reviewed paper Art Can (Not) Save The World, You Can – Künstlerische Praxis als kollaboratives Handeln innerhalb urbaner und regionaler Handlugsprozesse Claudia Gerhäusser, Markus Jeschaunig, Wolfgang Oeggl (Dipl. Ing. MA Design Univ. Ass. Claudia Gerhäusser, University of Technology Graz/Think tank oiXplorer, Mariahilferstrasse 30, 8020 Graz, Austria, c.haeusser@googlemail.com) (Mag. arch. Markus Jeschaunig, Agency in Biosphere/Think tank oiXplorer Graz, Mariahilferstrasse 30, 8020 Graz, Austria, studio@agencyinbiosphere.com) (Mag. phil. Wolfgang Oeggl, Think tank oiXplorer Graz, Mariahilferstrasse 30, 8020 Graz, Austria, dukepages@hotmail.com)
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ABSTRACT
Eisenerz vollzieht in diesem Jahrzehnt den Wandel zu einer postindustriellen und in Zukunft auch zu einer post-demokratischen Region. Migration, Leerstand und zurückgehende Bevölkerungszahlen prägen – an Stelle der jahrhundertelang vorherrschenden Eisenindustrie – das Bild. Im Rahmen des Kunst- und Kulturfestivals „Rostfest“ entstand 2012 das Kunstprojekt “Re-light Eisenerz”, eine Installation eines Do-It-Yourself-Wasserkraftwerkes, welches regionale Entwicklungseffekte zum Ziel hat. Die gewonnene Energie wurde für die Ausleuchtung eines innerstädtischen Leerstandes aus dem 18. Jhdt. durch LED-Technologie genutzt. Das relativ kleine, unbefangene Projekt entwickelte sich zu einem dynamischen Prozess mit selbstverständlicher BürgerInnenbeteiligung zum Thema „erneuerbare Energien und zukünftige Stadträume“. Dabei entwickelten sich neue Sichtweisen auf die Ressourcen der Stadt und ein Bild der Resilienz für die Region. Das Team oiXplorer1 moderiert diesen fortlaufenden künstlerisch orientierten Prozess. Zusammen mit AnrainerInnen und BürgerInnen arbeitet die Gruppe an der Umsetzung eines innovativen WasserkraftKonzepts (Gravitationswasserwirbelkraftanlage). Die Mikro-Implementation kann die örtliche Straßenbeleuchtung mit Strom versorgen. Es revitalisiert die verlorengehende Infrastruktur industrieller Nutzung der Kraft der Gewässer in Eisenerz. Wasser wird in Licht und Licht auf die Ebene der kommunalen Gemeinschaft übersetzt. Aufgrund eigener Erfahrungen in Eisenerz halten wir eine Diskussion über die Rolle künstlerischer Vorgehensweisen in Zusammenhang mit Planung für notwendig. Dabei soll die Kunstpraxis nicht die Planungspraxis ersetzen, sondern diese stimulieren und Grenzen aufweichen, die in der Planung gegeben sind. KünstlerInnen fungieren als Wegbereiter für weitreichendes Handeln. 2
EINLEITUNG
Kunst ist seit Menschen Gedenken ein universaler Bestandteil des Lebens und untrennbar damit verbunden, wie wir miteinander und mit der Umwelt kommunizieren. Als Teil ihrer Spiritualität, wie etwa die Beschwichtigung der Ahnen und der Natur, entwickelte jede Kultur mannigfaltige künstlerische Praktiken und Ausdrucksweisen. Kunst geht über den reinen Nutzen hinaus und muss nicht per se zum (wirtschaftlichen) Überleben beitragen. Sie scheint der letzte „Freiraum“ zu sein, unparteiisch, niemandem verpflichtet, nicht gewinnorientiert. Ist sie das Gegenstück zu einer kapitalistischen Ökonomie, die auf endlichen Ressourcen basiert? Können KünstlerInnen Wege aufzeigen, welche gesellschaftlich in eine nachhaltige Zukunft führen? Kann Kunst dazu beitragen, dass die EntscheidungsträgerInnen diese Wege auch gehen? “Kunst thematisiert, kommentiert und verändert Räume. In den besten Fällen definiert und schafft sie neue Orte.” (Claudia Büttner, 2013. S.139.). Folgen wir diesem Begriff von Kunst, stellt sich die Frage, wie künstlerische Praxis und Eigeninitiative Städte und ganze Regionen langfristig verändern können. Ein Kunstprojekt in Eisenerz (AT) vermittelt den Prozess einer solchen Neudefinition öffentlichen Raums. Vor- und Nachteile eines künstlerisch orientierten (Nicht-) Planungsprozesses werden deutlich. Damit lassen sich über die kritische Rolle der KünstlerInnen in Bezug auf Stadt und Gesellschaft Erkenntnisse gewinnen.
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About oiXplorer: The name is a creation from English "explore", research, and Greek "oikos", the house, from which later "ecology" and "economy" arised. oiXplorer stands for an independent and open art collective, trying to decipher ecological and economical systems to comment and act. The think-tank & Do-tank was founded in 2012 by Markus Jeschaunig (artist), Claudia Gerhäusser (architect) and Wolfgang Oeggl (philosopher), based in Graz. Since than oiXplorer already realized several projects in public space. The 'Arc de Triomphe' has been awarded with the environmental award of the city of Graz. www.oixplorer.blogspot.co.at
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ISBN 978-3-9503110-8-2 (CD), 978-3-9503110-9-9 (print) Editors: Manfred SCHRENK, Vasily V. POPOVICH, Peter ZEILE, Pietro ELISEI
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Art Can (Not) Save The World, You Can – Künstlerische Praxis als kollaboratives Handeln innerhalb urbaner und regionaler Handlugsprozesse
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ÖKONOMIE, POLITIK UND GESELLSCHAFT: DEMOKRATISCHEN VERANTWORTUNG
ÜBER
DIE
FRAGE
DER
Gegenwärtig befinden wir uns an einem kritischen Punkt im Wechselspiel von BürgerInnen, Staat und Wirtschaft. Was als ein ausgleichendes System der gegenseitigen Kontrolle gedacht war, präsentiert sich heute in einer stark vertikalen Hierarchie. Die Politik wird zunehmend von der Wirtschaft geprägt (und durchgeführt) und gesetzliche Beschlüsse dienen nicht selten dem Wohl von Unternehmen, nicht vornehmlich dem der Gesellschaft. Durch die steuerliche Entlastung von global agierenden Großkonzernen verlagert sich der finanzielle Druck zur Erhaltung der staatlichen Institutionen und der Institution „Staat“ auf die Bevölkerung. Der Staat entzieht sich mehr und mehr der Verantwortung der gesetzlichen Regulierung des Wirtschaftssystems und überlässt die Aufgabe des wirtschaftlichen Überlebens den global players – mit teilweise verheerenden und noch ungeahnten Auswirkungen auf das Ökosystem und den Menschen. „Als Adam Smith und andere Theoretiker im 18. Jahrhundert die Lehre von der freien Marktwirtschaft entwickelten, ging es ihnen vor allem darum, die Welt der Politik und die des privaten Unternehmertums zu entflechten; man kämpfte insbesondere gegen die Gewährung von Monopolen und die Vergabe von Aufträgen an die Günstlinge des Hofes.“ (Colin Crouch, 2008. S. 69.) Nach über 200 Jahren des Kampfes um Gleichheit und demokratischer Rechte der Mitbestimmung stehen wir erneut an der Schwelle zu einer Klassengesellschaft. Während die BürgerInnen den Hauptteil der fiskalischen Last tragen müssen, hat sich eine kleine Gruppe in wichtigen ökonomischen Positionen Zugang zu politischer Macht verschafft. „Ihr Erstarken ist eines der ernstesten Symptome für den Anbruch des postdemokratischen Zeitalters, da der Aufstieg der Wirtschaftseliten mit einem Schwinden der kreativen Dynamik der Demokratie einhergeht.“ (S. 70.) Die Bevölkerung, der zwar die finanzielle Verantwortung für die institutionelle Aufrechterhaltung des Staates obliegt, entzieht sich ihrer demokratischen Verantwortung zur Mitbestimmung – ebenso wie der Staat, der durch Privatisierungen öffentlicher Leistungen und die Auslagerung der Verwaltung von commons wie öffentlichem Raum und Allgemeingut dem Imperativ der fortschreitenden Ökonomisierung des Lebens Folge leistet. 3.1 Unsichtbarkeit als Waffe: über Strukturen und Suprastrukturen Privatisierungen von öffentlichen Dienstleistungen und Gütern haben überdies Verschleierungen von Verantwortlichen und Verbindlichkeiten zur Folge, die sich in diffusen und schwerfälligen Entscheidungsfindungen – beispielsweise bei Eingriffen in den öffentlichen Raum – bemerkbar machen. Das Abschieben von Verantwortung sowohl auf individueller wie auf staatlich-institutioneller Ebene offenbart sich in einer gewissen Ohnmachtsstruktur, von der wirtschaftliche EntscheidungsträgerInnen profitieren. Die demokratischen Strukturen bewahren bestenfalls Scheincharakter, Politik nimmt die mediale Form des marktheischenden Spektakels an, indem sie sich anstatt auf inhaltliche Informationen und demokratische Entscheidungsfindungen über wirtschaftliche Prozesse wie beispielsweise Freihandelsabkommen auf kurzfristige Ziele und Schlagzeilen konzentriert. Durch Handelsabkommen wie das GATT, die WTO oder unlängst das TTIP schafft das Wirtschaftsystem eine unübersichtliche bis unsichtbare Suprastruktur, die langfristig in das Ökosystem eingreift. Die freie Marktwirtschaft, einst als Garant für unternehmerische Vielfältigkeit und individuelle Entfaltung gedacht, wird so zum Demiurgen einer kritikunfähigen Konsumentenschaft, die sich ihrer individuellen Bedürfnisse größtenteils kaum noch bewusst ist. Konsum ohne Information heißt Verantwortungslosigkeit. Die Globalisierung des Marktes bedeutet auch eine Verschleierung von Produktionsverhältnissen, - herkunft und – wegen. Alternative globalisierungskritische Bewegungen, die sich inhaltlich mit Fragen nach Transparenz, Inklusion oder Regionalität beschäftigen, finden hingegen in der Politik kein Gehör und werden leichtfertig als antidemokratisch oder antiglobal abgetan. Doch, um es in den Worten von Donatella Della Porta zu formulieren, sind sie mehr „new global“ als „no global“, da es sich um Alternativen zu einer neoliberalen Globalisierung handelt, die sich der Zukunft der Demokratie und nachhaltiger Formen der ökologischen Grundlagen des menschlichen Lebens widmen und eine kritische Aufmerksamkeit verdienen. „Wenn die Demokratie wirklich funktionieren soll, muß zwischen diesen Anforderungen ein Gleichgewicht hergestellt werden. […] Heute gilt es, den globalen Finanzkapitalismus einzudämmen. Doch wer dies auf der globalen Ebene fordert, verlangt Unmögliches. Der Rahmen internationaler Steuerung, der durch die WTO, die OECD, den Internationalen Währungsfonds (IMF) und – für uns Europäer – durch die Europäische Union vorgegeben wird, bewegt sich genau in die entgegengesetzte Richtung.“ (S.134f.)
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REAL CORP 2015: PLAN TOGETHER – RIGHT NOW – OVERALL Ghent, Belgium
Claudia Gerhäusser, Markus Jeschaunig, Wolfgang Oeggl
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KREATIVITÄT UND KRITIKFÄHIGKEIT ALS HANDLUNGSORIENTIERTE ANTWORT
Der französische Philosoph Bernard Stiegler nähert sich dem Problem der kommerziellen Ausschlachtung aller Lebensbereiche im Zuge der Globalisierung von der Seite der Mündigkeit. In seinem ernüchternden Befund der gegenwärtigen gesellschaftlichen Geistesverfassung kritisiert er den Umgang von Erwachsenen mit Verantwortung, die mangels eigener Überzeugungen die Erziehung ihrer Kinder auf ein Bildungssystem, das von konsumfreundlichen Massentechnologien geprägt ist, abschieben. Der Zugang zu Bildung für eine breite Masse wird von Seiten der Kapitalismusverfechter neben dem wirtschaftlichen Aufschwung als eine der großen Errungenschaften des Neoliberalismus verankert. Dass aber Bildung noch kein Garant für Kritikfähigkeit ist, zeigt sich an der gesellschaftlichen Entsolidarisierung und der kritiklosen Erhaltung eines Systems, das die Zukunft der Lebensgrundlagen für die nächsten Generationen gefährdet. Der zügellose Konsum der Freizeitgesellschaft ist ein Feindbild der Kreativität. Damit ist nicht das künstlerische Schaffen gemeint, sondern das schöpferische, gestalterische Denken allgemein. Um Kritikfähigkeit zu erlangen, bedarf es eines persönlichen Standpunktes, der auf der Gestaltung eines Selbstbildes beruht. Eigenermächtigte Handlungsfähigkeit (und damit einhergehend auch die Verantwortung) setzt das kreative Denken, das sich durch die Handlung verräumlicht und erst dadurch zur Verantwortung wird, voraus. Die Marketingmaschinerien und Massentechnologien zielen genau auf diesen Punkt: bevor es überhaupt zu dem Schöpfungsakt des Selbstbildes (der Selbstbestimmung) kommt, setzt schon die Fremdbestimmung, die das Begehren lenken will, ein. Das Begehren, sagt der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan, ist sich seines Objektes nicht bewusst – es muss es erst gestalten. Wenn aber die Werbeindustrie daran arbeitet, unser Begehren (und nicht mehr die daraus abgeleiteten Wünsche) zu steuern, kommen wir erst gar nicht mehr in die Situation, gestalterisch in unser Umfeld einzugreifen – und dadurch verlieren wir unsere Mündigkeit und die Errungenschaften der Aufklärung. Unsere Lebenswelt ist Ausdruck unserer Fähigkeit zu symbolisieren und der technisch-technologischen Errungenschaften. Gerade deshalb haben wir die Möglichkeit, die Welt mitzugestalten und Fortschritte zu erzielen und eben deshalb sind wir keine biologisch und/oder kulturell determinierten Lebewesen. 4.1 Kunst als Pharmakon? Da es sich die Bildungseinrichtungen inklusive der Universitäten zur Aufgabe gemacht haben, für einen reibungslosen Ablauf und Nachschub auf sämtlichen (Aus-) Bildungsniveaus zur Aufrechterhaltung des Systems zu sorgen (auch die Bildungseinrichtungen – allen voran die Universitäten und Fachhochschulen – sind in zunehmendem Maße von privaten Forschungsgeldern abhängig), übernimmt die Kunst vermehrt die Aufgaben einer kritischen (Bewusstseins-) Bildung. Da künstlerisches Schaffen – bis auf wenige Ausnahmen – nach wie vor ein nicht ökonomisierbarer Bereich bleibt, kann der Künstler/die Künstlerin in gewisser Unabhängigkeit und Unbefangenheit agieren. Kunst ist in diesem Sinne ein Experimentierfeld unter Laborbedingungen, in dem mögliche Szenarien geprobt und unsichtbare, unbewusste Prozesse zum Vorschein gebracht werden können. Unter diesen Bedingungen kann, darf und muss sich Kunst über gesellschaftliche Konventionen und gesetzliche Verordnungen hinwegsetzen, um aus den Bestandteilen unserer Realität(en) eine neue Geisteswelt entstehen zu lassen und Unhinterfragtes einem öffentlichen Interesse aufzubereiten. In der Dialektik zu einem vorherrschenden System (und dialektisches Wissen setzt immer einen Kontrapart voraus) entsteht dadurch die Möglichkeit, über die Wirklichkeit als gemeinschaftliches, öffentliches Gut (im Sinne der commons) stets aufs Neue zu verhandeln – denn genau das bedeutet Mündigkeit und Demokratie. 5
VON DER THEORIE ZUR PRAXIS – BEISPIEL EISENERZ
“In immerwährender Bewegung wandeln die Wasser aus den tiefsten Tiefen der Meere zu den höchsten Gipfeln der Berge, wobei sie die Natur des Schweren missachten; … Wenn das Wasser aus einer geplatzten Ader der Erde heraustritt, folgt es der Natur der anderen Dinge, die schwerer sind als Luft, und strebt deswegen immer nach den tiefer gelegenen Orten.” Leonardo da Vinci, Leicester Codex (Marianne Schneider, 1996. S.7.) „Re-Light Eisenerz“ ist ein künstlerisches Beispiel für den kritischen Umgang mit unserer Lebenswelt. Als Kunstprojekt unterliegt es nicht den gesetzlichen Vorgaben für öffentlichen Raum und Gemein(de)güter. Als temporäres Projekt – über den Zeitraum weniger Tage – konnte eine Idee ungehindert realisiert werden. Die Einbeziehung des Ortes, der Umgebung und die Kooperation mit der lokalen Bevölkerung stellte eine fruchtbare, basisdemokratische Entwicklung dar. Mit dem Sichtbarmachen der Herkunft
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alltagsbestimmender Ressourcen wie Wasser und Strom, wurden identitätsstiftende Bezugspunkte geschaffen. 5.1 Stadt Eisenerz – postindustrieller Wandel Eisenerz vollzieht den Wandel zu einer postindustriellen und in Zukunft wohl auch zu einer postdemokratischen Region. Migration, Leerstand und zurückgehende Bevölkerungszahlen prägen an Stelle der jahrhundertelang vorherrschenden Eisenindustrie das Bild. 5.2 Demografischer Wandel Das ehemalige Herz der österreichischen Industrie unterlief im Zuge von Globalisierung und Technologisierung der Wirtschaft einen strukturellen Wandel. Trotz gleich bleibender Fördermengen im Erzabbau benötigt man heute nur noch einen Bruchteil der Arbeitskräfte. Eisenerz verzeichnet seit Mitte des 20. Jahrhunderts einen drastischen Bevölkerungsrückgang – vom höchsten Einwohnerstand von etwa 13000 in den 1950er Jahren auf heute rund 4800 Einwohner (Tendenz fallend). Demografisch gesehen hat Eisenerz – neben der Nachbargemeinde Vordernberg – mit 52 Jahren den höchsten Altersdurchschnitt Österreichs. Damit zählt Eisenerz seit über vier Jahrzehnten zu den „Schrumpfenden Städten“. (vgl. W. Nussmüller, R. Pichler, R. Rosegger, 2006. S.4.) 5.3 Aktuelle Situation in Eisenerz Eisenerz liegt in einem Hochtal in den Ausläufern der Alpen auf 736 m Seehöhe mitten im obersteirischen Bergland, zwischen Bergen von ca. 2200 m Höhe, am Fuße des eindrucksvoll terrassierten Erzberges. Der nahgelegene Leopoldsteinersee und der alpenländische Nationalpark “Gesäuse” gehören zu den positiven Standortfaktoren der Region. Neben dem Rohstoffabbau weist Eisenerz außer Angeboten für Sport und Freizeit kaum weitere strukturelle Besonderheiten auf. Der Tourismus tut sich schwer die wirtschaftlichinfrastrukturelle Lücke, die der technisch optimierte Erzabbau hinterlassen hat, zu füllen. Schwere geografische Erreichbarkeit des Ortes, das hohe Alter der Bevölkerung und die dadurch fehlende Frequentierung der Stadt führen unausweichlich zu leeren Geschäftslokalen, der Abwanderung junger BewohnerInnen und somit auch zu geringen Geburtenzahlen. Was bleibt sind dekorierte Geschäftslokale in unbewohnten Häusern, die nicht vorhandene Virulenz vermitteln sollen. Die restlichen leeren Schaufenster wirken wie “schwarze Löcher” in eine unbekannte Zukunft. Eisenerz ist auf den ersten Blick ein Potjomkinsches Dorf unserer Zeit. 5.4 Lokale Herausforderungen Das Erz reicht voraussichtlich noch wenige Jahrzehnte, dann sind die wirtschaftlich verwertbaren Sideritvorkommen in Eisenerz erschöpft bzw. nur mit aktuell unwirtschaftlichem Aufwand abbaubar. Zukunftsaussichten wie diese machen Eisenerz zu einer der “studiertesten” Gemeinde Österreichs. InvestorInnen, Universitäten mit Studierendengruppen, TourismusexpertInnen, SoziologInnen, RaumentwicklerInnen, ZukunftsforscherInnen etc. erstellten Studien zu Eisenerz und versuchten Wege zu finden, wohin der Ort steuern kann. „Der Großteil der Studien befasst sich mit dem zentralen Paradigma des Wirtschaftswachstum, als Garant für soziale Kohärenz: der Wirtschaftsstandort als möglicher Motor der Bevölkerungsentwicklung.“ (W. Nussmüller, R. Pichler, R. Rosegger, 2006. S.5.) Mittlerweile herrscht Konsens darüber, dass klassische Modelle der Raumbetrachtung und Wachstumsformeln nicht mehr in einer derartig destabilisierten Stadtstruktur greifen. 5.5 Globale Herausforderungen Die Statistiken zu Klimawandel, voranschreitender und exzessiver Ressourcenverknappung und fehlendes Bekenntnis zu adäquaten Maßnahmen der Reduktion des überregionalen, globalen Energiebedarfs sind hinreichend bekannt. Wachstums- und fossilenergiebasierende Industriegesellschaften expandieren. Der Lebensstandard der Industrienationen wird als Optimum gehandelt und gilt als Vorbild für sich schnell weiterentwickelnde Regionen auf der ganzen Welt. Innovationen auf technischer Ebene fördern alternative Energiequellen oder optimieren die Effektivität vorhandener. Relativ schwer ist zu vermitteln, dass die Reduktion des Verbrauchs bei wachsender Erdbevölkerung gleichfalls eine notwendige Bedingung darstellt, sollte die Lebenssituation für nachfolgende Generationen weiterhin lebenswert bleiben. In vergleichsweise kurzer Zeit hat sich global ein Actio-Reactio-System herausgebildet, dessen Wirkung schwer einschätzbar ist und dessen direkte Auswirkung in Form von Veränderung der Lebensraumbedingungen uns zum Umsteuern zwingt. Im beginnenden Anthropozän stehen wir vor der Veränderung globaler Strukturen wie der
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Claudia Gerhäusser, Markus Jeschaunig, Wolfgang Oeggl
Energieversorgung, unserer Arbeitswelt und der Produktionsprozesse. Nach Harald Welzer stehen wir vor der Aufgabe “...ein historisch ungeheuer erfolgeiches gesellschaftliches Modell so umzubauen, dass wir die zentralen Errungenschaften bewahren und zugleich den Ressourcenverbrauch radikal absenken, [darum] kommen wir um die Erkenntnis nicht herum, dass die Transformation der Gesellschaft unweigerlich die Transformation unseres eigenen Lebens ist: ...die Veränderung der konkreten Praxis, also die Veränderung der Mobilität, der Ernährung, des Arbeitens, der Freizeit, des Wohnens…” (Harald Welzer, 2013. S.131.) Orte des Schrumpfens erscheinen paradox, da allgemein die Weltbevölkerung wächst. Es zeigt sich, dass am ehesten individuelle und orts-spezifische Lösungen auf der Mikroebene greifen. Für Eisenerz – stellvertretend für weitere Orte des demografischen Wandels – bildet sich ab, dass Reduktion und Verlust anstatt Wachstum und Entwicklung zu thematisieren sind. 5.6 Overcoming Rost – Was kommt nach dem Schrumpfen? Welche neuen Gesichtspunkte und Praxen sind für derartige Orte anzuwenden? Ist der Spirale der Schrumpfung etwas entgegenzusetzen? Ist die Neu-Vermarktung der Region ein wirksamer Ansatz? Kann man Schrumpfung zum Konzept machen und durch Rückbau noch weiter vorantreiben, um dadurch hohe Infrastrukturausgaben gering zu halten und zerfallene soziale Netzwerke wieder zu verdichten? Können künstlerische Strategien dazu beitragen, geeignete Wege zu finden? 5.7 Initiativen und Agencies in Eisenerz Neben etablierten Säulen wie Bergbau, Tourismus, Sport (Wintersport, Wandern, Bergsteigen) und Investitionen im Ausbau der nordischen Schisprungschanze gibt es Pläne für eine weltweit einzigartige Tunnelforschungsanlage. In der Nachbargemeinde Vordernberg (ebenso von starker Abwanderung betroffen) wurde vor kurzem der Bau eines Asyl-Anhaltezentrums fertig gestellt, dessen Standort jahrelang Bundesweit diskutiert und verschoben wurde. Kleinere private Akteure prägen zudem die Identität der Region. Das Erzbergbräu, das erste Bedarfswirtshaus in der Region, ist eine Idee eines zeitweise nach Wien ausgewanderten Eisenerzers und ITUnternehmers. Es ist ein fester Bestandteil des sozialen Lebens in Eisenerz. Die Kultur- und Veranstaltungsreihe „eisenerZ*ART“ mit regional orientiertem Kulturprogramm macht sich die reiche Stadtgeschichte und die topografisch besondere Lage zunutze. Projekte wie eine montanistische Performance von Baumaschinen und TänzerInnen am Erzberg gehören ebenso zum Programm wie Vorführungen historischer Filmdokumente über den traditionellen Erzabbau. Das 2012 erstmals veranstaltete “Rostfest” verbindet ein Festivalformat mit Stadt- und Regionalentwicklungsanspruch.. 5.7.1
Rostfest“ – Zwischen Festival und Stadtentwicklung
Nach dem Modell eines Musikfestivals oder der Rave-Parties der 1990er Jahre, die besondere oder leerstehende Orte für kurze Dauer für sich einnehmen, hat das Rostfest zum Ziel, Leben in die „verrostete“ Stadt zu bringen, um über das Format eines Kurzevents hinaus zu gehen und nachhaltige Impulse für die Stadt zu generieren. “Das Rostfest will die Stadt am Fuße des Erzberges nicht als Kulisse nützen. Vielmehr wird das Rostfest mit den EisenerzerInnen gefeiert”, so die RostfestveranstalterInnen. Urban Camping in leerstehenden Wohnungen, Konzerte im leerstehenden Tanzsaal, Heavy-Metal-Frühshoppen am Schichtturm mit ortsansässigem Metal Label oder Kaffeekränzchen mit den lokalen Jägerdamen waren einige der Programmpunkte. Bildende KünstlerInnen wurden eingeladen, Interventionen im öffentlichen Raum zu machen oder in einem leerstehenden Altstadthaus (Fisikatenhaus) auszustellen. Die ansässige Gastronomie wird eingebunden. Die Blockparty mischt sich mit Stadtexperimenten und gerät zur außergewöhnlichen Stadtfeier. Es entsteht ein aus den Potentialen der Unternehmen und der räumlichen Situation vor Ort entwickeltes Programm, das einmal jährlich Besucher aus Wien, Graz und ganz Österreich in die Stadt bringt. 6
KUNSTPROJEKT „RE-LIGHT EISENERZ“ – PHASE 1
Im Kontext des Rostfestes 2012 trat oiXplorer das erste Mal in Eisenerz mit dem Kunstprojekt “Re-Light Eisenerz” als Akteur auf. 6.1 oiXplorer Das zum Rostfest eingeladene Team oiXplorer aus Graz arbeitet mit folgendem Hintergrund: oiXplorer sucht die divergierenden Systeme von Ökonomie und Ökologie einander anzunähern. Unendliches Wachstum auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen ist unmöglich. Die Endlichkeit von importierten fossilen REAL CORP 2015 Proceedings/Tagungsband 5-7 May 2015 – http://www.corp.at
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Energieträgern macht die Forcierung von regionaler Energienutzung durch regenerative Energieträger nötig. Diese sollen gestalterisch in unsere Stadt- und Landschaftsräume integriert werden, in der Überzeugung, dass jede/r Einzelne Teil der Energiewende werden muss. 6.2 Ausgangssituation für „Re-Light Eisenerz“ oiXplorer stellte sich die Frage, wie man das Kapital und die Potenziale des durch strukturellen Wandel veränderten Ortes mit künstlerisch-gesellschaftlicher Strategie sichtbar machen kann. Als Ausgangspunkt galt der Leerstand „Fisikatenhaus“, in dem kein elektrischer Strom zur Verfügung stand, an dessen Rückseite sich aber ein rauschender Bach mit Wasserfall befand: der Trofengbach. Neben dem Fokus auf die Erzförderung am Standort Eisenerz wurde die Wasserkraft der Bäche innerhalb des Ortes als nachhaltige und in Vergessenheit geratene Ressource erkannt. oiXplorer antwortete mit einer temporären Lichtinstallation aus Recyclingmaterialien, die den Trofengbach im Ortszentrum zur Energiegewinnung nutzte. Ortsansässige HandwerkerInnen, Unternehmen, AnrainerInnen und Akteure/Akteurinnen wurden während des Rostfestes mobilisiert. Dadurch konnte das leerstehendes Gebäude aus dem 18. Jhdt. über drei Tage hinweg beleuchtet werden. Eingesetzte Ressourcen: Wasser – Trofengbach; Holz, Laster & Bohrmaschine – Raumausstatter vor Ort; Wasserrad & Generator; Essen – Bauernladen; Schweißarbeit – Mechaniker vor Ort; Keilriemen – Leerstand; Fahrräder – Leihgabe des städt. Fundamts; Know How & Holzschalung – Zimmermann vor Ort; So traf ein Zimmerer zum Zuschnitt der Hölzer mit FestivalbesucherInnen zusammen, um gemeinsam zu bauen. Gegenseitige Hilfe, Begeisterung für die Idee, selber Strom zu erzeugen und Improvisationsfähigkeit waren Vorraussetzung für das Projekt. NachbarInnen verfolgten das Geschehen und erzählten aus der Vergangenheit des Ortes. Außerdem diskutierten sie eigene Ideen zu regenerativen Energien und deren Umsetzung in ihrer Stadt. Ein Rush an Wissen, Aktion und Erfahrungsaustausch in Kollaboration mit BürgerInnen – prinzipielles gemeinsames Tun thematisierte und intensivierte für alle Beteiligten die Identifikation mit dem Ort. Das brachte nicht nur Aufmerksamkeit für eine bislang innerstädtisch ungenutzte Raumressource, sondern zeigte auch, dass die BewohnerInnen von Eisenerz engagiert Unternehmungen unterstützen, die sichtbare Veränderung herbeiführen. Intuitiv (ohne große Ortskenntnis zu haben) machte man sich gemeinsam etwas zunutze, das Jahrhunderte lang Präsenz in Eisenerz hatte – die Wasserkraft. Vor der Elektrifizierung nutzten Radwerke, Mühlen, Gerbereien und Bauernhöfe ausschließlich die Wasserkraft und dominierten das visuelle und akustische Stadtbild. Auch wenn die Wasserräder heute zur Gänze verschwunden sind, existieren die alten Strukturen entlang der Bachläufe noch immer. Das relativ kleine, unbefangene Projekt entwickelte sich zu einem dynamischen Prozess mit selbstverständlicher BürgerInnenbeteiligung zum Thema der erneuerbaren Energien und zukünftiger Stadträume. Überraschend schnell fanden die NachbarInnen und EinwohnerInnen Zugang zu der Idee ein „innerstädtisches Wasserkraftwerk“ in Eisenerz zu installieren. oiXplorer hatte in diesem Sinne mit dem Kunstprojekt Visionsarbeit geleistet und zu weiteren Ideen inspiriert. 7
VON DER KUNSTINSTALLATION ZUM KOMMUNALEN LICHTPROJEKT – PHASE 2
Beim Rostfest kam die Frage auf, ob der Trofengbach seine alte Funktion zurückerhalten und wieder längerfristig als wirtschaftlicher Wasserkraftstandort dienen könnte, wie auch die Frage, ob und wie ein solches Kraftwerk als gemeinsames “BürgerInnenkraftwerk Trofengbach” zu finanzieren und bauen wäre? Wie kann man dezentrale Energiegewinnung in bewohnten Gebieten stadträumlich implementieren? Eine weitere Aufgabe stand im Raum: Wie lässt sich eine kurzfristige temporäre Kunstinstallation in ein Projekt mit langem Zeithorizont überführen? 7.1 Kurzfristige und langfristige Perspektiven Österreich ist das Land mit dem drittgrößten Wasserkraftpotential in Europa. Langfristig ist eine Reaktivierung der Wasserkraft im historischen Ortszentrum von Eisenerz denkbar. Da das Projekt nicht externen PlanerInnen übergeben werden soll, arbeitet oiXplorer an einem alternativen Prozess, der zwar zeitintensiv ist, dessen Stärke aber in der Interaktion aller Beteiligten liegt. Es schien auf diese Weise leichter zu sein, einen Anstoß für Neuverhandlungen über Allgemeingut und dessen Verwaltung zu liefern, als mit bereits etablierten Planungswegen ein Kraftwerk umzusetzen.
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7.2 Technische Innovation: Gravitationswasserwirbelkraftanlage (GWVPP) Die Firma Zotlöterer entwickelte eine innovative neue Kleinwasserkrafttechnologie. Bei der so genannten “Graviationswasserwirbelkraftanlage” steht die Turbine vertikal in einem offenen, kreisförmigen Becken und wird vom Wasserstrom gedreht. Geringe Höhenunterschiede, einfache Umsetzbarkeit und ökologische Fischdurchgängigkeit sind entscheidende Vorteile für ein breites Einsatzspektrum. Erste Projekte haben gezeigt, dass sich Kleinlebewesen und Fische gerne in den Beckenrändern ansiedeln, weil dort der Wasserwirbel für eine erhöhte Konzentrationen von Sauerstoff und entsprechende Mikroklimata sorgt. Auf diese Weise lassen sich begradigte und regulierte Flussläufe mit mehreren Wasserwirbeln ergänzen. Damit übernehmen die Becken entlang der Flussufer wieder die ökologische Funktion der – großteils verschwundenen – ehemaligen Meanderflussstrukturen. 7.3 Chancen einer Energieskulptur Die öffentliche Straßenbeleuchtung ist ein Medium, das alle BewohnerInnen täglich nutzen. Die Idee ist es, Wasserkraft erleben und Energiemengen didaktisch der Öffentlichkeit vermitteln zu können. Im Gegensatz zu herkömmlichen Anlagen lässt der Wirbelstrom die Technik nicht verschwinden. Die Inszenierung von Bewegung im Zusammenspiel einer die gesamte Altstadt umfassenden Lichtinstallation macht Energie spürbar. Das Altstadtensemble verbindet sich mit der Innovation einer ökologischen Zukunft. Ein wichtiger Faktor in der Vermittlung des Konzeptes ist die Sichtbarkeit der Turbine in der Gravitationswasserwirbelkraftanlage (im Vergleich zu vielen klassischen Turbinentypen, bei denen das nicht der Fall ist). Sichtbarkeit von Energiegewinnung ist eine Grundlage für ein schlüssiges Vermittlungskonzept der dezentralen und autarken Energieversorgungsanlage. Damit kann sich das Kleinwasserkraftwerk attraktiv in den Stadtkörper einschreiben und alte Bachläufe “revitalisieren“. 7.4 Ästhetische Innovation: Design eines kommunalen Lichtprojekts Neuer Strom für Eisenerz: Der erzeugte Öko-Strom soll direkt vor Ort der öffentlichen Straßenbeleuchtung zugeführt werden und in der Lichtstimmung sichtbar werden. Tagsüber findet eine Netzeinspeisung statt. Abends erleuchten “re-Lights” (speziell designte Straßenlaternen) mit sanfter Lichtfarbe die Altstadt. Je stärker die Kraft des Wassers gerade ist, desto mehr Lichter leuchten und desto weiter erstreckt sich der Strahlradius in der Altstadt (Idee: Licht als Amplifyer im öffentlichen Raum der Stadt etablieren). Die Design Komponente zeigt an, ob die jeweilige Lampe gerade vom Bach oder vom herkömmlichen Netz ihren Strom bezieht. 7.5 Prosumer – BürgerInnen produzieren Das Projekt ist so angelegt, das BürgerInnen miteinbezogen werden sollen. Sei es finanziell, oder mit eigener Arbeitskraft, eigenem Material oder Wissen. Das Energie-Selber-Machen führt vom passiven Verbraucher zum aktiven Produzenten. Der Betrieb des Wasserkraftwerks könnte in Form einer Energie-Genossenschaft verwaltet werden. Täglich sehen und erleben zu können, was selbst bewirkt wurde, schafft ein Bewusstsein für Energiemengen und Stromverbrauch. 8
PROZESSERFAHRUNG
Ausgehend von dem künstlerischen Impuls wurde der klassische Planungsweg auf die Möglichkeit geprüft, die Vision umsetzten zu können. Das eigene Unwissen über Alternativen entwickelte sich zum Motor für die weiteren Prozessschritte. Im Zweier-Team wurden ExpertInnen und Verwaltungsinstitutionen aufgesucht, um diese in den Prozess einzubinden. Stets fokussiert auf ein ganzheitliches Projektverständnis und die Suche, ökologische, technologische und gestalterische Faktoren miteinzubeziehen, wurden die Entscheidungen, welche Kontakte als nächstes zu knüpfen waren und welche Schritte (z.B. auf Genehmigungsebene) die nächsten sein müssten, sukzessive getroffen. Zum einen hielt das den Prozess offen für Unvorhergesehenes und flexibel für Rückmeldungen. Zum anderen hielt diese Arbeitsweise auf, da sich einige Arbeitsschritte als nicht hilfreich erwiesen. Nach einer Sondierungsphase wurde festgestellt, dass aktuell kein Bürger und keine Bürgerin beteiligt sind. Ist damit der Ansatz in Frage zu stellen? Grundlegend liegt die Moderation immer noch in den Händen von oiXplorer. Ein stetes Hin und Her zwischen lebendigem Netzwerk und vereinzeltem Arbeiten ergab sich. Generelle Unsicherheit bringt die Finanzierungssituation. Marktwert und Investoreninteresse wurde im Laufe der Zusammenarbeit mit der Einreichung für Wirtschaftsförderung getestet. Es zeichnete sich ab, dass für eine Förderung auf dieser Ebene eine andere Projektausrichtung und ein anderer Projektstatus von Nöten
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gewesen wären. Zudem ist deutlich geworden, dass innerhalb der Wirtschaftsförderungen ein Produkt und damit ein zählbarer Gewinn notwendig sind, um Vertrauen zu schaffen. In der Arbeit vor Ort brauchte es keine solche Gewinnrechnung. Im Prinzip stellte dieses Dilemma oiXplorer vor die Notwendigkeit, sich selbst und die eigene Arbeit markttauglich aufzubereiten. Ein Widerspruch zu den eigenen gesellschaftlichen Ansprüchen entstand. Man sah sich zunehmend mit einer Wertediskussion konfrontiert - warum fällt es schwer, Licht, dass für alle sichtbar/nutzbar ist, als ökonomische Alternativwährung zu vermitteln und zu erklären, dass es keinen Gesamtinvestor geben soll? 9
GESELLSCHAFT, KUNST UND PLANUNG
“The artist shows the unknown, with the known” (Friedrich Kiesler). Aufgrund eigener Erfahrungen in Eisenerz wird die Notwendigkeit einer Diskussion über die Rolle künstlerischer Vorgehensweisen in Zusammenhang mit Planung deutlich. Dabei soll die Kunstpraxis nicht die Planungspraxis ersetzen, sondern diese stimulieren und Grenzen aufweichen, die in der Planung gegeben sind. KünstlerInnen fungieren als Wegbereiter für weitreichendes Handeln 9.1 Unabhängige KünstlerInnen Im Projekt „Re-Light Eisenerz“ wurde mit Zeit gearbeitet, die direkt vor Ort verbra(u)cht wurde. Zudem halfen die Gespräche mit den Ortsansässigen dabei, die ehemals übliche Energiequelle Wasserkraft wieder zu entdecken. Im Prinzip war die Art und Weise, wie oiXplorer auf die EisenerzerInnen zuging und wie man sich dem Ort näherte, der Schlüssel für alle weiteren Entwicklungen. Mit der Installation eines kleinen Do-ItYourself-Wasserkraftwerks aus recycelten und vor Ort beschafften Materialien wurde bedenkenlos eine sichtbare Tatsache geschaffen. Aufgrund dessen, dass oiXplorer sich im künstlerischen Kontext sah, konnten einige bürokratische und planungsimmanente Auflagen zeitweise umgangen werden. Als Künstler ohne vordergründige Gewinnabsichten, wie sie vergleichsweise ein Unternehmen verfolgt, stößt man leicht auf Interesse und Gesprächsbereitschaft auf einer inhaltlichen Ebene. Das führte zu einem schnellen Arbeitsmodus und Entscheidungen konnten direkt während der Umsetzung getroffen werden – ohne aufwendige Planung im Voraus. So gesehen machte oiXplorer eine unabhängige Sichtweise auf Besitzverhältnisse, Vorgaben und den Umgang mit dem Allgemeingut sichtbar. Die BewohnerInnen der Stadt sahen plötzlich Anknüpfungspunkte und halfen mit Materialien, Werkzeugen, Transportwagen und eigenem Wissen und Geschick. Eine Zusammenarbeit kam zustande (ohne diese zu erzwingen) und wuchs zu einem losen, aber vielschichtigem Netzwerk, welches sich als tragfähiger und beständiger als die Kunstinstallation selbst erwies. muf, ein Architektinnenenkollektiv aus London verfolgt eine ähnliche Strategie, um destabilisierte Regionen und Stadtviertel (ehemalige englische Arbeitersiedlungen) umzudefinieren. “The Relationship: Paradoxically, in order to make the thing, the collaboration has to be about the making of the relationship rather about the object.” (muf, 2000. S.29.). Das Kapital der KünstlerInnen liegt in ihrer Unabhängigkeit, ihrer frei verwaltbaren Zeit und ihrer Schaffensmentalität. Ökonomisches Kapital wie Geld, Materialien, Arbeitskräfte und technische Expertise sind es nicht, da sie sich diese von anderen holen müssen. In Eisenerz konnte oiXplorer bis heute andere dazu veranlassen, genau zu diesen Werten beizutragen. Die Vorgehensweise entspricht mehr einer Agency, denn einem autistisch an seinem Werk hantierenden Meister. Kapital KünstlerIn: Zeit ohne Geld Kapital Investor: Geld ohne Zeit Kapital Gemeinde/Stadt: Verwaltung, Verhandlung & Konfliktmanagement 10 REFLEXION & KONKLUSION “Das Konzept der Commons: Die Commons können gemeinschaftliche und generationenübergreifende Güter sein, wie Artenvielfalt, Wasser, Atmosphäre, genetische Ressourcen, Boden, Saatgut, Wissen, Ideen, kulturelle Vielfalt usw. […] Sie sind das Netz, das die produktiven, reproduktiven und kreativen Prozesse auf unserem Planeten stützt. Sie sind oder sie beschaffen uns die Mittel, uns zu ernähren, zu kommunizieren, uns zu bilden und uns fort zu bewegen, sie nehmen sogar die Rückstände unseres Konsums auf. Die Vielfältigkeit und Vitalität der Commons stellen den Schlüssel dar, den wir benötigen, um zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Veränderungen unserer Zeit entgegentreten zu können.” (Ingrid Spiller, 2009.)
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REAL CORP 2015: PLAN TOGETHER – RIGHT NOW – OVERALL Ghent, Belgium
Claudia Gerhäusser, Markus Jeschaunig, Wolfgang Oeggl
Gegenwärtig geschieht ein Verwalten dieser Gemeingüter weniger im Sinne der commons und mehr im Interesse Einzelner. Wasser ist Allgemeingut, dennoch wird es über kleine, elitäre Einheiten verwaltet. Das Wort “Rivalen” (lat: rivus: Bach, Strömung) z.B. entstand, da Mühlen, die am gleichen Ufer in engen Abständen die Kraft des Wassers nutzen wollten, sich gegenseitig die Strömung nahmen. Erst damit entstand die Notwendigkeit einer gesetzlichen und ausgleichenden Struktur. Diese hat sich im Laufe der Zeit von der eigentlichen Kernkompetenz, dem Ausgleichen von entstehenden Nutzungskonflikten, gelöst und entwickelte sich zu einer präventiv orientierten Bürokratie aus Regelwerken, Vorgaben und Vorschriften. Es wäre wieder notwendig, einen Schritt zurück zu gehen und die Kompetenz des Ausgleichens in der Verwaltungsebene einzufordern. Neue Verhandlungen über die Verwaltung von Allgemeingütern, wie es Wasser, der öffentliche Raum oder auch städtische Gefüge sind, wären dafür notwendig. Insbesondere sollten dabei folgende Fragen im Mittelpunkt stehen: - Wie kann Mitgestalten an bestehenden, laufenden und planerischen Strukturen aussehen? - Wie ist der allgemeine Zustand aktuell im Verhältnis von Planung und Demokratie? - Können sich KünstlerInnen (oder selbstständig agierende Menschen) bis zu einem gewissen Maß von den Vorgaben einer verwalteten Umwelt lösen? - Kann man im “Tun” außerhalb des rechtlichen Rahmens, diesen durch ein Übertreten oder ein “Nicht-Nachfragen-Ob-Etwas-Erlaubt-Ist” ins Bewusstsein holen, in Frage stellen und verschieben? Prinzipiell können KünstlerInnen so auftreten, weil sie damit offen legen, welche kritisierbare Regeln gesellschaftliches Agieren begrenzen. Sie schaffen Interaktion, die gleichzeitig konnektiv, dialogisch und assoziativ ist. Diese kann Impulse setzen und dort vermitteln, wo rein rechtlich ein Handeln nicht mehr zugelassen wäre. Wenn Kollaboration und sukzessive Aufgaben generiert werden, entsteht ein Prozess, dessen Konsequenzen durch Beteiligung von mehr als einer kleinen Entscheidungselite getragen und gesteuert werden. Das Projekt in Eisenerz ist ein Zusammenarbeiten vor Ort, durch das Beziehungen zum Ort entstanden sind. oiXplorer hat Bezugspunkte geschaffen, an denen Interessierte mit eigenen Kompetenzen und Ideen anknüpfen können. Es wird ohne Aufgabe gearbeitet, aber es entstehen Aufgaben für jeden einzelnen Beteiligten durch die gemeinsame Arbeit. Sicherlich spielt die Größe des entstehenden Netzwerkes eine Rolle. Welches die maximale Größe ist, muss noch herausgefunden werden. Aktuell ist eine kritische Masse noch nicht überschritten. Das heißt auch, dass man nicht die “Welt retten” möchte, sondern überschaubare Teile dieser zu verändern sucht. Der vornehmliche Beitrag eines Künstlers oder einer Künstlerin in planerischen Prozessen, kann im Erarbeiten von Aufgabenfeldern innerhalb eines thematischen Rahmens gesehen werden. Inspiration (z.B. durch die Art und Weise, wie gearbeitet wird) scheint elementar für Realisierungen. Angenommen, der/die KünstlerIn zeigt „das Unbekannte mit Mitteln des Bekannten”, also hinsichtlich globaler Herausforderungen mögliche Lösungswege für eine nachhaltige Zukunft. Ist damit die Welt gerettet? Der Künstler/die Künstlerin kann nicht kompensieren, was die Gesellschaft verabsäumt, die Rolle eines “Superhelden” einnehmen, der die Lebensumwelt rechtzeitig vor zunehmenden irreparablen Schäden bewahren kann. Vielmehr ist sie/er Teil des Wandels. Das kann unmöglich im Alleingang geschehen, es benötigt ein Aktivwerden aller: EntscheidungsträgerInnen, UnternehmerInnen, PolitikerInnen und BürgerInnen. WE can save the world.
Fig. 1: Ansicht von Eisenerz mit Erzberg, 2012 (Foto: Alex Koch) Fig. 2: Re-Light Eisenerz, Lichtinstallation mit DIY Wasserkraftwerk, Rostfest 2012 (Foto: Alex Koch)
REAL CORP 2015 Proceedings/Tagungsband 5-7 May 2015 – http://www.corp.at
ISBN 978-3-9503110-8-2 (CD), 978-3-9503110-9-9 (print) Editors: Manfred SCHRENK, Vasily V. POPOVICH, Peter ZEILE, Pietro ELISEI
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Art Can (Not) Save The World, You Can – Künstlerische Praxis als kollaboratives Handeln innerhalb urbaner und regionaler Handlugsprozesse
11 REFERENCES BÜTTNER, Claudia: Kunst im Urbanen Raum. In: Urban Catalyst, 2013. CROUCH, Colin: Postdemokratie. Frankfurt/Main, 2008. SCHNEIDER, Marianne: Leonardo da Vinci - Das Wasserbuch, Schriften und Zeichnungen. München, Paris, London, 1996. DELLA PORTA, Donatella: I New Global. Bologna, 2003. KIESLER, Friedrich: zitiert vonJoost Bolten in ‘Endless Installation: A Ghost Story for Adults’. http://estheticatijdschrift.nl/files/2014/09/1-EndlessInstallation-demindmapvaneenkunstenaarscollectief-2010-10-05.pdf (Zugriff: 27. Februar. 2015, 17:15 Uhr) muf; SHONFIELD, Katherine; DANNATT, Adrian: This is what we do - a muf manual, London, 2000. NUSSMÜLLER, Werner; PICHLER, Robert; ROSEGGER, Rainer: Re-design Eisenerz - Wohnungsmarkt in schrumpfenden Städten. Studie i.A. Land Steiermark. Graz, 2006. STIEGLER, Bernard: Die Logik der Sorge. Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien. Frankfurt/Main, 2008. SPILLER, Ingrid: Wasser - Menschenrecht und Gemeinschaftsgut. Berlin, 2009. http://www.boell.de/de/navigation/weltweit6231.html (Zugriff: 27. Februar. 2015, 17:30 Uhr) WELZER, Harald: Selbst Denken - eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt, 2013.
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REAL CORP 2015: PLAN TOGETHER – RIGHT NOW – OVERALL Ghent, Belgium