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Die Wirksamkeit von Militäreinsätzen in Frage stellen
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Von Beginn an arbeitet die IPPNW im Trägerkreis der Initiative „Sicherheit neu denken“ mit. Das Konzept ziviler Sicherheitspolitik beschreibt das Ziel einer zivilen Außen- und Sicherheitspolitik ohne Militär. Es skizziert Schritte und Etappen dorthin und zeigt in fünf Politikfeldern den möglichen Weg zu einer Gesellschaft auf, die auf Gewaltprävention und Kooperation setzt.
Von Anfang an war es uns als IPPNW wichtig, vor allem die Verbindung von Klima und Krieg in dem Bündnis stark zu machen. Das ist uns auch gelungen. Auf einem Rollup der Initiative heißt es: „Die Basis nachhaltiger Sicherheit ist ein fairer Lebens- und Wirtschaftsstil. In einer vernetzten Welt wirkt unser unverantwortlicher CO2-Verbrauch wie ein Bumerang. Wenn wir klimaneutral und weltweit gerecht wirtschaften, sorgen wir verantwortlich für unsere eigene Sicherheit. Wirksame Fluchtursachen-Bekämpfung beginnt bei uns selbst“. Zur Klima-Demonstration im September 2020 verfasste das Bündnis den Aufruf „Wir brauchen einen friedensfähigen, klimagerechten Lebensstil und Welthandel“, der bei den Demonstrationen von Fridays for Future verteilt wurde.
Auch im Rahmen unserer IPPNW-Kampagne zur Bundestagswahl haben wir das Thema in den Fokus gerückt. Insbesondere durch die Ausrüstung und die Auslandseinsätze der Bundeswehr entstehen enorme Mengen an Treibhausgasemissionen – eine umfassende Erhebung und Veröffentlichung dieser gibt es bisher nicht. Auch im Klimaschutzgesetz bleiben sie ausgespart. Aus der dort formulierten Selbstverpflichtung zu einer „klimaneutralen Bundesverwaltung“ bis 2030 sind die Streitkräfte insgesamt ausgenommen. Lediglich der CO2-Ausstoß in den Liegenschaften sowie der militärischen und zivilen Fahrzeuge im Inland werden bisher überhaupt erfasst und in den nationalen Klimainventaren angegeben. Das führt dazu, dass die Kosten von Kriegen und Militäreinsätzen für Klima und Umwelt nicht angemessen beziffert werden. Gleichzeitig ist klar, dass ein Umbau der Bundeswehr hin zu klimaneutraler militärischer Mobilität keine Lösung ist. Aufrüstung und Militär verschlingen schon jetzt Unsummen. 45,6 Milliarden Euro standen im Haushalt 2020 für das Verteidigungsministerium bereit. Für 2022 sind mehr als 50 Milliarden Euro geplant. Geld, welches an anderer Stelle fehlt. Das Klimaschutzpaket von 2019 kommt jährlich bisher auf weniger als ein Drittel dieser Mittel – bis 2023 stehen gerade mal 54 Milliarden Euro insgesamt zur Verfügung. Effektiv entgegenwirken können wir der Klimakrise damit nicht! Diese aber verstärkt Konfliktfaktoren wie Nahrungsmittelknappheit, Armut und Naturkatastrophen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit gewaltsamer Auseinandersetzungen. Diese Zunahme gewaltsamer Konflikte dient dann vielen deutschen Entscheidungsträger*innen erneut als Argument, weiter aufzurüsten und Waffenexporte in Krisengebiete zu forcieren oder nach Auslandseinsätzen zu rufen.
Im Vorfeld der Bundestagswahl fordern wir daher, die Transparenz der Klimaschäden durch Ausrüstung und Einsätze der Bundeswehr und eine echte, längst überfällige Evaluation von Militäreinsätzen. Das ist im Sinne der Initiative „Sicherheit neu denken“, die die Wirksamkeit von Militäreinsätzen in öffentlichen Diskussionen und Veranstaltungen immer wieder in Frage stellt. Nach Darstellung der Initiative offenbart das Scheitern der langwierigen Militärinterventionen in Afghanistan und Libyen sowie im Irak, dass der Glaube an die Wirksamkeit militärischer Gewalt ein Mythos und die Fokussierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik auf Militär unvernünftig sei. „Gemessen an ihrem Beitrag zur Erreichung politischer Ziele ist die starke Fokussierung unserer Außen- und Sicherheitspolitik auf Militär dysfunktional, wie immer mehr kritische Stimmen aus Wissen-
schaft und Praxis zeigen“, heißt es dazu auf der Homepage von „Sicherheit neu denken“. Ralf Becker, der Koordinator der Initiative, weist auf öffentlichen Veranstaltungen und in Gesprächen mit Politiker*innen zudem darauf hin, dass gewaltfreie Aufstände fast doppelt so wirksam wie gewaltsame Aufstände sind. Die 2011 veröffentlichte Studie „Warum ziviler Widerstand funktioniert“ der US-Amerikanerinnen Erica Chenoweth und Maria J. Stephan illustriert, dass gewaltfreie Aufstände in insgesamt 323 betrachteten Konflikten im Zeitraum 1900 bis 2005 weltweit fast doppelt so wirksam waren wie gewaltsame Aufstände.
Die globale Studie „Wie Frieden gewonnen wird – von zivilem Widerstand zu dauerhafter Demokratie“ weist zivilen Widerstand als Schlüsselfaktor bei 50 von 67 Transformationen autoritärer Staaten zwischen 1972 und 2005 nach. Gewaltfrei erreichte Übergänge führen zu einem größeren Maß an politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten.
Die Homepage von „Sicherheit neu denken“ verweist auf erfolgreiche rein zivile Interventionen in von bis zu 60 verschiedenen bewaffneten Akteuren kontrollierten Gebieten in Indien, Kenia und in Somalia, die die nachhaltige Wirksamkeit ziviler Sicherheitspolitik selbst in extrem gewaltvollen und anscheinend unkontrollierbaren Situationen belegen.
Die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan mit der Übernahme Kabuls durch die Taliban verdeutlichen erneut das Scheitern des Militäreinsatzes. Der 20 Jahre dauernde Krieg hat laut dem „Costs of War Project“ in Afghanistan und Pakistan mindestens 238.000 Menschen in direkter Folge von Kriegshandlungen das Leben gekostet. Die IPPNW geht in ihrer Studie „Body Count“ davon aus, dass die Zahl der Opfer vermutlich fünf- bis achtmal so hoch liegt. Auch 3.600 Soldat*innen der westlichen Allianz haben in Afghanistan ihr Leben gelassen, darunter knapp 60 Bundeswehrsoldat*innen. Die IPPNW hat anlässlich des Abzuges der NATO aus Afghanistan eine kritische Reflexion über Militäreinsätze insgesamt gefordert. Alle aktuellen Auslandseinsätze sind völkerrechtlich und verfassungsrechtlich problematisch. Das Völkerrecht bietet Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung: Deutschland muss im Rahmen der UN agieren und nicht im Rahmen von NATO oder Koalitionen der Willigen.
Armut in den Städten und Dörfern sowie in den Flüchtlingslagern und das Fehlen ökonomischer Grundlagen erleichtern Terrorgruppen die Rekrutierung. Laut der Deutschen Welthungerhilfe nahm Afghanistan 2017 im Ranking des Human Development Index Platz 168 von 189 Ländern ein. Menschen leiden an den Folgen der Dürren, 47 Prozent aller Landbewohner*innen haben laut Bericht des afghanischen Ministeriums für ländliche Entwicklung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Ökonomische Grundlagen für ein auskömmliches Leben sind die Voraussetzung dafür, dass Menschen sich langfristig von Krieg und Terror abwenden.
Eine Zusammenarbeit mit Warlords wie in Afghanistan führt dagegen zur Verstetigung von Kampfhandlungen. Die Bundesregierung sollte stattdessen mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und ziviles Peacekeeping unterstützen – Forderungen ganz im Sinne der Initiative „Sicherheit neu denken“.
Angelika Claußen ist Covorsitzende, Angelika Wilmen Referentin für Frieden der deutschen IPPNW.