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PRAKTISCHES
from ITI Jahrbuch 2019
by ITI Germany
Internationale Dramatik, weitreisende Gastspiele, mehrsprachige Inszenierungen und Übertitelungen, Zugänglichkeit und Barrierefreiheit sind heute feste Bestandteile der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Wie geht man damit um?
IM VORFELD TRANSFER AUF DER BÜHNE
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Dramenübersetzung
Dramenübersetzer:innen sind literarische Übersetzer- :innen, oftmals mit einem theaterpraktischen Hintergrund oder theater- oder translationswissenschaftlicher Ausbildung. Die Kunst der Übersetzung ist es, die Funktion der Sprache im Drama in eine andere Sprache zu übertragen. Ein Hauptproblem liegt dabei in der Analyse der Figurenrede. Für diese anspruchsvolle Arbeit sollte man immer erfahrene Theaterübersetzer:innen anfragen. Hilfe findet man hier: • www.literaturuebersetzer.de/uevz/ • www.drama-panorama.com • oder man wendet sich an die Theaterverlage und -kooperativen, die eng mit Übersetzer:innen zusammenarbeiten.
Mehrsprachige Probenprozesse
Bei mehrsprachigen Produktionen besteht die Möglichkeit auf Englisch zu kommunizieren. Bei Konzeptionsgesprächen, in der Endprobenphase etc. sollten jedoch alle ihre Muttersprache sprechen können, damit kein unbewusstes Machtgefälle entsteht. Gute Dolmetscher:innen können simultan dolmetschen, kennen sich in den jeweiligen Theaterkulturen aus und helfen so dabei, kulturelle Klippen zu umschiffen. Dabei ist eine präzise Verdolmetschung, ohne dass die Regisseur:innen an Präsenz verlieren, sehr wichtig. Hilfe, beispielsweise für die Simultanverdolmetschung von Eröffnungsreden, gibt es beim Internationalen Verband der Konferenzdolmetscher:innen (AIIC). Für das begleitende Dolmetschen eines Probenprozesses empfiehlt sich die Suche über den Verband deutschsprachiger Übersetzer:innen literarischer und wissenschaftlicher Werke (VdÜ). Alternativ können auch Studierende der Translationswissenschaft oder Community-Dolmetscher:innen angefragt werden.
Übertitelung
Die Bühnensprache, die zum Sprechen geschrieben ist, muss bei der Übertitelung für eine sekundenschnelle Rezeption in schriftlicher Form adaptiert werden, ohne den Sprachstil zu verfälschen. Diese Form der Übersetzung ergänzt die Ausgangssprache auf der Bühne, das Sichtbare sowie die gestische und mimische Handlung der Spielenden. Ziel ist es, dass das Publikum möglichst wenig lesen muss und viel auf die Bühne schauen kann. Da die Übertitel meist sehr viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, steht ein professioneller Umgang damit an erster Stelle. Unprofessionell und arrhythmisch gefahrene oder fehlerhaft übersetzte Übertitel können eine Inszenierung sehr negativ beeinflussen – für das Publikum, aber auch für die Künstler:innen.
Die technische Umsetzung
Technisch werden die Übertitel mittels Beamer, LED Tafeln, Met Titles (kleinen Bildschirmen in den Vordersitzen), Tablets, Smartphones oder Smartbrillen umgesetzt. Die Übersetzungsleistung bleibt bei den verschiedenen Darstellungsmedien zumeist gleich. Bei der Erstellung der Übertitel kommen verschiedene Softwareprogramme zur Anwendung. Hier bieten sich kostenfreie Programme, wie PowerPoint und Glypheo, oder kostenpflichtige Programme, wie Easytitler, Spectitular, Torticoli, Maestro oder VICOM, an. Vor allem die neu entwickelten Programme sind in der Handhabung meist besser adaptiert und einfacher zu bedienen. Hilfe erhält man u. a. bei Subtext, Sprachspiel, Werkhuis, Maison Antoine Vitez, AMDA, Precott Studio, Panthea oder Bürozwei.
Verdolmetschungen von Inszenierungen
Für Inszenierungen, die sehr textlastig sind, mit Improvisation arbeiten oder deren Bühnenbild keine Projektionen zulässt, kann die Verdolmetschung eine adäquate Möglichkeit sein. Das Einsprechen erfordert höchste Konzentration und Feingefühl für das Bühnengeschehen und sollte unbedingt professionellen Theater-Dolmetscher:innen überlassen werden. Es empfiehlt sich Kopfhörer nur auf einem Ohr zu tragen, da die parallele Rezeption des Bühnengeschehens unabdingbar
ist. Sehr gut geeignet sind Kopfhörer, die über Knochenleitung funktionieren und das Ohr offenlassen. Dolmetschtechnik: Für Fragen zur Dolmetschtechnik gibt es diverse bundeweite und regionale Firmen, die Dolmetschkabinen inkl. Kopfhörern und technischem Support ausleihen. Wichtig ist es, auf die theaterspezifischen Gegebenheiten hinzuweisen. Informatives: Bondas, Irina: Theaterdolmetschen, Berlin: Frank & Timme 2013 sowie Griesel, Yvonne (Hg.): Welttheater verstehen: Übertitelung, Übersetzen, Dolmetschen und neue Wege, Berlin: Alexander Verlag 2014.
Alternative Formen
Dolmetschende Schauspieler:innen auf der Bühne. Übersetzte Texte, die auswendig gelernt werden. Zusammenfassende Übersetzungen, die im Vorfeld ausgeteilt werden. Schattendolmetscher:innen, die hinter den Spielenden auf der Bühne dolmetschen. Großformatige Textflächen als projizierte Übersetzungen.
Gastspiele
Häufig kümmert sich das gastgebende Theater oder Festival um die Übersetzung und Übertitelung, was leider häufig ein erhöhtes Fehlerpotential birgt. Eine normal lange Inszenierung hat durchschnittlich zwischen 800 und 1.500 Übertitel. Für einen reibungslosen Ablauf bei Gastspielen sollte man auf folgendes achten: • Wenn möglich darauf bestehen die produktionseigenen Übertitler:innen mitzubringen. • Immer die bestehende Übertitelmatrix (die rhythmisierten, gekürzten Übertitel in einer entsprechenden Software) als Vorlage für die Übersetzung in weitere Sprachen nutzen. Liegt die Matrix nicht in der Ausgangssprache auf der Bühne vor, sondern nur auf Englisch, sollte der Stücktext in der Originalsprache verwendet werden. Eine Übersetzung über eine Drittsprache birgt zu viele Fehlerquellen und es kann zu Stille-Post-Effekten kommen. • Werden Übersetzer:innen oder Übertitler:innen von der Gastspielinstitution gestellt, sollte vorher Kontakt aufgenommen und gemeinsam an der Übersetzung gearbeitet werden. Zumindest sollte man sich die
Übersetzung im Vorfeld zeigen lassen. • Kontakt zur Video- und Lichttechnik des Gastspielhauses aufnehmen. • Die Aufhängung der Übertiteltafeln nach den folgenden Parametern im Vorfeld prüfen: Optischer Eingriff ins Bühnenbild, maximale Zeilenlänge, Höhe, Helligkeit, Farbe, Schriftart etc.
So entstehen Übertitel
Textbuch wird mit der DVD abgeglichen. Die Aufführung wird, wenn möglich, im Vorfeld angesehen. Übersetzung des Dramentextes anhand des Textbuches und der DVD. Erstellung der Übertitelfassung (Übertitelmatrix). Rhythmische Anpassung der Titel. Technische Einrichtung der Übertiteltafeln, Beamer etc., in Zusammenarbeit mit der Bühnentechnik. Übertitelprobe live im Theater (zumindest HP1, HP2 ,GP). Mehrere Korrekturschleifen, wiederholtes Anpassen der Übertitel an Sprechpausen, an die optimale Lesegeschwindigkeit etc. Einblenden der Übertitel bei der Premiere. Auswertung der Premiere mit der Regie, ggf. Änderungen. Nach jeder Aufführung Verbesserung und Anpassung der Übertitel. Meist ist bei der dritten Vorstellung die ‚innere Übertitelmatrix‘ gefunden, sodass die Übertitel in den Folgevorstellungen ‚mitgeatmet‘ werden können.
Zugänglichkeit
Seit 2009 ist in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft, die eine gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben ermöglichen soll. Deutschland hat im Vergleich zu anderen Ländern einen immensen Aufholbedarf, was diese Teilhabe betrifft. Zugänglichkeit kann durch verschiedene Grundlagen geschaffen werden. Häufig sind in vielen Institutionen bereits Rollstuhlrampen, Fahrstühle und induktive Höranlagen verfügbar. Häufig mangelt es im Theater aber noch an: • Audiodeskription. • Gebärdensprachdolmetscher:innen (an der Rampe oder als Schattendolmetscher:innen auf der Bühne). • Captions (Übertitel, die auf die Bedürfnisse von hörgeschädigten Zuschauer:innen zugeschnitten und optional über Met Titles, Apps oder AR-Brillen zuschaltbar sind). • Muttersprachlicher Übertitelung, die offen sichtbar ist und so auch von anderen Zuschauergruppen als Hilfsmittel genutzt werden kann (älteres Publikum, leicht hörgeschädigte Menschen). • Leichter Sprache, beispielsweise im
Programmheft.
Hilfe
Beratung durch Firmen, die sich auf Übertitelung spezialisiert haben, wie z.B Audioscript, Hoerfilm, Stagetext und viele weitere. Beratung durch Berufsverbände der Gebärdendolmetscher:innen.
„ WELCHE BEDEUTUNG HABEN FÜR DICH ÜBERTITEL AM THEATER? “
„Theater mit Übertiteln aktivieren meine Imagination. Übertitel offerieren Spielvarianten, die im nächsten Moment auf der Bühne übertroffen oder unterlaufen, eingelöst oder widerlegt werden. Hat der Abend Übertitel zu bieten, beteiligt er mich an drei Momenten gleichzeitig: vor der Aktion, in der Aktion, nach der Aktion, und die kommende wird schon angelegt. Eine Aufführung, die übertitelt oder gebärdengedolmetscht wird, ist für mich Theater in fünf Dimensionen, statt der gewöhnlichen vier.“
Ute Scharfenberg war bis 2018 Chefdramaturgin am Theater Magdeburg und Hans Otto Theater Potsdam. Arbeitet zurzeit als Dozentin für Produktionsdramaturgie an der University of Toronto sowie als Produktionsdramaturgin an der Canadian Stage Company.