2 minute read

Kompass Europa

Next Article
Dokufinder

Dokufinder

Stabilität ade: Die Republik steht Kopf

Advertisement

KOLUMNE

Das erneute Regierungschaos in Österreich erschwert auch Entscheidungen auf europäischer Ebene, meint Thomas Mayer.

q So etwas gab es noch nie: Innerhalb von nur 57 Tagen kam es in Österreich zu gleich zwei Regierungsumbildungen. Und ausgetauscht wurden jeweils nicht einfach nur ein paar Minister, sondern gleich auch der Chef – der Bundeskanzler. Anfang Oktober legte Sebastian Kurz sein Regierungsamt ab. Er trat nicht ganz freiwillig zurück. Er wird von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigter in einem komplizierten Korruptionsverfahren geführt. Ihm drohte der Sturz im Parlament per Misstrauensantrag. Also trat er „auf die Seite“, so sein Spin, um die Vorwürfe zu entkräften und dann im Triumph zurückzukehren. Es kam ganz anders. Die ÖVP und er stürzten in Umfragen ab. „The Wunderkind“, wie ein US-Magazin ihn einst wegen seiner großen Wahlerfolge mit nur 31 Jahren genannt hatte, verkündete seinen vollständigen Ausstieg aus der Politik. Daraufhin trat auch der von Kurz bestimmte Nachfolger, Alexander Schallenberg, nach nur zwei Monaten im Amt zurück. Die ÖVP bestimmte nun Innenminister Karl Nehammer zu Parteichef und Bundeskanzler. Die Republik stand abermals Kopf. Jahrzehntelang galt das Land als Hort der Stabilität, geprägt von großen Koalitionen und Sozialpartnerschaft, von Sozial- und Christdemokraten. Das ist lange vorbei. Der telegene Kurz hat die Substanzkrise seiner Partei mit Populismus nach rechts nur zugedeckt. Die SPÖ wiederum steckt schon länger in einem Tief. Ein regionales Phänomen? Mitnichten, denn in postmodernen Demokratien spielen die einst großen Volksparteien keine so große Rolle mehr, kommen kaum auf über 25 Prozent Wählerzuspruch. In Frankreich gilt das schon lange. In Deutschland regiert deshalb die Ampelkoalition. Die Parteienlandschaften sind immer bunter gefächert. In Benelux, Frankreich, in baltischen Staaten stellen die Liberalen den Regierungschef. Die Redimensionierung der großen weltanschaulichen Lager des 20. Jahrhunderts schafft aber auch für radikale Parteien mehr Raum, rechts wie links. Entscheidungen im gemeinsamen Europa werden komplexer – und nicht selten erschwert!

ZUR PERSON Thomas Mayer, Journalist Der Österreicher arbeitet seit mehr als 30 Jahren als politischer Korrespondent der Tageszeitung Der Standard. Sein Schwerpunkt ist Europa. Aktuell lebt er in Brüssel.

ARTE Info Nachrichten und Analysen ARTE Journal, ARTE Reportage, Thema, Re:, Mit offenen Karten und mehr unter q arte.tv/info

AUF EIN WORT: DEUTSCH-FRANZÖSISCHE SPRACHKURIOSITÄTEN

Hartnäckige Töne

q Wem „Jingle Bells“ nicht aus dem Kopf geht, kennt es: „einen Ohrwurm haben“. Klingt nach einer fiesen Krankheit, aber zum Glück kriecht kein echtes Tier durch den Gehörgang. Die Franzosen beschreiben die – teils nervtötende – Dauerrotation unmittelbarer, sie haben eine Melodie im Kopf: „avoir un air dans la tête“. Was hilft? Das zirkulierende Lied vom Anfang bis zum Ende hören. Karambolage Magazin

TV sonntags, 18.55 Uhr g MEDIATHEK alle Folgen verfügbar

q arte.tv/karambolage

This article is from: