unweit der Bauzaunpforte auf dem Besucherparkplatz des Fliegerhorstes. Zwischen 7 und 9.30 Uhr passierten uns viele Angestellte und Soldaten in Privat- und Dienstfahrzeugen auf dem Weg zur Arbeit im Luftwaffenstandort. Die meisten Insassen fuhren ohne sichtliche Regung an uns vorbei; einige nickten uns ermunternd oder auch belustigt zu. Zwischen 15 und 17 Uhr strömten sie nach Dienstschluss in entgegengesetzter Richtung an uns vorbei. Zwei Fußgänger gesellten sich im Laufe des Tages zu uns. Ein Polizeioffizier in Zivil äußerte sein Entzücken über Momo und fotografierte sie. Eine einheimische Friedensaktivistin erkundigte sich über die IPPNW und berichtete uns über ihre eigene Blockadeak-

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ir hatten Glück mit dem Wetter, den ganzen Tag über war es sommerlich warm. Wir stellten uns bei den PolizistInnen vor und boten ihnen ICAN-Flyer an. Sie interessierten sich für unsere Berufe, unsere Motive und unsere Hündin. Während unserer Mahnwache starteten ca. 20 Tornados. Das war für uns und insbesondere Momo ein gewaltiger Stress. Abwechselnd besuchten wir Carsten im Protestcamp, 100 Meter entfernt auf einer Gemeindewiese. In seinem Wohnwagen dort hat er einen Computer mit Internetanschluss. Er hält die Homepage von Büchel65 auf dem neuesten Stand.

richt zu erstellen. Dann bedankten wir uns herzlich und verabschiedeten uns. Amei und Peter fuhren zu ihrer Tochter nach Köln, ich mit Momo nach Mertloch, 25 km östlich von Büchel. Meine Schwägerin hat dort ihre Kindheit verbracht und ist vor ein paar Jahren mit ihrem Mann in ihr Elternhaus zurückgekehrt. Beiden war bis zu meinem Besuch nicht bekannt, dass auf dem Fliegerhorst ca. 20 Atombomben mit 26-facher Hiroshimabombenstärke lagern. Sie wollen das Protestcamp der Aktion Büchel65 besuchen und auch Kontakt zu Dr. Elke Koller aufnehmen.

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on Carsten erfahren wir, dass im Fliegerhorst 250 Bundeswehrsoldaten die Düsenkampfflugzeuge und ca. 20 Atombomben warten und den Abwurf üben. Die Bomben sollen von den Amerikanern mit digitalen Steuerungs- und Dosierungssystemen modernisiert werden. Auf meine Frage, wie er sich als Vollzeit-Friedensaktivist see16

Stefan Kette ist aktiv bei der IPPNWRegionalgruppe Bremen.


ATOMENERGIE

Die Nukleare Kette Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung „Hibakusha Weltweit“ in Mainz

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ls Edward Snowden gefragt wurde, wie er von einem überzeugten CIA-Mitarbeiter zu einem „Whistleblower“ geworden sei, war seine Antwort, „You can learn“. Lernen mussten auch wir Ärzte nach der Tschernobylkatastrophe, als besorgte Eltern fragten, ob und wie man sich vor der alle Ländergrenzen überschreitenden Radioaktivität schützen könnte. Trotz des Wissens um die verheerenden Folgen der Atombombenabwürfe vor 70 Jahren auf Hiroshima und Nagasaki war nicht nur die japanische Bevölkerung bereit, zwischen dem „guten, friedlichen“ Atom und dem „bösen“ zu unterscheiden, sondern auch die Menschen in andern Ländern der Welt, wo seit 1952 durch den US-Präsidenten Eisenhower die Mär vom „friedlichen“ Atom verbreitet wurde. Er hat aber auch gesagt: „Haltet die Bevölkerung im Unklaren über die Gefahren von Kernspaltung und Fusion“, denn die mit der Kerntechnik verbundenen Gefahren waren längst bekannt. So gibt es von John F. Kennedy aus dem Jahr 1963 ein Zitat, in dem er an die krank machenden Folgen für spätere Generationen erinnert: „Unsere Kinder und Enkelkinder sind keine bloßen Statistiken, die uns kalt lassen können“.

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s war die Zeit der Verhandlungen mit der Sowjetunion, die oberirdischen Atombombenversuche einzustellen. Ärzte hatten in den Zähnen von Kindern in den US-amerikanischen Testgebieten Strontium 90 nachgewiesen, das wie Kalzium in Körperzellen eingebaut wird, und vor allem das Knochenmark schädigt. Es entsteht Blutkrebs und ein geschwächtes Immunsystem. Tschernobyl-Aids hat man das nach 1986 genannt. Selbst wenn es einen ausschließlich „friedlichen“ Gebrauch der Kernspaltung gäbe, wäre dieser auf keinen Fall ethisch zu verantworten oder sozialverträglich. Davon handelt ein großer Teil der Hibakusha-Ausstellung der IPPNW.

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m ein AKW in Betrieb nehmen zu können, bedarf es eines jahrzehntelangen Vorlaufs. Uran muss abgebaut, angereichert und transportiert werden, der Atomreaktor muss geplant werden, er muss gebaut werden, es gibt Testphasen. Das allein kann schon 40 Jahre dauern. Dann kommt die Nutzphase, im Durchschnitt 50 Jahre und anschließend die Beseitigung, ganz harmlos „Rückbau“ genannt. Nirgendwo auf der Welt gibt es ein Langzeitlager für den Jahrtausende strahlenden Atommüll. Die Ausstellung zeigt, welche Gefahren von den Zwischenlagern bereits nach wenigen Jahren ausgehen. Für mindestens 100 Jahre wird eine Organisation benötigt, die diese Technik verantwortungsvoll kontrolliert und begleitet und dann noch tausende Jahre den nuklearen Müll bewacht. Können wir das privaten Firmen anvertrauen, die den Gewinn einstecken, während das Risiko sozialisiert wird? Gibt es die erforderliche politische Stabilität in den Staaten, die AKWs betreiben? Raji C. Steineck, ein Professor für Japanologie in Zürich, der sich mit Ethik der Industrie befasst, bezeichnet die Kernenergie als organisierte Verantwortungslosigkeit und beschreibt das „nukleare Dorf“ als einen Filz von Personen und Geld, Industrie, politischen Parteien, Aufsichtsbehörden und Wissenschaftlern. 17

Dafür drei Beispiele aus Japan:

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Radioaktiv verseuchter Müll wurde ohne neue Filtervorrichtungen in normalen Hausmüllverbrennungsöfen hunderte von Kilometern entfernt entsorgt. Am nächsten Morgen wurden in der Umgebung, auf Spielplätzen und Schulhöfen zehnfach erhöhte Verstrahlungswerte gemessen. An die Stadtverwaltungen soll viel Geld geflossen sein.

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Die Strahlenmessgeräte in den Dörfern und Städten wurden auf dekontaminierten Plätzen oder auf Betonplatten aufgestellt. Die Werte, die diese Geräte anzeigen, waren deutlich geringer als die, die wir nur zehn Meter daneben mit unserem Geigerzähler gemessen haben. Die „offiziellen“ Werte sind entscheidend für eventuelle finanzielle Entschädigungen und für die Einstufung als „Evakuierter“ oder „freiwilliger Flüchtling“ ohne jegliche staatliche Hilfe.

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Nur 10 % der jeweils 7.000 TEPCO-Arbeiter sind angestellt, 90 % sind meist ungelernte, unaufgeklärte Wanderarbeiter, Atomic Gypsies, und nicht krankenversichert. Sie verrichten die gefährlichen Arbeiten und in der Todes- oder Erkrankungsstatisik werden sie nur gezählt, wenn die Vorfälle während der Arbeitszeit auftreten. Soviel zur Industrieethik.


ATOMENERGIE

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it dem ganz normalen Betrieb von AKWs verstärkt sich täglich die sogenannte „Hintergrundstrahlung“. Sie setzt sich aus natürlich vorkommender terrestrischer und kosmischer Strahlung zusammen – sowie der Summe der Strahlung von Atombombenabwürfen, -tests, AKW-Unfällen und -Katastrophen, Uranmunition und Uranbergbau, den AKWEmissionen sowie den im medizinischen Bereich benutzten Radioisotopen, Röntgen, CT, Strahlentherapie. Grundsätzlich gilt – das haben wir inzwischen gelernt: Es gibt keinen Schwellenwert, unterhalb dessen Strahlung unwirksam wäre. Ungeborene, Kinder, Jugendliche, ältere und kranke Menschen sowie Frauen und strahlenexponierte Arbeiter sind besonders gefährdet. Dabei geht es nicht nur um Krebserkrankungen: Durch die Niedrigstrahlung altert eine Zelle, was in den verstrahlten Gebieten zu Herzinfarkten und Schlaganfällen als Folge von Gefäßveränderungen führt und in Weißrussland „Sudden Death Syndrome“ genannt wird.

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ei den Grenzwerten, die festgesetzt werden, handelt es sich immer um eine politische Entscheidung. Es ist eine ausschließlich politische Entscheidung, wie viele Strahlenkranke eine Gesellschaft zu riskieren bereit ist: durch äußere Strahlung oder durch innere Strahlung wegen belasteter Nahrung oder verseuchten Wassers. Schon ohne zusätzliches Strahlenrisiko sterben von 10.000 Menschen 2.500 an Krebs. Jede Zunahme der Jahresdosis erhöht statistisch die Zahl der an Krebs erkrankten Menschen, von denen wiederum die Hälfte vorzeitig stirbt. An der Universität Mainz wird das Kinderkrebsregister für Deutschland geführt. Kinderärzte im Umfeld von Atomkraftwerken hatten beobachtet, dass auffallend viele Kin-

der unter fünf Jahren an Leukämie erkrankten. Mit viel Druck und Engagement konnte die IPPNW erreichen, dass mit den Daten dieses Registers eine Studie vom Bundesamt für Strahlenschutz durchgeführt wurde, die genau das wissenschaftlich bestätigte.

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benfalls in Mainz errechnete das Max-Planck-Institut, dass bei den momentanen Laufzeiten der über 400 AKWs weltweit alle 10 bis 20 Jahre eine Katastrophe wie Tschernobyl oder Fukushima zu erwarten sei, und damit 200 mal häufiger, als bisher angenommen. Warum? Die AKWs werden 40 Jahre und älter, wurden vielmals nachgebessert oder repariert, das Material ermüdet und es ist unbekannt, wie radioaktive Strahlung Bauteile zerstört. Das Wartungspersonal wird ausgetauscht, der unberechenbare Faktor Mensch ist ein Sicherheitsrisiko. Wetter- und Umweltkatastrophen verursachen Erdbeben und Überschwemmungen, die bei der Standortauswahl nicht berücksichtigt wurden. Neu sind die Gefährdungen durch Terroristen – und je größer die Flugzeuge werden, desto weniger halten die Ummantelungen der Reaktoren einem gezielten oder zufälligen Absturz stand. Ein Poster für das Land Rheinland-Pfalz fehlt in der Ausstellung: In Büchel, oberhalb von Cochem, lagern die 20 deutschen Atombomben. Ihre Wartung verschlingt Millionen, und beschäftigt hunderte Soldaten. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte die Vernichtung vorgesehen: „Im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen Konzeptes der NATO werden wir uns (...) dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden“. Aber bis heute ist nichts geschehen. In den Atomkraftwerken entsteht aus Uran waffenfähiges Plutonium. Das „friedliche“ Atom, durch das die Energiefrage für die 18

industrialisierte Welt gelöst werden sollte, ist zur größten Gefahr für unsere Welt geworden. Im Januar diesen Jahres wurde die Doomsday Clock von Atomwissenschaftlern von fünf Minuten vor Zwölf auf drei Minuten vor Zwölf umgestellt. Das letzte Mal, dass die Gefahr eines von Menschen gemachten Weltuntergangs so hoch eingeschätzt wurde, war 1984, als die Beziehung zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion einen Tiefpunkt erreicht hatte – wie jetzt, wo der Ukraine-Krieg vor unserer Haustür wütet.

U

nd dennoch gibt es einen Hoffnungsschimmer für Verhandlungen zur atomaren Abrüstung. ICAN, eine Graswurzelbewegung in 95 Ländern, hat bei der letzten Tagung im Dezember 2014 in Wien erstmals erreicht, dass auch amerikanische Regierungsvertreter daran teilnahmen, und zuhörten, als die humanitären Folgen von Atombomben beschrieben wurden und zweitens hat die österreichische Regierung zum Ende alle überrascht und eine Verpflichtung bekannt gegeben, sich dafür einzusetzen, nukleare Waffen zu verbieten und zu eliminieren. Inzwischen haben bereits über 100 Länder unterschrieben. So hatte vor Jahren auch die Bewegung gegen Chemiewaffen und Landminen begonnen, welche erfolgreich zu einem völkerrechtlichen Vertrag und einem Verbot führte.

Dr. Dörte Siedentopf ist Gründungsmitglied der deutschen IPPNW.


SERIE: DIE NUKLEARE KETTE

Nagasaki Am 9. August 1945 warfen die USA die Atombombe „Fat Man“ über Nagasaki ab

Hintergrund

Grades verursachte. Da das Feuer der Luft den Sauerstoff entzog, erstickten die Menschen in Kellern und Bunkern. Die Detonation führte zu einer enormen Druckwelle, die Gebäudeteile, Fahrzeuge, Holzbalken, Glasfenster, Tiere und Menschen in fliegende Geschosse verwandelte, die mit Geschwindigkeiten von bis zu 150 km/h in die umliegenden Stadtteile geschleudert wurden. Zehntausende Menschen erlitten tödliche Verletzungen. Trommelfelle und Lungen platzten noch in mehreren Kilometern Entfernung.

Drei Tage nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima startete ein zweiter B-29 Bomber von der US-Basis auf der Insel Tinian. Ziel sollte die Industriestadt Kokura sein. Wegen schlechten Wetters musste der Pilot jedoch auf ein Sekundärziel ausweichen: Nagasaki, die Kultur- und Hafenstadt mit ihren wichtigen Mitsubishi-Fabriken. Der Atomsprengkopf, der wegen seiner Form den Spitznamen „Fat Man“ erhalten hatte, wog etwa 4,5 Tonnen, und hatte eine Sprengkraft von etwa 22.000 Tonnen TNT-Äquivalent. „Fat Man“ wurde um 11:02 Uhr lokaler Zeit über einer dicht besiedelten Nachbarschaft abgeworfen und explodierte etwa 500 m über dem Boden.

Die Überlebenden der Druck- und Hitzewellen jedoch litten massiv unter radioaktiven Gamma-Strahlen, die durch die Atomexplosion freigesetzt wurden. Schon die Einwirkung von mehr als einem Sievert Strahlendosis konnte zur akuten Strahlenkrankheit führen, mit Symptomen wie schweren Verbrennungen, blutigem Erbrechen und Durchfällen, unstillbaren Blutungen, Immunschwäche und Anämie, Blindheit und Schädigungen des zentralen Nervensystems. Und selbst weit vom Hypozentrum entfernt waren die Menschen durch atomaren Niederschlag in Form von „Schwarzem Regen“ betroffen, der mit Plutonium und seinen Zerfallsprodukten verseucht war. Durch Aufnahme dieser radioaktiven Partikel mit Wasser, Luft und Nahrung kam es zur massiven inneren Verstrahlung. Genetische Mutationen und Zelltod führten bei den Überlebenden zu einer hohen Zahl von Fehl- und Totgeburten, Krebsleiden, Schilddrüsenkrankheiten und kardiovaskulären Erkrankungen.

Folgen für Umwelt und Gesundheit Durch die Explosion entstand ein riesiger Feuerball, der innerhalb eines Radius von ca. einem Kilometer alles Leben auslöschte. In der vor allem aus Holz gebauten Stadt entfachte er einen Feuersturm, der weite Teile Nagasakis in Flammen aufgehen ließ und noch fünf Kilometer entfernt Verbrennungen dritten bis vierten

Der von der Atomexplosion ausgelöste elektromagnetische Puls zerstörte zudem die Kommunikations- und Stromnetze der Stadt. Dies erwies sich als fatal für viele Opfer, da Gesundheits- und Notfallsysteme zusammenbrachen. Offiziellen Statistiken zufolge beliefen sich die Opferzahlen in Nagasaki auf etwa 73.000 Tote, 74.000 Verletzte und 120.000 Menschen, die unter den Langzeitfolgen der Explosion und der Strahlung leiden. Das wahre Ausmaß des Atombombenabwurfs auf Nagasaki wird nie vollständig bekannt werden. Die Leichen wurden im Chaos nach der Explosion schnell verbrannt – aus Angst vor Epidemien und wegen fehlender wissenschaftlicher und medizinischer Infrastruktur. Erste wissenschaftliche Untersuchungen begannen erst 1950. Auch heute noch leiden die Überlebenden der Atombombenexplosion – die Hibakusha von Nagasaki – unter den Folgen der Explosion, die sich vor Jahrzehnten ereignete. Dieser Text ist ein Ausschnitt aus der IPPNW-Posterausstellung „Hibakusha Weltweit“. Die Ausstellung zeigt die Zusammenhänge der unterschiedlichen Aspekte der Nuklearen Kette: vom Uranbergbau über die Urananreicherung, zivile Atomunglücke, Atomfabriken, Atomwaffentests, militärische Atomunfälle, Atombombenangriffe bis hin zum Atommüll und abgereicherter Uranmunition. Sie kann ausgeliehen werden. Weitere Infos unter: www.hibakusha-weltweit.de

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70 JAHRE ATOMWAFFEN

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Yoshito Matsushige - UN Photo / DB

oshito Matsushige beendete gerade das Frühstück, als die Welt um ihn plötzlich in gleißend weißes Licht getaucht wurde. Zwei Minuten nach der Explosion fotografierte er den Atompilz aus dem Fenster.


Archiv des Friedensmuseums in Hiroshima: www.pcf.city.hiroshima.jp/top_e.html

Fotografen der ersten Stunde Yoshito Matsushige und Yosuke Yamahata

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er Fotojournalist Yoshito Matsushige hat wohl die einzigen Bilder gemacht, die am 6. August 1945 in Hiroshima entstanden. Was er in der Stadt sah, war so grauenvoll, dass er sich nicht überwinden konnte, mehr als fünf Fotos zu machen: „Ich konnte den Auslöser nicht drücken, weil das Bild, das sich bot, so traurig war. Ich zögerte etwa 20 Minuten, doch schließlich fasste ich den Mut, ein Foto zu machen. Ich erinnere mich noch heute, dass der Sucher von meinen Tränen feucht war.“ Die Bilder entwickelte er nicht im Labor, sondern bei Nacht in einem Bach. Sie wurden jedoch von der Zensur konfisziert und erst nach 1952 veröffentlicht.

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UN Photo / DB

National Archives Japan, ARC#558581

osuke Yamahata, der als Militärfotograf arbeitete, dokumentierte am 10. August die Zerstörung Nagasakis – zusammen mit dem Maler Eiji Yamada und dem Schriftsteller Jun Higashi. Die über 100 Fotos, die an diesem Tag entstanden, geben ein umfassendes Zeugnis der Katastrophe. Sie wurden am 21. August 1945 in der japanischen Tageszeitung Mainichi Shimbun veröffentlicht, noch bevor die alliierten Besatzungsbehörden bagannen, Fotos zu beschlagnahmen und zu vernichten. Yosuke Yamahata starb 1966 im Alter von 48 Jahren an Krebs.

NAGASAKI, 10. AUGUST 1945 FOTOS: YOSUKE YAMAHATA 21


70 JAHRE ATOMWAFFEN

Ich habe die Bombe überlebt Die Hibakusha Setsuko Thurlow erzählt

Setsuko Thurlow verbrachte ihre Kindheit in Hiroshima. Die 83-jährige lebt heute in Kanada. Auf der zweiten Konferenz zu den humanitären Folgen von Atomwaffen in Mexiko berichtete sie, wie sie die Bombardierung erlebte. Vom 25. Juni bis 1. Juli 2015 ist sie zu Besuch in Berlin, um über ihre Erlebnisse vor 70 Jahren zu sprechen.

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war mit Toten und Verletzten überfüllt – die Verletzten bettelten nach Wasser, in schwachem Flüsterton. Wir hatten aber nichts, um Wasser zu transportieren. Wir gingen an den nahen Fluss, um Blut und Dreck von unseren Körpern zu waschen. Dann rissen wir unsere Kittel herunter, durchnässten sie und rannten damit zu den Verletzen, die verzweifelt die Nässe heraussaugten. Den ganzen Tag sahen wir keine Ärzte oder Krankenschwestern. Als es dunkel wurde, saßen wir am Abhang und beobachteten die Stadt, die die ganze Nacht brannte – benommen von der Massivität des Leids und des Sterbens, deren Zeugen wir geworden waren.

n diesem Schicksalstag, dem 6. August 1945, war ich 13 Jahre alt und arbeitete im Rahmen eines Schülereinsatzes im Hauptquartier der japanischen Armee in Hiroshima, 1,8 Kilometer vom Zentrum der Bombardierung entfernt. Zusammen mit 30 anderen SchülerInnen war ich damit beschäftigt, Nachrichten zu entschlüsseln. Um viertel nach acht, als Major Yanai aufmunternde Worte zu unserer Gruppe sprach, sah ich aus dem Fenster einen blauweißen Blitz – und ich erinnere mich an das Gefühl, in der Luft zu schweben. Als ich zu mir kam, war es still und dunkel. Ich steckte zwischen eingestürzten Gebäudeteilen fest und konnte mich nicht bewegen – ich wusste, dass ich dem Tod ins Auge sah. Ich hörte das Jammern meiner MitschülerInnen: „Mutter, hilf mir!“ – „Gott, hilf mir!“. Da spürte ich Hände an meiner linken Schulter. Eine Männerstimme sagte: „Gib nicht auf – beweg Dich weiter! Ich versuch Dich hier raus zu kriegen. Kriech auf das Licht aus der Öffnung da oben zu – schnell!“ Als ich es geschafft hatte, standen die Trümmer schon in Flammen. Die meisten meiner MitschülerInnen sind bei lebendigem Leibe verbrannt. Ein Soldat zeigte mir und zwei anderen Mädchen einen Fluchtweg in die nahegelegenen Hügel.

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ein Vater hatte die Stadt an diesem Tag früh verlassen. Meine Mutter wurde aus den Trümmern unseres Hauses geborgen. Meine Schwester und ihr vierjähriger Sohn wurden zur Unkenntlichkeit verbrannt, als sie auf dem Weg zum Arzt waren. Eine Tante und zwei Cousins wurden nur noch als Skelette gefunden und meine Schwägerin gilt noch heute als vermisst. Wir waren froh, dass mein Onkel und seine Frau überlebten, doch zehn Tage später starben sie. Ihre Körper waren voller pinker Flecken und ihre inneren Organe schienen sich verflüssigt zu haben. 800 meiner AltersgenossInnen aus der siebten und achten Klasse sollten im Stadtzentrum Feuerschneisen anlegen. Viele von ihnen verbrannten sofort: Die Brände hatten Temperaturen um 4.000 Grad Celsius, und der Körper verkohlte oder verdampfte einfach. Die Verstrahlung, die es so nur bei einer Atombombe gibt, befiel die Menschen auf seltsame, willkürliche Art und Weise. Manche starben sofort, andere nach Wochen, Monaten oder Jahren an den Spätfolgen. Auch heute, 69 Jahre später, sterben noch Menschen an der Strahlung.

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ch schaute mich um. Obwohl es Morgen war, war es dämmerigdunkel, weil Staub und Rauch in die Luft aufstiegen. Geisterhafte Gestalten strömten vorbei, aus dem Stadtzentrum trotteten sie in Richtung der nahegelegen Hügel. „Geisterhaft“ sage ich, weil sie nicht wie Menschen aussahen. Ihr Haar stand zu Berge, sie waren nackt und zerrissen, blutig, verbrannt, schwarz und verschwollen. Körperteile fehlten, Fleisch und Haut hingen ihnen von den Knochen, manche hielten ihre Augäpfel mit den Händen, manchen hingen die Eingeweide aus dem offenen Bauch. Wir schlossen uns der gespenstischen Prozession an, vorsichtig stiegen wir über die Toten und Sterbenden. Im tödlichen Schweigen hörte man nur das Stöhnen der Verletzten und ihr Flehen nach Wasser. Der Gestank verbrannter Haut erfüllte die Luft. Wir schafften es, zum Fuß des Hügels zu entkommen, wo sich ein Truppenübungsplatz befand, so groß wie zwei Fußballfelder. Er

So verwandelte sich das geliebte Hiroshima in einen Ort der Verzweiflung, überall Berge von Asche und Schrott, Skeletten und schwarzen Kadavern. Die 360.000 BewohnerInnen, zum größten Teil Frauen, Kinder und ältere Menschen, wurden Opfer des willkürlichen Bombenmassakers. Ende 1945 waren schon etwa 140.000 Menschen tot. Bis heute sind allein in Hiroshi22


Quelle: UN Photo / DB

EINE GRUPPE VERLETZTER WESTLICH VON MIYUKI-BASHI, HIROSHIMA, AM 6. AUGUST 1945 GEGEN 11 UHR, FOTO: YOSHITO MATSUSHIGE ma mehr als 260.000 an den Folgen der Explosion, der Hitze und der Strahlung gestorben. Es tut mir sehr weh, diese Zahlen zu nennen. Die Toten auf Zahlen zu reduzieren, erscheint mir wie eine Entwertung ihres kostbaren Lebens, eine Verneinung ihrer Würde. Die Menschen mussten die körperliche Zerstörung durch das Hungern ertragen, die Obdachlosigkeit, die mangelnde medizinische Versorgung, die Diskriminierung der Opfer, die man als „Atomgiftverseuchte“ bezeichnete, das tatenlose Zuschauen der japanischen Regierung, den Kollaps des autoritären Gesellschaftssystems und die plötzliche Einführung eines demokratischen Lebensstils. Schlimm litten sie auch unter der psychosozialen Kontrolle der alliierten Besatzungsbehörden nach Japans Niederlage. Die Behörden zensierten die Medienberichte über das Leid der Überlebenden und konfiszierten ihre Tagebücher, Aufzeichnungen, Filme, Fotos und Krankenakten. Nach dem massiven Trauma der Bombardierung mussten sich die Überlebenden jetzt in Schweigen und Selbstzensur üben – damit war ihnen die Möglichkeit genommen, zu trauern und das Geschehene zu verarbeiten.

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ach dem Ende der siebenjährigen Besatzung war plötzlich eine Flut an Informationen verfügbar, die es den Hibakusha (Atombombenüberlebenden) ermöglichte, die Bedeutung ihres Überle-

bens erstmalig in einer historischen Perspektive, in einem globalen Zusammenhang zu betrachten. Uns wurde klar, dass kein Mensch auf Erden jemals wieder die unmenschliche, widerrechtliche und grausame Erfahrung der atomaren Bombardierung durchmachen sollte – unsere Aufgabe ist also, die Welt vor dieser Bedrohung dieses unvorstellbaren Übels zu warnen. Wir glauben, dass es Menschlichkeit und Atomwaffen nicht zusammen geben kann. Unsere Aufgabe ist es, Atomwaffen abzuschaffen, um eine sichere, saubere und gerechte Welt für zukünftige Generationen zu ermöglichen. In dieser Überzeugung haben wir uns in den letzten Jahrzehnten weltweit für die endgültige Abschaffung aller Atomwaffen stark gemacht.

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ie aktuellen Abrüstungsdebatten bestürzen und irritieren uns und geben wenig Anlass zur Hoffnung, da sich für uns kein greifbarer Fortschritt erkennen lässt. Ganz offensichtlich fehlt den Atomwaffenstaaten der politische Wille zur Abrüstung. Das wird sowohl bei der Nichtratifizierung des Atomteststoppvertrags (CTBT) klar, als auch bei der Weigerung, sich an die Verpflichtungen zu halten, die sich aus Artikel sechs des Atomwaffensperrvertrags (NPT) ergeben – zu nennen sind hier ebenso der jetzt 15 Jahre währende Stillstand der Genfer Abrüstungskonferenz und das Scheitern der Verhandlungen über eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten, sowie die fortgesetzte 23

Modernisierung der Atomwaffen. Das sind unakzeptable Zustände, an denen wir etwas ändern müssen!

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bwohl wir Hibakusha unsere Lebensenergie darauf verwendet haben, Menschen vor der Hölle des Atomkriegs zu warnen, hat es in fast 70 Jahren kaum Fortschritte in der Abrüstung gegeben. Deshalb müssen wir dringend einen neuen Weg finden – einen, der die inakzeptablen humanitären Konsequenzen von Atomwaffen aufzeigt. Wir sind moralisch verpflichtet, diese zu verbieten. Wir hoffen, dass die neue Bewegung zur Ächtung und Abschaffung dieser Waffen uns endlich eine atomwaffenfreie Welt bringt. Für die Zivilgesellschaft und für die atomwaffenfreien Staaten ist die Zeit gekommen, die Ächtung von Atomwaffen in Gang zu bringen – um der Menschheit willen. Zusammen können wir es schaffen. Wir müssen es schaffen.

Setsuko Thurlow ist eine Überlebende des Atombombenabwurfs auf Hiroshima.


70 JAHRE ATOMWAFFEN

„Die Atombombe ist eine fatale, hochgefährliche Waffe, die damals 90.000 Menschen an einem Tag umbrachte – und trotzdem keinen Einfluss auf den Ausgang des Krieges hatte.“

„Kein militärischer Nutzen“ Japan hat im Zweiten Weltkrieg nicht wegen der Atombombenangriffe kapituliert

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nlässlich des 70. Jahrestags müssen wir uns klar werden, welche Bedeutung die Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki für uns hat. Der erste Einsatz von Atomwaffen wurde lange als eines der wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts betrachtet – das beeinflusst unsere Bewertung von Atomwaffen noch heute. Wären Atomwaffen eine Religion, könnte man Hiroshima als das erste Wunder bezeichnen. Es ist angemessen, gerade in diesem Jahr die Bedeutung der Ereignisse in Hiroshima und Nagasaki zu überdenken. Ich meine damit nicht den Schrecken der Geschehnisse. Denn es ist zu befürchten, dass die Empörung über die Geschichten der Überlebenden, über die Bilder und über den großen Verlust mit der Zeit verblassen. Was sich ändert, ist vielmehr die Bewertung des militärischen „Nutzens“ von Atomwaffen. Lange Zeit galt als „erwiesen“, dass der Schock des Doppelbombardements von Hiroshima und Nagasaki die japanische Regierung gezwungen hätte, zu kapitulieren. Eine Atomwaffe könne also einen starrköpfigen Feind innerhalb von drei Tagen zur Aufgabe zwingen – also eine ganz bemerkenswerte Waffe.

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un stellt sich aber heraus, dass diese Einschätzung der „Nützlichkeit“ falsch war. Neue Forschungsarbeiten in den Archiven in Tokio, Washington und Moskau kamen zu dem Ergebnis, dass Japan kapitulierte, weil die Sowjetunion in den Krieg eingetreten war: Hiroshima wurde am 6. August 1945 bombardiert.

Die Sowjetunion trat am 8. August um Mitternacht in den Krieg ein. Von der sowjetischen Invasion erfuhr die japanische Führung am frühen Morgen des 9. August 1945. An diesem Donnerstag fand ein Treffen des Höchsten Rats statt – der sechs regierenden Kabinettsmitglieder – um erstmalig über eine Kapitulation zu diskutieren. Donnerstag morgen gab es also ein dringendes Treffen von Offizieren. Dagegen hatte an dem Montag, als Hiroshima bombardiert wurde, keine solche Sitzung stattgefunden.

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ährend der Armeesitzung schlug ein Offizier vor, den Ausnahmezustand zu erklären, den Kaiser gefangen zu nehmen und eine Militärdiktatur zu errichten. Erste Vorbereitungen zur Ausführung dieses Plans wurden getroffen. Am Montag, nach der Bombardierung Hiroshimas, hatte man keine drastischen Maßnahmen getroffen. Die japanischen Anstrengungen, die Lage in den Griff zu bekommen, begannen also erst nach dem sowjetischen Kriegseintritt in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Die offenbar gleichgültige Reaktion auf die Atombomben scheint zunächst kaum erklärlich: Wir gehen immer davon aus, dass Ereignisse, die grauenhaft sind, auch wichtig sind. Aber auf die japanischen Militärs hat die Bombardierung offenbar keinen so starken Eindruck gemacht. Der General und Heeresminister Anami Korechika beispielsweise meinte, die Atombomben seien nicht bedrohlicher gewesen als die Brandbomben, die bereits den ganzen Sommer auf Japan niedergegangen 24

seien. In gewisser Weise hatte er Recht: Die USA hatten im Sommer 1945 68 japanische Städte bombardiert. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen bei diesen Angriffen unmittelbar starben, kommt die Hiroshima-Bombe an zweiter Stelle, der konventionelle Angriff auf Tokio dagegen an erster. Betrachtet man, wie viele Quadratmeilen der Stadtfläche verwüstet wurden, kommt Hiroshima erst an sechster Stelle der japanischen Städte. Betrachtet man, zu wieviel Prozent die Stadt zerstört wurde, steht Hiroshima an Platz 17.

Aus militärischer Sicht haben die atomaren Bombardements in diesem Stadium des Krieges die strategische Situation kaum verändert. Denn für das strategische Kalkül von Militärs zählt das Kräfteverhältnis. Und hier ist der Eintritt der Sowjetunion entscheidend, weil sie 1,5 Millionen Soldaten zum Krieg beisteuerte. Diese bedrohten das Land aus entgegengesetzter Richtung, nicht da, wo sich die japanische Verteidigung stationiert hatte. Monatelang hatte sie sich an den Stränden der südlichsten Insel eingerichtet, wo sich ihre


Quelle: UN Photo / DB

DAS PREFECTURAL INDUSTRY PROMOTION BUILDING, HIROSHIMA, 1. SEPTEMBER 1945. FOTO: EIICHI MATSUMOTO Stellungen ostwärts richteten, in Erwartung der US-Invasion. Die Sowjets allerdings wollten die nördlichste Insel aus westlicher Richtung angreifen, wo die japanische Armee zu schwach war – und das innerhalb von 10 bis 14 Tagen. Es ist also erklärlich, dass die japanische Führung darauf mit der Kapitulation reagierte – der Eintritt einer Großmacht entscheidet oft den Ausgang des Krieges. Natürlich geben wir Hiroshima und Nagasaki diese Bedeutung, weil die japanische Führung angab, sie sei aus diesem Grund zur Kapitulation gezwungen gewesen.

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o auch die Schlagzeilen der Zeitungen in den USA: „Japan kapituliert – unsere Bombe hat es geschafft.“ Gleichzeitig kann die japanische Führung behauptet haben, Grund sei die Atombombe gewesen, obwohl das vielleicht gar nicht der Fall war: Die Regierung hatte ihrer Bevölkerung einen katastrophalen Krieg beschert. Mehr als zwei Millionen Soldaten und Zivilisten waren umgekommen. Die größeren Städte lagen in Trümmern. Wenn die japanische Führung die Kapitulation nicht überzeugend begründen konnte, gäbe es einen Machtwechsel. Doch nach den Atombombenabwürfen konnte man behaupten: „Wir haben unser Bestes getan. Doch der Feind erzielte einen wissenschaftlichen Durchbruch, deshalb haben wir verloren.“ Die Atomwaffen waren also das perfekte Alibi für den verlorenen Krieg. Am 70. Jahrestag sollten wir unser Bild von Atomwaffen überdenken. Wir sollten Hiroshima und Nagasaki nicht als Beleg für das einzigartige Abschreckungspoten-

zial der Atombombe verstehen. Vielmehr sollten wir im Kopf behalten, dass die Atombombe eine fatale, hochgefährliche Waffe ist, die damals 90.000 Menschen an einem Tag umbrachte – und trotzdem keinen Einfluss auf den Ausgang des Krieges hatte.

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ür sich betrachtet ist das ein überraschende Schlussfolgerung. Sie überrascht weniger, wenn man die gesamte Geschichte der Atomwaffen einbezieht – eine Geschichte enttäuschter Erwartungen und immer nachlässigerer Überprüfungen. Als die Atomwaffen zum ersten Mal auftauchten, glaubte man, sie würden zur Ächtung des Krieges – zum sicheren Sieg und zur Prävention von Angriffen beitragen und den Erfolg der Diplomatie garantieren. Nach 70 Jahren muss auch der flammendste Atomwaffenfreund zugeben, dass solche Erwartungen Fehleinschätzungen sind. Sie verhindern keine Angriffe – das beweisen der Jom-Kippur-Krieg (bzw. Ramadan-Krieg) 1973 im Mittleren Osten und der Falklandkrieg 1982 – beide Kriege wurden gegen Atomwaffenstaaten geführt. Atomwaffen sind auch keine Garantie für den Sieg – wie der Vietnamkrieg und der sowjetische Afghanistankrieg zeigen.

NAGASAKI: MUTTER UND KIND WARTEN AUF MEDIZINISCHE HILFE. FOTO: YOSUKE YAMAHATA

logischen Nutzen, Krieg zu verhüten oder unser Leben sicherer zu machen. Wir haben die letzten 70 Jahre einfach Glück gehabt!

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s ist richtig, an diesem Jahrestag den Tod und die Zerstörung im August 1945 zu betrauern. Es ist richtig, dankbar zu sein, dass wir einen weiteren Atomkrieg so lange vermieden haben. Doch wir müssen uns nüchtern eingestehen, dass es so nicht weitergeht. Unser kriegerisches Verhalten grenzt an Wahnsinn. Solange wir diese Waffen zur Hand haben, können uns auch unsere Vernunft, unsere Vorsicht und unsere größte Angst irgendwann nicht mehr vor dem Atomkrieg retten. www.rethinkingnuclearweapons.org

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tomwaffenbefürworter übertreiben die positiven Effekte. Heute, 70 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki, müssen wir uns den Tatsachen stellen: Atomwaffen sind gefährliche und zerstörerische Waffen, die praktisch keinen militärischen Nutzen haben. Sie haben keinen psycho25

Ward Wilson ist Autor des Buches „Five Myths about Nuclear Weapons“.


Foto: European External Action Service/CC-BY-SA 2.0

Foto: UN Photo/Nagasaki International Cultural Hall

UHR AUS NAGASAKI, STEHENGEBLIEBEN AM 9. AUGUST ZUR ZEIT DES BOMBARDEMENTS

SYRISCHE FLÜCHTLINGE AUF SIZILIEN.

Wo der Wille der Wenigen herrscht Die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New York

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erneuert habe, die Wahrheit über die Existenz von Israels Atomwaffen für immer zu verschweigen.

eitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit ging die UN-Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag (NPT) Ende Mai in New York zu Ende. Alle fünf Jahre treffen sich die 190 Unterzeichnerstaaten und prüfen vier Wochen lang, ob die Vertragsbestimmungen umgesetzt werden. Dieses Jahr stand nicht etwa die Vertragstreue Irans oder Nordkoreas auf dem Prüfstand, sondern die Einhaltung der Abrüstungsverpflichtung der fünf im Vertrag anerkannten Atomwaffenstaaten. Statt abzurüsten, investieren alle Atomwaffenstaaten Milliarden in die Modernisierung ihrer Arsenale. Das betrifft auch die US-Atombomben des Typs B61, die im rheinland-pfälzischen Büchel gelagert werden und deren Abwurf unter NATO-Befehl von deutschen Kampfjetpiloten geübt wird.

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nabhängig von diesem Tauziehen war die Konferenz in den Augen der Zivilgesellschaft allerdings schon vorher gescheitert. Eine Gruppe von 159 Staaten hatte eine Reihe von Argumenten zu den humanitären Folgen präsentiert. Atomwaffen seien in ihrem Zerstörungspotenzial einzigartig. Eine einzige Atombombe, abgeworfen über einer großen Stadt, würde Millionen Menschen töten. Die medizinische Infrastruktur wäre zerstört und effektive humanitäre Hilfe unmöglich. Laut aktueller Studien würden sich mehrere Atomexplosionen auf das globale Klima auswirken und hätten verheerende weltweite Folgen wie Hungersnöte. Sie machten zudem deutlich, dass die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes, mit Absicht oder durch einen Unfall, gestiegen sei. Die erhöhte Bedrohung bestehe insbesondere aufgrund des aktuellen Konflikts zwischen Russland und der NATO sowie der instabilen Lage im Nahen und Mittleren Osten.

Nur wenige deutsche Medien berichteten über das Ergebnis der Konferenz oder besser gesagt über ihr Scheitern. Nach einem endlosen Ringen über die Frage der Abrüstung erklärte die USStaatsministerin für Rüstungskontrolle und internationale Sicherheit im State Department Rose Gottemoeller schließlich: „Besser kein Ergebnis als ein schlechtes“. Was war passiert?

Die Atomwaffenstaaten ignorierten diese Argumente. Es gab keine Einigung über den Entwurf des Vorsitzenden des Abrüstungsausschusses, der die humanitären Argumente aufgenommen hatte und Handlungsvorschläge machte. Stattdessen wurde ein Abschlussdokument vorgelegt, das keine konkrete Maßnahmen oder Fristen für die Abrüstung mehr enthielt.

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ie Vertragsparteien stritten über ein Konferenzdatum. Israel, das den Atomwaffensperrvertrag nie unterschrieben hat, fühlte sich in die Enge getrieben, weil die Arabischen Staaten darauf beharrten, bis Ende März 2016 eine Konferenz zur Errichtung einer Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten abzuhalten. Die Beweggründe Israels skizzierte ein Artikel im Wall Street Journal. Die Regierung Netanjahu sei besorgt, dass das lange Schweigen über ihr Atomwaffenarsenal gebrochen werden könnte. Israel habe die USA daran erinnert, dass Obama zu Amtsbeginn ein Versprechen von Präsident Nixon

Die Reaktion der atomwaffenfreien Staaten war klug. Sie koppelten ihre Zustimmung für das schwache Abschlussdokument an die Forderung einer Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten. Ihnen war klar, dass die USA dies aus Rücksicht auf Israel nicht akzeptieren würden. Nach dieser 26


FLUCHT 70 JAHRE ATOMWAFFEN

DIE NPT-KONFERENZ BEI DEN VEREINTEN NATIONEN IN NEW YORK, 28. APRIL 2015

verwiesen stattdessen auf die Krise in der Ukraine und die „bösen“ Russen. Niemand habe große Erwartungen, dass die beiden großen Atommächte sich auf neue Abrüstungsschritte einigen könnten. Zudem beklagen VertreterInnen der Bundesregierung, dass ihnen durch die NATO-Mitgliedschaft die Hände gebunden seien. Sie ständen in der historischen Pflicht gegenüber den USA und Israel.

langen Debatte über den Verstoß der Atomwaffenstaaten gegen ihre Vertragsverpflichtung zur nuklearen Abrüstung wollten die Nichtatomwaffenstaaten ein solch schwaches Ergebnis nicht akzeptieren, ohne dass die Atomwaffenstaaten zumindestens ihr Versprechen zum Nahen Osten einlösen, das bereits seit 1995 besteht. Südafrikas Botschafterin bemerkte dazu verbittert: „Hier herrscht der Wille der Wenigen, wie bei der Apartheid“. Unabhängig davon, wie begründet die Forderungen der Mehrheit sind: Sie dringen damit nicht durch. Die Atomwaffenstaaten haben stets die Möglichkeit, ihr Veto einzulegen. Dieses Mal verweigerten die USA und Großbritannien ihre Zustimmung, um das Interesse einer Nichtvertragspartei (Israel) zu schützen.

Alle diese Argumente geben aber keine Antwort auf die einfache Frage, warum die Sicherheitsinteressen der Wenigen die Interessen der überwältigenden Mehrheit überwiegen dürfen. Eine Mehrheit, die sich längst entschieden hat, auf Atomwaffen und damit auf die nukleare Abschreckung zu verzichten.

Diese Ignoranz ist einer der Gründe, warum inzwischen mehr als 100 Staaten den „Humanitarian Pledge“ unterstützen, eine von Österreich initiierte Erklärung, deren Unterstützer sich dazu verpflichten, völkerrechtliche Schritte für ein Verbot von Atomwaffen einzuleiten. Sie gleicht der Ankündigung eines neuen Prozesses für die Abrüstung, der nicht länger von Wenigen beherrscht wird. Es gibt also einen Paradigmenwechsel: Die atomwaffenfreien Staaten fühlen sich durch ihre neue Einigkeit ermächtigt, Atomwaffen zu verbieten und damit die Atomwaffenstaaten zu isolieren. Costa Rica fasste es so zusammen: „Die humanitären Konferenzen zu den Konsequenzen von Atomwaffen zeigen, dass sich der Abrüstungsprozess demokratisiert, auch wenn es beim NPT noch an Demokratie mangelt.“ Der NPT wird uns nicht retten, wir brauchen ein neues demokratisches Verfahren, um einen Verbotsvertrag einzuleiten.

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ieses Jahr jähren sich die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum 70. Mal. Nach dem Scheitern der Konferenz in New York und der großen Unterstützung für den „Humanitarian Pledge“ scheint sich ein Atomwaffenverbot am Horizont abzuzeichnen. Costa Rica beendete seine Stellungnahme mit folgenden Worten, die wir uns zu Herzen nehmen sollten: „Trotz allem, was auf der NPT-Überprüfungskonferenz passiert ist, kann nichts diejenigen aufhalten, die an menschliche Sicherheit, Demokratie und internationales Recht glauben. Die Geschichte ehrt nur die Tapferen, die den Mut haben, anders zu denken und von einer besseren Zukunft für alle zu träumen. Es ist nicht die Zeit, das Geschehene zu beklagen, so beklagenswert es ist. Es ist an der Zeit, uns für die Zukunft einzusetzen, die Welt die wir uns wünschen und die wir verdient haben. Geben wir dem Frieden eine Chance – eindeutig und endgültig.“

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uf welcher Seite steht Deutschland in diesem Prozess? Die IPPNW versucht schon länger das Thema Atomwaffensperrvertrag auch in Deutschland auf die Agenda zu setzen. Wir führten viele Gesprächen mit den offiziellen VertreterInnen Deutschlands, Bundestagsabgeordneten und Forschungsinstituten und verschickten Pressemitteilungen, um auf die Dringlichkeit von atomarer Abrüstung aufmerksam zu machen. Vergebene Liebesmüh? Die Fraktionen der Großen Koalition konnten sich nicht einmal auf einen aussagekräftigen Bundestagsantrag einigen und

Xanthe Hall ist Anti-AtomwaffenCampaignerin für IPPNW und ICAN und besuchte die NPT-Konferenz in New York. 27


70 JAHRE ATOMWAFFEN

Geschichte der Bewegung gegen Atomwaffen Von „Kampf dem Atomtod“ bis „Büchel 65“

APRIL 1990: DEMONSTRATION MIT BERNARD LOWN AM ATOMTESTGELÄNDE SEMIPALATINSK, KASACHSTAN

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er Protest und Widerstand gegen Atomwaffen hat die Friedensbewegung in den vergangenen 70 Jahren beinahe durchgängig begleitet, wobei es mehrere Hochphasen gab, die teilweise international identisch, teilweise national unterschiedlich verliefen.

Ostermärsche begründet. Die Bewegung gegen Atomwaffentests war erfolgreich: 1963 einigten sich die USA, die Sowjetunion und Großbritannien auf ein „Atomteststopp-Abkommen“, das oberirdische Versuche mit ihrer Strahlenbelastung untersagte.

In den ersten Nachkriegsjahren kamen in Europa und den USA viele PazifistInnen, die den Krieg überlebt hatten, erneut zusammen, doch anders als nach dem ersten Weltkrieg gab es in den alliierten Ländern keine große Bewegung des „Nie wieder“ – zu groß war das Entsetzen über die Verbrechen Deutschlands und zu alternativlos schien auch vielen PazifistInnen der vergangene Krieg gegen Deutschland. In Deutschland entstand eine erste Friedensbewegung, als Konrad Adenauer die Wiederbewaffnung vorantrieb. Sie endete, als Deutschland 1955 der NATO beitrat und die Bundeswehr geschaffen wurde.

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Die erste Anti-AtomwaffenBewegung: 1957–1964 Die erste große Welle des Widerstandes gegen Atomwaffen entwickelte sich als transnationale Bewegung vorrangig gegen die oberirdischen Atomwaffentests, die seit Anfang der 1950er Jahre von den USA vor allem im Pazifik durchgeführt wurden. In den USA wurde die Organisation „Committee für a SANE Nuclear Policy“ (‚sane‘ bedeutet auf Englisch ‚gesund‘ auch im Sinne von ‚vernünftig‘), in Großbritannien die Campaign for Nuclear Disarmament (CND) gegründet, und die Tradition der

n Deutschland nannte sich die Bewegung „Kampf dem Atomtod“ und lag zeitlich etwas vor der Bewegung in England und den USA. Sie entwickelte sich aus der Bewegung gegen die Remilitarisierung, als ab ca. 1955 in Europa Atombomben als „taktische“ Waffen stationiert werden sollten, um die militärische konventionelle Überlegenheit des Warschauer Pakts auszugleichen. Als 1958 der Bundestag der Stationierung von Atomwaffen in Deutschland zustimmte, waren Proteste und Demonstrationen in vielen Städten Deutschlands die Antwort – mit einer GesamtteilnehmerInnenzahl von 1,5 Millionen. In Bremerhaven und in Kassel traten ArbeiterInnen (gegen den Willen des DGB und der SPD) in Streik. Ende 1958 entschied die NATO, dass die Atomwaffen in Europa unter Oberbefehl der USA bleiben sollten. Die Bewegung gegen den Atomtod hatte ihren Höhepunkt überschritten. Einige PazifistInnen riefen aber 1960, dem britischen Vorbild folgend, Ostermärsche ins Leben.

Die Friedensbewegung der 1980er Jahre: 1979–1987 Einen neuen Aufschwung erfuhr die Friedensbewegung gegen die Atomwaffen, als 28

die USA Mitte der 1970er die Entwicklung einer Neutronenbombe bekanntgaben. Sie sollte, so wurde sie in der Presse dargestellt, Menschen töten, aber dabei unbelebte Materie bewahren. Die Empörung dagegen war so groß, dass ihre Aufstellung in Europa gestoppt wurde. Doch quasi zeitgleich führte 1979 die Stationierung von Raketen mittlerer Reichweite durch die Sowjetunion in Osteuropa zum sog. „NATO-Doppelbeschluss“, bei dem die eigene „Nachrüstung“ mit Mittelstreckenraketen (Pershing II und Cruise Missiles) angekündigt wurde, sofern die Sowjetunion einer Abrüstung ihrer Raketen, der SS 20, nicht zustimme. Tatsächlich ging es, so vermuteten viele Menschen, aber darum, einen Krieg in Europa führbar und gewinnbar zu machen.

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ie Friedensbewegung der 1980er Jahre gegen die Stationierung von neuen Mittelstreckenraketen war eine transnationale Bewegung mit Protesten in ganz Westeuropa (Italien, Benelux, Großbritannien, den skandinavischen Ländern und der BRD). In den USA entstand die „Freeze“-Bewegung, die das Einfrieren der Atomwaffenbestände forderte. Im Jahr 1981 gründeten zwei Kardiologen aus den USA und der Sowjetunion die internationale Föderation der IPPNW. Ein Jahr später entstand auch die deutsche IPPNW. Für ihre Aufklärung über die medizinischen Folgen eines Atomkrieges erhielt die Ärzteorganisation 1986 den Friedensnobelpreis. Die Massendemonstrationen zwischen 1981 und 1983, an denen in


KUNDGEBUNG AUF DEM BEBELPLATZ IN OST-BERLIN, 1984 der BRD bis zu einer Million Menschen teilnahmen, konnte aber eine Stationierung ab 1983 zunächst nicht verhindern. Danach gingen die Proteste zahlenmäßig zurück. Es waren aber bis 1987 immer noch viele Zehntausende, die sich weiter gegen die Atomraketen engagierten, wobei in Deutschland auch Aktionen Zivilen Ungehorsams, insbesondere Blockaden der Atomwaffenstützpunkte, eine wichtige Rolle spielten. 1985 kam in der Sowjetunion Michail Gorbatschow an die Macht, der 1986 Verhandlungen mit der NATO über die Abrüstung der atomaren Mittelstreckenraketen aufnahm. Sie führten 1987 zum INF-Vertrag, der eine Vereinbarung über den Rückzug und die Verschrottung von SS 20, Pershing II und Cruise Missiles beinhaltete.

Nach der „Wende“ Nach 1989 schien vielen Friedensbewegten die Gefahr eines Atomkrieges so gut wie gebannt; Aktivitäten verlagerten sich schwerpunktmäßig auf andere Themen, vor allem die Abwehr der vielen neuen Kriege, die die NATO oder Koalitionen der Willigen in aller Welt führten. Es waren vor allem die etablierten Organisationen und einzelne Basisgruppen, die das Thema der Nuklearrüstung weiter im Fokus ihrer Aktivitäten hatten. In den USA schlossen sich SANE und Freeze 1987 zu einer neuen Organisation zusammen, die heute den Namen „Peace Action“ trägt. In Deutschland entstand 1988 die Atomteststopp-Kam-

pagne und 1994 der „Trägerkreis „Atomwaffen abschaffen“ (der heute die Kampagne atomwaffenfrei.jetzt trägt). Nach dem Abzug der Mittelstreckenraketen wurde in den letzten fünfzehn Jahren vor allem Büchel Konzentrationsort für Proteste mit der Forderung nach dem Abzug der letzten Atomwaffen, die die USA auf deutschem Boden stationiert haben.

humanitäre Folgen von Atomwaffen rufen mittlerweile 159 Staaten dazu auf, einen weiteren Einsatz von Atomwaffen unter keinen Umständen zu erlauben. Die vollständige Version dieses Artikels erscheint in der Ausgabe Juli/August 2015 der Zeitschrift „FriedensForum“. Bestellbar über das Netzwerk Friedenskooperative: www.friedenskooperative.de

Mit der Krise, die letztes Jahr durch den Ukraine-Konflikt ausgelöst wurde, ist die Vorstellung der Möglichkeit eines Krieges zwischen den Großmächten wieder aktuell geworden. Russland und die USA gefallen sich in gegenseitigem Säbelrasseln und neue auch atomare Aufrüstung scheint in Vorbereitung. Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs von 1996, das erklärte, dass die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen generell völkerrechtswidrig seien, und die Rede Präsident Obamas 2009, in der er von einer atomwaffenfreien Welt sprach, haben sich nicht als wirkungsmächtig erwiesen. Nur eine starke Bewegung, die Druck auf die Politik ausübt, kann wirkliche Veränderung bewirken.

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omentan findet ein Generationswechsel statt. Die IPPNW hat 2007 die Internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen – kurz ICAN – ins Leben gerufen. Die Kampagne hat inzwischen eine eigene Infrastruktur mit über 450 Partnern weltweit, die sich an der Kampagne beteiligen. Mit der „Humanitären Initiative“ hat ICAN Erfolg: Nach drei Regierungskonferenzen zum Thema 29

Christine Schweitzer ist u.a. Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin der Zeitschrift „Friedensforum“.


WELT

Foto: Nature Québec

Lasst das Uran in der Erde Das World Uranium Symposium in Québec, Kanada

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anada ist einerseits einer der großen Uranproduzenten und -exporteure der Welt – andererseits gibt es in einigen Provinzen Moratorien für Uranbergbau: British Columbia an der Pazifikküste hat seit 2008 ein Moratorium für Uranexploration, Nova Scotia seit 1982 ein Verbot des Uranbergbaus.

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ie Bewohner der Provinz Québec, von den großen Anstürmen der Uranindustrie in der Vergangenheit wenig berührt, sahen sich mit dem plötzlichen Anstieg des Uranpreises in den Jahren 2007/2008 gleich mit mehreren Uran-Explorationsfirmen konfrontiert. Die CreeIndianer, in deren traditionellem Siedlungsgebiet sich die Vorkommen befinden, lehnen den Uranbergbau ab und kündigten ihren Widerstand an. Ärzte in der Region um Sept-Iles wurden ebenfalls aktiv gegen Uranbergbau-Vorhaben, auf der Gaspe-Halbinsel war schon 2011 ein Projekt am Widerstand gescheitert. Die Regierung der Provinz Québec legte – ihrem Wahlversprechen gemäß – 2012 nicht nur den einzigen verbliebenen Atomreaktor in Québec, Gentilly-2, endgültig still, sondern verhängte auch ein Moratorium über den Uranbergbau. Sie verweigerte der Firma Strateco mit dem am weitesten fortgeschrittenen Projekt Matoush die Genehmigung für die Fortsetzung der Explorationsarbeiten. Das Unternehmen widersprach – es wurde ein Öffentliches Anhörungsverfahren eingeleitet. Die Entscheidung wird in Kürze erwartet. Umweltschutz-Aktive und die kanadische IPPNW (Physicians for Global Survival) hatten viel für die Aufklärung unter ÄrztInnen

und in der Bevölkerung getan – das Québecer World Uranium Symposium lenkte Mitte April 2015 mit hochkarätigen internationalen ExpertInnen aus allen Teilen der Welt noch einmal die Aufmerksamkeit auf das Thema. Der Tatsache, dass man sich auf indigenem Land befand – Land, das ursprünglich den Huronen gehört hatte – wurde angemessen Rechnung getragen. Konrad Sioui, der Chef der Huronen eröffnete die Konferenz. Er sprach vom berühmten „Two-Row-Wampun“, der symbolisiert, dass (weiße) Einwanderer und ursprüngliche „indianische“ Bewohner, gleichberechtigt zusammenleben sollten – ohne dass die einen über die anderen herrschen.

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atthew Coon Come, Grand Chief der Cree-Indianer, stellte unmissverständlich klar, dass die Cree den Uranbergbau strikt ablehnen, und alles tun werden, um ihn zu verhindern. Auf ihrem Territorium hatten die Cree bereits ein Moratorium für Uranabbau erteilt. Ob die Québecer Regierung sich darüber hinwegsetzen könnte, bleibt abzuwarten. Alle indianischen Völker, die in der Provinz Québec vertreten sind, hatten sich dem „Nein“ der Cree zum Uranbergbau angeschlossen, da sie Gefahren auch für die zukünftigen Generationen und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sehen. Dr. Helen Caldicott beschrieb in aller Deutlichkeit die Folgen eines Atomwaffenschlages – und dass das Uran aus Kanada keineswegs nur friedlichen Zwecken diente, wurde aus dem Vortrag von Dr. Gordon Edwards, CCNR, klar: In Québec City hatten 1943 die Präsidenten von Großbritannien, USA und Kanada vereinbart, Nuklearfor30

schung mit dem Ziel einer Atomwaffe auf den Weg zu bringen. Mariette Liefferink beschrieb mit einer Vielzahl von Fakten und Daten die desaströsen Folgen von Uran- und Goldbergbau in Südafrika. Detaillierter wurden die gesundheitlichen Folgen von Uranbergbau u.a. von Dr. Vakil aus Kanada beleuchtet. Sie trug die Ergebnisse einer zusammenfassenden Studie über alle bekannten Gesundheitsstudien vor. Das Institut Nationale de Santé Publique der Provinz Québec hatte bereits 2014 eine Studie veröffentlicht, in der es aufgrund der vielen Unsicherheiten bei den gesundheitlichen Auswirkungen von Uranbergbau eine ablehnende Stellungnahme zur Uranförderung einnimmt.

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m dritten Tag stand das Thema „Menschenrechte und die Rechte indigener Völker versus nukleare Brennstoffkette“ im Mittelpunkt: Betroffene und Aktive aus Grönland, Australien, der Mongolei, aus Kamerun und Japan berichteten, über ihre Erfahrungen. Im zweiten Teil kamen die Indigenen Kanadas zu Wort: aus Québec, Ontario und Saskatchewan. Die Konferenz schloss mit einer Deklaration, in der die Ablehnung des Uranbergbaus bekräftigt wurde. Vollständiger Artikel unter: kurzlink.de/WUS

Günter Wippel war im April 2015 für das Uranium Network auf dem World Uranium Symposium in Québec.


AKTION

Radioaktive Wolke Aktion zum Tschernobyltag in Berlin Die IPPNW-Regionalgruppe Berlin organisierte im Rahmen des Jahrestreffens eine öffentliche Aktion zum Tschernobyl-Jahrestag am Mauerpark in Berlin. Mit einem Dekontaminsationszelt wurde der Bevölkerung vor Augen geführt, was im Fall eines Super-GAUs passieren würde. Zahlreiche Mitglieder beteiligten sich aktiv, ausgerüstet mit Geigerzählern, Jodtabletten, ABC-Anzügen und Infomaterialien. Sie klärten die Bevölkerung über die Gefahren des Berliner Experimentierreaktors Wannsee auf, der am Stadtrand in einem Wohngebiet liegt. Der seit 42 Jahren laufende BER-II gilt als extrem störanfällig: Allein von 1991 bis 2014 gab es 66 meldepflichtige Ereignisse, darunter mindestens 34 Reaktorschnellabschaltungen. Viele Berliner erfuhren an diesem Sonntag erstmalig von der Existenz des Reaktors.

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GELESEN

H IN W E IS

Die Arroganz des Westens

Wider die Mobilmachung

Russland verstehen: Gabriele Krone-Schmalz schildert die internationalen Konflikte aus einer Sicht, die in den deutschen Medien meist unerwähnt bleibt.

Dem Band „Kriege im 21. Jahrhundert“ ging die Antikriegskonferenz in Berlin voraus. Auch drei IPPNW-Mitglieder haben sich als Autoren an der Dokumentation beteiligt.

er Begriff „Russlandversteher“ war in der letzten Zeit angesichts des Ukraine-Konflikts in den deutschen Medien und in der Politik besonders präsent. Aber was bedeutet es genau, „Russland zu verstehen“? Damit beschäftigt sich Gabriele Krone-Schmalz in ihrem aktuellen Buch. Die Autorin, als Moskau-Korrespondentin und Moderatorin der ARD bekannt, ist vor allem eine promovierte Historikerin und Professorin für TV und Journalistik. Ihr Buch erschien inmitten des aktuellen Ukraine-Konflikts und in der damit zusammenhängenden Debatte über die Außenpolitik Putins. Als erfahrene Journalistin beklagt die Autorin in ihrem Buch die einseitige Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt. Daraus resultiert ein eindimensionales Bild, in dem das Gute und das Böse eindeutig voneinander getrennt werden. Eine solche Etikettierung müsse man durchbrechen, um die andere Perspektive zu verstehen und gemeinsam eine friedliche Lösung finden zu können. „Verstehen heißt doch nicht automatisch für gut befinden. Wer etwas versteht, begreift Zusammenhänge, kennt Hintergründe und hat auf dieser Basis die Chance zu erklären, was vorgeht und warum“. Konkret heißt die Botschaft des Buches: Die politische Strategie Europas muss auf die Ignoranz und Einseitigkeit verzichten und Russland endlich als einen gleichberechtigten Partner ernst nehmen. Nur so ist Frieden möglich.

mmense Herausforderungen stehen der Friedensbewegung in der Bundesrepublik bevor. Militärisches Denken erobert Kinderzimmer und Schulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen und Redaktionen. Es bestimmt das wilde Sammeln von Daten und die Angstdiskurse über „Innere Sicherheit“. Die kriegerische Mobilmachung Europas beginnt innerhalb der Mitgliedsstaaten, wenn jugendliche Massen arbeitslos sind, und nach außen hin bei der Abschottung gegen Flüchtlinge und Opfer von Gewalt. Sie stützt sich geopolitisch auf das transatlantische „Bündnis“ mit den USA, auf ferngesteuerte Drohnen, neue Waffen- und Überwachungssysteme, auf Destabilisierung, Sanktionen und den so genannten Freihandel. Die atomare Rüstung im rheinland-pfälzischen Büchel wird „modernisiert“. Waffen und Kriegsmaterial werden bedenkenlos produziert und in Krisengebiete exportiert. Deutsches Militär, wieder auf fremdem Boden stationiert, stellt sich mörderisch der „Verantwortung“ für Menschenrechte. Wie zu Beginn der Weltkriege 1914 und 1939 herrscht der berauschende Widersinn vom blutigen Kräftemessen. Die Friedensbewegung stellt sich dieser Entwicklung in den Weg – durch Aufklärung; Berufung auf das Völkerrecht; durch das Erkennen des Zusammenhangs von Katastrophen, Kriegen und Kapital; durch Kritik, Protest, Demos und praktischen Widerstand.

Die Geschichte Russlands kann man natürlich in einem Buch nicht behandeln, deswegen konzentriert sich Krone-Schmalz besonders auf die postsowjetische Zeit. In der jüngsten Geschichte liegen mehrere Ursachen begründet, warum es auch heute noch zu Missverständnissen und Konflikten zwischen Russland, den USA und Europa kommt. Außerdem werden die komplexen Beziehungen zwischen Ukraine und Russland sehr detailliert geschildert. Die Hintergründe stellt Krone-Schmalz ausführlich dar und hilft damit, die aktuellen Geschehnisse in ihrer Komplexität besser zu verstehen. An solchen gründlichen Informationen mangelt es in den Medienberichten tatsächlich.

Mit Beiträgen von: Rudolph Bauer, Volker Eick, Julian Firges, Michael Schulze von Glaßer, Rolf Gössner, Franz Hamburger,Peter Herrmann, Sönke Hundt, Claudia Holzner, Otto Jäckel, Ulla Jelpke, Matthias Jochheim, Hans-Jörg Kreowski, Günter Rexilius, Helmuth Riewe, Jörg Wollenberg

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I

Rudolph Bauer (Hrsg.): Kriege im 21. Jahrhundert. Neue Herausforderungen der Friedensbewegung, mit Beiträgen von der Antikriegskonferenz Berlin 2014. Sonnenberg Verlag 2015, 374 S., Euro 19,80 €, ISBN 978-3-933264-77-0

Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens. C.H. Beck 2015, 176 S., 14,95 €, ISBN 978-3-406-67525-6 Anastasia Tomskikh 32


GEDRUCKT

TERMINE JUNI

Ukrainekrise aktuell

11.–22.6. Ausstellung „Hibakusha Weltweit“, Altensteig 14.6. Dokumentarfilm „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“, Nagold

Neues IPPNW-Infoblatt: Jetzt im Shop bestellen

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14.6. Vortrag „Verhängnisvolle Scham – Israels Politik und das Schweigen der Christen“, Kiel

ie Zahl der Opfer des Krieges in der Ukraine wird mittlerweils auf bis zu 50.000 geschätzt. Die Zahl der ins Ausland geflohenen Menschen wird vom UNHCR mit ca. 675.000 beziffert, von ihnen sollen 540.000 nach Russland und 80.000 nach Weißrussland geflohen sein. Sehr besorgniserregend sind die internationale Dimension des Krieges und die Konfrontation der Atomwaffenmächte Russland und NATO. Die Auswirkungen der Ukraine-Krise beeinflussen sowohl die internationalen Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle als auch die Grundpfeiler der europäischen Sicherheitsstruktur in Europa.

17.6. „Der Stadt Bestes suchen“, Vortrag mit Jobst Kraus, Altensteig

JULI 1.7.–15.9 Ausstellung „Hibakusha Weltweit“, Stuttgart 8.7.–9.8. Weltweite Opfer der Nuklearen Kette, Frankfurt/M: Ausstellungseröffnung mit Vortrag von Dr. Alex Rosen am 8.7.

Das IPPNW-aktuell „Ukraine: Frieden in Europa nur mit Russland“ beleuchtet die Hintergründe und informiert über die friedenspolitischen Forderungen der IPPNW.

15.7. Vortrag Prof. Norman Paech, „Sind Atomkrieg und radioaktive Verseuchung unserer Erde durch internationale Verträge zu verhüten?“, Frankfurt/M.

Zu bestellen im IPPNW-Shop – oder online anzuschauen auf ISSUU: http://kurzlink.de/shop-aktuell – www.issuu.com/ippnw

22.7. Filmvorführung „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“, Frankfurt/M.

GEPLANT

AUGUST

Das nächste Heft erscheint im September 2015. Das Schwerpunktthema ist:

5.8. Nacht der Kerzen, Berlin

Zivile Konfliktbearbeitung

5.8. Nacht der 70.000 Kerzen, Weiden

Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 143 / September 2015 ist der 31. Juli 2015. Das Forum lebt von Ihren Ideen und Beiträgen. Schreiben Sie uns: forum@ippnw.de

6.8. Vortrag Prof. Götz Neuneck: „Auf dem Weg in die atomwaffenfreie Welt oder in den Abgrund“, Frankfurt/M.

IMPRESSUM UND BILDNACHWEIS

6.8. Tag der Erinnerung und Mahnung, Berlin

Herausgeber: Internationale Ärzte für die Verhü-

Layout: Regine Ratke; Druck: Clever24 GmbH

tung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verant-

Berlin; Papier: Recystar Polar, Recycling & FSC.

wortung e. V. (IPPNW) Sektion Deutschland

Bildnachweise: S. 6 li: Herry Lawford/CC-

Redaktion: Sabine Farrouh (V.i.S.d.P.), Angelika

BY-SA 2.0; S.6 Mitte: „Stop TTIP“-Sammel-

Wilmen, Regine Ratke

aktion in Berlin, Anne Dänner/CC-BY-SA 2.0;

Freie Mitarbeit: Anastasia Tomskikh

S. 6 re: Imrana Kapetanovic/medica mondiale

Anschrift der Redaktion: IPPNWforum, Körte-

& Medica Zenica; S. 7 li: „Medizin“, Peter-

straße 10, 10967 Berlin, Telefon: 030 / 69 80 74-0,

Franz/CC-BY-SA 2.0; S.7. Mitte: Health Work

Fax: 030 / 693 81 66, E-Mail: ippnw@ippnw.de,

Committee Hebron; S.7 li: „Rheinmetall ent-

www.ippnw.de, Bankverbindung: Bank für Sozial-

rüsten“ 2014, Foto: Aktion Aufschrei; S. 12:

wirtschaft, Kto-Nr. 222 2210, BLZ 10 020 500,

dierk schaefer/CC-BY-SA 2.0; S.14 oben: Magha-

IBAN: DE39 1002 0500 0002 2222 10, BIC:

rebia/creativecommons by-nc-sa/2.0; S.23 unten

BFSWDE33BER

(Ausschnitt):

Das Forum erscheint vier Mal im Jahr. Der Be-

rium/CC-BY-SA 2.0; S.25 unten (Ausschnitt):

zugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag

Chatham House/CC-BY-SA 2.0; S.29 o.re. Bun-

enthalten. Sämtliche namentlich gezeichnete Arti-

desarchiv, Bild 183-1984-0909-406 / Karl-Heinz

kel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der

Schindler / CC-BY-SA 3.0; S. 34: arbeiterfotogra-

Redaktion oder des Herausgebers. Nachdrucke

fie.com/Peter Asmussen;

bedürfen der schriftlichen Genehmigung.

nicht gekennzeichnete:

Gestaltungskonzept:www.buerobock.de

privat oder IPPNW.

Österreichisches

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Außenministe-

6.8. Gedenkveranstaltung 70. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki, Dortmund

SEPTEMBER 13.–19.9. Global Health Summer School, Berlin 12.9. Global Health Conference: „Globalisation, Refugees and Health“, Berlin Informationen und Kontaktdaten: www.ippnw.de/aktiv-werden/termine

OKTOBER 2.–4.10.2015 Unser Rezept für Prävention: IPPNW-Friedenskongress in Frankfurt/Main


G EFRAGT

6 Fragen an … Elsa Rassbach

US-Friedensaktivistin, Journalistin

1

Im März protestierten Friedensaktivisten vor dem US-Militärstützpunkt Creech (US-Bundesstaat Nevada) gegen Drohneneinsätze. Was genau ist dort passiert? Bei der Aktion „Shut Down Creech“ haben mehr als 100 Aktivisten die Schließung des Stützpunkts gefordert. Die Demonstranten legten sich auf die Straßen zu den zwei Eingängen zur Basis, damit die Drohnenpiloten ihre Arbeit nicht aufnehmen konnten. Der aufgestaute Verkehr war über zwei Kilometer lang. Obwohl die Demonstranten ruhig liegen blieben, wurden 34 von ihnen verhaftet.

Stimmen!) beschlossene Resolution fordert die Mitgliedsstaaten auf, dafür zu sorgen, dass sie „im Einklang mit ihren rechtlichen Verpflichtungen keine rechtswidrigen gezielten Tötungen verüben oder solche Tötungen durch andere Staaten begünstigen“.

5

Sie engagieren sich bereits seit Jahren gegen die Tötung durch die Drohnen. Haben Sie Hoffnung, den US-Drohnenkrieg irgendwann stoppen zu können? Nach der Entschließung des Europäischen Parlaments bin ich zuversichtlich, dass wir hier in Europa den Mord durch Drohnen beenden könnten und zwar durch die Schließung der SatellitenRelais-Station in Ramstein. Das fordert die Familie bin Ali Jaber aus Jemen vor dem Verwaltungsgericht Köln.

2

Obwohl die gezielte Tötung von Menschen durch Drohnen in der Bundesrepublik den Tatbestand des Mordes darstellt, kooperiert der Militärstützpunkt in Ramstein mit dem in Creech? Ja, Drohnenpiloten aus Creech und anderen Stützpunkten in den USA töten fast täglich per Joystick Menschen. Bei jedem dieser Anschläge sterben durchschnittlich 28 Unbeteiligte, darunter Kinder. Die Drohnen sind in der Nähe des Ziels stationiert und von dort wird ein Signal per Satellit nach Ramstein gesendet und dann über ein Glasfaserkabel in die USA, wo die Piloten sitzen.

6

Worum geht es bei diesem Prozess? Am 29. August 2012 schlugen in Khashamir im Osten des Jemen fünf Raketen ein, abgefeuert von US-Drohnen. Viele Mitglieder der Großfamilie bin Ali Jaber waren wegen einer Hochzeit in dem Dorf. Salim und Walid Abdullah bin Ali Jaber wurden von den Raketen getötet, andere Verwandte sind bis heute traumatisiert. Weil das Grundgesetz das Recht auf Leben garantiert erhebt die Familie nun Klage gegen die deutsche Regierung. Sie fordern die Regierung auf, „die Nutzung der Satelliten-Relais-Station in Ramstein zu unterbinden“. Die Klage wurde durch das Verwaltungsgericht in Köln am 27. Mai 2015 abgelehnt. Dennoch hat die Familie schon Bahnbrechendes erreicht. Die Klage wird vor deutschen Gerichten zugelassen, und das Kölner Gericht bestätigte, dass die Medienberichte zur zentralen Rolle von Ramstein bei den US-Drohnen-Tötungen „plausibel“ seien. Die Menschenrechtsorganisationen Reprieve in Großbritannien und ECCHR in Deutschland, die die Familie bin Ali Jaber vertreten, kündigten nach dem Richterspruch umgehend die Prüfung von Rechtsmitteln gegen das Urteil an. Parallel zum Verfassungsfall will nun die Bundesanwaltschaft erneut prüfen, welche Rolle die US-Militärbasis Ramstein im weltweiten Drohnenkrieg der USA spielt.

3

Und warum toleriert das die deutsche Bundesregierung? Sie könnte es beenden, indem sie das Stationierungsabkommen mit den USA kündigt und neu aushandelt. Die Bundesregierung möchte aber nicht wahrhaben, dass Handlungen des US-Militärs und der US-Sicherheitsdienste auf deutschem Boden eine Gefahr auch für die Sicherheit Deutschlands und seiner BürgerInnen bedeutet. Seit den Anschlägen von New York darf der US-Präsident jeden auf der Welt verhaften oder töten lassen, den er mit Hilfe der CIA als Terrorist ausgemacht haben will. Nicht nur in Afghanistan oder Pakistan, sondern theoretisch auch in Russland.

4

Wie reagiert das Europäische Parlament auf diese völkerrechtswidrige Politik der USA? Das Europäische Parlament hat dieses US-Vorgehen im Februar 2014 vehement mit einer gemeinsamen Entschließung zurückgewiesen. Die mit überwältigender Mehrheit (534 gegen 49

Die Fragen stellte Markus Bernhardt. Die leicht veränderte Orignalfassung erschien am 11. März 2015 in der Jungen Welt – Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages. 34


ANZEIGEN

W&F die Wissenschaftszeitschrift für Friedensforschung, Friedensbewegung und Friedenspolitikpolitik erscheint seit 1983. Sie ◆

publiziert zu friedenspolitischen, militär-strategischen und rüstungstechnischen Fragen;

untersucht Gewaltursachen und -verhältnisse;

thematisiert Wege und Möglichkeiten zur zivilen Konfliktbearbeitung, zur Wahrung der Menschenrechte und Zukunftssicherung;

bezieht aus natur-, politik- und sozialwissenschaftlicher, psychologischer und ethischer Sicht Position zur Verantwortung der Wissenschaft;

informiert über aktuelle Publikationen und Termine;

berichtet aus Initiativen und Projekten, von Konferenzen und Tagungen.

W&F erscheint vierteljährlich mit 60 bis 80 Seiten und einem 12 bis 20seitigen Dossier in gedruckter Form und digital.

gedruckt und digital erhältlich

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Foto Original: Rasande Tyskar, creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/


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Unser Rezept für Frieden:

Prävention —Konferenz vom 2. bis 4. Oktober 2015 in Frankfurt am Main.

www.kultur-des-friedens.de


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