DRITTE SEITE
BRÜCKEN
Ist Hochfeld überall?
Die Verlockung von Mekka
Seite 3
LEBENSART
ESSAY
Die Natur ist kein System
Seite 8
Berichte und Reportagen aus dem Alltag der Muslime
Seite 12
Seite 21-23
Islamische Zeitung Nachrichten & Lebensart
EURO 2.- / A14218
UNABHÄNGIGES FORUM FÜR EUROPA
132. AUSGABE, Dezember 2006
KOMMENTAR
Mehr als nur schlechtes Wetter Debatte: Die sich abzeichnende Klimaveränderung relativiert die meisten hitzigen Debatten Foto: (dpa), picture-alliance
Von Sulaiman Wilms, Berlin
B
rennende Hitze im Juli, ein nass-kühler August, ein zu warmer Oktober, lange Trockenzeiten und heftige Regenfälle - dies sind, den Erfahrungswerten nach, Anzeichen dafür, dass in diesem Jahr das Wetter ungewöhnlich war. Anlässlich der zu Ende gegangenen Klimakonferenz in Nairobi steht für viele fest: Die Existenz des Klimawandels ist keine Frage mehr, offen bleibt, wie der Mensch darauf reagieren wird. Wir stehen - so ernstzunehmende Wissenschaftler und die UNO - vor massiven Veränderungen. Anders als die beschworene Bedrohung durch einen abstrakten „Terror“, an den immer wieder durch aufgedeckte „Anschlagspläne“ erinnert werden muss, kommt die Gefahr des sich verändernden Klimas weder aus Afghanistan, dem Irak oder von den verarmten Massen des Südens, sondern von unserer eigenen Lebensweise, die zum globalen Standard erhoben wurde. Angesichts dieser globalen Herausforderung für die Menschen als Gattung erscheinen die bundesdeutschen Debatten über das Kopftuch, Parallelgesellschaft und die vermeintliche Bedrohung Europas durch die hier ansässigen Muslime als nebensächlich. Die Frage, die hier ohne Scheuklappen gestellt werden muss, ist jene: In welchem Verhältnis stehen die so ge-
England: Das Wasserreservoir Howden nach einer Dürreperiode in diesem Sommer nannten „Werte“, zu denen wir uns quasi-religiös bekennen müssen, zu der Realität der Ökonomie, die den enormen Anstieg der so genannten „Treibhausgase“ zu verantworten hat? Haben die beinahe inquisitorischen Teile des Feuilletons, die sich die autoritäre Kritik am Islam zur Aufgabe gemacht haben, vielleicht doch die Funktion, durch immer neue Skandalisierungen zu bewirken, dass die Menschen lieber über das relativ irrelevante Kopftuch nachdenken, als
über die materiellen Auswirkungen ihrer Lebensweise? Und wo wir gerade beim Thema „Kultur“ sind. In dem Augenblick, in dem es immer wieder Politiker und Publizisten gibt, die die mumifizierte „Leitkultur“Debatte immer wieder mal erneuern wollen, veröffentlichte Stephen Leahy einen Artikel unter dem Titel „From Mosques to Mollusks“. Während bei uns der Fetisch „Kultur“ gerne in Stellung gebracht wird, erinnert der IPS-Autor in seinem
Artikel daran, dass eine der Auswirkungen des Klimawandels - durch Veränderungen klimatischer Bedingungen die mögliche Zerstörung von historischen Bauwerken ist. Einen Vorgeschmack hätten wir 2002 erhalten, als Regenfälle und Überschwemmungen Museen und Bibliotheken erfasst hätten und schätzungsweise eine halbe Millionen Bücher und Dokumente beschädigt worden seien.
Goethes Islam
I Z- R e i h e Begegnungen
Manfred Osten bespricht den Klassiker Dr. Jochen Hippler ren Osten und Fragen der globalen Machtverteilung. Bekannt ist auch sein Buch „Feindbild Islam“, das erstmals 1993 erschien. Kürzlich veröffentlichte er die Studie „Krieg, Repression, Terrorismus. Politische Gewalt und Zivilisation in westlichen und muslimischen Gesellschaften“. Dr. Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler am Institut für Entwicklung und Frieden der Universität DuisburgEssen. Er beschäftigt sich unter anderem mit politischer Gewalt, der Wahrnehmung anderer Gruppen und Kulturen, dem Nahen und Mittle-
Islamische Zeitung: Sie haben kürzlich eine Studie über „politische Gewalt“ in westlichen und muslimischen Gesellschaften veröffentlicht. Was sind die Kernergebnisse dieser Arbeit?
Seite 2
D
er Klassiker Goethe und das Thema Islam sind nach wie vor von großem Interesse. Dies zeigen die Veranstaltungen zum Thema „Goethe und der Islam“. Goethe, der nach eigenen Worten den Verdacht nicht ablehnte, „selbst ein Muselmann zu sein“, hatte trotz des negativen Islambilds zu seiner Zeit seine Seelenverwandtschaft zum Islam und seinem Propheten entdeckt. Goethe verfügte schon zu Lebzeiten - in seinen Verfügungen bezüglich seiner Grabstätte - die Verbannung aller christlichen Symbolik. Zu den Kennern der Materie gehört neben Katharina Mommsen auch Manfred Osten, ehemaliger Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung. In Darmstadt sprach er nun über Goethes „West-östlichen Divan“ und dessen Islambild. Im Zentrum seines Vor-
trages stand der laut Osten vergebliche Versuch Goethes, „die eurozentristische Belehrungsgesellschaft in Richtung der Lerngesellschaft zu transformieren“. Diese Lerngesellschaft habe es um das 12. Jahrhundert in Europa gegeben, als viele Grundlagen der Wissenschaft und Philosophie aus der islamischen Welt nach Europa gelangten. Der „West-östliche Divan“ selbst sei eine Dialogstrategie, um zwischen Ost und West zu vermitteln. Osten wies darauf hin, dass das persische Wort Diwan eine „Versammlung weiser Männer“ bezeichne und für Menschen in der islamischen Welt positiver besetzt sei als der als „Streitgespräch“ verstandene Begriff „Dialog“. Die Ausübung von Toleranz war für Goethe nicht gut genug. Den Toleranzbegriff habe Goethe vielmehr mit den Wor-
ten „dulden heißt beleidigen“ kritisiert, da Toleranz in Anerkennung und Respekt übergehen müsse. Im „Divan“ habe Goethe, so Osten, die Summe seiner Beschäftigung mit dem Islam gezogen. Goethe habe die Entschleunigung interessiert, die im Gegensatz zur „veloziferischen Kultur“ des Westens stehe, wobei Goethes Wortschöpfung für „Geschwindigkeit, die des Teufels ist“ stehe. Im zweiten Teil des Faustes ergänzt Goethe bekannterweise diese Dimension mit einer harschen Kritik an der illusionären Natur des „Papiergeldes“. Ein weiterer Kritikpunkt Goethes an der westlichen Welt sei die „gedächtnislose Gesellschaft“ Europas, die durch Aufklärung, Reformation und französische Revolution ihre Wurzeln vergisst und häufig zerstört.
Amoklauf Die Gewaltdebatte in Deutschland war in den letzten Jahren vor allem eine Debatte über den Terrorismus und „Islamismus“ und wurde immer auch gerne im Zusammenhang einer angeblichen negativen Rolle und eines destruktiven Einflusses des Islam geführt. Unsere Wirklichkeit ist allerdings nicht nur komplexer, sie holt uns auch ein. Die westliche Konsumgesellschaft, an der wir alle jenseits unserer Bekenntnisse mitwirken, hat nach innen und außen einen eigenen Gewaltbezug geschaffen. Es grenzt an Selbstbetrug, zu ignorieren, dass wir an der Schaffung dieser Gewalt innen und außen auch beteiligt sind. Es sind unsere Jugendlichen, die diesen Umstand immer stärker widerspiegeln. Neben den üblichen Forderungen nach äußeren Verboten und Verfeinerung der Überwachung gilt es die Frage nach dem „Was tun?“ nun so tief wie nötig zu stellen. Nach dem Amoklauf eines Schülers aus Emsdetten hat der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, vor wachsender Gewalt in Filmen und Videospielen gewarnt. „Brutale Computerspiele und Videofilme gaukeln Jugendlichen den schnellen Sieg des Stärkeren vor“, schreibt Kraus in der „Bild“Zeitung. „Auswege für den Verlierer bieten sie nicht“ beklagt der Pädagoge über die Botschaft der Spiele. Die Frage ist, ob das tatsächlich überfällige - Verbot von Spielen weit genug reicht. Man könnte ergänzen, dass dieses ausweglose Bild, das viele Spiele vermitteln, auch leider oft für den Feldzug gegen den Terrorismus dienen könnte. Aus der Sicht unserer Wohnzimmer wirken diese Kriege, oft genug ohne Gnade und ohne Recht geführt, so entrückt, als seien sie aus den gleichen Köpfen der Macher der Computerspiele entstanden. Töricht wäre es, zu glauben, dass diese Dauerberieselung und die Tatsache, dass diese Strategie bereits tausenden Unschuldigen das Leben gekostet hat, für die Kultur unserer Hemisphäre ohne jede Folgen bliebe. Die Niederlage des Rechtes und damit die Verrohung der Kriege, die denkwürdige Rückkehr der Folter und die Reduzierung des erschaffenen Menschen auf einen bloßen Wert schaffen das Klima des sogenannten „Werteverfalls“. „Die Welt ist dem Menschen in die Hände gefallen“, beklagte einst Rainer Maria Rilke eine Alltäglichkeit ohne Rückbezug auf den Schöpfer. „Drogen, Konsum, Spaß sind die einzigen Werte, die Pop- und TV-Stars noch vermitteln“, beklagen sich viele Lehrer über die einfach gestrickten Helden unserer jungen Generation. Von aktiven Eltern und Lehrern verlangt Kraus nun, ihren Kindern durch eigenes Handeln ein positives Zukunftsbild zu vermitteln: „Wir Erwachsenen müssen unseren Kindern immer wieder beweisen: Arbeit, Leistung, Treue, Verlässlichkeit, Familienleben - das sind trotz aller Probleme und Widerstände feste Werte, für die es sich zu leben lohnt! Eine Gesellschaft, die diese Werte verliert, läuft irgendwann selber Amok.“ So weit so gut, aber als Muslime würden wir ergänzen, dass wir mit jeder Handlung und unter allen Umständen auch Verantwortung gegenüber unserem Schöpfer übernehmen. Menschen, die mit diesem Bewusstsein aufwachsen und leben, sind bezüglich der alltäglichen Verrohung der Gesellschaft nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.
(Von Malik Özkan, Bremen)
h t t p : / / w w w . i s l a m i s c h e - z e i t u n g . d e