Foto: © Bilal El Soussi / www.bilalelsoussi.com
ippnw forum
das magazin der ippnw nr148 dez2016 3,50€ internationale ärzte für die verhütung des atomkrieges – ärzte in sozialer verantwortung
- Zu Besuch in der Ukraine - Syrien: Zivile Lösungen statt Bundeswehr! - 6 Fragen an: Ray McGovern, CIA-Analyst
Atomwaffen abrüsten: Die Zivilgesellschaft macht Druck
issuu.com/ippnw Für IPPNW-Mitglieder und AbonnentInnen:
Stapeln sich bei Ihnen auch die Zeitschriften? Als IPPNW-Mitglied oder Forum-AbonnentIn haben Sie ab jetzt die Möglichkeit, das Forum bequem online zu lesen. Interesse? Dann senden Sie uns bitte die Karte unten oder eine E-Mail an: forum@ippnw.de Bitte vergessen Sie nicht, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Sie erhalten dann jeweils bei Erscheinen des Forums eine E-Mail mit dem Link zur Online-Ausgabe.
Umweltfreundlich und immer dabei: Das IPPNW-Forum online.
Ich möchte das IPPNW-Forum abonnieren
Ich bin bereits Mitglied/AbonnentIn und möchte zukünftig keine gedruckten Ausgaben mehr erhalten. Ich lese ab der nächsten Ausgabe lieber nur noch online.
Per FAX an 030/693 81 66
zum Preis von 20 Euro jährlich zum Förderbeitrag von 40 Euro jährlich.
zusätzlich zur gedruckten Ausgabe auch einen Link zur aktuellen Online-Ausgabe erhalten.
Ich möchte das Forum erhalten als: Druck
Druck & Online
nur Online.
Name
Straße
IPPNW Deutsche Sektion Körtestraße 10 10967 Berlin
Plz, Ort
Unterschrift
EDITORIAL Frederik Holz ist Mitglied im Vorstand der deutschen IPPNW.
Grafik: ICAN / CC-BY-2.0
I Grafik: ICAN
n dieser Ausgabe des Forums geht es um die Entwicklungen in der atomaren Abrüstung. Erstmalig seit Ende des Ost-West-Konflikts gibt es in der NATO wieder Überlegungen, militärische Übungen mit Blick auf eine nukleare Eskalation durchzuführen. Angelika Wilmen resümiert die atomaren Drohgebärden der NATO und Russlands, die im Zuge der Interventionen in Syrien immer bedrohlichere Dimensionen annehmen. Ob sich der Konflikt unter dem neuen US-Präsidenten weiter zuspitzen oder eher entspannen wird, bleibt abzuwarten. Ein Donald Trump am atomaren Drücker löst bei vielen Menschen in Europa allerdings große Besorgnis aus. Wachsenden Widerstand gegen das nukleare Vabanque der Atomwaffen- und der NATOStaaten leisten die Länder des globalen Südens. Xanthe Hall berichtet von der bahnbrechenden Abstimmung in den Vereinten Nationen, bei der eine breite Mehrheit von 123 Staaten den Beginn von Verhandlungen für einen Verbotsvertrag in 2017 einläutete. Janet Fenton von der Kampagne für nukleare Abrüstung schildert, wie sich in Schottland breiter gesellschaftlicher Widerstand gegen die Erneuerung des britischen TridentSystems formiert. London hat die milliardenschwere Aufrüstung der über 30 Jahre alten U-Boot-basierten Atomwaffen im Parlament durchgesetzt. Die schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen könnten diese Pläne durchkreuzen – die Trident-Flotte ist in Faslane bei Glasgow stationiert. Die Bewegung gegen die Atomwaffen im pfälzischen Büchel feiert ihren 20. Geburtstag. 1996 fing alles an, mit einer Sitzblockade der „Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen“. Wie die Proteste vor Ort immer mehr Auftrieb bekamen und sich verankern konnten, berichtet Dr. Elke Koller. Das Titelbild stammt von einer 3D-Installation anlässlich des Internationalen Friedenskongresses in Berlin – aufgenommen hat es Bilal El Soussi. Interessante Lektüre wünscht Ihnen – Frederik Holz 3
INHALT Wir gratulieren: Prof. Dr. Ulrich Gottstein wird 90
18
THEMEN IPPNWlerinnen zu Besuch in der Ukraine.............................................8 Die Traumata der anderen: Ukrainerinnen in Deutschland ...........9 Wasserbesatzung im Westjordanland ....................................................10 Bundeswehrmandat für Syrien verlängert .......................................... 12 Flucht, Trauma und Gesundheit: Die Global Health Summer School ................................................................................................. 13 Geschichte erleben: Der internationale Kongress „Medizin und Gewissen“ ...............................................................................14 Atomkraft jetzt den Saft abdrehen: Demo in Lingen...................16 Fukushima: Neue Erkenntnisse zu
Ausgetrocknet: Wasserbesatzung im Westjordanland
10
Schilddrüsenkrebs-Erkrankungen ............................................................17 Zum 90. Geburtstag von Prof. Dr. med. Ulrich Gottstein ........ 18
SCHWERPUNKT Atomare Abrüstung von unten .................................................................. 20 Unsere Trumpfkarte: Atomwaffenverbot in Sicht .......................... 22 Die Gefahr eines Atomkrieges wächst: Eine Chronik der nuklearen Eskalation ................................................24 Trident verschrotten: Ein Bericht aus Schottland ......................... 26 Ein visionäres, aber erreichbares Ziel – Protest in Büchel
....
28
WELT Demonstration in Lingen: Atomkraft jetzt den Saft abdrehen
16
Nord und Süd treffen sich in Havanna ............................................... 30
RUBRIKEN
Foto: Karin Behr / PubliXviewinG, CC-by-ND
Editorial ......................................................................................................................3 Meinung .....................................................................................................................5 Nachrichten .............................................................................................................6 Aktion .......................................................................................................................31 Gelesen, Gesehen............................................................................................. 32 Gedruckt, Geplant, Termine ....................................................................... 33 Gefragt .................................................................................................................... 34 Impressum/Bildnachweis ............................................................................. 33
MEINUNG
Angelika Claußen ist IPPNWVizepräsidentin für Europa.
D
„Wir brauchen keine Todesstrafe, wir brauchen Demokratie,“erklärte Prof. Dr. Sebnem Korur Fincanci als Reaktion auf die Rufe nach Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei.
as war nur wenige Tage vor ihrem Prozess am 8. November 2016 beim 13. Strafgerichtshof in Istanbul. Sebnem Korur Fincanci ist Vorsitzende der türkischen Menschenrechtsstiftung und Trägerin des International Peace Work Award. Ihr, dem Journalisten Erol Önderoglu und dem Schriftsteller Ahmet Nesin wirft die türkische Staatsanwaltschaft „Propaganda für eine terroristische Organisation“ vor – wegen ihrer Teilnahme an einer Solidaritätsaktion für die pro-kurdische Zeitung Özgür Gündem im Mai dieses Jahres. Im Mai waren die drei im Rahmen einer Anhörung bei der Staatsanwaltschaft direkt ins Gefängnis abgeführt worden, so wie der bekannte Cumhuriyet-Journalist Can Dündar – und jetzt auch weitere KollegInnen aus der Redaktion. In der Türkei gibt es eine jahrzehntelange Geschichte des Kampfes um Demokratie und für die Anerkennung der Kurden, für Menschenrechte und gegen die systematische Anwendung von Folter. Denn Folter wird laut Berichten von Amnesty International systematisch angewendet. Metin Bakkalci, der Generalsekretär der Menschenrechtsstiftung spricht von ca. einer Millionen Folteropfern zwischen 1980 und 2005.
S
eit dem Scheitern des Friedensprozesses zwischen der AKPRegierung und der HDP im März 2015 hatte die Regierung einen immer totalitäreren Kurs verfolgt. Im August 2015 hatte sie mit der militärischen Abriegelung der kurdischen Städte an der syrischen Grenze begonnen. Während der Ausgangssperren sind hunderte von Menschen getötet, Häuser und Infrastruktur der Städte gezielt zerstört worden. Sebnem Korur Fincanci hatte mit einer der Delegationen der Ärztekammer die Stadt Cizre besucht. Sie hatte anhand der medizinisch-pathologischen Spuren nachgewiesen, dass ZivilistInnen in den Kellern von Häusern mit Brandbomben getötet wurden. Auch diese Aktivität mag ein Grund sein, dass Fincanci im Mai 2016 verhaftet wurde. Angesichts der düsteren Faktenlage wird die Solidarität mit der Menschenrechtsstiftung, mit Sebnem Korur Fincanci und mit zahlreichen anderen HeilberuflerInnen und MenschenrechtlerInnen weiterhin dringend erforderlich sein. Die Menschenrechtsstiftung ruft jetzt zur Solidarität mit Dr. Serdar Küni auf, ihrem Vertreter in Cizre, der vor kurzem inhaftiert wurde. 5
Foto: Donna McKay
NACHRICHTEN
Türkei: Prozess gegen MenschenrechtsaktivistInnen vertagt
Japan: Gestiegene Perinatalsterblichkeit nach Fukushima
Nuclear Future Award geht an Arif Ali Cangi und Susi Snyder
D
E
D
er für den 8. November 2016 angesetzte Prozess gegen die Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV), Prof. Dr. Sebnem Korur Fincancı, den Journalisten Erol Önderoglu und den Schriftsteller Ahmet Nesin wurde auf den 11. Januar 2017 vertagt. Den dreien wird das Betreiben von „Propaganda für eine terroristische Organisation“ vorgeworfen, weil sie sich an einer Solidaritätsaktion für die pro-kurdische Zeitung Özgür Gündem beteiligt hatten. ProzessbeobachterInnen aus sieben Ländern, darunter auch Gisela Penteker von der IPPNW, begleiteten den Prozessauftakt und forderten die Einstellung des Verfahrens. Zuvor hatten sie an einem Forum für Gerechtigkeit und Freiheit der Ärztekammer von Istanbul sowie einer Mahnwache für Meinungsfreiheit vor dem Gerichtsgebäude teilgenommen. Dort solidarisierten sich viele Menschen mit den Angeklagten und es wurde an die derzeit 142 in der Türkei inhaftierten JournalistInnen sowie die vielen weiteren Opfer der Säuberungsaktionen in Folge des gescheiterten Militärputsches erinnert. Sebnem Korur Fincancı mahnte derweil, nicht aufzugeben und forderte weiteres Engagement im Friedensprozess mit der kurdischen Bevölkerung in der Türkei: „Es berührt mich, dass so viele gekommen sind. Es macht mich froh und zuversichtlich. Solange wir kämpfen, werden wir auch gewinnen.”
ine kürzlich veröffentlichte Studie stellt einen möglichen Zusammenhang zwischen erhöhter Perinatalsterblichkeit und radioaktivem Niederschlag in Japan nach der Reaktorkatastrophe im März 2011 fest. Hagen Scherb et al. untersuchten die Todesfälle zwischen der 22. Schwangerschaftswoche und dem siebten Tag nach der Geburt. Die Studie stellte fest, dass sich die Perinatalsterblichkeit in den Regionen, die nach dem Unglück von radioaktivem Niederschlag betroffen waren, signifikant von anderen Regionen unterschied. Zu diesem Zweck unterteilte man die 47 japanischen Präfekturen in drei Gruppen: Schwerwiegend, moderat, nicht oder geringfügig kontaminiert. In allen Präfekturen zeigt sich eine relative Reduktion der perinatalen Todesfälle von 2001 bis 2012. In den sechs schwerwiegend kontaminierten Präfekturen ist dann ein signifikanter Sprung in diesem Trend von ca. 15 Prozent im Januar 2012, etwa zehn Monate nach Erdbeben und Tsunami sichtbar. Die relative Reduktion der Perinatalsterblichkeit setzt sich auch nach der Katastrophe fort, jedoch auf einem insgesamt höheren Level. In den moderat kontaminierten Regionen zeigt sich ein Sprung von 6,8% im Januar 2012, während in den nicht oder geringfügig kontaminierten Präfekturen keine Veränderung der Perinatalsterblichkeit zu sehen ist. Eine Kausalität lässt sich zwar nicht beweisen, erscheint jedoch wahrscheinlich.
er von der IPPNW unterstützte und mit insgesamt 30.000 US-Dollar dotierte Nuclear-Free Future Award ist seit 1998 eine internationale Ehrung für Menschen, die sich für das Ende des Atomzeitalters und somit gegen die militärische und zivile Nutzung der Atomenergie einsetzen. Die Preisverleihung fand am 17. November 2016 in Südafrika statt. Die IPPNW hatte zwei der fünf PreisträgerInnen nominiert. In der Kategorie „Widerstand“ erhielt der türkische Anwalt Arif Ali Cangi den Preis, für sein unermüdliches Engagement im Kampf gegen die Atompläne der Regierung. In einer Zeit, in der der hart gegen unliebsame Opposition im Lande vorgegangen wird, streitet er gegen die illegale Lagerung von Atommüll in Gaziemir, den Bau eines Atomkraftwerks in Akkuyu und den Uranbergbau im ganzen Land. Den Ehrenpreis erhielt die ebenfalls von der IPPNW nominierte Susi Snyder, die als Frontfigur der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), unter anderem die Verwicklung hunderter Finanzinstitute mit Unternehmen der Nuklearwaffenindustrie offenlegte. Weitere Preisträger sind der französische Physiker Dr. Bruno Chareyron, der Geschäftsführer der Stiftung Solarenergie in Äthiopien Samson Tsegaye, sowie der Kämpfer gegen die gesundheitlichen Folgen des südafrikanischen Atomprogramms Alfred Manyanyata Sepepe. Weitere Infos: nuclear-free-future.com
Mehr dazu unter: kurzlink.de/perinatal 6
N ACHRICHTEN
US-Militär hat Uranwaffen in Syrien eingesetzt
ICAN-Begründer Bill Williams ist gestorben
AKW Hinkley Point C dient der Finanzierung von Atomwaffen
C
I
PPNW-Mitglieder weltweit betrauern den Verlust des 57jährigen Arztes Bill Williams, der in der Nacht vom 12. auf den 13. September 2016 starb. Der weltbekannte Aktivist und Mitbegründer der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) hatte in Australien und weltweit gegen Atomwaffen und Uranabbau gekämpft. Mit seiner Frau Gisela Gardener war er oft in der Welt und auch in Deutschland unterwegs.
L
aut einer Studie der University of Sussex nutzt Großbritannien den Bau des neuen Atomkraftwerks Hinkley Point C zur Vertuschung der enormen Kosten der Aufrüstung und Modernisierung seiner nuklearen Abschreckungskapazitäten „Trident“. Die Kosten für die beiden Atomreaktoren in Hinkley Point werden derzeit mit mindestens 27,4 Milliarden Euro beziffert – mehr als das Doppelte des Preises baugleicher Meiler andernorts.
Im Sommer hatte er mit Gisela Gardener an der IPPNW-Aktion in Büchel in der Eifel teilgenommen. Für viele deutsche IPPNWMitglieder war diese Begegnung die letzte mit ihm.
Die Studie weist darauf hin, dass es diverse ökologisch unbedenkliche und günstigere Alternativen zum Neubau des Atommeilers gebe, was das Argument der Notwendigkeit des Kraftwerks zur Sicherstellung der Energieversorgung entkräftet.
ENTCOM, das Zentralkommando der US-Streitkräfte, hat am 20. Oktober 2016 eingeräumt, dass die US-Luftwaffe bei zwei Einsätzen im November 2015 in Syrien insgesamt 5.100 Ladungen panzer- und bunkerbrechender Uranmunition verschossen habe. Diese setzt beim Aufprall auf das Ziel hochtoxische, radioaktive Uranoxide in Nanopartikelgröße frei, die schwere Auswirkungen auf die Gesundheit der in den Einsatzgebieten lebenden Menschen haben. So kommt es dort gehäuft zu Krebserkrankungen und Missbildungen bei Neugeborenen. Zuvor hatten die USA den Gebrauch solcher Munition im Kampf gegen den IS stets vehement bestritten. CENTCOM erklärte, vorherige Stellungnahmen seien auf Fehler in der Berichterstattung zurückzuführen. Die Internationale Kolition zur Ächtung von Uranwaffen (ICBUW), die IPPNW Deutschland und PAX Niederlande haben die US-Regierung nun aufgefordert, über die beiden Vorfälle und die Handhabung des Gebrauchs von Uranwaffen in diesem Konflikt aufzuklären. Entgegen offizieller Stellungnahmen der USA waren laut ICBUW-Recherchen bei beiden Angriffen keine gepanzerten Ziele zugegen. Kinderarzt und IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Alex Rosen erklärte, dass selbst kleinste Mengen Uranstaub ganze Landstriche kontaminieren würden. Das Schwermetall könne „auch lange nach den eigentlichen Kampfhandlungen zu Nierenerkrankungen, Krebs, Missbildungen bei Neugeborenen und Fehlgeburten führen.“
Bill Williams war vormals Präsident der Medical Association for the Prevention of War (MAPW) und der australischen IPPNW-Sektion. Bis zuletzt war er Vorsitzender des ICAN-Vorstands in Australien. Seine Arbeit als Arzt führte ihn in den „Outback“, wo er in den indigenen Gemeinschaften praktizierte. IPPNW-Kopräsident Tilman Ruff, der die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen 2007 mit Bill Williams begründet hatte, sagte: „Hier und in vielen anderen Orten hat Bill Menschen durch seine visionäre und inspirierende Führerschaft in der globalen Gesundheitsarbeit inspiriert, um die Welt von Atomwaffen und von der toxischen nuklearen Kette zu befreien.“
Mehr Infos unter: www.uranmunition.org 7
Vielmehr verweisen die Wissenschaftler aus Sussex auf Dokumente, laut derer Rüstungsunternehmen wie Rolls-Royce und BAE Systems „eine robuste zivile Nuklearindustrie für unerlässlich halten, um das britische Atom-U-Boot-Programm aufzupolieren.“ Zivile Atomprojekte wie in Hinkley Point böten demnach die Möglichkeit, „die hohen Entwicklungskosten für eine neue Atom-U-Boot-Flotte“ zu verbergen, die sich ohnehin bereits auf offiziell 35,9 Mrd. Euro belaufen. Paradoxerweise, wird ein Drittel der Kosten für Hinkley Point von chinesischen Investoren übernommen, die damit auch die möglicherweise gegen China gerichteten, nuklearen Abschreckungskapazitäten Großbritanniens mitfinanzieren würden.
FRIEDEN
Dialog zur Überwindung von Krieg und Leid Eine Reise von IPPNW-Mitgliedern in die Ukraine
und Russland bekämpfen sich bis auf den letzten Ukrainer… Die Höflichkeit des ersten Besuches gebot, nicht weiter zu insistieren, auch um die GastgeberInnen nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Wir gehen davon aus, dass nach Herstellung einer Vertrauensbasis eine weitere beide Seiten bereichernde Auseinandersetzung möglich sein wird.
I
n Odessa kamen wir mit MitarbeiterInnen einer Beratungsstelle zusammen, die sowohl Gruppenangebote für ehemalige Soldaten als auch für Flüchtlinge aus dem Osten anbietet. Diese Angebote seien anfangs nurFotos: getrennt gewesen. Marlenemöglich Pfaffenzeller/IPPNW Inzwischen sei über die Alltagsprobleme, die beide Seiten teilen, die Möglichkeit entstanden, gemeinsame Gesprächskreise durchzuführen.
Ende September 2016 reiste eine kleine Gruppe für zehn Tage nach Kiew und Odessa, darunter zwei IPPNW-Mitglieder.
W
ir besuchten Orte, die in der ferneren und näheren Vergangenheit eine Rolle gespielt haben. In Kiew sahen wir z.B. den Maidan und die Gedenktafeln für die 2014 getöteten DemonstrantInnen (für die ebenfalls getöteten zwölf Polizisten sind keine Gedenktafeln zu finden) und das interessante Tschernobylmuseum. Weitere Stationen waren das ehemalige Anwesen von Viktor Janukowitsch in Meschegorye, das leerstehende Gewerkschaftshaus in Odessa, dem die Spuren des Brandes vom 2. Mai 2014 noch anzusehen sind, und die Katakomben, in denen sich im zweiten Weltkrieg WiderstandskämpferInnen gegen die deutsch-rumänische Besatzung versteckten. Wir haben versucht, in Gesprächen mit zivilgesellschaftlich engagierten Menschen die Geschichte des aktuellen Konflikts zu verstehen und einen Eindruck von der aktuellen Situation zu bekommen. Wir trafen Menschen, die sich für die Überwindung des durch den Krieg und die Verarmung entstandenen Leids einsetzen. In Kiew z.B. versucht eine junge Psychologin, Friedens-
erziehung an den Schulen zu etablieren: Seminare zur gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg sollen in die Ausbildung von LehrerInnen einfließen.
M
ehrere Besuche galten PsychotherapeutInnen, die sich für die psychologische und psychiatrische Betreuung von traumatisierten Soldaten und ihren Familien sowie von vertriebenen oder geflohenen ZivilistInnen einsetzen. Uns gegenüber wurde meist eine klare Auffassung vom Ukraine-Konflikt vertreten: Er sei kein inner-ukrainischer Konflikt und auch keiner mit der russischen Bevölkerung. Aber aufgrund der russischen Propaganda seien die Menschen im Osten der Ukraine und in Russland überzeugt worden, in Kiew habe sich eine faschistische, russenhassende Regierung an die Macht gebracht. Auf unsere skeptischen Rückfragen und Hinweise auf geostrategische Zusammenhänge und die Rolle von EU, USA und NATO wurde kaum eingegangen. Ein Psychologe sagte aber: „Bei uns in der Ukraine gibt es die Redewendung: Die USA 8
Unsere GesprächspartnerInnen vermittelten uns den Eindruck, dass sich die ehemaligen Soldaten, wie in anderen Kriegen, vom Staat nicht ausreichend unterstützt fühlen. In ähnlicher Weise fühlten sich die Binnenflüchtlinge alleingelassen. Bei der Wohnungs- und Jobsuche träfen sich dann die Leidtragenden des Krieges: die Geflohenen aus dem „abtrünnigen“ Osten und die Soldaten der Kiewer Regierung. Darüber könne auf lange Sicht Verständnis und Solidarität aufgebaut werden. Was heißt das für uns als Friedensbewegte? Wir wollen mit den engagierten Personen aus der ukrainischen Zivilgesellschaft, die wir kennengelernt haben, im Gespräch bleiben. Grenzen der direkten Zusammenarbeit sehen wir da, wo die psycho-traumatologische Arbeit in militärische Strukturen eingebunden ist. Unser Anliegen ist es, dass die geleistete Arbeit für die Opfer von Krieg, Flucht und Verarmung über den konkreten Einzelfall hinaus reicht und den Dialog zwischen Konfliktparteien fördert. Bewegt hat uns der Satz einer Psychotherapeutin: „Helden trennen – Opfer verbinden.“
Svea Ledig studiert Susanne Grabenhorst ist Vorsitzende der Medizin in Lübeck und ist IPPNW-Mitglied. deutschen IPPNW.
FRIEDEN
Die Traumata der anderen
O
Zwei Ukrainerinnen zu Besuch in Deutschland
lga Malaja lebt in Donezk. Sie ist Psychotherapeutin und behandelt Kinder und Erwachsene, die unter kriegsbedingten Traumata leiden. Ljudmila Litwinenko lebt in Kiew. Sie ist Psychotherapeutin und kümmert sich um traumatisierte ukrainische Soldaten. Zwei Frauen, der gleiche Beruf und die gleiche Arbeit – zwischen ihnen die Front. In Deutschland traten Ljudmila und Olga bei der Global Health Summer School der IPPNW auf und sprachen vor Studierenden über ihre Arbeit und die Möglichkeiten eines Dialogs über Konfliktlinien hinweg.
Ljudmila war 2014 bei den Protesten auf dem Maidan dabei – vom Anfang bis zum Ende. „Damals hatten wir die Hoffnung, mit den bewaffneten Soldaten ins Gespräch zu kommen“, sagt sie. Wir wollten ihnen in die Augen sehen, doch ihre Gesichter waren zu Stein erstarrt. Ein Dialog hat nicht stattgefunden. Selbst die Söhne in Uniform weigerten sich mit ihren Müttern zu sprechen. „Wir haben verloren“, erinnert sich Ljudmila und ihre Augen werden feucht. Danach sei es zu den ersten Toten gekommen. „Und das war das erste Signal für uns, dass es Krieg geben würde.“ Olga arbeitete zur selben Zeit als Psychologin in Donezk. Sie hat die Nachrichten über die Maidan-Proteste gehört, die ihr große Angst gemacht haben. Erst durch die Gespräche mit Ljudmila habe sie sich in die Menschen hineinversetzen können, die damals friedlich auf die Straße gingen. Ich denke, dass
Ljudmila es auf dem Maidan sehr schwer hatte, sagt Olga. Es muss schmerzhaft für sie gewesen sein, so hilflos zu sein. Sie habe Achtung vor ihrer Weltanschauung. Der Krieg bricht in Olgas Leben ein, als in die Kindertraumatologie auf der Intensivstation, in der sie arbeitet, zwei schwer verletzte Jungen eingeliefert werden, der eine zehn, der andere fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Sie hätte in ihren Gesichtern lesen können, welche Schmerzen sie aushalten mussten. Sie hatten gespielt und Artilleriegeschosse gehört. Als sie weglaufen wollten, war es schon zu spät. Für Olga spielt die Frage der Täter keine Rolle. Dafür gebe es keine Zeit. Die erste Frage der Eltern sei, wie man das Leben der Kinder retten könne. Es gehe darum, den Kindern Liebe und Wärme zu vermitteln. Ljudmila arbeitete nach Ausbruch des Krieges als Psychotherapeutin. Eines Tages rief ein Oberst aus der Hubschrauberdivision an. Drei seiner Soldaten waren zwar nicht verwundet, aber schwer traumatisiert. Ein Hubschrauber mit acht Soldaten war beschossen worden. Er geriet ins Trudeln und es war klar, dass die Maschine abstürzen würde. Ljudmila erzählt, dass der Kommandant die Soldaten gefragt habe, wie alt sie seien. Dann entschied er, dass die drei jüngsten mit Fallschirmen abspringen dürften. Die Älteren blieben in der Maschine, weil der Hubschrauber auf die Stadt Slaviansk zu fallen drohte. Sie kamen ums Leben. Ljudmila beschreibt, dass die überlebenden Soldaten seelisch eingefroren gewesen seien. Sie hätten nicht über ihr Überleben nachgedacht, sondern wollten unbedingt die Leichen finden und identifizieren. Über sich selbst hätten sie nicht sprechen wollen. „Das Jahr 2014 war voller Tränen“, sagt Ljudmila. Seither sei es etwas leichter geworden. Doch es falle ihr schwer, die Arbeit von ihren Gefühlen zu trennen. Viele ihrer Freunde seien auf dem Maidan ums Leben gekommen. Ihr Ehemann sei noch im Krieg. Sie weine, um den Schmerz herauszulassen. Dann gehe es ihr besser. 9
Darauf angesprochen, wie es ihr mit den Schilderungen von Ljudmila gehe, antwortet Olga, dass sie die Erzählungen sehr schmerzen würden. Auch sie selbst hole sich bei ihrer Arbeit oft Hilfe. Sie habe alle zwei Wochen eine persönliche Therapie und von Fall zu Fall auch Supervisionen. Flamenco-Tanz in einer Frauengruppe gebe ihr Stabilität und erde sie. Entweder man fliehe oder greife an oder erfriere. „Ich versuche, das Erfrieren zu verhindern“, so Olga.
U
m zu illustrieren, wie der Krieg die Ukraine verändert hat, holt Ljudmila ein schwarzes Band aus der Tasche. Sie legt es auf den Tisch und bindet alle zwei Zentimeter eine Schleife, mal größer, mal kleiner. Das hier ist der Erste Weltkrieg. Anfang der 30er Jahre folgte die große Hungersnot: 14 Millionen Tote. Dann kam der Zweite Weltkrieg, dann Stalin, der Afghanistankrieg mit 16.400 toten UkrainerInnen und der Super-GAU von Tschernobyl. Sie zeigt auf einen weiteren Knoten. Das ist der erste Maidan 2004, dann folgte der zweite Maidan und schließlich der Krieg. Wenn wir das alles betrachten, breitet sich die ganze Katastrophe vor uns aus. „Nur wenn wir an unseren Traumata arbeiten, wird es in der Zukunft weniger Knoten geben“, erklärt Ljudmila. Über ihre Arbeit mit Kriegstraumatisierten haben die beiden Ukrainerinnen sich behutsam angenähert. Durch Olga habe ich erstmals die Situation der Kinder in der Ostukraine gesehen, erklärt Ljudmila. „Kinder dürfen nicht leiden, wir alle sind Eltern“, sagt sie. Und Olga meint: „Für mich war sehr hilfreich, was Ljudmila professionell macht. Ich habe das in meiner Arbeit mit den Kindern angewendet. Wenn Ljudmila ihre persönliche Sicht und ihre Gefühle mit mir teilt, beginne ich sie zu verstehen und zu schätzen.“
Angelika Wilmen ist Pressesprecherin und Koordinatorin der Öffentlichkeitsarbeit der deutschen IPPNW.
FRIEDEN
Wasserbesatzung im Westjordanland Warum die PalästinenserInnen nur über elf Prozent ihrer eigenen Wasserressourcen verfügen
Clemens Messerschmidt ist wütend. Und das mit gutem Grund. Er beobachtet seit über 20 Jahren die Auswirkungen der israelischen Besatzung auf die Wasserverteilung in den palästinensischen Gebieten. Wir befinden uns in Salfit, einer Kleinstadt im Westjordanland. Salfit rückte vor einigen Wochen auf Grund eines wegen Einseitigkeit massiv kritisierten Tagesschau-Beitrages in den Fokus medialer Aufmerksamkeit.
A
uch Clemens Messerschmidt, als Hydrogeologe in den palästinensischen Gebieten tätig, sprach in diesem Beitrag von ungerechter Wasserverteilung, an anderer Stelle verwendet er den Begriff der Hydroapartheid. Um mehr über die Hintergründe der Wasserproblematik zu erfahren, treffen wir als IPPNW-Reisegruppe in Salfit den Bürgermeister und den Leiter der städtischen Wasserbehörden. Wir werden zunächst mit einer Lobesrede auf die deutsche Entwicklungshilfe empfangen. Am Ende des Tages sind wir uns nicht mehr so sicher, wie berechtigt dieses Lob ist. Salfit ist der palästinensische Ort mit der jährlich höchsten Regenfrequenz und liegt im Bereich des größten Aquifers der Westbank. Dennoch erlitt die Stadt diesen Sommer eine massive Wasserknappheit. Zweimal kam es über 24 Stunden zu einem kompletten Abbruch der Wasserzufuhr. Dabei handelt es sich um ein jährlich wiederkehrendes Phänomen.
serverbrauch in den Siedlungen, so sinkt die den palästinensischen Städten zur Verfügung gestellte Wassermenge.
U
nsere Gesprächspartner präsentieren uns die palästinensische Wasser-Bilanz: Während der monatliche Wasserbedarf im Sommer bei fast 70.000 m3 liegt, betrug die Wasserlieferung im Juni 44.000 und im Juli 56.000 m3. Dies belegen die palästinensischen Wasserzähler. Mit den israelischen Wasserzählern ist es schon
E
in Grund dafür ist, dass die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland ihr Wasser größtenteils von der israelischen Firma Mekorot kauft. Trotz der eigenen Grundwasservorkommen. Mekorot erschließt genau diese palästinensischen Wasservorkommen und verkauft das Wasser anschließend – an die palästinensischen Kommunen und an die nahegelegenen israelischen Siedlungen. Dabei beziehen beide Gruppen ihr Wasser aus derselben Hauptleitung. Mit dem Unterschied, dass der Durchmesser der weiterführenden israelischen Wasserleitungen mit 13,8 Zoll deutlich über dem der palästinensischen Leitungen mit 4,7 Zoll liegt. Steigt nun im Sommer der Was-
Wir konfrontieren unsere Gesprächspartner mit dem Einwand, die Wasserknappheit sei vor allem auf das marode palästinensische Wasserrohrsystem zurückzuführen. Uns wird entgegnet, dass der Wasserverlust zwischen initialer Lieferung und Endverbraucher in Salfit bei nur 19 % liegt. Im Vergleich sind es in Hamburg immerhin noch 8 %. Insgesamt hat Salfit den geringsten Wasserverlust im Westjordanland. Ebenfalls handelt es sich bei den palästinensischen Wasserlieferungs-Zah-
GESPRÄCH IN SALFIT schwieriger, da diese ausschließlich durch die israelischen Behörden abgelesen werden. Die offiziellen israelischen Zahlen sind dabei hochgradig widersprüchlich: Die Werte liegen zum Teil deutlich über, in manchen Monaten deutlich unter den palästinensisch registrierten Wassermengen. Der Bürgermeister erklärt, dass letzteres auch auf die unregelmäßige Ablesung der Zähler zurückzuführen sei. Die ungenauen Kubikmeter-Angaben erschweren die Nachvollziehbarkeit der Wasserlieferungen noch zusätzlich. 10
len um Werte, die an den Hauptwasserzählern abgelesen werden: Ein nachträglicher Verlust durch Rohrbrüche ist zwar möglich, ändert aber nichts daran, dass Mekorot deutlich weniger Wasser lieferte, als benötigt wurde. Die eigentliche Absurdität des Einwandes wird klar, wenn man sich mit dem Thema Entwicklungspolitik im Westjordanland auseinandersetzt. Bereits in den 90er Jahren wurden Pläne für den Bau eines Wasserklärwerks in Salfit sowie zur Verbesserung der wasserversorgenden Infrastruktur aufgestellt. Auch im
NAHE SALFIT IN DER WESTBANK
Oslo-Abkommen von 1993 gibt es einen Artikel, der die Erneuerung der Wasserrohre im Westjordanland vorsieht. Über 20 Jahre später sind diese Vorhaben immer noch nicht umgesetzt. Um zu verstehen warum, muss man das Permit-System in den besetzten Gebieten kennen: Nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 wurden zahlreiche Militärerlasse verabschiedet, die unter anderem den Bereich der Wasserversorgung reglementieren. Laut Erlass ME 158 bedürfen jegliche Wasserprojekte, selbst das Aufstellen einer Zisterne, einer Erlaubnis durch die israelische Militärregierung. Seit dem Oslo-Abkommen liegen zwar in den A- und B-Gebieten offiziell alle zivilen Angelegenheiten in den Händen der palästinensischen Behörden, in der Realität ist die Genehmigung neuer Wasserprojekte aber noch schwieriger geworden.
D
as führt dazu, dass im Bereich des westlichen Aquifers seit 1967 kein einziger Brunnen genehmigt wurde. Letzteres bedeutet, wie die diesjährige Wasserkrise zeigt, massive Abhängigkeit von kommerziellen Wasserlieferungen. Hierbei werden ca. 89 % der Wasserressourcen des Westjordanlandes von israelischen Akteuren kontrolliert, während sich nur ca. 11 % in palästinensischen Händen befinden. Was heißt das nun für die Entwicklungszusammenarbeit? Während die Erneuerung der Rohre bis heute keine Genehmigung bekommen hat – der Großteil der Leitungen befand sich auf C-Gebiet – wurde der Bau des geplanten Klärwerks durch das israelische Militär gestoppt. Bis auf eine Entschädigungszahlung der israelischen an die deutsche Regierung sollte das Thema Klärwerk keine größere politische Aufmerksamkeit mehr bekommen.
So zementiert die anhaltende Besatzung die Ungleichheit in der Wasserversorgung: Während die WHO täglich 120 Liter Wasser pro Person zum frei verfügbaren Verbrauch empfiehlt, stehen einer Palästinenserin im Westjordanland ca. 70 Liter zur Verfügung. Eine Israelin hingegen nutzt täglich ca. 270 Liter, in manchen israelischen Siedlungen sind es bis zu 700 Liter. Szenenwechsel: Wir befinden uns auf der Fahrt durch das Jordantal. Hier zeigt sich, dass limitierender Faktor der Wasserversorgung, sei es für Palästinenser oder für Siedler, bei weitem nicht der private Verbrauch ist. Da wäre – pauschal gesagt – genug für alle da. Viel problematischer ist die künstliche Bewässerung im Rahmen der Siedlungs-Landwirtschaft. Das Ergebnis landet dann oftmals auf den Tischen europäischer Verbraucher. Daran ändert auch die EU-Richtlinie, Siedlungsprodukte zu kennzeichnen, wenig. Im Durchschnitt werden in einer landwirtschaftlich aktiven Siedlung im Jordantal pro Tag und Person 13.000 Liter Wasser verbraucht. In manchen Siedlungen liegt der tägliche Wasserbedarf bei ca. 60.000 Litern. Diese Zahlen machen deutlich, woher in der Debatte Begriffe wie Ressourcenknappheit und Übernutzung kommen.
S
päter fahren wir auf das Gelände einer Verpackungsfirma. Hier werden Anbauprodukte für den israelischen und internationalen Export vorbereitet. Wir treffen einen palästinensischen Arbeiter, der uns erklärt, dass er zwar in der Siedlung angestellt ist, diese jedoch für die Firma Carmel mit Sitz in Tel Aviv produziert. Seine Aussage wird von einem Firmenschild am Eingang unterstrichen. Eine der all11
täglichen Absurditäten der Besatzung: Er arbeitet auf illegal besetztem, palästinensischen Land für Siedler, die Produkte an eine Firma in Israel liefern, die offiziell nicht im Westjordanland produziert. Dabei bekommt er als Palästinenser die Hälfte von dem, was ein thailändischer Gastarbeiter verdient.
Es ist schwer, in Anbetracht der Situation in der Westbank nicht polemisch zu werden. Noch schwerer ist es, nicht wütend zu werden. Es stellt sich immer wieder die Frage: Was können wir tun? Der Boykott von Siedlungsprodukten ist ein erster Schritt, aber bei mangelnder Transparenz nicht immer zielführend. Was wir darüber hinaus tun können ist, die Lebensbedingungen der PalästinenserInnen unter der Besatzung zu kommunizieren und diese politisch präsenter zu machen. Ob man das, was dort stattfindet, dann Apartheid nennt – vielleicht trifft diese Bezeichnung die eigentliche Inhumanität der Situation noch gar nicht – spielt keine so große Rolle.
Eva Clemenz ist IPPNWMitglied und Assistenzärztin für Allgemeinmedizin in Berlin.
FRIEDEN
Bundeswehrmandat für Syrien verlängert Die Kampagne „Macht Frieden“ macht weiter
Es war zu erwarten, und doch ist es eine Enttäuschung: Am 10. November 2016 stimmte der deutsche Bundestag mit 445 Ja-Stimmen gegenüber 139 Nein-Stimmen, zwei Enthaltungen und 44 nicht abgegebenen Stimmen für die Verlängerung und Erweiterung des Syrienmandats der Bundeswehr.
D
ie Kampagne „Macht Frieden. Zivile Lösungen für Syrien“ hatte im Vorfeld gegen die Mandatsverlängerung protestiert und von den Bundestagsabgeordneten gefordert, sich statt für den Einsatz der Bundeswehr viel energischer für zivile Lösungsansätze einzusetzen. Trotz oder gerade wegen des enttäuschenden Abstimmungsergebnisses wird die Kampagne, mitgetragen von der IPPNW, im nächsten Jahr mit neuer Motivation weitermachen. Diese speist sich im Wesentlichen aus vier Punkten: Erstens: Aus dem Abstimmungsergebnis selbst, das auf den zweiten Blick Raum für vorsichtigen Optimismus gibt. So stimmte in diesem Jahr nicht nur die linke Bundestagsfraktion geschlossen gegen die Mandatsverlängerung, sondern auch die Grüne Fraktion – im letzten Jahr hatte es in den Reihen der Grünen noch drei Ja-Stimmen und drei Enthaltungen gegeben. Relativ konstant blieben auch die zweifelnden Stimmen in den Regierungsfraktionen: Die beiden Abgeordneten der CDU/CSU, die auch im letzten Jahr gegen das Mandat gestimmt hatten, bestätigten ihr Nein. Von 28 Nein-Stimmen aus den Reihen der SPDFraktion blieben in diesem Jahr immerhin 27. Das überwiegende Ja zum Syrieneinsatz – so auch die Erkenntnis aus diversen Lobbygesprächen mit Abgeordneten, mit
denen sich VertreterInnnen der Kampagne im Vorfeld der Abstimmung getroffen hatten – ist also keineswegs zementiert. Zweitens: Aus dem gelungenen Kampagnenhöhepunkt am Tag der Mandatsverlängerung vor dem Reichstag. Mit einem 100 qm großen Banner mit dem Kampagnenlogo in Pfeilform trugen über 100 FriedensaktivistInnen, begleitet von einer kleinen Kundgebung, die Kampagnenforderungen symbolisch ins Parlament. Drittens: Aus der tollen Resonanz vieler Friedensgruppen auf die „Urgent Action Days“, die unter dem Motto „Nein zum Bundeswehrmandat, Ja zu zivilen Lösungen für Syrien“ vom 1. bis 10. November ausgerufen worden waren. Obwohl die Mandatsverlängerung im Bundestag um einen Monat vorgezogen wurde und uns damit vier Wochen für die Planung und Mobilisierung fehlten, organisierten mehr als 20 Friedensgruppen in ganz Deutschland spontan Protestaktionen. Noch viele Gruppen und Einzelpersonen mehr beteiligten sich außerdem am „Graswurzellobbying“, durch Aktionen, persönliche Treffen oder Telefongespräche mit MdBs, individuelle Protestbriefe und E-Mails. An dieser Stelle auch ein herzlicher Dank an die vielen IPPNW-Mitglieder, die sich sowohl an der Postkartenaktion als auch am 12
Graswurzellobbying so engagiert beteiligt haben. Wir hoffen auf Ihre und Eure Unterstützung auch im nächsten Jahr! Und viertens: Aus der Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und Zivile Konfliktbearbeitung im Bundeshaushalt 2017. Am 10. November wurde nämlich nicht nur das Bundeswehrmandat verlängert – auf Antrag der Regierungsfraktionen wurden mehrere hundert Millionen Euro für die entwicklungspolitische Bekämpfung von Fluchtursachen, für Krisenbewältigung und Wiederaufbau bereitgestellt – und zwar insgesamt mehr als ursprünglich geplant. Diese Gelder sollen nun dazu dienen, so heißt es in einer Pressemitteilung der SPD-Fraktion, „das deutsche Engagement zur Versorgung und Unterstützung von Flüchtlingen rund um Syrien weiter auszubauen. Dabei geht es auch um den Ausbau der zivilen Krisenprävention.“ Auch dies immerhin ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Philipp Ingenleuf und Elise Kopper vom Netzwerk Friedenskooperative sind Koordinator – Campaignerin von „Macht Frieden“.
Flucht, Trauma und Gesundheit
I
m September 2016 fand die Global Health Summer School zum Thema „Beyond Trauma: Political Violence, Refugees, Empowerment and Health“ in Berlin statt. Es war eine tolle und intensive Woche. Zum sechsten Mal veranstalteten die IPPNW und das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité gemeinsam diese Sommerakademie für Studierende und BerufsanfängerInnen. 31 TeilnehmerInnen aus zehn Ländern und von vier Kontinenten beschäftigten sich sieben Tage lang aus verschiedenen Perspektiven mit Ursachen von Krieg und Flucht und den Folgen traumatischen Stresses auf Körper, Psyche und Gesellschaft sowie mit den Möglichkeiten ihrer Überwindung. Im Zentrum standen eine ganzheitliche Betrachtung von Ursachen, Folgen und die Überwindung von Traumata. Ziel war es, den pathologisierenden und individualisierenden Blick auf Trauma und Gesundheit kritisch zu hinterfragen und die Debatte um Flucht, Trauma und Gesundheit friedens- und menschenrechtlich zu unterfüttern. Neben Vorträgen und Workshops gab es Exkursionen, Methodentrainings, eine öffentliche Abendveranstaltung und Freizeitprogramm.
T
rotz des schweren Themas war die Stimmung bis zum Schluss großartig und die Konzentration in der Gruppe enorm: Dafür sorgten nicht nur spannende ReferentInnen, ein abwechslungsreiches
Die sechste Global Health Summer School Programm, eine tolle Gruppe und ein gutes Organisationsteam, sondern sicher auch die schönen Räumlichkeiten, das sonnige Wetter, ein paar Regeln zur Selbstfürsorge und ein „Wohlfühlraum“ zur Entspannung für zwischendurch.
einer öffentlichen Veranstaltung, das von IPPNW Mitgliedern mitorganisiert wurde. Auch hier konnten interessante Kontakte geknüpft werden, nicht zuletzt für die Reise einiger IPPNW-Mitglieder in die Ukraine (siehe Seite 8).
E
Die politischen Entwicklungen in der Türkei verhinderten die Teilnahme der couragierten Hochschulprofessorin und Vorsitzenden der türkischen Menschenrechtsstiftung, Prof. Dr. Sebnem Korur Fincanci. Sie hatte nach Verhängung des Ausnahmezustands in der Türkei eine Ausreisegenehmigung bei den türkischen Behörden für die Reise nach Deutschland beantragen müssen, die ihr nicht erteilt wurde.
in weiteres Merkmal der diesjährigen Summer School war ihre Vernetzung und gegenseitige Befruchtung mit anderen IPPNW-Programmen, Themen und Sektionen. Zum einen hatten dieses Jahr alle Gaststudierenden aus Kenia, Nepal und Mazedonien, die mit dem Austauschprogramm „famulieren & engagieren“ gerade in Deutschland waren, die Möglichkeit an der Summer School teilzunehmen. Zum anderen war eine Einführung in Medical Peace Work – wie schon 2015 – Teil des Programms. Mitglieder der deutschen und der kenianischen IPPNW-Sektion führten den Workshop gemeinsam durch. Darüber hinaus beschäftigten wir uns einen ganzen Tag mit medizinischer Friedensarbeit in der Praxis. Ein Highlight waren hierbei ohne Zweifel die Vorträge von und Diskussion mit zwei Traumatherapeutinnen aus der Ost- und Westukraine, die jeweils über ihre Arbeit mit kriegstraumatisierten Kindern in Donezk und traumatisierten Soldaten in Kiew zum Teil sehr emotional berichteten (siehe Seite 9). Neben ihrem „Auftritt“ auf der Summer School gab es für beide ein ausführliches Rahmenprogramm in mehreren Städten, mit Möglichkeiten zum fachlichen Austausch und 13
Ü
ber diese und weitere Entwicklungen der Menschenrechtslage und medizinischen Friedensarbeit sprachen stattdessen bei der öffentlichen Abendveranstaltung die europäische IPPNW-Vizepräsidentin und Türkeikennerin Dr. med. Angelika Claußen und Salah Ahmad, Psychotherapeut und Vorsitzender der Jiyan Foundation, eines Netzwerks von psychosozialen Zentren im Nordirak.
Anne Jurema ist IPPNWReferentin für soziale Verantwortung und koordinierte die Global Health Summer School.
SOZIALE VERANTWORTUNG
Geschichte erleben und handeln Der fünfte Internationale Kongress „Medizin und Gewissen“ am 14. und 15. Oktober 2016 in Nürnberg
D
urch den Start des Films „Nebel im August“ von Kai Wessel sind die Diskussionen um Sterbehilfe und Euthanasie im Nationalsozialismus gerade im Fokus der Öffentlichkeit. 70 Jahre nach Beginn des Nürnberger Ärzteprozesses kam der Internationale IPPNW-Kongress „Medizin und Gewissen – Was braucht der Mensch?“ genau zum richtigen Zeitpunkt. 400 TeilnehmerInnen und 40 ReferentInnen nahmen in Nürnberg teil. Besonders erfreulich war die Teilnahme vieler junger Kolleginnen und Kollegen. Der Veranstaltungsort mit seinen dicht beieinander liegenden Räumen und das Rahmenprogramm haben unsere Erwartungen voll erfüllt.
Im Rahmen des „Medical-Peace-Work“Projektes der IPPNW erhielt der griechische Arzt und Gründer der griechischen Solidaritätsklinik Helliniko in Athen, Dr. Giorgos Vichas, einen internationalen Preis für medizinische Friedensarbeit. In seinem beeindruckenden Festvortrag berichtete er über die extrem schwierige Situation im griechischen Gesundheitswesen insbesondere für nicht versicherte Personen
und Flüchtlinge. Den zweiten Preis teilen sich Fikr Shalltoot, Krankenschwester und Programmdirektorin von Medical Aid for Palestinians in Gaza und die Ärzteorganisation Physicians for Human Rights Israel.
P
rof. Wolf-Dieter Ludwig, der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, wies in einem sehr fundierten Hauptvortrag nach, wie vielfältig und effektiv die Einflussnahme der Pharmaindustrie selbst auf die sogenannte wissenschaftliche Information der Ärzteschaft durch Leitlinien ist. Darüber hinaus beklagte er die mangelnde Offenlegung der finanziellen und institutionellen
Abhängigkeiten von ärztlichen Wissenschaftlern in Deutschland, die solche Leitlinien erstellen. Frau Dr. Monika Hauser von Medica mondiale forderte engagiert in ihrem Vortrag über traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten mehr Einrichtungen und Geld, um sich besser um das Leid der Frauen und Mädchen kümmern zu können, denn das Wissen und die Erfahrung im Umgang mit 14
solchen traumatisierten Menschen gibt es seit Jahren. „Wir schaffen das“ allein reicht nicht aus! Prof. Volker Roelcke, Professor für Geschichte und Medizin, kritisierte in seinem Vortrag bezüglich des Umgangs der deutschen Ärzteschaft mit den Verbrechen der Medizin im Nationalsozialismus, dass eine kritische Bestandsaufnahme des Geschehenen und eine systematische Analyse von Seiten der verfassten Ärzteschaft bis heute nur zögerlich und unter Druck von außen stattgefunden habe. Mit Applaus wurde auf dem Kongress daher eine Resolution angenommen, die in Erinnerung an die Nürnberger Erklärung (Deutscher Ärztetag 2012) mehr Aktivitäten einfordert (siehe Kasten S. 15). Prof. Klaus Dörner stellte fest, dass psychisch Kranke nicht erst während des Nationalsozialismus, sondern schon während des Ersten Weltkriegs systematisch durch Verhungern getötet wurden. Dies bestätigte Prof. Dr. Michael von Cranach, einer der wichtigsten Experten zum Thema Euthanasie. Er beleuchtete das Euthanasieprogramm vor 1945 anhand des Schickals von Ernst Lossa, dem im Film „Nebel im August“ ein Denkmal gesetzt wurde. Der kritische Umgang mit aktiver Sterbehilfe in heutiger Zeit wurde von Florian Bruns thematisiert. Ein weiteres medizinhistorisches Thema beschäftigte sich mit der Rolle des Roten Kreuzes im Nationalsozialismus und seiner engen Verwobenheit mit Macht und Militär. Den weitgehend unreflektierten Umgang des Roten Kreuzes mit seiner Vergangenheit kritisierte der Nürnberger Arzt Dr. Horst Seithe, Mitglied der IPPNW-Regionalgruppe, am Beispiel des DRK-Museums Nürnberg, in dem völlig kommentarlos neben anderen Präsidenten die Bilder der NSDAP-Funktionäre Carl Eduard von Sachsen-Coburg-Gotha und
des SS-Arztes Dr. Ernst Robert Grawitz zu sehen sind. Dr. Grawitz war in Personalunion an Krankenmorden und den Menschenversuchen in Konzentrationslagern beteiligt. Diese Enthüllungen wurden erfreulicherweise in der Presse mit Interesse und Entrüstung aufgenommen, so dass das Bayerische Rote Kreuz sich jetzt gezwungen sieht, darauf zu reagieren.
E
in weiterer Themenblock beschäftigte sich mit der „Korruption im ärztlichen
Resolution: Aufarbeitung der Medizin im Nationalsozialismus Seiner Tradition folgend hat sich der fünfte IPNNW-Kongress Medizin und Gewissen auch mit der Aufarbeitung der Medizin im Nationalsozialismus befasst und dabei u.a. die Haltung der Bundesärztekammer gegenüber dieser Aufarbeitung kritisch reflektiert. Die Nürnberger Erklärung des 115. Deutschen Ärztetages 2012 zu den ärztlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird im Mai 2017 bereits fünf Jahre zurückliegen. Wichtige darin enthaltene Ankündigungen zum Umgang mit Betroffenen wie der Unterstützung von Forschungsarbeiten sind bislang nur wenig oder gar nicht umgesetzt. Als Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses Medizin und Gewissen 2016 bitten wir die IPPNW, bis Mai 2017 gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Bundesärztekammer in geeigneter Form zu einer stärkeren Umsetzung ihrer eigenen Erklärung aufzufordern.
Alltag“. Prof. Dr. Thomas Kühlein, Lehrstuhlinhaber für Allgemeinmedizin an der Universität Erlangen, thematisierte die Bereitschaft von ÄrztInnen auf medizinische Maßnahmen zu verzichten, die eher dem eigenen finanziellen Interesse dienten als dem Wohl des Patienten. Beim Thema „Social Freezing“ wurden die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin aufgezeigt und die Gefahren diskutiert, die der Fortschritt der Medizin mit sich bringt, der hier schnell zum Rückschritt werden kann. So besteht z. B. die Gefahr, dass Social Freezing propagiert wird, statt für gesetzliche Verbesserungen der Stellung junger Frauen in der Arbeitswelt zu streiten. Erika Feyerabend warnte vor dem immer stärker sich verändernden Arzt-/Patientenverhältnis hin zu einem „Dienstleister-/ Kundenverhältnis. „Diese reproduktionsmedizinische Offerte ist eine von vielen Anreizen, die in modernen öffentlichen Gesundheitswesen und auf zunehmend privatisierten und wachstumsorientierten Gesundheitsmärkten Platz greift.“
A
uch Freihandels- und Investitionsschutzabkommen wie TTIP oder CETA waren Thema beim Kongress. Anne Jung von Medico international und Dr. Martin Beckmann von Ver.di haben ausgeführt, welche weitgehenden Auswirkungen diese Abkommen auf das Gesundheitswesen bei uns und weltweit haben und wie sie gleichzeitig ein Katalysator für renditeträchtige Investitionen im Gesundheitswesen sind, die damit die Privatisierung noch schneller vorantreiben. Die sogenannten Schiedsgerichte sind primär zum Schutz der Investoren da, deren Rechte in den Abkommen detailliert geregelt sind, während gesellschaftliche Interessen bestenfalls allgemein formuliert sind. Soziale Sicherungssysteme sind in Zukunft noch gefährdeter als bisher schon. Jörg Schaber 15
(BUKO Pharma-Kampagne) befürchtet, dass die Pharmaindustrie weltweit noch ungehinderter Profite machen kann und die Sicherheit bei der Neuzulassung von Medikamenten weiter zurückgehen wird. Im Workshop „Drama in drei Akten“ zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen wurde nicht nur die schwierige Versorgungslage in den Heimatländern beleuchtet, sondern auch auf die prekäre Situation von Geflüchteten aus angeblich sicheren Herkunftsländern hingewiesen, die aktuell von Abschiebung bedroht sind. Weitere Themen, die in Workshops behandelt wurden, waren der Kampf um ein globales Recht auf medizinische Versorgung und in einem interaktiven Workshop die Behandlung von schwierigen ethischen Fragestellungen im Medizinalltag. Die IPPNW-Kongressreihe „Medizin und Gewissen“ begann im Jahr 1996. Der diesjährige Kongress reihte sich ein in die Tradition bereits erfolgreicher Kongresse in den Jahren 1996, 2001, 2006 und 2011. Wir hatten uns zum Ziel gesetzt, dass die Teilnehmer am Ende des Kongresses mit Gewinn, Anregungen, guten Erinnerungen und Tatendrang nach Hause gehen. Wir hoffen, dass uns dies gelungen ist. Die Kongressdokumentation finden Sie unter: www.medizinundgewissen.de/ dokumentation
Prof. Dr. Hannes Wandt ist Mitglied der Regionalgruppe Nürnberg-FürthErlangen und Mitorganisator des Kongresses.
ATOMENERGIE
IM FLÜCHTLINGSCAMP IN ANTI-ATOM-DEMONSTRATION SILOPI, IMIN DREILÄNDERECK LINGEN, 29. OKTOBER 2016 TÜRKEI/SYRIEN/IRAK Foto: Karin Behr / PubliXviewinG, CC-by-ND
Atomkraft jetzt den Saft abdrehen Die Bundesregierung weigert sich, Brennstoffexporte an Pannen-AKWs zu stoppen
J
ahrzehntelang hatte die lokale Bevölkerung geschwiegen. Protest gegen die Betreiber der Brennelementefabrik und des AKW Emsland – AREVA und RWE – hatte sich kaum geregt. Immerhin gehören die beiden Atomkonzerne zu den einflussreichsten Arbeitgebern dieser Gegend. Insofern ist schon bemerkenswert, dass schätzungsweise die Hälfte der DemonstrantInnen aus Lingen oder der näheren Umgebung kam. Was sie umtreibt, ist vor allem die Angst vor schweren Störfällen im Atomkraftwerk vor ihrer Haustür. Abgesehen von der Gefahr, die von außen droht – z.B. durch einen Flugzeugabsturz – steigt das Risiko eines durch Materialermüdung verursachten Unfalls mit jedem Tag. Das gilt für jeden Atommeiler hierzulande, der noch am Netz ist. Der Reaktor in Lingen gehört zwar zu den jüngsten in Deutschland – er soll erst 2022 abgeschaltet werden – ist deswegen aber nicht weniger gefährlich. Während seiner 28 Betriebsjahre wurde er stark beansprucht; seine Stilllegung war nach dem ursprünglichen „Atomkonsens“ für das Jahr 2018 vorgesehen. Der Ausstiegsbeschluss von 2011 bescherte ihm also eine Laufzeitverlängerung um vier Jahre! Die Forderung nach sofortigem Abschalten betrifft auch das AKW Grohnde bei Hameln, in dem altersbedingte Mängel
besonders zutage treten. Es gehört zu den Störfall-Spitzenreitern, und im August kam ein Mitarbeiter aufgrund eines Wasserrohrbruchs zu Tode. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft; offizielle Ergebnisse gibt es noch nicht. Doch Materialermüdung ist gegenüber menschlichem Versagen die wahrscheinlichere Ursache.
A
tomkraft jetzt den Saft abdrehen – Uranfabriken schließen – die veranstaltenden Initiativen der Demonstration hatten nicht zufällig dieses Motto gewählt, denn im Fokus des Protestes standen die Brennelementefarbik in Lingen und die Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau. Beide Atomfabriken besitzen trotz „Atomausstieg“ eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Sie bilden das Rückgrat der europäischen Atomindustrie. Von Lingen aus werden besonders gefährliche AKW nahe der Grenze mit Brennstäben versorgt: Fessenheim, Cattenom (Frankreich) und Doel (Belgien) wie auch Leibstadt und Benznau in der Schweiz. Letzteres ist das dienstälteste Atomkraftwerk der Welt! Im belgischen Tihange kommt Uran zum Einsatz, das in Gronau angereichert wurde. Der mit tiefen Rissen überzogene Reaktordruckbehälter in Tihange 2 könnte bersten. Wie eine neue Studie zeigt, wären bei einer solchen Katastrophe NRW und insbesondere Aachen mit hoher Wahrscheinlich stark betroffen. Auch aus diesem Grund hatte die Demonstation einen deutlich überregionalen Charakter. Das Einzugsgebiet erstreckte 16
sich vom nördlichen Niedersachsen über NRW bis nach Freiburg. Mit Redebeiträgen waren auch Frankreich, Belgien und Russland vertreten.
W
as die Demonstrierenden besonders aufbringt, ist die doppelte Moral und Blockadehaltung der Bundesregierung. Umweltministerin Hendricks kritisierte zwar die maroden Meiler im Ausland und stellte Verhandlungen über die Schließung der UAA Gronau in Aussicht, weigert sich aber, die Brennstab-Exporte nach Belgien und Frankreich zu unterbinden. Die Behauptung ihres Ministeriums, es gäbe dafür keine rechtliche Handhabe, widerlegte die Rechtsanwältin Cornelia Ziehm sehr klar in einem von der IPPNW beauftragten Gutachten. Demnach ist die Bundesregierung zu dieser Maßnahme sogar verpflichtet, um die „innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ zu „gewährleisten“. Das BMUB reagierte darauf erneut mit Ablehnung und einer haarsträubenden Begründung. Dass diese juristisch tatsächlich haltlos ist, legt Ziehm in einer neuen Stellungnahme bis ins Kleinste dar.
Anika Limbach ist Journalistin und Autorin eines atomkritischen Romans. Als Mitglied von AntiAtom Bonn war sie Mitorganisatorin der Demonstration.
Foto: © Holger Issing
Dass am 29. Oktober 2016 in Lingen 700 Menschen gegen die dortigen Atomanlagen demonstrierten, ist schon fast eine Sensation.
ATOMENERGIE
Fukushima nach fünf Jahren Neue Erkenntnisse zu Schilddrüsenkrebs-Erkrankungen
S
eit 2011 werden die Schilddrüsen bei allen Bewohnern der Präfektur Fukushima, die zum Zeitpunkt des Super-GAUs unter 18 waren, in zweijährigen Abständen untersucht. Während die Erstuntersuchungen zwischen Oktober 2011 und März 2014 liefen, erfolgten die Zweituntersuchungen von April 2014 bis April 2016 und die dritte Runde seit Mai 2016. Aus dieser letzten Runde liegen bislang keine Ergebnisse vor, so dass sich die aktuelle Auswertung auf die Resultate der ersten beiden beschränken muss. Von den anvisierten 381.281 betroffenen Kindern wurden in der ersten Runde insgesamt 300.476 untersucht, in der zweiten Runde lediglich 270.378. Das Schicksal der übrigen rund 110.000 Kinder, wird in keiner Studie erfasst. Sie sind entweder unbekannt verzogen, wurden durch die restriktive Handhabung der Untersuchungen an einer Teilnahme am Screening gehindert oder lehnten die Untersuchung ab. Diese letzte Variante wird seit kurzem von der Fukushima Medical University sogar aktiv unterstützt.
B
esorgniserregend ist die Tatsache, dass im Zweitscreening bei fast 60 % der Kinder Knoten oder Zysten gefunden wurden. Im Erstscreening hatte diese Rate noch bei 48,5 % gelegen. Das bedeutet, dass bei 42.422 Kindern, bei denen sich im ersten Screening noch gar keine Schilddrüsenanomalien fanden, im Zweitscreening Zysten oder Knoten festgestellt wurden – bei 393 von ihnen so große, dass eine weitere Abklärung dringend notwendig wurde. Zusätzlich wurde bei 935 Kindern mit kleinen Zysten oder Knoten im Erst-Screening in der zweiten Untersuchung ein so rasches Wachstum
Während die japanische Regierung die Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima weiterhin zu verschleiern versucht, werden in regelmäßigen Abständen wissenschaftliche Studien veröffentlicht, deren Ergebnisse eine realistischere Einschätzung der Konsequenzen zulassen. So zeigen die kürzlich veröffentlichten Daten der Fukushima Medical University einen weiteren Anstieg der Schilddrüsenkrebsfälle bei den Kindern und Jugendlichen aus Fukushima. festgestellt, dass weitergehende Diagnostik eingeleitet werden musste. Dies sind beunruhigende Zahlen, zeigen sie doch eine gewisse Dynamik in der Morbidität zwischen dem Erst- und Zweitscreening.
B
ei insgesamt 721 Kindern waren bislang aufgrund schwerer Veränderungen in der Ultraschalluntersuchung Feinnadelbiopsien notwendig. Die mikroskopische Aufarbeitung ergab insgesamt 175 Krebsverdachtsfälle. 136 dieser Kinder mussten bislang auf Grund von Lymphknotenmetastasen, Fernmetastasen oder gefährlich großem Wachstum des Tumors operiert werden. In etwa 91% der Fälle wurde nur ein Schilddrüsenlappen entfernt, in etwa 9% der Fälle musste die gesamte Schilddrüse entfernt werden. Bei 135 Kindern bestätigte sich in der feingeweblichen Aufarbeitung der Krebsverdacht. In einem Fall zeigte sich ein gutartiger Tumor. Bei weiteren 39 besteht weiterhin der akute Verdacht auf ein Schilddrüsenkarzinom. Sie warten noch auf eine Operation. Bei den 101 Krebsfällen der ersten Screening-Runde lässt sich nicht eindeutig klären, in welchem Umfang sie auf den sogenannten Screening-Effekt zurückzuführen sind – also Diagnosen darstellen, die sich eigentlich erst später im Leben zeigen würden, durch die Reihenuntersuchungen klinisch gesunder Probanden aber frühzeitig erkannt wurden. Die 34 neu diagnostizierten Krebsfälle aus der zweiten Runde müssen sich allerdings im Zeitraum zwischen der Erst- und der Zweituntersuchung entwickelt haben. Geht man davon aus, dass zwischen der Erst- und Zweituntersuchung wie vorgesehen jeweils zwei Jahre liegen, ist von einer jährlichen Neuerkrankungsrate von derzeit 17
6,3 Fällen pro 100.000 auszugehen. Vor den Kernschmelzen von Fukushima lag die Inzidenz für Schilddrüsenkrebs bei Kindern in Japan bei 0,3 pro 100.000. Dieser Anstieg um mehr als das 20-fache lässt sich nicht mehr mit einem sogenannten „Screening-Effekt“ begründen.
M
ittlerweile wurde zudem bekannt, dass es bereits die ersten Rückfälle gegeben hat, also Patienten, deren Krebs operiert wurde, die nun in den Folgeuntersuchungen erneut Krebsgeschwüre hatten. Prof. Shunichi Suzuki von der Fukushima Medical University sprach im September 2016 von einer Rückfallrate von „einigen Prozent“. Diese Informationen belegen erneut, dass es sich beim kindlichen Schilddrüsenkarzinom zwar prinzipiell um eine gut behandelbare Krankheit handelt, dass Komplikationen jedoch nie ausgeschlossen werden können. Neben dem lebenslangen Stigma durch die Krebserkrankung, der Notwendigkeit einer dauerhaften Medikamenteneinnahme und regelmäßiger Untersuchungen stellt die Sorge um Rückfälle und lebensbedrohliche Komplikationen eine nicht zu vernachlässigende Belastung der betroffenen PatientInnen und deren Familien dar, die in den Statistiken und Pressekonferenzen der Fukushima Medical University schlichtweg ignoriert wird. Lange Version dieses Artikels unter: www.kurzlink.de/nach5jahren
Alex Rosen ist stellvertretender Vorsitzender der deutschen IPPNW.
VEREIN
Aktiv für Versöhnung und humanitäre Hilfe Zum 90. Geburtstag von Prof. Dr. med. Ulrich Gottstein
D
as erste Mal sind wir uns vor 36 Jahren im September 1981 in Hamburg auf dem medizinischen Kongress zur Verhinderung eines Atomkrieges unter dem Thema „Die Überlebenden werden die Toten beneiden“ begegnet. Der Kongress ist von der Hamburger Ärzteinitiative gegen Atomenergie unter Mitarbeit der Initiativen aus Berlin und München durchgeführt worden. Aus dem Gesundheitswesen nahmen 1.600 Kolleginnen und Kollegen teil. Unser Anliegen war, die Bevölkerung vor einem Atomkrieg zu warnen und aufzuklären, dass es keine medizinische Hilfe geben kann und wird. Wir forderten die Abschaffung aller Atomwaffen in Ost und West und weigerten uns, uns in Zivilschutz, Kriegsmedizin, getarnt als Katastrophenmedizin, ausbilden zu lassen. Ein Gesundheitssicherstellungsgesetz lehnten wir ab. Im Oktober 1981 bist Du dann von amerikanischen IPPNW-Ärzten nach Ascott/ England eingeladen worden zur Vorbereitung des zweiten Internationalen IPPNWKongresses in Cambridge/England. Auf diesem Treffen überzeugte Dich Prof. Bernard Lown, eine bundesdeutsche Sektion der IPPNW aufzubauen. Im Januar 1982, auf
Lieber Ulrich, ein Atomkrieg ist bis jetzt verhindert worden. Die Atomwaffen sind aber noch nicht abgeschafft, ihr Einsatz ist oft bedrohlich nah. Allerdings scheint sich jetzt etwas zu bewegen, was Hoffnung weckt. In einer historischen Entscheidung hat die Vollversammlung der UNO mit großer Mehrheit beschlossen, Verhandlungen über das Verbot von Atomwaffen aufzunehmen. einer von der Berliner Ärzteinitiative initiierten Versammlung in Berlin mit 300 TeilnehmerInnen aus 55 Initiativen haben wir uns wiedergesehen. Die Initiativen kamen aus Friedens- und Gesundheitsgruppen sowie Ärzteinitiativen gegen Atomenergie. Es ging bei diesem Treffen um die weitere Arbeit nach dem Hamburger Kongress und um die beabsichtigte Gründung einer bundesdeutschen Sektion der IPPNW. Diese Gründung wurde kritisch gesehen, die Mehrheit stand ihr ablehnend gegenüber. Ein Teil der Initiativen fürchtete, einen Dachverband übergestülpt zu bekommen und damit die Eigenständigkeit zu verlieren.
Die Gründungsmitglieder der Sektion Bundesrepublik Deutschland vom 6. Februar 1982 in Frankfurt/Main: Dr. Regine Armbruster-Heyer, Hamburger Ärzteinitiative | Prof Dr. Herbert Begemann, München | Prof. Dr. Wolfgang Gerok, Freiburg | Dr. Monika Gottstein, Frankfurt am Main Prof. Dr. Ulrich Gottstein, Frankfurt am Main | Prof. Dr. Hans Hacker, Frankfurt am Main | Dr. Barbara Hövener, Berliner Ärzteinitiative | Renate Jäckle, Münchner Ärzteinitiative | Dr. Hans-Joachim Kleist, Berliner Ärzteinitiative | Dr. Hedda Koch, Gaggenau Dr. Helmut Koch, Gaggenau | Wolfgang Kratzke, Hamburger Ärzteinitiative | Prof. Dr. Walfried Linden, Hamburg | Dr. Ingeborg Peters-Parow, Hamburger Ärzteinitiative | Prof. Dr. Horst-Eberhard Richter, Gießen | Roland Rübel, Mainzer Ärzteinitiative Dr. Knut Sroka, Hamburger Ärzteinitiative | Priv. Doz. Harald Theml, München
18
Durch Deine Überzeugungskraft und die Idee, auf internationaler Ebene gegen die atomaren Gefahren des „Kalten Krieges“ vereint aufzutreten, fanden sich einige Kolleginnen und Kollegen bereit, bei der Gründung der bundesdeutschen Sektion der IPPNW mitzumachen.
S
o wurde am 6. Februar 1982 in Frankfurt am Main von 18 Ärztinnen und Ärzten die Sektion Bundesrepublik Deutschland der IPPNW gegründet. Neben einzelnen Kolleginnen und Kollegen sowie Vertretern aus den Ärzteinitiativen Berlin, Hamburg und München konntest Du ebenfalls einige Chefärzte und Professoren gewinnen. Auf dieser Gründungsversammlung wurde eine „Resolution“ der „International Physicians for the Prevention of Nuclear War“ verabschiedet, die als Grundlage für die IPPNW-Mitgliedschaft diente. Zusätzlich wurde von Prof. Horst-Eberhard Richter eine „Frankfurter Erklärung“ verfasst, in der wir uns mit unserer Unterschrift weigerten, uns in einer als Katastrophenmedizin getarnten Kriegsmedizin ausbilden zu lassen. Wir GründungsärztInnen der IPPNW luden dann am 8. Mai 1982 zu einer ersten Vollversammlung nach Frankfurt ein. Die an-
DEMONSTRATION AM 1. OKTOBER 1983 IN BONN
wesenden etwa 150 Ärztinnen und Ärzte wurden Mitglieder durch die Unterschrift unter die „Resolution“. Zum ersten Sprecherrat wählte die Versammlung Dich, Horst-Eberhard Richter, Helmut Koch und Knut Sroka. Eine Vereinsgründung wurde erst später vollzogen.
I
m November 1982 veranstaltete die Berliner Ärzteinitiative gegen Atomenergie den zweiten medizinischen Kongress zur Verhinderung eines Atomkrieges in Berlin mit ca. 3.000 TeilnehmerInnen. Im Rahmen dieses Kongresses führten wir eine Extra-Informationsveranstaltung für die Berliner Bevölkerung durch, bei der Du – dargestellt an einem Szenario von Berlin über die medizinischen, hygienischen und psychologischen Folgen eines Atomkrieges – eine Deiner hervorragenden Reden gehalten hast. Diese Veranstaltung stieß auf ein überwältigendes Interesse und war mit 3.500 Besuchern völlig überfüllt. Mit dem Versprechen, die Veranstaltung zu wiederholen, konnten wir die Menschen, die noch draußen standen, beruhigen. Zu der Wiederholung im Januar 1983 kamen nochmals 4.000 Besucher. Auf unserer dritten Mitgliederversammlung im Jahr 1983 auf dem dritten medizinischen Kongress zur Verhinderung eines Atomkrieges in München beschlossen wir, aus Protest gegen den Atomkrieg auf die Straße zu gehen. An dieser Demonstration am 1. Oktober in Bonn beteiligten sich ca. 6.000 MitarbeiterInnen aus dem Gesundheitswesen. Um die Hilflosigkeit der ÄrztInnen in einem Atomkrieg zu zeigen, haben wir am Ende der Demonstration vor dem Gesundheitsministerium, unsere weißen Kittel ausgezogen und ein „Die-In“ veranstaltet.
Diese jährlichen Kongresse wurden damals in Zusammenarbeit mit der IPPNW von den lokalen Initiativen in Tübingen (1984) und Mainz (1985) durchgeführt. Ab dem Kölner Kongress 1986 wurden die Kongresse in Essen, Bonn und Berlin von der IPPNW allein veranstaltet. Höhepunkte der IPPNW-Arbeit waren 1984 die Verleihung des UNESCO-Friedenspreises, und 1985 der Friedensnobelpreis. In Oslo hieltest Du die Dankesrede an das Friedensnobelpreis-Komitee. Du hast Dich darin entschuldigt, für die dreiste Einmischung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die die Verleihung des Friedensnobelpreises an die IPPNW zu verhindern versuchte.
A
ktiv zu sein für Versöhnung und humanitäre Hilfe ist Dir ein Anliegen. Du warst nach dem „Jugoslawienkrieg“ unzählige Male vor Ort, wobei Dir die Versöhnung der verfeindeten Lager besonders am Herzen lag. Zwei neue IPPNW-Sektionen in Mazedonien und Serbien wurden mit Deiner Unterstützung gegründet. Der nächste Brennpunkt der kriegerischen Auseinandersetzungen, in dem Du tätig wurdest, war der Irak. Bereits 1991 hast Du die IPPNW-Kinderhilfe Irak gegründet und bist neunmal mit Medikamenten und Nahrungsmitteln in das vom Krieg völlig zerstörte Land gefahren. Du hast dafür gesorgt, dass dringend therapiebedürftige irakische Kinder eine medizinische Behandlung und Unterbringung in deutschen Kliniken bekamen. Es würde den Platz sprengen, wenn ich aufzählte, was Du für die IPPNW alles getan hast und woran Du aktiv beteiligt warst. Du hast an allen nationalen und internationalen IPPNW-Kongressen teilgenommen und stehst für die höchste Vortragsfrequenz der deutschen Sektion. 19
Bewundert habe ich Deine Standhaftigkeit und Ausdauer. Gerade Du als Chefarzt wurdest in der Anfangszeit der IPPNW von Deinen früheren Kollegen und Freunden kritisiert, diffamiert und sogar geschmäht. Du hast mir damals erzählt, dass Du einige Freunde durch Dein Engagement verloren, aber über die IPPNW weltweit neue hinzugewonnen hast.
F
ür Deinen enormen und intensiven Einsatz für Frieden und Versöhnung zwischen den Völkern, für die Aufklärung über die humanitären Folgen eines Atomkrieges, für die medizinische Hilfe in Kriegsgebieten, sowie Dein Eintreten für die Palliativmedizin und für die jahrelange Arbeit in der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, hast Du 2011 die höchste Ehrung der deutschen Ärzteschaft, die „Paracelsus-Medaille“, verliehen bekommen. Einen „Mann mit Rückgrat“ nannte Dich das Deutsche Ärzteblatt. Inzwischen hat unsere IPPNW die Anerkennung erreicht, die wir uns so gerne zu Beginn gewünscht hätten und für die wir so viele Jahre gekämpft haben. Du Ulrich, hast einen ganz großen Teil dazu beigetragen. Dafür danke ich Dir! Ich wünsche Dir alles Gute zu Deinem 90. Geburtstag und ich würde mich freuen, wenn Du und Deine liebe Monika noch einige Jahre gesund und munter unter uns leben würdet.
Dr. Barbara Hövener ist Gründungsmitglied der Deutschen IPPNW und aktiv in der Berliner Regionalgruppe.
S
top Trident: Zigtausende demonstrieren in London gegen eine Neuauflage der über 30 Jahre alten U-Boot-basierten Atomwaffen.
Foto: © Frode Ersfjord
ATOMWAFFEN
Frode Ersfjord ist Direktor von „Nei til Atomvåpen“: http://www.neitilatomvapen.no
Atomare Abrüstung von unten Die Zivilgesellschaft streitet für ein Atomwaffenverbot
D
ie seit Jahrzehnten erfolgreichste Demonstration gegen die Erneuerung der britischen Trident-Atomwaffen: 60.000 Menschen liefen gemeinsam vom Marble Arch bis zum Trafalgar Square. Norwegische AktivistInnen der Initiative Nei til Atomvåpen unterstützten im Februar 2016 ihre Schwesterorganisation, die britische Kampagne für nukleare Abrüstung (CND) bei den Protesten in London. Unten: VertreterInnen der Zivilgesellschaft nehmen als BeobachterInnen und direkt Beteiligte an den Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot in den Vereinten Nationen teil. Die ergebnisoffene Arbeitsgruppe der UN tagte im Februar 2016 in Genf. Die im Oktober in New York von der Generalversammlung angenommene Resolution zum Beginn der Verbotsverhandlungen wurde hier im Laufe des vergangenen Jahres erarbeitet. Frode Ersfjord ist Direktor von Nei til Atomvåpen (Nein zu Atomwaffen). Die 1979 gegründete norwegische NGO setzt sich für die vollständige Abschaffung von Atomwaffen ein. Das Hauptthema ist derzeit die zivilgesellschaftliche Arbeit am Verbotsvertrag.
Fotos: © Frode Ersfjord
LONDON
GENF 21
ATOMWAFFEN
Unsere Trumpfkarte: Atomwaffenverbot in Sicht Die Kontroverse um die NATO-Atomwaffen und die Haltung der Bundesregierung
Am 9. November haben wir erfahren, dass Donald Trump ab Januar 2017 seinen unberechenbaren Finger auf dem „roten Knopf“ haben wird. Nichts könnte mich mehr beunruhigen. Aber damit nicht genug: Trump hat während des Wahlkampfs Äußerungen von sich gegeben, die zutiefst schockieren. Bei einem Interview mit im US-Fernsehen wollte er den Einsatz von Atomwaffen in Europa und im Mittleren Osten nicht ausschließen.
T
rump scheint sich also nicht an das nukleare Tabu gebunden zu fühlen. Auch scheint der Atomwaffensperrvertrag für ihn kein „Eckpfeiler der internationalen Sicherheit“ zu sein. Im Gegenteil will er, dass die Verbündeten Südkorea und Japan eigene Atomwaffen bekommen – ein klarer Fall von Weiterverbreitung.
In den „sozialen Medien“ plädieren viele dafür, uns zu organisieren und aktiv Widerstand gegen diese neue Administration zu leisten. Was kann das bedeuten, wenn es um nukleare Abrüstung geht? Knapp zwei Wochen vor der US-Wahl fand eine historische Abstimmung in den Vereinten Nationen in New York statt. Ich durfte für die IPPNW dabei sein. Nicht wissend, dass ein Irrer ins Weiße Haus ziehen würde, der für die nächsten vier Jahre „Commander-in-Chief“ über tausende von Atomwaffen wird, beschloss die UN, Verhandlungen über eine Ächtung von Atomwaffen im Jahr 2017 aufzunehmen. Diese Wahl war eindeutig: Eine klare Mehrheit von 123 Staaten stimmte für die Resolution, 38 dagegen, 16 enthielten sich. Interessant war die Auswertung der Stimmen. Resolution L.41 war anfänglich durch Österreich, Mexiko, Südafrika, Irland, Ni-
geria und Brasilien eingebracht worden. Die Zahl der „Ko-Sponsoren“ ist mit Hilfe unserer Lobbyarbeit bis zum Tag der Abstimmung auf 57 Staaten angewachsen. Die meisten Für-Stimmen kamen aus dem globalen Süden, der zum größten Teil atomwaffenfreie Zone ist. Obwohl am gleichen Tag das Europaparlament unterstützend für die Resolution stimmte, votierten die meisten EU-Staaten gegen die Resolution. Die NATO-Mitglieder blieben geschlossen gegen das Atomwaffenverbot, mit einer einzigen Ausnahme: Die Niederlande, deren Parlament sich dezidiert für ein Atomwaffenverbot ausspricht. Die Atomwaffenstaaten waren gespalten: Die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und Israel waren dagegen; China, Indien und Pakistan enthielten sich. Nordkorea war dafür.
D
ie Argumente für und gegen einen Verbotsvertrag wurden bereits lange vorher ausgetauscht. Für die Befürworter sprechen die empirischen Untersuchungen der drei Staatenkonferenzen zu den humanitären Folgen von Atomwaffen. Hier bildete sich der Konsens heraus, diese müssten völkerrechtlich verboten werden, so wie andere Waffen mit inhumanen Folgen. Auf der Gegenseite wurde argumentiert – nicht zuletzt durch Interventionen von Deutschland und anderen mit Atomwaffenstaaten verbündeten Ländern – dass ein Verbotsvertrag ohne die Atomwaffenstaaten nichts bringen würde außer eine Ablenkung von ihrem be22
vorzugten „Schritt-für-Schritt“-Ansatz. Ein solcher Vertrag könne dem bestehenden Atomwaffensperrvertrag schaden. Diese beiden Argumente blieben – im Gegensatz zum humanitären Argument – unbelegt.
R
ussland, die USA und Frankreich legten vor der Abstimmung im Plenum einige Gegenargumente dar. Unter Verwendung des Begriffs „strategische Stabilität“ wurde behauptet, dass Atomwaffen die Sicherheit der Atomwaffenstaaten und ihrer Verbündeten garantiere. Das Gegenargument der atomwaffenfreien Staaten, genau diese Atomwaffen würden sie wegen ihrer Folgen nur bedrohen, wurde wiederholt übergangen. Russland argumentierte sogar, dass Atomwaffen durch den Atomwaffensperrvertrag „absolut legitim“ seien. Damit dürfte es klar sein, dass das krampfhafte Festhalten am Sperrvertrag mehr mit Weltordnung und Macht zu tun hat als zugegeben. Vor der Abstimmung am 27. Oktober 2016 ließen die Atomwaffenstaaten nichts unversucht, um die anderen Staaten unter Druck zu setzen. ICAN bekam inoffiziell ein Papier ausgehändigt, das NATO-intern kursierte. Dem war zu entnehmen, dass die USA es Verbündeten mehr oder weniger verbieten wollten, für die Resolution zu stimmen oder sich zu enthalten. Nicht mal an der beschlossenen Verhandlungskonferenz, die im März 2017 beginnen sollte,
HISTORISCHES EREIGNIS: 123 STAATEN STIMMEN FÜR DEN BEGINN VON ATOMWAFFENVERBOTSVERHANDLUNGEN.
dürften sie teilnehmen. Denn ein Atomwaffenverbot würde die Zusammenarbeit in der NATO angeblich so empfindlich stören, dass die USA die nukleare Abschreckung für ihre Alliierten nicht mehr aufrechterhalten könnten. Dieses Papier habe ich an Andreas Zumach von der TAZ weitergegeben, der die Inhalte noch am Tag der Abstimmung veröffentlichte. Es ist auf der internationalen ICAN-Webseite zu lesen.
M
ichael Biontino, der deutsche Vertreter im Ersten Ausschuss der UN, traf mich kurz vor dem Plenum in New York, um mir offiziell mitzuteilen, wie Deutschland abstimmen wollte. Keine Überraschung: Deutschland stimmte gegen die Aufnahme von Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot. Er schien trotzdem peinlich berührt und erklärte mir ausführlich, die Bundesregierung werde weiterhin für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt kämpfen. Nach der Abstimmung fragte der Journalist Tilo Jung in der Bundespressekonferenz, ob die Regierung an den Verhandlungen im nächsten Jahr teilnehme. Die Vertreterin des Auswärtigen Amts, Sawsan Chebli, sagte empört: „Wir haben niemals Gespräche boykottiert! Wir waren von Anfang an dabei und werden das weiterhin sein“. Ob das eine belastbare Zusage ist, werden wir mit den AnsprechpartnerInnen im Auswärtigen Amt klären. Beim letzten Gespräch in Berlin vor der Abstimmung hielten sie sich noch bedeckt.
Die IPPNW muss die Bundesregierung jetzt unter Druck setzen, sich konstruktiv an diesen Verhandlungen zu beteiligen – zusammen mit den anderen Verbänden und Gesellschaften, die den Gesundheitsappell mittragen. Hier ist das Wort „konstruktiv“ zu definieren: Eine Teilnahme ohne Versuche, die Ächtung auszuhöhlen, Schlupflöcher einzubauen oder die Verhandlungen unnötig in die Länge zu ziehen. Möglich ist aus meiner Sicht, dass die Bundesregierung Vorschläge einbringen kann, wie der Verbotsvertrag mit dem Atomwaffensperrvertrag zusammenwirken soll. Die Bundesregierung darf dabei nicht die Interpretation unterstützen, der Sperrvertrag legitimiere den dauerhaften Besitz von Atomwaffen. Vor allem wird sich die Diskussion jetzt um die NATO-Atomwaffenpolitik drehen. Die Bundesregierung hat bisher immer argumentiert, durch die NATO-Mitgliedschaft seien ihr die Hände gebunden. Laut oben genanntem Papier ist das auch die Meinung der USA. Damit gibt es nur zwei Wege zum Verbotsvertrag für die Bundesregierung: Entweder tritt sie aus der NATO aus oder sie versucht mit Hilfe gleichgesinnter Staaten wie den Niederlanden, die Nuklearpolitik der NATO zu ändern und die nukleare Teilhabe endgültig zu beenden. Die Verhandlungskonferenz wird 2017 voraussichtlich in zwei Sitzungsperioden in New York abgehalten, vom 27. bis 31. 23
März und vom 15. Juni bis 7. Juli 2017. Die Zivilgesellschaft ist eingeladen, sich daran zu beteiligen. Möglichst bald nach der formellen Abstimmung in der UN-Vollversammlung im Dezember soll eine eintägige Sitzung zur Organisation der Verhandlungskonferenz einberufen werden.
D
ie Verhandlungskonferenz soll im Herbst 2017 einen Bericht an die UNVollversammlung abgeben, die den Fortschritt auswertet und beschließt, wie weiter verfahren wird. Damit ist es zwar noch nicht sicher, dass wir 2017 bereits einen Vertrag zum Atomwaffenverbot in der Hand haben werden. Aber bestimmt wird die US-Wahl für viele Staaten die Dringlichkeit verstärken, die Verhandlungen zu beschleunigen. Ich bin voraussichtlich wieder dabei und hoffe auf die Unterstützung aller IPPNW-Mitglieder in den Monaten davor. Bitte unterstützen Sie vor allem den Gesundheitsappell und verbreiten Sie ihn unter KollegInnen sowie bei medizinischen Tagungen und Veranstaltungen. Zusammen können wir es schaffen!
Xanthe Hall ist Abrüstungsexpertin der deutschen IPPNW.
„Wenn wir den gesamten Luftraum über Syrien kontrollieren wollen, dann müssen wir einen Krieg gegen Syrien und Russland starten. Das ist eine ziemlich grundlegende Entscheidung, die ich jedenfalls nicht treffen werde.“ US-General Joseph Dunford, September 2016
Die Gefahr eines Atomkrieges wächst Eine Chronik der nuklearen Eskalation
Der Konflikt zwischen der NATO und Russland spitzt sich im Zuge der militärischen Interventionen in Syrien gefährlich zu.
A
uf beiden Seiten nehmen die Provokationen zu – atomare Drohgebärden eingeschlossen. Die deutsche „Stiftung Wissenschaft und Politik“ schätzt das Risiko eines nuklearen Schlagabtausches aufgrund der derzeitigen politischen Krise zwischen Russland und der NATO beispielsweise als „extrem hoch“ ein. In der im September erschienenen Studie „Amerikanische Russland-Politik und europäische Sicherheitsordnung“ schreibt der Autor Dr. Peter Rudolf: „Zum ersten Mal seit Ende des Ost-West-Konflikts gibt es in der NATO wieder Überlegungen, Übungen mit Blick auf Szenarien durchzuführen, in denen es zu einer nuklearen Eskalation kommen könnte. Die Gefahr eines Nuklearkriegs in Europa als Ergebnis einer Kriseneskalation droht zurückzukehren.“ Auch 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges hielten die USA und Russland, die zusammen „über rund 90 Prozent aller Atomwaffen weltweit“ verfügen, ihre strategischen Atomwaffen „in der ständigen Gefechtsbereitschaft“. Der sehr kurze Zeitrahmen für Entscheidungen sei „alles andere als förderlich“ für die „Krisenstabilität“. Die Flugzeiten ballistischer Raketen zwischen beiden Ländern liege „bei elf Minuten für seegestützte Raketen und 30 Minuten für landgestützte“. Der Autor der Studie betont, dass die „informellen Regeln und Regime“, die das stets präsente Risiko einer militärischen
Eskalation des Ost-West-Konflikts damals gemäßigt hätten, verloren gegangen seien. „Geschwunden scheint auch die Sensibilität der Politik im Umgang mit militärischen Risiken und dabei gerade mit dem Risiko einer potentiellen nuklearen Eskalation, sollte die Abschreckung versagen,“ schreibt er. Das Abschlussdokument des Warschauer NATO-Gipfels vom Juli 2016 schreibe fest, dass die NATO ein ‚nukleares Bündnis‘ bleibe. Im Falle einer Bedrohung der fundamentalen Sicherheit eines Mitgliedstaates habe sie „die Fähigkeit und die Entschlossenheit, einem Gegner inakzeptable Kosten aufzuerlegen“.
I
m Jahr 2003 hatten sich Deutschland und Frankreich noch geweigert, den Irakkrieg aktiv zu unterstützen. Beim Militäreinsatz in Libyen enthielt sich Deutschland 2011 im UN-Sicherheitsrat. Nach den Terroranschlägen auf Paris aber beteiligen sich Frankreich und Deutschland an den Militäreinsätzen gegen den sogenannten „IS“ und damit auch an der Konfrontation zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen Seite und Russland und Syrien auf der anderen Seite. Ob sich der Konflikt unter einem US-Präsidenten Donald Trump weiter zuspitzen oder eher entspannen wird, bleibt abzuwarten. Der jüngste Beschluss des Bundestages zur Ausweitung der AWACS-Flüge im Nahen Osten ist jedenfalls ein gefährlicher Eskalationsschritt, mit dem Deutschland 24
noch tiefer in den Syrienkrieg verstrickt wird. Denn mit dem Einsatz von AWACSMaschinen steigt die Gefahr einer Konfrontation: „Wir machen keinen Hehl daraus, dass die AWACS-Systeme vom türkischen Territorium die russische Luftwaffe in Syrien und die Luftstreitkräfte Baschar al-Assads beobachten werden“, zitierte Michael Jäger im „Freitag“ den stellvertretenden NATO-Kommandeur Paddy Teakle. Laut Freitag hatte das Auswärtige Amt zunächst gegen den Einsatz plädiert, der die NATO zur Kriegspartei mache und die Friedensbemühungen in Syrien erschwere.
D
as Klima zwischen der NATO und Russland verschlechtert sich zusehends. So wird am 3. Oktober 2016 bekannt, dass Russland das Abkommen mit den USA über die Beseitigung von waffenfähigem Plutonium aussetzt. Gründe seien „unfreundliche Akte“ der US-Regierung sowie die mangelnde Umsetzung des Abkommens durch die USA, hieß es aus dem Präsidialamt in Moskau. Es geht um die Vernichtung von jeweils 34 Tonnen hochangereichertem, waffenfähigem Plutonium. Was in den deutschen Medien nicht berichtet wurde, sind die russischen Bedingungen, unter denen das Abkommen wieder inkraftgesetzt werde. Dazu müsse erstens die NATO aus Osteuropa abziehen, zweitens müssten alle Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden und drittens sollten die USA darlegen, wie sie selbst den Vertrag erfüllen können. Am 5. Oktober 2016 steigt Russland zudem aus dem Abkommen über die Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung
ATOMWAFFEN
GEGEN NATO-KRIEGE: BERLIN, 8. OKTOBER 2016 Foto: Uwe Hiksch / CC BY-NC 2.0
in den Bereichen Atom und Energie aus. Am gleichen Tag setzt Putin das Exekutivabkommen zwischen Rosatom und dem Energieministerium der USA über Kooperation bei der Erforschung der Möglichkeit der Konversion der russischen Forschungsreaktoren zur Nutzung von niedrig angereichertem Uranbrennstoff aus. Als Begründung nennt Russland die Sanktionen der USA von 2014, unter anderem im Bereich der zivilen Atomnutzung. Zum selben Zeitpunkt droht der Generalstabs-Chef der US-Armee, Mark Milley, dass es einen Krieg zwischen USA und ihren Kontrahenten Russland und China geben könnte. Am 6. Oktober 2016 warnt das russische Außenministerium die USA eindringlich vor einem Militäreinsatz der USA gegen die syrische Armee. Der Himmel über Syrien werde überwacht und Russland sei bereit, seine Luftverteidigungssysteme gegen jegliche unbekannte Flugobjekte einzusetzen. Man werde nicht erst herausfinden, wem die entsprechenden Flugzeuge und Raketen gehören. Diese Warnung erstreckt sich auf sämtliche Luftangriffe auf das von Damaskus kontrollierte Territorium. Ebenfalls am 6. Oktober 2016 verkündet Russland die baldige Fertigstellung der zweiten Luftwaffendivision mit strategischen Langstreckenbombern.
V
om 4. bis 7. Oktober 2016 führt Russland eine große landesweite „Übung für zivile Verteidigung in großmaßstabigen Notsituationen natürlichen oder technischen Charakters“ durch, an der sich 40 Millionen BürgerInnen und 200.000 Rettungskräfte beteiligen. Eine große Notsitu-
ation technischen Charakters ist z.B. ein Atomkrieg. Als Reaktion auf die Stationierung russischer S-300-Luftabwehrsysteme in Syrien führt die US-Armee am 6. Oktober 2016 Testflüge durch, bei denen die Attrappe einer Atomrakete abgeworfen wird. Russland kündigt einen Tag später an, ehemalige Militärbasen in Kuba und Vietnam wieder in Betrieb nehmen zu wollen.
A
m 8. Oktober 2016 bestätigt Russland die Verlegung von Iskander-Raketen nach Kaliningrad. Diese Raketen können Atomwaffen tragen und haben eine Reichweite von 500 Kilometern. Sie sind auf die Zerstörung der feindlichen Luftverteidigung spezialisiert. In Kaliningrad werden sie auf die neue US-Raketenabwehr gerichtet sein, die in Polen stationiert ist. Sie könnten aber auch Berlin erreichen. Am 12. Oktober 2016 testet Russland im Rahmen von Militärübungen drei Interkontinentalraketen. Eine wird von Land aus abgefeuert, zwei von U-Booten aus. Vermutlich eine Antwort auf den Abwurf der US-Raketenattrappen. Die NATO treibt ihre Pläne voran, in Reaktion auf Russland vier Kampfbataillone nach Osteuropa zu verlegen. Am 7. November 2016 melden englische Medien, dass die NATO zukünftig 300.000 Soldaten in Alarmbereitschaft versetzen wolle.
Was kann die Zivilgesellschaft angesichts dieser Eskalation tun? Mehrere IPPNW-Mitglieder sind ErstunterzeichnerInnen des internationalen Appells 25
der Initiative „Neue Entspannungspolitik. Jetzt“. Die UnterzeichnerInnen fordern eine neue Friedens- und Entspannungspolitik zwischen der NATO und Russland. „Der Ausweg aus der Sackgasse der Konfrontation führt auch heute nur über Kooperation, durch Verständigung mit vermeintlichen Feindländern“, heißt es in dem Aufruf. Die IPPNW-Vorsitzende Susanne Grabenhorst, Vorstandsmitglied Dr. Sabine Farrouh und IPPNW-Ehrenvorstand Prof. Dr. Ulrich Gottstein gehören neben Gernot Erler, Prof. Herta Däubler-Gmelin und Dr. Henning Scherf zu den Erstunterzeichnenden. Auch viele bekannte US-FriedensaktivistInnen, darunter Daniel Ellsberg und Noam Chomsky, beteiligten sich, ebenso Robert Gould und Ira Helfand von unserer US-Schwestersektion PSR. Die IPPNW unterstützt zudem die Kampagne „Macht Frieden – Zivile Lösungen für Syrien“, die sich gegen die Erweiterung und Verlängerung des Syrienmandats der Bundeswehr ausgesprochen hat. Die Bundestags-Mehrheit für das Mandat ist leider stabil geblieben, aber Grüne und Linke haben dieses Mal geschlossen gegen den Einsatz gestimmt. Machen wir uns also weiter stark für zivile Alternativen zum Krieg.
Angelika Wilmen ist Pressesprecherin und Koordinatorin der Öffentlichkeitsarbeit der deutschen IPPNW.
ATOMWAFFEN
Trident verschrotten Warum die schottische Unabhängigkeit die Abschaffung der britischen Atomwaffen zur Folge hätte
„Wir möchten, dass Schottland für seinen Beitrag zum Weltfrieden und zur Gerechtigkeit bekannt wird, nicht als Startrampe für Kriegszüge.“
S
chottland begrüßt die Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot, die 2017 beginnen, und dankt den UN-Staaten, die dafür gestimmt haben. Wir sind ein kleines Land, von uns gibt es nur fünf Millionen. Vor 300 Jahren, als sich Schottland und der Rest Großbritanniens zusammenschlossen, leistete die Bevölkerung dagegen erbitterten Widerstand. Da es hauptsächlich um Steuererleichterungen für wohlhabende Händlerschichten ging, war das Projekt beim Normalbürger unbeliebt. Schottland behielt sein Bildungssystem, so wie es bis heute sein eigenes Recht mit besonderen Verantwortungen und Verpflichtungen hat. 1999 erhielten wir im Zuge des Unabhängigkeitsprozesses unser Parlament mit einigen Vollmachten zurück (mit allen wichtigen Vollmachten, sagt manch einer). Dazu gehören die Ressorts Verteidigung und Außenpolitik – und nach einer Sonderklausel im Schottlandgesetz des britischen Parlamentes auch die Vollmacht über Massenvernichtungswaffen.
D
ie schottische Kultur in ihrem besten Sinne legt Wert auf Gastfreundschaft und das faire Teilen von Ressourcen. Wir sind alle gleich. Wir sind jedermanns Kinder – wie die Schotten sagen: “We‘re a‘ Jock Tamson‘s bairns.” Die meisten von uns leben in dem zentralen Landstrich zwischen Edinburgh und Glasgow. Es gibt
noch ein paar andere wichtige Städte, und eine ländliche bzw. Inselbevölkerung auf den riesigen Anwesen, auf denen die Aristokraten einst Profit machten, indem sie das Land entvölkerten. Fast alle von uns sprechen Englisch, manche Gälisch und die meisten irgendeine Variante des Schottischen. Viele sprechen auch Urdu, Polnisch oder eine andere der Sprachen, die die neuen Schotten und ihre Kinder mitgebracht haben.
T
rotz der irrationalen Rhetorik, bei der es immer um Arbeitsplätze geht, sind wir gegen Atomwaffen. Die britische Regierung hatte ihre Atomwaffen immer in Schottland stationiert, wo es von Anfang an Widerstand dagegen gab. Sämtliche britischen Atomwaffen sind in Schottland, denn die Marinebasis, die Infrastruktur, die Wassertiefe und die Wolkendecke, die dafür nötig sind, gibt es nur bei uns. Die Schottische Campaign for Nuclear Disarmament (CND) gründete sich im selben Jahr wie die gleichnamige britische Schwesterorganisation CND und es hat immer AktivistInnen gegeben, die bereit waren, alles zu geben, sich mit Paddelbooten und Neoprenanzügen ins Wasser zu begeben, Sitz- und Liegeblockaden an den Anlegern und Zufahrtstoren durchzuführen. Zäune wurden bemalt, zersägt und überklettert. Die Aktivitäten nehmen zwar zahlenmäßig zu und ab, halten dabei jedoch unvermindert an. 26
Bei der Kampagne für die schottische Unabhängigkeit, die zum Volksentscheid von 2014 führte, ging es im Kern um Atomwaffen. Das spiegelte auch das Logo der Koalition „Trident verschrotten“ wider, das das CND-Symbol und den Slogan „Kinder statt Bomben“ enthielt. Das mögliche Ende von Trident war für die Schotten ein starkes Argument für die schottische Unabhängigkeit – das bedeutet nicht den Abzug, sondern den kürzesten Weg, um zu gewährleisten, dass Trident durch die britische Regierung an keinem anderen Ort mehr erneuert oder fortgesetzt werden kann. Die schottische Unabhängigkeitsbewegung ist nicht dasselbe wie die Schottische Nationalpartei (SNP). Auch die Grünen und die Sozialisten wollen die Unabhängigkeit – und ihre Außenpolitik steht den britischen Ideen mit noch größerer Ablehnung entgegen. Den meisten Schotten ist Parteipolitik ein Gräuel. Ihrem internationalistischen Ideal entspricht die Unabhängigkeit, die zu einem weltweiten Friedenssystem beitragen soll – abseits des alten Parteiensystems, jenseits der nationalen Grenzen, in denen die britische Regierung verharrt. Wenn wir uns den verzweifelten Widerstand der Atomwaffenstaaten gegen die UN-Staaten ansehen, die sich für einen Verbotsvertrag einsetzen, kann man verstehen, weshalb die britische Regierung alles getan hätte, um Schottland die Unabhän-
Fotos: © Giulio Magnifico
FLUCHT
gigkeit zu verwehren – denn das hätte den Verlust des nuklearen Potentials bedeutet, den Anfang vom Ende der Atommächte.
N
ach dem ersten Erfolg im Unabhängigkeitsprozess 1999 hatten wir mit der Entwicklung der SNP und der atomaren Abrüstungspolitik viel zu tun: Ein Friedensmarsch von der Basis Faslane zum Parlament, der Start einer Solidaritätserklärung, die in Schulen, Fabriken und Gottesdiensten unterschrieben wurde – mit dem Titel „Wir möchten, dass Schottland für seinen Beitrag zum Weltfrieden und zur Gerechtigkeit bekannt wird, nicht als Startrampe für Kriegszüge.“ Demonstrationen und Infostände von CND und lokalen Friedensgruppen, direkte Aktionen an der Basis Faslane, parteiübergreifende Parlamentariergruppen und zivilgesellschaftliche Meetings. „Faslane 365“ war eine Kampagne gewaltfreier Aktion an der Militärbasis – ein Jahr lang blockierten und protestierten hier Gruppen aus dem ganzen Land sowie internationale UnterstützerInnen. Kleine Lokalzeitungen und Radios berichteten, so dass tausende von AktivistInnen ihre Fähigkeiten und ihr Vertrauen in die eigene Stimme entwickeln konnten. Das war ein politisch bedeutsames Jahr und die Aktionen beherrschten die Agenda des schottischen Parlaments in Holyrood, die Think Tanks und die Strategiediskussionen der SNP. Die meisten von uns machten Lobbyarbeit – wir bildeten Delegationen und nutzen jede Gelegenheit, Trident-GegnerInnen öffentliche Auftritte zu verschaffen. Wir nah-
men an Arbeitsgruppen mit Regierungsmitgliedern teil, beschäftigten uns mit Fragen der Infrastruktur und der Straßengesetzgebung. Wir stellten rechtliche Fragen auf höchster Ebene – CND begann an Fragen der Informationsfreiheit zu arbeiten, um zu beweisen, dass Trident nicht südlich der Grenze re-stationiert werden kann. Das Friedenscamp in Faslane gibt es seit 1982 durchgängig – es ist, was seine Bewohner aus ihm machen und also ständiger Veränderung unterworfen. Ein Platz zum Leben und Nachdenken, eine Brutstätte, die dem Verteidigungsministerium Sorgen macht. Wir haben hart gearbeitet und dauerhafte Beziehungen geschaffen.
A
kribisch bereiteten wir unsere öffentliche Anklage gegen die Atomwaffen vor. Die Menschen unterstützten uns dann an der Wahlurne auf überwältigende Weise. Als uns Westminster überhaupt nicht beachtete, nahm ICAN seine weltweiten Aktivitäten auf – dieser Ansatz entsprach unserer Idee einer internationalistisch gedachten Unabhängigkeit. Viele SchottInnen haben ihre eigene Zukunftsvision, was Frieden und Sicherheit betrifft. Das Referendum ist gescheitert – wegen falscher Versprechungen, die dann gebrochen wurden – aufgrund von Horrormächen, die sich als Lügen entpuppt haben. Deshalb gehe ich davon aus, dass es beim nächsten Mal zur Unabhängigkeit kommen wird. Auch wenn uns das als der schnellste Weg scheint, Großbritannien zur Abschaffung der Atomwaffen zu zwingen, müssen wir unsere PolitikerInnen bei der 27
Stange halten. Direkt nach dem verlorenen Referendum war die Initiative Trident Ploughshares (Pflugscharen) morgens an der Militärbasis, um die Belegschaft am Betreten zu hindern – wir hielten Demos und Blockaden ab und verstärkten unsere Repräsentanzen sowohl im schottischen als auch im britischen Parlament. Wir lernten aus dem Referendum, wie man kollektiv aktiv sein kann, mit „Scrap Trident“, einem Bündnis von Organisationen und Einzelpersonen. Der Brexit hat starke Auswirkungen auf Schottland. Die SchottInnen sind wütend und verachten die Verlogenheit der Unionisten, die argumentiert hatten, die Unabhängigkeit würde Schottland aus Europa hinausbefördern. Das demokratische Defizit des Brexit ist allerdings weniger gravierend als die falsche Art, wie Großbritannien Schottland in der Welt repräsentierte, als der britische Botschafter in der UN sagte, die Regierungen, die sich für das Atomwaffenverbot einsetzten, seien waghalsig und die Aufrüstung der britischen Atomwaffen sei demokratisch entschieden worden. „Trident verschrotten“ ist im Internet und auf Facebook aktiv. Schaut gerne diese Seiten an – oder kommt uns besuchen! Janet Fenton ist Vizepräsidentin der Schottischen Kampagne für nukleare Abrüstung und aktiv bei der internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF).
Foto: © Frode Ersfjord
LONDON, FEBRUAR 2016
ATOMWAFFEN
Ein visionäres, aber erreichbares Ziel Wie sich der Protest rund um Büchel über zwei Jahrzehnte entwickelt hat
Im Jahr 1996 begannen die ersten Proteste gegen die Stationierung der Atomwaffen auf dem NATO-Stützpunkt Büchel. Zunächst mit einer Sitzblocke durch wenige Mitglieder der „Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen“. Bereits im nächsten Jahr folgte ein Protestmarsch mit knapp 200 TeilnehmerInnen, an dem sich auch PolitikerInnen der Grünen, der Jusos, sowie StudentInnen- und Umweltgruppen beteiligten.
S
M
chon während des Marsches wurden wir von der einheimischen Bevölkerung beschimpft. Als dann durch die Presse bekannt wurde, dass einige AktivistInnen anschließend als „Zivile Inspektoren“ den Zaun durchschnitten und das Militärgelände betreten hatten, wurden die Demonstranten vollends als Chaoten und Kriminelle verunglimpft. Die Menschen der Region reagierten vermutlich so heftig, weil besonders die Lokalpolitiker der CDU ihnen einredeten, dass nur die Existenz der Atombomben die Zukunft des Fliegerhorstes und damit ihre Arbeitsplätze sichern würde. Um die Diskussion zu versachlichen, boten wir wiederholt Veranstaltungen mit Fachleuten, PolitikerInnen der Grünen und der SPD an – zu den Themen “atomares Wettrüsten“, Raketenabwehrschirm und Konversion. Aber die Menschen der Region wollten davon offenbar nichts wissen, ihre Plätze blieben leer.
it 18.000 Unterschriften versehen wurde dieser Appell dann im Januar 2001 im Außenministerium überreicht. In den Folgejahren stieg die Zahl der Demonstrationen und „Zivilen Inspektionen“ am Fliegerhorst Büchel an, ebenso die Zahl der Anzeigen und Gerichtsverhandlungen am Amtsgericht Cochem. Die Angeklagten wurden regelmäßig zu einer Geldstrafe verurteilt, das Landgericht Koblenz bestätigte jeweils diese Urteile. Begleitet wurde das oft mit wütenden Leserbriefen aus der Bevölkerung in der örtlichen „Rhein-Zeitung“. Die Stimmung änderte sich etwas, als im Jahr 2002 Pfarrer Dr. Matthias Engelke vom Internationalen Versöhnungsbund zu unserer örtlichen Gruppe stieß. Die Menschen in der Eifel sind sehr religiös und einem Pfarrer verweigert man nicht das Gespräch. So gelang hier und da ein Treffen mit einer Frauengemeinschaft, einem Pfarrerkollegen oder einem Ortsbürgermeister. An dem Friedensfrühstück, das wir vorm Haupttor des Fliegerhorstes angemeldet hatten, beteiligten sich eher Menschen aus der weiteren Umgebung, aber auch PolizistInnen und wenige Offiziere. Dieses Frühstück war immer der Beginn einer kompletten Umrundung des Flugplatzes nach dem Motto „Jericho in der Eifel“. Es sollten die Zäune fallen und die Atombomben verschwinden.
Immerhin gab es eine Handvoll Friedensbewegte, den „Initiativkreis gegen Atomwaffen“, die vor Ort regelmäßig zu Demonstrationen aufriefen. Im Jahr 1999 wurde der Protest auf eine breitere Basis gestellt, indem das Netzwerk „Atomwaffen Abschaffen“ seine Jahrestagung in Cochem abhielt, mit etwa hundert TeilnehmerInnen. Zu diesem Netzwerk zählten neben der „Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen“ (GAAA) auch die DFG-VK, die Juristen-Vereinigung IALANA und die kritischen Soldaten des „Darmstädter Signals“. Zum Abschluss der Tagung wurde der Cochemer Appell verabschiedet, ein Auszug: „Zehn Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist es an der Zeit, die Atombomben aus der Bundesrepublik abzuziehen. Atombomben bedrohen die ganze Menschheit. Eine Welt ohne Atomwaffen ist ein visionäres, aber erreichbares Ziel.“
D
och nach den sieben Umrundungen waren im Jahr 2008 die Bomben immer noch da. Dafür kamen zur Abschlussveranstaltung mit bundesweiter Unterstützung durch den Trägerkreis „Atomwaffen abschaffen“ rund 2.000 TeilnehmerInnen – es war die bisher größte Kundgebung am Fliegerhorst Büchel. Der bekannteste Redner war Horst-Eberhard Richter, der langjähri28
MUSIKALISCHER PROTEST ZUM NAGASAKI-JAHRESTAG INFriedenskooperative BÜCHEL 2016 Foto: © Netzwerk tungen vor Ort und in Cochem. Ein herausragendes Ereignis war dann die Musik-Blockade im Sommer 2013. Die Auftaktveranstaltung begann mit 650 TeilnehmerInnen, dabei waren auch Claudia Roth (Grüne) und Nobert Neuser (SPD). Danach wurden sieben Tore für 24 Stunden von einem guten Dutzend Musikgruppen abwechselnd blockiert. Am Montagmorgen konnten die Soldaten den Fliegerhorst nur durch ein winziges Tor betreten, das vorher geräumt wurde. Zum Abschluss spielten die „Lebenslaute“ ein Bach-Konzert vor dem Haupttor – eine beeindruckende Aufforderung für Abrüstung und Frieden!
ge Vorsitzende der IPPNW, musikalisch aufgemischt wurde die Bühne von Nina Hagen. Hier und da stieß man auf Neugierige aus den umliegenden Dörfern, die vor allem wegen der Musik kamen und sich etwas verschämt unter die Menge mischten. Später konnte ich erfahren, dass viele Bundeswehrangehörige sich lieber unter den bunten Demonstrationszug gemischt hätten, als innerhalb des Zaunes mit der „Knarre“ Wache zu halten. In den nächsten Jahren bekamen die Protestaktionen immer mehr Auftrieb. Vielleicht hatte die Rede von Barack Obama in Prag den Menschen Hoffnung gegeben, dass ihre Bemühungen endlich Erfolg haben würden? Unter anderem fand im Sommer 2009 ein großes Camp mit internationaler Beteiligung und verschiedenen phantasievollen Aktionen des Zivilen Ungehorsams statt. Unser Ehrengast war die Autorin Barbara Rütting, sie hatte schon in Mutlangen gegen die Stationierung der Pershings protestiert. „Unser Mut wird langen“, so ihr Credo. Frühmorgens gab es öfter Blockaden am Tor oder es wurden Flyer verteilt, mit denen die Soldaten aufgefordert wurden, sich dem Einsatz der Atombomben zu verweigern. Auch diese Taten kamen zur Anklage vor das Cochemer Amtsgericht. Jedoch wurden die verteilenden Personen freigesprochen, da der Text des Flyers nach Einschätzung des Gerichts unter die freie Meinungsäußerung fällt. Aber es wurden nicht nur Aktionen vor Ort und in Cochem organisiert, es bildete sich auch eine Theatertruppe, die an vielen Orten im nördlichen Rheinland-Pfalz mit ihrem Straßentheater auf die Atombomben im Land aufmerksam machte.
D
ie vielen friedlichen Demonstrationen sorgten dafür, dass die wütenden Leserbriefstimmen leiser wurden. Ja, es gab sogar einzelne öffentliche Kommentare, die Sympathie und Verständnis für die Protestierenden durchblicken ließen. Mit der Aktion „Büchel 65“ begann die Protestform einer Dauerpräsenz vorm Tor des Fliegerhorstes. Rund 450 Personen haben dort verteilt auf 65 Tage „Zivilen Ungehorsam“ geleistet und dadurch den Widerstand gegen die Atombomben zu ihrer ganz persönlichen Angelegenheit werden lassen. Im Jahr 2016 weitete sich die Dauerpräsenz auf 20 Wochen aus, organisiert durch den Trägerkreis „Atombomben abschaffen“, bestehend aus 45 Organisationen. Dabei haben sich etwa 1.500 Menschen aus dem In- und Ausland ganz persönlich für die nukleare Abrüstung eingesetzt – mit Blockaden, Mahnwachen und dem Hinterlassen eines Symbols auf der neu angelegten Friedenswiese. Leider werden die Symbole auf der Friedenswiese immer mal wieder zerstört, vermutlich durch Einheimische.
I
Es bleibt also die Frage: Wie müssen wir zukünftig unsere Protestaktionen gestalten, damit wir auch die Menschen vor Ort mitnehmen, die von einem Atombombenunglück am meisten betroffen wären?
m Jahr 2010 wagten wir es dann, am Ostermontag zum ersten Mal einen Ostermarsch am Fliegerhorst zu organisieren. Leider regnete es in Strömen, so dass nur etwa 150 Personen teilnahmen. In den Folgejahren wurde der Ostermarsch in Büchel jedoch zur Tradition und wird von SPD, Grünen und Linken durch aktive Teilnahme und auch finanziell unterstützt. Je nach Wetter kommen bis zu 300 DemonstrantInnen, er hat damit inzwischen die meisten Teilnehmer in Rheinland-Pfalz. Ebenfalls im Jahr 2010 begann Pfarrer Engelke mit einer Fastenaktion zu den Hiroshima-Nagasaki-Gedenktagen. Auch diese Aktion wurde zur Tradition, wobei in jedem Jahr einen Tag länger gefastet wird. Begleitet werden diese Tage mit vielen Veranstal-
Dr. Elke Koller ist Apothekerin und Mitglied des Kampagnenrats von atomwaffenfrei.jetzt. 29
WELT
Nord und Süd treffen sich in Havanna Angesichts eskalierender Kriege lud die IPPNW Kuba zu einer Konferenz ein unseres Büros in Boston gefährdet, wenn nicht neue Ideen zum Fundraising entwickelt werden. Mit der Planung des nächsten Weltkongresses in York (England) im September 2017 ging das Board-Meeting zu Ende.
A
Im Januar 2015 hatten die Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAG) ihre Region in einer historischen Erklärung zu einer „Friedenszone“ erklärt und gleichzeitig die Abschaffung der Atomwaffen gefordert.
E
in halbes Jahr später kamen die IPPNW-Sektionen Lateinamerikas auf ihrem Regionaltreffen gleichwohl zu der Überzeugung, dass sich die Welt derzeit in einer tiefgreifenden, multifaktoriell verursachten Krise befindet. Die zunehmenden, von Interessen geleiteten Kriege, so schrieben sie in ihrem Abschlussdokument, drohten sich zu einem globalen Krieg bis hin zum nuklearen Holocaust auszuweiten. Sie beschlossen, den Dialog mit den IPPNWSektionen der Industriestaaten zu intensivieren, um unter anderem diese Fragen zu diskutieren. Carlos Pazos, der Präsident der kubanischen Sektion, bot an, Anfang November 2016 ein Nord-Süd-Treffen in Havanna abzuhalten. Gleichzeitig lud er das Board of Directors, den internationalen Vorstand der IPPNW, dazu ein, seine diesjährige Sitzung ebenfalls in Kuba abzuhalten, um bei der wichtigen Debatte dabei zu sein. Wenige Tage vor Ankunft der IPPNW-AktivistInnen in Havanna gab es erneut eine historische Entscheidung: Eine große
Mehrheit der Staatengemeinschaft hatte in New York für die Aufnahme von Verhandlungen über ein völkerrechtlich bindendes Verbot von Atomwaffen votiert.
B
eim Board-Meeting lieferte Tilman Ruff aus Australien, einer der derzeitig vier Ko-Präsidenten der IPPNW, der selbst in New York die Verhandlungen begleitet hatte, einen bewegenden Bericht über die dortigen Ereignisse. Ein enormer Fortschritt in unseren Bemühungen zur Abschaffung der Atomwaffen, den noch beim letzten Treffen niemand erwartet hatte. Weitere Berichte über den Stand unserer Kleinwaffenkampagne und die Arbeit in den Regionen folgten. Eher ernüchternd war dagegen der Bericht des Schatzmeisters: Da aus unterschiedlichen Gründen insbesondere US-amerikanische Spender, die die internationalen Aktivitäten der IPPNW bisher weitgehend finanzierten, zunehmend ausfallen, müssen vorhandene Reserven mobilisiert werden. Dies hat bereits zu schmerzhaften Einschnitten geführt, mittel- bis langfristig ist sogar die Existenz 30
uch beim darauf folgenden NordSüd-Treffen stand die jüngste Entwicklung bezüglich der Atomwaffen zunächst im Vordergrund: Nadia Arredondo, Staatssekretärin im kubanischen Außenministerium, die in New York als Mitglied der Delegation Kubas selbst dabei war, war der Einladung zu unserem Treffen gefolgt. So sehr sie unsere Begeisterung teilte und die IPPNW für ihr wegweisendes Engagement lobte, wies sie in ihrem Vortrag darauf hin, dass selbst ein verbindliches Verbot noch keine tatsächliche Abschaffung der Atomwaffen bedeutet. Sie machte uns Mut, hartnäckig an unserem Ziel festzuhalten und bot dafür die Unterstützung Kubas an. Im Weiteren ging es dann um die grundlegenden Fragen nach der Ursache der globalen Krise, z. B. den Zusammenhang zwischen ökonomischen Verwerfungen und der Entstehung von Kriegen sowie um mögliche Optionen für die zukünftige Strategie der IPPNW. In der Abschlusserklärung des Treffens wurde formuliert, wie wichtig die Zusammenarbeit nicht nur für die KollegInnen aus Lateinamerika ist. Neben der Information der Öffentlichkeit wird es für den Erfolg unserer Arbeit entscheidend sein, dass wir uns auf unser gemeinsames Handeln und nicht auf unsere Gegensätze konzentrieren und dabei die unterschiedlichen Perspektiven nicht als Hindernis, sondern als Bereicherung erkennen.
Helmut Lohrer ist International Councillor der deutschen IPPNW und besuchte das Treffen in Havanna.
AKTION
Banner am Bundestag Bundeswehr aus Syrien abziehen!
Foto: © Jonas Klein
Mit einem 100 qm großen Pfeilbanner mit dem Aufdruck „Macht Frieden“ positionierten sich am 10. Oktober 2017 rund 100 FriedensaktivistInnen vor dem Bundestag. Mit der Aktion wollten sie ein Zeichen für zivile Konfliktlösung und gegen das Bundeswehrmandat setzen, das am selben Tag von einer Mehrheit der Abgeordneten verlängert und erweitert wurde. Abgeordnete der Linken und der SPD nahmen an den Protesten teil. Im Vorfeld hatten sich viele Menschen – darunter auch Mitglieder der IPPNW – an kreativen Aktionen beteiligt, ihre Bundestagsabgeordneten angeschrieben und angerufen und um Stellungnahmen zum Bundeswehrmandat für Syrien gebeten. „Mit der Aktion haben wir unsere Forderungen symbolisch ins Parlament getragen,“ erklärt Kampagnenkoordinator Philipp Ingenleuf. „Die Abgeordneten sollen wissen: Sie haben die Wahl und es gibt Alternativen.“
AM BUNDESTAG, BERLIN 31
G ELESEN
Zu Besuch in der Westbank
Zerrissenes Land
Ein Israeli reist in die besetzten Gebiete: Überdrüssig der formelhaften Debatten mit Landsleuten, die nie in Palästina waren und vom Leben dort keine Ahnung haben, unternimmt er von Tel Aviv aus ein Jahr lang Reisen in die Westbank, um zu sehen, wie das Leben der Palästinenser in den besetzten Gebieten aussieht.
Karin Leukefeld hat ein wunderbares Buch geschrieben. Sehr klar verständlich beleuchtet sie die letzten hundert Jahre Geschichte des Nahen Ostens.
M
it dem Sykes-Picot-Abkommen fingen Frankreich und Großbritannien 1916 an, das Osmanische Reich in Interessengebiete aufzuteilen, ohne die Interessen der einheimischen Bevölkerung zu berücksichtigen. Leider war das auch in den folgenden hundert Jahren bis heute nicht anders. „Thinktanks in aller Welt haben Programme ausgearbeitet, was am Tag danach geschehen wird, am Tag nach dem Sturz des Regimes... Pläne für eine neue Aufteilung Syriens liegen vor... Dennoch geben (die Syrer) nicht auf. Sie widerstehen geduldig dem Mangel, der Unsicherheit, der Teuerung, den falschen Versprechen. Sie wollen Syrien erhalten, ungeteilt, souverän, respektiert. Inmitten der großen Zerstörung halten sie stand. Hundert Jahre nach der Zerteilung durch das Sykes-Picot-Abkommen ist nicht ausgemacht, was von Syrien übrig bleibt.“
E
r erlebt die Besatzung in der Willkür an Kontrollpunkten wie Kalandia, hört Berichte über ständige Übergriffe auf das Flüchtlingslager Balata aus den zwölf Siedlungen nahe Nablus heraus, spricht mit BewohnerInnen des Lagers, mit verschiedenen Repräsentanten der PLO und der Autonomiebehörde, Vertretern der Fatah oder kleiner politischer Organisationen wie „Zwei Staaten, eine Heimat“, getragen von palästinensischen und jüdischen Mitgliedern oder „Jüdisches Heim“, einer Partikularpartei des religiös-zionistischen Sektors, und berichtet darüber. Schon im Vorwort resümiert Baram bitter, dass der Besatzungsapparat eine Art Labyrinth sei, „in dessen Gängen man unweigerlich verloren gehen muss, und uns zu einer Gesellschaft von Gefängniswärtern gemacht hat.“
Das Buch gliedert seine Kapitel nach den Epochen der syrischen Geschichte und im Anhang „100 Jahre Syrien 1916-2016“ sind die Eckpunkte der Geschichte auf 23 Seiten übersichtlich zusammengefasst. Ergänzt durch anschauliches Kartenmaterial und sieben Seiten Begriffserklärungen wird das Buch fast zu einem Nachschlagewerk, wenn man über die Region arbeiten will. Faszinierend wird das Buch dadurch, dass die Autorin die historischen Abläufe mit Geschichten von Menschen unterfüttert und es so spannend lesbar macht wie einen Roman. Die Lebensgeschichten ihrer Zeitzeugen, die Treffen mit Damaszener Kunsthandwerkern und Händlern oder dem Frauenprojekt ANAT, den Gründern des Kinderumweltclubs in Era und die Gespräche mit jungen Syrerinnen und Syrern malen ein anschauliches Bild des Lebens in Syrien damals wie heute.
In zahlreichen Gesprächen geht es um die Möglichkeit einer Zukunft für PalästinenserInnen und Israelis. Dabei ist auch die historische Sichtweise wichtig, einmal der palästinensische Blick auf die Nakba 1948, auf den Sechs-Tage-Krieg 1967 und die Einsicht, dass eine Lösung eine historische Sicht beinhalten muss, die sich mit beiden Daten auseinander setzt. Er vermisst jede tiefer gehende Diskussion in Israel während der letzten Jahre. Stattdessen stellt er fest, dass „die allermeisten Institutionen in Israel sich einer Bevorzugung von Juden (...) und der Perfektion der Okkupation verschrieben haben, was bereits Teil ihres Betriebssystems ist.“ Aber entscheidender als die Frage nach einer Ein- oder ZweiStaaten-Lösung ist: Was ist wichtiger, staatliche Souveränität oder die Möglichkeit der PalästinenserInnen, sich zu bewegen, ein normales gleichberechtigtes Leben führen zu können? Sein Schluss: Nötig sei eine moralische Umwälzung innerhalb der israelischen Gesellschaft, vollzogen von allen, die nicht in einem Apartheidstaat leben wollen.
Und die Zukunft Syriens? „Aber eines Tages wird das Chaos vorbei sein, dann werden es die Frauen sein, die Syrien wieder aufbauen. Die Männer sind tot, im Gefängnis oder sie haben das Land verlassen. Aber die Frauen sind hier, sie werden Syrien wieder aufbauen,“ zitiert die Autorin einen jungen Mann. Dieses Buch ist ein Muss für alle, die über Syrien mitreden wollen.
Nir Baram: Im Land der Verzweiflung. Hanser, 2016, 304 S., gebundene Ausgabe 22,90 €, E-Book 16,99 €, ISBN: 978-3446-25046-8 Jürgen Sendler
Syrien zwischen Schatten und Licht. Menschen erzählen von ihrem zerrissenen Land: Rotpunkt, 2. Auflage 2016, 336 S., mit zahlreichen Fotos, Taschenbuch 24,00 €, E-Book 19,99 €, ISBN 978-3858-69689-2 Sabine Farrouh 32
GEDRUCKT
TERMINE
Amatom 29 IPPNW-Studierendenmagazin Her mit dem guten Leben... für alle? Konsequenzen sozialer Ungleichheit in der Welt – Inhalte: EU-Abschottungspolitik, Fluchtbewegungen, Organhandel Iran, Berichte aus dem Programm famulieren & engagieren – und vieles mehr. Der Amatom ist die Zeitschrift von und für kritische Medizinstudierende. 40 Seiten A4, 1,- Euro. Zum Verteilen für Studierende kostenlos. Online lesen unter: issuu.com/ippnw – Bestellen im Shop: shop.ippnw.de
Was tun bei Abschiebungen? Empfehlungen für heilberuflich Tätige Diese IPPNW-Handreichung gibt Tipps, wie sich ÄrztInnen in einer Abschiebesituation verhalten können. Gefalzter A4-Flyer. Download unter: kurzlink.de/abschiebung. Bestellen im Shop: shop.ippnw.de
FEBRUAR 4.2. Aktionskonferenz Atomwaffenfrei.jetzt 17.-19.2. Münchener SIKO, Demo und Friedenkonferenz 25.2. Strategietreffen Afghanistan, AK Flucht & Asyl, Berlin
MÄRZ 3.-4.3. Aktionskonferenz „Stoppt den Waffenhandel“, Frankfurt/M. 4.3. Aktionstag „Stoppt den Waffenhandel“, Frankfurt/M. 16.3.-17.3. Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 26.3. Auftakt „Büchel ist überall“ (bis zum 9. August) 27.3.-31.3. UN-Vertragskonferenz zum Atomwaffenverbot
APRIL 14.4.-17.4. Ostermärsche 28.4.-30.4. IPPNW-Jahrestreffen und Mitgliederversammlung, Berlin
GEPLANT
MAI Das nächste Heft erscheint im März 2017. Das Schwerpunktthema ist:
Abschaltung, Stillegung und Rückbau von Atomkraftwerken
2.5.-12.5. NVV PrepCom, Wien
JUNI 10.6. „Tag der Bundeswehr“
Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 149 /März 2017 ist der 31. Januar 2017. Das Forum lebt von Ihren Ideen und Beiträgen. Schreiben Sie uns: forum@ippnw.de
IMPRESSUM UND BILDNACHWEIS Herausgeber: Internationale Ärzte für die Verhü-
enthalten. Sämtliche namentlich gezeichnete Arti-
tung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verant-
kel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der
wortung e. V. (IPPNW) Sektion Deutschland
Redaktion oder des Herausgebers. Nachdrucke
Redaktion: Sabine Farrouh (V.i.S.d.P.), Angelika
bedürfen der schriftlichen Genehmigung.
Wilmen, Regine Ratke Freie Mitarbeit: Tom Wilms
Redaktionsschluss für das nächste Heft:
Anschrift der Redaktion: IPPNWforum, Körte-
31. Januar 2017
straße 10, 10967 Berlin, Telefon: 030 / 69 80 74-0,
Gestaltungskonzept: www.buerobock.de, Layout:
Fax 030 / 693 81 66, E-Mail: ippnw@ippnw.de,
Regine Ratke Druck: Clever24 GmbH Berlin;
www.ippnw.de, Bankverbindung: Bank für So-
Papier: Recystar Polar, Recycling & FSC.
zialwirtschaft, Kto-Nr. 2222210, BLZ 10020500,
Bildnachweise: S. 6 Mitte: osaMU / CC-BY-2.0; S.
IBAN DE39 1002 0500 0002 2222 10,
6 re.: Arif Ali Cangi/Twitter; S.7 li.: Wikipedia; S. 7
BIC BFSWDE33BER
re.: Richard Baker, CC BY-
Das Forum erscheint viermal im Jahr. Der Be-
SA 2.0; nicht gekennzeich-
zugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag
nete: privat oder IPPNW. 33
9.-11.6 Kongress „50 Jahre SechsTage-Krieg“, Köln 15.6.-7.7 UN-Vertragskonferenz zum Atomwaffenverbot Informationen und Kontaktdaten: www.ippnw.de/aktiv-werden/termine
Vormerk en JUNI 19. – 17. 06. 2017 IPPNW-Aktionswoche Büchel, Eifel
!
GEFRAGT
Foto: © Netzwerk Friedenskooperative
6 Fragen an … Ray McGovern
Ehemaliger CIA-Analyst und US-amerikanischer Friedensaktivist
1
Ist mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten eine Neujustierung der US-amerikanischen Außenpolitik zu erwarten? Man kann eine vernünftigere, sachlichere Auseinandersetzung mit Russland erwarten. Aus meiner Sicht ist die Gefahr einer bewaffneten Eskalation geringer als sie es mit Hillary Clinton gewesen wäre. Viel wird davon abhängen, ob Trump positiv auf Putins Vorschlag eines beiderseitigen Rückzugs der Truppen aus den Grenzregionen reagiert. Was Putin aber viel mehr Sorge bereitet ist die Stationierung anti-ballistischer Raketen nahe der russischen Grenze, die das Pentagon glauben machen könnte, dass ein Erstschlag gegen die russischen Nuklearwaffen erfolgreich sein könnte.
4
2
5
3
6
Steigt mit dem neuen US-Präsidenten die Gefahr eines Atomkrieges? Ein Atomkrieg scheint eher etwas unwahrscheinlicher geworden zu sein, wenn man Trumps offene Haltung gegenüber Russland und seine Unempfindlichkeit gegenüber medialer Kritik im Hinblick auf das Thema betrachtet. Darüber hinaus wird er vermutlich eine striktere Kontrolle über das Pentagon ausüben als sein schüchterner Vorgänger. Die Russen werden dies genauestens beobachten. Aber Trump brschreibt sich selbst als „unberechenbar“, was wohl dazu führen könnte, dass die russischen strategischen und nuklearen Streitkräfte zumindest anfangs in Alarmbereitschaft gehalten werden. Damit könnte ein einziger Fehler der Air Force unser aller Ende bedeuten.
Was bedeutet die Wahl für das Verhältnis zwischen den USA und Russland? Die Russen haben auf die Wahl von Trump ihrerseits sehr positiv reagiert. Der Ball liegt jetzt bei dem neuen US-Präsidenten. Ich bin überzeugt, dass er sich tatsächlich bessere Beziehungen zu Russland wünscht. Vieles hängt davon ab, ob Trump sich in dieser Frage treu bleibt oder ob er wichtige Ämter mit Kriegstreibern wie John Bolton besetzt und sich ihnen beugt. Barack Obama wurde schnell zum Spielball des immer mächtiger gewordenen militärisch-industriellen-geheimdienstlichen Komplexes und er hatte Angst, Generäle oder Beamte der Geheimdienste zu konfrontieren oder auszutauschen, jene Ja-Sager, deren Politik uns das Chaos im Mittleren Osten beschert hat.
Gibt es bereits Reaktionen der US-amerikanischen Friedensbewegung? Trumps Sieg mobilisiert sowohl US-FriedensaktivistInnen als auch die Bürgerbewegungen zur Verteidigung der Rechte von Muslimen, Hispanics, Afroamerikanern und der amerikanischen Ureinwohner. Außerordentlicher Mut wird jedoch notwendig sein, um die Angst vor Verhaftungen sowie die weitverbreitete, künstlich geschürte „Angst vor dem Fremden“ zu überwinden. Heute werden AktivistInnen durch neue drakonische, verfassungswidrige Gesetze bedroht. Nach dem 11. September hat sich „alles verändert“. Es wurden verfassungswidrige Gesetze erlassen, die an die Notstandsgesetze von 1933 erinnern.
Wie bewerten Sie die Erweiterung und Verlängerung des Syrienmandats der Bundeswehr durch den Deutschen Bundestag? Die Abgeordneten konnten sich nicht so schnell an völlig neue Umstände anpassen: Trumps Wahlsieg wurde ja nur einen Tag vor der Abstimmung des Bundestages über die Beteiligung deutscher Soldaten im Syrienkonflikt bekannt. Sein Sieg hat völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Dennoch herrschte politische Untätigkeit. Die meisten Mitglieder des Bundestages votierten wie Lemminge im Sinne einer US-Regierung, die schon bald der Vergangenheit angehört. Frühere deutsche Regierungen wie die von Gerhard Schröder waren klug genug, sich nicht in dubiose Abenteuer in Übersee hineinziehen zu lassen.
Wie wird sich Trump im Syrienkrieg positionieren? Das wird davon abhängen, ob er seinen Wunsch, den ich für ernst gemeint halte, eine kooperativere Beziehung zu Russland aufzubauen, durchsetzen kann und davon, ob er die auf der Hand liegende Übereinstimmung der Interessen erkennen kann. Diese sind erstens die Vermeidung einer offenen Auseinandersetzung zwischen russischen und US-amerikanischen Streitkräften in Syrien. Russland hat hier – weitgehend unerwähnt von westlichen Medien – eine Flugverbotszone eingerichtet und zweitens der Sieg über ISIS. Um diese gemeinsamen Ziele zu erreichen, darf Trump der Absetzung Assads keine Priorität einräumen. 34
ANZEIGEN
Krieg ist keine Lösung: Alternativen zum Militär Krieg ist nicht nur in Syrien. Auch in anderen Gegenden der Welt brennt es, der Terror ist sogar vor unserer Haustür angekommen. Und Deutschland, in vielen Ländern hoch geachtet, rüstet auf. Das Budget für das Militär im Bundeshaushalt ist in den letzten 25 Jahren nie so rasant gesteigert worden wie jetzt. Gleiches gilt für die Rüstungsexporte. Dabei ist klar: Wer Waffen sät, erntet Flüchtlinge. In diesen Tagen sind wir gefordert, sie in ihrer Not anzunehmen. Auch das erfahren wir gerade hautnah. Doch Grund zur Resignation ist das alles nicht. Denn es gibt sie: die Friedensorganisationen, die mit kreativen Ideen, Aktionen und harter Arbeit vor Ort versuchen, gegen all das Leid, gegen die Kriege und die Verzweiflung ohne Gewalt anzugehen. Davon berichtet dieses Dossier: von Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben. Und Gewaltfreiheit heißt für sie nicht, die Hände in den Schoß zu legen. Publik Forum Dossier, 16 Seiten A4, Bis zu 4 Ex. je 2,- Euro, ab 5 Ex. je 1,- Euro. Bestellung unter: www.shop.ippnw.de
Die beste Zukunftsanlage ist ein glückliches Leben für die Kinder. Übliche Geldanlagen ziehen ihre Rendite aus Umweltzerstörung, Ausbeutung und Krieg. Ohne Rücksicht auf die Zukunft der Kinder und Enkel. ProSolidar verzichtet auf Rendite. Und finanziert stattdessen Einsatz für Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und Frieden sowie für Konzernkritik.
Es gilt das Prinzip: Leben statt Profit. Ja, ich zeiche eine Einlage bei ProSolidar
das Fordern Sie lagen A kostenlose ! an t ek p os Pr
� Festeinlage (ab 500 Euro) .................... Euro � Spareinlage (mind. 20 Euro/mtl.) ........... Euro Bitte deutlich schreiben (falls Platz nicht reicht, bitte Extrablatt beifügen)
Name, Vorname
Straße, Hausnr.
Alter
Beruf
PLZ, Ort
Telefon
Geldinstitut
Bankleitzahl bzw. BIC
Konto-Nr. bzw. IBAN
Datum, Unterschrift
Bitte ausschneiden und zurücksenden an: ProSolidar / Schweidnitzer Str. 41 / 40231 Düsseldorf Tel. 0211 - 26 11 210 / Fax 0211 - 26 11 220 / Mail info@ProSolidar.net / www.ProSolidar.net
Hinweis: Ich kann innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, die Erstattung des belasteten Betrages verlangen. Es gelten dabei die mit meinem Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen. Gläubiger-ID: DE08PRO00000729847
� Bitte schickt mir kostenlos und unverbindlich weitere Informationen.
Faslane
York
26. Aug – 2. Sept 2017, Faslane to York
IPPNW STUDENT BIKE TOUR 2. – 3. Sept 2017, University of York
STUDENT WORLD CONGRESS 4. – 6. Sept 2017, University of York
IPPNW WORLD CONGRESS:
HEALTH TROUGH PEACE Confronting War, Militarisation and Global Insecurity as an International Health Community Alle Infos unter: www.ippnw.de / bit / weltkongress