4
meine nicht-orte
4.1
unterführung in wuppertal vohwinkel
Die Unterführung an den Bahngleisen nahe dem Bahnhof Vohwinkel verbindet den Bahnhofsvorplatz mit dem Zentrum des Stadtteils Vohwinkel ausgehend vom Lienhardplatz. Die Unterführung teilt sich in drei Brückenbögen mit abwechselnden Lücken zwischen den jeweiligen Bögen. Die Bausubstanz wirkt sehr massiv und dominant. Überfahrende Züge geben dem Nicht-Ort das Eigenleben eines „Großstadtmonsters“. Der Lärm des Straßenverkehrs addiert sich mit dem der Züge zu einem unüberhörbaren Kanon. Die Reduktion des Tageslichts und die Vermischung mit Kunstlicht trägt ihr Übriges dazu bei. Der Mensch befindet sich also in einer anstrengenden Situation. Die Unterführung ist der einzige Weg die Bahngleise zu überwinden. Die Grenzen der Brückenbögen geben ihm also ganz klar den einzigen Weg vor. Da die Straße der eigentlich dominante Teil der Szene ist wird der Mensch unausweichlich an der Rand gedrängt.
Daburch entsteht ein enger Kontakt zum Baukörper. Schutzsuchend versucht man sich so nah wie möglich an der starken Mauer zu orientieren. Der Wechsel zwischen Brückenbögen und freiem Himmel führt im besten Fall zu einer Bewusstwerdung der beteiligten Elmente. In der Mitte des Objekts hat der Mensch die Möglichkeit über einen abgehenden Tunnel den direkten Weg zu den Gleisen des Bahnhofs zu suchen. In diesem Bereich kommt zu dem schon vorhandenen Klängen noch die kalte Reflektion des Klangs über die helle Kachelung des Tunnels. Geht man an dieser Stelle weiter gelangt man schnell ans Ende des letzten Brückenbogens und befindet sich wieder im Freien. Ob die Öffnung des nun vor einem liegenden Raums als angenehm oder unangenehm empfunden wird ist eine rein subjektive Empfindung.
die massiv geschwungenen brĂźckenbĂśgen kontrastieren die weiche lichtstimmung
4. 2
„bürgerbahnhof“ - wuppertal vohwinkel
Der Bahnhof Vohwinkel ist neben der Schwebebahnstation der Hauptverkehrsknotenpunkt des westlichen Stadtteils. Er verfügt über drei Zugänge die jeweils einen anderen Startpunkt markieren. Dies ist ein gutes Beispiel indem der Kontext die räumliche Wahrnehmung eines Ortes beeinflussen kann. Betritt man den Bahnhof über den Haupteingang, ausgehend vom Vorplatz des Bahnhofs, durchschreitet man eine rot geflieste Eingangsforte und tritt danach in eine große Halle ein. Die Forte agiert als Schwelle zwischen Außen und Innen. Mit der Überquerung dieser Schwelle verändert sich die gesamte räumliche Atmosphäre. Die Temperatur verändert sich, die Lichtsituation wird eine andere, ebenso verändert sich der Klang. Die große Gewölbehalle bildet einen Resonanzkörper der jeden Klang mit einem lang anhaltenden Hall versieht. Jede Bewegung, so klein sie auch ist, wird ohne Rücksicht auf den Absender in die Halle entsendet und somit unüberhörbar für alle Anwesenden.
Die gesprochenen bzw. geäußerten Laute addieren sich zu einem lauten Gesamtteppich aus sich überlagernden Stimmen. Nicht zuletzt trägt die kühle Kachelung der Wände zu diesem Phänomen bei. Geht man weiter in die angrenzenden Gänge links und rechts der Halle, ändert sich die Situation durch die seitlichen Öffnugen zu den Gleisen erneut. Der Eigenklang der Räume vermischt sich mit dem Lärm des Bahnverkehrs. Die anfangs erwähnten anderen Zugänge verlaufen über lange geflieste Tunnelgänge die sich in ihrer Klangcharakteristik ähnlich verhalten wie die große Halle, wenn auch die Nachhallzeit nicht so lang anhält. Die fehlenden Aufenthaltsmöglichkeiten, selbst in der Halle, scheinen den Nutzer grade zu durch die Räume zu treiben. Das Verweilen, geschweigendenn Kommunikation sind unerwünscht.
die groĂ&#x;e halle und der tunnel zu den gleisen
4. 3
schleuse varresbecker straße. die brücke zum „schöner wohnen“
Die Haltestelle „Varresbeckerstraße“ befindet sich mitten im Industriegebiet. Die im folgenden beschriebene Fußgängerüberführung verbindet die Haltestelle mit dem Wohngebiet der Tiergartenstraße. Dabei bildet sie eine Art Schleuse, die als Durchgangsraum fungiert. Die axiale Ausrichtung der Überführung ist gegenläufig zu den Hauptverkehrsrichtungen der Verkehrselemente Schwebebahn, industrielle Infrastruktur und Bahngleise. Diese Anordnung deutet ein gewisses Konfliktpotenzial an. Ist die Entscheidung, die Schwebebahnstation in Richtung Tiergartenstraße zu verlassen, erst mal gefallen gibt es keine Möglichkeit mehr für den Nutzer frei zu entscheiden wie er sich in dem sich bietenden Raum bewegt. Sein Weg ist stets von engen Begrenzungen in Form von Absperrgittern, Zäunen und Brüstungen gesäumt. Die Architektur legt alles daran ihn als Menschen von der Industrie zu trennen. Dabei geht sie
allerdings nicht sehr konsequent vor. Genau diese Tatsache taucht die Überführung in ein groteskes Licht. Schon beim Aufstieg über die Treppe wird dies deutlich. Oben angekommen hat sich für den Nutzer nichts geändert. Seine Position wird nicht erhöht indem sich ihm neue Perspektiven oder Zusammenhänge darbieten. Vielmehr bleibt alles beim Alten. Die Distanz bleibt gewahrt. Betritt der Nutzer nun die Schleuse aus Beton, Stahl und Glas scheint sich die zuvor erwähnte Distanz vergrößert zu haben, jedoch nur auf den ersten Blick. Die schützende Geste, die den Nutzer sicher durch die Gefahren der tosenden Industrie leiten soll, ist eine Illusion die sich schnell enttarnen lässt. Der lange Gang bietet dem Nutzer keinerlei Möglichkeit der Orientierung, was ein merkwürdiges Gefühl erzeugt. Licht und Lärm werden von den hohen Glaselementen nicht davon abgehalten in die Schleuse zu dringen. Schaut der Nutzer nach oben sieht er zwischen sich und dem Himmel, der nicht
der blick in den langen nach oben offenen tunnel. das gitter und die glaselemente isolieren den nutzer nicht komplett
nach Natur klingt sondern vielmehr nach brüllender Industrie, ein eisernes Gitter, das den Himmel für ihn unerreichbar werden lässt. Durch die Glaselemente hat er die Möglichkeit Bewegungen wahrzunehmen die jedoch seltsam verzerrt werden und ihn dazu bringen seine Geschwindigkeit zu erhöhen. Fast panisch stürzt er jetzt durch den Gang. Über eine weitere Treppenanlage schafft er es endlich aus dem Tunnel wo er durch eine Steinmauer in Richtung eines letzten Treppenanstiegs geleitet wird. Die Bahngleise überwindet er über eine Stahlbrücke die ihn schließlich auf einen kleinen Platz vor der Straße führt. Vor ihm türmt sich ein mehrstöckiges Wohnhaus auf, auf dessen Fassade ein gemalter Storch auf seinem Schornstein auf ihn wartet.
Die gesamte Anlage scheint der Trennung der Bereiche Industrie und Wohnen zu dienen. Auf seltsame und beiläufige Art und Weise treten dabei aber immer wieder Lücken auf, die dem Nutzer das Gefühl von Unsicherheit suggerieren. Die fehlenden Überwachungsanlagen, die in anderen öffentlichen Räumen sonst ein Garant für Sicherheit sind, können dieses Gefühl nicht verhindern.
4. 4
„wohnkarton“ friedrich-ebert-straße
Die Wohnanlage an der FriedrichEbert-Straße ist durch ihre relative Nähe zum Stadtgeschehen bei gleichzeitigem inhaltlichem Gegensatz ein spannungsvoller Nicht-Ort. Wie ein nicht ganz ernst zu nehmendes Kunstwerk mit rosa Anstrich bauen sich die Wohnschachteln schon von der Hauptstraße vor dem Betrachter auf. Die lange Auffahrt und der große vorgelagerte Parkplatz schaffen eine gewisse Distanz zur Straße, die sich über die Reflektion des Schalls in der Hausfront allerdings wieder mit der neu gewonnenen Ruhe der Hinterhofsituation vermischt. Der Komplex besteht aus schachtelartig geschichteten Wohnungen, deren Balkone zum Parkplatz hin orientiert sind. Die verwendeten Materialien sind funktional. Große Betonkörper geben die Grundstruktur des Gebäudes, die Fassade wird ergänzt durch leicht zu reinigende Kacheln. Das „cleane“ Auftreten des Baus wird durch die strenge Geometrie verstärkt.
Betritt man den Platz öffnet sich eine Art Bühne. Jeder Balkon zeigt dabei eine andere Szene. Nimmt man sich Zeit zu beobachten, entdeckt man nach und nach versteckte Rituale, geheime Intimitäten, kuriose Eigenheiten und leise Streitereien. Der reflektierte Klang der Stadt vermischt sich mit der Stimme des Privaten. Schnell entdeckt man die Qualität der Balkone. Kleine „Sprachrohre“ nach außen, die Verbindung zwischen Öffentlichkeit und Privatem. Dabei existieren der „moderne“ Charakter des Wohnbaus mit historischen Bauteilen, wie einer Jugendstilmauer an der Grundstücksgrenze, und dem „futuristischen“ Leben der Stadt simultan. Dennoch wird diese Vermischung nicht als unangenehm wahrgenommen, sie ist lediglich existent.
die situation ist dominiert von geometrie und rasterung. der mensch muss versuchen sich in dieses raster einzuordnen
4. 5
hasenschule
Der Innenhof direkt neben der Grundschule „Hasenschule“ ist ein Rückzugsort für Kinder mitten im tosenden Stadtleben. Der Zugang ist entweder direkt über die Schule zu finden oder aber über die von der stark befahrenen Hauptstraße abgehenden Treppenstraße. Durch die Anordnung der umliegenden Wohnhäuser ergibt sich eine Art Kessel der den kleinen Platz mit einer schützenden Geste umfasst. Trotz des teils isolierten Zustands der Hofsituation dringt die Stadt über die Reflektion in den Hausfronten ind die recht intime Situation ein. Auch hier schafft man es nicht dem Krachen und Quietschen der Schwebebahn zu entkommen. Ihre Gegenwart ist somit allgegenwärtig, das Vorhandensein einer wirtschaftlichen und industriellen Gesellschaft betont. Das Thema Spielen und Kindheit wird im öffentlichen Stadtleben völlig verdrängt. Situationen wie die der Hasenschule sind im öffentlichen Leben selten. Ein Auftreten in der
Öffentlichkeit dass durch Spontanität und Intuition bestimmt ist, wird für gewöhnlich nicht geduldet und trifft auf Ablehnung. In der aus dem Stadtkontext verdrängten Situation können nicht nur Kinder dieses Verhalten ausleben. Auffällig ist, dass die verwendeten Materialien sich deutlich von für gewöhnlich in der Stadt vorzufindenden Materialien unterscheiden. Sie spielen vielmehr als rauer Beton auf die Nutzung der Sinne an. Nutzer haben die Möglichkeit Spuren zu hinterlassen, die Materialien fordern gradezu dazu auf. Anders als sonst führt das Vorhandensein von Spuren in diesem Fall zu einer noch intensiveren Auseinandersetzung mit der Materie. Auf „Spuren“ im öffentliche Raum folgt meist Zerstörung. Interessant wäre eine Transformation der thematischen Inhalte des Großstadtspielplatzes in den Stadtraum. Welche Prozesse löst die Metamorphose bei Alltagsnutzern aus, welche Entwicklungen ergeben sich?
aktive mitgestaltung mit „politischen“ inhalten zeugt von großem bewusstsein für den ort
4. 6
parkhaus kaufhof
Das Parkhaus Kaufhof, versteckt in einer Seitenstraße, ist eine der wohl aufregensten Architekturen in Wuppertal. Über mehrere Ebenen kreiselt sich die Spirale das alte Kaufhofgebäude hinauf, bis es schließlich in den drei obersten Ebenen die alte Gebäudefassade durchdringt und die Autos ins Innere bringt. Die Situation ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sehr die Vorgänge des Konsums automatisiert sind, einem festen Ritus folgen, und wie sehr der Mensch aus diesem Prozess, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, verdrängt wird. Die vorzufindende Architektur ist einzig und allein für den Verkehr bzw. den Transport von Menschen gemacht. Grau und in sich geschlossen, ohne jeden Blick nach Außen isoliert sich die große Spirale von seinem Umraum. Die umliegenden Gebäude werden gemieden, die rotierende Bewegung bewegt sich an allem vorbei und stellt keinerlei Bezüge her. Der kleine Hof im Inneren der Spirale
ist für Personen nicht zugänglich. Im Zentrum der Kassenautomat, inszeniert und markiert durch einen gelben Sockel, geschützt durch ein kleines Dach nimmt er den Raum voll ein. Hier findet der einzige Kontakt des Menschen mit dem Objekt statt. Ein kurzes aus dem Fenster lehnen und dann geht es auch schon loß in den Kreisel. Stück für Stück schraubt sich das Auto Ebene für Ebene hinauf zum Parkdeck. Mit großer Mühe zirkelt es sich um die weichen Rundungen der Straße, gesehen wird es dabei nicht. Wer da kreiselt ist unwichtig.
die elegante form des spirale schwingt sich leicht hinauf zum geb채ude. dabei ist die bewegung in sich geschlossen. der bau isoliert sich von seinem umraum
4.7
schwebebahnstation hauptbahnhof
Die Schwebebahnstation am Hauptbahnhof ist kreuzförmig gegliedert. Sie besteht aus einem langen Gang von dem in der Mitte zu beiden Seiten Treppen abgehen, die zu den Gleisen führen. Zu beiden Seiten befinden sich mehrere Ladenlokale, die als Gemüsemarkt, Dönerladen, Kneipe oder Schuhreperaturservice genutzt werden. Vor dem Haupteingang befindet sich die sogenannte „Pennerplatte“, ein beliebter Treffpunkt bei Obdachlosen und Bettlern. Links und rechts davon sind zwei direkte Zugänge zu den Gleisen. Hier vermischen sich zwei Menschenströme miteinander. Es treffen sowohl Menschen aufeinander die den Nicht-Ort als Durchgangsort nutzen und andere, die sich in ihm aufhalten. Es entsteht eine Art Interessenskonflikt, der dazu führt dass der Ort zum Hybrid wird. Seine Funktion ist nicht eindeutig definiert und gibt somit ein bestimmtes Konfliktpotenzial. Die Menschen die den Ort durchqueren stören sich
an den „sesshaften“ Menschen und anders herum. An den Leerständen die es auch hier gibt sieht man, dass das Fehlen der eindeutigen Funktionszuweisung zu einer Identitätslosigkeit des Ortes führt die durch einen wilden Mix aus Angebot zu kompensieren versucht wird. Die typische im Jugendstil gehaltene Eckkneipe „Kaiserwagon“ ist möglicher Zufluchtsort und Treffpunkt für „Stadtflüchtige“. Der Dönerladen stillt das Knurren vorbeihuschender Mägen, am Gemüseladen können schnelle Einkäufe gemacht werden, im Handy- und Elektroladen gibt es Identität zum mitnehmen in Form von Fahnen unterschiedlichster Nationen. Der türkische Schuster in seinem Glaskasten ist immer für ein Gespräch bereit, der Kiosk versorgt mit Zigaretten. So entsteht eine eigene kleine Infrastruktur die nur bemerkt wird wenn man sich etwas Zeit nimmt. Vielleicht funktioniert sie aber auch nur desswegen: weil genau das die meisten Menschen nicht tun.
blick in die lange passage
4. 8
wuppertal hauptbahnhof
Erkundet man eine fremde Stadt zum ersten mal, startet diese Reise meißt vom Bahnhof aus. Städteplanerisch bildet dieser den Infrastrukturellen Knotenpunkt der jeweiligen Region, an dem sich alles Andere orientiert bzw. orientieren kann. Desswegen muss dieser Ort besonders berücksichtigt werden, denn er dient als Aushängeschild, Wegweiser und nicht zuletzt als erster Eindruck. So auch in Wuppertal. Im Grundriss besteht der Hauptbahnhof aus zwei Teilen: dem Gleisabschnitt und dem Tunnel, der die Gleise mit der City verbindet. Über die Gleise verläuft in andere Richtung eine Brücke, über die der Fußgänger den Bahnhof in Richtung Süden verlassen kann. Die gesamte Achse, d.h. vom südlichen Bahnhofseingang bis hin zum nördlichen Tunnelausgang, hat eine Länge von ca. 150 Meter. Diese Achse verläuft senkrecht zu den anderen Hauptverkehrsachsen der Umgebung. Der Bahnhof
ist ein typisches Beispiel eines Durchgangsortes. Die Anlage ist rein funktional gestaltet und dient einer schnellen Fortbewegung. Es ist kein Ort des Aufenthalts, und das merkt man auch. Der Gleisbereich zeichnet sich nicht grade durch viele Sitzmöglichkeiten aus, für den Fall dass man trotz des verwahrlosten Zustandes sich kurz aufhalten will. Das Informationszentrum wurde in den hinteren Bahnhofsbereich verdrängt, sodass man es erst nach längerer Suche in einer Ecke neben McDonalds findet. EIne Baustelle im Innenbereich wurde kurzerhand von den Nutzern des Bahnhofs zur Wartehalle ernannt. Die Toiletten warnen schon von weitem vor einer Nutzung, der Zustand der Bausubstanz ist in desolatem Zustand. Der erster Eindruck ist schlecht. Kühl und ablehnend begegnet die Architektur dem Menschen. Sie grenzt ihn aus, erhebt ihn, nicht aus Gründen der wertschätzung sondern aus Bequemlichkeit und Eigennutz.
blick auf die fußgängerbrücke über den gleisen
Die Architektur spricht nicht mit ihrem Nutzer, desswegen benötigt es Zeichen und Symbole, die dem Menschen die Nutzung des Raumes aufzeigen. Meißt sind es Warn- oder Verbotsschilder, Grenz- und Sperrlinien die da zu einem reden. Der Mensch wird überflutet von Informationen und Anweisungen sodass die natürliche Reaktion die Abgrenzung und das Insichgekehrtsein ist. Überfordert durch Werbung an beiden Seiten des langen Tunnels schaltet der Mensch auf „Tunnelblick“, er wird zum „anonymen Individuum“, wird Teil einer „stummen Gesellschaft“, nur das Selbst und das Kommende im Blick. So kommt es, dass sich der Durchgangscharakter des Bahnhofs verstärkt und der Nicht-Ort lieber gemieden oder ganz schnell wieder verlassen werden will.
Dazu trägt auch das Dauersummen der Neonröhrenbeleuchtung bei, das unaufhörlich zusammen mit den vielen Automaten, Telefonzellen und Klimaanlagen der Geschäfte, den Takt einer unermüdlichen Maschinerie gibt. Bei längerem Hinsehen wirkt die Situation künstlich und krank. Unausweichlich, begrenzt durch die Wände des engen Tunnels, sieht sich der Mensch zu allem Überfluss nun auch noch mit den vielen Ladenlokalen konfrontiert die ihn zum Konsum auffordern. Eine bunte Mischung aus Zeitschriftenladen, Friseur, Blumenladen und Metzgerei, inszeniert durch Kunstlicht und Dauersummen. Und trotzdem wird der „Ort“ genutzt. Natürlich: er muss. Dennoch gibt es einige Faktoren die uns über
eindrücke aus dem tunnel
das Unübersehbare hinwegsehen lassen. Zum einen ist eine ständige Überwachung des „Ortes“ präsent. Dies geschieht in Form von Überwachungskameras, Bahnmitarbeitern und Polizeipatroullien. Zusammen suggerieren sie ein Gefühl der Sicherheit. Ein Ort im Privaten in gleichem Zustand würde uns Angst machen, da wir uns der fehlenden Sicherheit bewusst wären. Im öffentlichen Raum reicht uns diese Tatsache zum Ertragen jeglicher Wiedrigkeiten. Des Weiteren wird über die Illusion der Ordnung und Sauberkeit ein beruhigendes Gefühl erzeugt. Ohne Pause ziehen ganze Putzkolonnen durch
den Bahnhof mit dem Auftrag jeden noch so kleinen Schnipsel, der die gespielte Ordnung zerstören könnte, vom Boden aufzulesen. Ob der „Ort“ tatsächlich sauber wird ist dabei nebensächlich, die bloße Präsenz reicht aus den Eindruck positiv ausfallen zu lassen. Die Stadt Wuppertal, die sich der Lage durchaus bewusst ist, plant die gesamte Bahnhofsanlage umzugestalten um sie mehr in den Umraum einbinden zu können. Ob dieses Vorhaben gelingt oder erneut ein „geplanter Nicht-Ort“ entsteht bleibt dabei noch zu klären.
4. 9
informations-zentrum am busbahnhof
Das Informationszentrum liegt direkt zwischen Busbahnhof und Tunnelausgang des Hauptbahnhofs. Neben dem verglasten Gebäude mit dem charakteristisch runden Oberlicht verläuft eine Treppe die die Hauptverbindung zwischen Bushaltestellen und Bahnhof bzw. City darstellt. Dementsprechend ergeben sich gegenläufige Bewegungen der Nutzerstrukturen. Die eine Wegachse läuft am Informationszentrum vorbei, die andere ist eine rotierende Linie unterhalt des Oberlichts, soll heißen: die Überdachung des Informationszentrums. Diese beiden Bewegungen führen dazu, dass ein Konflikt entsteht in dem beide Seiten ihrer Funktion nicht ungehindert nachgehen können. Wieder entsteht ein seltsamer Hybrid zwischen Durchgang und Aufenthalt. Da der Busbahnhof sonst keienerlei Möglichkeit des Aufenthalts bietet nutzen die Menschen das leicht diffuse Licht, das das Oberlicht erzeugt um den Menschenströmen zu entkommen um für kurze Zeit verweilen
zu können. Dabei unterscheidet der Nicht-Ort nicht zwischen Kultur, gesellschaftlicher Stellung oder Alter. Hier sind alle gleich. Hier tummeln sich sowohl Frauen mit ihren Kindern, alte Ehepaare, Gruppen von Jugendlichen als auch Busfahrer und Singlemänner. Dabei ist zu beobachten, dass all diese Gruppen die unsichtbare Grenze des Dachvorsprungs nicht überschreiten. Das Oberlicht scheint einen Sammelpunkt zu markieren, der nicht mit dem Strom des Durchgangsverkehrs zu vermischen ist. Die Überdachung bietet Schutz, das Licht wirkt ungewöhnlich weich in dieser harten und chaotischen Umgebung. Wie durch einen Rahmen blickend haben die Wartenden das Geschehen immer vor Augen, stets in der Erwartung sich mit nur einem Schritt aus der schützenden Geste der Überdachung zu bewegen.
das groĂ&#x;e oberlicht betont den raum
4.10
uni brücke
Die Brücke am Oberen Grifflenberg ist die Verbindung zwischen Universität und Stadt. Studenten, die nicht den Bus nutzen, führt die Brücke über eine vorgelagerte Treppenanlage den Grifflenberg hinab zum Hauptbahnhof. Die Brücke ist eine statisch aufwendig gearbeitete Konstruktion aus unverkleidetem Stahlbeton. Sie kann sowohl über eine Wendeltreppe als auch über den langen Rampenaufgang betreten werden. Auf der ersten Ebene angekommen muss man sich für eine der beiden fortführenden Rampen entscheiden. Die Rampen scheinen mit ihrer enormen Breite für großen Fußgängerverkehr ausgelegt zu sein. Besonders stark frequentiert sind sie im Alltag allerdings nicht. Die Brücke wirkt stark überdimensioniert. Beeindruckt vom betriebenen Aufwand geht man nun über den Hauptteil über die Straße. Nach diesem kann man sich erneut entscheiden die Brücke über eien von zwei Rampen zu verlassen oder aber
in Richtung Universität weiter zu gehen. Am Ende angekommen führt der Weg nun über eine Treppenanlage durch ein kleines Waldstück zu den Universitätsgebäuden. Die Brücke ist ein weiteres Beispiel dafür, wie viel Aufwand betrieben wird um Mensch und Verkehr voneinander zu trennen. Die weiche Geste der Rampen steht im Kontrast zur harten Formsprache der gesamten Brücke. Die Konsistenz scheint stark beansprucht, der Beton ist rauh und das Metall beginnt zu rosten. Interessant ist die Kombination der Brücke mit einem Spielplatz am Anfang des Rampenaufgangs. Sieht man den Spielplatz als Motiv des Spielens, der Intuition und Unvorhersehbarkeit, ergibt sich ein starker Kontrast der den Nicht-Ort unwirklich erscheinen lässt.
vor allem der gegensatz zwischen harter br端ckenarchitektur und spielplatz verleiht dem nicht-ort einen kraftvollen ausdruck
4.1 1
kluse
Die Schwebebahnhaltestelle „Kluse/ Schauspielhaus“ verweist über eine ganz eigene architektonische Charakteristik. Von ihr aus sind sowohl das Kino und das kleine Schauspielhaus, sowie ein Wohngebiet in Richtung Süden zu erreichen. Der Weg zum Wohngebiet führt wegen eines benötigten Niveauausgleichs über eine aufwendige Treppen- und Aufzuganlage. Diese wirkt durch ihren monolitischen Ausdruck wie eine Stadtskulptur. Der direkte Kontakt zur Wupper und zur Schwebebahn ist über den Klang des „Nicht-Ortes“ unüberhörbar: mit jedem gesagten Wort schwingt das Rauschen der Geschwindigkeit mit. Der Nicht-Ort dient dabei als Gegenspieler und bremst den Menschen in der Geschwindigkeit des Alltags. Über eine kleine Brücke führt der Weg zur Anlage. Dort angekommen muss man sich entscheiden entweder den Aufzug oder aber die Treppe zu benutzen. Um sich für die Treppe zu entscheiden, muss man sich dem harten Aufstieg durchaus bewusst sein.
Alte Menschen, Familien mit Kindern und Behinderte nehmen wohl eher den Aufzug, alle Anderen treten den Weg die acht Ebenen hinauf an. Dabei ist der Blick stehts nach oben gerichtet. Nur selten dreht man sich um, um die neu entstehenden Ausblicke zu erkunden. In dem langsamen, eigentlich ruhigen aber kraftvollen Aufstieg liegt ein gewisser Ritualcharakter. Mit jeder Ebene reduziert sich durch die körperliche Anstrengung die Aufmekrsamkeit für den Umraum, der eigene Körper rückt immer weiter in den Vordergrund, es bleit Zeit sich auf Erlebtes zurück zu besinnen, und sei es nur unterbewusst. Im Gegensatz dazu steht der Aufstieg mit dem Aufzug. Eine durch den Menschen entwicklete Technologie transportiert den Nutzer vom Erdboden auf eine höher gelegene Ebene. Diese Vorgang ist völlig automatisiert und desswegen nicht so intensiv wie die Treppennutzung. Dadurch wird der Nicht-Ort auch von Treppennutzern stärker wahrgenommen als von den Aufzugnutzern.
wie eine skulptur ragt die anlage in den himmel. durch die gr端ne farbe zum funktionsobjekt degradiert, existieren die beiden bewegungen, treppe und aufzug, simultan und aneinander vorbei
4.1 2
wolkenburg
Die beiden Fußgängertunnel an der Barmerstraße und dem Döppersberg führen unter den Bahngleisen entlang und sind über die Wolkenburg miteinander verbunden. Über den Zugang an der Barmerstraße gelangt man direkt zur Kreuzung Bundesallee, der Tunnel am Döppersberg führt zur Schwebebahnhaltestelle Kluse/Schauspielhaus. Der Name der Anlage ist irreführend. Denn dem Nutzer bietet sich keinesfalls ein himmelsgleicher Anblick. Die Atmosphäre ist beängstigend und kühl. Der Zustand der Bausubstanz ist heruntergekommen und durchlebt. Schnell erhält man den Eindruck, dass der „Nicht-Ort“ schon vor langem aufgegeben wurde. Trotzdem bleibt die Wolkenburg eine wichtige Verbindung zwischen Stadt und Wohngebiet. Der Aufstieg über die Treppenanlage macht den Prozess der Bewegung bewusst. Das Eintauchen in den Tunnel kostet das Unterbewusstsein einige Überwindung. Noch angestrengt vom Aufstieg beschleunigt
man seinen Schritt, in der Hoffnung den beängstigenden Tunnel schnell durchqueren zu können. Ist das geschafft, führt der anschließende Abschnitt direkt an den Bahngleisen entlang; so nah ist man den schnell vorbeifahrenden Zügen selten. Auf der Wolkenburg angekommen, bietet sich einem der Anblick einer ganz normalen Straße. Am zweiten Tunnel angekommen beginnt nun der Abstieg zur zweiten Schleuse. Ein großes Graffiti erinnert daran wo man ist: Wolkenburg. Der Tunnel ist wesentlich länger als der erste und durch die Nähe zu Wupper und Schwebebahn wird seine Nutzung als wesentlich angenehmer empfunden. Es ist eher ein zum Licht als ein ins Dunkel gehen. Beim Eintauchen reduzieren sich die Außengeräusche, das Licht dämpft sich, wirkt fast weich. Das Wiederauftauchen wird durch das monotone Rauschen der Wupper als angenehm empfunden. Trotz einer ähnlichen Situation wie im ersten Tunnel ist die Wirkung auf den Menschen eine deutlich Andere.
der name ist irref端hrend, denn die architektur spricht eine andere sprache
4.1 3
unterführung alter markt. identitätsfindung im öffentlichen raum
Die Schwebebahnhaltestelle „Alter Markt“ befindet sich im Stadtteil Barmen und bildet dessen infrastrukturellen Knotenpunkt. Der die Haltestelle umgebende Vorplatz grenzt an eine stark befahrene Straßenkreuzung an, die sowohl von Autos als auch Linienbussen genutzt wird. Zur Rechten befindet sich ein Schnellrestaurant, das Treffpunkt jugendlicher Gruppen ist. Richtung Norden gelangt der Fußgänger über die einzige Ampelanlage in Richtung City. Die Überwindung des Stadtverkehrs in die anderen Richtungen ist ausschließlich durch eine Fußgängerunterführung möglich. Im Folgenden kläre ich die Zonierung der Unterführung sowie ihren Bezug zum Stadtraum und analysiere ihre Aussage hinsichtlich der Nutzung durch den Menschen. Charakteristisch für den Vorplatz der Haltestelle ist die Aufteilung der Infrastruktur in vier horizontal angeordnete Ebenen. Dabei hat jede dieser Ebenen ein Symbol, das
stellvertretend für ihre Funktion stehen kann. Für die Ebene Himmel steht die Schwebebahn, die sozusagen über der gesamten „Szene“ schwebt. Allgegenwertig durch das typische Geräusch des Schleifens der Schienen mischt sich ihre „Stimme“ unter den Chor der Stadt. Interessant ist, dass das Symbol für die Natur, hier den Himmel, eine vom Menschen geschaffene Technologie der Fortbewegung ist. Auf den Zusammenhang, dass der Mensch den natürlichen Raum verdrängt und sich somit über die Natur stellt werden wir im Folgenden noch öfter stoßen. Die zweite Ebene ist der Boden. Dieser wird dominiert durch den Autoverkehr. Zwar wird er auch durch den Menschen genutzt, dieser muss sich jedoch dem Auto unterordnen und an der Straßenführung orientieren. So wird ihm ein ganz klarer, begrenzter Bereich zugeordnet in dem er sich bewegen kann. Dieser Typ Mensch ist ein anderer, als der Typ Mensch der die Unterführung nutzt. Er ist
öffentlich, gesellschaftlich, kultiviert. Da der vorhandene Raum von vielen Menschen gleichzeitig genutzt wird müssen von Zeit zu Zeit Abstände zu Anderen gewählt werden, die in den Bereich der persönlichen Distanz eindringen. Die Proxemik des öffentlichen Raums ist eine andere als die der Unterführung. Die nächste Ebene ist das Wasser; das Symbol der Fluss, die Wupper. Verdrängt durch die Stadt, geleitet und künstlich befestigt durch hohe Betonmauern verschwindet sie aus dem Stadtbild und der Wahrnehmung des Menschen. Das Rauschen des Wassers wird übertönt durch den Lärm des Verkehrs, reduziert zum Zitat rahmt eine eiserne Brüstung den Blick auf den Fluss am Rande des Platzes. Wie zuvor bei der Schwebebahn wird die Natur aus dem öffentlichen Kontext gestrichen. Die letzte hier zu untersuchende Ebene ist die Erde. Das Symbol hierzu die Unterführung. Wie oben bereits erwähnt ist die Grundlage und das Ergebnis der folgenden Untersuchung der private Mensch als Individuum und nicht mehr als einsamer Teil der öffentlichen Gesellschaft. Der Unterführung ist die tiefste Verbundenheit zur Natur zuzusprechen da
sie sich mitten in ihr befindet. Aus dem öffentlichen Raum vertrieben, bietet sich hier nun die Möglichkeit Privatheit, Intimität und Identität zu finden. Ob die Schleuse ausschließlich als Durchgangszone (Augé) bezeichnet werden kann bleibt also zu klären. Die Aufteilung in die oben genannten Ebenen lässt auf folgenden Zusammenhang schließen: Das Synonym für Öffentlichkeit ist Kultur und alle damit einhergehenden gesellschaftlichen Regeln. Das Synonym für Privatheit ist die Natur und die Rückbesinnung auf das Individuum. Die Unterführung ist in fünf Teile gegliedert: Die Treppe am Alten Markt, die zum Mittelteil Ecke Fischertal führende Schleuse, der Mittelteil, die Schleuse zum Nordausgang und die Treppe Friedrich-Engels-Allee. Die Treppenanlage am Alten Markt, die den Zugang zur Unterführung bildet, ist in Richtung Platz ausgerichtet und somit leicht zugänglich. Sie ist als eine Art Schwelle zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, zwischen Außen und Innen zu sehen. Ihr Nutzer muss sich bewusst entscheiden die Weite des Platzes zu verlassen
blick in den zwischenraum
um die enge und gerichtete Schleuse zu betreten. Mit jedem Schritt den er tut nehmen die Verkehrsgeräusche sowie das von der Sonne erzeugte Licht merklich ab. Langsam wird das Auge an die sich ändernde Lichtsituation gewöhnt. Dieser Vorgang wirkt unerwartet weich im Gegensatz zu der formal harten Architektur. Vor allem aber auch wenn man die Tatsache bedenkt, dass die Unterführung aus einer mathematischen Konstruktion besteht in die sich der Mensch einordnen muss (Rasterung der Bodenplatten, Fliesen, etc.). Unten angekommen muss der Nutzer einer kurzen Kurve folgen ehe sich sein Blick in die Schleuse öffnet. Das Licht am Ende der ersten Schleuse zieht ihn an. Ohne zu halten setzt er seine Bewegung fort, die nach dem Treppenabstieg und der Kurve an Fahrt aufgenommen hat. Unterbewusst offenbart sich nun die absolute Reduktion der Architektur im Gegensatz zu den chaotischen Überlagerungen der Stadt. Der Boden wirkt homogen, die gekachelten
Wände reflektieren warm das einfallende Licht, nichts stellt sich dem Nutzer in den Weg, einzig die Neonröhren bieten die Möglichkeit einer Verortung. Diese Eigenschaften sind die notwendige Voraussetzung für den wahrnehmungsverstärkenden Charakter der Schleuse. Die Wahrnehmung des Nutzers wird durch völlige Reduktion aller störenden Reize geschärft. Da die Architektur der Schleuse kein zu kommunizierendes Objekt darstellt ist das Kommunikations- und Wahrnehmungsobjekt der Nutzer selbst. Schnell entdeckt er diese Qualität und beginnt über die Wände, die das Sprachrohr bilden, mit sich selbst zu kommunizieren. So bemerkt er erst jetzt, in der Distanz zum Stadttreiben, die Kraft und den Klang der eigenen Schritte. Er spürt die Kühle der Schleuse auf seiner warmen Haut. Er sieht seine Bewegung in der Reflexion der Kacheln. Er beginnt mit der Erfahrung des persönlichen Raums; über das Verhältnis des eigenen Körpers, über seine Kleidung, zum Raum. Überrascht entdeckt er
die Chance zur Identitätsfindung mitten im öffentlichen Stadtraum, der so sehr geprägt ist durch Anonymität, stummer Kommunikation und entindividualisierenden gesellschaftlichen Ritualen.
treppe in richtung alter markt
Kaum hat der Nutzer diese Erfahrungen gemacht sieht er sich mit einer architektonischen Neuerung konfrontiert. Am Ende der Schleuse angekommen, öffnet sich der Raum plötzlich. Die geschlossene Form wird zur Überdachung, den Wänden weichen Stützen, dem dynamischen Schwung der Schleuse stellt sich eine zweite, gegenläufige Bewegung entgegen. Durch die geöffnete Form kann Tageslicht einfallen, das sich mit dem Kunstlicht der Neonröhren vermischt. Die Geräusche der Stadt fallen wieder stärker in die entstandene Hofsituation ein und
führen die Existenz der Stadt und dessen gesellschaftlich öffentlichen Konventionen zurück in Erinnerung. Der Nutzer hat nun die Möglichkeit auf die Situation zu reagieren und sich als „geläutertes“ Individuum der Stadt gegenüberzustellen. Durch die beiden Treppenaufgänge hat er auch die Möglichkeit der Konfrontation zu entfliehen, genauso kann er aber auch Schutz im Schatten des Daches suchen um anschließend erneut die schützende Geste der zweiten Schleuse aufzusuchen. Diese Station der Konfrontation ist zwingend notwendig um die Entdeckung des Individuums als real bezeichnen zu können. So verortet sich das Individuum sowohl zeitlich als auch räumlich. „Gereinigt“, wird der weitere Gang durch die Schleuse zur spielerischen Entdeckung des
die vier ebenen der kreuzung am alten markt, sowie die treppe „friedrich-engels-allee“ und „alter markt“
Privaten und des eigenen Ichs. Das Ende der Schleuse mündet in eine erneute Kurve, die auf das Folgende vorbereitet. Das Auftauchen über die zweite Treppenanlage erweist sich als noch intensiver als das Abtauchen. Endgültig kehrt der Lärm der Stadt zurück, es wird heller, zu hell. Durch die Reduktion der Reizquellen und die damit einhergehende Schärfung der Sinne in der Schleuse, wirkt jeder von der Stadt entsendete Reiz nun sehr extrem. Aufgetaucht und angekommen gibt sich die Stadt noch lauter als am Anfang der Unterführung. Ob das Individuum sich nun auch als solches behaupten kann liegt an ihm selbst.
4.1 4
„bestattungen sonnenschein“. stillgelegte eisenbahnbrücke in wuppertal rott
Die stillgelegte Eisenbahnbrücke im Wuppertaler Stadtteil Barmen kreuzt auf halber Strecke den Steinweg, der am Ende auf den verkehrstechnischen Hauptknotenpunkt „Alter Markt“ trifft. An dieser Stelle hat die Brücke eine ungefähre Höhe von 35 Metern. Die Brücke ist 280 Meter lang, voran geht ein Tunnel der unter einem Wohngebiet verläuft. Betrachtet man das gesamte Gebiet und die Hauptverkehrsachsen fällt auf, dass die Bahntrasse die aktiven Hauptverkehrsstraßen durchkreuzt. Diese Begebenheit spielt auf einen unterschiedlichen inhaltliche Schwerpunkt der beteiligten Elemente an und legt den zu diskutierenden Gegensatz der beiden Ebenen, nämlich der Straße als öffentlichen Ort und der Brücke als Ort des Rückzugs, dar. Ein zweiter möglicher Gegensatz ergibt sich in dem Vergleich zwischen Tunnel und Brücke. Beide sind Teil der stillgelegten Bahntrasse, sind somit beide als „Schleuse“ anzusehen, funktionieren auf ähnliche Weise,
ergeben aber in ihrer atmosphärischen Wirkung völlig unterschiedliche Wahrnehmungen. Ihrer Funktion als Weg des Transportes von Menschen und Gütern beraubt, bemerkt der Mensch schnell die neuen räumlichen Qualitäten die sich ergeben. Sowohl Tunnel als auch Brücke haben einen sehr gerichteten Verlauf und bieten keinerlei Abwechslung in der Nutzung durch irgendeine Veränderung, Unterbrechung oder Auflockerung der Wegführung. So geben Beide dem Nutzer nur zwei Arten der Nutzung vor: entweder vor oder zurück. Beide haben einen Anfang und ein Ende. Aufenthalt ist nicht erwünscht. Ein Ausbrechen aus den gegebenen Strukturen ist durch die seitliche Begrenzung durch Tunnelwand bzw. Brüstung nicht möglich. Beide grenzen sich von ihrer Umgebung in bestimmten Maße ab. Der Tunnel verläuft unter dem Wohngebiet. Somit trennt sich der Bereich „Verkehr“ vom Bereich „Wohnen“. Der Tunnel isoliert sich aber auch vom Licht, von Geräuschen,
blick in richtung tunnel. der ausblick verschafft dem nichtort eine ganz eigene atmosphäre
der Temperatur und allen Sinnesreizen die es auf der Oberfläche gibt. Die Architektur des Tunnels isoliert den Nutzer vom Stadtraum. Zwar werden die Geräusche der Stadt ein Stück weit reflektiert und vermischt mit den eigenen Geräuschen, dennoch rückt die Stadt schnell aus der Wahrnehmung des Nutzers, sodass er schnell eine Schärfung der Sinne bemerkt. Durch die fehlende Orientierung die sich ihm bietet haftet der gesamten Situation allerdings ein unangenehmer Charakter an. Die Desorientiertheit führt dazu dass man den Tunnelraum schnell wieder verlassen will und sich in Richtung Licht bewegt. Dort angekommen merkt man spätestens die Schärfung der Sinne, weil nun jeder Reiz extrem verstärkt wahrgenommen wird.
Die Brücke grenzt sich durch mehrere formale Dinge vom Stadtraum ab. Das erste ist der Höhenunterschied von 35 Metern zum Straßenniveau. Daraus resultieren einige Veränderungen bezüglich der Wahrnehmung die im Folgenden geklärt werden. Das zweite ist der fehlende Kontakt zu den umliegenden Gebäuden. Keines der Wohnhäuser schließt direkt an einen der Brückenbögen an, es wird stets ein gewisser Abstand gehalten. Nicht so industrielle Bauten. Diese suchen den direkten Kontakt zur Brücke; einige Brückenbögen werden sogar direkt genutzt. Bleibt also die Frage ob diese strickte Trennung nach dem eigentlichen Funktionsverlust der Brücke als Transportstrecke sinnvoll ist? Was aber passiert jetzt beim Betreten der Brücke? Das Chaos der Stadt scheint mit den ersten
straßenszene, mit blick auf die brücke
Schritten auf der Brücke schnell zu verfliegen. Die Reduzierung der Möglichkeiten den vorgegebenen Raum zu begehen ist im Gegensatz zum „offenen“ Raum der Stadt ein großer Vorteil und eine Chance sich auf andere Dinge konzentrieren zu können. Die Reduktion passiert hierbei nicht abrupt und spontan, es ist vielmehr ein Prozess den der Nutzer durchläuft. Zu Beginn wird die Brücke noch von Wohnhäusern gesäumt. Dadurch dass sich das Straßenniveau ändert erhält der Nutzer immer mehr Einblick in höher liegende Stockwerke, bis er sich schließlich über den Dächern der Häuser befindet. So losgelöst von jedem äußeren Einfluss begegnet der Nutzer der Straße, dem Symbol für Verkehr und Stadt nun mit Leichtigkeit. Die große Distanz lässt den Lärm der Autos nahezu verstummen und die eigene Stimme ist ohne Probleme verstehbar, obwohl dies 30 Meter unter ihm nicht möglich wäre. Die Erhöhung löst den Nutzer vom urbanen Kontext sodass er sich
trotz der vorgegebenen Richtung frei in seinem Luftraum bewegen kann. Hier beginnt sich der eigentliche Schleusencharakter aufzulösen. Der Wunsch nach Aufenthalt und Verweilen wird größer. Nach und nach entdeckt der Nutzer immer mehr Details und architektonische als auch landschaftliche Zusammenhänge des Umraums. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich somit die Funktion der Brücke vom ehemals öffentlichen Bereich der Transportnutzung in den Bereich des Privaten, als Ort des Rückzugs, des Ausblicks und der Reflexion, verlagert. Kann man die Qualitäten und Atmosphären des Privaten nun auf die gegebene Situation übertragen und welche architektonischen Ausdrücke können sich daraus ergeben? In wieweit ist die Rolle des Tunnels für die Erschließung der Brücke von Bedeutung oder kann sie sich sogar als eigenständiger Gestaltungsgegenstand behaupten?